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Hunderttausende DemonstrantInnen protestierten gegen die umstrittene Arbeitsmarktreform von Präsident Emmanuel Macron.

Die Erfolgsformel

Schwerpunkt Betriebsrat

Einflussreiche BetriebsrätInnen wie in Österreich gibt es sonst nur in Deutschland und den Niederlanden. Worin liegen die Stärken der Belegschaftsvertretung?

Im vergangenen Herbst ging es auf den Pariser Straßen heiß her. Hunderttausende DemonstrantInnen protestierten gegen die umstrittene Arbeitsmarktreform von Präsident Emmanuel Macron. Landesweit fanden 200 Demonstrationen statt, zu denen die führende Gewerkschaft CGT aufgerufen hatte. Transparente mit „Faulenzer aller Länder, vereinigt euch“-Sprüchen wurden hochgehalten, als Anspielung auf Macrons Hardliner-Kurs, „Faulenzern und Zynikern“ keine Zugeständnisse zu machen. Die Proteste richteten sich gegen Lockerungen im Arbeitsrecht, Aufweichung des Kündigungsschutzes und Zusammenlegungen von ArbeitnehmerInnenvertretungen.

Neidiger Blick auf Österreich
Anders als in Österreich gibt es in Frankreich oder Großbritannien fast keine festgeschriebenen Rechte mehr, diese wurden im Zuge umfassender Reformen aufgehoben. In diesen Ländern kommt es also darauf an, wie stark die Gewerkschaft ist. Viele Gewerkschafter blicken von daher geradezu neidisch nach Österreich, wie Oliver Röpke aus seiner Arbeit in Brüssel weiß, wo er als Leiter des ÖGB-Europabüros täglich mit KollegInnen aus anderen Ländern zu tun hat. „Das Modell von Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft, wie es in Österreich sowohl auf betrieblicher Ebene als auch durch die SozialpartnerInnen gelebt wird, ist eines der erfolgreichsten in Europa“, bestätigt er.
Die Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen ist in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich ausgeprägt, aber inzwischen zu einem wichtigen Bestandteil des europäischen Sozialmodells geworden, berichtet Röpke. „Deswegen verteidigt der ÖGB bei neuen europäischen Unternehmensformen die österreichischen Mitbestimmungsstandards. Erst kürzlich ist dies erfolgreich gelungen, denn die EU-Kommission musste ihren Vorschlag für eine ‚Europäische Einpersonengesellschaft‘ nach langer gewerkschaftlicher Kritik schließlich zurückziehen.“

Große Kluft
Die Rechte der ArbeitnehmervertreterInnen klaffen in Europa weit auseinander. Die Mitbestimmung kann dabei so weit gehen wie in Österreich und Deutschland, dass diese an unternehmerischen Entscheidungen und der Einsetzung des Managements beteiligt werden müssen. In den meisten Ländern gibt es eine Betriebsvertretung nur in Unternehmen mit mehr als 35 MitarbeiterInnen. In Ländern wie zum Beispiel Deutschland, Frankreich, Österreich oder Belgien wird die Mitbestimmung vom Gesetzgeber vorgegeben, in anderen Ländern wird sie im Betrieb zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen ausgehandelt.
„Betriebsräte als gewählte autonome Belegschaftsvertretung auf gesetzlicher Grundlage gibt es außer in Österreich nur in Deutschland und in den Niederlanden. Betriebsräte in Österreich und Deutschland sind auf die große Demokratiebewegung nach 1918 zurückzuführen“, gibt Historikerin Brigitte Pellar einen geschichtlichen Einblick. Das österreichische Betriebsrätegesetz von 1919 war laut Pellar weltweit das erste, an dem sich später das deutsche Modell orientierte.

