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Julia Bock-Schappelwein Neben Sprachkenntnissen sind Netzwerke essenziell für die Arbeitsmarktintegration von Menschen, und zwar egal welcher Herkunft, hält Julia Bock-Schappelwein fest. Eben diese Netzwerke fehlen vielen der nun neu ankommenden Flüchtlinge.

Viele unbekannte Größen

Interview

Es gibt nicht nur die eine Maßnahme, die zur erfolgreichen Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen führt, so WIFO-Expertin Julia Bock-Schappelwein.

Zur Person
Julia Bock-Schappelwein
ist Arbeitsmarktexpertin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Die Volkswirtin begann im Jahr 2000 als Projektmitarbeiterin im WIFO, wo sie für die Themen Arbeitsmarkt, Bildung und Migration zuständig war. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin war sie an zahlreichen Studien zum österreichischen Arbeitsmarkt, zum Arbeitsmarktzugang von Asylsuchenden sowie zur Gleichstellung der Geschlechter beteiligt. Aktuell beschäftigt sie sich mit dem technologischen Wandel und dessen Auswirkungen auf das Bildungssystem, den Arbeitsmarkt sowie die Arbeitsbedingungen.

 

Arbeit&Wirtschaft: Laut der letzten Arbeitsmarktdaten steigt die Arbeitslosigkeit vor allem bei den Flüchtlingen. Woher kommt das?

Julia Bock-Schappelwein: Wenn Sie anerkannter Flüchtling sind bzw. subsidiär schutzberechtigt, arbeitsfähig und Mindestsicherung beantragen, dann müssen Sie sich beim AMS als arbeitslos melden. Im Jahresdurchschnitt 2015 waren rund 17.000 anerkannte Flüchtlinge bzw. subsidiär schutzberechtigte Personen als „arbeitslos“ oder „in Schulung“ registriert. Jetzt sind es ungefähr 22.700. Im Vergleich zum März des Vorjahres haben wir einen Anstieg um 7.600. Man findet also zunehmend die anerkannten Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigten in der Statistik. Das AMS nimmt an, dass diese Zahl heuer noch ungefähr um 30.000 ansteigen wird. Dafür ist die Verfahrensdauer zentral. Im Moment sagt man, dass diese ungefähr sechs bis neun Monate dauert – und es gibt einen Rückstau von 60.000 Anträgen noch aus dem Jahr 2015.
Wenn man sich anschaut, wann diese starke Zuwanderungswelle gekommen ist: Zwar sind voriges Jahr von Anfang an viele Flüchtlinge gekommen, aber im September und Oktober hat sich das noch einmal dynamisiert. Wenn Sie jetzt also die sechs Monate dazurechnen, braucht es noch eine Zeit, bis sich auch das in der Statistik niederschlägt. Es ist damit zu rechnen, dass dieser Anstieg in der zweiten Jahreshälfte noch zunehmen wird.
In den Jahren vor 2014 sind rund 10.000 Flüchtlinge nach Österreich gekommen. Das war eine vergleichsweise geringe Zahl. Zwar hat es schon in der Vergangenheit immer wieder Peaks gegeben, aber nicht in der Größenordnung. Der letzte Peak war in den Jahren 2001 und 2002 bei der Afghanistan-Krise, damals haben wir knapp 40.000 Anträge gehabt. Das ist also nicht vergleichbar mit der gegenwärtigen Situation.

Es wird argumentiert, das große Problem sei, dass der Arbeitsmarkt ohnehin angespannt ist. Gab es Versäumnisse?

