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Symbolbild zur Volkskrankheit Überstunden Volkskrankheit Überstunden: 67 Prozent der VielarbeiterInnen leiden unter Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich.

Wie viel ist zu viel?

Schwerpunkt Arbeitszeit

Überstunden bringen Geld und puschen die Karriere. Doch wer häufig länger als 40 Stunden arbeitet, riskiert unter Umständen seine Gesundheit.

Es muss nicht gleich das viel zitierte Burn-out sein oder ernsthafte Herz-Kreislauf-Probleme: Beschäftigte, die regelmäßig mehr als 40 Stunden arbeiten, fühlen sich deutlich häufiger matt oder erschöpft. Auch Beschwerden wie Herzrasen, Druck auf der Brust, Augenbrennen oder Magenbeschwerden kommen öfter vor als bei den KollegInnen, die weniger arbeiten. An der Spitze der Überstunden-Beschwerden stehen Muskelverspannungen im Schulter- und Nackenbereich: 67 Prozent der VielarbeiterInnen leiden darunter. Bei bis zu 40 Wochenstunden sind es 58 Prozent.

Wohlbefinden der Beschäftigten

Vor fast 20 Jahren, im Februar 1998, wurde in Frankreich eine Arbeitszeitreform beschlossen, die schrittweise zur 35-Stunden-Woche führen sollte. Über die Auswirkungen dieser Arbeitszeitverkürzung auf den Arbeitsmarkt wird nach wie vor heftig diskutiert, mittlerweile arbeiten französische ArbeitnehmerInnen 40,5 Stunden. Doch wenn es nach dem Wohlbefinden der Beschäftigten gehen sollte, so wäre die 35-Stunden-Woche besser: Im Jahr 1999 wurden in einigen Betrieben, die bei vollem Lohnausgleich von 39 auf 35 Stunden reduziert hatten, die Beschäftigten befragt. 85 Prozent empfanden die Verkürzung der Arbeitszeit als persönliche Verbesserung. Ein interessanter Nebenaspekt: Weniger Männer rauchten. Die positiven Effekte von Arbeitszeitverkürzungen werden nicht selten als graue Theorie abgetan, denn weniger Wochenstunden bedeuten zwar mehr Freizeit, aber unter Umständen am Arbeitsplatz auch mehr Druck durch Verdichtung und Beschleunigung. Trotz aller Kontroversen gibt es eindeutig positive Effekte. Eine aktuelle schwedische Studie erforschte die Veränderungen in puncto Schlafqualität in einer Art Feldversuch: Rund 350 Beschäftigte im öffentlichen Sektor reduzierten 18 Monate lang ihre Arbeitszeit um 25 Prozent (bei vollem Lohnausgleich). Ihre Schlafqualität verbesserte sich, Schläfrigkeit und Stressempfinden reduzierten sich deutlich, und zwar sowohl an Arbeitstagen als auch in der Freizeit. Diese Effekte hielten auch Monate danach an.
Auch in einem Pflegeheim in Göteborg wollte man beweisen, dass kürzere Arbeitstage tatsächlich funktionieren. Deshalb versuchte man es dort für zwei Jahre mit dem 6-Stunden-Tag. Die Effekte waren durchwegs positiv: Krankenstände wurden um zehn Prozent reduziert, das persönliche Gesundheitsgefühl der Pflegebeschäftigten stieg beträchtlich, und auch die Menschen im Pflegeheim fühlten sich besser betreut. Zwar mussten zusätzlich 15 Pflegekräfte eingestellt werden, die rund 630.000 Euro im Jahr kosteten. Rund die Hälfte dieser Ausgaben wurde allerdings durch den Rückgang bei den Krankenständen und Ausfallszeiten kompensiert.
Aktuelle Daten zu den positiven gesundheitlichen Auswirkungen von derart verkürzten Arbeitszeiten ohne Einkommenseinbußen sind begreiflicherweise spärlich, denn in der Regel erfolgen diese stufenweise und langsam. Deutlich mehr Untersuchungen gibt es zu den Effekten von Überstunden und langen Arbeitszeiten. Im Jahr 2010 ergab eine finnische Langzeitstudie mit mehr als 6.000 Büroangestellten im Alter von 35 bis 55: Wer elf oder mehr Stunden täglich arbeitete, hatte ein um 60 Prozent höheres Risiko für schwerwiegende Herzprobleme als KollegInnen mit 8-Stunden-Tagen. Diese Ergebnisse sind bereits um Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht etc. bereinigt.

Vielfältige Risiken

In Deutschland beschäftigte sich der Fehlzeiten-Report mit „Gesundheit in der flexiblen Arbeitswelt“. Die Ergebnisse:

  • Beschäftigte mit irregulären und komprimierten Arbeitszeiten (z. B. in 10-Stunden-Schichten) haben um bis zu 40 Prozent mehr Gesundheitsbeeinträchtigungen als Beschäftigte mit regulären Arbeitszeiten.
  • Eine zusätzliche Belastung durch Bereitschaftszeiten entsteht, wenn das Arbeitsaufkommen in der Bereitschaftszeit in der Arbeitszeitplanung nicht berücksichtigt wird.
  • Wer nach einem 12-Stunden-Arbeitstag nach Hause fährt, hat ein doppelt so hohes Unfallrisiko wie nach acht Stunden. Verstärkend wirken besonders fordernde, anstrengende Arbeitsbedingungen, unter anderem Nachtarbeit.

