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Tue, 15 Jan 2002 00:00:00 +0100 1196351252238 Auf dem Weg zur Weltklasse-Uni? | Aus Arbeitnehmersicht bestehen schwerwiegende Bedenken gegen die Universitätsreform Die Gründe, warum das Thema Universitätsreform von hochschulübergreifender Bedeutung und somit für Arbeitnehmerinstitutionen wichtig ist, sind vielfältig.

Unis aus Arbeitnehmersicht

Zum einen kommen immerhin knapp 80 Prozent der Studierenden aus Arbeitnehmerfamilien, viele Studierende arbeiten während des Semesters oder zumindest in den Ferien. Der Großteil der Absolventinnen und Absolventen ist nach Studienabschluss unselbständig erwerbstätig und nimmt oft in Betrieben, Behörden oder Bildungseinrichtungen »strategische« Arbeitsplätze ein. Für viele Berufe haben die Universitäten durch die vorgeschriebenen Ausbildungsgänge und Prüfungsordnungen das Monopol der Entscheidung über die Berufszulassung.

Alfred Noll verweist zu Recht darauf, dass »Bildungschancen« somit »Lebenschancen« sind und diese »maßgeblich über Einkommensentwicklung, sozialen Status und Aufstiegsmöglichkeiten« entscheiden. Zudem fungieren die Universitäten als »Think Tank« zur Problemlösung von gesellschaftlichen Fragen, auch solchen der Arbeitswelt. Schließlich werden die Hochschulen fast zur Gänze aus Steuermitteln finanziert. Die Lehr- und Forschungsinhalte an Universitäten, der Zugang zur Hochschulbildung sowie die Studienbedingungen sind daher aus bildungs- und gesellschaftspolitischer Perspektive von besonderer Relevanz.

Reformbedarf unbestritten

Trotz vorangegangener Reformen gibt es im Hochschulbereich eine Reihe von Problemen. Lange reale Studienzeiten, hohe Drop-out-Quoten, kaum Angebote für Berufstätige, fehlende bundesweite Schwerpunkt- und Entwicklungsplanung des postsekundären Bereichs, mangelnde Planungssicherheit für die einzel- nen Universitäten, Weiterbestehen von »Ein-Mann-Instituten«, Evaluierungsverfahren ohne Konsequenzen etc. zeigen den Handlungsbedarf. Die heimischen Universitäten brauchen eine Weiterentwicklung, um im Kontext des europäischen Hochschulraumes ihre Lehr- und Forschungsaufgaben künftig besser erfüllen zu können.

Der Ende August 2001 präsentierte Gestaltungsvorschlag des Bildungsministeriums zur »Erweiterten Autonomie« der Universitäten bietet jedoch keinen geeigneten Lösungsansatz für die genannten Probleme, im Gegenteil. Vor dem Hintergrund sinkender staatlicher Hochschulausgaben wird im Sinne neoliberaler Bildungspolitik und des New Public Managements für den Rückzug des Staates und für mehr »Markt« via Studiengebühren, Einwerbung von Drittmitteln etc. plädiert und ein dementsprechender Umbau vorbereitet. Anstelle eines schrittweisen Vorgehens unter Einbeziehung aller Betroffenen und aufbauend auf Erfahrungswerten (z. B. durch Evaluation des Universitätsgesetzes 1993, wodurch die Universitätsautonomie stark ausgeweitet wurde, dessen Umsetzung aber erst 2001 zur Gänze erfolgt ist) soll nach dem Plan des Bildungsministeriums mit einem Schlag die gesamte Organisation bei allen 18 Universitäten nach einem Muster umgestaltet werden. Zwar wird stets auf den »offenen Planungsprozess« und das eigens unter www.weltklasse-uni.at eingerichtete Internetdiskussionsforum verwiesen. Das »Ausgliederungsgesetz« soll jedoch nach einer Begutachtungsphase Anfang nächsten Jahres noch vor dem Sommer 2002 im Parlament beschlossen werden.

Erfahrungen mit »Ausgliederungen«

»Ausgliederungen einzelner Bereiche aus dem Bundesvermögen scheinen auf den ersten Blick eine Modeerscheinung zu sein, die seit etwa zwei bis drei Jahren ihre Höchstblüte erreicht. Dass diese Mode kein Zufall ist, braucht ebenso wenig erörtert zu werden wie die möglicherweise - manche meinen sogar, so gut wie sicher - dahinter stehenden Motive, zuvorderst die Notwendigkeit einer umfassenden budgetären Bereinigung.« Dies ist die auf den Punkt gebrachte Einschätzung der Arbeitsrechtsexpertin Barbara Trost in einer einschlägigen Publikation der AK Wien. Die bisherigen Erfahrungen mit der Ausgliederung aus Gebietskörperschaften geben aus Arbeitnehmerperspektive jedenfalls wenig Anlass zu Euphorie, im Gegenteil: Ausgliederungen tragen zwar zur Budgetentlastung bei, der Preis dafür sind oft Personalkürzungen, niedrigere Gehälter für neu Eintretende, höhere Preise und Gebühren. So lautet, knapp gefasst, das Ergebnis der AK-Studie, die Evaluierungen von fünf konkreten Fallbeispielen (u. a. Bundesimmobiliengesellschaft, Schloss Schönbrunn) aus volks- und betriebswirtschaftlicher Sicht enthält. Die Rede ist unter anderem von fehlenden Zielvorgaben, Evaluierungen und Alternativenprüfungen, der Entwicklung von Parallelstrukturen, Steuerungsmängeln und hohen, durch den Bund verursachten Zusatzbelastungen.

Universitäten können zwar nur sehr bedingt mit den erwähnten Beispielen verglichen werden, weil für sie im Sinne des Bildungsauftrags die Ausrichtung auf gesamtgesellschaftliche Ziele in Lehre und Forschung konstitutiv ist. Dennoch ermöglicht die nähere Beschäftigung mit konkreten Bestandsaufnahmen im Zusammenhang mit »Ausgliederungen« von öffentlichen Einrichtungen, zur Entwicklung des notwendigen Problembewusstseins beizutragen. Dies sei auch den Befürwortern des Regierungsmodells ans Herz gelegt, die mit Vorliebe auf einzelne »erfolgreiche« ausländische Beispiele verweisen und den Blick auf die heimische Ausgliederungspraxis tunlichst vermeiden.

Neuer »Chefkult«

Auffällig ist, dass die gesellschaftspolitische Dimension der mit den Ausgliederungsmaßnahmen in die Wege geleiteten Veränderungen infolge der dominanten Wettbewerbsrhetorik zumeist in den Hintergrund tritt. »Starke Männer«, »schlanke Organisationen«, »Konzentration der Mitbestimmung« oder »rasche Entscheidungsfindung« sind häufig gebrauchte Slogans, deren Umsetzung jedoch eine Rehierarchisierung der Universitäten und den Ausschluss einer großen Personengruppe bei wichtigen Gestaltungsprozessen bedeutet. Mehr oder weniger explizit wird von einem Widerspruch zwischen Demokratie und Leistungsfähigkeit ausgegangen. Nach dem Motto »Kreatives Klima ist wichtiger als Kurien« ist geplant, Mitbestimmung und Entscheidungsbefugnis insbesondere bei den zentralen Entwicklungs-, Personal- und Budgetangelegenheiten künftig auf Universitätsrat, Rektor bzw. Rektorin und Senat zu reduzieren. Zentrales Element dabei sind die fünfköpfigen »Universitätsräte«, die eine Mischung aus Entscheidungs- und Aufsichtsorgan sind und an Stelle des Ministeriums und des Parlaments substantielle Befugnisse erhalten sollen. Die Befürchtung vieler Universitätsangehöriger, dass über den Weg ministerieller »Platzhalter« in den Universitätsräten und der Leistungsvereinbarungen zwischen den einzelnen Universitäten und dem Ministerium der Einfluss des Bildungs- und insbesondere Finanzressorts künftig weit größer sein wird, konnte bislang nicht wirklich entkräftet werden.

Im Gegenzug zu »starken« Universitätsräten und Rektoren sollen die Kompetenzen des Senats, dem einzigen Kollegialorgan, in dem neben den Professorinnen und Professoren auch Lehrende des so genannten »Mittelbaus« und Studierende vertreten sind, deutlich beschnitten werden. Zudem ist vorgesehen, dass befristet Beschäftigte diesem einzigen inneruniversitären Organ mit Entscheidungskompetenz nicht angehören können. Es soll zwar möglich sein, zusätzliche Gremien einzurichten, allerdings dürfen diese nur beraten. Inneruniversitär hätte künftig somit nur ein ganz kleiner Personenkreis das »Sagen«. Bei aller Modernitätsrhetorik gerät das Argument, dass Mitbestimmungsrechte und Kontrollmöglichkeiten aller Universitätsangehörigen wichtig sind, zumal sie mehr Identifikation, Motivation und Leistung bewirken, völlig aus dem Blickfeld. Edith Saurer hat in diesem Zusammenhang von einem gegenwärtigen »Chefkult« gesprochen und auf folgenden Umstand hingewiesen: »Es ist sonderbar, dass an den Universitäten die Hierarchien zu einem Zeitpunkt wieder verstärkt werden sollen, als moderne Unternehmen ihre Hierarchien verflachen, weil sie wissen, dass Teamarbeit und Kommunikation leistungsfördernder sind.«

Parlamentseinfluss verringert

Klar ist, dass im Falle der »Ausgliederung« die Entscheidungsbefugnisse des Parlaments in Sachen Hochschulpolitik erheblich reduziert werden. Es gibt zwar weiterhin eine Erhaltungs- und Finanzierungsverpflichtung des Staates, jedoch fehlt nach wie vor eine bundesweite strategische Hochschulplanung. Für die Volksvertreter bleibt als Steuerungsinstrument im Wesentlichen die Zuweisung von mehrjährigen Globalbudgets, wodurch die Transparenz des Systems wohl nicht verbessert und die rein wirtschaftliche Betrachtungsweise gefördert wird. Der Ausbau des Berichtswesens - geplant ist ein jährlicher Leistungsbericht über die Erfüllung der Leistungsaufträge - ist sicherlich kein adäquater Ersatz für Steuerungs- und Gestaltungskompetenzen. Erfahrungsgemäß hat eine derartige Machtverschiebung auch Auswirkungen auf die Kontroll- und Interpellationsrechte der Abgeordneten, aber auch auf Anfragen, die von »außen« an das Bildungsressort gerichtet werden: Im Falle von konkreten Missständen (z. B. zu wenig Lehrpersonal, hohe Studiengebühren) ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Bildungsminister auf die fehlende Regelungskompetenz verweist und das Problem somit als alleinige Angelegenheit der »autonomen« Universität deklariert.

Weniger Mitsprache für AK und ÖGB

Dem Gestaltungsvorschlag zufolge soll die Einbindung von »Außenstehenden« in universitäre Belange künftig nur noch eine sehr selektive sein. Nicht nur von Arbeitnehmerseite wurde bei den Hochschulreformen der 90er Jahre stets die Wichtigkeit der Öffnung der Universitäten gegenüber der »Außenwelt« betont. Erreicht werden konnte unter anderem beim Studienrecht eine verpflichtende Einbindung der Sozialpartner bei der Erstellung neuer Studienpläne und eine Berücksichtigung bei der Zusammensetzung der beratenden Universitätsbeiräte.

Bei dem mit explizit »universitätsfremden« Personen besetzten neuen »Universitätsrat« ist zwar theoretisch eine Berücksichtigung der Arbeitnehmerseite möglich, im Hinblick auf die zu erwartende Praxis und die Mehrheitsverhältnisse in diesen Gremien bestehen freilich starke Zweifel. Zum einen fehlt bei diesem »Aufsichtsratskonzept« die übliche Einbindung der gewählten BelegschaftsvertreterInnen.

Des Weiteren stellt sich bei den viel gelobten ausländischen Modellen, die als Vorbild dienen, auf Nachfrage rasch heraus, dass in diesen Räten zumeist die Vorstandsprominenz internationaler Konzerne sitzt - entsprechend »hoch« ist im Übrigen auch der Frauenanteil. Davon unabhängig ist das »Schicksal« des derzeitigen Studienrechts völlig offen, die Begutachtungsrechte von außeruniversitären Institutionen bleiben jedenfalls unerwähnt.

Fazit: Die Möglichkeiten zur Mitwirkung von Arbeitnehmerseite sind beim derzeitigen Ministeriumsmodell rechtlich nicht abgesichert, sondern vom Goodwill der einzelnen Uni-Leitungen abhängig.

Neue Hürden für Studierende

Ein wesentlicher Eckpfeiler neoliberaler Bildungspolitik, nämlich die Erschließung privater Finanzierungsquellen durch Einführung von Studiengebühren, wurde bereits realisiert. Der Gestaltungsvorschlag sieht deren Beibehaltung und ein »Trostpflaster« für die von Budgetnöten geplagten Universitäten vor: Die Einnahmen sollen künftig nicht dem Bundesbudget, sondern den Universitäten zur Verfügung stehen, und diese können die Höhe innerhalb einer nicht näher definierten gesetzlichen Bandbreite selbst festlegen.

Es sei an dieser Stelle betont, dass die Arbeitnehmerorganisationen Studiengebühren nach wie vor ablehnen, da sie eine zusätzliche Barriere für Studierende aus einkommensschwächeren Familien bedeuten. Studiengebühren konterkarieren das Ziel einer weiteren Erhöhung des Anteils von Kindern aus Klein- und Mittelverdienerfamilien, zumal die angekündigte »soziale Abfederung« durch Stipendien keineswegs ausreichend ist.

Für BM Grasser mögen ATS 10.000/Euro 726,73, wie in einem Interview geäußert, eine »Lächerlichkeit« sein, viele Klein- und Mittelverdiener sehen dies sicher anders. Wenngleich der Rückgang bei den Studierendenzahlen von ca. 230.000 auf voraussichtlich unter 190.000 nicht so drastisch wie erwartet ausgefallen ist und genauere Untersuchungen noch fehlen: Das Minus von mehr als 20 Prozent ist sicher nicht nur auf »Karteileichen« zurückzuführen. Laut Meldungen der Universitäten haben insbesondere Berufstätige vermehrt ihr Studium abgebrochen, da sie als Teilzeitstudierende von der »Pauschalgebühr« besonders negativ betroffen sind. Auch haben sich die Studienbedingungen seit Beginn des neuen, nunmehr gebührenpflichtigen Studienjahrs offensichtlich nicht merkbar verbessert.

Des Weiteren ist - trotz gegenteiliger Beteuerungen im Gestaltungsvorschlag - in absehbarer Zeit mit einem endgültigen Aus für den derzeit aufgrund der Gebühren ohnehin nur noch bedingt »freien Hochschulzugang« zu rechnen. Dieser wird insbesondere dann, wenn Budgeterhöhungen zur Finanzierung der beträchtlichen zusätzlichen Kosten einer »Ausgliederung« nicht durchführbar sind, kaum aufrechtzuerhalten sein. Der Druck in Richtung »Eliteeinrichtung« mit höheren Studiengebühren und zusätzlichen Aufnahmekriterien wird steigen. Dafür spricht auch, dass die Debatte um neue Formen der Selektion, wie z. B. Eingangstests etc. - zumeist mit Hinweis auf die »privilegierten« Fachhochschulen -, bereits wieder aufgeflammt ist.

Verschlechterungen für Beschäftigte

Durch das Spannungsfeld zwischen »erweiterter Autonomie« und knappem Budget ist es nahe liegend, dass in der Folge die Beschäftigten negativ betroffen sind. Anstelle des derzeitigen Übergangsdienstrechts, das keinen Beamtenstatus, sondern nur noch zumeist befristete Vertragsbedienstetenstellen für Neueintretende vorsieht, soll künftig das Angestelltenrecht zur Anwendung kommen. Der Bogen möglicher »Einsparungspotentiale« spannt sich hier von einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen (Befristungen, Finanzierung der höheren Verwaltungskosten zu Lasten von Lehrpersonal etc.) bis hin zum Personalabbau.

Wie weiter?