Man muss einmal ganz klar sagen, dass Flüchtlingsmigration eine ganz spezifische Art von einer Wanderungsbewegung ist. Das passiert sehr schnell und ist von der geopolitischen Situation abhängig. Wenn wir voriges Jahr zur gleichen Zeit hier gesessen wären, hätten wir sicher über ein anderes Thema gesprochen. Dazu kommt, dass sich auch die Zusammensetzung zunehmend verändert hat. Die nächste Herausforderung besteht darin, dass wir die Zielgruppe von möglichen Maßnahmen nicht wirklich kennen, vor allem die SyrerInnen. Noch dazu haben diese keine Netzwerke in Österreich – und das ist das Essenzielle für die Arbeitsmarktintegration. Wir dürfen auch nicht den Fehler machen, die jetzige Situation mit der Migrationswelle während des Jugoslawien-Krieges zu vergleichen: Die hatten existierende Netzwerke, und das ist der springende Punkt.
Dazu kommt die regionale Komponente. Man weiß, dass Männer und Frauen in unterschiedlichen Bereichen ihre Einstiegsbranchen haben. Wenn nun in Wien sehr viele auf einen Job warten und es einen hohen Anteil an Dienstleistungen gibt und nur einen kleinen Produktionsbereich, ist davon auszugehen, dass es für Männer besonders schwierig sein wird, Fuß zu fassen.

Apropos: Wie sieht denn eigentlich die Qualifizierungsstruktur der Flüchtlinge aus?

Es kommt drauf an: Die Ergebnisse des Kompetenzchecks für Wien zeigen, auch wenn sie nicht repräsentativ sind, eine große Differenzierung zwischen den Gruppen auf. Man muss sich etwa dessen bewusst sein, dass die Altersstruktur ein wesentliches Kriterium ist, wie Menschen am Arbeitsmarkt Fuß fassen. Der Großteil der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge im Alter zwischen 14 und 18 Jahren kommt aus Afghanistan. Nun wissen wir aus der Vergangenheit, dass diejenigen, die im Alter zwischen 15 und 19 nach Österreich gekommen sind, diejenigen sind, die die größten Schwierigkeiten am Arbeitsmarkt haben. Warum? Die können de facto nicht mehr haben als einen Pflichtschulabschluss, weil sich das ja von der Schulkarriere gar nicht ausgeht. Sie sind also an der Schnittstelle von der Pflichtschulausbildung. Gleichzeitig haben sie noch nicht die Möglichkeit, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Ein weiteres Kriterium ist die Zusammensetzung nach Geschlecht: Man hat gesehen, dass in zunehmendem Maße Familien gekommen sind, vor allem bei den SyrerInnen. Deren Qualifikationsstruktur wiederum ist eher bipolar: Auf der einen Seite gibt es vergleichsweise viele, die höchstens einen Pflichtschulabschluss haben, aber auf der anderen Seite viele mit einer akademischen Ausbildung – viele haben wahrscheinlich die akademische Ausbildung im Herkunftsland begonnen und mussten dann flüchten.
Das Nächste, was man ansprechen muss: Wir wissen durch Studien etwas über die letzten zehn Jahre, aber können immer noch nichts über die letzte Gruppe an Flüchtlingen sagen. Deswegen halte ich die Kompetenzchecks für einen wichtigen Schritt, um zu Informationen darüber zu kommen, wer die Personen sind und wie sie sich zusammensetzen.

Eine Kritik der AK lautet, dass während jener Zeit, in der die Menschen auf den Asylbescheid warten, beispielsweise keine Deutschkurse vorgesehen sind. Wie sehen Sie das?

Es ist wichtig, dass sie ehest baldig mit Sprachkursen beginnen. Bei der Arbeitsmarktintegration ist die Möglichkeit der sprachlichen Qualifikation zentral und für diese spezifische Gruppe sogar relevanter als beispielsweise für ArbeitsmigrantInnen.
Wenn ich mir die aktuellen Arbeitsmarktdaten ansehe: Wir haben wieder einen deutlichen Beschäftigungszuwachs, vor allem im Dienstleistungssektor. Dort ist die Sprache ein zentrales Element auch für Geringqualifizierte, und zwar egal in welchem Bereich, auch in der Reinigung oder gerade dort. Wenn Sie in einer Reinigungsfirma arbeiten: Sie müssen mit den Leuten in den Unternehmen kommunizieren können, Sie müssen lesen können, wofür die verschiedenen Mittel verwendet werden. Im Produktionssektor ist das anders.
Zudem müsste man den Druck aus dem gering qualifizierten Arbeitsmarkt herausnehmen. Es gibt zwar eine bestimmte Zahl an gering qualifizierten Tätigkeiten, aber diese werden zunehmend durch andere Qualifikationen ersetzt. Es wäre also wichtig zu schauen, welche Qualifikationen Flüchtlinge in Österreich haben. Wenn man ausbildungsadäquater beschäftigt, würde ich meinen, dass man den Druck ein bisschen herausnehmen kann.

