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Symbolbild zum Bericht: Zumutbarer Gemeinnutzen? Der ehemalige Hamburger Sozialsenator Detlef Scheele verglich Mini-Jobs mit der Sinnhaftigkeit von Schwalbenzählen auf Helgoland.
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Zumutbarer Gemeinnutzen?

Schwerpunkt

Immer wieder werden Forderungen laut, dass Arbeitslose gemeinnützig arbeiten sollen. Zweifel an der Nachhaltigkeit solcher Maßnahmen sind angebracht.

Immer wieder wird von politischer Seite überlegt, den Erhalt des Arbeitslosengeldes bzw. der Mindestsicherung an die Durchführung gemeinnütziger Aktivitäten zu knüpfen. In Deutschland ist die Aufnahme von Billigjobs „im öffentlichen Interesse“ für Dauerarbeitslose verpflichtend. Das „Arbeitstraining“, mit dem der damalige Wirtschafts- und Arbeitsminister Bartenstein im Jahr 2000 Langzeitarbeitslosen gemeinnützige Tätigkeit verordnen wollte, ist zwar gescheitert. Doch immer wieder werden mehr oder weniger explizite Rufe danach laut. Etwa der Sager von Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl im Sommerloch 2015: Wäre er arbeitslos, würde er jede Tätigkeit annehmen. Schon wegen der Sinnstiftung.

Gemeinnützige Projekte

Die Forderung nach gemeinnütziger Arbeit für Arbeitslose in Österreich stünde „zum Glück“ nicht auf der politischen Agenda, sagt Marius Wilk, Experte des Arbeitsmarktservice (AMS). Für Langzeitarbeitslose stehen die mittlerweile „klassischen“ Instrumente, wie sozialökonomische Betriebe (SÖB), die gemeinnützigen Beschäftigungsprojekte (GBP) und die gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung, zur Verfügung. Mit der Novelle 2007 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AlVG) hatte die rot-schwarze Regierung dem Artikel 9 den Absatz 7 hinzugefügt. Damit wird „ein der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt dienendes Arbeitsverhältnis eines SÖB oder GBP für zumutbar“ erklärt.
„Dieser erhöhte Druck führt nicht ans Ziel“, heißt es auf der Homepage von arbeit plus, vormals Bundesdachverband für Soziale Unternehmen. Das Netzwerk gemeinnütziger arbeitsmarktpolitischer Unternehmen vergibt ein Gütesiegel an die „arbeitsmarktintegrativen“ sozialen Unternehmen, wie sozialökonomische Betriebe (SÖB) oder gemeinnützige Beschäftigungsprojekte (GPB). Voraussetzung zum Einstieg in den Begutachtungsprozess ist die Erfüllung der Grundwerte, darunter Einhaltung der Arbeitsrechte.

Deutschlands Ein-Euro-Jobs

Mit sogenannten Ein-Euro-Jobs können sich deutsche Langzeitarbeitslose ein Taschengeld zur „Arbeitslosen“ dazuverdienen. Dabei gilt: Die Beschäftigung muss im öffentlichen Interesse liegen, darf aber keine regulären Arbeitsplätze verdrängen. KritikerInnen zweifeln an der Wirksamkeit dieser Maßnahme. Sie helfe vor allem, die Arbeitslosenstatistik aufzuhübschen, denn die Billig-Jobber werden nicht als arbeitslos gezählt. Der frühere Hamburger Sozialsenator Detlef Scheele hatte die Maßnahme mit der Sinnhaftigkeit von Schwalbenzählen auf Helgoland verglichen.
Bekannt wurde der erste (aber nicht der letzte) Ein-Euro-Jobber an der Universität Hamburg. Er habe für einen Euro pro Stunde geforscht und ein Projekt über Ausgrabungen in Äthiopien geleitet, berichtete er. Die Bundesagentur für Arbeit vergibt inzwischen immer weniger Jobs dieser Art. Sie führten in weniger als zehn Prozent der Fälle zu einem erfolgreichen Einstieg in sozialversicherungspflichtige Arbeit, begründete Heinrich Alt von der deutschen Bundesagentur für Arbeit, den Abbau.
Nunmehr sollen in Deutschland knapp 100.000 bislang nur Hartz-IV-EmpfängerInnen angebotene Ein-Euro-Jobs für Flüchtlinge geschaffen werden, geht es nach den Plänen von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). „Sie mögen zwar kurzfristig bei der sozialen Integration hilfreich sein“, kritisierte der deutsche Arbeitsmarktexperte Ronald Bachmann, „längerfristig sind sie aber kaum ein gutes Sprungbrett in den regulären Arbeitsmarkt.“