»Die Zukunft unseres Landes entscheidet sich nicht im Wettbewerb um die häufigsten und spektakulärsten Universitätsreformen«, meint Rektor Bast. In diesem Sinne haben AK und ÖGB bei einer Veranstaltung mit der Bundeskonferenz des wissenschaftlichen und künstlerischen Personals (BUKO) und der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) eine gemeinsame Resolution vorgelegt (siehe Fotos). AK, ÖGB, BUKO und ÖH treten dafür ein, dass

  • Reformen im Universitätsbereich einer breiten Diskussion unterzogen und konsensorientiert mit den Betroffenen verhandelt werden;
  • vom Bildungsministerium ein universitäts- und forschungspolitisches Gesamtkonzept unter Einbeziehung der Angehörigen von Universitäten und Fachhochschulen vorgelegt wird;
  • angesichts der beträchtlichen Zusatzkosten, die eine Ausgliederung verursachen würde, das staatliche Budget der Universitäten für ein verbessertes Studienangebot und zur Hebung der Forschungsquote aufgewendet wird;
  • die Evaluierung der bisherigen Reformen und eine kontinuierliche Weiterentwicklung erst jüngst vollzogener Reformschritte Vorrang haben muss;
  • im Sinne einer organisatorischen und demokratiepolitisch verträglichen Weiterentwicklung unter Einbeziehung aller Betroffenen zunächst schrittweise mehrjährige Globalbudgets und Leistungsvereinbarungen eingeführt, erprobt und bewertet werden;
  • die Mitbestimmung und Mitwirkung aller an der Universität Tätigen erhalten bleibt, wobei eine Weiterentwicklung wünschenswert ist, dies aber keine Einschränkung oder Konzentration auf einen kleinen Personenkreis bedeuten darf;
  • aufgrund der gesellschaftspolitischen Bedeutung der Universitäten und der Steuerfinanzierung entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten für das Parlament sowie Mitwirkungsrechte für außeruniversitäre Interessenvertretungen wie AK und ÖGB gegeben sind;
  • der gebührenfreie und offene Zugang zu den Universitäten und Fachhochschulen wieder hergestellt wird, statt neue Barrieren für Studierende zu errichten;
  • ein leistungsorientiertes Dienstrecht geschaffen wird, das dem wissenschaftlichen Personal eine durchgehende Laufbahn ermöglicht.

Literatur:
Brinek Gertrude, Mikosch Hans (Hg.): Universitätsreform wohin? Beiträge zur Suche nach einer adäquaten Identität. Wien 2001 (mit Beiträgen von Gerald Bast, Edith Saurer, Alfred Noll, Sigurd Höllinger u. a.).
Kropf Katharina (Hg.), Leitsmüller Heinz, Rossmann Bruno: Ausgliederungen aus dem öffentlichen Bereich. Wien 2001.

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Martha Eckl (hochschulpolitische Referentin der Bundesarbeitskammer) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jan 2002 00:00:00 +0100 1194875987835 Deregulierung der sozialen Sicherheit | Der WTO-Vertrag und seine Auswirkungen auf die Arbeitnehmer Die WTO-Mitgliedsländer - darunter Österreich - vereinbarten im Dezember 1993 einen Vertrag von fast 25.000 Seiten Umfang, der fast alle nationalen Gesetze über Wirtschaft und Gesellschaft dereguliert.

25.000 Seiten

Der WTO-Vertrag besteht aus 28 »Hauptkapiteln« (z. B. Vertrag über die Gründung der WTO, Zölle, Landwirtschaft, Dienstleistungen, geistiges Eigentum), aus Protokollen und aus so genannten »Länderlisten«. Die eigentliche, aus dem Vertrag selbst aber nicht ersichtliche Substanz besteht aus zwei Kategorien dieser »Länderlisten«:

  • Jedes der nunmehr 144 WTO-Mitgliedsländer musste bekannt geben, welche nationalen Gesetze vom »WTO-Vertrag« betroffen sind (Länderliste Kategorie 1).
  • Jedes Mitgliedsland hatte der WTO mitzuteilen, inwieweit es beim Vertragsabschluss 1993 seine nationalen Gesetze (Länderliste Kategorie 2) dereguliert (dies hat dann weltweite Geltung, das heißt, für einen ausländischen Unternehmer gilt nicht mehr das entsprechende österreichische Gesetz, sondern was dazu in der WTO steht - der »freie« Markt).

Wer den WTO-Vertrag in seiner Auswirkung verstehen will, liest am besten eines der »WTO-Übereinkommen« (z. B. »Multilaterale Übereinkunft über den Handel mit Dienstleistungen«). Dort erfährt man, welche deregulierenden Gesetze weltweit aufgrund dieses Hauptkapitels für den weit gefassten Dienstleistungsbereich gelten. Um aber zu erfahren, was unter Dienstleistungen gemeint ist, muss man sich in der Länderliste durcharbeiten.

Deregulierung als Programm

Aus dieser »Länderliste Österreich - Dienstleistungen« erkennt man, dass darunter auch der Arbeitsmarkt, die sozialen Netze, der Gesundheits- und Bildungsbereich als »Dienstleistungen« definiert sind. Das heißt, dass die österreichische Gesetzeslage aus dem Jahr 1993 - beim Verhandlungsabschluss des WTO-Vertrages - von ihm berührt ist. Wer sich so weit vorgearbeitet hat, schlage beispielsweise im Dienstleistungskapitel unter »Finanzdienstleistungen« nach; er kommt zur Position »Versicherungen« und landet dann - Überraschung - bei »Sozialversicherungen«. Das bedeutet, dass die gesamte österreichische Gesetzeslage zum Thema »Sozialversicherungen« vom WTO-Vertrag deregulierend betroffen ist.

Um herauszufinden, wieweit die österreichischen Sozialversicherungen vom WTO-Vertrag aktuell betroffen sind, muss man sich aus der zweiten Kategorie von »Länderlisten« wiederum nach dem Schema Dienstleistungen - Finanzdienstleistungen - Versicherungen - Sozialversicherungen durcharbeiten. Dort ist noch nichts eingetragen.

Anhand dieses Beispiels ist ersichtlich, dass Österreich (wie alle anderen EU-Mitgliedstaaten) die gesetzliche Sozialversicherung dem WTO-Vertrag unterworfen hat, aber bislang noch keine gesetzliche Bestimmung dazu der weltweiten Deregulierung preisgegeben hat. Und erst jetzt empfiehlt es sich, im »Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) vom 15. April 1994« nachzulesen, was Aufgabe, Ziel oder Instrument der WTO eigentlich wirklich ist. Das ist der Schlüssel, um den WTO-Vertrag in seiner Wirkung, wem er hilft und wem er schadet, zu erfassen.

Cui bono?

Dieses Gesamtwerk (WTO-Vertrag, Hauptkapitel und Länderlisten, Protokolle) steht über der österreichischen Bundesverfassung und ist auch für die Europäische Union bindend:

  • Alle in der ersten »Länderliste« enthaltenen Gesetze können auch bei einer hundertprozentigen Ablehnung im österreichischen Nationalrat bzw. von den Europäischen Organen nur noch in eine Richtung weiterentwickelt werden: Sie sind zu deregulieren!
  • Die Substanz der zweiten Liste ist den gesetzgebenden Organen der WTO-Mitgliedstaaten überhaupt entzogen und wurde bereits dem Nirwana des weltweit freien Marktes anvertraut.

Österreich verhandelt in der WTO nicht selbst, sondern die EU-Kommission für die EU-Mitglieder, die für diese Verhandlungen bis jetzt ein einstimmiges Verhandlungsmandat benötigt.

Wie wird der WTO-Vertrag gerechtfertigt?

Der WTO-Vertrag zielt darauf ab, sämtliche Gesetze betreffend Wirtschaft und Gesellschaft zu deregulieren, ja zu entfernen, weil die WTO selbst keine Regulierungskompetenz hat. Die Deregulierung von Wirtschaft und Gesellschaft - der Rückzug des Staates - ist das Grundpostulat des Neoliberalismus, der WTO-Vertrag ist eines der wichtigsten Instrumente dazu.

Die Verfechter dieser Philosophie argumentieren dieses gigantische Deregulierungsprogramm mit ökonomischen Zusammenhängen:

  • Liberalisierung/Deregulierung führt zu steigendem Welthandel,
  • dieser führt zu vermehrtem Wirtschaftswachstum,
  • und dieses schließlich bedeutet höheren Wohlstand.

Diese Argumentationskette stellt aber nur die Hälfte der Botschaft der so genannten »klassischen Außenhandelstheorie« dar.

Die ignorierte andere Hälfte lautet:

  • Dabei gibt es Gewinner und Verlierer.
  • Daher muss das Ergebnis dieses Prozesses so sein, dass die Gewinner die Verlierer kompensieren können,
  • und daher bedarf es eines Verteilungsmechanismus.

Die entscheidende Frage für die Arbeitnehmer überall auf der Welt lautet daher: Wie kommt der über den Weg der weltweiten Deregulierung versprochene Wohlstand zu denen, die ihn geschaffen haben?

Und: Wie soll er in Zukunft zu den Arbeitnehmern kommen, wenn die heute bestehenden Verteilungsmechanismen - als eine Grundlage unseres derzeitigen Wohlstandes - über die WTO entfernt werden und parallel dazu sich für alle Zukunft kein Verteilungsmechanismus über den Weg des Staates herausbilden darf?

Die täglichen Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung werden in den wirtschaftlich hoch entwickelten Staaten durch staatliche Gesetze mehr oder weniger gut abgesichert. Werden die grundlegenden Bedürfnisse über den freien Markt gedeckt, dann bestenfalls kurzfristig und selektiv, meist nur für die Besserverdiener.

Klar gegen die Interessen der Arbeitnehmer?

Der größte Teil der Arbeitnehmer hat so geringe Einkommen, dass Schulgeld oder Studium der Kinder, Arzt, Medikamente oder Spitalskosten für sie nicht selbst finanzierbar sind.

Wenn wir aber zum Ausgangspunkt dieses Beitrages zurückkehren,

  • also wie man den WTO-Vertrag lesen kann, über dessen Hauptkapitel, die Länderlisten und ihre Bedeutung - dargestellt anhand des Dienstleistungsabkommens (GATS)1) -, und diesen mit den grundlegenden täglichen Interessenlagen der Arbeitnehmer verbinden, dann müssen wir feststellen:
  • Alle wesentlichen Interessen der Arbeitnehmer bedürfen staatlicher Gesetze, weil sie nur so gedeckt werden können.
  • In der WTO-Systematik sind alle die Arbeitnehmer unterstützenden Gesetze im Hauptkapitel »Dienstleistungen« (GATS) erfasst.
  • Alle wesentlichen Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer sind in den WTO-Länderlisten ebenfalls bereits erfasst.
  • Sie sind daher zu deregulieren, sprich zu entfernen, ohne dass irgendeine andere Instanz jemals das Regulierungsrecht eingeräumt bekäme.
  • In dieser Konstruktion und mit den ihr auferlegten Prozeduren und vor allem infolge ihrer extrem einseitigen Ausrichtung ist die WTO ein Programm, das klar gegen die Interessen der Arbeitnehmer ausgerichtet ist.

Welche Kräfte?

Bei der Durchsetzung des Rückzuges des Staates aus Wirtschaft und Gesellschaft ist die WTO eines der wichtigsten Instrumente jener Kräfte, die diesen Rückzug weltweit wünschen. Sie ist jedoch bei weitem nicht das einzige Instrument, um dieses Ziel zu erreichen (siehe Abbildung 1).

So verfügt die WTO selbst über keinen ausreichenden wissenschaftlichen Stab, diese Rolle übernimmt zu einem Großteil die OECD. Hier handelt es sich im Wesentlichen um die weltweit 29 reichsten Länder der Welt.

Die OECD und ihr Expertenstab sind damit für die Industrieländer von unschätzbarem Vorteil, sind die Konzepte für die WTO doch weitgehend ident mit den Konzepten der Industriestaaten. Noch wichtiger ist, dass die OECD-Mitgliedsländer damit über ein politisches wie auch technisches Koordinierungsinstrument verfügen, dem die übrigen WTO-Mitgliedsländer - die über achtzig Prozent der Stimmen in der WTO haben - nichts Gleichwertiges gegenübersetzen können. Aus dem Kreis der 29 OECD-Länder entstanden die G-7, die seither ihre wirtschaftlichen Interessen zu koordinieren versuchen. Wichtig ist dabei vor allem die Demonstration, dass koordiniert (und dabei auf die Konzepte der OECD zurückgegriffen) wird.

Kontrollverlust

Als Nächstes geht es um die Darstellung wichtiger WTO-Regeln und -verfahren, deren Grundkenntnis für das Gesamtverständnis und vor allem für die Bedeutung im Hinblick auf die wesentlichen Interessen der Arbeitnehmer ist.

Verdeutlicht werden soll deren Wirkungsweise anhand des Arbeitsmarktes und der Bestimmungen der WTO-Verträge, genauer des Dienstleistungsabkommens (GATS). Der freie Markt stellt weder Vollbeschäftigung noch geordnete Arbeitsmärkte her. Wenn sich daher jeder Staat aus der Arbeitsmarktgesetzgebung zurückziehen muss, werden weltweit die Arbeitsmärkte total außer Kontrolle geraten.

In einer Welt ungeordneter (»freier«) Arbeitsmärkte steht jeder Arbeitnehmer bei den Verhandlungen um einen Arbeitsvertrag dem Unternehmer auf sich allein gestellt gegenüber. Der Arbeitnehmer muss arbeiten, um überleben zu können. Der Arbeitgeber kann hingegen »warten«, und allein dadurch verfügt er über die stärkere Verhandlungsposition, die mit dem Arbeitskräfteangebot zunimmt.

Daher ist es für die Arbeitnehmer von existenziellem Interesse, dass die Arbeitsmärkte geordnet sind und dass Vollbeschäftigung herrscht. Beides kann nur mit Hilfe der Gewerkschaften herbeigeführt und durch staatliche Gesetze abgesichert werden.

Der Deregulierungsstand

Im WTO-Dienstleistungsabkommen (GATS) besteht im Hinblick auf den europäischen Arbeitsmarkt derzeit folgender Deregulierungsstand:

1. Die Kompetenzen im Hinblick auf das GATS sind bei der Arbeitsmarktgesetzgebung zwischen EU und Mitgliedstaaten geteilt.

2. Im GATS ist für die Arbeitnehmer die Liberalisierung des Zutrittes von ausländischen Arbeitskräften in den inländischen Arbeitsmarkt von substanzieller Bedeutung, weil damit das Arbeitsangebot im Inland definiert wird. Dieses Element der Arbeitsmarktgesetzgebung ist vom allgemeinen Deregulierungsansatz des GATS betroffen, damit ist ein begrenzender Rahmen für eine künftige europäische und in weiterer Folge auch österreichische Weiterentwicklung gesetzt.

3. Es gilt die Meistbegünstigungsklausel, d. h., alle bilateralen Abkommen über den österreichischen Arbeitsmarkt, die über den vertraglichen Deregulierungsstand des GATS hinausgehen, gelten auch gegenüber allen anderen WTO-Mitgliedern. Darunter fallen auch reine Verwaltungsakte der Ministerien.

Damit haben bilaterale Ergebnisse von Vertragsverhandlungen - zum Beispiel ein österreichisch-ungarisches Werkvertragsabkommen über Bauarbeiter aus Ungarn - geradezu extreme Auswirkungen sowohl auf den Rechtsbesitzstand der EU als auch auf die Arbeitsmarktgesetzgebung aller anderen WTO-Mitgliedsländer. Obwohl nur zwei WTO-Mitgliedsländer miteinander über eine winzige Veränderung ihrer Arbeitsmarktgesetzgebung verhandelt haben, sind auch jene, die selbst nicht verhandelten, davon potenziell betroffen.

Beispielsweise könnte Ägypten das Ergebnis dieses österreichisch-ungarischen Werkvertragsabkommens unter Anrufung der Meistbegünstigungsklausel über die WTO durchsetzen.

Ausnahmen

4. Die Meistbegünstigungsklausel würde dann nicht zur Anwendung kommen, wenn das geplante Abkommen, zum Beispiel das Freihandelsabkommen der EU mit Mexiko gemäß den WTO-GATS-Bestimmungen, als »regionales Wirtschaftsabkommen« einzustufen wäre (siehe Abbildung 2).

Die Voraussetzung für eine solche Einstufung ist ein Abkommen, das in seinem Liberalisierungsgrad substanziell über den bereits erreichten Deregulierungsstand im GATS hinausgehend dereguliert. De facto müssen dann sämtliche Dienstleistungsbereiche - auch der Arbeitsmarkt, aber beispielsweise auch die Sozialversicherungen - weiter liberalisiert bzw. dereguliert werden.

Ein sehr wichtiger Aspekt dabei ist die Frage der jeweiligen Weitergabe der bilateralen Konzessionen seitens der EU bzw. Mexikos: De facto können beide Vertragsparteien kaum daran gehindert werden, bilateral vereinbarte Konzessionen an Drittstaaten weiterzugeben.

Das Freihandelsabkommen der EU mit Mexiko enthält aber einige wichtige Tatbestände im Hinblick auf die EU-Osterweiterung2): Denn dort hat die europäische Arbeitnehmerseite ein vitales Interesse an funktionsfähigen Arbeitsmärkten sowie an einem stabilen System der sozialen Sicherheit. Es besteht aber die Gefahr, dass die Kandidatenländer der EU-Osterweiterung ihre Rechtsbestände vor dem EU-Beitritt zum Nachteil der Arbeitnehmer nicht mehr entsprechend weiterentwickeln, weil bereits über Außenverträge ein Deregulierungsauftrag gegeben ist.

