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Symbolbild zum Bericht Blaumachen würden wir wohl alle hin und wieder gern. Meistens reicht auch ein weniger stressiger Alltag, damit MitarbeiterInnen ihre Erfahrungen einbringen können.
Buchtipp

Like a Snail

Schwerpunkt

Menschen lassen sich von den neuen Techniken unter Druck setzen, statt diese zur eigenen Entlastung einzusetzen. Dabei wäre weniger Stress produktiver.

Nicht nur im Deutschen, auch in anderen Sprachen ist die Schnecke das Symbol für die Langsamkeit. Der englische Begriff Snail-Mail ist inzwischen zum geflügelten Wort geworden. Auch auf Bosnisch, Kroatisch und Serbisch bezieht man sich auf dieses langsame Lebewesen, wenn man „puževim korakom“ sagt – im Schneckenschritt gehen. Auch in Frankreich bewegt man sich „comme un escargot“, also wie eine Schnecke. Biologisch betrachtet, ist die Schnecke in unseren Breiten in der Tat eines der langsamsten Tiere, die Weinbergschnecke etwa bewegt sich pro Stunde um drei Meter weiter.

Horror Langsamkeit
Sich so langsam fortzubewegen ist für viele heutzutage geradezu zur Horrorvorstellung geworden: Es soll schneller gehen, Wartezeiten soll es möglichst keine geben, schon gar nicht in der Wirtschaft. Immer mehr ist von dieser Beschleunigung auch die Freizeit betroffen. Zugleich scheinen sich viele Menschen nichts mehr zu wünschen, als aus diesem stressigen Leben auszusteigen. Dass dies viele auch tun, darin wollen manche sogar einen „Trend zur Entschleunigung“ sehen. Falsch wäre dies nicht, ganz im Gegenteil. Denn die Erfahrung zeigt: Arbeitszeitverkürzung schafft nicht nur Arbeitsplätze, sondern verbessert insgesamt ihre Qualität – und sorgt damit unterm Strich für gesunde wie motivierte MitarbeiterInnen.
„Entschleunigung“ an sich ist, auch wenn man sich das heute nur schwer vorstellen kann, ein sehr altes Thema. Allerdings war Muße ein Privileg der Wohlhabenden. Die Kulturgeschichte ist natürlich komplexer, doch um es kurz zu fassen: Aus dem Flanieren des Adels wurde Windowshopping, aus dem Konsum-Privileg weniger wurde Shoppen für alle – und vor allem ein Antrieb für die Wirtschaft. Aber wie kommt es eigentlich, dass der Mensch zwar viel Energie in Innovationen investiert, die ihm eigentlich das Leben erleichtern sollen – um sich stattdessen letztlich von ihnen hetzen zu lassen?

Zeitersparnis
Grundsätzlich, so sagt der deutsche Soziologe Hartmut Rosa, sei die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Beschleunigung. „Fast jede Technik dient der Zeitersparnis“, fasst er im Interview mit der „Wirtschaftswoche“ zusammen. „Das Auto, das Flugzeug, die Mikrowelle, der Fahrstuhl, der Rasierapparat, auch die Waschmaschine. Die wäscht zwar langsam, aber ich spare enorm viel Zeit.“ Und doch leidet der moderne Mensch vor allem an einem: Zeitknappheit.
In seinem Buch „Beschleunigung“ gibt Rosa die oft zitierte „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll wider – diese stammt aus dem Jahr 1963, wohlgemerkt: Ein an der Küste dösender Fischer wird von einem Unternehmer angesprochen, warum er nicht alles daransetze, um mehr zu verdienen, wenn nicht gar ein ganzes Unternehmen zu gründen, um dann andere für sich arbeiten lassen zu können. Auf die Frage des Fischers nach dem Sinn von all dem antwortet der Unternehmer letztlich: damit er sich „dann den ganzen Tag lang an den flachen Strand setzen, die Sonne genießen und angeln“ könne. Das tue er doch jetzt auch schon den ganzen Tag, hält dem der Fischer entgegen.
Mit dieser Geschichte ist jedenfalls ein wichtiger Aspekt der modernen Gesellschaft angesprochen, nämlich Wachstum um jeden Preis. Und doch endet man in der Sackgasse. „Es ist immer das Gleiche: Der Horizont dessen, was man mithilfe neuer Techniken pro Stunde, Tag und Woche erledigen kann, wächst und schrumpft zugleich“, stellt Rosa fest.
Der gravierende Unterschied liege darin, dass der Fischer angeln müsse, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, während der Unternehmer fischen könne. „Erweiterung des Möglichkeitshorizontes“ nennt Rosa das. Die Qual der Wahl ist wiederum die Kehrseite der Medaille – dazu gesellte sich erst die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche bis hin zur Freizeit, plus die immer mehr verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. Anders gesagt: Es wird immer mehr Dienst in den Schnaps geschüttet. Oder vielleicht sollte man besser sagen: Der Dienst wird immer mehr mit Schnaps angereichert? Immerhin reicht es nicht mehr, dass man sich den Beruf, der ursprünglich die Finanzierung des Überlebens garantieren sollte, freier wählen kann als zuvor. Nein, der Job soll geradezu berauschend sein und am besten auch noch die Freizeit.