Gut erforscht sind die gesundheitlichen Risiken durch Schicht- und Nachtarbeit. Egal ob Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Verdauungsprobleme: Gesundheitliche Beschwerden sind bei Beschäftigten mit Schichtdienst schon ohne Mehrarbeit deutlich häufiger. Überstunden sind für diese Gruppe daher besonders belastend. Die jüngste Befragung „Gesundheitsrisiko Arbeitsplatz“ der Statistik Austria bestätigt, dass lange Arbeitszeiten die Psyche enorm belasten. Je mehr Überstunden geleistet werden, desto höher ist der Anteil der Erwerbstätigen mit mindestens einer psychischen Belastung. Bei Beschäftigten mit zehn oder mehr geleisteten Überstunden im Vormonat der Befragung gaben beinahe sieben von zehn Personen zumindest eine psychische Belastung in ihrer Arbeit an.
Ende 2016 veröffentlichte FORBA den Forschungsbericht „Flexible Arbeitszeiten – die Perspektive der ArbeitnehmerInnen“, in dem auch die Effekte von Überstunden untersucht wurden:

  • Befragte, die mindestens einmal pro Woche mehr als zehn Stunden arbeiten, geben doppelt so häufig arbeitsbedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen an wie Personen, die nie länger als zehn Stunden arbeiten.
  • Mit zunehmendem Alter steigt die Belastung: 42 Prozent der über 50-Jährigen, die mehrmals pro Monat mehr als 50 Wochenstunden arbeiten, sehen einen Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und (starker) gesundheitlicher Beeinträchtigung. Bei den 16- bis 35-Jährigen sind das nur 24 Prozent.

Durchhalten bis zur Pension?

Für Mehrarbeit und Überstunden gibt es neben finanziellen Motiven viele Gründe: Man identifiziert sich mit den Zielen des Unternehmens, verspricht sich bessere Karrierechancen, langfristige Projekte müssen abgeschlossen werden, KollegInnen fallen für längere Zeit aus etc. Nicht selten ist es auch Teil der Firmenkultur, seine Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft durch Sitzfleisch zu beweisen und die in All-in-Verträgen vereinbarte Stundenzahl noch zu toppen.
FORBA befragte VielarbeiterInnen, die mit ihrem Gesundheitszustand an sich (überraschend) zufrieden waren, nach der Wahrscheinlichkeit, dass sie die Tätigkeit bis zur Pensionierung ausüben. Hier ergab sich ein weniger positives Bild: 26 Prozent halten dies für wenig bis gar nicht wahrscheinlich. Dieser Anteil ist deutlich höher als bei den Personen mit gar keinen oder wenig Überstunden, wo er bei 14 Prozent liegt.
269 Millionen Über- und Mehrstunden wurden 2014 in Österreich geleistet, mehr als ein Fünftel davon gratis. Selbst bei Lehrlingen unter 18, für die Überstunden verboten sind, leistet laut Lehrlingsmonitor jede/r dritte regelmäßig Überstunden. Egal ob freiwillig aus Spaß an der Sache oder aus anderen Motiven: Ähnlich wie auch Hobbysport zu Verletzungen, Überbeanspruchung und Überlastung führen kann, kann freiwillige Arbeit irgendwann der Gesundheit schaden.

Linktipp:
FORBA-Studie „Flexible Arbeitszeiten – die Perspektive der ArbeitnehmerInnen“:
tinyurl.com/ycsusl7h

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at 

INFOBOX
Arbeitszeitbilanz

Sobald Schlafstörungen länger als ein paar Tage andauern, bisher unbekannte Beschwerden wie Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen und Ähnliches auftreten und/oder sich bereits bestehende Probleme wie Muskelverspannungen merklich verschlechtern, sollten Sie auf die Bremse treten. Auch Bemerkungen wie „Kannst du nur noch über die Firma reden?“ von Familie und Freundeskreis sind deutliche Warnzeichen.
Im Betrieb ist das Erstellen einer Arbeitszeitbilanz ein gutes Mittel, um Arbeitsbelastungen auf die Spur zu kommen. Dabei werden die Soll-Arbeitszeiten (= die vereinbarten Arbeitszeiten) der Beschäftigten, die Ist-Arbeitszeiten sowie die nicht verbrauchten Urlaube und Zeitgutha-ben überprüft. Fallen in bestimmten Abteilungen über Monate hinweg Überstunden an und wird kaum Urlaub verbraucht? Gründe für das Nichteinhalten der Normalarbeitszeit gibt es viele, die Arbeitszeitbilanz schafft eine gute Basis, um sich mit den Ursachen von Arbeitszeitüberschreitungen auseinanderzusetzen und Maßnahmen auszuarbeiten, um Belastungen auszugleichen. Idealerweise werden Arbeitszeitbilanzen nicht ad hoc auf Initiative des Betriebsrates erstellt, sondern mindestens einmal jährlich, etwa auf Basis einer Betriebsvereinbarung (zur Burn-out-Prävention o. Ä.).

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