topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Symbolbild zum Bericht: "Das Arbeitsleben hat sich ebenso sehr verändert!" Die Arbeitszeit bzw. ihre Veränderungen nehmen in den Lebenserinnerungen von ArbeitnehmerInnen einen zentralen Stellenwert ein.
Buchtipp

"Das Arbeitsleben hat sich ebenso sehr verändert!"

Schwerpunkt

Auf der Suche nach dem "guten Leben" in erzählten Lebensgeschichten.

Angesichts jahrzehntelanger neoliberaler Hegemonie, gekennzeichnet durch die eklatante Zunahme von Einkommensunterschieden, sozialer Unsicherheit und gesellschaftlicher Krisen, stellt sich die Frage nach „gutem Leben“ neu. Wie spiegelt sich „gutes“ oder „besseres Leben“ eigentlich in den Erinnerungen von ArbeitnehmerInnen wider? Werden Veränderungen in den ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen autobiografisch reflektiert und wenn ja, wie?

Individuelles Erleben

Für das Buch „Arbeit ist das halbe Leben“ wurden ArbeitnehmerInnen gebeten, über den von ihnen subjektiv erlebten Wandel der Arbeitswelt seit 1945 zu erzählen. In diesen Erinnerungstexten erzählen ArbeiterInnen und Angestellte, Beschäftigte in Dienstleistungs- und Pflegeberufen und LehrerInnen über ihre Berufslaufbahn. Der Zeitraum der Erzählungen erstreckt sich vom Beginn der Lehrzeit über den Beruf bis hin zum Pensionsantritt. Es stehen nicht allein Fakten im Vordergrund, sondern vor allem das individuelle und persönliche Erleben, also auch jener Handlungsspielraum, in dem Hoffnungen/Enttäuschungen, Erfolge/Frustrationen, Glücksmomente/Ängste, Gerechtigkeit/Ungerechtigkeit, aber oft auch der Zufall einen breiten Raum einnehmen. Die lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen zeigen deutlich, dass die Art der beruflichen Tätigkeit und der damit einhergehende Rhythmus neben familiären, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen die Lebensrealität und die Lebensqualität nachhaltig bestimmen: Arbeitsbeginn, Arbeitszeit, Arbeitsumfeld, Arbeitsgestaltung, Arbeitsende und Arbeitswege sind dabei ebenso entscheidende Faktoren. Dabei wird auch immer direkt oder indirekt auf die durch die Gewerkschaften erkämpften sozialpolitischen Erfolge hingewiesen, die in der retrospektiven Lebensbetrachtung eine deutliche Veränderung im Arbeits- und Alltagsleben der Erzählenden bewirkten.
Konnte noch für die 1950er-Jahre festgestellt werden, dass die Arbeitseinkommen „in diesen Jahren noch in hohem Maße für die Deckung der elementarsten Lebensbedürfnisse“ aufgingen, so schrieb ein Handelsangestellter über die beginnenden 1960er-Jahre: „Die Verhältnisse hatten sich geändert, die ökonomischen Bedingungen waren andere geworden. Urlaubsreisen, meist nach Italien, lösten die sogenannte Sommerfrische ab. Mehr Menschen – das zeigte sich am Abend bei den täglichen Kassenkontrollen – gaben für Lebensmittel mehr Geld aus.“ Der damit verbundene Aufschwung schlug sich in der Lebensrealität des jungen Angestellten nieder: „Auch ich konnte mir mein erstes Moped, ein aus dem Fuhrpark der Firma ausgeschiedenes kaminrotes Moped der Marke Puch leisten.“ Allerdings war damals das Zeitbudget durch längere Arbeitszeiten und noch gering ausgebaute Infrastruktur beschränkt: „Natürlich hatte sich auch meine Freizeit so ziemlich eingeengt, waren doch die Öffnungszeiten der Geschäfte und die Wochenarbeitszeiten in den 1960er-Jahre andere, als wir sie aus der Gegenwart kennen. Noch dazu waren die öffentlichen Verkehrsmittel nicht so ausgebaut, und man musste oft, wie es so schön heißt, ‚mit der Kirche ums Kreuz‘ fahren.“ Dieser Rückblick in die Sechziger relativiert jenes oft nur auf Beatles, Studentenrevolte und Minirock reduzierte Bild der 1960er-Jahre.