Für Asylwerbende ist der Zugang zum Arbeitsmarkt eingeschränkt. Was halten Sie davon?

Jetzt ist die rechtliche Regelung so, dass es drei Monate ab Zulassung zum Asylverfahren eine Arbeitsmarktprüfung gibt und sie gegenwärtig in den Saisonbranchen arbeiten dürfen. Ich glaube schon, dass es wichtig ist, eine Phase zu haben zwischen Zulassung und Möglichkeit des Zugangs. Unsere Position ist außerdem, dass es wichtig ist, die Arbeitsmarktprüfung beizubehalten, also dass Sie ein Regulativ haben. Aber uns wäre wichtig, dass die Beschränkung auf die Saisonbranchen und die Saisonbeschäftigung fällt und dass man die Beschäftigung für alle Branchen öffnet.
In unserer Studie sagen wir auch: Es ist von der regionalen Verteilung abhängig. Denn die Kontingentbewilligung bekommt man ja nur in der Land- und Forstwirtschaft und im Tourismus. Wenn Sie jetzt aber in einer bestimmten Region sind und dort braucht nun ein Handwerksbetrieb jemanden, hat der keine Chance, einen Flüchtling aufzunehmen.

Und es könnte auch für die regionale Wirtschaft von Vorteil sein.

Das schon, wobei man schon die individuelle Familienkonstruktion berücksichtigen muss. Wenn ich alleinstehend bin, ist das wahrscheinlich leichter zu organisieren, als wenn ich zum Beispiel schon Familie habe und mein Kind in einer Schule integriert ist – da würde ich meinen, dass es einen anderen Weg braucht. Aber für Alleinstehende würde ich meinen, dass das schon vorstellbar wäre.

Was sagen Sie zu dem Argument, der österreichische Arbeitsmarkt sei durch Migration sowie GrenzgängerInnen ohnehin schon angespannt, weshalb ein uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt für Flüchtlinge schwierig sei. Wie sehen Sie das?

In der Ostregion arbeiten natürlich PendlerInnen aus den osteuropäischen Staaten. Aber da ist natürlich die Frage: In welchen Bereichen würden anerkannte Flüchtlinge Beschäftigungsmöglichkeiten finden, sind das ähnliche Bereiche oder andere? Ich weiß nicht, ob sie vergleichbar sind mit anderen Gruppen von MigrantInnen.
Gerade mit der letzten Gruppe, die nach Österreich angekommen ist, wissen wir einfach nicht, wie die Arbeitsmarktintegration funktionieren wird.

Was halten Sie von der Rechnung: eingeschränkter Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen heißt weniger Arbeitslosigkeit von ÖsterreicherInnen?

Nein, denn es gibt ja eh die Arbeitsmarktprüfung als Regulativ.

Auch könnte man fragen, wie sinnvoll es ist, auf die Erfahrungen und Qualifikationen von Asylwerbenden so gar keine Rücksicht zu nehmen und sie nur in den angesprochenen zwei Branchen zu beschäftigen.

Deswegen: aktiv nutzen und vor allem auch ehestmöglich ansetzen. Bei den Jugendlichen sollte man schauen, dass sie eine über die Pflichtschule hinausgehende Erstausbildung bekommen. Natürlich sollte man die Kinder nicht vergessen: dass sie im Bildungssystem adäquat Fuß fassen können, vor allem die schulpflichtigen Kinder.

Im Moment scheint man beim Thema Integration fast ein bisschen übereifrig zu sein, um nur ja nicht die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Erwartet man sich zu viel?

Integration dauert: Sie müssen die Sprache erlernen, sie müssen Fuß fassen am Arbeitsmarkt. Und man sieht es von den Erfahrungen aus anderen Ländern: Das dauert!

Noch einmal zum Thema Netzwerke: Wurde deren Bedeutung beim Thema Integration bisher zu wenig berücksichtigt?

