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Symbolbild zum Bericht: Risikofaktor Schule Für viele SchulabbrecherInnen waren bisherige Erfahrungen mit dem System Schule prägend.

Risikofaktor Schule

Schwerpunkt

Durchschnittlich 75.100 Jugendliche haben weder Job noch Ausbildung. Bei der Prävention spielen die Lehrpersonen eine zentrale Rolle.

„Ich war jung und brauchte das Geld.“ So werden gerne Stationen in der frühen Job-Biografie augenzwinkernd kommentiert, die nicht zur späteren Karriereplanung passten. Heute gibt es ein ganz anderes Phänomen bei jungen Menschen: große Lücken im Lebenslauf. Sie verweisen auf einen Status, der „Not in Education, Employment or Training“, kurz NEET, genannt wird.

In Österreich sind jährlich laut einer aktuellen AK-OÖ-Studie durchschnittlich 75.100 Jugendliche davon betroffen.1 Somit sind 7,4 Prozent junger Menschen zwischen 15 und 24 Jahren weder in Beschäftigung, im Bildungssystem oder in einer Trainingsmaßnahme integriert. Die detaillierten Zahlen zeigen, dass die Anzahl der Betroffenen konjunkturabhängig ist und in den Krisenjahren ansteigt. Rund 38 Prozent der NEET-Jugendlichen sind länger als ein Jahr im NEET-Status.

NEET hat viele Gesichter

Die klassischen NEETs gibt es nicht. Es sind Jugendliche beiderlei Geschlechts mit verschiedenen Bildungsabschlüssen und unterschiedlichem Gesundheitszustand, die freiwillig oder unfreiwillig aus dem Erwerbs- und Bildungssystem ausgeschlossen sind. Unter ihnen findet man also sowohl solche, die aktiv eine Arbeit oder für sie geeignete Ausbildung suchen, als auch solche, die nicht arbeiten können oder wollen oder sich bewusst eine Auszeit nehmen. Zu finden sind Jugendliche aus bildungsfernen Familien, die Klassen wiederholen mussten und keinen Pflichtschulabschluss vorweisen können. Unter den NEETs sind aber auch MaturantInnen aus gut situiertem Elternhaus, die beispielsweise an der harten Aufnahmeselektion überfüllter Unis scheitern. Oft sind es Jugendliche, die sich bereits weiter vom Arbeitsmarkt entfernt haben und aufgrund der vermeintlichen Aussichtslosigkeit keine Alternativen mehr suchen.

Risiko Nr. 1: Früher Schulabbruch

Allerdings zeigt sich, dass es individuelle und gesellschaftliche Risikofaktoren gibt. Die EU-Agentur Eurofound hat für die Europäische Union errechnet, dass beispielsweise Jugendliche mit Migrationshintergrund ein um 70 Prozent höheres NEET-Risiko haben. Gesundheitliche Einschränkungen erhöhen das NEET-Risiko um 40 Prozent, und Jugendliche, deren Eltern arbeitslos waren, haben ein um 17 Prozent erhöhtes Risiko. Außerdem sind Jugendliche aus bildungsfernem Elternhaus, aus dem urbanen Bereich und (vor allem weibliche) Jugendliche mit Betreuungspflichten häufiger betroffen. Auch problematische familiäre Umstände, traumatische Erfahrungen, emotionale Auffälligkeiten, Drogen, Alkohol und finanzielle Engpässe können erschwerend wirken. Übergeordnet kann als zentralstes Merkmal ein früher Schulabgang („early school leavers“) für eine NEET-Betroffenheit ausgemacht werden.
Aus österreichischen Forschungsinterviews geht zudem hervor, dass bisherige Erfahrungen mit dem System Schule oft prägend waren. Viele NEET-Betroffene erzählen von Mobbing- und Ausgrenzungserfahrungen, Leistungs- und Lernschwierigkeiten, Konflikten mit LehrerInnen sowie Schulängsten, die ihre Schulkarriere gekennzeichnet haben. Hinzu kommen Umbruchphasen (z. B. Schulwechsel, Klassenwiederholung, Wechsel in Ausbildungskontexte etc.), die als schwierig erlebt wurden. Die sehr unterschiedlichen und persönlichen Geschichten der Jugendlichen zeichnen das Bild, dass unzureichende oder falsche Information, ungeeignete oder mangelnde Unterstützung sowie Misserfolgserfahrungen bei vielen zu Frustration oder Resignation führen.

Vorbilder (be)leben

Umgekehrt zeigen die Interviews auch, dass hilfreich erlebte Unterstützung oder positive Vorbilder die Betroffenen auch wieder Mut schöpfen lassen. Allen Hindernissen und Fehlschlägen zum Trotz können so auch positive Kehrtwendungen stattfinden. Studienteilnehmer Christian2 hat offenbar die positive Erfahrung mit einem didaktisch phantasievollen Nachhilfelehrer nachhaltig inspiriert: Er hat nach vielen Umwegen und Hindernissen das Ziel entwickelt, selbst Lehrer zu werden. Durch die Lehre mit Matura konnte er schließlich seinen Traum verwirklichen und Lehramt studieren. So wie Christian gelingt immerhin 32 bis 47 Prozent ein erfolgreicher Ausstieg aus dem NEET-Status.3
Die Studien machen auf einen wichtigen Aspekt aufmerksam: Bei gefährdeten Jugendlichen kann die Beziehung zu den Lehrpersonen ausschlaggebend für den (Nicht-)Abbruch der Schule sein. Folglich ist es wichtig, dass LehrerInnen diesbezüglich sensibilisiert und geschult werden, um Risiken zu erkennen und handeln zu können. In der Praxis bedeutet das, eine gute Beziehung zu den abbruchgefährdeten Jugendlichen zu pflegen und Unterstützungsangebote verfügbar zu haben.