Organisationen und Abkommen
Kleines WTO-Wörterbuch

GATS:
G
eneral Agreement on Trade of Services / Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen; im deutschen Sprachraum als »Dienstleistungsabkommen« bekannt.

G-7:
Bildete sich aus dem Kreis der 29 OECD-Mitgliedsländer nach dem Weltwirtschaftsgipfel im November 1975 in Rambouillet. »Gruppe der Sieben« genannt, weil mit den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan und Kanada sieben Staaten beteiligt sind.

NAFTA:
N
orth American Free Trade Agreement / Nordamerikanisches Freihandelsabkommen. Gilt für die USA, Kanada und Mexiko.

OECD:
O
rganization for Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). OECD-Mitglieder sind derzeit: die 15 EU-Mitgliedstaaten, Tschechien, Ungarn, Island, Norwegen, Polen, Schweiz, Türkei, Kanada, Mexiko, USA, Japan, Korea, Australien, Neuseeland. Weiters nimmt die EU-Kommission an den Arbeiten der OECD teil.

WTO:
W
orld Trade Organization / Welthandelsorganisation
Sie löste 1995 das 1947 von 23 Staaten gegründete Zoll- und Handelsabkommen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) ab. Zwischen 1947 und 1994 wurde in acht großen Runden die Liberalisierung des Welthandels vorangetrieben. Kritiker meinen, stets zum Vorteil der Industrienationen.

Im Zuge der WTO-Konferenz im Golfstaat Katar (November 2001) wurde der Beitritt Chinas und Taiwans zur WTO beschlossen, die nunmehr 144 Mitglieder zählt.

Unabhängiges Gericht?

Als weitere WTO-Deregulierungsinstanz schließlich ist das WTO-Schiedsverfahren - eine Art »WTO-Gericht« - von großer Bedeutung. Wenn zwei WTO-Mitglieder über einen WTO-Vertragsteil unterschiedlicher Auffassung sind, kann dieses »Gericht« angerufen werden, dessen Spruch bindend ist. Dies bedeutet zumindest dreierlei:

  • Den WTO-Schiedsspruch fällen Personen, die nie gewählt, sondern lediglich ernannt wurden. Dabei ist der Personenkreis der in Frage kommenden »Schiedsrichter« extrem eingeengt: Es ist zu vermuten, dass die Weltanschauung bei der Ernennung eine Rolle spielt!
  • Jenes Mitgliedsland, das einen Streit beim Schiedsgericht verliert, muss seine Gesetzeslage gemäß den WTO-Anforderungen deregulieren.
  • Die längerfristige Entwicklung wird für alle WTO-Mitgliedsländer dadurch gekennzeichnet sein, dass Schiedssprüche zu scheinbar nebensächlichen Rechtsstreitigkeiten eine enorme Bedeutung bekommen für Angelegenheiten von fundamentalem Interesse. Dies deshalb, weil die Rechtsauslegung der WTO-Verträge dem angelsächsischen »Case-Law-System« folgt, das heißt, ein Urteil hat Präzedenzwirkung für alle künftigen ähnlich gelagerten Streitfälle.

Schon dereguliert ...

Im Folgenden gilt es aus der zweiten Kategorie der Länderliste zu zeigen, wie weit die Arbeitsmarktgesetzgebung im GATS selbst bereits dereguliert wurde:

  • Zielsetzung ist die Liberalisierung des Zutritts zu den Arbeitsmärkten.
  • Es gilt die Meistbegünstigungsklausel.
  • Jede GATS-Vertragspartei hat vertraglich Ausnahmen fixiert.

Die meisten Länder haben damals ihren gesamten diesbezüglich bestehenden Rechtsbestand als Ausnahme von der Liberalisierungsverpflichtung vertraglich festgeschrieben und von dieser umfassenden Ausnahme im Wesentlichen folgende Gruppen wiederum ausgenommen - und daher liberalisiert3):

  • leitende Angestellte;
  • Personen mit besonderen Kenntnissen oder Fähigkeiten;
  • Personen, die Geschäfte anbahnen wollen (Marktsondierung) und vorübergehend dazu in Österreich verweilen;
  • Personen, die bei einer juristischen Person im Ausland beschäftigt sind und sich im Gastland aufhalten, um für ihr Unternehmen Akquisitionen vorzunehmen;
  • Personen zur Gründung oder zum Aufbau einer Zweigniederlassung.

Darüber gibt es im GATS (noch) eine vertragliche Ausnahmeregelung Österreichs, wonach bestreikten Betrieben keine ausländischen Arbeitskräfte vermittelt werden dürfen4).

Wer kontrolliert?

Es ergibt sich somit folgendes Gesamtbild:

Die Deregulierung erfolgt über zumindest fünf Ebenen:

WTO-Ministerrat, Bilaterale Abkommen (auch Verwaltungsakte!), Freihandelsabkommen, EU-Osterweiterung, NAFTA und ähnliche regionale Integrationsprozesse und das WTO-Schiedsgericht.

  • Es gibt niemanden, der alle diese Deregulierungsprozesse kontrollieren kann.
  • Es geht bei der weltweiten Deregulierung um alle wesentlichen Gesetze, die im Interesse der Arbeitnehmer geschaffen wurden.
  • Die Mitgliedsländer der EU verstärken den Verlust über die Kontrolle noch, weil seit dem Amsterdamer Vertrag vorgesehen ist, dass die EU-Kommission selbst die Verhandlungskompetenzen übertragen bekommen kann und sie die übrigen EU-Institutionen nur noch über den Verhandlungsausgang informiert.

Was können die Gewerkschaften tun?

Als mittel- und längerfristige Folge werden sich die WTO-Mitgliedstaaten immer mehr aus der Gesetzgebung von Wirtschaft und Gesellschaft zurückziehen. Gleichzeitig hat die WTO als supranationale Instanz der WTO-Mitglieder jedoch keine Re-Regulierungskompetenz.

Strukturell betrachtet stärkt das die Unternehmen und schwächt gleichzeitig die Arbeitnehmer in der Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer Interessen, weil sie dazu den Staat als Regulator benötigen.

Zusätzlich jedoch werden immer mehr Unternehmen transnational tätig, was es ihnen zusätzlich erleichtert, im Bedarfsfall nicht nur Regierungen, sondern auch die Arbeitnehmer einzelner Länder gegeneinander auszuspielen. Daher ist es eine vordringliche Aufgabe für die Gewerkschaften, dass sie die fundamentalen Interessen der Arbeitnehmer ebenfalls grenzüberschreitend wahrnehmen.

Die Gewerkschaften müssen und können der verstärkten Internationalisierung des Kapitals ihrerseits die verstärkte Zusammenarbeit bei ihren fundamentalen Interessen als Gegengewicht gegenüberstellen.

Dieser Prozess wurde bereits begonnen. Die Gewerkschaften verlangten bereits bisher die vertragliche Verankerung der so genannten ILO-Kernarbeitsnormen (siehe Abbildung 3) einschließlich ihrer rechtlichen Durchsetzbarkeit im WTO-Vertrag. Diese ILO-Normen stellen nämlich die einzige Möglichkeit dar, auch etwas vom wachsenden Kuchen der Weltwirtschaft abzubekommen.

Die ILO-Arbeitsnormen sind gültige Deklarationen, die von jenen Ländern in der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beschlossen wurden, die auch WTO-Mitglieder sind.

Stück vom Kuchen

Die Möglichkeit, etwas von diesem wachsenden Kuchen abzubekommen, ist das Recht der Arbeitnehmer, ihre Interessen selbst organisieren zu dürfen. Der erste Schritt dazu ist die Bildung von Gewerkschaften.

Es geht den Gewerkschaften weltweit nicht um die Verwaltung einer ständig wachsenden Armut, sondern um Instrumente, damit auch sie in Zukunft am steigenden Wohlstand teilnehmen können.

Nachdem weltweit auch jene Gesetze dereguliert werden, die elementarste Interessen der Arbeitnehmer schützen, und nachdem dafür keine kompensierenden Regelungen vorgesehen sind, bedeutet dieser Deregulierungsprozess weltweit einen Fundamentalangriff auf die Interessen der Arbeitnehmer. Eine halbe Dekade nach Etablierung der WTO zeigen sich bereits die verheerenden Auswirkungen, vor allem dort, wo die Arbeitnehmer am schwächsten sind: in den Entwicklungsländern.

Daher müssen die ILO-Kernarbeitsnormen rechtlich durchsetzbar in den WTO-Vertrag aufgenommen werden. So bekommen die Arbeitnehmer ein gleichwertiges Instrument zum Schutz ihrer unmittelbaren Lebensinteressen - ein Instrument, wie es der Unternehmensseite bereits im WTO-Vertrag zugestanden wurde. Und die Gewerkschaften müssen sich vehement dagegen wehren, dass jene Gesetze, die sie zum Schutz der Arbeitnehmer in einem langen historischen Kampf durchgesetzt haben, dem freien weltweiten Markt geopfert werden.

1) GATS: General Agreement on Trade of Services.

2) Hier liegt der Grund für die energische Haltung des ÖGB: Die Arbeitsmärkte und Dienstleistungen bei der EU-Osterweiterung sollen erst geöffnet werden können, wenn qualitative Kriterien erfüllt sind (80 Prozent des Lohnniveaus). Ansonsten werden die Arbeitsmärkte aufgrund der extrem hohen Lohnunterschiede auf lange Sicht funktionsunfähig.

3) Diese Ausnahmen sollen jetzt gestrichen werden.

4) Einer der Gründe dafür liegt in der neoliberalen Vorgabe, dass Finanzmärkte frei sein müssen und daher nicht geregelt werden dürfen.

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Ernst Tüchler (Mitarbeiter des volkswirtschaftlichen Referates im ÖGB) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875987495 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875987510 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875987563 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jan 2002 00:00:00 +0100 1194875987255 Armut in Europa - eine Herausforderung | Die nationalen Aktionspläne gegen Armut und soziale Ausgrenzung und warum Österreichs NAP nicht ausreicht 60 Millionen Arme gibt es in Eu- ropa, das sind 18 Prozent der Bevölkerung, oder anders gesagt: Fast jeder 5. Europäer ist derzeit arm. Um die Armut zu bekämpfen wurde, entsprechend den Zielen von Lissabon, der Nationale Aktionsplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung, kurz »NAP Eingliederung«, entwickelt. Der NAP Eingliederung soll zu zielgerichteten Politiken bei der Armutsbekämpfung und zur Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in diesem Bereich beitragen - so will es die Kommission.

Interessen der Großindustrie

Anna Diamantopoulou, Kommissarin für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, liegt besonders die soziale und gesellschaftspolitische Komponente der Armutsbekämpfung am Herzen. Mit Armut geht die soziale Ausgrenzung einher. Arme Menschen sind oder fühlen sich aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen und isoliert.

Die Kommission sieht jedoch das Problem der Armut ausdrücklich zugleich als eine wirtschaftliche Frage. Denn hier geht es um Ressourcen an so genanntem Humankapital, die nicht genutzt werden. Arme sind - sieht man es rein rechnerisch - unproduktiv und verursachen Kosten, anstelle zur Volkswirtschaft etwas beizutragen.

Armut ist überdies eine Frage des Regierens, so Diamantopoulou: »Die EU wird von ihren Bürgern immer noch als konzentriert auf die Interessen der Großindustrie anstatt auf die Interessen des Mannes oder der Frau auf der Straße erlebt.« Um Armut erfolgreich zu bekämpfen, braucht es daher vor allem politischen Willen.

Um diesen politischen Willen deutlich zu unterstreichen, hat Brüssel im September 2001 das neue europäische Programm gegen soziale Ausgrenzung beschlossen. Als ein Fünfjahreprogramm umfasst es 75 Millionen Euro und soll die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Armutsbekämpfung unterstützen.

Zugleich wurden im letzten Sommer die ersten Nationalen Aktionspläne von den 15 in Brüssel eingereicht. Im Oktober publizierte die Kommission ihre Bewertung dazu. Dieser Bericht bestätigt, dass der Kampf gegen die Armut in Europa noch eine »wichtige Herausforderung« darstellt, wie die Kommission feststellen muss. Eine »Herausforderung«, das heißt im diplomatischen Sprachgebrauch der Kommission, dass bisher noch nicht viel erreicht wurde. 60 Millionen Arme, das entspricht immerhin der Bevölkerung Frankreichs.

Der neue NAP

Der NAP Eingliederung ist sozusagen die jüngere Schwester des NAP für Beschäftigung und hat mit diesem einiges gemeinsam: Erstens steht auch im NAP Eingliederung die Schaffung von Arbeitsplätzen an zentraler Stelle als das wirksamste Mittel zur Armutsbekämpfung. Weil die Sozialpolitik eigentlich unter die Subsidiarität fällt, hat Brüssel schon bei der Beschäftigung die Methode der »offenen Koordinierung« angewandt, im neuen NAP ist das nicht anders. Das heißt, es bleibt jedem Mitgliedstaat selbst überlassen, wie er bestimmte Ziele erreichen will. Die meisten Mitgliedstaaten haben ihre beiden NAPs auch miteinander verknüpft.

Vier gemeinsame und sehr allgemein gehaltene Ziele zur Bekämpfung und Prävention von Armut wurden beim Gipfel von Nizza im Dezember 2000 für den »NAP Eingliederung« definiert (siehe Kasten).

Im NAP selbst müssen die Ziele zunächst jeweils spezifiziert werden, denn die Ausgangssituation in den einzelnen Ländern ist höchst ungleich. Jedes Land muss daher selbst über die genauen Strategien bei der Eingliederung der Armen in die Gesellschaft entscheiden. Aufgabe der Regierungen ist es, geeignete Ziele zu definieren und entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Im Zwei-Jahre-Rhythmus wird dann ein neuer Aktionsplan erstellt.

INFO:
Der erste österreichische Nationale Aktionsplan zur Eingliederung vom Juni sowie der Bericht der Kommission vom Oktober 2001 sind auf der Webseite der Kommission im Wortlaut nachzulesen: http://europa.eu.int/comm/employment_social/news/2001/jun/napincl2001au_de.pdf
http://europa.eu.int/comm/employment_social/news/2001/oct/socincl_report_de.pdf

Was ist Armut?

In Brüssel kämpft man allerdings noch mit dem Problem, alle fünfzehn unter einen Hut bringen zu müssen. Denn nicht nur die Ausgangssituation in den einzelnen Ländern ist unterschiedlich, auch das Datenmaterial und die Indikatoren sind uneinheitlich und müssen auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden.

Die Definition von Armut ist tatsächlich nicht so ohne weiteres klar und eindeutig. Armut steht immer in Bezug zum jeweiligen Wohlstandsniveau einer Gesellschaft. Dieses Wohlstandsniveau scheint selbst im Europa der 15 noch nicht wirklich ausgeglichen. Wie sich die Lage nach der Osterweiterung präsentieren wird, wird derzeit als Frage noch gar nicht gestellt. In der Zwischenzeit versucht man, sich auf eine gemeinsame Definition von Armut im reichen Westen zu einigen.

Armut heißt ...

Wer heute arm ist, ist meist nicht einfach nur finanziell arm oder arbeitslos. Armut heißt eben auch ein Am-Rande-Stehen in der Gesellschaft. Wer arm ist, hat kaum Möglichkeiten, am kulturellen Leben teilzunehmen oder sich weiterzubilden; Kinder von armutsgefährdeten Haushalten verlassen früher die Schule, Arme sind öfter krank als andere Menschen; Armut isoliert. Man ist sich so weit einig, dass Kultur, Gesundheit oder Bildung längst kein Luxus mehr sind und ihr Fehlen genauso sehr als Armut erlebt werden. Die Messbarkeit dieser Art von Armut stellt allerdings noch einige Probleme.

Auch in Österreich hat die »Armutskonferenz«, die sich als Lobby derer versteht, die keine Lobby haben, versucht, eine Reihe solcher nicht direkt materieller Kriterien zusammenzustellen. Darüber hinaus gelten natürlich auch die »klassischen« Definitionen von Armut: Substandardwohnungen, überbelegte Wohnungen, unzureichende Heizung, finanzielle Nöte bei der Anschaffung von Lebensmitteln oder Kleidern, Rückstände bei der Zahlung von Miete, Strom, Gas.

Einkommensarmut als Schlüsselindikator?

In Brüssel wird Armut in erster Linie als Einkommensarmut definiert. Die so genannte relative Armutsgrenze beginnt allerdings bei unterschiedlichen Werten, je nach Land bei 50 oder 60 Prozent des mittleren Einkommens. Dazu kommt, dass einige Länder die relative Armutsgrenze als Schlüsselindikator nicht anerkennen. So heben z. B. Schweden, Dänemark und die Niederlande die Bedeutung eben jener anderen Faktoren wie Gesundheit, Bildung oder soziale Beteiligung hervor.