Zwischen Anspruch und Realität
Im Schwärmen über „gute Arbeit“ ist der Abgrund schnell vergessen, der zwischen Anspruch und Realität klafft. Dabei hat dieser Abgrund einen einfachen Namen: Ungleichheit. Eine dieser Ungleichheiten besteht zwischen den Geschlechtern. Über die Gestaltung ihres Alltags selbst entscheiden zu können, das wünschen sich viele Menschen. Doch wer kann das schon außer Selbstständigen und Führungspersonen? Die Hausfrau, nur hat sie einen entscheidenden Nachteil: Ihre Arbeit wird nicht bezahlt, weshalb ihre soziale Absicherung vom berufstätigen Mann abhängt. Den weiteren Nachteil beschreibt die deutsche Kulturwissenschafterin Susanne Breuss in ihrem Beitrag im Buch „Bewegte Zeiten: Arbeit und Freizeit nach der Moderne“ aus dem Jahr 2002: „Die Hausfrau ist im Grunde ständig beschäftigt (oder zumindest im Bereitschaftsdienst) und muss doch immer Zeit haben.“ In Wahrheit entspricht sie dem Ideal der heutigen ArbeitnehmerInnen, denn nicht nur ist sie allezeit bereit, noch dazu kennt sie keine Trennung zwischen Arbeit und Freizeit.
An berufstätige Frauen werden meist ähnliche Ansprüche gestellt, zumindest in der Freizeit, sodass der Begriff Doppelbelastung geradezu untertrieben scheint. Nun ist viel die Rede von den neuen Vätern, und in der Tat ist es höchste Zeit für eine gerechtere Verteilung von Hausarbeit zwischen den Geschlechtern. Hartnäckig aber hält sich die geschlechtsspezifische Ungleichheit zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, und zwar trotz der mehr als hundertjährigen Emanzipationsgeschichte: Während Männer durchschnittlich 16 Stunden mit unbezahlter Arbeit verbringen, sind es bei Frauen ganze elf Stunden mehr.
Betrachtet man den Nachholbedarf Österreichs in Sachen Kinderbetreuung, nimmt es wenig Wunder, dass die Teilzeitbeschäftigung von Frauen in Österreich auf so hohem Niveau ist und sie noch dazu durchschnittlich weniger Stunden arbeiten als viele europäische Geschlechtsgenossinnen.

Langsamkeit als Ressource
Langsamkeit kann eine enorme Ressource sein. Angeblich engagierte Bill Gates für die schwierigsten Aufgaben am liebsten die faulsten Leute. Der Grund: Sie suchen nach dem einfachsten und/oder schnellsten Weg, um ein Ziel zu erreichen – ohne dabei den eigenen Anspruch nach Perfektion aufzugeben. Genau das sei die Wunschvorstellung der jungen Generation, behaupten manche. Vorsicht ist natürlich angebracht, immerhin arbeiten nicht alle ArbeitnehmerInnen in solch gut bezahlten Jobs, für die der Microsoft-Magnat „faule“ MitarbeiterInnen suchte. Zweifellos aber ist Kreativität und Nachdenklichkeit hilfreich, um Arbeitsprozesse besser zu gestalten und somit auch unnötigen Stress zu vermeiden, und zwar egal in welchem Bereich.
Aber zurück zur Schnecke: Was haben diese eigentlich davon, dass sie so langsam sind? „Der Vorteil ist, dass sie alles erreichen können, ohne sich stressen zu müssen“, antwortet Mollusken-Forscherin Anita Eschner. Einen Nachteil könne die Schnecke dadurch jedenfalls nicht haben. „Im Gegenteil, es muss ein großes Erfolgsprinzip sein.“ Immerhin gibt es Schnecken schon seit mehr als 500 Millionen Jahren auf der Erde, sie waren sogar schon vor den Dinosauriern da. „Das können nicht viele Tierarten von sich sagen“, meint Eschner. An Tempo legen Schnecken jedenfalls nur dann zu, wenn sie müssen. Etwa wenn sie Futter jagen oder zur Fortpflanzung. Eschners Fazit: „Wenn alles passt, besteht auch kein Grund zur Eile. Warum sollte sie also diese Energien verschwenden?“ Eine gute Frage eigentlich.

Linktipps
Brand Eins „Mehr Faulheit wagen“:
tinyurl.com/qzfmn8p
Heinrich Böll „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“:
tinyurl.com/ofmfeg8

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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