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Symbolbild zum Bericht Das Heer von digitalen FreelancerInnen arbeitet in der Regel in Projekten und bekommt bestenfalls Werkverträge.
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Freiheit oder moderne Sklaverei?

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Sozialdumping sowie fehlende Pensionskassen sind die Kehrseite von Online-Jobs. Gewerkschaften stehen vor komplett neuen Herausforderungen.

Der Traum, engen Großstadtbüros und einer 60-Stunden-Arbeitswoche zu entfliehen, motivierte drei ehemalige Finanzberater aus London dazu, ihr „eigenes Ding“ auf die Beine zu stellen. Sie kehrten der Wirtschaftsbranche den Rücken und gründeten die „etwas andere“ Jobplattform www.escapethecity.org. Mit ihrem Start-up-Unternehmen Escape geben Rob Symington, Dom Jackman und Mikey Howe Interessierten auf dem Weg zum Traumjob einen Leitfaden in die Hand. Was als einfacher Blog begann, hat sich schnell zu einem Onlinedienst entwickelt, der vielen dabei geholfen hat, der Routine ihrer Großfirmenjobs zu entfliehen – mit dem Ziel, entweder einen aufregenden neuen Job zu finden, ein eigenes Unternehmen zu gründen, eine kreative Auszeit zu nehmen oder das große Abenteuer zu wagen. Mittlerweile zählt „Escape the City“ über 200.000 Mitglieder auf der ganzen Welt.

„Der Wunsch, einen sinnerfüllten Job zu haben, trifft mitten ins Herz. Es geht um Identität, die Definition von Leben, Erfolg und Reichtum. Bei alldem ist Angst ein sehr großer Teil – aber all das hilft nicht, wenn du nach Erfüllung suchst“, erklärt Rob Symington, der seine Karriere beim Unternehmensberater Ernst & Young hinter sich ließ. Die Jobplattform Escape wurde zum Teil durch Crowdfunding – bei dem über 850.000 Euro lukriert werden konnten – finanziert. Zugang zu den interessanten Jobangeboten aus aller Welt haben nur Mitglieder. Um auf der Plattform ein Jobangebot aufgeben zu dürfen, muss man bestimmte Kriterien erfüllen wie beispielsweise: exotischer Ort, spannende Aufgabe, soziale Aspekte, Kreativität. Derzeit werden unter anderem EventmanagerInnen auf der thailändischen Insel Ko Lanta, Kulturverantwortliche bei einer NGO in Tansania oder ExpertInnen für ein Start-up-Office in Rio de Janeiro gesucht. Aber auch Offerte aus dem Silicon Valley sind online zu finden – etwa bei Uber, Apple und Airbnb. Die meisten Jobangebote können orts- und zeitunabhängig erledigt werden – und frei von Zwängen einer Festanstellung. Es ist nicht mehr entscheidend, wer am längsten im Büro sitzt, sondern wer seine Kompetenz – unabhängig von Ort und Zeit – am besten einbringen kann.

Gnadenloser Wettbewerb
Das Heer von digitalen FreelancerInnen arbeitet in der Regel in Projekten und bekommt bestenfalls Werkverträge. Der gnadenlose Wettbewerb im Web, bei dem die günstigsten Angebote das Rennen machen, das fehlende soziale Netz und die nicht vorhandenen Mitspracherechte im Betrieb bereiten den Escape-Gründern kein Kopfzerbrechen. Die größten Einwände – nämlich Unsicherheit und fehlenden Kündigungsschutz – entkräftet Rob Symington folgendermaßen: „In letzter Zeit mussten viele Menschen, die nie etwas riskiert und ihr Leben lang für Großfirmen gearbeitet hatten, erleben, wie man sie, dem Rentenalter nahe, auf einmal schlecht behandelte. Es kommt zu Entlassungen, radikal zusammengestrichenen Rententöpfen und massenhaft zwangsweisen Frühpensionierungen. Wenn das Geld knapp wird, sind wir alle entbehrlich.“ Trotz aller Herausforderungen des Freelancer-Daseins überwiegen für die Escape-Gründer die Vorteile deutlich.
Selbstständigkeit ist nicht grundsätzlich schlecht, findet auch Karl-Heinz Brandl, Bereichsleiter für Innovation der deutschen Gewerkschaft ver.di. Nur müssten die Bedingungen stimmen, so der Gewerkschafter. Das sei aber bei den digitalen Jobplattformen derzeit nicht der Fall. Daher bereiten ver.di die neuen Arbeitsmodelle auch ziemliches Kopfzerbrechen. Die Angebotspalette der digitalen Plattformen, die von der Auslagerung konkreter Aufgaben wie Assistenzfunktionen oder einfachen Testfällen im Softwareentwicklungsbereich über Produktentwicklung, Prototypentest bis zur Vermittlung von FreelancerInnen reicht, wächst stetig. „Andere Gewerkschaften und wir arbeiten intensiv an Spielregeln für die neue Arbeitswelt“, versichert Brandl.