Eine eigene Expertengruppe brütet in Brüssel über dem Problem der Definition und der Indikatoren. Verglichen werden derzeit oft noch ungleiche Daten. Einheitliche Kriterien sind jedoch nicht zuletzt für die Messbarkeit des Fortschritts bei der Armutsbekämpfung unbedingt nötig.

Doch der Bericht der Kommission beruht nicht allein auf Daten und Zahlenmaterial, sondern er lobt und kritisiert sehr genau die selbst gesteckten Ziele und die dazugehörigen Maßnahmen der einzelnen Länder. Hierbei spielen besonders die »bewährten Verfahren« (»Good Practice«) eine wichtige Rolle, das sind zumeist innovative Ansätze, die sozusagen mit gutem Beispiel vorangehen. Der Austausch von solchen Verfahren und Ansätzen soll möglichst gefördert werden.

Die jeweils angewandten »bewährten Verfahren« hängen aber auch wiederum von der Ausgangsposition ab: Länder mit einer hohen Arbeitslosenzahl forcieren eher Politiken zur Schaffung von Arbeitsplätzen (Spanien, Frankreich), Länder mit hoher Beschäftigungsquote initiieren eher Programme zur stärkeren Beteiligung älterer oder behinderter Menschen (z. B. Luxemburg, Dänemark).

Wen es am stärksten trifft

Der Anteil der Armen ist je nach Land unterschiedlich hoch: von 8 Prozent in Dänemark bis hin zu 23 Prozent in Portugal. Österreich liegt mit 13 Prozent eindeutig unter dem EU-Durchschnitt. Europaweit am meisten betroffen sind Kinder und Jugendliche, ältere Menschen, Arbeitslose und Alleinerzieherinnen. Und es sind vor allem die Frauen, die am stärksten von Armut bedroht sind - der Bericht belegt, was wir ohnehin geahnt haben.

Auch die Gründe dafür sind die ewig gleichen: Frauen sind oft schlechter ausgebildet, unterbrechen ihre berufliche Karriere wegen der Kinder, haben Probleme, Familie und Beruf zu vereinbaren, und sind folglich auch diejenigen, deren Altersversorgung am schwächsten ausfällt. Wen wundert es also, dass besonders allein erziehende Mütter und Rentnerinnen überdurchschnittlich oft von Armut betroffen sind.

Die Risikofaktoren für Armut sind heute nicht mehr vorwiegend schichtspezifisch, sondern bestimmten Gruppen zugeordnet (Ausländer, Behinderte etc.). Zugleich kann Armut jeden treffen, der aufgrund seiner persönlichen Biographie plötzlich nicht mehr reibungslos im Erwerbsleben funktioniert: Scheidung, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder mehr als drei Kinder können eine - wenn auch oft zum Glück nur vorübergehende - Armut bewirken.

»Typische« Arme wie Obdachlose oder Haftentlassene stellen zahlenmäßig eine Minderheit dar. Viel gefährlicher noch ist die Armut, die über die Generationen weitergegeben wird: Aufgrund der schlechten Ausgangsbedingungen (schlechtere Ausbildung etc.) finden Kinder aus armen Haushalten wiederum nicht den Weg aus der Armut heraus.

ARMUT
Die vier gemeinsamen Ziele der 15 bei der Bekämpfung von Armut:
1. Förderung der Teilnahme am Erwerbsleben und des Zugangs aller zu Ressourcen, Rechten, Gütern und Dienstleistungen.
2. Den Risiken der Ausgrenzung vorbeugen.
3. Für die sozial Schwachen handeln.
4. Alle Akteure mobilisieren.

Die »digitale Kluft«

Die Informationstechnologien und das Internet können wesentlich zum Abbau der traditionellen Hindernisse beitragen, welche benachteiligte Gruppen wie z. B. ältere Menschen oder Behinderte ausgrenzen. Mit Hilfe der neuen Technologien kann Wissen und (Aus-)Bildung effizienter verbreitet oder auch der Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen (Stichwort: virtuelles Amt) erleichtert werden. Dafür ist allerdings eine so genannte Medienkompetenz Voraussetzung.

In diesem Bereich wurden bereits einige vorbildlichen Verfahren zur Erschließung dieser Möglichkeiten ausgearbeitet, z. B. die Implementierung von IT-Zentren in vernachlässigten Gebieten - trotzdem bestehen weiterhin große Lücken, die immer mehr als ein Hindernis empfunden werden.

Dazu Kommissarin Diamantopoulou: »Wir sehen uns einer doppelten Herausforderung gegenüber. Wir müssen die neuen Technologien optimal nutzen, um soziale Ausgrenzung zu bekämpfen und zu verhindern. Und wir müssen sicherstellen, dass alle Europäer die wirtschaftlichen und sozialen Vorteile, welche die Wissensgesellschaft bietet, auch voll nutzen können.«

Österreich

Österreich steht zahlenmäßig gut da: niedrige Arbeitslosigkeit, hoher Anteil der Sozialausgaben am BIP (siehe Grafik »Anteil des BIP an den Sozialschutzausgaben«), weniger Arme als im europäischen Durchschnitt. Eigentlich ein Musterschüler.

Die österreichische Regierung gab als Nationalen Aktionsplan gegen die Armut daher einfach eine ausführliche Zusammenfassung des bestehenden Sozialsystems ab. Ohne dabei weiter auf die Themenstellung Rücksicht zu nehmen, verließ man sich auf Bewährtes. Ein Aktionsplan ohne neue Aktionen sozusagen. Eigentlich Thema verfehlt.

Österreich kommt im Bericht der Kommission zunächst entsprechend gut weg. 13 Prozent der Österreicher haben ein Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Einkommens. Nur 5 Prozent leben länger als drei Jahre hintereinander in so genannter persistenter Armut. Damit liegen wir klar unter dem EU-Durchschnitt (siehe Grafik »Relative Armutsquoten Europa«).

Der Frauenminister

Das im NAP Eingliederung beschriebene österreichische Sozialsystem (Kranken-, Arbeitslosen-, Renten- und Unfallversicherung auf Bundesebene sowie Sozialhilfe als zweites Netz auf Länderebene) wird von Brüssel durchaus für gut befunden. Über dieses Lob für den Sozialschutz zeigte man sich im Sozialministerium »hoch erfreut«: Das Lob aus Brüssel solle denen, die die Sozialpolitik der österreichischen Bundesregierung bei jeder Gelegenheit kritisierten, eine Lehre sein, meinte Minister Haupt im »Standard«. Dass das Lob einem Sozialsystem gilt, das nicht von der aktuellen Regierung entwickelt wurde, sondern von ihr eher demontiert wird, scheint Haupt nicht weiter zu stören. Der Minister liest außerdem nicht weiter im Text - denn da kam keineswegs nur Lob aus Brüssel.

Die Kommission kritisiert mit sehr deutlichen Worten den Mangel an neuen Strategien und Zielen, die der NAP hätte entwickeln sollen. Denn er enthält wenig Ideen dazu, wie die trotz des gut entwickelten Sozialsystems existierende Armut beseitigt oder wenigstens reduziert werden könnte. Der österreichische NAP ist schon vom Ansatz her sehr oberflächlich: »Quantitative Ziele auf der Grundlage angestrebter Ergebnisse sowie Indikatoren für das Monitoring werden (...) nicht ausreichend dargestellt«, meint die Kommission.

Working poor

Ähnlich wie in Gesamteuropa sind die am meisten betroffenen Gruppen Langzeitarbeitslose, Migrantenhaushalte, Haushalte mit mehr als drei Kindern, Alleinerzieherinnen und Behinderte. Nicht nur Arbeitslose sind betroffen oder gefährdet. Auch die so genannten »working poor«, d. h. Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, leben oft unter oder knapp an der Armutsgrenze. Was die politischen Maßnahmen angeht, die die Regierung im NAP hätte vorschlagen sollen, so werden »die Probleme einzelner Bevölkerungsgruppen, die erhebliche Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt haben oder von Sozialleistungen ausgeschlossen sind (wie z. B. Zuwanderer aus Nicht-EU-Ländern) im Aktionsplan nicht angesprochen«, vermerkt die Kommission. Im Klartext: Die ganz Armen kommen gleich gar nicht vor.

In Österreich steht als Risikofaktor für Armut das Geschlecht gleich hinter der fehlenden Erwerbstätigkeit an zweiter Stelle. In einer Stellungnahme zum Armutsbericht greifen daher auch die ÖGB-Frauen die Kritik der Kommission am österreichischen NAP auf, um ihren Forderungen, wie z. B. dem einkommensabhängigen Karenzgeld, Nachdruck zu verleihen. 340.000 Menschen in Österreich sind von akuter Armut betroffen. »Die Mehrheit davon sind Frauen«, hält Sylvia Ledwinka fest.

Es überrascht fast nicht, dass neben den fehlenden Maßnahmen für Zuwanderer auch Frauenarmut im Sozialministerium kein vorrangiges Thema zu sein scheint: Der Gen- der-Mainstreaming-Ansatz existiert zwar, er wird allerdings, ebenso wie die spezifische Problematik benachteiligter Frauen, »unzureichend ausgeführt«, vermerkt Brüssel. Nur Modebegriffe erwähnen reicht eben nicht.

Allein stehende oder alte Frauen: Ungleichheiten

Besonders die Einkommensdisparitäten sind beträchtlich, stellt die Kommission fest.

Nimmt man die Zahlen unter die Lupe (siehe oben stehende Grafiken), so wird klar, dass allein stehende oder alte Frauen in Österreich von allen Gruppen die beste Chance haben, unter die Armutsgrenze zu rutschen. In der Altersgruppe über 65 liegt die Armutsrate für Frauen sogar über dem EU-15-Durchschnitt - jede vierte Frau über 65 ist arm. Auch allein lebende Frauen sind massiv von Armut bedroht (31 Prozent; im Vergleich: 27 Prozent im EU-Durchschnitt, 19 Prozent allein lebende Männer EU und Österreich).

Man befasst sich im NAP zwar mit den Rentnerinnen, und das Kinderbetreuungsgeld könnte »in einigen Fällen dazu beitragen, Armut zu lindern«, meint die Kommission eher zurückhaltend. Eine detaillierte Evaluierung steht allerdings noch aus - und es wird sich zeigen, ob es nicht Frauen davon abhält, nach der Kindererziehungsphase wieder ins Berufsleben einzusteigen, hält Brüssel zweifelnd fest.

Armut einfach nur in einigen Fällen zu lindern wird nicht ausreichen. Wieweit Armut überhaupt im Bewusstsein der Österreicher verankert ist, wäre wohl zu fragen. Denn arm sein hat in einer Leistungsgesellschaft den Platz eines Schreckgespensts des Versagens: Arme sind in den Augen der ande-ren nur allzu oft entweder selber schuld oder schlichtweg Sozialschmarotzer.

Armut ist in Österreich dank eines soliden Sozialsystems zwar kein Massenphänomen, aber deshalb noch längst nicht inexistent. Beim Lesen des NAP entsteht jedoch der Eindruck, dass man sich im Sozialministerium nur wenig Mühe geben will und die Armen lieber der Caritas überlässt.

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Barbara Lavaud (ÖGB - Europabüro in Brüssel) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875987117 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875987127 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875987134 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jan 2002 00:00:00 +0100 1194875987082 Zwölf Länder, eine Währung | Vom Buchgeld zum Zahlungsmittel: Der Euro ist die neue Währung in 12 EU-Ländern Kurze Geld- und Währungsgeschichte Österreichs in den letzten 100 Jahren

Im vergangenen 20. Jahrhundert hat Österreich viermal seine Währung geändert: das erste Mal 1925, als der Schilling die nur 32 Jahre alte Kronenwährung ersetzte, in einem Verhältnis von 10.000 zu 1. Vorangegangen war eine Hyperinflation, welche durch den Weltkrieg und den Zerfall der Habsburgermonarchie ausgelöst worden war und an deren Ende Geldvermögen weitgehend entwertet waren.

Nach dem Anschluss an Hitlerdeutschland ersetzte 1938 die Reichsmark den Schilling im Verhältnis 1:1,5. Dieser Währungswechsel wurde nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 im Verhältnis 1:1 rückgängig gemacht.

Seit Dezember 1945 ist der Schilling wieder die österreichische Währung gewesen - im Außenverhältnis 53 Jahre lang bis zum 31. 12. 1998, als gesetzliches Zahlungsmittel im österreichischen Bundesgebiet bis zur Einführung des Euro am 1. 1. 2002 (siehe Kasten: »Währungen in Österreich im 20. Jahrhundert«).

Die Währungs- und Geldgeschichte ist gleichermaßen ein Spiegelbild der politischen und wirtschaftlichen Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert. Die Währungsreform von 1925 war die Konsequenz eines politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruches im Gefolge des Ersten Weltkriegs, von dem sich der gegen seinen Willen geschaffene Kleinstaat bis zu seinem vorläufigen Ende 1938 nicht wirklich erholt hat.

Der Verlust der Souveränität nach der gewaltsamen Annexion durch das nationalsozialistische Deutschland 1938 war mit dem Verlust der eigenen Währung verbunden, welche nach der Wiederherstellung der staatlichen Souveränität Österreichs mit einer Zeitverzögerung von sieben Monaten ebenfalls wieder eingeführt wurde.

Symbol des Wirtschaftswunders

Ähnlich wie die DM wurde auch der österreichische Schilling in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Symbol des Wirtschaftswunders, also einer bis dahin nie gekannten dauerhaften wirtschaftlichen Prosperität. Das Bruttoinlandsprodukt stieg zwischen 1950 und 2000 real auf mehr als das Sechsfache, das durchschnittliche reale Lohneinkommen auf das 4,9fache (siehe Kasten: »Kaufkraft von 1.000 Schilling«). Wie aus diesem Kasten ersichtlich, ist die Kaufkraft des Schillings im Zeitraum von 1951 bis 2001 um 84 Prozent gesunken. Das sieht auf den ersten Blick viel aus, doch beträgt die daraus errechnete durchschnittliche jährliche Inflationsrate nur 3,7 Prozent.

Österreich war damit eines der preisstabilsten Länder unter den westlichen Industriestaaten, der Schilling neben der DM, dem Schweizer Franken, dem holländischen Gulden eine der wertbeständigsten Währungen, wertbeständiger als der US$, der französische Franc, von Währungen wie Lira und britischem Pfund gar nicht zu reden.

Die am 1. 1. 2002 erfolgte Währungsumstellung auf den Euro ist der für unser Land letzte Schritt auf dem Weg zur europäischen Währungsunion. Österreich hat bei seinem EU-Beitritt 1995 auch den Beitritt zur Währungsunion angestrebt und mit der Erfüllung der sogenannten »Maastricht-Kriterien« 1998 gemeinsam mit 10 anderen EU-Mitgliedsländern erreicht. Griechenland ist seit einem Jahr als 12. Land ebenfalls beim Euro mit dabei, draußen bleiben - aus unterschiedlichen Gründen - bis auf weiteres Schweden, Dänemark und Großbritannien.

Währungen in Österreich im 20. Jahrhundert

1 Krone zu 100 Heller
von 1892 bis 1924

1 Schilling (= 10.000 Kronen) zu 100 Groschen
von 1925 bis 25. 4. 1938

1 Reichsmark (= 1,50 Schilling) zu 100 Reichspfennig
vom 25. 4. 1938 bis 30. 11. 1945

1 Schilling (= 1 Reichsmark) zu 100 Groschen,
ab 30. 11. 1945

1 Euro (= 13,7603 Schilling) zu 100 Cent ab
1. 1. 1999 bzw. 1. 1. 2002

Die Schaffung der gemeinsamen europäischen Währung und die letztendliche Einführung dieses Geldes als gesetzliches Zahlungsmittel hat in Österreich keinerlei Ähnlichkeit zu einer »Währungsreform«, bei der nach Perioden rascher Geldentwertung die neue Währung eine alte ersetzt, die jedes Vertrauen eingebüßt hat. In dieser Hinsicht sind Unterschiede zwischen den einzelnen Teilnehmerländern der Währungsunion nicht übersehbar: Je höher die Inflation in den letzten Jahrzehnten war, umso stärker war eine Notwendigkeit zu einer Umstellung aus rein praktischen Gründen, da das Rechnen mit der Währung umso mühsamer ist, je mehr Nullen erforderlich werden. Aus diesem Grund ist es durchaus plausibel, dass die spontane Zustimmung der Bevölkerung zum Euro in Italien, Portugal, Spanien und Griechenland größer war als in Deutschland, Österreich oder Frankreich (siehe Kasten: »Umwechselkurse Euro-Landeswährung«).

