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Symbolbild zu MIndestlöhnen 8,50 Euro: Auf diesen Betrag hat man sich in Deutschland beim Mindestlohn geeinigt. Dass ein Mindestlohn grundsätzlich der Wirtschaft schade, ist ein Mythos. Für die Beschäftigten hat er positive Effekte.
Buchtipp

Mindestlöhne lohnen sich

Schwerpunkt Neoliberalismus

Höhere Mindestlöhne haben deutlich positive Effekte auf niedrige Einkommen und sie bewirken, dass Menschen länger ihren Job behalten.

Kaum stand fest, dass ab 2015 in Deutschland ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt werden sollte, gab es schon die ersten Ausweichmanöver und „Sparmaßnahmen“ von Unternehmerseite: Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld wurden auf den Stundensatz angerechnet – ein Vorgehen, das das Bundesarbeitsgericht vor Kurzem sogar für rechtmäßig erklärte. Diese Entscheidung war eine herbe Enttäuschung für die rund vier Millionen ArbeitnehmerInnen, deren Jobs vom Mindestlohn betroffen sind. Immerhin gab es zumindest für eine Gruppe ein erfreuliches Urteil: Ende Juni hat das Gericht festgestellt, dass auch für Bereitschaftsdienste der Mindestlohn bezahlt werden muss.

Deutliche Lohnerhöhungen
Bettina Csoka, Verteilungsexpertin der AK Oberösterreich, schildert in ihrem A&W-Blogbeitrag „EU-weiter Mindestlohn für alle?“ die Situation in Deutschland: „2012 waren nur mehr 58 Prozent der Beschäftigten durch Tarifverträge geschützt, besonders niedrig war die Abdeckung in den östlichen Bundesländern, wo nicht einmal mehr jede/r Zweite geschützt war.“ Mit der Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns ab 2015 sollte gegengesteuert werden.
Mit 8,50 Euro (bzw. 8,84 Euro ab 2017) wurde das Niveau des Mindestlohns in Deutschland im Vergleich zu den ähnlich entwickelten westlichen Nachbarländern eher niedrig angesetzt. Trotzdem waren davon 18,9 Prozent der ArbeitnehmerInnen betroffen, wesentlich mehr als in anderen EU-Ländern, wie kürzlich das Düsseldorfer Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) berichtete. Der Mindestlohn habe zu teils erheblichen Lohnerhöhungen im unteren Einkommensbereich geführt.
So kam es etwa bei vielen vollzeitbeschäftigten Frauen im ostdeutschen Handel und Gastgewerbe zu zweistelligen Erhöhungen der Stundenverdienste. Der befürchtete Beschäftigungseinbruch auf dem Arbeitsmarkt infolge des Mindestlohns ist allerdings ausgeblieben. Im Gegenteil: Die Beschäftigung wächst weiterhin und bis dato ist kein Trendbruch erkennbar.
Die Diskussion über die möglichen Auswirkungen verbindlicher Lohnuntergrenzen wird seit einigen Jahrzehnten mehr oder minder heftig geführt. Die Pro-Argumente: Mindestlöhne sind ein Schritt Richtung Umverteilung, in Zeiten wachsender Ungleichheit können sie zum sozialen Frieden beitragen. Nicht selten wird auch damit argumentiert, dass GeringverdienerInnen eventuelle Einkommenszuwächse rasch wieder ausgeben und damit die Wirtschaft ankurbeln. Außerdem kommen höhere Sozialbeiträge dem Staat zugute.

Übertriebene Sorgen
KritikerInnen hingegen sind überzeugt, dass (zu hohe) Mindestlöhne spätestens mittelfristig der Wirtschaft schaden: Steigende Lohnkosten würden zu Personaleinsparungen, weiteren Nachteilen gegenüber Billiglohnländern und sinkender Investitionsbereitschaft der Unternehmen führen. Allerdings: In Österreich beispielsweise sind die meisten schlecht bezahlten Jobs in den Dienstleistungsbranchen zu finden, die eher nicht durch Outsourcing in die typischen Billiglohnländer gefährdet sind.

Negativsteuer keine Alternative
Als Alternative zu Mindestlöhnen wird immer wieder die Ausweitung der Negativsteuer für Menschen mit geringem Einkommen genannt. Nicht nur die Gewerkschaften sind gegen diese Art der Entlastung. Schon jetzt verdienen viele ArbeitnehmerInnen so wenig, dass sie nur durch staatliche Transferleistungen über der Armutsschwelle liegen. „Die Negativsteuer kann menschenwürdige Löhne und Einkommen nicht ersetzen“, erklärt Martin Müller, Leiter des Referats Rechts- und Kollektivvertragspolitik im ÖGB. „Damit wären die Unternehmen, die schließlich von den Leistungen der ArbeitnehmerInnen profitieren, entlastet und die Allgemeinheit stärker belastet.“   
Im Jahr 2010 verglichen drei Ökonomen der Universität Berkeley die Lohn- und Beschäftigungsentwicklung in sämtlichen aneinandergrenzenden US-Bezirken in unterschiedlichen Bundesstaaten mit unterschiedlichen Mindestlöhnen seit den 1990er-Jahren. Da benachbarte Bezirke (Counties) in puncto Wirtschaftsstruktur, Bevölkerung etc. sehr ähnlich sind, können die Effekte unterschiedlicher Mindestlöhne gut verglichen werden.
Die Ergebnisse zeigten, dass Mindestlohnerhöhungen zwar deutlich positive Effekte auf die Einkommen im Niedriglohnbereich haben, aber keinen relevanten Einfluss auf die Anzahl der Beschäftigten. Höhere Mindestlöhne bewirkten außerdem, dass sich die durchschnittliche Dauer der einzelnen Beschäftigungsverhältnisse erhöhte.

