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Symbolbild zum Beitrag: Die Glücksmessung Rechtskodex von Bhutan, 1729: "Wenn die Regierung das Volk nicht glücklich machen kann, dann hat diese Regierung auch keine Existenzberechtigung."

Die Glücksmessung

Schwerpunkt

Das gute Leben und die Bemühungen, es zu messen: International werden große Anstrengungen unternommen, das eigentlich nicht Messbare messbar zu machen.

Glück, gutes Leben, Wohlstand: All das sind Begriffe, die wir alle gut kennen. Und doch versteht jedes Individuum etwas anderes darunter, weshalb sie sich nicht so einfach messen lassen. Dennoch gibt es seit geraumer Zeit Bemühungen, sogenannte Wohlfahrtsindikatoren zu berechnen – genauer gesagt seit Erscheinen des sogenannten Stiglitz-Sen-Fitoussi-Reports (SSFR; 2009). Bei diesem Report handelt es sich um eine Empfehlung – gerichtet vordringlich an die nationalen Statistikproduzenten –, Schlüsselindikatoren zu entwickeln, die so etwas wie Wohlstand, Gerechtigkeit oder gutes Leben zum Inhalt haben. Österreich nimmt diesbezüglich eine Vorreiterrolle ein, denn schon im Jahr 2012 wurde mit dem Projekt „Wie geht’s Österreich?“ der SSFR in die Praxis umgesetzt.

How’s life?

Ziel ist es, den Blick über den Tellerrand der gängigen Maßzahl Bruttoinlandsprodukt hinaus zu lenken und die subjektiv fassbare Lebenswirklichkeit zu betrachten. Damit steht Österreich in einer Reihe anderer prominenter internationaler und supranationaler Statistikanbieter: „How’s Life?“ etwa stammt aus der Feder der OECD, Eurostat gibt die EU-weite Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen sowie die Europa-2020-Indikatoren heraus und die UNO den „Human Development Index“. Welche Daten bei den jeweiligen Messungen zur Basis genommen werden, dafür gibt es keine verbindlichen Vorgaben.

Messungen

Vergleicht man die unterschiedlichen nationalen und internationalen Konzepte miteinander, so lassen sich starke Parallelen erkennen. Als zentrale Messgröße werden meist das Bruttoinlandsprodukt (BIP, engl.: GDP) und seine Teilaggregate bevorzugt.
Hintergrund dafür ist die leichte Verfügbarkeit dieser Basisdaten. Darüber hinaus gibt es Primärdaten, die aus Befragungen gewonnen werden. Prominente Beispiele dafür sind die europaweite Haushaltsbefragung zur finanziellen Situation und des Konsums (HFCS), die EU-Erhebung zu den Lebensbedingungen in Privathaushalten (EU-SILC) und die in vielen Ländern durchgeführten Konsumerhebungen (die Ergebnisse der nächsten österreichischen Konsumerhebung 2014/2015 werden 2016 erwartet).

Die Statistik Austria veröffentlicht jährlich ca. 30 Schlüsselindikatoren, unter anderem zu folgenden Themen: 

  • Materieller Wohlstand: Konsum der privaten Haushalte, Verteilungsaspekte, Einkommen der privaten Haushalte, oder unbezahlte Produktion
  • Lebensqualität: Gesundheit, Freizeit, soziale Teilhabe, physische Unsicherheit, natürliche Wohnumgebung, subjektives Wohlbefinden oder Bildung
  • Umwelt und Nachhaltigkeit: Ressourcen, Klimawandel, Energie oder Verkehr

Vielfach stößt man jedoch an die Grenzen der Messbarkeit, auch lässt die aktuelle Datenlage oftmals keine weiteren Analysen zu. Besonders gravierend tritt dieses Problem beim Themenkomplex Einkommens- und Vermögenverteilung zutage, denn hierzu gibt es derzeit vielfach nur unzureichende Basisdaten.

