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Symbolbild zum Bericht Digitale Technik ermöglicht es Menschen, geradezu überall zu arbeiten. Damit das gut funktioniert, müssen ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden.
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Wenn die Arbeit viele Orte hat

Schwerpunkt

Mobile Arbeit kann den Beschäftigten mehr Autonomie verschaffen. Ohne entsprechende Ressourcen wird sie allerdings zur Belastung.

Arbeit ist zunehmend entgrenzte Arbeit. Sie wird immer mehr zu mobiler Arbeit, die elektronisch vernetzt an verschiedenen Orten ausgeübt werden kann. Unter den Begriff mobile Arbeit fallen unterschiedliche Varianten räumlich und zeitlich entgrenzter Arbeit. Sie umfasst sowohl die Arbeit zu Hause (Telearbeit oder Home-Office), an einem anderen Arbeitsort (zum Beispiel direkt bei den KundInnen) oder unterwegs (Dienstreisen), im Zug oder anderswo.
Bei mobiler Arbeit wird auch danach unterschieden, wer oder was mobil ist: Zum einen können die Arbeitsinhalte via Datenleitungen mobil werden, zum anderen können es die Beschäftigten selbst sein, die räumlich mobil sind. Es kann aber auch eine Kombination aus beidem sein, also etwa wenn unterwegs mobil gearbeitet wird.

Breites Spektrum
Das Spektrum mobiler Arbeit reicht von der gelegentlichen Arbeit zu Hause über ein- bis mehrtägige Dienstreisen bis hin zu längeren Einsätzen direkt bei den KundInnen, die sich über mehrere Wochen und Monate hinziehen können. Die angeführten Formen mobiler Arbeit treten oftmals nicht isoliert auf, sondern werden – je nach Tätigkeit – untereinander kombiniert. Im Dienste des Unternehmens mobil zu sein wird für immer mehr Beschäftigte zu einer Selbstverständlichkeit. Die Zunahme mobiler Arbeit wirft dabei auch Fragen für die Work-Life-Balance auf: Was sind die neuen Chancen, was die neuen Risiken? Ist mobile Arbeit Problem oder Lösung für die Work-Life-Balance?

Wünsche
Die Beschäftigten selbst wünschen sich Arbeitszeiten, die ihnen mehr Entscheidungsspielräume und Autonomie ermöglichen. Von daher kann die Möglichkeit mobilen Arbeitens durchaus positive Effekte haben. Untersuchungen zur Arbeitszeitflexibilisierung zeigen allerdings auch, dass die Interessen der Arbeitgeber (mehr Flexibilität) und der ArbeitnehmerInnen (mehr Autonomie) in der Praxis nur selten unter einen Hut gebracht werden.
Räumliche und zeitliche Entgrenzungsprozesse sind eine Herausforderung für die Arbeitsgestaltung selbst, aber auch für das Verhältnis zwischen Arbeit und Leben. In der Regel heißt Entgrenzung, dass Arbeits- und Lebensbedingungen weniger institutionell vorgegeben sind. Im Gegenzug müssen sie mehr individuell gestaltet werden – oder können dies eben auch. So zeigen Studien zu entgrenzter Arbeit, dass das räumliche und zeitliche Verhältnis von Erwerbsarbeit und Privatleben nun von den Individuen selbst gestaltet und hergestellt werden muss.

Vielfach wird mit der Möglichkeit der individuellen Gestaltung auch die Hoffnung nach einer besseren Work-Life-Balance verbunden. Allerdings erweitern nicht alle Formen mobiler Arbeit den individuellen Handlungsspielraum. Längere Abwesenheitszeiten von zu Hause etwa können zum Problem für die Work-Life-Balance werden.
Eine balanceorientierte Gestaltung mobiler Arbeit setzt voraus, dass die Menschen über bestimmte Ressourcen verfügen. Mobile Arbeit bedeutet also nicht per se einen Schritt in Richtung Work-Life-Balance. Ohne die entsprechenden Ressourcen kann man diese Option entweder gar nicht nutzen oder sie verkehrt sich sogar ins Gegenteil, wird zur Belastung und führt zu einer Verringerung von Optionen. Es reicht von daher nicht aus, isoliert den Faktor Mobilität zu betrachten. Vielmehr hängt es von vielen Faktoren ab, ob mobile Arbeit zur Belastung für die Beschäftigten wird: Arbeitsorganisation, Arbeitsumgebung, Ressourcen, soziale Beziehungen sowie der Einsatz von bzw. die Ausstattung mit Technik.

