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Mythos der sozialen Hängematte

Schwerpunkt Populismus

Nützen Flüchtlinge und MigrantInnen das Sozialsystem aus? Studien entkräften dies mit Zahlen und Fakten.

Der Flüchtlingsstrom, der im Herbst 2015 seinen Höhepunkt erreichte, stellt Politik und Gesellschaft vor neue Herausforderungen. In der Praxis bedeutet das öffentlich geförderte Unterkünfte für AsylwerberInnen sowie Mittel aus dem Budget für die Grundversorgung, in weiterer Folge müssen Rahmenbedingungen für eine positive Integration geschaffen werden. Dies wird begleitet durch eine intensive öffentliche Diskussion. Stammtisch-Gespräche über „unsere Werte“ tragen auch nicht gerade zur Entspannung bei. Gerne wird auch das Bild der Billa-Verkäuferin genommen, die den ganzen Tag an der Kassa sitzt und weniger bekommt als ein „Flüchtling, der auf Kosten unserer Steuergelder lebt“. Fälschlicherweise entsteht so der Eindruck, dass Flüchtlinge mehr Geld erhalten als manche ÖsterreicherInnen, die arbeiten gehen.

Falsche Zahlen
Laut European Social Survey glauben 30 Prozent der österreichischen Bevölkerung, dass Zugewanderte mehr Sozialleistungen erhalten, als sie zur Finanzierung der Leistungen beitragen. Die Meinung, AusländerInnen seien NettoempfängerInnen von Sozialleistungen, ist in Österreich im Europavergleich am stärksten ausgeprägt.
Nur sieben Prozent glauben, dass AusländerInnen mehr ins Sozialsystem einzahlen, als sie an Leistungen bekommen.

Wer hat recht?
Das Sozialministerium ging gemeinsam mit dem Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung dieser Frage nach. Die Analyse legt Fakten auf den Tisch, die nicht nur bei Stammtisch-Debatten, sondern auch in der Politik notorisch ignoriert werden. Die Auswertung der statistischen Daten für das Jahr 2015 belegt, dass AusländerInnen mehr ins Sozialsystem einzahlen, als sie erhalten. ÖsterreicherInnen bekommen um 7,1 Milliarden Euro mehr, als sie einzahlen. Bei AusländerInnen ist das Verhältnis umgekehrt: Sie zahlen um 1,6 Milliarden Euro mehr in den Sozialtopf ein, als sie Geld erhalten.
Die Forschungsgesellschaft Joanneum Research untersuchte ebenfalls, in welchem Ausmaß AsylwerberInnen die öffentlichen Haushalte belasten und welche Auswirkungen sich daraus für Wirtschaft und Arbeitsmarkt ergeben. Im Auftrag des Österreichischen Roten Kreuzes und der Caritas hat die Joanneum Research Erwerbskarrieren der rund 65.000 Asylberechtigten für die Jahre 2000–2015 erfasst. Die Studie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.

Investitionen in Bildung nötig
Damit auch künftig eine positive Bilanz überwiegt, fordert Gerald Schöpfer, Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes, konkrete Maßnahmen: „Der Beitrag, den Asylberechtigte durch ihre Arbeit für die Wirtschaft leisten, ist zwar positiv. Damit das so bleibt, ist es aber dringend nötig, mehr in Bildung zu investieren: in neue Kurse und Angebote für diese Menschen, die sich auf dem Arbeitsmarkt besonders schwertun – und zwar besonders für die Jungen und schlecht Qualifizierten. Asylberechtigte müssen früher in den Arbeitsmarkt integriert werden.“
Gemeinsam ist beiden Studien, dass sie vor der Wanderungsbewegung des Jahres 2015 durchgeführt wurden. „Im Moment fallen zweifellos Kosten für Grundversorgung und in weiterer Folge Mindestsicherung an“, räumt der Geschäftsführer der Volkshilfe Österreich, Erich Fenninger, auf A&W-Anfrage ein. „Nachdem es sich bei Österreich um eine stark überalterte Gesellschaft handelt, werden wir die zusätzlichen Arbeitskräfte langfristig brauchen, um den Wohlstand in Österreich sicherstellen zu können.“

