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Symbolbild zum Beitrag: Niemand ist eine Insel Wenn wir uns der Vorzüge des Wohlfahrtsstaates bewusst sind und an den bestehenden Herausforderungen arbeiten, kann vieles im Sinne eines guten Lebens gelingen.
Buchtipp

Niemand ist eine Insel

Schwerpunkt

Risiken und Lasten zu teilen, aber auch vom Kuchen etwas abzugeben: Diese Prinzipien liegen dem heutigen Sozialstaat zugrunde. Sie haben sich bewährt.

In der Grippezeit sind die Krankenzimmer voll. Das Vorweisen der E-Card bei der Arztassistentin ermöglicht einen Arztbesuch, ohne zu bezahlen. Für die Medikamente sind nicht die gesamten Kosten, sondern lediglich eine fixe Rezeptgebühr zu entrichten. Kaum jemand denkt daran, dass es auch anders sein könnte. Es ist nicht vorstellbar, dass es wie in den USA mächtige Lobbys gibt, die eine verpflichtende Krankenversicherung abschaffen möchten. Auch viele andere Leistungen des Staates sind für uns selbstverständlich. Der Wohlfahrtsstaat ist ein Eckpfeiler unseres täglichen Lebens.

Weltweites Vorbild

Wir ärgern uns über die Straßenbahn oder den Zug, der morgens zu spät kommt. Über die rumplige Straße. Darüber, dass die Schule schon so früh beginnt und dass man von der Polizei aufgehalten worden ist.
Aber ganz ehrlich! Stellen wir uns einmal ein „gutes Leben“ ohne staatliche Leistungen vor. Ja, vom Bruttogehalt würde definitiv mehr Netto bleiben. Denn wir zahlen dafür, dass wir uns gegen Arbeitslosigkeit, gegen Armut im Alter, gegen Krankheit absichern.
Wir teilen das Risiko mit den anderen. Dadurch erwerben wir aber auch Ansprüche. Wir bekommen eine Ersatzleistung, wenn der Job weg ist – ein Umstand, der in Österreich im Jahr 2014 immerhin 922.387 Menschen betroffen hat. Neben dieser Versicherungsleistung ist die Bereitstellung öffentlicher Güter und Dienstleistung ein wichtiges Instrument, um die Lebenssituation zu verbessern. Das beginnt mit der Bereitstellung von Wohnbauten mit leistbaren Mieten, von Straßen, Schulen und öffentlicher Sicherheit. Im öffentlichen Verkehr bis hin zum Krankenhaus arbeiten damit auch Menschen für die Allgemeinheit.

Risiko teilen

Klar gibt es eine kleine Gruppe von gut verdienenden Menschen, die sich all diese Leistungen auch privat organisieren kann. Es gibt Privatspitäler, Privatschulen, private Absicherung, private Security. Aber bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von brutto rund 1.900 Euro bzw. bei einem Bruttohaushaltseinkommen von etwa 3.600 Euro würde eine österreichische Durchschnittsfamilie mitunter Schwierigkeiten haben, wenn all diese Leistungen auf privater Basis von gewinnorientierten Unternehmen zugekauft werden müssten.
Uns geht’s gut, weil wir den Sozialstaat geschaffen haben. Ist das Schönfärberei? Nein, sagen auch US-Ökonomen wie Jeffrey Sachs, die den europäischen Wohlfahrtsstaat (auch wenn es davon viele Varianten gibt) weiterhin als weltweites Vorbild bzw. Standortvorteil sehen. Der Wohlfahrtsstaat verteilt zwischen Reich und Arm und zwischen verschiedenen Lebenslagen um. Manche haben lange Ausbildungszeiten, die von der Allgemeinheit finanziert werden, dafür haben sie dann höhere Einkommen mit einem progressiven Steuersatz und zahlen deshalb mehr Steuern.
Andere werden in einem öffentlich zugänglichen, dabei qualitativ hochwertigen Gesundheitssystem schneller geheilt und tragen dann arbeitend auch wieder zu dessen Finanzierung bei.
Obwohl unser Wohlfahrtsstaatssystem sehr weit entwickelt ist, heißt das nicht, dass sich nicht die Anforderungen ändern, es keine Lücken hat und nicht laufend mit den Bedürfnissen der Bevölkerung mit- und weiterentwickelt werden soll und muss.


