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Symbolbild zum Bericht Mensch und Maschine kommen einander näher. Die Roboter haben so futuristische Namen wie Nao, Motoman SDA5, YuMi oder DaVinci.

R2-D2 4.0

Schwerpunkt

Nimmt uns die Robotik die Arbeit ab oder schafft die Digitalisierung neue Arbeitsplätze oder digitale TagelöhnerInnen?

Den Herrn Karl gäb’s heute nicht mehr. Als Magazineur schob er die sprichwörtlich „ruhige Kugel“ und monologisierte über Österreich. Heute hetzt der Lagerlogistiker mit seiner „Ameise“ in neonbeleuchteten Hallen umher, schleppt, schlichtet und scannt Pakete, kontrolliert den Bestand am Computer. Aber auch dieser Job könnte bald Geschichte sein. Ein automatisches Fließband-Lagersystem beliefert den Robo-Picker, der über optische Bilderkennungssysteme die Pakete zusammenstellt, die dann von selbstfahrenden Robo-Cars ausgefahren und beladen werden. 47 Prozent aller Berufsgruppen können durch Automatisierung ersetzt werden, berechnete der Oxford-Professor Michael Osborne für die USA. Andere ForscherInnen wiederum prognostizieren ein Jobwachstum durch neue Berufe und Geschäftsmodelle.

Erleichterungen
Heutzutage hat jeder Job digitale Aspekte, sie können die Arbeit bereichern oder dequalifizieren. Dank maschineller Assistenz kann ein Mensch mit Behinderung einen anspruchsvollen Arbeits-platz finden, einem/einer HeimhelferIn wiederum könnte dank mobiler Eingabe der Dokumentation mehr Zeit für das persönliche Gespräch bleiben. Zugleich reduziert die Digitalisierung die menschliche Tätigkeit auf maschinelle Überwachung und Algorithmenkontrolle, dann bleibt etwa den ÜbersetzerInnen nur noch das Korrigieren sprachlicher Fehler.
Mensch und Maschine kommen einander näher: Roboter Nao wird als Geografiehilfslehrer eingesetzt. Motoman SDA5 kocht mit zwei überdimensionierten Greifarmen Krabbensuppe. YuMi baut Seite an Seite mit seinem menschlichen Kollegen Schaltschränke zusammen. DaVinci operiert in den USA immer öfter Gallenblasen, doch als Ersatz für seine menschlichen KollegInnen ist er noch zu teuer. Anders ist die Lage in der Autoproduktion: Hier kostet die menschliche Arbeitsstunde 50 Euro pro Stunde, der blecherne Kollege hingegen nur vier bis sechs Euro. Der Einsatz von Robotern bleibt jedoch nicht ohne Schwierigkeiten. Anfang Juli zeigte der erste tödliche Roboterunfall in der Geschichte die Gefahren auf – von der Vielzahl an Fragen rund um autonom fahrende Fahrzeuge einmal abgesehen.

Die Qualität der Arbeitsbeziehung Mensch‒Roboter entsteht erst, unbestritten verändert sie Wert-schöpfungsketten und Arbeitsorganisation. „Industrie 4.0 führt in der Sachgüterproduktion zum Personalabbau. Zugleich werden neue hoch qualifizierte Berufe entstehen, um die Maschinen zu steuern und zu kontrollieren. Arbeitsplätze mit wenig Produktivität wie Regalbetreuung oder Kassadienst kommen unter die Räder“, sagt Gernot Mitter, Arbeitsmarktexperte der AK Wien.
Die Digitalisierung überträgt die Maschinentaktung 24/7 auf die klassische Büroarbeit. Seitdem wir Computer in Taschengröße als Smartphones immer bei uns tragen, ist berufliche Erreichbarkeit eine Selbstverständlichkeit. Eine IFES-Studie bestätigt die entgrenzte Arbeitskultur: Fast die Hälfte der Angestellten verbringt einen Gutteil ihrer Arbeitszeit unterwegs. Aufschlussreich ist, dass die MitarbeiterInnen dies durchwegs freiwillig tun, überwiegendend ohne finanzielle oder zeitliche Entschädigung.
In den Frühzeiten des Handys war das mobile Büro Inbegriff der neuen Arbeitsfreiheit. Heute bevölkern Massen von Laptop-ArbeiterInnen Züge, Kaffeehäuser oder Parkbänke, ohne sonderlich fröhlich zu wirken. Dabei könnte es für beide Seiten Vorteile haben: Unternehmen sparen sich Kosten für Büroinfrastruktur, ArbeitnehmerInnen haben mehr Flexibilität in der Zeitgestaltung und ersparen sich etwa das tägliche Pendeln. Voraussetzung ist allerdings, dass man lernt, selbst Grenzen zur Arbeit zu ziehen – und dass das Unternehmen eine Kultur pflegt, die dies als Arbeitstugend schätzt. „Deshalb riefen wir die GPA-djp-Kampagne ‚Schalt mal ab!‘ ins Leben“, so Clara Fritsch. Denn die Zunahme psychischer Erkrankungen kann im Zusammenhang mit dieser „Always on“- Mentalität stehen. In Führungskreisen ist Nicht-Erreichbarkeit im Übrigen längst schick: Urlaub in Hotelanlagen mit Device-free-Zones sind in, um das Offline-Sein zu genießen.

