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Symbolbild zum Bericht Ein Geschäftsmodell der Zukunft könnte so aussehen, dass Menschen Güter mithilfe selbst generierter Energie produzieren, sie global über Webseiten verkaufen und mit führerlosen Fahrzeugen zum Kunden schicken.
Buchtipp

Digital leben

Schwerpunkt

Die Digitalisierung der Welt ist eine Tatsache. Angst vor ihr ist kein guter Ratgeber. Aber Skepsis ist angebracht.

Die globale Kontrolle durch Geheimdienste und Unternehmen produziert Angst und Widerstand. Damit befassten sich 2013 zwei beinahe zeitgleich erschienene Bücher. „Erfindet euch neu!“, jubelte der damals 83-jährige französische Philosoph Michel Serres in seinem gleichnamigen Buch. Er bewunderte die „Däumlinge“, die behände über die Benutzeroberfläche gleiten, und stellte sich eine „Demokratie des Wissens“ vor, die von den „neuen Menschen“ getragen wird, die durch Virtuelles verbunden sind. Das andere Buch mit dem Titel „Smarte neue Welt“ begegnet dem Digitalen mit politisch motivierter Skepsis. Der Weißrusse Evgeny Morozov polemisiert darin gegen die Leichtgläubigkeit, mit der die Menschen technologischen Fortschritt für die Lösung gesellschaftlicher Probleme halten. Wir befänden uns in einer smarten neuen Welt und meinten, Apps & Co brächten uns Freiheit und Erkenntnis. Die digitale Technologie unterstütze allerdings vor allem neoliberale Tendenzen und trage dazu bei, die Grundfesten demokratischer Gesellschaften auszuhöhlen.

Datenklau
Um die Abhängigkeit Europas von Netzgiganten wie Google zu mindern, schlägt Morozov eine Art öffentlich-rechtlicher Datensammlung vor. „Google setzt auf die Zentralplanung im Sowjetstil, was Innovation verhindert. Das geht auf Dauer nicht gut. Stattdessen sollten wir gleiche Voraussetzungen für alle schaffen. Das funktioniert nur, wenn niemand Daten exklusiv sammeln oder besitzen kann. Das kann nur ein starker Staat sicherstellen“, ist der junge Digitalkritiker überzeugt.

„Big Data“, also Datenmengen die zu groß oder zu komplex sind, um mit traditionellen Methoden bearbeitet zu werden, ist heute schon viel mehr als die wirtschaftliche Nutzung von Daten. „Durch die Biometrie und Sensorik kommen wir vielen Träumen näher, sei es die künstliche Intelligenz oder die humanoide Robotik“, meint Thomas F. Dapp, Economist bei Deutsche Bank Research. Er ist dort für den Bereich Innovation und digitale Ökonomie zuständig und verfasste im Jahr 2014 eine Studie mit dem Titel „Big Data: Die ungezähmte Macht“. Demnach stecke der digitale Wandel zwar noch in den Kinderschuhen, habe die Gesellschaft aber bereits voll erfasst. Big Data und das „Internet der Dinge“ könnten enorme Wohlstandsschübe auslösen ‒ „aber nur dann, wenn sie nach den sozialen und rechtlichen Prinzipien organisiert werden, die Europa unter hohen Opfern in seinen Gesellschaften etabliert hat“.
Der Experte begegnet der digitalen Revolution mit gehöriger Skepsis. „Wir bewegen uns in eine Richtung, in der wir die Hoheit über Daten verlieren. Wenn wir keinen adäquaten Weg zur Regulierung finden, fallen mir für jedes positive Beispiel von Big Data ebenso Horrorszenarien ein.“ Es sei aber noch nicht zu spät, für bestehende und neue Player am Markt klare Regeln zu schaffen. Wenn der Regelrahmen optimal gestaltet wäre, könne sich Big Data nicht nur wirtschaftlich positiv entwickeln, sondern auch wissenschaftlich und gesellschaftlich. Der deutsche Studienautor ortet ein Misstrauen in der Bevölkerung. „Das Misstrauen wird mittelfristig zu Innovationseinbußen führen, weil manche webbasierten Technologien nicht mehr angenommen werden.“