Aufstieg möglich

Neben den absichernden Elementen des Staates ist auch zentral, dass die staatlichen Leistungen unterstützen, dass sich Menschen in die Gesellschaft integrieren können, ein gesellschaftlicher Aufstieg ermöglicht und soziale Ausgrenzung vermieden wird. Es geht also auch um Möglichkeiten, teilzuhaben und beizutragen.
Ungleiche Voraussetzungen schaffen auch ungleiche Ergebnisse, wie Forschungen des US-Professors John Roemer zeigen. Wenn jemand in einem 100-Meter-Lauf günstigere Startbedingungen hat, also bei Meter 50 lossprintet, wird er klarerweise viel leichter gewinnen können.
Daher muss mittels Steuerpolitik vermieden werden, dass sich ungleiche Voraussetzungen verfestigen und quasifeudale Strukturen immer fortschreiben. Berühmte Ungleichheitsforscher wie Thomas Piketty, Tony Atkinson oder Joseph Stiglitz treten deshalb für eine Besteuerung von hohen Vermögen in Form von Erbschafts- und Vermögenssteuern ein.

Zentraler Schlüssel Bildung
Öffentliche Dienstleistungen und Investitionen helfen viel stärker mit, diese Integrationsfunktion zu gewährleisten, als reine Geldleistungen.
Als zentraler Schlüssel wird hier Bildung gesehen. Es beginnt mit der frühkindlichen Erziehung, der Elementarbildung, wo eine soziale Durchmischung sich gesamtgesellschaftlich positiv auswirkt, und setzt sich bis zum offenen Zugang für den Besuch von Universitäten fort.
Viele unterschiedliche Erfahrungen und Kompetenzen können damit schon früh gesammelt werden. Das ist keine radikale oder ideologische Forderung, sondern wird auch von internationalen Organisationen wie der OECD und auch den österreichischen Sozialpartnern gemeinsam unterstützt.


Überzogene Hoffnung

Eine Geldleistung allein, etwa ein Grundeinkommen, leistet diese Integrationsleistung nicht. Dies ist vielmehr eine überzogene Hoffnung, die mit dem Begriff verbunden wird. Denn eigentlich wird hier eine Geldleistung gefordert, ein Transfer, über dessen Zweck und Verwendung nichts gesagt werden kann.
Auch entpuppen sich oftmals gefeierte Beispiele bei näherem Hinsehen als mickrige Alternativen. Ein aktuelles Beispiel aus Finnland zeigt, dass es sich hier um nichts mehr als um eine Anpassung einer Lohnsubvention handelt – mit Arbeitspflicht.
Gerade die aktuelle Debatte über den Umgang mit flüchtenden Menschen zeigt auch, dass eine Grundversorgung ein wichtiger, aber noch lange kein hinreichender Baustein für eine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft ist. Hier wird wieder zurückgegriffen auf Institutionen, die erstritten und erkämpft wurden und sich seither bewähren: Schule, Ausbildungssysteme, aktive Arbeitsmarktpolitik, soziale Absicherung. Es ist die Kombination zwischen Unterstützung und Beitrag, Umverteilung und Anerkennung, die wichtige Elemente des sozialen Ausgleichs sind.
Die gute Nachricht ist zudem, dass Menschen sich in Gesellschaften, die nach sozialer Gerechtigkeit streben, besser fühlen als in ungleichen, wie die britischen Forscher Kate Pickett und Richard Wilkinson herausgefunden haben. Nein, es ist nicht alles paletti. Unsere Gesellschaft und damit auch das wohlfahrtsstaatliche System stehen vor vielen Herausforderungen.
Ein gutes Leben kann in der heutigen Zeit für viele Menschen individuell ganz Verschiedenes bedeuten. Auch der Ressourcenverbrauch, die Umwelt, setzt hier Grenzen. Auf der anderen Seite wurde durch die Globalisierung die Welt zum Dorf und viele Grenzziehungen finden neu statt.


Vorzüge

Wenn wir uns der Vorzüge des Wohlfahrtsstaates bewusst sind und an den bestehenden Herausforderungen arbeiten, kann vieles im Sinne eines guten Lebens gelingen. Ein System, das auf gemeinschaftlicher Tragung der Risiken und sozialem Ausgleich fußt, schafft vielfache Voraussetzungen dafür, dass vielen Menschen Möglichkeiten eröffnet werden und sie sich wohlfühlen – und nicht nur einige wenige.

Linktipp:
OECD – In It Together: Why Less Inequality Benefits All:
tinyurl.com/ppovctc

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christa.schlager@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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