Von der Schwierigkeit oder Leichtigkeit des Umrechnens her gesehen sind wir in Österreich in einer eher ungünstigen Position, da eine Rückrechnung in die alte Währung mit dem Faktor 14 (gerundet) - zumindest im Kopf - viel mühsamer ist als von der DM (1 Euro rund 2 DM) oder von der Lira (1 Euro rund 2000 Lire). Das sind historische Zufälligkeiten, die in der Genese des ECU, des Vorläufers des Euro als Buchgeld, begründet sind.

Die Schaffung der europäischen Einheitswährung ist ein entscheidender Schritt zur Herstellung eines einheitlichen Wirtschaftsniveaus, dieser wieder Teil des Weges zu einem gemeinsamen europäischen Bundesstaat. Dieser Schritt wird gesetzt nicht aufgrund einer Notlage nach einer wirtschaftlichen Katastrophe oder nach der inflationären Zerrüttung der Währung, sondern als frei entschiedene Maßnahme.

Währungsunion virtuell und real

Die Europäische Währungsunion besteht seit dem 1. 1. 1999, also seit drei Jahren. Während dieser Zeit waren die weiter im Umlauf befindlichen nationalen Währungen nur rechnerischer Ausdruck des Euro, der allein auf den internationalen Devisenmärkten gegen US$, Yen oder Schweizer Franken getauscht wurde. Für die Amerikaner oder Japaner gab es seit drei Jahren die DM oder andere im Euro aufgegangene Währungen nicht mehr, außer wenn sie als Touristen nach Deutschland kamen. Dennoch hat sich die Illusion, dass der Schilling unsere österreichische Währung im alten vor 1999 gültigen Verständnis ist, bis in die letzten Monate seiner Existenz als Zahlungsmittel hartnäckig behauptet.

Zwar finden sich auf dem Kurszettel der Wiener Börse und bei den übrigen Finanzmarktwerten seit 1999 keine Schillingwerte mehr. Auf den Kontoauszügen der Gehalts- und Girokonten ist der Saldo zusätzlich zum Schillingwert auch in Euro angegeben. Und trotz allem hat der Euro bis vor kurzem im Alltagsleben der meisten Menschen kaum eine Rolle gespielt. Die OeNB musste durch eine eindringliche Werbe- und Informationskampagne die Bevölkerung darauf aufmerksam machen und vorbereiten, dass die Währungsumstellung unmittelbar bevorsteht. Woher kommt dieses Festhalten an der gewohnten Währung?

Tief im Bewusstsein eingegraben ...

Es kommt daher, dass der Wert des Geldes nicht absolut gegeben ist, sondern sich aus seiner Kaufkraft gegenüber den Waren und Dienstleistungen ergibt. Viele Maßstäbe sind tief im Bewusstsein eingegraben, wir sind uns deshalb ihrer nicht ständig bewusst, aktivieren sie aber nach Bedarf, um sie auf konkrete Sachverhalte anzuwenden: wie lang ein Meter ist, wie schwer ein Kilogramm, wie kalt - 3 Grad Celsius usf. Ebenso verhält es sich mit der Währung, dem Maßstab des Wertes von Gütern und Dienstleistungen, von Vermögen und Schulden. Was eine Sache »wert« ist, beurteilen wir meist ohne große Kopfrechenoperationen gefühlsmäßig-intuitiv aufgrund eines »inneren Maßstabs«.

Wer im Ausland etwas kauft, rechnet den Betrag in die Heimatwährung um, und auf dieser Basis wird die Entscheidung getroffen. Wenn nun 12 von 15 EU-Ländern mit Jahresbeginn 2002 zum Euro übergegangen sind, wird eine Zeit lang der Vorgang bei jeder Kaufentscheidung der gleiche sein: Es wird in Schilling zurückgerechnet und dann die Entscheidung getroffen. Und jeder Einzelne wird dies so lange tun, bis sie oder er im Euro dieselbe intuitive, gefühlsmäßige Sicherheit des Urteils erlangt hat, ob z. B. 1,10 e für eine bestimmte Zeitung oder 79 Cent für ein Viertel Butter einer bestimmten Marke angemessene Preise sind. Wenn man dieses Urteil in Bruchteilen einer Sekunde fällen kann, so wie wir jetzt beim Schillingpreis dazu in der Lage sind, dann hat man die Umstellung geschafft und kann die alte Währung vergessen.

Umwechselkurse Euro - Landeswährungen

1 Euro entspricht:

1,95583 DEM
40,3399 BEF
2,20371 NLG
1936,27 ITL
166,386 ESP
200,482 PTE
6,55957 FRF
0,787564 IEP
13,7603 ATS
5,94573 FIM
340,750 GRD

Trägheit

Die Erfahrung zeigt allerdings, dass diese Selbstverständlichkeit des Rechnens in der neuen Währung im günstigsten Fall erst nach mehreren Monaten eintritt. In England z. B. hat sich nach der viel weniger einschneidenden Umstellung von einer Einteilung des Pfunds in 20 Shilling zu je 12 Pence auf das Dezimalsystem 1971 (1 Pfund = 100 Pence) gezeigt, dass manche Menschen noch viele Jahre danach für sich in den alten, längst nicht mehr existierenden Scheidemünzeneinheiten rechneten.

Diese Trägheit des Bewusstseins kommt auch bei der Umstellung anderer Maßstäbe zum Ausdruck. Die Umstellung der Maßeinheiten auf das metrische System im 19. Jahrhundert hat in Europa Jahrzehnte gebraucht, bis sie allgemein akzeptiert war, und in den USA haben sich trotz zeitweiliger Bemühungen um dessen Einführung noch immer die alten, viel unpraktischeren Maßeinheiten vom »Zoll« bis zum »Gallone« behauptet.

Geld ist auch ein gesellschaftliches Bindemittel

Aus dem Gesagten zeigt sich mit großer Plastizität, wie ungemein wichtig die Währung, also der Maßstab des Geldes, nicht nur in wirtschaftlicher, sondern auch in gesellschaftlicher Hinsicht ist.

Die Schaffung des europäischen Binnenmarkts hat sicher seit dem im Jahr 1986 von der EU beschlossenen »Binnenmarktprogramm« enorme Fortschritte gemacht. Im Bewusstsein der Konsumenten war er aber bis zuletzt nur ansatzweise präsent, solange diese in unterschiedlichen Währungen »gedacht« haben. Das meiste, was in anderen Währungen ausgedrückt war, blieb am Rand oder außerhalb des Beobachtungshorizonts. Auch wenn die Österreicher in Zukunft das meiste weiterhin in Österreich einkaufen werden, wird die im Euro unmittelbar gegebene Vergleichsmöglichkeit zu allen anderen Ländern der Währungsunion mittel- und längerfristig ihre Auswirkungen auf die relativen Preise haben, auch auf die Unterschiede bei Umsatz- und Verbrauchssteuern zwischen den Ländern.

Für das Gemeinsamkeits- und Zusammengehörigkeitsgefühl der Europäer bedeutet die tatsächliche Einführung des Euro als Zahlungsmittel jedenfalls wesentlich mehr als seine für Bürger und Konsumenten weitgehend virtuelle Einführung als internationale Währung und auch mehr als der sicherlich nicht unbedeutende Schritt der Abschaffung der Binnengrenzen innerhalb des Schengenraumes. »Geld ist das Medium der Wirtschaft« - das heißt, durch Geld sind alle wirtschaftlichen Transaktionen vermittelt. Wenn nun die Bürger und Bürgerinnen von 12 europäischen Ländern dasselbe Geld im wirtschaftlichen Alltag verwenden, wird der Euro für diese Europäer zum gemeinsamen Band gegenüber dem Währungsausland.

Wenn die Europäische Union sich langfristig zu einem europäischen Bundesstaat entwickeln soll, so kann dieses Ziel nicht allein durch die Schaffung entsprechender verfassungsmäßiger Strukturen und Institutionen auf der politischen Ebene erreicht werden. Entscheidend wird sein, dass die gesellschaftliche Ebene sich ebenfalls in dieser Richtung weiterentwickelt. Dazu ist die Verwendung eines gemeinsamen Geldes ein wichtiger Schritt. Eine weitere Voraussetzung für das gesellschaftliche und politische Zusammenwachsen der europäischen Völker wird in Zukunft vor allem das Entstehen europäischer Massenmedien sein.

Konkrete Vorteile: Realisierung vorantreiben

Vom praktischen Standpunkt aus betrachtet besteht ein unmittelbarer Vorteil des Euro darin, dass das Umwechseln von Bargeld bei Auslandsreisen in Zukunft nicht mehr notwendig ist. Im Zeitalter des Internet werden die virtuellen Märkte an Bedeutung zu- und damit das Hindernis räumlicher Distanzen beim Einkaufen abnehmen. Der Euro bewirkt hier eine zusätzliche Erleichterung der Transaktionen, allerdings nur dann in spürbarem Ausmaß, wenn die Gebühren im Auslandszahlungsverkehr massiv gesenkt werden. Für Käufe in der Größenordnung von bis zu 50 oder fallweise vielleicht 100 Euro sind die derzeit von den Banken verrechneten Mindestgebühren, welche 4 bis 27 Euro betragen, schlicht prohibitiv.

Die Europäische Kommission hat diese Praxis schon seit längerem scharf kritisiert und angekündigt, dass massive rechtliche Schritte unternommen werden sollen, um eine weitgehende Einebnung der Gebührenunterschiede zwischen Inlands- und Auslandsüberweisungen möglichst rasch herbeizuführen.

Maßnahmen zur Sicherung des Vertrauens in der Umstellungsphase

Die Umstellung vom gewohnten Schilling auf den Euro ist unvermeidlicherweise mit Unsicherheiten und Risken verbunden, und zwar für die gesamte Zeitspanne, bis sich die Bevölkerung wieder an die neuen Einheiten gewöhnt hat. Deshalb müssen alle Mitteln dazu eingesetzt werden, um einen Vertrauensverlust für die neue Währung in der Anfangsphase zu verhindern. Die reale Gefahr bei der Umstellung besteht vor allem darin, dass bei dieser Gelegenheiten Preiserhöhungen vorgenommen werden - in der Hoffnung, dass diese in der allgemeinen Unübersichtlichkeit nicht bemerkt werden. Deshalb haben AK und ÖGB dem Übergangsprozess rechtzeitig ihr besonderes Augenmerk zugewendet. Um die Wirksamkeit der gesetzlichen Begleitmaßnahmen, welche solche Preiserhöhungen verbieten, zu gewährleisten, werden seit Anfang 2001 verstärkte Überwachungsmaßnahmen gesetzt. Verstöße wurden und werden bei der Europreiskommission angezeigt und/oder publizistisch »angeprangert«. Gerade der Umstand, dass die Unternehmer mit einer starken Kontrolle rechnen mussten, hat wesentlich dazu beigetragen, dass sich der Missbrauch des Anlasses bisher in Grenzen gehalten hat. Es wird aber notwendig sein, diese Kontrolle noch geraume Zeit nach der Umstellung fortzusetzen, um spätere ungerechtfertigte Preiserhöhungen zu unterbinden. Um die Konsumenten auf den Übergang vorzubereiten, war seit 1. Oktober 2001 eine doppelte Preisauszeichnung vorgeschrieben, die bis mindestens Ende Februar 2002 weiter gilt.

Anreiz und Druck

Besonders kritisch in der Übergangsphase ist der Zeitraum mit Doppelwährung: Von Jahresbeginn bis 28. Februar sind Euro und Schilling als gesetzliche Zahlungsmittel im Umlauf, nach dem 28. Februar können Schillingnoten nur noch bei der Nationalbank umgetauscht werden. Dieser Zeitraum ist kurz bemessen und stellt an die Umstellungsfähigkeit der Bevölkerung hohe Ansprüche. Es ist aber notwendig, dass durch eine knapp begrenzte Zeitdauer der Doppelwährung ein entsprechender Anreiz und Druck vorhanden ist, sich an die neue Währung zu gewöhnen. Eine längere Doppelwährungsphase würde der Illusion Vorschub leisten, dass man die Mühen der Umstellung länger hinausschieben kann. Dazu kommt, dass die Parallelverwendung von Schilling und Euro unvermeidlicherweise eine Quelle von Irrtum und Täuschung ist, die so rasch wie möglich beseitigt werden soll.

Erfahrungen und Perspektiven der Währungsunion aus volkswirtschaftlicher Sicht

In den gut drei Jahren ihrer Existenz hat sich die gemeinsame europäische Währung international im Großen und Ganzen bewährt, wenn auch die Währungs- und Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht immer eine glückliche Hand hatte. Das entscheidende Argument für Einführung der gemeinsamen europäischen Währung war, dass ein Binnenmarkt mit schwankenden Wechselkursen diesen Namen nicht verdient und dass die periodisch wiederkehrenden Währungskrisen im Binnenmarkt (zuletzt 1992 und 1995) jeweils einen schweren Rückschlag für die europäische Konjunkturentwicklung bedeutet haben. In dieser Hinsicht sind die positiven Auswirkungen des Euro keinesfalls zu unterschätzen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre es in der Vorphase der Währungsunion im zweiten Halbjahr 1998 und wahrscheinlich auch danach wiederum zu innereuropäischen Turbulenzen mit all den bekannten negativen Auswirkungen gekommen, nämlich dass die schwachen Währungen wie Lira etc. in der Phase der Dollaraufwertung gegenüber den harten Währungen an Wert verloren hätten. Hier hat die europäische Gemeinschaftswährung der Wirtschaft des Euroraumes bereits ein deutlich stabileres Fundament bieten können.

Dass der Euro seit seiner Einführung gegenüber dem US$ um 25 Prozent, zeitweise noch mehr, abgewertet hat, ist nur in jenen Kreisen und Ländern, vor allem in Deutschland, Gegenstand hämischer Kritik gewesen, die aus einem hohen Wechselkurs unsinnigerweise eine Prestigeangelegenheit machen. Nach und nach wird man in ganz Europa dazu kommen, solche Wechselkursschwankungen mit Gelassenheit zu sehen, so wie dies in den USA seit Jahrzehnten der Fall ist. Denn die Wertbeständigkeit der Währung bemisst sich nach der Entwicklung der Binnenkaufkraft, und in dieser Hinsicht hat trotz Ölpreiserhöhung kein Anlass zur Besorgnis bestanden.

Die Europäische Zentralbank

Leider hat auch die EZB bisher diese Gelassenheit nicht gezeigt, sondern in ihrer Zinspolitik einen eher restriktiven Kurs eingeschlagen. Obwohl dies offiziell nie erklärt wurde, ist doch die Vermutung nahe liegend, dass die relative Hochzinspolitik auch immer mit Blick auf den Wechselkurs gemacht wurde. Die von der EZB angeführte Inflationsgefahr ist kein glaubwürdiges Argument und hat vor allem den symbolischen Zweck gehabt, jene Härte zu demonstrieren, die der EZB zur Herstellung einer entsprechenden »Reputation« notwendig erschienen ist.

Der europäischen Konjunkturentwicklung wurde damit allerdings kein guter Dienst erwiesen, da bei expansiverer Geldpolitik und niedrigeren Zinsen die europäische Konjunktur im letzten Jahr nicht so starke Einbußen hätte erleiden müssen. Die Zinssenkungen im letzten Herbst kamen reichlich zu spät. Vor dem Hintergrund der pragmatischen US-Notenbankpolitik sieht die EZB nicht besonders gut aus. Um dem Euro und darüber hinaus der gesamten europäischen Wirtschaftspolitik in Zukunft eine bessere Akzeptanz zu verschaffen, wird es notwendig sein, auf die ständige Beschwörung einer kaum vorhandenen Inflationsgefahr zu verzichten und die Geldpolitik nicht restriktiv zu handhaben, sondern eine auf Wachstum und Beschäftigung orientierte Wirtschaftspolitik nach Möglichkeit aktiv zu unterstützen. Dazu ist es freilich auch notwendig, dass die Mitgliedstaaten der Eurozone von ihrer Linie bei der Budgetpolitik »Konsolidierung und möglichst dauerhafte Überschüsse« abrücken und sich wieder auf deren Stabilisierungsfunktion stärker besinnen. Die europäische Rezession 2001/02 hat in dieser Hinsicht schon einige neue Tatsachen geschaffen.