Nicht (nur) eine Frage des Willens

Wie sich abzeichnet, ist die NEET-Situation kaum eine Frage der individuellen Entscheidung. Die Antwort ist vielmehr in der Chancenverteilung und im Bildungssystem mit den damit verbundenen Möglichkeiten zu suchen. Die Beeinträchtigung des Einzelnen ist jedoch groß, da ein selbstbestimmtes Leben und persönliche Entfaltung im NEET-Status schwierig ist. Hinzu kommt, dass die volkswirtschaftlichen Kosten und negativen sozialpolitischen Folgen gesamtgesellschaftliche Relevanz haben und politische Strategien erfordern. Die bunt zusammengesetzte NEET-Gruppe benötigt ein ebenso vielschichtiges Angebot. Grob können die Maßnahmen in Prävention und Maßnahmen zur Reintegration am Arbeitsmarkt beziehungsweise ins (Aus-)Bildungssystem unterschieden werden.
Die frühzeitige Prävention ist laut ExpertInnen ganz wesentlich. Damit soll ein früher Schulabbruch verhindert werden, um die Chancen am Arbeitsmarkt später zu erhöhen. So wird etwa die Etablierung eines Frühwarnsystems empfohlen. Dieses zielt darauf ab, auf erste Probleme, die sich oft bereits Jahre vorher abzeichnen, reagieren zu können. Damit könnte den Betroffenen zeitgerecht Unterstützung angeboten werden (z. B. psychologische Unterstützung bei Mobbing).

Jugendcoaching

Prävention kann auch standortbezogen erfolgen: Schulen mit schwierigen Ausgangsbedingungen könnten gezielt mit benötigten Ressourcen unterstützt werden (z. B alternative Lehrpläne bei hohem Migrationsanteil). Da sich der Übergang zwischen Schule und Beruf häufig schwierig gestaltet, werden vermehrte Berufsorientierung und Jugendcoaching vor der 9. Schulstufe vorgeschlagen.
Bei der Reintegration von NEET-Jugendlichen werden insbesondere niederschwellige und bedürfnisgerechte Maßnahmen mit einer persönlichen und vertrauensvollen Beziehungsarbeit angeraten. Diese kann beispielsweise im Rahmen von aufsuchender Jugend- und Sozialarbeit oder durch Online-Anlaufstellen geleistet werden. Österreich hat im internationalen Vergleich nicht nur niedrige Jugendarbeitslosigkeits-, sondern auch eine der niedrigsten NEET-Zahlen. Da die Potenzialförderung der Jugend immer auch eine Investition in die Zukunft ist, kann nur für eine weitere Absenkung der NEET-Raten plädiert werden. Wie Versuche in anderen Ländern zeigen, haben die Maßnahmen zudem wünschenswerte Nebeneffekte: So konnten in Griechenland mit neuen Lernmethoden nicht nur positive Effekte gegen frühen Schulabbruch erreicht werden, sondern es kam auch allgemein zu einer Steigerung der schulischen Leistungen.

Linktipps

Online-Anlaufstelle für Jugendliche:
www.unentdeckte-talente.at
AK OÖ und Uni Linz: „Jugendliche weder in Beschäftigung, Ausbildung noch in Training: Ein Bundesländervergleich in Österreich“ (2015):
tinyurl.com/nmeyl9f
AK und Stadt Wien: „Quo Vadis Bildung? Eine qualitative Längsschnittstudie zum Habitus von Early School Leavers“ (2014): 
tinyurl.com/o4v4jk3
Sozialpolitische Studienreihe des BMASK: „Unterstützung der arbeitsmarktpolitischen Zielgruppe ‚NEET‘“ (2014):
tinyurl.com/qheql4t

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
kontakt@elkeradhuber.at oder die Redaktion aw@oegb.at

1 Zahlen variieren je nach Erhebungsinstitut und Beobachtungszeitspanne. Die an dieser Stelle genannten Zahlen kommen aus dem Forschungsbericht 2015 der AK OÖ. Diese betreffen den Forschungszeitraum von 2006 bis 2013. Eine umfangreiche Studie des Sozialministeriums (Sozialpolitische Studienreihe) zieht einen Untersuchungszeitraum von 2006–2011 heran: Da ist von durchschnittlich 78.000 Jugendlichen bzw. 7,8 Prozent der 16- bis 24-jährigen Betroffenen jährlich die Rede. Das IHS spricht wiederum von 12 Prozent bzw. 128.000 BildungsabbrecherInnen bei den 15- bis 24-jährigen Personen. http://www.parlament.gv.at/PAKT/PR/JAHR_2015/PK0588/index.shtml
2 Christian wurde im Rahmen der Studie „Quo vadis Bildung?“ interviewt.
3 innerhalb des Beobachtungszeitraumes von fünf Quartalen

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