topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Symbolbild zum Bericht Mithilfe sogenannter Cookies können die NutzerInnen jedes Mal wiedererkannt werden - auch über mehrere Websites hinweg.

Auf Schritt und Tritt analysiert

Schwerpunkt

Globale Netzwerke aus Datenhandelsunternehmen beobachten uns rund um die Uhr und arbeiten an der Verwertung unseres Alltags. Gesellschaft und Politik schauen zu.

Ein Telefon ist heute ein mächtiges Gerät. Es ist ein kleiner leistungsfähiger Computer mit unzähligen Sensoren, den wir fast rund um die Uhr bei uns tragen. Unser Smartphone erfasst detaillierte Informationen über unser Leben und unseren Alltag. Wofür wir uns interessieren, mit wem wir was und wie oft kommunizieren, wo und wie wir uns bewegen und vieles mehr. Die von unserem Telefon erfassten Daten ermöglichen Rückschlüsse auf unseren Tagesablauf und Lebensstil. Allein durch eine Analyse der Bewegungsdaten lassen sich etwa nicht nur problemlos Wohnadresse und Arbeitsort bestimmen, sondern auch regelmäßige Wirtshaus- oder Arztbesuche.

Verhalten vorhersagen
Mithilfe statistischer Verfahren können sogar Prognosen über unser zukünftiges Verhalten getroffen werden. Aus vergangenen Aufenthaltsorten lassen sich etwa mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit unsere zukünftigen Aufenthaltsorte vorhersagen. Andere wissenschaftliche Studien haben belegt, dass sich allein aus sogenannten Metadaten, also etwa der Häufigkeit von Anrufen, mit erstaunlich hoher Zuverlässigkeit auf Charaktereigenschaften wie psychische Instabilität, mangelnde Gewissenhaftigkeit oder soziale Unverträglichkeit schließen lässt. Die US-Firma Cignifi nutzt etwa genau solche Telefon-Metadaten, um die Kreditwürdigkeit von KonsumentInnen einzuschätzen – ganz ohne Zahlungshistorie. Gleichzeitig haben wir kaum eine Wahl. Wer heute ein Telefon benutzen möchte, kann nicht entscheiden, ob, sondern höchstens wer Zugriff auf die erfassten Daten erhält.
An den dominanten Herstellern der Smartphone-Betriebssysteme führt praktisch kein Weg vorbei. Ohne einen BenutzerInnen-Account bei Google, Apple oder Microsoft lassen sich die Geräte kaum sinnvoll nutzen Dazu greift ein großer Teil der von dritten Unternehmen angebotenen Zusatz-Apps auf Kontakt- oder Standortdaten zu. In diesen Apps sind oft weitere versteckte Dienste von wieder anderen Firmen eingebaut. Für die KonsumentInnen unsichtbar erfasst etwa der inzwischen von Yahoo gekaufte Dienst Flurry das Nutzungsverhalten von global 1,4 Milliarden Menschen in über 500.000 unterschiedlichen Apps. In Folge werden diese Menschen kategorisiert und klassifiziert – nach Alter, Geschlecht, ihrem Interesse für Finanzprodukte, ihrer sexuellen Orientierung oder als „neue Mütter“ (im Übrigen eine besonders lukrative Zielgruppe für gezielte Werbung).

Einkäufe und Facebook-Likes
Doch wie lassen sich solche Informationen extrahieren? Die US-Supermarktkette Target etw
a konnte schwangere Frauen und sogar deren Geburtstermine anhand einer Analyse der gekauften Produkte identifizieren. Recherchen des Journalisten Charles Duhigg zufolge zog Target dafür Schlüsse aus der Menge bestimmter Hautlotionen, Seife, Watte, Waschlappen oder Nahrungsergänzungsmitteln, die in gewissen Zeitabständen gekauft wurden. WissenschafterInnen der Universität Berkeley wiederum konnten allein auf Basis von Facebook-Likes mit relativ hoher Zuverlässigkeit auf persönliche Eigenschaften schließen – etwa auf Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, ethnische Zugehörigkeit, politische Einstellung, Religion oder Nikotin-, Alkohol- oder Drogenkonsum. Diese „Likes“ – also die von den NutzerInnen angegebenen Interessen und Vorlieben – stellen eine ähnliche Art von Daten dar wie unsere Einkäufe, unsere Suchbegriffe oder die Websites, die wir im Netz besuchen.

Wiedererkennen und zuordnen
Der Aufruf einer Website oder der Gebrauch eines Smartphones setzt heute meist eine ganze Kaskade an verborgenen Datenübertragungen in Gang. Fast alle gut besuchten Websites haben eine Vielzahl an Diensten eingebaut, die jeden unserer Klicks an unzählige dritte Unternehmen übermitteln.
Mithilfe sogenannter Cookies können die NutzerInnen jedes Mal wiedererkannt werden – auch über mehrere Websites hinweg. Der Benutzer-Account auf den großen Plattformen wie Google oder Facebook dient dabei zunehmend als Ankerpunkt, um die aufgezeichneten Verhaltensweisen auf unterschiedlichen Websites und Geräten mithilfe von Telefonnummern und E-Mail-Adressen immer wieder einzelnen Personen zuordnen zu können. Zudem sammelt etwa Facebook samt seinen Tochterfirmen wie WhatsApp oder Instagram durch den Zugriff auf die Adressbücher der NutzerInnen auch Daten über diejenigen, die gar nicht angemeldet sind.