Asylwerbende

Asylwerbende in Österreich dürfen – bis auf Ausnahmen in der Erntehilfe und Saisonarbeit – keine bezahlte Tätigkeit aufnehmen. Doch das Grundversorgungsgesetz des Bundes 2005 bietet die Möglichkeit der gemeinnützigen Beschäftigung in Einrichtungen von Bund, Land und Gemeinden. Vorteile, wie soziale Integration, Akzeptanz in der Bevölkerung, stehen den Nachteilen, wie Gefahr der Ausbeutung von billigen Arbeitskräften, gegenüber. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen (NGOs), darunter Caritas und Volkshilfe, haben daher Qualitätsstandards für die gemeinnützige Beschäftigung von Asylwerbenden erstellt, allen voran die Freiwilligkeit.
Wie gerne Menschen gemeinnützig tätig sind, zeigt der erste Bericht zum freiwilligen Engagement in Österreich aus dem Jahr 2009, demzufolge rund 45 Prozent der ÖsterreicherInnen in Organisationen, Vereinen oder der Nachbarschaftshilfe aktiv sind. „Der Bericht zeigt, dass ein hohes Maß an bezahlter Beschäftigung und sozialer Sicherheit die beste Voraussetzung für freiwillige Betätigung schafft“, schrieb der damalige Sozialminister Rudolf Hundstorfer im Vorwort des Berichtes.

Zweiter Arbeitsmarkt

Die Auseinandersetzung um den zweiten Arbeitsmarkt besteht, seit es beschäftigungspolitische Maßnahmen gibt. „Je nach Zielsetzung und politischer Grundstimmung in sehr unterschiedlicher Ausprägung“, hatte der damalige Mitarbeiter des Bundesministeriums für Arbeit und Wirtschaft, Rainer Klien, im Februar 2001 im A&W-Beitrag „Gegen Einheitsdenken und Zwangsarbeit. Zweiter Arbeitsmarkt und innovative Beschäftigungspolitik“ geschrieben. „Geschützte Werkstätten für Behinderte, ‚Notstandsarbeiten‘ wie Kanalisation, Autobahn, Arbeitshäuser zur Disziplinierung oder reguläre Arbeitsplätze im Non-Profit-Bereich zur Befriedigung wichtiger gesellschaftlicher Bedürfnisse.“ Je nach Machtverhältnis sei der zweite Arbeitsmarkt mit Zwang oder Freiwilligkeit verbunden. Mit Taschengeld oder regulärem Lohn, mit demütigender Beschäftigung in gesellschaftlich geächteten Bereichen oder in sinnvollen attraktiven Beschäftigungsnischen.

Fehlende Jobs

Von den innovativen Programmen der 1980er-Jahre, als unter Sozialminister Alfred Dallinger der zweite Arbeitsmarkt als Teil einer experimentellen Politik geschaffen wurde, ist heute keine Rede mehr. Von einer „Log-in-Falle“ spricht Martin Mair, Obmann der 2009 gegründeten Selbsthilfeorganisation „Aktive Arbeitslose“. „Wer einmal am zweiten Arbeitsmarkt ist, bleibt auch dort. Hauptproblem sind nicht die schrecklichen Vermittlungshindernisse der Menschen, sondern die fehlenden Jobs.“ Er kritisiert unter anderem die „Vermischung von Betreuungs- und Schulungsmaßnahmen“, die Zuweisungen mit Sanktionsdruck vom Arbeitsmarktservice (AMS) und die Umgehung von Kollektivverträgen durch Transitarbeitslöhne.
Seit der im Februar 2014 gestarteten Aktion 50+, mit der langzeitarbeitslose Personen vorrangig am zweiten Arbeitsmarkt integriert werden sollen, verzeichnet er steigende Beschwerden, vor allem von qualifizierteren älteren Menschen. So würden etwa Frauen mit langjähriger Erfahrung weit unter ihren Fähigkeiten an sozialökonomische Betriebe zugewiesen. Martin Mair: „Eine ehemalige Geschäftsführerin und Akademikerin durfte bei der Caritas zum Hungerlohn Fetzen schlichten.“

Ziel verfehlt

Auch die VerfasserInnen der WIFO-Studie (November 2014) „Evaluierung von sozialen Unternehmen im Kontext neuer Herausforderungen“ orten Reformbedarf. So könne etwa die gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung auch eine Sackgasse sein. Nicht selten würden die ProbandInnen nie verleast und häuften nur „Stehzeiten“ an. Tatsächlich wurden österreichweit nur ein Viertel, in Wien nur jeder fünfte Arbeitslose an einen Beschäftigerbetrieb überlassen.
Die aktivierenden Arbeitsmarktpolitiken haben ihr Ziel verfehlt, meinen auch die AutorInnen des 2012 erschienenen Buches „Aktivierung in die Prekarität“: „Sie haben zur Ausdehnung unsicherer und niedrig entlohnter Beschäftigung geführt.“ Der Zugang zu Leistungen aus dem Arbeitslosenversicherungsgesetz sei sukzessive erschwert und die Zumutbarkeitsbestimmungen verschärft worden.

Blogtipp:
Aktive Arbeitslose Österreich:
www.aktive-arbeitslose.at

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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