Das konnte man in der Vergangenheit auch zwischen der ersten und zweiten Generation MigrantInnen sehen. Die erste Generation hat in den stagnierenden Branchen Beschäftigung gefunden, und da sind auf einmal die Arbeitsplätze weggebrochen. Und die Kinder? Früher war es ja so, dass in der Umgebung gefragt wurde: „Du, ich habe ein Kind, das hat die Ausbildung gerade abgeschlossen. Wie schaut’s aus, kann das im Unternehmen anfangen?“ Das war der erste Schritt. Wenn das aber fehlt, dann ist es enorm schwierig, sich neu zu orientieren. Weil wenn sie auch Konzentrationen in bestimmten Branchen haben, wenn ich also das Umfeld nicht habe und somit auch nicht die Möglichkeit habe, jemanden übers Umfeld zu fragen: Kennst du jemanden? Dann wird es um das deutlich schwieriger.

Ist der österreichische Arbeitsmarkt vielleicht doch noch zu traditionell geprägt und zu wenig offen?

Nein, nein! Wir sind eine offene Volkswirtschaft! Schauen Sie sich an, wie viele Menschen nach Österreich einpendeln.
Wir sind zunehmend ein Land, das eine sehr heterogene Zusammensetzung hat. Schauen Sie sich an, wie viele Zuzüge wir pro Jahr haben, wie viele Wegzüge. Es gibt nicht mehr die stabilen Größen. Oder Sie haben die PendlerInnen, Sie haben eine zunehmend andere Zusammensetzung der Arbeitskräfte, eine größere Heterogenität.
Früher hat man immer gesagt, dass der österreichische Arbeitsmarkt bipolar ist. Zum Beispiel galt: Die EU-15-Arbeitskräfte sind stärker im hoch qualifizierten Bereich und die Arbeitskräfte aus den ehemaligen Gastarbeiterregionen Türkei, Jugoslawien im unteren Qualifikationsbereich. Auch das wird zunehmend differenzierter, denn jetzt kommt in der Mitte sehr viel hinzu. Es gibt eben nicht mehr dieses klare Bild, ganz im Gegenteil! Die österreichische Bevölkerung, die österreichischen Arbeitskräfte sind in der Zusammensetzung zunehmend diversifizierter.

Das macht es natürlich unübersichtlicher.

Es ist unübersichtlich, aber das ist so. Das ist die Gegenwart. Es gibt nicht mehr das klare Bild. Und es ist nicht mehr schwarz-weiß, sondern es gibt sehr viele Grauschattierungen dazwischen. Und natürlich macht das auch alles rundherum vergleichsweise schwieriger.
Wenn Sie sich beispielsweise anschauen, welche unterschiedlichen Gruppen von MigrantInnen es gibt: ArbeitsmigrantInnen, PendlerInnen, BildungsmigrantInnen, also die aus Bildungszwecken nach Österreich kommen, Personen, die aus familiären Gründen nach Österreich gekommen sind – Familienzusammenführung, -nachzug oder Menschen, die als Kind nach Österreich gekommen sind –, und Asylmigration.
Wenn man sich diese fünf Gründe anschaut, dann haben die Menschen unterschiedliche Bedürfnisse. Was ist bei den ArbeitsmigrantInnen und vor allem bei PendlerInnen relevant? Das große Thema des ÖGB: Lohn- und Sozialdumping, sprich dass die KVs eingehalten werden. Anders ist es für jene, die hier niedergelassen sind, denn für sie ist wahrscheinlich die Anerkennung der formalen Qualifikation ein großes Thema. Das Bildungssystem ist das Thema der zweiten Generation und der Integration der Flüchtlinge.
Und dann Soziales: Darüber haben wir überhaupt noch nicht gesprochen. Wie schaut’s aus mit Altern in der Fremde? Im Pflegebereich sprechen wir immer nur über die Pflegekräfte. Aber wir haben die erste Gastarbeitergeneration Ende der 1960er, Anfang der 1970er-Jahre gehabt, also man wird erstmals alt in der Fremde. Was heißt das für die Krankenversorgung, gerade in Wien? Was heißt das für die Infrastruktur? Wie gehe ich mit einer diverser werdenden Bevölkerung um? Das sind sehr viele Dinge, die zunehmend eine Herausforderung darstellen werden.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

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