Erzwungenes Nichtstun
Die Volkshilfe betreut seit Jahrzehnten AsylwerberInnen. Dabei erleben die MitarbeiterInnen täglich, wie Menschen das lange Warten und das erzwungene Nichtstun enorm belastet. „Sie fiebern dem Moment entgegen, in dem sie arbeiten dürfen, sich selbst erhalten können und darauf auch stolz sind. Das ist nicht immer leicht, aber die meisten Asylberechtigten sind höchst motiviert, nehmen auch sehr schlecht bezahlte Jobs an und erhöhen oft auch die Selbstständigenquote“, weiß Fenninger aus der Praxis. Die „soziale Hängematte“ sei bei näherer Betrachtung gar keine, sondern einfach ein Vorurteil. Auf die Frage, was an dem Argument „viele Migranten würden lieber Mindestsicherung beziehen als arbeiten gehen“ daran sind, sind sich ExpertInnen einig: Nicht die Mindestsicherung ist zu hoch, sondern die Löhne in vielen Branchen sind einfach zu niedrig. Das gilt für österreichische StaatsbürgerInnen genauso wie für MigrantInnen und AsylwerberInnen: „Daher sind die Bestrebungen, für eine Vollzeitstelle zumindest 1.500 Euro als Mindestlohn zu fixieren, ein Schritt in die richtige Richtung“, so Fenninger.
„Von einer Vollzeitstelle soll man leben können, bei den derzeitigen Mieten ist das oft nicht der Fall“, kritisiert er. Die derzeitige Höhe der Mindestsicherung sei am untersten Limit, gerade genug, um ein Überleben zu sichern. Zudem wird die Mindestsicherung nur zwölfmal im Jahr ausbezahlt, während in den meisten Kollektivverträgen ein steuerbegünstigtes Urlaubs- und Weihnachtsgeld festgelegt ist.
Auch Christoph Riedl, der seit über 20 Jahren bei der Diakonie im Flüchtlingsdienst tätig ist, findet, dass in der Diskussion vieles durcheinandergebracht wird: „Man darf nicht die Mindestsicherung mit der Grundversorgung verwechseln.“ Ersteres sei für anerkannte und subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge, zweiteres für AsylwerberInnen. Auch werde in der politischen Debatte meist eine mehrköpfige Flüchtlingsfamilie mit einer Einzelperson (in Form eines österreichischen Pensionisten) verglichen. Das sei wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

Kosten des Nichthandelns
1,7 Milliarden hatte das Finanzministerium für die Flüchtlingskosten im Jahr 2017 veranschlagt. Der Fiskalrat geht allerdings davon aus, dass diese auf 2,7 Milliarden Euro steigen werden. Auch wenn aufgrund deutlich weniger Asylanträge die Kosten für die Grundversorgung zurückgehen, steigen die Zahlungen für die Mindestsicherung. Nichtsdestotrotz plädiert Fiskalrat-Präsident Bernhard Felderer für weitere Integrationsmaßnahmen.
Ähnlich sieht es der AK-Budgetexperte Tobias Schweitzer: „Wesentlicher als die simple Kostenbetrachtung ist die Analyse der Kosten des Nichthandelns. Je besser und schneller die Integration der Geflüchteten gelingt, desto geringer sind die Kosten und desto größer wird auch ihr Beitrag zum Wirtschaftswachstum sein.“

Stammtischgerüchte
Die kurzfristige Euphorie im Herbst 2015, als viele Flüchtlinge Österreich erreichten, ist längst umgeschlagen. Das bekommt etwa auch die Caritas zu spüren, die oft mit Falschmeldungen konfrontiert ist. Sei es am Stammtisch oder auf Facebook: Immer wieder kursieren Gerüchte, bei der kirchlichen Hilfsorganisation würden Handys, Laptops oder Markenkleidung an Geflüchtete verschenkt. So heißt es, dass der Handyverkäufer kein Geld, sondern nur eine Karte der Caritas vorgelegt bekomme und daraufhin dem Asylwerber ein teures Smartphone aushändige.
Als im Wahlkampf die Gerüchteküche wieder einmal überkochte, reagierte die Caritas erneut mit einem offiziellen Dementi: „Weil uns diese Gerüchte in letzter Zeit wieder verstärkt zu Ohren kommen: Nein, wir verschenken keine Handys, keine Bordellgutscheine, keine Zahn- oder Brustimplantate und auch keine rosa Einhörner.“ Bei den Flüchtlingsankünften 2015 und 2016 zählte Österreich europaweit zu den am stärksten involvierten Ländern bei der Aufnahme. Die meisten Menschen, die in Österreich in den vergangenen Jahren um Asyl ansuchten, kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Im Jahr 2016 wurden in Österreich über 40 Prozent der Asylanträge positiv entschieden. 70 Prozent der positiven Asylbescheide gingen an Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Laut einer OECD-Studie gibt Österreich weniger Geld für Asylwesen aus als etwa Deutschland oder Schweden. Im Übrigen zahlt auch die Türkei – gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) – prozentuell deutlich mehr.

Studien:
tinyurl.com/yb5eoxwp
„AusländerInnen und der Sozialstaat Österreich“:
www.sozialministerium.at
 
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irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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