Alte und neue Player
Darüber hinaus kooperiert Facebook nun auch mit Datenhandelsunternehmen, die schon seit Jahrzehnten im Geschäft sind. Ein Beispiel ist die US-Firma Acxiom, die über bis zu 3.000 Eigenschaften von 700 Millionen Menschen verfügt, darunter auch Daten über alle deutschen Haushalte. Acxiom betreibt unter anderem die Kundendatenbanken von 15.000 globalen Top-Unternehmen und arbeitet auch mit Google und Twitter zusammen.
Durch Partnerschaften wie diese können die digitalen Persönlichkeitsprofile der Online-Firmen endlich mit den langjährig angesammelten Beständen der alten Datenhandelsunternehmen verknüpft werden. Dazu kommen KundInnendatenbanken Abertausender weiterer Unternehmen. Damit wird es möglich, scheinbar anonyme BesucherInnen bestimmter Websites an der Kasse im Geschäft als genau jene wiederzuerkennen und umgekehrt. Die Zuordnung erfolgt mittels der gleichermaßen bei den Online-Plattformen wie auch im Handel hinterlegten Telefonnummern oder E-Mail-Adressen – und über Cookies und teils mehreren Zwischenstationen.
In den letzten Jahren sind globale Netzwerke aus Unternehmen entstanden, die umfassende Informationen über KonsumentInnen aus vielfältigen Online- und Offline-Quellen erfassen und diese miteinander verknüpfen. Die Daten werden einerseits für personalisierte Werbung eingesetzt. Diese Art der Werbung hat allerdings nur mehr wenig mit dem gemein, was wir bis vor Kurzem noch unter diesem Begriff verstanden haben. Die Einblendungen erfolgen gezielt auf der Ebene einzelner Personen – auf Basis von deren Verhalten. Es ist nur ein kleiner Schritt von dieser Art der personalisierten Werbung zu einer Praxis, in der Einzelne auf Basis ihrer Daten völlig unterschiedliche Angebote bekommen – oder gar individuelle Preise für die gleichen Produkte, wie bereits in vielen Online-Shops üblich.

Im Endeffekt werden die KonsumentInnen auf Schritt und Tritt beobachtet, analysiert und klassifiziert. Wie lukrativ sind einzelne KundInnen? Wem werden welche Zahlungsoptionen im Online-Shop angeboten? Die Grenzen zwischen Marketing und der Bewertung von KonsumentInnen nach ihrer Kaufkraft oder ihrer Kreditwürdigkeit verschwimmen immer mehr. Gleichzeitig betrachten die Unternehmen ihre Datenbestände und Analyse-Technologien als Geschäftsgeheimnisse. Für Einzelne ist völlig intransparent, wie sie eingeschätzt werden und welche Konsequenzen sich daraus ergeben.

Kommerzielle Überwachung
Viele Praktiken der Unternehmen sind nach europäischem Datenschutzrecht illegal. Trotzdem geht die Entwicklung rasant voran – getrieben von großen Kapitalsummen, die in Geschäftsmodelle fließen, die auf der Verwertung persönlicher Daten beruhen. Internationale Versicherungen befassen sich bereits damit, Krankheitsrisiken aus dem Einkaufsverhalten abzuschätzen. Andere Firmen arbeiten an Bonitätsbewertungen oder an der Einschätzung von Job-BewerberInnen unter Einbeziehung von Online-Daten. Gleichzeitig erfassen im sogenannten Internet der Dinge immer mehr Geräte Informationen über unseren Alltag – von E-Book-Lesegeräten, Fitness-Armbändern und Überwachungsboxen im Auto bis zu vernetzten Thermostaten. Für das Individuum ist es schon heute schwierig bis unmöglich, dieser kommerziellen Überwachungsmaschine zu entkommen.

Noch schlimmer: Wer nicht teilnimmt, macht sich erst recht verdächtig und wird im Zweifel negativ eingestuft. Allgegenwärtige digitale Überwachung könnte künftig drastische Auswirkungen auf die Autonomie des Einzelnen haben. Wenn sich Gesellschaft und Politik nicht bald sehr viel nachdrücklicher für diese Entwicklungen interessieren, wird uns die Tech-Industrie vor vollendete Tatsachen stellen.

Linktipp:
„Kommerzielle digitale Überwachung im Alltag“: Studie von Wolfie Christl im Auftrag der AK.
tinyurl.com/q6y97o8

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor cw@crackedlabs.org oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum