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Symbolbild zum Bericht: Ständesystem Bildung Die Bildungsreform lässt die Köpfe rauchen. Vor allem die Gesamtschule würde für Gerechtigkeit sorgen. Diese aber lässt auf sich warten.

Ständesystem Bildung

Schwerpunkt

Nach dem Motto "Wer schon hat, bekommt noch mehr" wird Bildung in Österreich verteilt. Die größte Hürde sind Übergänge zwischen den Bildungseinrichtungen.

Alexandra lebt am Land und besucht die örtliche Hauptschule. Sie hat nicht die gleichen Bildungschancen wie andere Kinder!“ Mit diesen Worten steigt eine neue Homepage in die zentrale Herausforderung der österreichischen Bildungspolitik ein: die Vererbung von Bildung.

Unter www.gerechtebildung.jetzt kann man für ein Kind verschiedene Kriterien auswählen und sich ansehen, welchen Bildungsweg es am wahrscheinlichsten einschlagen wird – je nachdem, ob es ein Mädchen oder ein Bub ist, ob es am Land oder in der Stadt wohnt, nicht zu vergessen: welchen Bildungsabschluss die Eltern haben und welche Sprache die Familie im Alltag spricht. Außerdem kann man ein zweites Kind ergänzen und somit Bildungswege vergleichen.

Die andere Herkunft

Nennen wir das zweite Kind Franz. Er lebt ebenfalls am dünn besiedelten Land und hat Eltern, die PflichtschulabsolventInnen sind. Das Ergebnis: Beide werden mit hoher Wahrscheinlichkeit nach der Volksschule eine Hauptschule besuchen (mehr als 80 Prozent). Fast gar nichts ändert sich, wenn man die Alltagssprache von Alexandra und Franz auf „Nicht Deutsch“ ändert. Beide Kinder werden ebenso wie ihre im Alltag Deutsch sprechenden Schulkolleginnen mit großer Wahrscheinlichkeit ins Poly gehen, an eine Berufsbildende Höhere (BHS) oder Mittlere Schule (BMS).
Völlig anders sieht es hingegen aus, wenn die Eltern ein Studium absolviert haben: In diesem Fall gehen Alexandra und Franz sehr wahrscheinlich auf eine AHS (39 und 31 Prozent) oder eine BHS (12 bzw. 18 Prozent). Die vom Jahoda-Bauer-Institut, dem BIFIE und dem Bildungsministerium geförderte Homepage illustriert damit ein Problem, unter dem das österreichische Bildungssystem leidet: Der Bildungshintergrund und die sozioökonomische Herkunft der Eltern entscheiden darüber, welche Bildungswege die Kinder einschlagen werden – und nicht die ethnische Herkunft, wie es RechtspopulistInnen gerne propagieren. Der Nationale Bildungsbericht aus dem Jahr 2012 formuliert deutlich: „Die soziale Herkunft ist die zentrale Ungleichheitsdimension. Sie wirkt sich durchgehend in der Bildungslaufbahn auf den Kompetenzerwerb und den Schulbesuch aus.“
Auch eine andere Herkunft bestimmt über den Bildungsweg der Kinder: Die schulische Herkunft nämlich, und zwar noch dazu sehr früh. „Die wahrscheinlich wichtigste Entscheidung in der Bildungskarriere eines Kindes, die Wahl zwischen Hauptschule bzw. Neue Mittelschule und AHS, muss in Österreich bereits mit 10 Jahren getroffen werden – hauptsächlich bestimmen das die Eltern. Ist ein Bildungsweg einmal eingeschlagen, wird dieser, unabhängig von der Schulleistung, meist weiterverfolgt“, heißt es etwa auf www.gerechtebildung.jetzt. Außerdem hat diese frühe Entscheidung Einfluss auf die Leistungen der Kinder selbst. Vergleiche mit anderen Ländern zeigen, so der Nationale Bildungsbericht, dass beispielsweise die Leseleistung der Kinder in jenen Ländern weniger vom sozioökonomischen Status der Eltern abhängt, wo die „Erstselektion“ erst mit 16 Jahren stattfindet.
Mittlerweile setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass der Grundstein für Ungleichheiten bereits im Kindergarten gelegt wird. Der Ausbau der Kindergartenplätze in den vergangenen Jahren zeigt, dass der Besuch des Kindergartens für die Kinder positive Effekte hat. Allerdings besteht weiter Handlungsbedarf, immerhin stellt der Nationale Bildungsbericht auch fest, dass es der Einrichtung nicht gelingt, Kinder aus sozial benachteiligten Familien stärker zu fördern.

