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Zohir, ein kurdischer Syrer in einer Metallbauerausbildung der HWK im Bildungszentrum Butzweilerhof Köln. Zohir, ein kurdischer Syrer in einer Metallbauerausbildung der HWK im Bildungszentrum Butzweilerhof Köln.

Mehr gemeinsam

Schwerpunkt Integration

Deutschland versucht, Flüchtlingen durch mehr Koordination, mehr Personal und Integration in Bildungsprogramme den Einstieg in die Arbeitswelt zu erleichtern.

Der Butzweilerhof liegt im Nordwesten von Köln inmitten eines Gewerbegebiets. „Verlängerte Werkbank“ der rund 33.000 Mitgliedsbetriebe nennt Ulla Schlottow das Bildungszentrum der Kölner Handwerkskammer. Sie koordiniert die vielfältigen Lehrgänge, die dort für verschiedene Zielgruppen angeboten werden, neuerdings auch für Flüchtlinge. Hintergrund dafür ist eine Initiative der Deutschen Bundesregierung, der Bundesagentur für Arbeit und des Zentralverbands des Deutschen Handwerks: 10.000 Flüchtlinge sollen „fit fürs Handwerk“ gemacht werden. Unter dem Motto „Perspektiven für junge Flüchtlinge“ (PerjuF) werden auf der „verlängerten Werkbank“ seit rund einem Jahr eigens eingerichtete Kurse für jugendliche Geflüchtete angeboten. Sie dauern vier bis sechs Monate und sollen die TeilnehmerInnen beruflich auf das duale deutsche Ausbildungssystem vorbereiten. Noch halten sich die TeilnehmerInnenzahlen in Grenzen, der Grund ist die relativ hohe Einstiegshürde: Eine selbstständige Verwendung der deutschen Sprache (B1) wird vorausgesetzt.

Druck, Geld zu verdienen
Im Moment machen die TeilnehmerInnen ihr abschließendes Praktikum in einem Kölner Handwerksbetrieb. „Der nächste Kurs beginnt Ende August“, sagt Schlottow. Ihr bisheriges Fazit fällt sehr positiv aus: „Die KursteilnehmerInnen sind sehr motiviert und viele konnten Fuß fassen.“ Zohir Sourou ist einer der AbsolventInnen des Kurses. Der kurdische Syrer aus Aleppo hat Asylstatus und macht derzeit eine Metallbauerausbildung. Den vorherigen Kurs hat er zunächst nicht fertig gemacht: Als ihm ein Job angeboten wurde, stieg er nach drei Modulen aus. Der Grund: Er wollte heiraten und mehr als den Hartz-IV-Satz verdienen, den er während der Ausbildung erhält. „Das passiert hin und wieder“, bestätigt Ulla Schlottow. Auch in Studien wie „An die Arbeit“ des Berlin-Institutes kommen solche Fälle vor. Die Geflüchteten stehen oft unter großem Druck, Geld zu verdienen, was es mitunter schwer macht, sie von der Wichtigkeit einer abgeschlossenen Ausbildung zu überzeugen.
Zunächst aber gilt es, noch viel einfachere Hürden zu überwinden. Denn die Strukturen und die Bürokratie, die Neuankömmlinge in Deutschland erwarten, sind kompliziert, erst recht, wenn es um die Arbeitssuche geht. Eine große Herausforderung sind die unterschiedlichen Behörden, die zuständig sind. So müssen Flüchtlinge zunächst registriert werden. Nach der Registrierung gilt ein dreimonatiges Arbeitsverbot. In dieser Zeit werden sie aber bereits von der Agentur für Arbeit betreut, die für kurzzeitig Arbeitslose zuständig ist. Sobald Asyl gewährt wurde, kommt eine neue Behörde ins Spiel: das Jobcenter, das grundsätzlich für Langzeitarbeitslose zuständig ist. Hier schlägt zusätzlich der deutsche Föderalismus zu: Die Arbeitsagentur ist eine Einrichtung des Bundes, die Jobcenter wiederum unterstehen den Kommunen. In Nordrhein-Westfalen hat man deshalb Integration-Points geschaffen, die möglichst fließende Übergänge ermöglichen sollen. Dazu sitzen nun die Zuständigen der Arbeitsagenturen und Jobcenter in benachbarten Büros auf einem Flur. Zudem wurden die Kapazitäten erhöht: Bundesweit haben 2.800 neue MitarbeiterInnen in den Jobcentern und 800 in den Arbeitsagenturen mit der Arbeit begonnen. Betreut werden aktuell 321.710 geflüchtete Menschen, davon sind 140.587 offiziell arbeitslos, das heißt, sie haben alle nötigen Berechtigungen. Einmal anerkannt, sind Flüchtlinge Deutschen gleichgestellt, und zwar auch was den Mindestlohn angeht.

