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Symbolbild zum Bericht: Zeit für mehr Sachlichkeit Wie so oft reicht ein kurzer Blick nicht. Vielmehr muss man schon genauer und auch öfter hinsehen, um sich ein Bild machen zu können. Hier zu sehen: Die neue Pariser Philharmonie.
Buchtipp

Zeit für mehr Sachlichkeit

Schwerpunkt

An Bildern und Zahlen mangelt es nicht. Aber Vorsicht ist geboten, denn sie erwecken allzu oft einen falschen Eindruck.

Es ist ein heißer Tag Mitte August und im Park wuselt es nur so. In einem Eck spielt eine Gruppe Frisbee, in einem anderen Eck spielt eine andere Gruppe Völkerball – Männer, Frauen mit und ohne Kopftuch und Kinder bunt durchgemischt. Wieder in einem anderen Eck vergnügen sich Kinder damit, einen Kleiderständer auf Rollen durch die Gegend zu schubsen. Zwischen diesen Inseln sitzen Menschen in Grüppchen herum und plaudern oder picknicken. Nur ein Geruch ist auf einer Seite des Parks nicht zu überriechen: Urin. Das und die vielen Sachspenden, die überall herumkugeln – sie lassen erkennen, dass sich hier keine durchschnittliche Sonntagsgesellschaft aufhält.
Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, als Traiskirchen weit über die Gemeinde- und Landesgrenzen hinweg traurige Bekanntheit erlangte. „Schrecklich, wie es hier aussieht“, beschwert sich ein älterer Traiskirchner. Wirft man einen genaueren Blick auf die Spenden, möchte man dem am liebsten entgegenhalten: Schrecklich, was manche Leute aus den Tiefen ihres Kellers geholt haben und hier wie Sperrmüll abgeladen haben.

Chaotisch ...
Und doch ist gut gemeint in diesem Fall nicht das Gegenteil von gut gemacht, denn neben so manchem Krempel findet man jede Menge nützliche Dinge. Recht hat aber auch er: Es herrscht schon ein ordentliches Chaos. Wie so oft beim Thema Migration reicht ein kurzer Blick nicht. Vielmehr muss man wirklich genauer und vor allem öfter hinsehen, um sich ein Bild von der Situation machen zu können.
Der Bilder gibt es in der Flüchtlingskrise viele und es ist Vorsicht geboten. Immerhin können sie immer nur Ausschnitte einer ausgesprochen komplexen Realität zeigen – und erwecken oft genug einen falschen Eindruck. Die vielen Menschen, die an den österreichischen Bahnhöfen und an der Grenze ankamen und dazu gezwungen waren, im Freien zu übernachten, die vielen Zelte: Diese Bilder etwa nährten den Eindruck, dass es „einfach zu viele“ Flüchtende sind, dass Österreich diesem „Ansturm“ nicht gewachsen sei.

Bilder- und Zahlenspiele
In der Tat sind im vergangenen Jahr deutlich mehr Flüchtlinge nach Österreich gekommen: Fast 90.000 Menschen haben einen Antrag auf Asyl gestellt – ein Anstieg um 212 Prozent (siehe „Die Flucht in Zahlen“). Doch auch mit den Zahlen ist das so eine Sache. So könnte man dem entgegenhalten, dass Österreich auch zu den reichsten Ländern der Erde gehört und dem Land von daher auch zugemutet werden kann, einen größeren Teil der Last zu tragen. Auch kann man die Zahl ins Verhältnis mit der EinwohnerInnenzahl setzen: Bei 8,5 Millionen EinwohnerInnen machen die Flüchtlinge nur etwas mehr als ein Prozent der Bevölkerung aus. Im Libanon kommen fast 30-mal so viele Flüchtlinge auf eine/n EinwohnerIn als in Österreich. Um ein anderes europäisches Beispiel zu nennen: Serbien hat rund eine Million weniger EinwohnerInnen als Österreich und verzeichnete im vergangenen Jahr mehr als eine halbe Million Anträge. Doch es wäre unfair, so zu tun, als würde sich Österreich aus der Verantwortung stehlen. Es zählt zu jenen europäischen Ländern, die sehr viele Flüchtende aufgenommen haben, besonders wenn man es im Verhältnis zur EinwohnerInnenzahl betrachtet.

