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Symbolbild zum Bericht: Das zugemutete Minimum Nirgends wird so streng kontrolliert wie bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Schon beim Antrag sind die Kontoauszüge für mehrere Monate, Sparbücher, Bausparverträge, Lebensversicherungen und Ähnliches vorzulegen.

Das zugemutete Minimum

Schwerpunkt

Um kaum eine Sozialleistung ranken sich so viele Mythen wie um die Bedarfsorientierte Mindestsicherung. Hier ein Blick darauf, was Sache ist.

Aktuell sind 1,6 Millionen Menschen in Österreich von Armut und Ausgrenzung betroffen. Doch nur rund 256.000 von ihnen beziehen die sogenannte Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS). Ein Grund für diese große Kluft ist, dass BMS-AntragstellerInnen deutlich mehr zugemutet wird als anderen LeistungsbezieherInnen. Wenn also aktuell über die Mindestsicherung diskutiert wird, müsste die Frage eigentlich vielmehr lauten: Wie kann man alle Armutsgefährdeten erreichen?, statt: Wie kann man am besten kürzen? Schließlich ist die BMS das letzte soziale Netz – darunter gibt es nichts mehr.

Wer Mindestsicherung bezieht

2014 bezogen 256.400 Menschen Mindestsicherung. Dafür wurden 673 Millionen Euro aufgewandt, das ist weniger als ein Prozent des Sozialbudgets. Der überwiegende Teil der LeistungsempfängerInnen sind ÖsterreicherInnen. AusländerInnen erhalten diese Leistung nur dann, wenn sie zum dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt sind. AsylwerberInnen sind das nicht, EU-BürgerInnen nur dann, wenn sie hier einen Job haben (als ArbeitnehmerInnen) oder schon fünf Jahre in Österreich gemeldet waren (Aufenthalt).
So manche denken bei Mindestsicherungs-BezieherInnen an Menschen, die untätig zu Hause sitzen und eine Leistung kassieren, für die sie nichts eingezahlt haben. Die Wirklichkeit schaut aber anders aus: Drei von vier BezieherInnen haben nur eine „Aufzahlung“ aus der Mindestsicherung, sie bekommen also nur einen Teilbetrag – entweder weil sie zu wenig verdienen, um ihre Familie erhalten zu können, oder weil ihr Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe zu gering ist („Aufstocker“). Das zeigt vor allem auf, dass die Leistungen in der Arbeitslosenversicherung zu niedrig sind, um davon leben zu können. In Wien sind sogar neun von zehn BezieherInnen der Mindestsicherung „AufstockerInnen“.
In den Medien werden Berechnungen für alle möglichen Beispiele nur so herumgereicht. Aber fangen wir einmal ganz einfach an: Der Richtsatz für eine alleinstehende Person beträgt 838 Euro pro Monat, also so viel wie bei der „Mindestpension“. Allerdings wird die Pension 14-mal, die BMS jedoch nur zwölfmal im Jahr ausgezahlt. Die Armutsschwelle wird damit bei Weitem nicht erreicht, die liegt nämlich bei 1.160 Euro pro Monat (zwölfmal im Jahr). Ein großer Fortschritt der BMS im Vergleich zur Sozialhilfe war, dass die BezieherInnen jetzt voll krankenversichert sind. Aus menschlicher wie ökonomischer Sicht ist es nämlich wesentlich besser, wenn kranke Menschen so schnell wie möglich zum Arzt gehen und nicht warten, bis die Behandlung wirklich langwierig und damit möglicherweise erst recht teuer wird.
Lebt eine zweite erwachsene Person im Haushalt, die ebenfalls Mindestsicherung beantragt hat, bekommt das Paar noch einmal die Hälfte vom Alleinstehenden-Richtsatz dazu, also gesamt 1.257 Euro. Dahinter steht die Annahme, dass es bei einem gemeinsamen Haushalt Einsparungen gibt, etwa bei der Miete. Das ist sicher nicht ganz falsch. Allerdings bedingt die Hälfte von einem schon niedrigen Satz ein insgesamt schwieriges Auskommen, wenn man bedenkt, wo die Schwelle für die Armutsgefährdung für eine Person liegt.

Zweifelhaftes Sparpotenzial

Für Kinder gibt es mindestens 151 Euro, die meisten Bundesländer haben aber höhere Richtsätze. Ab dem vierten Kind wird jedoch zum Teil wieder reduziert. Die andiskutierte Deckelung mit 1.500 Euro pro Familie würde rund 40.000 Kinder treffen, und das, obwohl Kinder schon jetzt überdurchschnittlich von Armut betroffen sind.
Zudem ist ein Viertel der Mindestsicherung für Wohnkosten reserviert – bei Alleinstehenden sind dies kärgliche 208 Euro. Können die Kosten nicht nachgewiesen werden, etwa weil der Vermietende das Geld lieber „schwarz“ möchte oder eigentlich nicht untervermieten darf, wird dieser Anteil abgezogen. BMS-BezieherInnen bleibt oft nichts anderes übrig, als auf so schlechte Bedingungen und gar Mietwucher einzusteigen, etwa indem sie nur ein Bett in einem Zimmer mit mehreren Personen vermietet bekommen, weil sie sonst schlicht obdachlos wären. Bei den viel diskutierten Sachleistungen wäre es daher sinnvoll, beim Wohnen anzusetzen. Essensmarken und Ähnliches brächten hingegen eine Reihe von Problemen: Neben einem hohen Verwaltungsaufwand würden die BezieherInnen auch gehindert, wirklich billige Einkaufsmöglichkeiten wie (Floh-)Märkte oder kleine Lebensmittelhändler zu nutzen. Eingespart würde dabei jedenfalls nichts. Einkommen, Arbeitslosengeld, Unterhaltszahlungen u. Ä. werden jeweils angerechnet und reduzieren den BMS-Anspruch. Der überwiegende Teil der BMS-BezieherInnen hat solche Einkünfte, deswegen liegen die tatsächlichen Auszahlungsbeträge weit unter den Richtsätzen, nämlich im Schnitt bei 535 Euro im Monat.

