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Symbolbild zum Bericht: Zumutbar in die Zukunft Moderne Zumutbarkeitsbestimmungen sollten eine Arbeitsmarktpolitik zur Vermehrung der "besten Köpfe" unterstützen.

Zumutbar in die Zukunft

Schwerpunkt

Die Diskussion über die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln geht am Kern vorbei. Vielmehr müssen sie zukunftsfähig gemacht werden.

Die Zumutbarkeitsregeln der Arbeitslosenversicherung stehen wieder im Zentrum der politischen Diskussionen. Mit mehr Druck sollen Arbeitslose zu rascher Annahme von Arbeit, egal welcher, gezwungen werden: Das ist die Absicht der einen. Sie als Hebel zu Zwangsarbeit zu demaskieren die der anderen. Über diesen Diskussionen geht eine zentrale Frage unter: Genügen diese Regeln eigentlich den aktuellen und absehbaren Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt? Diese lauten: anhaltender Mangel an Arbeitsplätzen insgesamt, steigende Anforderungen an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Beschäftigten, ihre beruflichen Qualifikationen und Leistungskraft sowie immer stärkere Instabilität und Prekarität von Beschäftigung.

Dafür lohnt es sich, zwei grundlegende Fragen miteinander zu verbinden: Erstens, was sind eigentlich die Kernfunktionen von Zumutbarkeitsregeln der Arbeitslosenversicherung? Zweitens, genügen diese Regeln für einen Arbeitsmarkt, auf dem letztlich Leistungsfähigkeit, Flexibilität und Qualifikation im Wettbewerb um zu wenige Arbeitsplätze entscheiden?

Schutz und Disziplinierung

Die Zumutbarkeitsregeln bestimmen Inhalt und Grenzen für eine jener Voraussetzungen, die man erfüllen muss, wenn man Arbeitslosengeld und Notstandshilfe beziehen will: die sogenannte Arbeitswilligkeit. Sie entfalten eine doppelte Wirkung: Sie legen sowohl das Maximum an Einkommensverzicht fest als auch die Arbeitsqualität, die Arbeitssuchende bei einer neuen Beschäftigung akzeptieren müssen. Sie wirken somit als Schutz vor zu niedrigen Löhnen und gegen widrige Arbeitsbedingungen. Mit den kollektivvertraglichen Mindestlöhnen legen sie den Mindestpreis für Arbeit auf einem Arbeitsmarkt fest und sind damit wichtig, um Armut zu vermeiden.

Strukturwandel unterstützen

Zumutbarkeitsregeln beeinflussen maßgeblich, in welchem Unternehmen bzw. auf welchem Arbeitsplatz die Produktivität der arbeitslos gewordenen ArbeitnehmerInnen wieder genutzt wird – damit hemmen sie im schlechtesten Fall den wirtschaftlichen Strukturwandel oder unterstützen ihn.
Sie sind weiters ein wichtiger Hebel der in Österreich spätestens seit dem EU-Beitritt verfolgten „aktivierenden“ Arbeitsmarktpolitik: Arbeitslose sind angehalten, an Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen und auch Beschäftigungsverhältnisse auf dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt zu akzeptieren. Sie verlangen von Arbeitssuchenden somit mehr, als sich nur vermitteln zu lassen. Zugleich ist damit ihre disziplinierende Wirkung auf Arbeitssuchende mindestens so wichtig geworden wie die Schutzwirkung.
Alle Prognosen und alle Szenarien der wirtschaftlichen Entwicklung in Österreich legen eines nahe: Die Qualifikation der Beschäftigten, ihre Leistungsfähigkeit und ihre Bereitschaft zur Anpassung an Veränderungen in der Arbeitswelt sind der entscheidende Faktor für Erfolg im globalen Wettbewerb, beim Einsatz neuer Technologien, neuer Geschäftsmodelle und neuer Formen der Arbeitsteilung. Auch wenn es nicht die alleinige Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik ist: Sie macht nur Sinn, wenn sie auch auf die Erhöhung des sogenannten Humankapitals und die Sicherung der Leistungs- und Anpassungsfähigkeit von Personen im Erwerbsalter ausgerichtet ist.
Diese Zielsetzungen müssen durch die Regeln der Arbeitslosenversicherung unterstützt werden, und zwar unter anderem durch Zumutbarkeitsbestimmungen, die eine Verschlechterung der beruflichen Laufbahn von ArbeitnehmerInnen durch Arbeitslosigkeit verhindern und gleichzeitig gestatten, dass ArbeitnehmerInnen die Arbeitslosigkeit für einen bestmöglichen Neustart auf dem Arbeitsmarkt nutzen können.