Der Blick auf die Situation weltweit lässt die Sache noch einmal komplizierter werden. Das UN-HCR geht davon aus, dass inzwischen über 60 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht sind. Das ist mehr, als Italien EinwohnerInnen hat. Allerdings kommt nur ein kleiner Teil davon nach Europa. Die Mehrheit verlässt ihr Land überhaupt nicht, es sind die sogenannten Binnenflüchtlinge. Jene, die ihr Land verlassen, bleiben in der Region: Ganze 86 Prozent der Flüchtenden finden in sogenannten Entwicklungsländern Zuflucht, 25 Prozent sogar in am wenigsten entwickelten Ländern. Nur 14 Prozent flüchten also in die sogenannten Industrieländer.
Von jenen Flüchtenden, die nach Europa kommen, kommt wiederum nur ein Teil nach Österreich, auch wenn dieser im Verhältnis nicht so gering ist. Aber auch hier müssen mehrere Aspekte bedacht werden. Dass die Flüchtenden in Österreich im vergangenen Sommer nicht angemessen untergebracht werden konnten, ist nämlich zum Teil hausgemacht. Inzwischen ist man sich darin einig, dass die Kürzung der Nahrungsmittelhilfe für die Flüchtlinge eine der wesentlichen Ursachen dafür war, dass sich so viele auf den gefährlichen Weg in Richtung Europa gemacht haben.

Auch Österreich war bei den Zahlungen säumig. Dazu kommt eine innenpolitische Dimension: Im Juni 2015 hatten noch zwei Drittel der Gemeinden keine Flüchtenden untergebracht – im September sollte das viel zitierte Durchgriffsrecht beschlossen werden. Auch muss fairerweise daran erinnert werden, dass ein Großteil der Flüchtlinge im Sommer in Richtung Deutschland durchgewinkt wurden.

Veränderung zum etwas Besseren
Seither hat sich einiges verändert. Im Innenministerium selbst kann man erstaunlicherweise nicht mit Zahlen dienen. Nur auf Ebene der Bundesländer liegen diese vor, ORF-Journalist Jakob Weichenberger trägt diese kontinuierlich zusammen. Allein seit September ist die Zahl der Unterkünfte um 60 Prozent gestiegen. Inzwischen bringt nur noch ein Drittel der Gemeinden keine Flüchtenden unter. Aber auch dieses Argument lässt sich natürlich umdrehen: Immer noch ein Drittel der Gemeinden kommt ihrer Verpflichtung nicht nach. Aber weil auch das noch viel zu einfach wäre: Im Gemeindebund verweist man darauf, dass viele Gemeinden bereits Unterkünfte angeboten hätten, die Bürokratie aber verhindere, dass dort Flüchtende auch tatsächlich untergebracht werden. Auch Privatpersonen beschwerten sich in den vergangenen Monaten immer wieder über bürokratische Hürden.
In der aktuellen politischen Debatte ist das Thema Unterbringung an den Rand gedrängt worden, wie so viele andere Aspekte der Flucht. Zumindest vonseiten der Regierung scheint alles einem Ziel untergeordnet: möglichst zu verhindern, dass „zu viele“ Flüchtende nach Österreich kommen – wie viel dieses „zu viel“ auch immer sein mag. Natürlich ist das Argument nachvollziehbar, man wolle eine Überforderung vermeiden. Genauso ist wenig dagegen einzuwenden, dass man nur so viele Menschen aufnehmen möchte, wie man an Kapazitäten zur Verfügung habe, gerade bei der angespannten Lage am Arbeitsmarkt.
Ebenso ist die Forderung nachvollziehbar, dass es eine gerechtere Verteilung auf europäischer Ebene brauche. Eine sachliche Diskussion über all diese Aspekte findet allerdings leider kaum noch statt. Vielmehr scheinen sich die Fronten immer weiter zu verhärten. Das wiederum ist der Integration der neu Angekommenen keinesfalls dienlich.

Schon bei der Erstversorgung der Flüchtenden ist die Zivilgesellschaft eingesprungen. Auch zur lautstark geforderten Integration tragen viele Menschen in Österreich bei: Es werden Patenschaften mit Flüchtenden abgeschlossen, Deutschkurse aus dem Boden gestampft, Ausflüge organisiert und vieles mehr. Auch wenn derzeit die negativen Berichte in den Medien zu dominieren scheinen: Die Zivilgesellschaft engagiert sich weiterhin tatkräftig.

... oder ordentlich?
Rückblende in den August 2015: Auch im Park in Traiskirchen machen SpenderInnen weitaus mehr, als „nur“ Sachen abzuladen. Die einen spielten einfach mit, andere picknicken gemeinsam mit den Flüchtlingen oder reden mit ihnen. Auf der anderen Straßenseite hängt ein Gartenschlauch über einen Zaun, daneben ist eine Abbildung angebracht, versehen mit dem Text in mehreren Sprachen, dass dies Trinkwasser ist.
Vom Völkerballspiel erhitzt, löscht ein kleines Grüppchen junger Frauen und Männer nicht nur den Durst, sondern findet auch eine willkommene Abkühlung. Lachend spritzen sie sich gegenseitig an. Indessen verteilt eine Helferin Müllsäcke und ruft die Anwesenden dazu auf, beim Aufräumen mitzuhelfen. Nur wenig später ist der ganze Park aufgeräumt. „Wie ordentlich die doch sind“, könnte denken, wer nun am Park vorbeispaziert.

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