Arbeitskraft voraus

Bei der Mindestsicherung besteht Arbeitspflicht. Wer im Erwerbsalter und arbeitsfähig ist, muss eine zumutbare Arbeit annehmen und auch an Maßnahmen wie Qualifizierungen oder Arbeitstrainings teilnehmen. Sonst wird die Mindestsicherung gekürzt. Ausgenommen davon sind nur Menschen mit Betreuungspflichten für Kinder unter drei Jahren oder diejenigen, die einen pflegebedürftigen Angehörigen mit mindestens Stufe 3 betreuen. Allerdings wäre es für die Betroffenen, meist Frauen, oft hilfreicher, wenn ihnen eine Betreuung für das Kind oder den Angehörigen angeboten würde und sie so wieder erwerbstätig sein könnten. Dazu müsste das Pflegeangebot allerdings deutlich ausgebaut werden.
Wer den (Wieder-)Einstieg ins Berufsleben schafft, muss zwar die vorher bezogene Mindestsicherung nicht zurückzahlen, jedoch wird das zusätzliche Einkommen von der laufenden Mindestsicherung bis auf einen kleinen Freibetrag abgezogen. So bleiben beispielsweise einer Alleinerziehenden, die eine geringfügige Beschäftigung mit 350 Euro annimmt, nur knapp 59 Euro über. Es wäre daher dringend notwendig und wichtig, die Freibeträge beim Einstieg deutlich anzuheben, damit das zusätzliche Einkommen auch wirklich spürbar für die Betroffenen ist. Diese sollten dann nur langsam sinken und irgendwann enden, damit die Mindestsicherung nicht zu einer dauerhaften Lohnsubvention wird. Da würde nämlich die Gefahr drohen, dass Arbeitgeber das ausnützen.
Bevor man die Mindestsicherung bekommt, muss das eigene Vermögen aufgebraucht werden. Maximal knapp 4.190 Euro (2016) darf man behalten. Die meisten BezieherInnen haben aber ohnehin keine Ersparnisse. Auch wer ein Auto besitzt, muss dieses verkaufen – außer das Gefährt ist berufs- bzw. behinderungsbedingt notwendig. Ein Porsche oder BMW fällt da mit Sicherheit nicht darunter.
Der Zwang zur Vermögensverwertung ist ein Grund, warum viele Menschen die Mindestsicherung nicht beantragen, obwohl sie sie brauchen könnten. Die weitverbreitete Angst, sein Eigenheim aufgeben zu müssen, besteht allerdings zu Unrecht. Niemand muss wegen der Mindestsicherung aus einer Eigentumswohnung ausziehen, allerdings trägt sich das Sozialamt nach einem halben Jahr Bezug ins Grundbuch ein. Das ist eine gute Lösung: Der oder die BezieherIn muss den billigen Wohnraum nicht wegen der Mindestsicherung aufgeben. Umgekehrt gibt es natürlich keinen Grund, das Erbe für die Nachkommenschaft mit öffentlichen Mitteln zu subventionieren.

Alles unter Kontrolle

Kaum eine Leistung wird so häufig unter dem Titel Missbrauch diskutiert wie die Mindestsicherung. Dabei wird nirgends so streng kontrolliert wie hier. So sind schon beim Antrag die Kontoauszüge für mehrere Monate, allfällige Sparbücher, Bausparverträge, Lebensversicherungen und Ähnliches vorzulegen. Wer diese Auskünfte unzumutbar findet, dessen Antrag wird gleich gar nicht bearbeitet.

Wenig Missbrauch

Zudem werden in den Bundesländern laufend Kontrollen durchgeführt. Die Zahl der Fälle mit widerrechtlichem Bezug liegt jedoch im Promillebereich. Österreichweit betrug der Anteil der Mindesthilfe-BezieherInnen mit Bezugssperren lediglich 0,8 Prozent. Es scheint also zuzutreffen, was PrüferInnen aus Niederösterreich festhielten: „Generell wird der Spielraum für einen missbräuchlichen Bezug der BMS als sehr gering angesehen.“ Der Aufwand für die Kontrollen lohnt sich also finanziell kaum – oder wäre beim Kampf gegen Steuerhinterziehung oder Lohn- und Sozialdumping sehr viel besser eingesetzt, wo sich Unternehmen Tausende, wenn nicht gar Millionen von Euro durch die Umgehung der Gesetze „ersparen“.

Linktipps:
Faktencheck Mindestsicherung:
tinyurl.com/gp7qvue
„In der Mitte angekommen“:
orf.at/stories/2285355/2285356

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sybille.pirklbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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