Die Liste der Schattenseiten, unter denen Cloudworker („WolkenarbeiterInnen“) leiden, die ihre Arbeit mithilfe moderner Technologien unabhängig von Zeit und Ort erledigen, ist lang. Berichte von extrem schlechter Bezahlung etwa bei Amazons Mechanical Turk – dem Online-Arbeitsmarkt für Mikrojobber – mit einem Durchschnittslohn von zwei Dollar pro Stunde, ohne Sozialleistungen oder ArbeitnehmerInnenschutz, lassen aufhorchen. „Bei diesen Modellen fehlt es meist an Mindeststandards hinsichtlich Bezahlung, Arbeitszeit, Arbeitsschutz und rechtlicher wie sozialer Sicherheit. Deshalb besteht die Gefahr, dass Crowdworking sich in die Sphäre der ausbeuterischen Erwerbstätigkeit entwickelt“, warnt Brandl.
Gewerkschaften sind sich der Tatsache bewusst, dass die Bedingungen in der digitalen Arbeitswelt auch massiven Einfluss auf alle traditionell Beschäftigten haben werden. Dabei kann auch erheblicher Druck auf die Einkommens- und Arbeitsbedingungen der angestellten ArbeitnehmerInnen entstehen. Soll „gute Arbeit“ auch für Crowd-Arbeit möglich werden, so müssten die gesetzlichen Lücken geschlossen und Mindestbedingungen, etwa ein Mindestlohn, rechtlich verankert werden. Die Mitbestimmung in Betrieben müsse für digitale Beschäftigte erweitert werden. Ein wichtiger Punkt sei auch die Wahrung von Persönlichkeitsrechten und Datenschutz. „Bei manchen Verträgen mit Crowdsourcing-Plattformen müssen sich die JobinteressentInnen ja praktisch nackt ausziehen“, warnt Brandl.

All die oben angeführten Punkte würden zeigen, dass die neue Arbeitswelt reguliert werden müsse, damit es zu einem möglichst fairen Ausgleich von Interessen kommt. „Schließlich gilt es, einen sozialen Rückschritt zu verhindern, der uns an den Beginn des industriellen Zeitalters zurückkatapultieren könnte“, mahnt Brandl. Die deutschen Gewerkschaften IG Metall und ver.di haben Internetplattformen (www.ich-bin-mehr-wert.de/support/cloudworking) zum Thema geschaltet und bieten Beratung für Cloudworker. ver.di organisiert auch Workshops für Ein-Personen-Unternehmen (EPUs) und Cloudworker. Informationen, Beratung, Honorarrichtlinien, Vertragspraxis und Weiterbildung stehen auf dem Programm.

Neue Debatte erforderlich
Die rasant voranschreitende Digitalisierung erfordert auch eine völlig neu aufgestell
te arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitische Debatte. „Ein Cloudworker mit wenigen Euro Bruttolohn hat keinen Spielraum, in die eigene Vorsorge zu investieren. Das soziale Netz wird für ihn zum Raster, durch das er fällt. Die modernen Arbeitsformen rufen das Konzept einer Bürgerversicherung auf den Plan. Die Verbreiterung der Finanzierungsbasis im sozialen Sicherungssystem wäre der strukturelle Schritt zur Absicherung des ‚digitalen Prekariats‘“, meint etwa SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Denn, so Fahimi, wenn die digitale Arbeitswelt ihr Freiheitsversprechen einlösen möchte, dann könne dies nicht zulasten der Beschäftigten gehen, die am Ende mit der Entscheidung zwischen Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung allein gelassen werden.

In Deutschland laufen bereits angeregte Diskussionen zum Thema auf breiter gewerkschaftlicher und politischer Basis – und konkret werden eine Rentenkasse und Arbeitslosenabsicherung für Online-Jobber gefordert. In Österreich ist man hingegen noch nicht ganz so weit. Der ÖGB weiß, dass man sich den Herausforderungen, die der digitale Wandel der Arbeitswelt mit sich bringt, stellen wird müssen, und es besteht dahingehend auch Problembewusstsein. Entsprechend klare und mit den Sozialpartnern akkordierte Forderungen stecken noch in den Kinderschuhen. Was EPUs betrifft, wäre für diese die Wirtschaftskammer zuständig, von der aber kommt wenig Unterstützung – mit dem Ergebnis, dass viele Menschen in sehr prekären Verhältnissen sind. Aufmerksam beobachten KonsumentenschützerInnen die neuen Entwicklungen von Online-Dienstleistungsvermittlern. „Konsumenten genießen beim Online-Kauf Vorteile wie ein großes Warenangebot, einfache Preisvergleiche und bequeme Auftragserteilung von zu Hause. Die gesellschaftlichen Aspekte jedoch, etwa wie sich digitale Plattformen auf traditionelle Arbeitsplätze auswirken werden, sind noch nicht abzusehen“, erklärt Gabriele Zgubic, Leiterin der Abteilung Konsumentenpolitik der AK Wien. Neue Technologien würden viele Vorteile und Arbeitserleichterungen für KonsumentInnen und ArbeitnehmerInnen bringen. Dennoch dürfe man die negativen Seiten nicht außer Acht lassen, warnt Zgubic: „Neben dem mangelnden Datenschutz zählen steigender Arbeitsdruck, ständige Erreichbarkeit, sinkendes Lohnniveau, aber auch das Wegfallen von Arbeitsplätzen dazu.“
 
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