Beratung der Firmen
Auch in anderen Bereichen haben geflüchtete Menschen direkt und indirekt viele neue Jobs geschaffen. Allein im öffentlichen Dienst wurden laut „Handelsblatt“ bundesweit 24.000 neue MitarbeiterInnen eingestellt. Viele Jobs entstehen darüber hinaus bei Bildungsträgern, Sprachschulen, Sicherheitsfirmen, Wohlfahrtsverbänden und im Bausektor. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht. Auch die „verlängerte Werkbank“ der Kölner Handwerkskammer hat Zuwachs bekommen: Ulla Schlottow hat drei neue Leute eingestellt und seit 1. Juli berät ein Willkommenslotse der Handwerkskammer Firmen in Sachen Ausbildung und Integration. Bundesweit gibt es 140 solcher LotsInnen, 2017 soll es weitere 150 geben. Geschaffen wurden sie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), das 70 Prozent der Kosten übernimmt. Einen solchen Lotsen hat auch die Industrie- und Handelskammer Köln. Deren Stiftung hat ihr Programm erweitert: Mit den Kursprogrammen AusbildungsReife und ArbeitsplatzReife kümmert man sich zusätzlich um geflüchtete Jugendliche bzw. Erwachsene. „Drei Leute haben wir seit Ende 2015 dafür eingestellt“, erzählt Stiftungsleiter Christopher Meier. Geschäftsführerin Tina Riepel ergänzt: „Seit 1.November 2015 absolvierten je zehn Jugendliche je fünf Kurse des Programms AusbildungsReife.“ Man habe die Kurse bewusst klein halten wollen. 115 über 25-jährige Geflüchtete nahmen an den ArbeitsplatzReife-Kursen teil. Diese Kurse sind eine Kombination aus praxisbezogenem Sprachkurs und Qualifizierungspraktika.
Erneut gibt es mit dem B1-Sprachniveau eine hohe Einstiegshürde, dazu kommt, dass die Flüchtlinge eine gute Bleibeperspektive haben müssen. Das Sprachniveau habe man höher angesetzt, erklärt Riepel, denn: „Das Angebot an Grundlagenkursen ist schon sehr groß.“ Ihr Fazit: „Die TeilnehmerInnen sind mit großer Ernsthaftigkeit dabei. Die Anschlussperspektive ist sehr gut, 80 bis 85 Prozent haben direkt eine Ausbildung begonnen oder Vergleichbares.“ Oft fehlt gerade den Leuten, die schon Ausbildungen oder Arbeitserfahrung haben, wenig, um den üblichen Ausbildungsstandards in Deutschland zu genügen. Nützlich ist dabei eine vom BMWi schon 2011 geschaffene preisgekrönte Internetplattform:
www.bq-portal.de. Hier kann man sich über Berufs- und Ausbildungsstandards in einzelnen Ländern kundig machen bzw. über spezifische deutsche Regelungen und Fördermaßnahmen.
Erleichternd soll das neue Integrationsgesetz wirken. Demnach ist in 133 von 156 Bezirken der Arbeitsagentur die Vorrangprüfung abgeschafft, also der Nachweis, dass es keine/n gleich gut qualifizierte/n InländerIn gibt. Außerdem ist auch für jene mit prekärem Status nunmehr der Aufenthalt während der Ausbildung und danach gesichert.

Brücken und Netzwerke
Alle genannten Maßnahmen haben eines gemeinsam: Sie bauen auf bestehenden Strukturen auf und sind zusätzliche Angebote für geflüchtete Menschen, also keinem „Inländer“ wird etwas weggenommen. Mitunter werden Flüchtlinge auch in bestehende Initiativen integriert, wie zum Beispiel im Kölner Bildungsmodell, einem modularen Ausbildungssystem für Langzeitarbeitslose, oder in der Sommerakademie der Handelskammer-Stiftung für Jugendliche, die schulische Probleme haben. Dort, so erzählt Tina Riepel, haben in diesem Sommer auch fünf Flüchtlinge teilgenommen – mit großem Erfolg, besonders auf menschlicher Ebene, denn daraus sind viele Freundschaften entstanden.
Für besonders wichtig hält Riepel zudem die neue, teils informellere und vereinfachte Art der Zusammenarbeit, sowohl zwischen Institutionen und Behörden, vor allem aber mit Graswurzelinitiativen und ehrenamtlich Tätigen, die unglaublich wertvolle Arbeit leisten. Es braucht „Brücken“, meint Riepel und meint damit sowohl Programme wie das ihre, aber auch die intensive Kooperation und Kommunikation aller Beteiligten. Außerdem nimmt sie wahr, wie sehr sich Flüchtlinge, die schon etwas Fuß fassen konnten, sich für Neuankömmlinge einsetzen, oft als ÜbersetzerInnen. Auch so entstehen Netzwerke. Auch Schlottow vom Butzweilerhof betont: „Ein schöner Nebeneffekt ist der starke Gruppenzusammenhalt, enge Freundschaften entstehen, die Jugendlichen unterstützen sich gegenseitig im Alltag, obwohl sie aus ganz verschiedenen Ländern kommen.“
An einer Tatsache aber kommt man auch in Deutschland nicht vorbei: Die Integration von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt braucht einfach Zeit. Die Unternehmen seien willig, mitunter müsse man aber eine gewisse Ungeduld besänftigen, meint Christoph Meier von der Handelskammer. „Es ist ein Marathonlauf, aber es ist machbar, mitunter braucht es halt mehr Aufwand. Ich sehe nicht, warum das nicht funktionieren soll“. Zohir Sourou, der Syrer aus Aleppo vom Butzweilerhof, wurde nach einem halben Jahr betriebsbedingt gekündigt, er beendet nun die restlichen Ausbildungsmodule in der Handwerkskammer. Fast, erzählt er, wäre er Übersetzer geworden, oft hat er in den letzten Monaten ausgeholfen (er spricht sieben Sprachen). Doch eigentlich hatte er immer einen Traum: Er wollte Metallbauer werden.

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