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Europäisches Parlament in Straßburg

Business as usual trotz Skandalen

Schwerpunkt Europa

Wie Großkonzerne die EU-Gesetzgebung beeinflussen und welche Politik im Interesse der BürgerInnen notwendig wäre.

Fast fünf Jahre ist es her, dass die EU-Politik von einem riesigen Skandal erschüttert wurde: Gerade rechtzeitig zur Bestellung von Jean-Claude Juncker als EU-Kommissionspräsident wurde bekannt, dass Luxemburg Konzernen wie Amazon, Apple, Ikea oder Pepsi über Jahre umfangreiche Steuervergünstigungen eingeräumt hat.

Verluste für die anderen
Für viele EU-Mitgliedstaaten bedeuteten die luxemburgischen Agreements Steuerverluste in Milliardenhöhe, weil Konzerne und Superreiche ihre Gelder nach Luxemburg transferierten, um die Zahlung von Steuern in ihren ursprünglichen Sitzländern zu umgehen. Juncker, der als langjähriger luxemburgischer Premierminister die Steuervergünstigungen zu verantworten hatte, geriet durch diesen Skandal stark unter Druck. Er gelobte, als Kommissionspräsident für mehr Transparenz zu sorgen und den aggressiven Steuervermeidungstricks der Konzerne ein Ende zu bereiten.

Pläne zur Regulierung
Jean-Claude Juncker hat in den vergangenen Jahren tatsächlich einige Maßnahmen gesetzt, um die Umgehung der Gewinnsteuerzahlungen durch Konzerne zu erschweren. So hat die Europäische Kommission Folgendes vorgeschlagen: Unternehmen sollten verpflichtet werden, ihre Gewinne für alle Mitgliedsländer offenzulegen, in denen sie wirtschaftlich tätig sind. Transparenz sollte kreative Steuersparmodelle unterbinden.
Die Pläne der Kommission haben jedoch sehr rasch die Wirtschaftslobby auf den Plan gerufen, wie eine neue Studie zeigt, die von der Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO) in Kooperation von Arbeiterkammer und ÖGB durchgeführt wurde. Ganz vorne mit dabei: Die vier größten Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaften Deloitte, Ernst & Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers (PwC) – die „Big Four“ der Branche. Ihr Geschäft ist es, ihren KundInnen Steuersparmodelle zu verkaufen. Gleichzeitig profitieren sie als Großkonzerne selbst davon.

Steuervermeidung
Die Studie stellt penibel dar, wie die Big Four bei der Politik im Sinne der Steuervermeidung eingreifen. Noch bevor die Kommission ihren Rechtsvorschlag für mehr Transparenz vorgelegt hatte, betonte Ernst & Young, dass wirtschaftlich sensible Informationen von der Veröffentlichungspflicht ausgenommen werden sollten. Deloitte wiederum forderte eine Freiwilligkeit bei der Umsetzung des Rechtsakts. Die Versuche der Big Four, bereits den Kommissionsvorschlag zu verwässern, verfehlten ihr Ziel. Infolge der Veröffentlichung der Panama Papers, ein Konvolut an Dokumenten über Steuervermeidung von Konzernen, PolitikerInnen und Prominenten, schlug die Kommission verbindliche Offenlegungspflichten für Unternehmensgewinne vor.
Daraufhin lobbyierten die Big Four im Europäischen Parlament. Die massiven Interventionen bei EU-Abgeordneten führten zum gewünschten Erfolg: Einige MandatarInnen der Europäischen Volkspartei und der Liberalen brachten Änderungsvorschläge ein, die Ausnahmen von der Offenlegung bei wirtschaftlich sensiblen Daten vorsahen. Die Änderung setzte sich im EU-Parlament durch. Die dadurch geschlagene Lücke in der Gesetzgebung ermöglicht es Konzernen, ihre tatsächlichen Gewinne in den einzelnen Ländern nach wie vor zu verschleiern.
Drehscheibe des Einflusses der Big Four ist aber die Kommission. Jedes Jahr vergibt sie an die vier großen Wirtschaftsprüfungskonzerne Aufträge in Millionenhöhe: Im Jänner 2018 waren es 10,5 Millionen Euro an PwC, Deloitte und KPMG für Studien zu diversen Fragen der Steuergesetzgebung und von Zöllen. Worum es dabei genau geht, entscheidet die Kommission erst von Fall zu Fall.