Besorgniserregende Entwicklung
„Faschistische Regime dulden natürlich keine demokratische Mitbestimmung. In Österreich wurden die Betriebsräte ab 1934 in ‚Werksgemeinschaften‘ unter Vorsitz eines Unternehmensvertreters bzw. einer Unternehmensvertreterin umgewandelt. Unter nationalsozialistischer Herrschaft verschwanden sie ganz und wurden durch eine soziale Belegschaftsorganisation im Rahmen der Deutschen Arbeitsfront ersetzt“, so Pellar. Das neue Betriebsrätegesetz konnte erst 1947 beschlossen werden. Die Historikerin zeigt sich ebenfalls über die aktuelle Entwicklung besorgt: „Die Absicht der österreichischen Politik, die Bedeutung der überbetrieblichen Kollektivverträge zu unterlaufen und betriebliche Vereinbarungen in den Vordergrund zu stellen, würde die Rolle der Betriebsräte als ‚Wächter der Kollektivverträge‘ praktisch unwirksam machen und sie dem Druck von oben im Unternehmen aussetzen.“ Erhöhte Wachsamkeit sei notwendig: „Überall dort, wo ein solcher Weg beschritten wurde, sind Lohnniveau und Arbeitsbedingungen in sehr kurzer Zeit deutlich schlechter geworden.“
In Österreich wird im Vergleich zu Frankreich wenig gestreikt. Auch in Italien, Spanien oder Belgien steigt man weit häufiger auf die Barrikaden. So blicken auch internationale Unternehmen mit Neid auf den sozialen Frieden in Österreich. „Wir sind seit Jahrzehnten einen hohen Grad an sozialpartnerschaftlichem Grundkonsens gewohnt. Die offene Austragung von Konflikten wird nur als das letzte Mittel gesehen“, erklärt der Internationale Sekretär der GPA-djp, Wolfgang Greif. „Für Arbeitgeber und ArbeitnehmerInnen steht die Kooperation im Vordergrund. Das gilt nicht nur bei Kollektivverhandlungen, sondern auch im Betrieb und Unternehmen.“  

Gute rechtliche Grundlagen
Warum funktioniert hierzulande die Belegschaftsvertretung besser als in vielen anderen EU-Ländern? „Nicht zuletzt, weil es gute rechtliche Grundlagen für die Betriebsratsarbeit gibt. Das Arbeitsverfassungsgesetz enthält umfangreiche Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte“, weiß Greif aus der Praxis. Ein Betriebsrat kann in Österreich in allen Betrieben ab fünf Beschäftigten eingerichtet werden und wird von der Belegschaft für fünf Jahre gewählt. Der Betriebsrat hat nicht nur in sozialen und personellen, sondern auch in wirtschaftlichen Fragen das Recht zur Unterrichtung und Anhörung. In einigen Fällen – etwa im Bereich der Arbeitsorganisation – bedarf eine Unternehmensentscheidung der Zustimmung des Betriebsrates. Dazu kommt in Kapitalgesellschaften auch noch die Mitwirkung der Betriebsräte bei der Unternehmensführung in den Aufsichtsräten. Der Betriebsrat ist somit nicht nur Schutzinstanz für Beschäftigte etwa bei Kündigungen, sondern auch deren Fürsprecher in der Unternehmensführung.
Auch wenn der Betriebsrat als wichtigstes Organ der ArbeitnehmerInnenvertretung im Betrieb als solches kein Gewerkschaftsorgan ist, so basiert die gewerkschaftliche Arbeit in enger Zusammenarbeit. Die überwiegende Mehrheit des Betriebsrats gehört einer Gewerkschaft an.
Eine zweite Besonderheit in Österreich ist, wie Greif betont, dass für mehr als 95 Prozent aller Beschäftigten die Gehaltserhöhungen über Kollektivverträge von den Gewerkschaften ausgehandelt werden. Das nimmt Druck vom Betriebsrat.

Schwächung bewährter Strukturen
Die neue türkis-blaue Regierung plant unter dem Deckmantel des Bürokratieabbaus – Stichwort Zusammenlegung von Betriebsratskörperschaften bis hin zur Abschaffung eigenständiger Jugendvertrauensräte –, bewährte Strukturen zu schwächen. Darüber hinaus sollen bislang überbetriebliche und konfliktbeladene Bereiche wie flexible Arbeitszeitregelung in den Betrieben selbst verhandelt werden.
GPA-djp-Sekretär Greif warnt vor diesem neuen Reform-Wahn und erinnert an die heimische Stärke: „Der soziale Frieden ist einer der größten Standortvorteile Österreichs, der von Arbeitgebern hochgehalten wird und den man unbedingt pflegen soll.“ Es bleibt laut Greif abzuwarten, wie künftig mit dem bewährten Set des Interessenausgleich zwischen Wirtschaft und Politik umgegangen wird: „Das fängt beim Umgang mit der Arbeiterkammer an und setzt sich dort fort, wo mehrere Betriebsratskörperschaften als zu viele erachtet werden.“ Seit über 50 Jahren herrscht ein Grundkonsens darüber, dass eine starke Stimme der ArbeitnehmerInnen mitverantwortlich für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens ist. „Andere Länder haben uns stets um diesen sozialpartnerschaftlichen Konsens beneidet – in der Politik, in der Wirtschaft und in den Unternehmen. Wenig überraschend, dass vielerorts Kopfschütteln darüber vorherrscht, dass sich die neue Regierung davon verabschieden will und damit viel riskiert“, resümiert Greif.

Weiterführende Links:
etui.org
www.boeckler.de

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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