Stärke des Systems

Viel wurde unternommen, um Chancengleichheit im Bildungssystem zu erreichen. Nicht zuletzt die Berufsbildenden Schulen ermöglichten und ermöglichen vielen Kindern aus sogenannten bildungsfernen Schichten den Zugang zur Universität. Immerhin bieten sie beides: Die Möglichkeit, ein Studium zu beginnen, sowie den direkten Einstieg in den Beruf nach der Matura. Letzterer kann für sozial schwächere Eltern deshalb von Bedeutung sein, weil sie ihre Kinder nicht mehr mit ihren ohnehin bescheidenen finanziellen Ressourcen weitertragen müssen. Im Nationalen Bildungsbericht ist vor diesem Hintergrund davon die Rede, dass die Berufsbildenden Schulen „die Stärke des österreichischen Schulsystems“ sind, da ihnen „eine Reduktion der Chancenungleichheiten nach sozialer Herkunft“ gelingt. Einzige Einschränkung: An den Berufsschulen bleiben Kinder mit Migrationshintergrund unterrepräsentiert.

Die gerechtere Gesamtschule

Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die gemeinsame Schule bis 14 Jahre Ungleichheiten am besten entgegenwirkt. Deshalb ist die wohl wichtigste Maßnahme der vergangenen Jahre die im Jahr 2012 erfolgte Einführung der sogenannten Neuen Mittelschule (NMS). Die ersten Erfahrungen in Österreich zeigen bereits die positiven Auswirkungen dieser Schulform: Im Vergleich zu den Hauptschulen wechseln mehr Neue MittelschülerInnen in die AHS als HauptschülerInnen. Auch ermöglicht sie mehr Kindern mit Migrationshintergrund den Sprung in eine Schulstufe, die zur Matura führt. Allerdings ist es weiterhin so, dass acht von zehn MaturantInnen die AHS-Unterstufe besucht haben.
Die sozioökonomische Herkunft sowie der Bildungshintergrund der Eltern beeinflussen auch, wie gut SchülerInnen die in der Schule vermittelten Inhalte erlernen. In der vierten Schulstufe zeigen Kinder von bildungsfernen Eltern laut Nationalem Bildungsbericht deutlich schlechtere Leistungen: Ganze zwei Jahre macht der Rückstand aus, den sie im Vergleich zu den Kindern von MaturantInnen haben.
Spielt der Migrationshintergrund also gar keine Rolle? Zumindest nach der Volksschule hat er keinen Einfluss darauf, in welchen Schultyp die Eltern ihr Kind schicken. Dies ändert sich jedoch im Alter von rund 14 Jahren: Kinder mit nicht deutscher Umgangssprache schaffen den Sprung von der Haupt- in eine höhere Schule deutlich seltener als ihre KollegInnen, die nur Deutsch sprechen, in Zahlen: 29 und 42 Prozent. Wie bereits erwähnt zeigt die Neue Mittelschule hier bereits eine kompensierende Wirkung.
Haben Kinder aus sozioökonomisch schwächergestellten Familien es einmal bis zur Matura geschafft, wartet die nächste Hürde auf sie: der Unizugang, der in den vergangenen Jahren deutlich eingeschränkt worden ist. Grundsätzlich haben der freie Hochschulzugang sowie die steigenden Studierendenzahlen viel dazu beigetragen, die soziale Mobilität in der österreichischen Gesellschaft zu erhöhen. Heute kommen drei Viertel der österreichischen Studierenden aus bildungsfernen Schichten, bei der Hälfte haben die Eltern keine Matura.

Soziale Selektion reloaded

Der Bericht zur sozialen Lage der Studierenden kommt vor diesem Hintergrund zu dem Schluss: „Der Hochschulsektor trägt in beträchtlichem Ausmaß zur sozialen Mobilität in der Gesellschaft bei.“ Allerdings: Der Befund relativiert sich, wenn man sich die relativen Zahlen ansieht. Nach diesen müsste der Anteil der Kinder von NichtakademikerInnen unter den Studierenden nämlich deutlich höher sein. Dem ist aber nicht so: Die Studierwahrscheinlichkeit für Kinder, deren Vater Akademiker ist, ist „um den Wahrscheinlichkeitsfaktor 2,5 höher als für Studierende aus bildungsfernen Familien“. Die nun an immer mehr Unis eingeführten Zugangsbeschränkungen reihen sich in das System der sozialen Selektion ein. So kommt eine Studie der Arbeiterkammer zu dem Ergebnis, dass etwa in der Humanmedizin der Anteil der Kinder von AkademikerInnen seit der Einführung der Zugangsbeschränkungen noch einmal angestiegen ist.
„Wer schon hat, bekommt noch mehr.“ Nach diesem Motto wird Bildung also in Österreich verteilt. Es profitieren vor allem jene von höherer Bildung, deren Eltern auch schon eine solche genossen haben. Paradoxerweise setzt sich diese Logik im Berufsleben fort, denn ArbeitnehmerInnen mit höheren Abschlüssen werden eher auf Weiterbildungen geschickt als schlechter Qualifizierte. Es gibt also noch viel zu tun, damit allen Kindern die ganze Bandbreite an Bildungswegen offensteht und sie vom Bildungssystem auch bestmöglich profitieren können.

Linktipps

Nationaler Bildungsbericht: www.bifie.at/nbb
Bildung in Zahlen:
tinyurl.com/oc5xxxg
Blogtipp:„Soziale Selektion im Hochschulsystem“:
tinyurl.com/pwb94pf

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sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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