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Schon bei der letzten Koalition zwischen ÖVP und FPÖ kam es zu größeren Protestaktionen und auch Streiks. Schon bei der letzten Koalition zwischen ÖVP und FPÖ kam es zu größeren Protestaktionen und auch Streiks.

Ja, dürfen’s denn des?

Schwerpunkt Klassenkampf von oben

Verhandlung und Streikgebärde gehören gewissermaßen zusammen. Und die Arbeit niederlegen, das dürfen wir!

Wenn in Österreich ein Hauch von Streiklust in der Luft liegt, tauchen dazu kaum Bilder in der Erinnerung auf, wie rundherum das Alltagsleben mangels öffentlicher Verkehrsmittel zusammenzubrechen droht. Die österreichischen ArbeitnehmerInnen sind im Streiken ungeübt – vielleicht auch, weil es schwierig ist, gegen jene zu protestieren, mit denen jahrzehntelang ein gemäßigt angenehmes Klima gepflegt wurde. Während die Gegner 1934 noch aufeinander schossen, gelang es 1945 – gespeist aus den Erfahrungen der Lagerstraße –, gemeinsam die Zweite Republik zu gründen. Kompromisse zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen waren von nun an kein Ding der Unmöglichkeit mehr. Damit einhergehend bestimmten die Sozialpartner vom Beginn der Zweiten Republik an bis in die 1990er-Jahre große Teile der Wirtschaftspolitik.

Für die Stabilität verhabern
Das wurde etwa in der Paritätischen Kommission für Lohn- und Preisfragen (PKPL, gegründet 1957) deutlich – ein zunächst zeitlich befristetes, informelles System der freiwilligen Zusammenarbeit von Arbeitgeber- und ArbeitnehmerInnenverbänden sowie VertreterInnen der Regierung. Zwar führte der Bundeskanzler den Vorsitz, doch stimmberechtigt waren nur die RepräsentantInnen der vier Interessenorganisationen (ÖGB, AK, Wirtschaftskammer, Landwirtschaftskammer).
Dazu schreibt Politikwissenschafter Emmerich Tálos: „... das Prinzip der Einstimmigkeit und die Nichtöffentlichkeit und die weitgehende Informalität der Beziehungen in der Paritätischen Kommission zählen zu deren wesentlichen Strukturelementen.“ Resultat: Die Kooperation machte Österreich wirtschaftlich sehr stabil, andererseits kam es zu Vorwürfen der „Packelei“ und „Verhaberung“.

„Sublimierter Klassenkampf“
Bruno Kreisky nannte die österreichische Sozialpartnerschaft einen „sublimierten Klassenkampf am grünen Tisch“. Lange Zeit war der Kompromiss ein Begriff, mit dem beide Seiten gut leben konnten, der für die ArbeitnehmerInnen nicht allzu schmerzhaft war – anders als etwa in Deutschland.
Dort entwickelte sich aus einem Kompromiss in den 1990er-Jahren eine grobe Schieflage: „Lohnverzicht für Arbeitsplatzgarantie: Das ist keine erfolgreiche Strategie“, erklärt Martin Müller, ÖGB-Experte aus dem Bereich Sozialpolitik. Sogar bei VW kam es dazu: Die Gewinne sind explodiert, bloß das Geld landete eher in den Taschen der AktionärInnen.
„‚Geht es der Wirtschaft gut, geht’s allen gut‘, ist eine Verleugnung des Klassengegensatzes“, findet Müller. Denn: „Wenn der Arbeitgeber viel Profit macht, hat vor allem er etwas davon“. In unserem Nachbarland ist in den vergangenen 20 Jahren ein riesiger Niedriglohnsektor entstanden. Auch schlecht Verdienende wollten in ihrer Verzweiflung bereits auf Lohn verzichten, um ihre übel bezahlten Arbeitsplätze zu erhalten. Ein Beispiel sind die MitarbeiterInnen der insolventen Drogeriekette Schlecker, die so einen Sanierungsbeitrag leisten wollten.