Zentrales Thema Arbeitszeit

Die Arbeitszeit bzw. ihre Veränderungen nehmen in den Lebenserinnerungen von ArbeitnehmerInnen einen zentralen Stellenwert ein. Arbeiteten die Menschen in der Anfangszeit der Zweiten Republik oft mehr als 48 Stunden pro Woche, so konnte die Arbeitszeit im Februar 1959 auf 45 Stunden gesenkt werden. Durch den vom ÖGB erkämpften und 1970 vereinbarten Generalkollektivvertrag wurde sie etappenweise auf 40 Stunden reduziert. Später wurde die Arbeitszeit in vielen Branchen durch Kollektivverträge von 40 auf 38 bzw. 38,5 Stunden verkürzt. In einer der Lebensgeschichten heißt es dazu: „Das bedeutete eine enorme Steigerung der Lebensqualität (…) Dies nahm ich so in Anspruch, dass die Freizeit hauptsächlich zur Regeneration benutzt wurde und dazu, die persönlichen Kontakte aufrechtzuerhalten. Im Urlaub unternahmen wir schöne Reisen, zumeist mit Freundinnen und Freunden in einer Gruppe.“

Steigender Druck

Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen hatten sich jedoch im Laufe der 1980er und 1990er dramatisch verändert: „Der Stellenwechsel war inzwischen erheblich schwerer geworden und der Ton unglaublich ruppig. Dazu kam, dass man ab vierzig eigentlich zum alten Eisen gehörte. Dann kamen die unzähligen Rationalisierungen, Umorganisierungen, Sparmaßnahmen, fast jeden Monat war alles wieder neu umzustellen. Das Klima war total verpestet, der Druck unerträglich.“ Zeiten der Arbeitslosigkeit wurden Teil von Biografien: „Die Situation hatte sich nun aber verändert. Es gab Arbeit nicht mehr in Hülle und Fülle, wie ich es bisher gewohnt war. Ich brauchte etwas über ein halbes Jahr, um Arbeit zu finden. (…) Die Zeit der Arbeitslosigkeit habe ich als sehr unangenehm in Erinnerung. Es kratzte sehr am Selbstbewusstsein, immer wieder Absagen zu bekommen.“
Ein Problem, mit dem sich bis in die Gegenwart GewerkschafterInnen auseinandersetzen, wird von einer Angestellten, die als Direktionsassistentin, Privatsekretärin und als Sachbearbeiterin gearbeitet hat, angesprochen. Nach einem Jobwechsel stellte sie zwar fest, dass an ihrem neuen Arbeitsplatz der Lohn zumindest einigermaßen stimmte, meinte dann aber doch einschränkend: „Einigermaßen wohlgemerkt, denn Männer in der gleichen Position bekamen automatisch um ein Drittel mehr – ohne die diversen Nebenaufgaben! So ist das heute noch.“
Der technologische Fortschritt in der Arbeitswelt, verbunden mit einer steten Produktivitätssteigerung, forderte von den ArbeitnehmerInnen einen hohen Preis, wie in einem Beitrag resümiert wird: „Das Arbeitsleben hat sich ebenso sehr verändert. Die Maschinen brachten zwar einiges an Erleichterung für mühsame Arbeitsvorgänge, allerdings muss nun alles viel schneller gehen, um Personal einzusparen, und Zeit für ein Gespräch mit den Arbeitskolleginnen und -kollegen bleibt kaum noch“.

Zuversicht stärken

Die hier nur kursorisch erwähnten kleinen Einblicke in erzählte Lebensgeschichten verdeutlichen, dass die individuelle Lebensrealität abseits von persönlichen Schicksalsschlägen in einem großen Maß von der Gestaltung gesellschaftspolitischer und ökonomischer Rahmenbedingungen und eng verbunden damit von Arbeitswelt, Gesundheit, Einkommen, sozialer Sicherheit und Freizeit abhängig ist. Wenn etwa das Institut der deutschen Wirtschaft Köln 2009 eine Umfrage der IG Metall mit den Worten kritisierte, dass ihr Fragenkatalog nach dem „guten Leben“ „stets im mittel- und unmittelbaren Zusammenhang allein mit der Arbeit stünde“ und „ebenfalls relevante Faktoren wie soziale Kontakte oder eine sinnvolle Freizeitgestaltung“ außen vor blieben, so wird damit das politische Ziel verfolgt, die gewerkschaftliche Forderung nach einem „Kurswechsel für gutes Leben“ zu diskreditieren.
Die biografischen Erinnerungen von ArbeitnehmerInnen unterstreichen jedoch die Relevanz des von den Vertretungen von ArbeitnehmerInnen geforderten Ausbruchs aus dem neoliberal geschaffenen Dilemma in eine bessere, gerechtere und sicherere Zukunft.

Hoffnungen stärken

Was Bruno Kreisky 1970 in Salzburg vor Gewerkschaften sagte, gilt heute mehr denn je: „Jetzt müssen wir die Zuversicht und die Hoffnungen der Menschen auf eine neue, gerechtere Politik stärken! Wir selbst haben es in der Hand, dass sich die Herzen der Menschen öffnen, wie bei einem Sonnenaufgang! Aber der Sonnenaufgang allein ist uns zu wenig, wir wollen den klaren Sonnenschein!“

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor klaus.mulley@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum