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Amela Džananović Amela Džananović, Absolventin der Translationswissenschaften in Kombination mit Politikwissenschaft, kam mit zwölf Jahren nach Österreich und fühlt sich hier zu Hause.
Filiz Kalayci Filiz Kalayci war als Rechtsanwältin in der Türkei tätig und wollte so schnell wie möglich Deutsch lernen. Das war aber nicht so einfach. Sie ist Mitarbeiterin der UNDOK-Anlaufstelle.
Dino Šoše Dino Šoše, Herausgeber der BUM-Media-Magazine und Initiator der Integrationswoche, ist überzeugt davon, dass es populäre und weniger populäre Migrantinnen und Migranten in Wien gibt.

Diskussion: Über Mit MigrantInnen reden

Schwerpunkt Integration

Gekommen, um zu bleiben: Amela Džananović, Absolventin der Translationswissenschaften, Dino Šoše, Herausgeber der BUM-Media-Magazine und Initiator der Wiener Integrationswoche, und Filiz Kalayci, Mitarbeiterin der UNDOK-Anlaufstelle.

Arbeit&Wirtschaft: Die Quali für die Fußball-WM hat begonnen. Wem drückt ihr die Daumen?

Amela Džananović: Wenn Österreich spielt, dann Österreich.

A&W: Es scheint, dass MigrantInnen immer weniger ein Problem damit haben, mit zwei Identitäten zu leben. Trotzdem werden sie auch deswegen oft kritisiert, zum Beispiel wenn sie mit einer türkischen Flagge herumlaufen.

Filiz Kalayci: Ich persönlich kann auch keine Fahne mehr sehen. Und schon gar nicht, wenn diese in Zusammenhang mit Demonstrationen, die aus dem Ruder laufen und bei denen andere Menschen angegriffen und attackiert wurden, stehen. 

Dino Šoše: Das Demonstrationsrecht gilt für alle. Es spricht nichts dagegen, dass Migranten für oder gegen etwas in ihrer Heimat demonstrieren.

Kalayci: Ja, aber vor Kurzem haben die Türken hier randaliert. Das geht nicht. Einen respektvollen Umgang mit anderen Menschen, anderen Kulturen darf man erwarten.

Šoše: Ich bin gegen Pauschalisierungen. Man muss hier schon einen Unterschied machen zwischen Einzelpersonen, die zu Extremen neigen, und einer ganzen Community.
 
Džananović: Sie sollen das Demonstrationsrecht nutzen können. Natürlich unter der Voraussetzung, dass alles geregelt und ordnungsgemäß abläuft. Lieber wäre mir jedoch, dass sie mehr Interesse an der österreichischen Innenpolitik zeigen und für die Mitgestaltung der Zukunft, dort wo sie zu Hause sind, nämlich in Österreich, eintreten. 

A&W: Der deutsche Nationalspieler Mesut Özil wurde für seine Pilgerreise nach Mekka kritisiert. Was heißt Integration für Sie: Wo beginnt und wo endet sie?

Džananović: Integration ist ein langwieriger und gesamtgesellschaftlicher Prozess. Auf der einen Seite werden von MigrantInnen der Spracherwerb, Respektierung und Einhaltung von Normen und der österreichischen Rechts- und Werteordnung vorausgesetzt. Von der Aufnahmegesellschaft wiederum wird die chancengleiche Teilhabe unter Gewährung der rechtlichen, sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen erwartet, die auch eine Mitgestaltung in zentralen Bereichen des sozialen und gesellschaftlichen Lebens zulässt. Eine Messung der Integrationsrealität bzw. der Integrationsunwilligkeit sollte erst zum Thema werden dürfen, wenn die Zugänge zur Bildung und zum Arbeitsmarkt auch für MigrantInnen gewährleistet sind und wenn Diskriminierung aufgrund von Namen und Herkunft nicht mehr gegeben ist.

Šoše: Das ist schwer zu sagen. Meiner Meinung nach machen wir beim Thema Integration bereits ganz am Anfang einen Riesenfehler, weil wir ausschließlich zwischen Migranten und Nichtmigranten unterscheiden.

A&W: Wie meinen Sie das?

Šoše: Wir haben in Österreich zwei Beispiele für „mega super gut integrierte“ Migrantinnen: Muna Duzdar und Maria Vassilakou. Besser als die beiden kann man gar nicht integriert sein und dennoch liest man Kommentare wie „Die überrollen uns“, „Gute Nacht, Österreich“ und „Jetzt erst recht FPÖ“ in Bezug auf diese Politikerinnen. Also einerseits heißt es, wir sollen uns integrieren, andererseits heißt es „Gute Nacht, Österreich“ wenn wir perfekt integriert sind. Es reimt sich einfach nicht.

A&W: Besteht hier auch ein Zusammenhang zwischen gebildeten und weniger gebildeten Menschen? 
 
Šoše: Gegenfrage: Sind Martin Graf oder Dagmar Belakowitsch-Jenewein ungebildet? Es gibt viele gebildete Menschen, die andere Menschen hassen oder gegen sie hetzen. Und genauso gibt es gebildete Migranten, die rassistisch und homophob sind.

Džananović: Man muss allen, ungeachtet ihrer Geburtsländer, die Gewalt ausüben und Feinde des gesellschaftlichen Pluralismus sind, Integrationsunwilligkeit vorwerfen.

Šoše: Bei mir jedenfalls funktioniert die gängige Schubladisierung von Migrant und Nichtmigrant nicht. Wenn man Migrant sagt, dann vergleicht man mich mit einer großen Gruppe unterschiedlicher Menschen. Und das Einzige, das uns verbindet, ist die Tatsache, dass wir nicht in Österreich geboren wurden. Das ist mir zu wenig.

Džananović: Mich stört auch, dass meine Deutschkenntnisse ständig gelobt werden. Mittlerweile entgegne ich immer: „Ja, du sprichst auch gut Deutsch.“ Und ein ABER lasse ich nicht gelten. Warum wird mein Migrationshintergrund immer so hervorgehoben? Ich bin doch schon mein ganzes Leben hier.

Šoše: Das sind alte Gewohnheiten. Früher kamen GastarbeiterInnen, die kurz Geld verdienen und nach Hause fahren wollten. So haben sie sich vorgestellt und so wurden sie auch wahrgenommen. Das Problem ist, dass diese Wahrnehmung bis heute anhält. Man betrachtet mein Kind, das in Wien geboren wurde, als Gastarbeiter: anderer Name ist gleich anderer Geburtsort. Doch das galt in den Siebzigerjahren, heute nicht mehr. Der Prozess, sich an den neuen Migranten 2.0 zu gewöhnen, der muss erst noch stattfinden.

A&W: Integration heißt Sprache: Stimmen Sie dieser Aussage zu?

Šoše: Zusätzlich zur Sprache bedeutet Integration, die Schule zu besuchen, arbeiten zu gehen, sich zu informieren, Chancen wahrzunehmen. Wenn das Integration ist, dann unterscheiden sich Migranten und Nichtmigranten nur in einem Punkt: dem Erlernen der Sprache. Alle anderen Punkte gelten für alle in Österreich lebenden Menschen. 

Džananović: Du musst dich verständigen, deine Wünsche äußern können. Sobald du der deutschen Sprache mächtig bist, kannst du alles andere angehen und erfolgreich abschließen.

A&W: Wie lange sind Sie schon in Österreich?

Kalayci: Mein Vater kam vor 43 Jahren als Gastarbeiter, 20 Jahre später folgten meine Mutter und Schwester nach. Ich verbrachte nur meine Ferien- und Urlaubszeit in Österreich. 2011 kam ich als politischer Flüchtling.

Džananović: Seit 1992.

Šoše: Eigentlich kam ich 2005 als „Wirtschaftsflüchtling“ aus Deutschland nach Wien. Und 1993 als Kriegsflüchtling aus Bosnien nach München.

A&W: Inwieweit war für Sie die deutsche Sprache zu Beginn eine Herausforderung? Wie war die erste Zeit?

Kalayci: Die ersten acht Monate, während ich auf meinen Asylbescheid wartete, waren richtig schwer. Ich hatte das Gefühl, dass mir nur Steine in den Weg gelegt wurden. Ohne positiven Bescheid kein Anspruch auf einen Deutschkurs, hieß es. Also pendelte ich täglich aus Niederösterreich nach Wien, um einen Privatkurs zu besuchen. Ich hatte keinerlei Unterstützung, das war nicht immer einfach.

Džananović: Ich war sehr jung und konnte mich als Einzige ein bisschen auf Englisch verständigen. Mit zwölf Jahren war ich so gesehen aufgrund dieser Sprachkenntnisse für meine ganze Familie verantwortlich. Zum Glück konnte ich aufgrund des Deutschkurses innerhalb kürzester Zeit den Schulunterricht mitverfolgen und mich einbringen.  

Šoše: Mir hat die deutsche Sprache das Leben gerettet. Meine Mutter war Deutschprofessorin und 1993 für das deutsche Technische Hilfswerk (THW) in Bosnien als Dolmetscherin tätig. In letzter Sekunde haben sie alle Dolmetscher und deren Familien aus dem Kriegsgebiet gebracht. In München bekamen wir relativ schnell eine Wohnung und meine Mutter einen Arbeitsplatz beim THW, wo sie bis heute beschäftigt ist. 

Džananović: Einen Arbeitsplatz zu finden war auch für meine Mutter nicht so schwer. Unser Problem war jedoch, dass sie keine Arbeitsbewilligung bekam und uns die Abschiebung drohte. Durch den Einsatz meines damaligen Schuldirektors, der Gitarrenlehrerin und eines TV-Berichtes konnte das Schlimmste verhindert werden.

A&W: Was hat Ihnen bei der Integration geholfen und was hat nicht so gut funktioniert?

Džananović: Ich hatte Schreckliches in Bosnien gesehen und erlebt und eine lange und beschwerliche Flucht hinter mir. In Österreich angekommen, war ich unendlich dankbar, in einem sicheren Land, wo kein Krieg herrscht, zu sein. Ich habe nächtelang Bücher gelesen, um schneller Deutsch zu lernen. Wie und ob etwas klappt, hängt oft von der persönlichen Einstellung ab. Man muss schon selbst wollen.

Kalayci: Sobald sich die Türen öffnen, ist alles viel leichter. Nach dem positiven Asylbescheid bekam ich einen Job in einer Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. Seit 2013 berate ich MigrantInnen in der UNDOK-Anlaufstelle. Normalerweise dauert es lange, einen Job zu finden. Ich hatte sehr viel Glück.

Džananović: Eine große Unterstützung waren auch damals Privatpersonen, die ihre Hilfe angeboten und als Wegweiser fungiert haben. Von institutioneller Seite kam da sehr wenig.

Kalayci: Ich, als Rechtsanwältin, hätte mir auf jeden Fall einen Deutschkurs für Fortgeschrittene bzw. für besser Qualifizierte gewünscht. Es kann nicht sein, dass Menschen mit einem Uniabschluss und Menschen, die das Schreiben und Lesen erst erlernen müssen, in einer Klasse unterrichtet werden. Das ist ein Nachteil für alle Beteiligten. Das Erlernen der Sprache, aber auch des Schreibens wird nur in die Länge gezogen.

A&W: Filiz Kalayci, was können Sie aus Ihrer Tätigkeit in der UNDOK-Anlaufstelle berichten?

Kalayci: Die UNDOK-Anlaufstelle ist eine Initiative von mehreren Fachgewerkschaften, AK Wien, ÖH-Bundesvertretung, von NGOs aus dem fremden- und asylrechtlichen Bereich sowie antirassistischen AktivistInnen. UNDOK bietet Menschen, die ohne Aufenthalts- und/oder Arbeitspapiere arbeiten, kostenlose und anonyme Beratung in mehreren Sprachen an. Unsicherheiten in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht und ein eingeschränkter bzw. versperrter Zugang zum Arbeitsmarkt machen undokumentierte ArbeitnehmerInnen besonders leicht erpress- und ausbeutbar. Unsere Beratungspraxis belegt, dass undokumentierte Arbeit unsicher, schlecht bezahlt und gefährlich ist.

A&W: Mit welchen anderen Problemen haben MigrantInnen täglich zu kämpfen?

Šoše: Übergewicht. (Gelächter bricht aus.)

Kalayci: Die Wohnsituation vieler MigrantInnen ist oft wirklich dramatisch. Viele leben wie in einem Ghetto, in einer eigenen, geschlossenen Gesellschaft. So können sie sich nicht integrieren und wie ÖsterreicherInnen leben.      

Šoše: Sie leben ja dort nicht, weil sie Türken oder Bosnier sind. Sie leben dort, weil sie Arbeiter sind und sich eine Wohnung in den Innenbezirken nicht leisten können.

A&W: Dino Šoše, Sie heißen nicht Max Mustermann, aber Sie sind Herausgeber des BUM-Magazins. Wie waren Ihre Anfänge in der Medienbranche?

Šoše: Als ich merkte, dass mein Informatik-Studium nicht das Richtige ist, bewarb ich mich für ein Praktikum bei verschiedenen Werbeagenturen. Der Beruf des Grafikers hat mich immer interessiert. In der Werbebranche wird man nicht nach den Nachnamen, sondern den Arbeiten bewertet. Als dann die ersten kostenlosen Zeitschriften auf den Markt kamen, fand ich, dass die exjugoslawische Community so etwas auch brauchen könnte. So entstand die Idee für das BUM-Magazin.

A&W: Mittlerweile organisieren Sie die Integrationswoche in Wien und vergeben den MigAward. Wie kam es dazu?

Šoše: Migranten leben nicht nur in Österreich, sie wollen auch mitbestimmen. Vor der Integrationswoche gab es einen Integrationspreis, wo Banken und Casinos entscheiden konnten, wer integriert ist und wer nicht. Ich dachte, dass die Zeit reif ist für einen Perspektivenwechsel. Ich wollte Migranten eine Stimme geben und sie entscheiden lassen, wer gut für sie ist und wer schlecht. Anfangs hatte ich große Bedenken, ob das klappt – unnötigerweise. Dadurch bekam ich zwar ein paar Feinde, aber auch sehr viele neue weltoffene Freunde.

A&W: MigrantInnen holen bei der Bildung auf. Trotzdem haben es viele schwer, einen Job zu finden. Liegt das am ausländischen Namen?

Šoše: Mit meinem Team habe ich vor einiger Zeit drei falsche E-Mail-Accounts eingerichtet. Für den Murat aus der Türkei, den Milan aus Serbien und Wolfgang aus Österreich. Mit diesen haben wir uns auf Wohnungssuche begeben. Obwohl Murat als Erster ohne Rechtschreib- und Grammatikfehler angefragt hatte, bekam er als Letzter eine, oft gar keine Antwort. Wolfgang, der die meisten Fehler und Tage später angefragt hatte, bekam die meisten Besichtigungstermine.

Kalayci: Als Asylberechtigte habe ich sechs Monate lang eine Wohnung gesucht. Obwohl ich alle wichtigen Infos – vom Studium der Rechtswissenschaften bis hin zum positiven Asylbescheid – angab, bekam ich nur von einem türkischen Vermieter eine Antwort.

Šoše: Wir werden diesen Test noch einmal durchführen. Und dann werden wir alle bloßstellen und die Daten veröffentlichen. Unter den angeschriebenen Immobilienmaklern waren auch Serben, Bosnier und Türken. Sogar der Migrant wollte dem Migranten keinen Termin geben. Wahrscheinlich, weil er dachte, das kommt beim Vermieter nicht so gut an.

A&W: Oder weil man davon ausgeht, dass Wolfgang zuverlässiger ist und die Miete regelmäßig bezahlen wird?

Šoše: Ja, genau, das sind die klassischen Vorurteile. Wir leben in Social-Media-Zeiten und da hat man wenig Zeit, um nachzudenken. Man möchte alles kurz und knapp zusammengefasst haben. Die wenigsten interessieren sich für Details. Und wenn sich jemand nicht für Migranten und Integration interessiert, dann bildet er sich die Meinung auf der Straße. Da wird alles kurz und knapp präsentiert, wie etwa: „Islam statt daham.“

A&W: Integration ist heute ein großes Thema. War es vor 25 Jahren anders?

Šoše: Das kann man nicht vergleichen.

Džananović: Ich kann das schwer beurteilen. Bei uns ergab sich eines nach dem anderen. Viel haben wir auch aufgrund von Eigeninitiative erreicht. Ich wurde ausgelacht, als ich den Wunsch äußerte, das Gymnasium besuchen zu wollen. Eine Lehre als Friseurin sei genauso gut. Das ließ ich mir nicht gefallen. Aus einer Telefonzelle rief ich den Schuldirektor an und erklärte in gebrochenem Deutsch, warum ich diesen Platz unbedingt haben möchte. Und schlussendlich bekam ich ihn auch.

Šoše: Dafür braucht man aber viel Mut.

Džananović: Das Problem vieler MigrantInnen ist, dass sie glauben, anders zu sein, und sich nichts zutrauen. Deswegen wissen sie oft nicht, welche Möglichkeiten sie haben.

Šoše: Österreich braucht mehr selbstbewusste Migranten – und ich bin überzeugt, dass sie im Kommen sind. Das ist die nächste Generation, unsere Kinder sind selbstbewusste WienerInnen. Sie kennen das Gefühl, aus einem fremden Land gekommen zu sein, nicht. Aber es ist auch ein Teufelskreis. Unter meinen Nachfahren wird sich sicher der eine oder andere finden, der sich als „echter“ Österreicher bezeichnen und die Neuankömmlinge weniger gern haben wird. 

Džananović: Das haben wir jetzt schon bei der aktuellen Flüchtlingsproblematik. Viele MigrantInnen sind total radikal und gegen Flüchtlinge.

Šoše: Gerade deswegen hat die Diskussion um Migranten und Nichtmigranten wenig Sinn, weil es eben auf beiden Seiten solche und solche gibt.

Džananović: Ich komme mit dem Phänomen, dass Kinder, die hier geboren sind, einen so starken Patriotismus zum Ursprungsland ihrer Eltern entwickeln und sich nicht mit Österreich identifizieren, absolut nicht klar.

Šoše: Ich habe da eine Theorie. Und zwar, dass der Nationalismus mit der Entfernung zum Heimatland wächst. Man sagt tatsächlich in Bosnien, dass die größten Nationalisten in der Diaspora leben. Ich glaube, sie können die Vorteile des Lebens in Österreich mit der Liebe zum Ursprungsland nicht in Einklang bringen.

Džananović: Aber bei Kindern lässt sich das doch in eine andere Richtung lenken.

Šoše: Es gibt niemanden, der ihnen erklärt, dass sie sich für die multiple Identität nicht schämen müssen. Kinder sind Opfer von Problemen, mit denen ihre Eltern zu kämpfen haben. Und wenn du in der Schule auch noch der Tschusch bist, dann stärkt das nur noch mehr dein falsches Identitätsdenken. Ständig wird von Werten und Verboten gesprochen, niemand spricht von Aufklärung.

A&W: Stimmen, die hetzen, werden immer lauter. Was kann man dagegen tun?

Šoše: Wir brauchen eine Allianz der Weltoffenen. Wenn diese Menschen lauter werden, dann wird die Vielfalt der Gesellschaft selbstverständlich und die Integrationsdebatte findet hoffentlich eine ganz neue Richtung. So wie sie jetzt geführt wird, hat es absolut keinen Sinn. 

A&W: Die Arbeitsmarktöffnung für Flüchtlinge ist ein Dauerbrenner. Wie stehen Sie dazu?

Kalayci: Flüchtlinge, die keinen Arbeitsmarktzugang haben, müssen im informellen Sektor arbeiten, unter gefährlichen Bedingungen und bei schlechter Bezahlung. Als UNDOK-Anlaufstelle fordern wir gleiche Rechte für AsylwerberInnen. Wer rechtmäßig in Österreich ist, soll auch die gleichen Rechte haben.

Šoše: Wollen wir Menschen, die ganz frisch nach Österreich kommen, integrieren und als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft oder sollen sie Bürger zweiter Klasse werden? Ein „Ein-Euro-Job“ zum Beispiel klingt für mich sehr unterbezahlt. Aber das ist typisch Sebastian Kurz. Seine ständige Verarschungspolitik macht mich richtig sauer. Er denkt wohl, wir (Anmerkung: Migranten) sind Deppen, die aus irgendwelchen Ländern kommen, wo man nichts lernt und auch nicht merkt, wenn man verarscht wird.

A&W: Beobachten Sie noch, was in Ihrer „früheren“ Heimat passiert?

Šoše: Bosnische Politiker sagen zwar, dass sie in Richtung EU arbeiten, tun aber gar nichts. Und wenn ich die Nachrichten aus Bosnien lese, dann deprimiert mich das. Gleichzeitig freue ich mich, seit mehr als 20 Jahren in der EU zu leben.

Kalayci: Ich beobachte täglich die Geschehnisse in der Türkei und muss sagen, dass sie zurzeit sehr weit entfernt von der EU sind. Die Türkei muss kritisiert werden, vor allem wegen den Eingriffen in die Meinungs- und Pressefreiheit.

A&W:  Als was fühlen Sie sich: ÖsterreicherIn? BosnierIn? Türke/Türkin?

Džananović: Schwer zu sagen. Ich hatte eine wunderschöne Kindheit, aber die Zeit vom Krieg birgt zu viele schmerzhafte Erinnerungen. Ich denke, dass dies auch der Hauptgrund ist, warum ich mich auf der Gefühlsebene immer mehr von meiner Erstheimat distanziere und nur in Österreich zu Hause fühle.

Šoše: Ich fühle mich logischerweise als Jugoslawe, weil ich in Jugoslawien aufgewachsen bin. Nicht politisch, sondern aufgrund der Vielfalt. Ein lustiges Erlebnis hatte ich nach dem Krieg in Mostar. Ich trat mit meiner Band in einer Kneipe auf und kam in der Pause mit deutschen UN-Soldaten ins Gespräch. Sie fragten, woher ich komme. Meine Antwort: München. Und das mitten in meiner Heimatstadt.

Kalayci: Ich hatte die Möglichkeit, viel früher nach Österreich zu kommen, tat es aber nicht. Ich war sehr traurig, mein Leben, meine Freunde, meine Arbeit zurücklassen zu müssen. In meinen Gedanken bin ich teilweise hier, teilweise in der Türkei. Österreich kann ich noch nicht als Heimat bezeichnen.

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch führte Amela Muratovic für Arbeit&Wirtschaft.
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