Neoliberaler Widerstand

Diese Mängel werden aber hoffentlich nach und nach gemäß den Empfehlungen des SSFR behoben. Anstrengungen dafür gibt es sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Und eines soll nicht unerwähnt bleiben: Die Erhebung/Offenlegung von Daten zur Einkommens- bzw. Vermögensverteilung stößt immer noch auf vehementen Widerstand bei wirtschaftsliberalen Kreisen.
Die unberechtigte Angst vor Besitzstandsverlust erschwert daher eine vollständige Abbildung der Einkommens- und Vermögenssituation. Allerdings brauchen AkteurInnen in Wirtschaft und Politik eine vollständige und gesicherte Datenbasis als Grundlage für ihre Entscheidungen. Letztlich geht es auch um den gesellschaftlichen Zusammenhalt: Eine umfassende Datenbasis schafft die Grundlage für Entscheidungen, die im Idealfall wohlstandserhöhend wirken.
Zur Schaffung von intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum setzt die EU-Kommission im Rahmen der Strategie Europa 2020 in vielen Bereichen wohlfahrtsteigernde Maßnahmen. Dies betrifft vor allem zielgerichtete Investitionen in Bildung und Forschung. Dazu ausgearbeitete Leitindikatoren sollen zur Quantifizierung des Gegenwartszustandes beitragen und Handlungsanweisungen für EntscheidungsträgerInnen geben. Die Indikatoren beziehen sich etwa auf die Beschäftigung, Klimawechsel, Bildung, Armut, Forschung und Entwicklung usw. Im Allgemeinen kann man festhalten, dass das Engagement bei der Schaffung von Wohlfahrtsmaßen sehr stark zugenommen hat. Fast könnte man schon von einem institutionellen Wettkampf um die „besten“ Indikatoren sprechen.

Glück als Nationalprodukt

Für das Jahr 2010 wurde erstmals von Bhutan – einem asiatischen Kleinstaat – ein Index veröffentlicht, der im Westen als „Glücksindex“ (Gross National Happiness Index; Abk.: GHI) bekannt wurde. Nun, man kann sich wohl darauf einigen, dass Glück im weitesten Sinne zum „guten Leben“ gehört.
Das etwas skurril anmutende Unterfangen Bhutans basiert allerdings auf äußerst seriösen und methodisch anerkannten Grundlagen. Der bhutanische Index resultiert aus einer Befragung von 7.142 Menschen. Kurz umrissen beinhaltete der Fragenkatalog neun Bereiche: psychisches Wohlbefinden, Gesundheit, Zeitverwendung, Ausbildung, Belastbarkeit, gute Staatsführung, Gesellschaftsleben, Ökologie und Lebensstandard. Die Befragungsergebnisse wurden dann gewichtet und zu einem Index verdichtet.
Schon im Jahr 1729 stand im Übrigen im Rechtskodex von Bhutan folgender Satz: „If the Government cannot create happiness for its people, there is no purpose for the Government to exist.“ Frei übersetzt: Wenn die Regierung das Volk nicht glücklich machen kann, dann hat diese Regierung auch keine Existenzberechtigung. Diese Erkenntnis und auch eine damit verbundene Konsequenz würde man sich in der Jetztzeit wünschen.
Lebensqualität, gutes Leben oder Glück können wohl nur subjektiv bewertet werden. Dennoch ist es sinnvoll, neue Messkonzepte in den Gesellschaftsdiskurs einzubringen. Aber auch schon Gemessenes muss Gegenstand einer öffentlichen Diskussion sein. Wie wichtig dies ist, zeigt ein Beispiel: Derzeit wird der Anstieg der privaten Konsumausgaben pro Kopf als wohlstandsvermehrend betrachtet. Nun, das mag für große Teile der Bevölkerung durchaus zutreffen, aber eben nicht für alle.
Aus diesem Grund müssen die Basisdaten z. B. nach Einkommensschichten gegliedert werden. Auch die Qualität des Konsums – die derzeit in keiner Statistik ihren Niederschlag findet – muss thematisiert werden. Schlagwörter dazu sind etwa geplante Obsoleszenz, Klimabelastung und viele mehr.
Ebenso weiß man aus Studien, dass Verteilungsgerechtigkeit zu stärkerer individueller Zufriedenheit führt: Wenn es allen gut geht, fühlt sich auch der Einzelne besser. Und ganz besonders wichtig: Das aktuelle und kontroversiell diskutierte wirtschafts- und sozialpolitische Thema Arbeitszeitverkürzung und -verteilung muss noch viel stärker unter dem Gesichtspunkt „gutes Leben“ thematisiert werden. Denn auch da wird gesellschaftlicher Zusammenhalt manifest, und der tut allen gut.

Fortschritt

In diesem Sinne zum Abschluss ein Zitat von Ludwig Erhard aus dem Jahr 1957: „Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zu Recht die Frage gestellt wird, ob es noch immer nützlich und richtig ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoll ist, unter Verzichtsleistung auf diesen ‚Fortschritt‘ mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.“

Linktipps:
Eurostat und das „Gute Leben“
tinyurl.com/q7fk22t
HFCS:
www.hfcs.at/ueber.htm
www.grossnationalhappiness.com
EU-SILC:
tinyurl.com/oqrtomd
„How’s Life?“ – OECD: 
tinyurl.com/otwq6yf

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor reinhold.russinger@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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