Außenseiter

Innerhalb der EU hat der Euro bedauerlicherweise wieder zu einer Zweiteilung der Mitgliedsländer geführt. Zurzeit ist nicht absehbar, wann die drei derzeitigen »Außenseiter« der Währungsunion beitreten. Bei Dänemark und Schweden sollten die Nachteile des Draußenbleibens in nächster Zeit doch so klar zu Tage treten, dass für diese Länder ein rascher Beitritt wahrscheinlich ist. Anders verhält es sich im Falle Großbritanniens, wo wie immer auch schon verblichene historische Reminiszenzen die emotionale Ablösung vom Pfund, der seinerzeit führenden Weltwährung, schwer machen. Dazu kommt das Schwanken Großbritanniens zwischen dem US-amerikanischen und dem europäischen Gesellschaftsmodell. Auf längere Zeit wird eine Spaltung der EU in Euroland und sonstige Mitglieder nach der geplanten EU-Erweiterung fortbestehen, weil die neuen Mitglieder nicht sogleich auch die Gemeinschaftswährung übernehmen werden.

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Günther Chaloupek (Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875986631 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875987055 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jan 2002 00:00:00 +0100 1194875986069 Was zählt, ist das Können der Arbeitnehmer Arbeit & Wirtschaft: Kollege Tumpel, die Regierung hat Bildung zu einem Schwerpunkt erklärt. Tatsächlich schaut es aber so aus, als wäre die Bildung ein Kürzungsposten ...

Herbert Tumpel: Zumindest ist der Schwerpunkt Bildung bisher nicht mehr als eine schöne Überschrift ohne Inhalt. Die Realität schaut ganz anders aus. Trotz Milliarden-Förderungen bilden die Unternehmen von Jahr zu Jahr weniger Lehrlinge aus. Die berufsbildenden mittleren und höheren Schulen platzen aus allen Nähten. Die Fachhochschulen müssen jedes Jahr Tausende abweisen, weil sie zu wenig Plätze haben. Bei der Weiterbildung wird gekürzt und gestrichen. Was wir brauchen, ist eine wirkliche Offensive in der Aus- und Weiterbildung. Denn es ist das Können jeder einzelnen Arbeitnehmerin und jedes einzelnen Arbeitnehmers, das zählt.

A&W: Gut ausgebildete Arbeitnehmer zum Nulltarif wird es aber nicht geben.

Recht auf Ausbildung

Tumpel: Natürlich nicht, dafür müssen Regierung und Wirtschaft Geld in die Hand nehmen. Das ist eine Investition in die Zukunft. Die Wirtschaft ruft immer nach Fachkräften, aber für deren Ausbildung macht sie viel zu wenig. Für 7500 Jugendliche, die dringend eine Lehrstelle suchen, bietet die Wirtschaft gerade 3500 offene Lehrstellen. In Wien gibt es zurzeit 120 junge Mädchen und Burschen, die eine Ausbildung als EDV-Techniker machen wollen, weil das ein Beruf mit Zukunft ist. Für die bietet die Wirtschaft keine einzige Lehrstelle an. Diese Jugendlichen haben nichts von einer offenen Lehrstelle in Tirol. Und sie haben nichts von einer offenen Friseur-Lehrstelle, wenn sie einen Zukunftsberuf wie EDV-Techniker erlernen wollen. Es müssen aber alle Jugendlichen das Recht auf eine Ausbildung haben. Dafür brauchen wir genügend Plätze im Auffangnetz zur Jugendausbildung. Dafür muss die Regierung genug Geld bereitstellen. Dann kommen wirklich alle Jugendlichen zu einer guten Erstausbildung. Aber auch die Lehrlingsausbildung muss verbessert werden. Alle Betriebe sollen in einen Topf einzahlen. Die Betriebe, die wirklich Lehrlinge ausbilden, sollen mit diesem Geld gefördert werden. Wir brauchen moderne Ausbildungsverbünde und wir brauchen eine verpflichtende Ausbildung für die Ausbilder, damit sie immer auf dem letzten Stand sind.

»Bei der Weiterbildung wird gekürzt und gestrichen. Was wir brauchen, ist eine wirkliche Offensive in der Aus- und Weiterbildung. Denn es ist das Können jeder einzelnen Arbeitnehmerin und jedes einzelnen Arbeitnehmers, das zählt. «

Berufsausbildung

A&W: Besonders krass ist die Situation an den berufsbildenden Schulen ...

Tumpel: Diese Schulen platzen wirklich aus allen Nähten. Vor allem an den Schulen mit einem EDV-Schwerpunkt bewerben sich dreimal so viele Jugendliche wie es Plätze gibt. Etwa an der Wiener HTL am Rennweg. Da haben sich mehr als 1000 Mädchen und Burschen beworben. Es gibt aber nur 270 Plätze. Die Jugendlichen, die keinen Platz an ihrer Wunschschule bekommen, weichen auf andere Fachrichtungen aus. Zufrieden sind sie damit aber nicht. Bei einer Studie, die wir in Auftrag gegeben haben, sagen 42 Prozent der Schüler an wirtschaftlichen Fachschulen: Das ist nicht meine Wunschausbildung.

»Wir brauchen dringend mindestens 6000 neue Plätze an den berufsbildenden Schulen. Und das Angebot der Schulen muss besser auf die Anforderungen der Wirtschaft abgestimmt werden.«

Wir brauchen dringend mindestens 6000 neue Plätze an den berufsbildenden Schulen. Und das Angebot der Schulen muss besser auf die Anforderungen der Wirtschaft abgestimmt werden.

Ein Jugendlicher, der eine IT-Ausbildung oder eine internationale kaufmännische Ausbildung will, hat nichts von einem Platz an einer landwirtschaftlichen Fachschule. Und noch etwas hat unsere Studie gezeigt: 40 Prozent der Schüler sagen, die Wahl der Schule »hat sich einfach so ergeben«. Wir brauchen dringend mehr Berufsorientierung für die Schüler.

Weiterbildung

A&W: An den Fachhochschulen ist das Bild ähnlich.

Tumpel: Gerade die Fachhochschulen bieten die beste Ausbildung für Zukunftsberufe. Im Herbst hat es für Anfänger in ganz Österreich 5400 Plätze gegeben. Beworben haben sich aber 18.000 Personen. Das Bildungsministerium fördert aber nur 600 neue Plätze pro Jahr. Das ist so gut wie nichts. Wir brauchen mehr Plätze und wir brauchen neue Fachhochschulen in zukunftsweisenden Bereichen wie IT, Biotechnologie oder Energietechnik.

A&W: Die Regierung sagt, Weiterbildung sei ein ganz zentraler Punkt der Bildungspolitik.

Tumpel: Das ist nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Für die Erwachsenenbildung gibt die Regierung ganze 0,1 Prozent des Bildungsbudgets aus. Sogar in Zeiten einer steigenden Arbeitslosigkeit fehlt das Geld für Qualifizierungsmaßnahmen, weil der Finanzminister das Geld fürs Budget abschöpft.

Dabei ist den Arbeitnehmern die Weiterbildung wichtig. Drei Viertel der Arbeitnehmer sagen, Weiterbildung ist wichtig für mein Vorwärtskommen. Aber nur ein Drittel der Arbeitnehmer bekommt vom Betrieb auch die Chance, mit dem Fortschritt Schritt zu halten.

Vor allem Frauen, ältere Arbeitnehmer, Arbeiter und einfache Angestellte haben kaum eine Chance auf eine Weiterbildung im Betrieb. Nur jeder zehnte Arbeitnehmer kann es sich leisten, sich auf eigene Kosten weiterzubilden. Weil Weiterbildung immer mehr kostet. Die Preise für EDV-Kurse etwa haben sich in den vergangenen Jahren verdreifacht.

Bildungsgutschein

Von den Arbeitnehmern wird immer mehr verlangt. Sie sollen flexibel arbeiten, gut ausgebildet sein und sich ständig weiterbilden. Dann müssen sie sich Weiterbildung aber auch leisten können. Und gerade da wird die Arbeiterkammer aktiv. Im Rahmen von AK plus bieten wir unseren Mitgliedern den Bildungsgutschein an. Der Gutschein hat einen Wert von 100 Euro und ist ein wichtiges Startkapital für mehr Chancen im Beruf. Der Gutschein kann, etwa in Wien, bereits im ersten Semester am bfi und an den Volkshochschulen für mehr als 700 Kurse eingelöst werden.

»Weiterbildung ist für die Regierung nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Für die Erwachsenenbildung gibt die Regierung ganze 0,1 Prozent des Bildungsbudgets aus. Sogar in Zeiten einer steigenden Arbeitslosigkeit fehlt das Geld für Qualifizierungsmaßnahmen, weil der Finanzminister das Geld fürs Budget abschöpft.«

Die Hälfte der Kurse sind EDV-Kurse, weil Computerkenntnisse für alle Arbeitnehmer immer wichtiger werden. Ein zusätzliches Plus gibt es für Eltern in Karenz. Sie erhalten noch einmal 50 Euro extra - damit der Wiedereinstieg nach der Karenz leichter fällt. Und bei den meisten Kursen für Karenzurlauberinnen gibt es auch noch Kinderbetreuung. Wir schauen darauf, dass Beruf und Familie kein Widerspruch sind.

Aber auch die Wirtschaft und die Regierung müssen mehr für die Weiterbildung tun. Ich verlange 100 Millionen Euro für die Weiterbildung, damit sich alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Weiterbildung leisten können. Wir brauchen eine Mindest-Weiterbildungszeit von einer Woche. Das verlangt auch die EU. Und das Nachholen des Hauptschulabschlusses oder eines Lehrabschlusses oder die Berufsreifeprüfung müssen kostenlos sein. Es müssen alle Arbeitnehmer die Chance auf ein Vorwärtskommen im Beruf haben.

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Mit AK-Präsident Herbert Tumpel sprach Christian Spitaler http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Feb 2002 00:00:00 +0100 1194875985947 »Sitz' i halt daham« | Sparmaßnahmen in der Lehrlingsausbildung Wenn der gelernte Werkzeugmacher Wolfgang Linke von »de Buam und de Madln« spricht, den Lehrlingen also, kann er ganz schön in Fahrt kommen. Schließlich hat er selbst Anfang der 60er Jahre in der Lehrwerkstätte Lorenz-Müller-Gasse in Wien 20 bei »Jugend am Werk« gelernt und ist nach einigen Jahren in der Privatwirtschaft als Ausbilder zu JaW zurückgekehrt. Als nunmehriger Betriebsratsvorsitzender kennt er die Sorgen von beiden Seiten, von den Jugendlichen und von den Mitarbeitern. Und die sind zur Jahreswende groß.

Enttäuschung verbergen?

Nach Abschaffung des erfolgreichen Pilotprojektes »Initiative Lehrling« werden mit Ende Februar 2002 auch die »Arbeitserprobungskurse« eingestellt. Hier konnten Jugendliche, die keinen Schulabschluss und Defizite beim Lernen oder in der Sprache hatten, im Holz-, Metall-, Textil- und Kunststoffbereich Fertigkeiten erwerben. So manchem der Burschen und Mädchen ging in dem halbjährigen Kurs »der Knopf auf«, viele begannen eine reguläre Lehre mit JaW als »Lehrherrn«, andere konnten ein weiteres halbes Jahr bleiben. »Nun ist angeblich kein Bedarf mehr«, klagt Wolfgang Linke. »Was mit den Jugendlichen jetzt geschieht, weiß ich nicht. Schließlich haben schon die Probleme, die einen Hauptschulabschluss haben. Da wird ein großes Loch aufgerissen. Denn mit 15, 16 Jahren können sie nicht einmal als Hilfsarbeiter gehen.«

Ibrahim Yoldas (16) hobelt unter Anleitung eines Ausbilders im Tischlerkurs in der Lehrwerkstätte Brünner Straße. Seine Muttersprache ist Türkisch, nach einigen Monaten im Kurs unterscheidet sich sein Deutsch nicht mehr von dem seiner Kollegen. Erst vor kurzem haben die Jugendlichen erfahren, dass eine Verlängerung im Februar nicht mehr möglich ist. Obwohl gelacht und gescherzt wird, ist Resignation zu spüren. Ibrahim kann seine Enttäuschung kaum verbergen, auch wenn er versucht, lässig zu grinsen. Was er im Februar tun wird, wenn der Kurs zu Ende ist? »Sitz' i halt daham«, sagt er und hobelt weiter an seinem Werkstück.

Zwar startet JaW mit dem Kurs »Erprobung und Qualifizierung für Jugendliche« heuer eine neue Maßnahme, für Ibrahim kommt sie aber nicht in Frage. Zielgruppe werden Lehrlinge sein, die ihren Ausbildungsplatz verloren haben.

Mehrere Standbeine

Der Verein JaW hat mehrere Standbeine im Bereich der Jugendausbildung. Darunter ist die traditionelle Lehrlingsausbildung, die je nach Beruf nach drei oder dreieinhalb Jahren zur Facharbeiterprüfung führt, die zwischenbetriebliche Ausbildung, wo Partnerbetriebe das Angebot in Anspruch nehmen und ihre Lehrlinge und andere Mitarbeiter in Ausbildungsmodule zu JaW schicken, und die mobile Berufsausbildung. Neben der Qualifikation ist es deren Ziel, die Lehrlinge auf reguläre Lehrplätze zu vermitteln.

Besonders schmerzt die Mitarbeiter von JaW die Abschaffung der »Lehrlingsstiftungen«, die 1997 in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Wien und dem Arbeitsmarktservice von JaW gestartet wurde. Das Stiftungsmodell wurde zum Vorbild, Tausende Jugendliche, die auf dem regulären Arbeitsmarkt nicht untergekommen waren, konnten mit pädagogischer Betreuung bis zur Facharbeiterprüfung geführt werden. 1999 wurde die Stiftung Modell für ähnliche Maßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplanes zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Das Berufsförderungsinstitut bfi und das Wirtschaftsförderungsinstitut Wifi wurden zu Trägern von Berufslehrgängen, JaW führte das Stiftungsmodell weiter. »Die Ergänzung war optimal«, erinnert sich Reinhold Bauer, Bereichsleiter der Lehrwerkstätten von JaW, »Jugendliche, die in den Lehrgängen keine Lehrstelle gefunden hatten, konnten von uns in das Stiftungsmodell übernommen werden.«

Die Guten und die »Schlechten«

Für den gelernten Dreher Reinhold Bauer ist die Lage dramatisch. Die Berufslehrgänge, die anstelle der »Lehrlingsstiftungen« traten, dauern nur zehn Monate. Und sie sind nur für Jugendliche mit positivem Schulabschluss. Bauer: »An der Lehrlingsstiftung konnten auch Jugendliche mit negativem Schulabschluss teilnehmen. Wobei sich die Unterschiede binnen einem Jahr ausgeglichen haben. Am Ende gingen die meisten zur Facharbeiterprüfung, viele von den früher Schlechteren bestanden mit Auszeichnung.«

Die Auflage, 100 Prozent der Teilnehmer an den Berufslehrgängen vermitteln zu müssen, ist zwar »irreal« (Bauer), führt aber zu einer weiteren Selektion. In der so genannten Berufsorientierungs- und Clearingphase werden die künftigen Lehrgangsteilnehmer genauer unter die Lupe genommen. Im vergangenen Herbst wurden rund 800 Teilnehmer an die vier Träger JaW, bfi, Wifi und Waidinger & Partner überwiesen. 600 konnten schließlich im vergangenen November mit dem Berufslehrgang beginnen, 310 davon bei JaW.

Die Unsicherheit bei den Berufslehrgängen besteht jedoch weiter. Sie wurden zwar - einstweilen bis 2003 - verlängert, ungewiss ist aber noch deren Finanzierung.

Einsparen

Die Zeiten der Expansion von 1997, als JaW die neue Lehrwerkstätte in der Brünner Straße anmieten konnte, sind vorbei. Sparen ist angesagt. Walter Schaffraneck, Geschäftsführer der Einrichtung »Jugend am Werk«: »Das Arbeitsmarktservice hat uns für 2002 ein Sparziel von rund zehn Prozent gegenüber dem Budget 2001 vorgegeben.« Durch verschiedene Maßnahmen, wie die Auflösung einer »Expositur« - der Ausbildung von »JaW-Lehrlingen« bei der Firma Elin - der Bereinigung von »Overhead-Kosten« und die Kündigung eines Mitarbeiters konnte dieses Ziel mittlerweile erreicht werden. Das heißt: Zu Beginn der Lehrsaison im vergangenen November wurde die Zahl der Lehrlinge von JaW nicht reduziert. Allerdings, so Schaffraneck, »es wurden auch keine zusätzlichen Jugendlichen aufgenommen, wie früher, wo die natürliche Fluktuation - einige der Angemeldeten fallen immer aus - durch Neuaufnahmen ausgeglichen wurde«.