Moderne Kernziele

Damit rückt der Einkommens- und Berufsschutz in die Aufmerksamkeit. Die geltenden Zumutbarkeitsbestimmungen bei Arbeitslosigkeit schützen die Qualifikation für 100 Tage, das erreichte Einkommen für 120 Tage.
Dieses Schutzniveau ist unzureichend, denn in viel zu vielen Fällen bedeutet Arbeitslosigkeit einen lang nachwirkenden Knick beim Einkommen und bei der beruflichen Entwicklung. Arbeitssuchende haben wegen der Zumutbarkeitsbestimmungen und des im EU-Vergleich niedrigen und kurzen Arbeitslosengeldes ganz einfach zu wenig Zeit für die Suche nach einem Arbeitsplatz, der ihrem Qualifikations- und Einkommensstand entspricht.
Auch die Ausweitung der Zumutbarkeitsregeln auf die Teilnahme an Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik gewährleistet Schutz und Ausbau von beruflichen Qualifikationen nur unzureichend. Arbeitssuchende müssen laut Gesetz zwar dazu bereit sein, sich „zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen“ zu lassen bzw „an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt“ teilzunehmen“.
Diese Regeln müssen ergänzt werden, wenn eine Politik der Höherqualifizierung durch die Arbeitslosenversicherung unterstützt werden soll. Die „berufliche Um- oder Nachschulung“ sollte zumindest auf ein höheres Qualifikationsniveau zielen. Zugleich sollte sie auf den festgestellten Eignungen und Neigungen der Arbeitssuchenden beruhen müssen.

Rechtzeitig wechseln

Unzulänglich sind auch der Schutz und die Entwicklung der physischen und psychischen Leistungsfähigkeit. Denn der Verlust der Arbeitsfähigkeit stellt sich meist nicht schlagartig ein. Vielmehr kündigt er sich in der Regel über viele Jahre hinweg an. In vielen Fällen wäre es notwendig, dass die ArbeitnehmerInnen rechtzeitig die Tätigkeit oder den ausgeübten Beruf wechseln. In den aktuellen Zumutbarkeitsregeln spielt dies jedoch keinerlei Rolle.

Höherqualifizierung als Ziel

Die Stoßrichtungen einer den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt angepassten Weiterentwicklung der Zumutbarkeitsregeln sind bereits sichtbar geworden: Sie sollten nicht nur auf eine rasche Arbeitsaufnahme ausgerichtet sein. Denn der Preis einer dauerhaften Verschlechterung der Einkommens- und Arbeitsbedingungen sowie des Vergeudens beruflichen Wissens ist zu hoch – für die Betroffenen, für die Gesellschaft.
Zukunftsfähig sind Zumutbarkeitsregeln nur dann, wenn sie eine Arbeitsmarktpolitik zur „Vermehrung der besten Köpfe“ unterstützen. Anders ausgedrückt: Berufliche Höherqualifizierung sollte das zentrale Ziel einer modernen Arbeitslosenversicherung sein. Die Messlatte für die Qualifikation der Beschäftigten bleibt ihr Einkommen. Der Ausbau des Einkommensschutzes wird damit zur notwendigen Triebfeder einer Arbeitsmarktpolitik, die auf Erhalt und Ausbau des beruflichen Wissens und Könnens von Arbeitssuchenden zielt.
Aus- und Weiterbildung können aber sinnvollerweise nicht von Amts wegen verordnet werden. Mitwirkung und -bestimmung durch die Arbeitssuchenden müssen daher in die Zumutbarkeitsbestimmungen eingebaut werden. Ein möglicher Weg könnte darin bestehen, lediglich „Maßnahmen der beruflichen Wiedereingliederung“ als zumutbar gelten zu lassen, die auf einer gemeinsamen Beurteilung von Potenzial und Stoßrichtung einer beruflichen Höherqualifizierung durch AMS und Betroffene beruhen. Die Alterung der Erwerbsbevölkerung und die hohen Produktivitätserfordernisse der Wirtschaft erfordern eine deutlich bessere Berücksichtigung von Gefährdungen der Arbeitsfähigkeit auch in den Zumutbarkeitsregeln. Die Berücksichtigung arbeitsmedizinischer Prognosen sollte im Bedarfsfall bei der Beurteilung der Zumutbarkeit Eingang finden, um so eine „alternsgerechte“ Arbeitsmarktpolitik zu unterstützen.

Möglichkeiten verbessern

Mit solchen Veränderungen verlieren die Zumutbarkeitsbestimmungen zu einem guten Teil ihre Bedeutung als „Knüppel“ der Arbeitsmarktpolitik. Bei anhaltendem Mangel an Arbeitsplätzen geht es nicht um das Bedienen des Ressentiments „Wer Arbeit will, findet auch eine“. Es geht darum, in die Verbesserung von Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten zu investieren. Das ist sowohl im Interesse der Einzelnen als auch der Volkswirtschaft als Ganzes.

Blogtipp:
„Reform der Arbeitslosenversicherung: Notwendig und überfällig“:
tinyurl.com/glo2ymn

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor gernot.mitter@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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