Lobbys dabei, Zivilgesellschaft kaum
Damit nicht genug: Bis h
eute sitzen VertreterInnen der Wirtschaftsprüfungsunternehmen in ExpertInnengruppen der Kommission, in denen es um Empfehlungen in Steuerangelegenheiten geht. VertreterInnen der Zivilgesellschaft, die sich für eine faire Steuergesetzgebung einsetzen, kann man in diesen Gruppen hingegen vergeblich suchen.
Auch in der Personalpolitik von Kommission und Big Four zeigt sich ein schiefes Bild, denn auf beiden Seiten gibt es einen regen Personalaustausch. So ist der frühere Finanzkommissar Jonathan Hill nun Berater bei Deloitte. EU-Beamte in der Generaldirektion für Steuern und Zoll wiederum waren früher bei Ernst & Young und Deloitte beschäftigt. Diese personelle Austauschbeziehung gibt es im Übrigen auch auf Ratsebene: So waren viele nationale Steuerattachés aus verschiedenen Mitgliedstaaten früher MitarbeiterInnen bei den Big Four.
Die Kommission holt also Expertise für Gesetzesvorschläge zur Eindämmung von Steuervermeidung bei jenen Konzernen ein, die einerseits mit Steuervermeidung im großen Stil ihr Geld verdienen und andererseits gegen zu strenge Regulierungen Lobbying betreiben. Damit sind Deloitte, Ernst & Young, KPMG und PwC die großen Gewinner. Interessenskonflikte sieht die Kommission hier offenbar keine.

Großer Einfluss
Die Vernetzung der Big Four mit den EU-Ins
titutionen sichert den Wirtschaftsprüfungskonzernen jedenfalls einen großen Einfluss auf die EU-Gesetzgebung. Am Ende bleiben nicht nur effektive Regelungen gegen Steuervermeidung auf der Strecke, sondern generell die Anliegen der BürgerInnen. Denn in Brüssel geben die Großkonzerne und deren LobbyistInnen den Ton an. Sie haben privilegierten Zugang zu den EU-Institutionen und die finanziellen und personellen Ressourcen für gezieltes Lobbying. Andere Interessen – wie jene der ArbeitnehmerInnen – sind gegenüber der Wirtschaftsseite hingegen stark unterrepräsentiert. Das Verhältnis der Vertretung zwischen Gewerkschaften und der Wirtschaft in Brüssel beträgt 1:65! 
Die Zivil
gesellschaft fordert daher bereits seit Jahren ein verpflichtendes Verzeichnis aller Organisationen und Personen, die Lobbying gegenüber der Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat betreiben. Bisher gibt es dieses Transparenzregister nur freiwillig für die Kommission und das Europäische Parlament. Seit Anfang 2018 verhandeln die Kommission, das Europäische Parlament und der Rat über eine Reform des Registers. Die EU-Abgeordneten haben sich bereits darauf verständigt, dass sie sich nur mit im Register eingetragenen InteressenvertreterInnen treffen und Termine mit den LobbyistInnen öffentlich einsehbar sein sollen. Eine Verpflichtung dazu soll es aber nicht geben. Der Rat hat sich bislang noch nicht entschieden, überhaupt am Transparenzregister teilzunehmen. Es liegt nun an der österreichischen Ratspräsidentschaft, ob es bis Ende des Jahres zu einem Abschluss der Verhandlungen kommt und ob sich das Ergebnis sehen lassen kann.
Notwendig wäre es auch, dass die Kommission ihre ExpertInnengruppen ausgewogen besetzt und verstärkt VertreterInnen von ArbeitnehmerInneninteressen und der Zivilgesellschaft bei der Erarbeitung von Gesetzesvorschlägen zu Rate zieht. Auf diesem Weg könnte die Gesetzgebung auf EU-Ebene verstärkt zum Wohle aller BürgerInnen erfolgen – und nicht nur die Interessen der Konzerne bedienen.

Fortschritte halten sich in Grenzen
Egal, ob Steuervermeidung oder Transparenzregister: Die Fortschritte unter der Ägide von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker halten sich in engen Grenzen. Ob sich daran etwas ändert, wird auch jede Wählerin und jeder Wähler bei den nächsten Wahlen zum EU-Parlament im Mai 2019 mitentscheiden. Je nach Mehrheitsverhältnissen gibt es dann entweder die Chance auf neue politische Initiativen – oder es bleibt alles beim Alten.

Studie „Wie die Big Four die EU-Politik zur Steuervermeidung mitgestalten“:
tinyurl.com/y7xk63ye
EU-Kommission: Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuervermeidung
tinyurl.com/ybyn5c8n

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen frank.ey@akwien.at und monika.feiglheihs@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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