Optimale Flächennutzung

In der Lehrwerkstätte von »Jugend am Werk«, in der Brünner Straße 52 in Wien 21, wird derzeit umgebaut, um jeden Quadratmeter Fläche optimal zu nutzen. Von den Gängen her kann man die Jugendlichen durch Glasfenster bei der Arbeit beobachten. Die zweistöckige Großraumhalle ist in Kojen unterteilt, in einer hobeln künftige Tischler, in der anderen untersucht eine Gruppe Jungautomechaniker die Eingeweide eines ausrangierten BMW. Daneben stemmen künftige Installateure Rohrleitungen in eine Versuchswand aus richtigen Ziegeln. »Wenn die hin ist, betonieren wir eine neue«, erklärt Wolfgang Linke. »Früher war da nur eine Styroporwand. Bis die Unternehmer meinten, unsere Lehrlinge könnten nicht ordentlich stemmen.«

Wenn Linke »unsere Lehrlinge« sagt, so meint er ganz unterschiedliche Ausbildungsgänge. Da sind einerseits die mit »normaler« Berufsausbildung. Sie beginnt am 1. September und dauert - je nach Berufsbild - drei bis dreieinhalb Jahre. Die Entschädigung erfolgt laut Kollektivvertrag.

Taschengeld

Dann sind da die Lehrlinge der »Stiftung« in den Lehrwerkstätten und der Mobilen Berufsausbildung. Die bekommen ein »Taschengeld«. Die »Mobilen«, etwa Einzelhandelskaufmann, Köche oder Kellner, lernen bei Jugend am Werk, ergänzend wird ein Praktikum unter »Begleitung« der JaW-Ausbilder extern in Betrieben durchgeführt. Linke: »Das hat für die Jugendlichen den Vorteil, praxisgerechte Ausbildung in den Betrieben zu erhalten. Der Unternehmer hingegen muss sich nur um die Lehre kümmern, nicht aber um das Drumherum, wie Berufsschule oder Behördenwege. Bei Problemen fährt unser Ausbilder zur Firma, betreut die Jugendlichen und redet mit den Abteilungsleitern.« Die Buben und Mädchen werden immer wieder - zusätzlich zur Berufsschule - zu JaW zurückgeholt. Hier lernen sie in Übungsbüros und erwerben wichtige Zusatzqualifikationen wie Bewerbungen schreiben und verbessern ihre Deutsch- und Fremdsprachenkenntnisse.

Und schließlich sind da noch die Lehrlinge der Berufslehrgänge. Obwohl sie die Stiftung »Initiative Lehrling« keineswegs ersetzen können, sind die Erfahrungen des Vorjahres dennoch gut. Etwa 55 Prozent, rechnet Reinhold Bauer, konnten vermittelt werden. Wolfgang Linke: »Zeitweise sind uns die Lehrlinge in gewissen Berufen, etwa den Elektroinstallateuren, den Gas- und Wasserinstallateuren oder den Kfz-Mechanikern sogar ausgegangen. Die guten waren gleich weg.

Ein ›Guter‹ ist in dem Fall einer, der sich schon früher bei potentiellen Lehrherrn beworben hatte, von ihm aber abgewiesen wurde; vielleicht wegen der Berufsschule, des Geldes oder der Mühe wegen.« Trotzdem hängt immer ein unsichtbares Damoklesschwert über den Köpfen, meint Linke. Zehn Monate sind für viele zu kurz. Manche bleiben auf der Strecke. Nicht nur die Jugendlichen haben Probleme, auch die Ausbilder. Ihre Mindestqualifikation ist die Werkmeisterschule mit Ausbilderprüfung. Wolfgang Linke: »Die werfen sich voll in die Aufgabe, wissen aber von Jahr zu Jahr nicht, wie es weitergeht.

Resignation?

Diesmal haben wir bis zu Beginn der Berufslehrgänge Ende November nicht gewusst, ob sie zustande kommen.« Seit das Auffangnetz »Initiative Lehrling« abgeschafft wurde, ist die Stimmung auf dem Nullpunkt, berichtet Linke. Manche Jugendliche resignieren, eine umfassende Betreuung kommt nun zu kurz, gerade bei jenen, die sie bräuchten. Oft braucht es auch bloß etwas Zeit und Hilfe, bis die Jugendlichen wieder Selbstbewusstsein tanken. »Wir haben so manchen, der sich nicht auf einen vermittelten Lehrplatz hinzugehen traut. Weil er, bevor er zu uns gekommen ist, schon bei 20 oder 30 Unternehmen war und immer abgewiesen wurde«, sagt Wolfgang Linke. »So erleben wir immer wieder, dass unsere ›Job Finder‹ mit den Jugendlichen hinfahren müssen. Die brauchen wen, wo sie sich anlehnen können. Dann geht's schon.«

INFO

Auffangnetz für Lehrlinge

Die »Initiative Lehrling« war 1997 als Pilotprojekt zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit begonnen worden. Wegen der kritischen Lage auf dem Wiener Lehrstellenmarkt, suchten die AK Wien und der ÖGB jene Jugendlichen zu fördern, die auf dem regulären Ausbildungsmarkt nicht untergekommen waren. Das Konzept bestand darin, betriebliche Praxis mit schulischer Berufsausbildung zu kombinieren. Die (spielend erfüllte) Vorgabe: Mindestens ein Drittel der Teilnehmer sollte von »regulären Lehrherrn« übernommen werden. Alle anderen konnten bei der Trägerorganisation »Jugend am Werk« (JaW) die Lehre beenden. Durch eine Änderung des Jugendausbildungs-Sicherungsgesetzes (JASG) im Sommer 2000 wurden Lehrlingsstiftungen dieser Art gestrichen und durch zehnmonatige Berufslehrgänge ersetzt.

INFO

A&W zum Thema Lehrlinge

Zu »Jugend am Werk«: »A&W« 11/97 »Durchkommen mit der richtigen Einstellung« und »A&W« 12/97 »Initiative Lehrling: Ausbildung für alle«.

Zur »Lehrlingsausbildung, allgemein«: »A&W« 10/2000 »Sind Lehrjahre Kehrjahre?«, »A&W« 11/2000 »Verschleuderte Lehrlinge: Die Lehrlingspolitik der derzeitigen Bundesregierung« und »A&W« 7-8/2001 »Dauerproblem Lehrlingsausbildung: Die Situation der Jugendlichen ohne Lehrplatz«.

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Gabriele Müller (freie Journalistin in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Feb 2002 00:00:00 +0100 1194875985603 Die Zukunft der sozialen Sicherheit In einem insgesamt 35 Seiten umfassenden Positionspapier nahm der ÖGB zu den Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte und zu den zentralen Zielen des ÖGB in der Sozialpolitik Stellung. Ebenso wurden die Forderungen des ÖGB zu Arbeitsmarkt, Arbeitsrecht, Pensionen und Gesundheitspolitik formuliert. Bei der Zukunftskonferenz in Villach standen auch Referate von Alois Guger (Wifo) und Peter Gerlich (Universität Wien) zur »Zukunft der sozialen Sicherheit« zur Diskussion. Im Folgenden eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte als »Hintergrundservice« zum Bereich Sozialpolitik.

In atemberaubender Geschwindigkeit vollzieht sich ein Wandel in unserer Gesellschaft, wie ihn die Geschichte bisher noch nicht kannte. Geld, Technologien, Informationen und Waren überschreiten Grenzen mit einer noch nie da gewesenen Leichtigkeit. Allein in den vergangenen zehn Jahren wurde so viel Information geschaffen wie in den vergangenen 300.000 Jahren zusammen.

Die Arbeitswelt ist durch einen rasanten Wandel gekennzeichnet. Diese Umbruchprozesse führen vielfach zu Unsicherheit, Unübersichtlichkeit und zur Gefahr der Entsolidarisierung. Die gemeinschaftlichen Anliegen und Bedürfnisse werden zunehmend von der Vielfalt der Lebens- und Arbeitsformen überdeckt. Vorrangige Ziele sind daher, allen erwerbsfähigen Personen die Möglichkeit zu bieten, über eigenes Erwerbseinkommen eine eigenständige Existenz zu sichern, arbeits- und sozialrechtlichen Schutz für unselbständige Erwerbsarbeit und die sozialrechtliche Absicherung verstärkt am Leitprinzip eigenständiger Absicherung auszurichten. Darüber hinaus müssen Maßnahmen zur Humanisierung der Arbeitswelt durch Arbeitsbedingungen vollzogen werden, die den verschiedenen Bedürfnislagen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechen.

Weiters ist eine umfassende Mindestsicherung für die gesamte Bevölkerung überall dort erforderlich, wo erwerbsbezogene Sicherungssysteme nicht ausreichen. Die Selbstverwaltung als Herzstück sozialstaatlicher Gesellschaftspolitik muss gestärkt werden und die Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern muss vorangetrieben werden. Um dies zu erreichen, hat der ÖGB einen Forderungskatalog erstellt.

Förderung des Zugangs zur Erwerbsarbeit

Erwerbsarbeit ist für die Sicherung der Existenz der überwiegenden Mehrheit der Menschen in Österreich ein zentrales Thema. Es gibt aber nach wie vor eine Reihe von Hemmnissen im Zugang zur Erwerbsarbeit. Vor allem Frauen wird es sehr schwer gemacht, in die Arbeitswelt einzutreten und sich dort entwickeln zu können. Personen mit keinen oder unzeitgemäßen Bildungsabschlüssen werden auf dem Arbeitsmarkt auf schlecht bezahlte Arbeitsplätze ohne Entwicklungschancen verwiesen. Schließlich liegt es am Grad des Ausbaus verschiedener Infrastrukturbestandteile, wieweit sozial und/oder räumlich benachteiligte Menschen auf dem Weg zur Erwerbsarbeit Unterstützung finden.

Forderungen des ÖGB:

  • In Bildung investieren.
  • Beruf und Familie sollen für Eltern gleichermaßen wichtig sein.
  • Infrastruktur zur Förderung des Erwerbszugangs (Verkehrsmittel, Kurse etc.) schaffen.
  • Erhöhung der Qualität der Arbeitsplätze.
  • Absicherung im Fall der Arbeitslosigkeit (Existenzsicherung).
  • Bekämpfung der organisierten Schwarzarbeit.
  • Mitwirkung der Arbeitnehmer-Interessenvertretungen an der Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik.

Arbeitsrecht

Durch die Globalisierung der Wirtschaft verschärft sich der Wettbewerbsdruck. Viele Unternehmen versuchen darauf mit einer Senkung der Arbeitskosten zu reagieren: Neben dem Bemühen, für die Arbeitnehmer günstige vertragliche Vereinbarungen im Verhandlungswege - oft unter Zuhilfenahme einer Kündigungsdrohung - abzubauen, wird immer häufiger versucht, gesetzlich und kollektivvertraglich gesicherte Ansprüche zu umgehen. Will das Arbeitsrecht weiter seinem Ziel gerecht werden, den unselbständig Beschäftigten einen gerechten Anteil am erwirtschafteten Wohlstand zu sichern und sie vor Übervorteilung und Ausbeutung zu schützen, muss diesen Tendenzen wirksam begegnet werden.

Forderungen des ÖGB:

  • Flucht aus dem Arbeitsrecht stoppen.
  • Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten.
  • Abfertigung allen Arbeitnehmern zugänglich machen.
  • Schutz vor unfairen Vertragsklauseln.
  • Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen durchsetzen.

Alterssicherung

Österreich kann auf ein gut ausgebautes System der Alterssicherung stolz sein. Der klare Schwerpunkt liegt bei der gesetzlichen Alterssicherung (»1. Säule«). Der ÖGB tritt vehement dafür ein, dass dieses System in seiner Grundstruktur erhalten bleibt und den Erfordernissen entsprechend weiterentwickelt wird. Eine Entsolidarisierung wie ein Ausspielen von Jung und Alt oder ein Ausschluss neuer Arbeitsformen wird in der Alterssicherung ebenso abgelehnt wie in anderen Bereichen.

Der ÖGB fordert zur Sicherung der ökonomischen Basis der Alterssicherung und zur Eindämmung des Anstiegs der Pensionsquote die dringende Erarbeitung eines Gesamtkonzepts, das - neben der Weiterentwicklung des Pensionsrechts - vor allem folgende Punkte umfasst:

Forderungen des ÖGB:

  • Gezielte Wachstumspolitik.
  • Sicherung/Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit (»employability«) der Erwerbsbevölkerung (zukunftsorientierte Erstausbildung, berufsbegleitendes Lernen, Gesundheitsschutz, Vereinbarkeit Beruf/Familie etc.).
  • Mobilisierung des vorhandenen Arbeitskräftepotentials (Abbau der Arbeitslosigkeit, Verbesserung der Erwerbschancen von Frauen, Älteren etc.).
  • Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze.

Solidarische Alterssicherung auch in Zukunft unverzichtbar

Die Ausbreitung atypischer Arbeitsformen, die Individualisierung der Lebensformen und der Anstieg des Altenanteils erfordern gezieltes politisches Handeln, wenn der soziale Zusammenhalt in unserer Gesellschaft auch in Zukunft gewahrt werden soll.

Im Bereich der Alterssicherung wird von manchen »Sozialexperten« eine Zurücknahme der Leistungen der gesetzlichen Pensionsversicherung bei gleichzeitiger Forcierung von Betriebspensionen (»2. Säule«) und privaten Rentenverträgen (»3. Säule«) verlangt. Der ÖGB hält diese Antworten für verfehlt.

Wer beispielsweise in Anbetracht einer Arbeitswelt, in der immer mehr Arbeit in atypischen Erwerbsformen geleistet wird, Arbeitgeberwechsel immer häufiger werden und Berufsunterbrechungen (Exlternkarenz, Bildungskarenzen etc.) zunehmen, eine Verlagerung hin zu Betriebspensionen fordert, der nimmt damit - bewusst oder unbewusst - für eine erhebliche Zahl von Erwerbstätigen eine massive Einschränkung der Alterssicherung in Kauf.

Dazu kommt, dass bei Betriebspensionen Solidarelemente, wie z. B. die Anrechnung von Kindererziehungszeiten oder die Anrechnung anderer Ersatzzeiten, von vornherein wegfallen. Die neuen Herausforderungen erfordern keine Abkehr von der gesetzlichen Pensionsversicherung. Im Gegenteil: Sie erfordern ein klares Bekenntnis zu einer solidarischen Alterssicherung.

Betriebspensionen können eine sinnvolle Ergänzung bieten, als Ersatz für Leistungen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung sind sie aber nicht tauglich. Ähnliches gilt für private Rentenverträge. Unter der genannten Einschränkung wird der Auf- und Ausbau betrieblicher Pensionsregelungen vom ÖGB aber selbstverständlich unterstützt.

Forderungen des ÖGB:

  • Leistungsrecht in der gesetzlichen Alterssicherung weiterentwickeln.
  • Mehr Transparenz und Ausgewogenheit im Leistungsrecht.
  • Ausbau der eigenständigen Alterssicherung der Frauen.
  • Bedarfsorientierte Mindestsicherung.
  • Durchschnittliches Pensionsalter an die gesetzlichen Altersgrenzen heranführen.
  • Wertsicherung der Pensionen.
  • Finanzierung der Pensionen langfristig sichern.
  • Gleiche Leistungen erfordern gleiche Beiträge (Angleichung der Beitragssätze von Selbständigen und Unselbständigen).
  • Kostendeckende Finanzierung der Ersatzzeiten (Kindererziehungszeiten, Zeiten des Arbeitslosengeld- oder Notstandshilfebezugs, Krankenstandszeiten, Bundesheer- und Zivildienstzeiten).
  • Umlagefinanzierung bei gesetzlicher Altersversorgung/Kapitaldeckung bei Betriebspensionen und privaten Renten.

Gesundheitspolitik

Wichtigstes Ziel staatlicher Gesundheitspolitik ist der freie und gleiche Zugang zu allen erforderlichen Dienstleistungen der Medizin. Der Weg dazu kann nur über die Pflichtversicherung führen: Nur sie gewährleistet, dass sich die Behandlung jeweils nach dem persönlichen Bedarf und die Finanzierung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Einzelnen richtet.

Der ÖGB spricht sich auch gegen neue Selbstbehalte und für eine Überprüfung bestehender Selbstbehaltsysteme aus. Umso wichtiger ist es, endlich strukturelle Reformen in Angriff zu nehmen, die vor allem die Bereiche Prävention, Steuerung, Leistungsqualität und Schnittstellen im Gesundheitswesen betreffen. Hier sind - zumindest mittelfristig - nicht unbeträchtliche Einsparungen möglich.

Forderungen des ÖGB:

  • Zukunftsorientierte Weiterentwicklung des Leistungsspektrums.
  • Verstärkung der Prävention.
  • Langfristig wirksame Lenkungsmaßnahmen.
  • Aufbau von Kompetenz- und Dienstleistungszentren.