Industrie 4.0
Damit Österreich die digitalen Umwälzungen nutzt, wurde im Juni des Jahres vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit), der Bundesarbeitskammer, der Industriellenvereinigung, der Produktionsgewerkschaft (PRO-GE) und zwei Fachverbänden der Verein „Industrie 4.0 Österreich – die Plattform für intelligente Produktion“ gegründet. Unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“, das 2011 anlässlich der Hannoveraner Messe geprägt wurde, werden mehrere Entwicklungen zusammengefasst. Im Zentrum steht vor allem die Verschmelzung klassischer Produktionstechniken mit digitalen Technologien in dem „Internet der Dinge“, in dem Maschinen, Werkstoffe und Produkte autonom miteinander kommunizieren. AK-Präsident Rudolf Kaske dazu: „Industrie 4.0 bedeutet für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen eine große Umstellung. Wir wollen uns mit dieser Initiative darauf konzentrieren, zusätzliche Wachstums- und Beschäftigungsmöglichkeiten auszuloten und zu unterstützen.“ Besondere Anliegen sind Kaske die Veränderungen, „die in der Bildung notwendig sind. Noch mehr als bisher wird von den Arbeitnehmenden lebenslanges Lernen erwartet. Unser Bildungssystem muss die Menschen besser darauf vorbereiten.“
„Wir befinden uns am Anfang eines tief greifenden Strukturwandels in der Produktion, am Beginn der vierten industriellen Revolution, an deren Ende die intelligente Fabrik wartet“, meinte Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der Produktionsgewerkschaft PRO-GE, anlässlich der Präsentation der Initiative. „Nur gemeinsam können wir diese innovative Weiterentwicklung mitgestalten und sicherstellen, dass die Interessen der Beschäftigten nicht zu kurz kommen. Es geht um die Absicherung unseres erfolgreichen Industriestandorts und die damit verbundenen Arbeitsplätze.“

Problemlöser
Optimistisch zeigt sich der Zukunftsforscher Klaus Kofler, der mit „Industrie 4.0“ eine logische Weiterentwicklung dessen sieht, was vor rund 25 Jahren mit dem Internet begonnen hat. „Wir werden die Maschine als allgegenwärtigen Bestandteil ins Leben integrieren“, sagte er im Mai in einem „Standard“-Interview. Visionär gedacht, könnte ein Geschäftsmodell der Zukunft so aussehen, dass Menschen Güter mithilfe selbst generierter Energie produzieren, sie global über Webseiten verkaufen und mit führerlosen Fahrzeugen zum Kunden schicken. Der Mensch, der in diesem noch etwas utopischen Umfeld besonders gut zurechtkommen könnte, würde jener Spezies angehören, die der US-Soziologe Paul Hay „Kulturell Kreative“ nannte. Für diese Personen spielen soziale Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Eigenverantwortung und Lebensqualität eine große Rolle. Sie lassen neue Lebens- und Arbeitsmodelle entstehen. „Das sind keine Spinner“, meint Klaus Kofler, „sondern Problemlöser, die langsam in Führungsebenen vorrücken.“ All die Webportale, auf denen man Arbeitgeber, Restaurants oder Reiseveranstalter bewerten kann, seien ein erstes Ergebnis dieser Entwicklung.

Ängste
Auch für den deutschen Forscher Volker Banholzer ist die Zukunft der Arbeit unter dem Schlagwort Industrie 4.0 zu diskutieren. „Durch die Digitalisierung, den zunehmenden Einsatz von Robotern und die Vernetzung ändert sich die Arbeitswelt. Neue qualifizierte Arbeitsplätze entstehen, bestehende Abläufe und Routinen müssen angepasst werden.“ Die größte Angst der MitarbeiterInnen ist es, wenig überraschend, den Job zu verlieren und keinen neuen mehr zu finden, weil die Qualifikation nicht mehr passt. Banholzer: „Das heißt, die Arbeitgeber müssen wissen, welche Qualifikationen sie morgen benötigen, damit sie ihre Mitarbeiter dahin entwickeln können.“

Grundeinkommen
Für viele wird die neue Entwicklung jedoch zu kalt, zu komplex und zu undurchschaubar sein. „Wenn die Politik keine Sicherheit und Perspektiven bereitstellt, werden wir mit einem großen gesellschaftlichen Problem konfrontiert werden“, fürchtet Zukunftsforscher Kofler. Ein Modell, dem Umbruch wirksam zu begegnen, wäre das bedingungslose Grundeinkommen. Es sei auch eine Forderung, die in der Tech-Welt immer häufiger auftaucht. Albert Wenger, ein Risikofinanzier des New Yorker Unternehmens Union Square Ventures, bloggt bereits seit 2013 über dieses Modell. Die smarten Apps, die seine Firma finanziert, lehren Sprachen und können Taxis bestellen. Sie machen praktisch mit jedem Download menschliche Arbeit überflüssig. „Wir stehen am Beginn einer Ära, in der Maschinen immer mehr Dinge übernehmen, die traditionell von Menschen erledigt wurden“, so Wenger. Er will in Detroit ein Grundeinkommen-Pilotprojekt starten.

Linktipp:
Interview mit Klaus Kofler – „Jeder könnte zum Produzenten werden“
tinyurl.com/o6zh5bw

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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