Streikstunden und gutes Recht
Mit dem EU-Beitritt, der Internationalisierung und den Öffnungen der Märkte ist die Bedeutung der österreichischen Sozialpartner stark in den Hintergrund gerückt. Der Ton zwischen den InteressenvertreterInnen hat sich aber seit der ersten schwarz-blauen Koalition grundlegend verändert. Obwohl die österreichischen ArbeitnehmerInnen traditionell eben nicht sehr streikerprobt sind, entwickelte sich das Jahr 2003 dennoch zu einem Streikjahr. Die Reformpläne der damaligen ÖVP/FPÖ-Regierung für Pensionen, ÖBB und Unterrichtsbereich sowie die Sparpläne bei Post und AUA veranlassten die Gewerkschaften zu Kampfmaßnahmen: Mehr als 10,4 Mio. Streikstunden wurden gezählt. Das ist der höchste Wert seit Bestehen der entsprechenden ÖGB-Statistik. Knapp 780.000 ArbeitnehmerInnen waren damals beteiligt.
„Dem Streik als Druckmittel, ohne welches das Recht auf kollektive Verhandlungen ein bloßes ‚collective begging‘ wäre, bedienten sich etwa die Arbeitnehmer der Metallbranche im Herbst 2013 ...“, schreibt Elisabeth Brameshuber, Universitätsassistentin am Institut für Österreichisches und Europäisches Arbeitsrecht und Sozialrecht an der WU, 2015 in der Fachzeitschrift „ecolex“ (Artikel „Grundrecht auf Streik – Rechtsgrundlagen und Rechtsfolgen“).
Artikel 11 der Menschenrechtskonvention garantiert das Recht, Gewerkschaften zu bilden. Zu diesem Recht gehört es auch, in wichtigen Fällen Kampfmaßnahmen zu setzen. „Seit 2009 ist die Europäische Grundrechtecharta in Kraft, in der ein Grundrecht auf Streik verankert ist.“ Ein solches Grundrecht wird seit Kurzem auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) abgeleitet. Für ihre Forschungen wurde Brameshuber im Oktober 2017 zum „Researcher of the Month“ gekürt. „Die Arbeitnehmer setzen durch ihre Teilnahme am Streik keinen Entlassungsgrund. Insbesondere wenn um Arbeitsbedingungen oder Arbeitnehmerschutzmaßnahmen gestreikt wird, handeln Arbeitnehmer rechtmäßig, sodass die arbeitsvertragliche Pflicht zur Erbringung der Dienste nicht verletzt wird.“

Sozialpartnerschaft statt Streik
Dass in Österreich nur selten zum Arbeitskampfmittel Streik gegriffen wird, erklärt die Expertin mit der Sozialpartnerschaft. „In Österreich funktionieren die Kollektivvertragsverhandlungen ziemlich gut, weil die Einigkeit besteht, dass man lieber am Verhandlungstisch zu einer Lösung gelangt.“ Klar muss aber auch sein: Wird gestreikt, darf der Arbeitgeber das Entgelt „ab sofort“ vorenthalten. „Wenn ich streike und meine Arbeitsleistung dem Arbeitgeber willentlich nicht zur Verfügung stelle, dann bekomme ich auch mein Entgelt nicht. Wenn ich als ArbeitnehmerIn Gewerkschaftsmitglied bin, bekomme ich Geld aus dem Streikfonds. Wenn ich kein Gewerkschaftsmitglied bin, bekomme ich für die Zeit, die ich streike, auch kein Geld. Da ich ein aufrechtes Arbeitsverhältnis habe, habe ich etwa auch kein Recht auf Mindestsicherung“, sagt Brameshuber.

Ergänzung vs. Entmachtung 
Der britische Bergarbeiterstreik 1984/85 ist das beste Beispiel, wie sich eine Regierung auf die Seite der Arbeitgeber schlägt. Der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher ging es um die Entmachtung der Gewerkschaften – das wurde von langer Hand vorbereitet. In seinem Buch „United we stand – divided we fall“ (Campus Verlag 1999) schreibt Gero Fischer: „So wurden gleich nach Regierungsantritt Thatchers zwei Social Security Acts (1980) beschlossen. Sie bedeuteten nicht nur eine Abkehr von der Tradition der Sozialpolitik seit 1945, wie sie von konservativer wie auch Labour Regierung getragen wurde, sondern signalisierten eine Strategie, die ökonomische Krise Großbritanniens auf Kosten der sozial Schwachen und Schwächsten zu lösen.“
Zwar hatten Streikende kein Anrecht auf Sozialhilfe, sehr wohl aber ihre Familien. Allerdings kam es zu Behördenschikanen und die Sozialhilfe sollte um das Streikgeld gekürzt werden. Die Bergarbeitergewerkschaft war nicht in der Lage, Streikgelder auszuzahlen. Die Medien, vor allem „The Sun“ und „The Daily Mail“ verzerrten das Bild des Streiks, rückten Ausschreitungen in den Vordergrund – obwohl der Streik überwiegend friedlich verlief. Ob der gravierenden ökonomischen Schwierigkeiten beendeten ab dem Jahreswechsel 1984/1985 mehr und mehr desillusionierte Bergarbeiter ihren Ausstand.
Von solchen Verhältnissen ist Österreich weit entfernt – doch es lohnt, achtsam zu bleiben. Die Herbstlohnrunde der Metaller ist Ende September erst gestartet, das neue Arbeitszeitgesetz verärgert die ArbeitnehmerInnen und sorgt für Anspannung bei den KV-Verhandlungen. Wie sich Verhandlung und Streik gemeinhin ergänzen, weiß ÖGB-Experte Müller: „Das eine bedingt das andere – Streik ist die Fortsetzung der Verhandlung und dient dazu, das Gegenüber zurück an den Verhandlungstisch zu bringen.“ Doch die rücksichtslose Einführung des 12-Stunden-Tags zeige nun, auf welcher Seite die österreichische Regierung steht. „In vielen Punkten hatten wir eine Rechtslage, die sehr verhandlungsfreundlich war. Wenn sich dieses Gleichgewicht zugunsten der Arbeitgeber verändert, dann werden die Gewerkschaften in ihrer Strategie weniger auf Verhandlungen setzen können und öfter zu anderen Mitteln greifen.“

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sophia.fielhauer@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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