Digitaler Taylorismus
Die Digi
talisierung macht persönliche Kontrolle des Personals immer weniger wichtig. Genauer als jede Stechuhr und aufmerksamer als jede/r Vorgesetzte kontrollieren und beurteilen die Arbeitsgeräte selbst die KollegInnen. Das Echtzeit-Monitoring ermöglicht stark individualisierte Leistungsbemessung und Kontrolle: Wie lange braucht jemand für eine Aufgabe hier oder in Vietnam? Effizienzsteigerung und Arbeitsverdichtung sind nicht nur für Konzerne Thema. Auch der Handwerksbetrieb schickt der Servicetruppe neue Arbeitsaufträge direkt aufs Handy. GPS-Lokalisierung reduziert „leere Fahrten“, weil der/die Vorgesetzte weiß, wer am nächsten bei der neuen Kundschaft ist.

Allein in der Crowd
Die fortschreitende Globalisierung reduziert die Kern- und baut die Randbelegschaften aus. Digitale Dienstleistungen werden immer öfter an die Crowd vergeben. Sie heißen CrowdFlower, freelancer.com oder Humangrid: Diese Arbeitsvermittlungsplattformen nehmen gegen Provision Aufträge von Unternehmen an und vermitteln die Jobs an die registrierten Crowd-Mitglieder.
Bezahlt wird auf Honorarbasis nach erfolgreich erledigtem Job: Der durchschnittliche Stundenlohn schwankt zwischen 1,25 Dollar bei Mechanical Turk (der ältesten Plattform, gegründet von Amazon) und bis zu 9,40 Euro beim deutschsprachigen Clickworker. Was in europäischen Sozialstaaten ein Hungerlohn ist, ist für einen indischen Crowdworker lukrativ. Als bekannt wurde, dass IBM eine Crowd beauftragte, um diese in Konkurrenz zum eigenen Entwicklungsteam zu stellen und so Hunderte Arbeitsplätze abzubauen, erkannte die deutsche Gewerkschaft den Handlungsbedarf. Christine Brenner, Vorsitzende der IG Metall: „Komplexe Aufgaben werden oftmals in kleine Teilaufgaben zerlegt, bevor sie ausgeschrieben werden, was die Arbeitsaufgabe dequalifiziert und so die Bezahlung senkt.“ Und das trifft für die Mehrheit der Minijobs zu. „Crowdworking ist eine neue Spielart der Arbeitsorganisation und noch in der Probephase. Es wird sich aber auch auf die Gestaltung des Normalarbeitsverhältnisses auswirken“, gibt Walter Peissl vom Institut für Technikfolgenabschätzung zu bedenken.
Es entstehen immer vielfältigere Arbeitsformen. Martin Risak verweist in seinem Blog-Beitrag auf einen aktuellen Bericht der „European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions (eurofund)“. Darin werden neue Arbeitsformen erstmals zusammengefasst und strukturiert dargestellt. Insgesamt neun verschiedene Typen kennt der Bericht: Neben der Crowd gibt es etwa „Casual Work“, also Arbeit auf Abruf. Eine andere Variante ist Job-Sharing: „Mehrere ArbeitnehmerInnen teilen sich einen Arbeitsplatz und koordinieren ihre Verfügbarkeiten selbst.“ Auch eine Bezahlung in Form von Gutscheinen oder Schecks, „Voucher-based Work“ genannt, kennt die neue Arbeitswelt.

Klassenkampf reloaded
Wer profitiert von den Produktivitätsgewinnen und wer verliert? Zwischen 2007 und 2015 verdoppelte sich die Zahl der Millionäre, vier der Top Ten verdienten ihr Geld durch Informationstechnologie. Gernot Mitter sieht die Perspektive in einer noch stärkeren Spaltung. „Ein schwaches Drittel wird relativ gute Jobs haben und die anderen zwei Drittel werden auf prekäre Erwerbsformen zurückgeworfen.“
Existenzsichernde wie gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen einzufordern und wachsam gegenüber neuen Erwerbs- und Überwachungsformen zu sein bleibt gewerkschaftliche Aufgabe. Um mit der Halbwertszeit von Wissen Schritt zu halten, wird die Forderung nach Weiterbildung existenziell. In einer Arbeitswelt, die Zeit und Raum als berufliche Orientierungsraster aufweicht, nimmt Vereinzelung trotz steigender Kommunikationsdichte zu.
Solidarisches Handeln braucht gemeinsame soziale Erfahrungen – auch dies ein Auftrag an die ArbeitnehmerInnen-Vertretung. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Arbeits-Crowd genossenschaftlich in Coworking-Places organisiert, um Arbeitsrechte einzufordern, oder ob ein Heer digitaler und isoliert auftretender HeimarbeiterInnen um lukrative Aufträge und gute Bewertungen rittert.

Linktipps:
Arbeit&Wirtschaft-Blog
blog.arbeit-wirtschaft.at/neue-arbeitsformen
FairCrowdWork Watch
www.faircrowdwork.org
Grünbuch Arbeiten 4.0 zum Downloaden
tinyurl.com/nblpvx2

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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