Beispiele aus aller Welt
Ähnliche Auswirkungen hatten Mindestlöhne bzw. deren Erhöhung auch in mehreren europäischen Ländern, etwa in England, Portugal oder Tschechien. Sogar der massive Anstieg des ungarischen Mindestlohns von 35 auf 55 Prozent des Medianlohns hatte nur sehr geringe negative Beschäftigungseffekte, so eine Fallstudie aus dem Jahr 2001.
Der Wirtschaftswissenschafter Simon Sturn forscht am Institute for Ecological Economics an der WU Wien und listet in seinem A&W-Blog-Beitrag gleich mehrere derartige Beispiele auf. Dass sich der Mythos „Mindestlöhne kosten Arbeitsplätze“ so hartnäckig hält, führt er darauf zurück, dass lange Zeit hindurch bevorzugt Studien veröffentlicht wurden, die – ganz im Sinne der neoklassischen Theorie – die erwarteten negativen Beschäftigungseffekte bewiesen. „Wäre dieser Mythos tatsächlich Realität, dann müsste ja überall dort die Wirtschaft florieren, wo es keine Mindeststandards gibt“, argumentiert Martin Müller. „Aber ich kenne kein Beispiel dafür. Ein ausufernder Niedriglohnsektor bringt das Wirtschaftsgefüge ins Wanken, die Folge sind soziale Verwerfungen.“

Wie viel ist genug?
An sich gibt es derzeit in jedem der 28 EU-Mitgliedstaaten verbindliche Lohnuntergrenzen, die nicht unterschritten werden dürfen. In 21 davon gibt es allgemeine gesetzliche Regelungen. In Österreich wiederum liegt dies in den Händen der Sozialpartner. Hierzulande sind mehr als 95 Prozent der Arbeitsverhältnisse durch Branchen-Kollektivverträge geregelt.
Selbst wenn vielleicht Einigkeit über die Sinnhaftigkeit des Mindestlohns herrscht, lässt sich dann über dessen Höhe noch lange diskutieren. Die aktuelle Forderung des ÖGB liegt bei 1.700 Euro brutto. Das Meinungsforschungsinstitut IFES hat für die Gewerkschaft auf Basis des Arbeitsklima Index der AK Oberösterreich ausgewertet, wer von einer entsprechenden Anhebung der Kollektivverträge am stärksten profitieren würde.
Die Ergebnisse sind wenig erstaunlich: Fast jede vierte Frau, rund 50 Prozent der Beschäftigten unter 25 und etwa 20 Prozent der Menschen mit Migrationshintergrund liegen derzeit unter dieser Grenze. Martin Müller: „Aber auch in manchen Branchen mit geringem Organisationsgrad gibt es Beschäftigte mit einem Vollzeit-Monatseinkommen von rund 1.000 Euro.“

Novelle gegen Dumping
Mindestlöhne bzw. deren Höhe sind auch ein vieldiskutiertes Thema bei öffentlichen Aufträgen. Mit der 2016 in Kraft getretenen Bundesvergabegesetz-Novelle kann Lohn- und Sozialdumping verhindert werden, unter anderem indem die Weitergabe von Aufträgen an Subunternehmer unterbunden werden kann. Ähnliche Regelungen gelten übrigens auch im neuen EU-Vergaberecht. Hier können ebenfalls öffentliche AuftraggeberInnen vorschreiben, dass bestimmte Leistungsteile (sog. Kernleistungen) selbst erbracht werden müssen und nicht an Subunternehmen ausgelagert werden können.

Blogtipps:
Führen Mindestlöhne zu höheren Löhnen auf Kosten steigender Arbeitslosigkeit?
tinyurl.com/j6t7spy
EU-weiter Mindestlohn für alle?
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/eu-weiter-mindestlohn-fuer-alle/
Linktipps:
Studie zu Mindestlöhnen
tinyurl.com/ztd28jq
Arindrajit Dube, T. William Lester, Michael Reich (2010): Minimum Wage Effects Across State Borders: Estimates Using Contiguous Counties, IRLE Working Paper No. 157-07
tinyurl.com/2665wg4

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