Um das Verhältnis von Arbeit und Leben im Sinne der ArbeitnehmerInnen besser zu gestalten, dürfen nicht nur individuelle Ressourcen im Mittelpunkt stehen – ansonsten wären sowohl Chancen als auch Risiken sozial sehr ungleich verteilt. Vielmehr müssen individuelle Ressourcen und betriebliche Anforderungen, individuelle Kompetenzen und betriebliche Gestaltung zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Nur dann lassen sich die Chancen mobiler Arbeit für die Work-Life-Balance herausarbeiten.
In den Personalabteilungen wie bei der betrieblichen Interessenvertretung wird die Zunahme mobiler Arbeit registriert und zugleich gesehen, dass damit neue Belastungen verbunden sein können. Allerdings gibt es bislang wenig personalpolitische Ansätze, die Beschäftigten in ihrer Mobilität und bei der Bewältigung der damit verbundenen sozialen Probleme zu unterstützen.

Balance
Was also sind die Anforderungen an eine Work-Life-Balance-orientierte Gestaltung mobiler Arbeit? Die betriebliche Gestaltung sollte zumindest drei Bereiche umfassen: eine bedürfnisorientierte Personalpolitik, eine mobilitätsorientierte Arbeitsgestaltung sowie eine balanceorientierte Leistungspolitik.
Eine bedürfnisorientierte Personalpolitik fragt zunächst danach, wie die Freiheiten mobiler Arbeit maximal ausgeschöpft werden können, damit die lebensweltliche Perspektive Berücksichtigung findet. Ein wichtiger Aspekt ist die Orientierung an den jeweiligen Lebensphasen: Wie kann organisiert werden, dass Beschäftigte abhängig von ihrer jeweiligen Lebensphase nach Zeiten hoher Mobilität auch einmal weniger bis gar nicht reisen müssen? Zu einer bedürfnisorientierten Personalpolitik gehört die gezielte Auswahl mobiler Beschäftigter: Wer darf, wer muss reisen? Nicht vergessen werden darf die Qualifizierung der mobilen Beschäftigten, denn der Umgang mit und die Gestaltung von Mobilität erfordert spezielle Kompetenzen.

Drei Aspekte
Ein zweiter Baustein ist die mobilitätsorientierte Arbeitsgestaltung: Hier sind insbesondere drei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens: Mobile Beschäftigte brauchen Handlungs- und Entscheidungsspielräume. Zweitens: Ein großer Belastungsfaktor ist nicht oder schlecht funktionierende, veraltete oder langsame Technik. Von daher gilt zu fragen: Wie müssen mobil Beschäftigte technisch ausgestattet werden? Ein dritter Aspekt betrifft die Unterstützung und Kommunikation: Wie können die mobilen Arbeiter optimal im Unternehmen unterstützt werden?
Mobile Arbeit, die positive Auswirkungen auf die Work-Life-Balance hat, erfordert eine balanceorientierte Leistungspolitik, die Anforderungen und Ressourcen aus der Arbeits- und auch der Lebenswelt berücksichtigt. Es reicht nicht aus, die Gestaltung auf den Arbeitsort und die Arbeitszeit zu reduzieren, also auf die Frage, wo und wann gearbeitet wird. Vielmehr gilt es nach dem Wie zu fragen, d. h. unter welchen leistungspolitischen Anforderungen und mit welchen Ressourcen wird gearbeitet.

Wenn die Beschäftigten zunehmend eigenverantwortlich Unternehmensziele verfolgen sollen, dann brauchen sie auch Autonomie in der Gestaltung und Kompetenzen im Umgang mit steigenden Mobilitätsanforderungen. Dazu benötigen sie aber zum einen weitgehende Freiheiten bei der Organisation ihrer Arbeit, sodass passend für die jeweilige Lebenssituation ein für die Work-Life-Balance zuträgliches Arrangement herauskommt. Die besten Arrangements nutzen allerdings nichts, wenn der Leistungsdruck immer mehr steigt, weil die zur Verfügung gestellten Ressourcen nicht zur Bewältigung der Arbeitsaufgaben ausreichen. In diesem Falle wird Mobilität zu einer zusätzlichen Belastung, die „on top“ dazukommt.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gerlinde.vogl@sozialforschung.org oder die Redaktion aw@oegb.at

Der Beitrag ist eine adaptierte Version des gemeinsamen Artikels von Gerlinde Vogl und Nick Kratzer (2015).

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