Finanzierung des Gesundheitssystems

Die Beitragsfinanzierung in der sozialen Krankenversicherung sollte zumindest im Bereich der »versicherungsfremden Leistungen« durch Steuerfinanzierung ergänzt werden. Die »Familienleistungen« (zum Teil das Wochengeld, Mitversicherung etc.) in der gesetzlichen Krankenversicherung haben eine Größenordnung von über 25 Milliarden Schilling, für die keine Bundesabgeltung gewährt wird. Darüber hinaus könnten gewisse Steuerkategorien (Alkohol- und Tabaksteuer) nach dem Verursacherprinzip zur Finanzierung der Krankenversicherung herangezogen werden.

Die vom ÖGB geforderte Wertschöpfungsabgabe sollte nicht nur als Finanzierungsinstrument betrachtet werden; sie ist arbeitsmarktpolitisch unverzichtbar, wie überhaupt (zusätzliche) Beschäftigung (vor allem älterer Arbeitnehmer) insofern einen positiven finanziellen »Doppeleffekt« aufweist, als nicht nur den einzelnen Sozialtöpfen und dem Staat Mehreinnahmen (Beiträge, Steuern) zufließen, sondern dem Pensionssystem oder der Arbeitslosenversicherung Aufwendungen erspart werden.

Beitragserhöhungen sind in diesem Zusammenhang daher bei weitem nicht die einzige Möglichkeit, höhere Einnahmen zu erzielen. Auch die Verbreiterung der Bemessungsgrundlagen kann eine Alternative darstellen. Alle diese Maßnahmen könnten - moderat eingesetzt - eine beachtliche kumulative Wirkung entfalten, die höhere Selbstbehalte entbehrlich machen würde.

Medikamente:

Senkung der Spannen auf EU-Niveau, Prüfung alternativer Preis- und Entgeltsysteme, Verschreibung von Generika, zusätzliche Bindung der Krankenanstalten an das Heilmittelverzeichnis und an die Richtlinien für ökonomische Verschreibweise.

Spitäler:

Fortsetzung der Strukturmaßnahmen durch den Bundesminister und die Länder: Der für die Krankenversicherung festgelegte finanzielle Beitrag müsste durch Gesetzgebung gesenkt werden.

Ärztliche Hilfe:

Erarbeitung von umsetzbaren Zielvereinbarungen bezüglich Qualität und Ökonomie mit den Leistungsanbietern zur Begrenzung der Ausgaben für Medikamente und ärztliche Hilfe. Ausbau des Vertragspartnercontrollings. Beseitigung der Honorarautomatik, Aussetzung der automatischen Tarifanpassung bei Zahnärzten.

Ausgleich bzw. Rücknahme aller gesetzlichen Maßnahmen, welche die Beitragserosion der Krankenversicherung verschärft haben (Beitragssenkung zugunsten der Arbeitgeber, Beitragssenkung zugunsten des FLAF, Umschichtungen hin zur bäuerlichen Krankenkassa usw.). An die Politik richtet sich die Verpflichtung, bei durch sie veranlassten zusätzlichen Aufgaben oder Einnahmenkürzungen für finanzielle Deckung zu sorgen.

Voller Mehrwertsteuerausgleich:

Anstelle einer Pauschalabgeltung soll der Entfall der Umsatzsteuerbefreiung vollständig ausgeglichen werden (zirka 1 Milliarde Schilling im Jahr 2001).

Reduktion der Beitragsschulden der Arbeitgeber:

Dazu zählen Maßnahmen wie zeitgemäße Erhöhung der Verzugszinsen; Ermöglichung der Verrechnung von - in der Privatwirtschaft immer schon üblichen - Mahngebühren als Ersatz für die zusätzlichen Verwaltungsaufwendungen; Verbesserung der Betriebsnachfolgehaftung; Schutz vor Anfechtungen im Konkursverfahren; Effektuierung des Exekutionsvollzugs; gewerberechtliche Konsequenzen bei Konkursabweisungen mangels Vermögen, gleiche exekutive Rechte wie die Finanzbehörden.

Sozialhilfe

Sozialleistungen müssen im Risikofall eine menschenwürdige Existenz garantieren. Die Sozialhilfe als zweites soziales Netz muss dann helfen, wenn andere Sicherungssysteme nicht oder nur unzureichend greifen, ohne dass durch bürokratische Hürden oder moralische Abwertungen Hilfesuchende abgewiesen werden können. Dies erfordert eine bundeseinheitliche Regelung der Sozialhilfe, verbunden mit existenzsichernder Ausgestaltung.

  • Umwandlung der Sozialhilfe in ein System der bedarfsorientierten Mindestsicherung: Dazu gehören der Aufbau einer bundeseinheitlichen existenzsichernden Richtsatzhöhe und Regressregelungen, bundeseinheitliche Regelungen der Vermögensanrechnung mit dem Ziel, Hilfeempfänger wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
  • Weiters ein Rechtsanspruch auf soziale und aktivierende Hilfen im Bereich der Sach- und Dienstleistungen zur (Wieder-)Integration ins Erwerbsleben beispielsweise durch Zugang zur Aus- und Weiterbildung, zu Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, zu beruflicher und medizinischer Rehabilitation, zu Therapieplätzen und Kinderbetreuungsplätzen.
  • Materielle Existenzsicherung für völlig erwerbsunfähige Personen im Rahmen der bedarfsorientierten Mindestsicherung.

Selbstverwaltung

Die Sozialversicherung war in Österreich von Beginn an überwiegend von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern organisiert. Das war den konservativen Regierungen immer ein Dorn im Auge. In einer viele Jahrzehnte währenden, zähen politischen Auseinandersetzung haben die Arbeitnehmer ihren demokratischen Willen auf Selbstverwaltung ihrer sozialen Absicherung durchgesetzt. Als 1876 aus den Vereinskrankenkassen der erste Krankenkassenverband gegründet wurde, gehörten ihm 16 Kassen mit rund 30.000 Mitgliedern an. Heute vereinigen sich unter dem Dach des Hauptverbandes 27 Versicherungsträger, die acht Millionen Menschen bzw. 99 Prozent der Bevölkerung Sozialversicherungsschutz auf hohem Niveau bieten.

Während der Aufbauarbeit nach 1945 war es ein Hauptanliegen der Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Sozialversicherungsträger, voreilige Weichenstellungen zu vermeiden. In einer mehrjährigen Diskussionsphase wurde auf der Basis eines breiten politischen Konsenses das bestehende System der Sozialversicherungsträger erarbeitet.

Es ist gelungen, die unterschiedlichen Interessenlagen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern innerhalb der Sozialversicherung auszubalancieren. Soziale Absicherung aller Österreicherinnen und Österreicher wurde damit zum gemeinsamen Ziel einer breiten politischen Basis.

Die Vorteile der Selbstverwaltung:

  • Unabhängigkeit bei der Besorgung eigener Angelegenheiten gegenüber dem Staat.
  • Grenzen der Staatsaufsicht.
  • Demokratische Wahl der Organe.
  • Sozialer Friede.
  • Lebensnahe Sachkompetenz.

Der ÖGB lehnt Angriffe auf bewährte sozialstaatliche Institutionen entschieden ab und betont neuerlich sein deutliches Bekenntnis zum Prinzip der Selbstverwaltung. Die 58. ASVG-Novelle, die zu einer wesentlichen Schwächung des Selbstverwaltungsprinzipes im Hauptverband der Sozialversicherungsträger führte, ist daher rückgängig zu machen.

Der ÖGB erteilt in diesem Zusammenhang auch allen jenen »wohlgemeinten« Reformvorschlägen, die auf eine Zerschlagung der gesetzlichen Sozialversicherung als Herzstück des bewährten Systems der sozialen Sicherheit in Österreich hinauslaufen, eine klare Absage. Die in Selbstverwaltung geführte österreichische Sozialversicherung gewährt seit Jahrzehnten in hohem Maß den gesamtgesellschaftlichen Ausgleich sozialer Risiken zwischen Jung und Alt, Arm und Reich sowie Krank und Gesund.

Reform und Modernisierungen dürfen zu keiner Zerschlagung, sondern müssen zu einer Weiterentwicklung der Handlungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz der Organisationen der Sozialversicherung im Interesse der Versicherten führen.

Angriff auf Sozialpartnerschaft ist machtpolitisch motiviert

Der Politikwissenschafter Peter Gerlich bezeichnete die österreichische Sozialpartnerschaft als unbestrittene Errungenschaft und effizientes System zur Lösung gesellschaftspolitischer Konflikte. »In einer Zeit, in der die Regierung aus machtpolitischen Überlegungen dieses System in Frage stellt, kommen auf die Sozialpartnerschaft besonders hohe Herausforderungen zu«, betonte Gerlich.

Die zentralistischen Strukturen der Sozialpartnerorganisationen seien zu hinterfragen, die Basis müsste verstärkt in Entscheidungsfindungen einbezogen werden. Die ÖGB-Urabstimmung sei ein wichtiger Schritt in diese Richtung, sagte Gerlich, der auch dafür plädierte, die Sozialpartnerschaft dadurch zu stärken, dass sie nach niederländischem Vorbild institutionalisiert bzw. gesetzlich abgesichert wird und neue Bündnispartner wie NGOs beigezogen werden.

Aus Sicht des Politikwissenschafters müsse die Akzeptanz der Sozialpartnerschaft, die bisher schon allein auf Grund der Erfolge sehr hoch war, in Zukunft auch durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit weiter gehoben werden. Es sei wichtig, so Gerlich, dass die Sozialpartnerorganisationen in der derzeitigen Situation Konfliktbereitschaft an den Tag legen.

Vollbeschäftigung muss übergeordnetes Ziel sein

»Der europäische Wohlfahrtsstaat steht mit der neuen globalisierten Wirtschaft und dem demographischen Alterungsprozess vor zwei großen Herausforderungen«, sagte Alois Guger vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) zur »Zukunft der sozialen Sicherheit«. Laut Guger beruhe das mitteleuropäische Wohlfahrtsmodell auf den beiden Säulen eines funktionierenden Arbeitsmarktes und stabiler Partnerbeziehungen. Wer es im Erwerbsleben geschafft hat oder in einer dauerhaften Beziehung lebt, sei gut abgesichert. Mit der Ausbreitung der »neuen globalisierten Wirtschaft«, die der Wirtschaft größere Flexibilität und den Arbeitnehmern größere Anpassungsfähigkeit abverlangt, dem demographischen Alterungsprozess, der die Bevölkerung im Erwerbsalter reduziert und die Kosten der Gesundheits- und Alterssicherung stark erhöht sowie dem Zerfall der Ehen seien diese Säulen aber brüchig geworden.

Diese Entwicklung kann und darf nicht den anonymen Kräften des Marktes überlassen werden. Guger: »Die Politik muss den Menschen und der Wirtschaft helfen, sich an die Bedingungen der ›neuen globalisierten Wirtschaft‹ anzupassen, um ein hohes Beschäftigungsniveau und Prosperität mit einer solidarischen Gesellschaft zu vereinbaren.« Um sich diesen Herausforderungen erfolgreich stellen zu können, seien flexible Rahmenbedingungen für die Wirtschaft erforderlich. Dazu zählten Erleichterungen bei Firmengründung und beim Zugang zum Kapitalmarkt auch für kleinere Betriebe, führte der WIFO-Experte aus.

Weltklasse-Ausbildung für Arbeitnehmer

Es müsse aber auch die Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer gefördert werden. Dies sei nur durch eine »Weltklasse-Ausbildung«, gekoppelt mit lebenslangem Lernen, möglich, damit die Menschen den sich rasch ändernden Qualifikationsanforderungen der Arbeitswelt gewachsen sind. Guger: »Nur durch ständige Höherqualifizierung können hohe Einkommen und Sozialstandards erhalten bleiben. Dazu kommt die Intensivierung der aktiven Arbeitsmarktpolitik, um den Jobwechsel und die Integration auf dem Arbeitsmarkt zu erleichtern.«

Ausbau der Mindestsicherungen

Der starke Rückgang der Bevölkerung im Erwerbsalter wird ab Mitte des kommenden Jahrzehnts Verknappungen auf dem Arbeitsmarkt auslösen, die den Wachstumsprozess begrenzen, wenn es nicht gelingt, die Erwerbsbeteiligung älterer Menschen und Frauen zu steigern.

Die Bedeutung der Arbeitsmarktentwicklung für das Pensionssystem wurde vom WIFO auf Basis der neuesten demographischen Prognosen simuliert. Wenn für die Zukunft von einem ähnlichen Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum ausgegangen wird wie in den vergangenen 25 Jahren - plus 2,4 Prozent bzw. plus 0,4 Prozent pro Jahr -, so müsste die Erwerbsquote von heute 67,6 Prozent auf 79,9 Prozent im Jahr 2030 steigen, was dem heutigen Niveau skandinavischer Länder entspricht.

Vor diesem Hintergrund erscheint das Problem der Pensionsfinanzierung in den nächsten Jahrzehnten in einem vollkommen anderen Licht, als noch zum Beispiel nach der Rürup-Studie angenommen.

Vollbeschäftigung als übergeordnetes Ziel

Guger verwies auch auf die Empfehlung des Europäischen Rates, die ebenso die Bedeutung der Beschäftigungspolitik für die Finanzierung der sozialen Sicherheit hervorhebt: »Dieser empfiehlt, Vollbeschäftigung zu einem übergeordneten wirtschafts- und sozialpolitischen Ziel zu erklären und konkrete Anhebungen der Beschäftigungsquoten vorzugeben. Demnach sollten die EU-Länder in den nächsten zehn Jahren ihre Erwerbsquoten um zehn Prozentpunkte anheben.«

Die zentralen Ziele der Sozialpolitik der Zukunft

Der Wohlfahrtsstaat österreichischer Ausprägung ist ein international anerkanntes Erfolgsmodell: Über Jahrzehnte hinweg war es möglich und auch politisch gewollt, den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft zu sichern und immer mehr Menschen am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben zu lassen. Soll der Sozialstaat auch künftig funktionieren, muss er auf neue Herausforderungen rechtzeitig reagieren. Um den sozialen Ausgleich herzustellen, muss er die Teilhabechancen der gesamten Bevölkerung am gesellschaftlichen Reichtum auf demokratische Weise fördern und soziale Sicherheit dauerhaft sicherstellen. Die drei wichtigsten Herausforderungen der nächsten Jahr(zehnt)e sind daher, Lösungen, wie sie besprochen wurden, für den im Umbruch befindlichen Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt, die Alterung der Gesellschaft und für den Wandel im Zusammenleben zu finden.

INFO

ÖGB: Neue Wege zur Willensbildung

Im Vorjahr startete der ÖGB die Veranstaltungsserie »Startschuss Zukunft - Konferenzen zur Zukunft der Arbeitswelt«.

Dabei können Interessierte unter Verwendung neuer Kommunikationstechnologien die Zukunft der Arbeitswelt aktiv mitgestalten.

Jede Woche stellt der ÖGB eine Frage per SMS und zeitgleich auch im Internet. Per »News-Letter« werden die User auf die aktuelle Frage aufmerksam gemacht bzw. über das Ergebnis der Umfrage informiert.

Näheres zu den Zukunftskonferenzen gibt es unter: http://www.startschuss-zukunft.at

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Bernhard Achitz (Leiter der Abteilung Sozialpolitik im ÖGB), Ernst Weber (stellvertretender Leiter im ÖGB-Pressereferat) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Feb 2002 00:00:00 +0100 1194875985459 Was ist gewerkschaftliche Projektarbeit? Unter »gewerkschaftlicher Projektarbeit« wird in diesem Beitrag die Arbeit an Projekten (zeitlich, sachlich und personell abgegrenzten Vorhaben) im gewerkschaftlichen Bereich (Gewerkschaften, betriebliche und überbetriebliche Interessenvertretungen der Arbeitnehmer, gewerkschaftsnahe Institute und Vereine, gewerkschaftsnahe Unternehmen u. dgl.) verstanden. Diese Arbeitsform nimmt an Bedeutung zu, das bestätigen viele Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen.

Auch gewerkschaftliche Organisationen sind immer mehr mit komplexen Situationen konfrontiert, in denen neue, flexible Lösungen gefunden werden müssen und vorhandene, bewährte Organisationsformen allein nicht ausreichen. Gemeinsame Arbeit an einem Ziel über bestehende Betriebs- und Organisationsgrenzen hinweg, Nutzung vielfältiger sozialer Netzwerke und Ergebnisorientierung sind schließlich für gewerkschaftliche Organisationen keine neuen Erfindungen. In gewisser Weise gehören sie seit der Gründung der Gewerkschaftsbewegung zum täglichen Brot unserer Organisationen.

Neu sind die professionelle Betrachtungsweise und das professionelle Herangehen. Wir setzen uns mehr und mehr mit projektmäßigen Arbeitsformen bewusst auseinander, untersuchen ihre Erfolgsvoraussetzungen und ihre erwünschten und weniger erwünschten Auswirkungen.

Wir entwickeln Werkzeuge für diese Arbeitsform und passen sie unseren Bedürfnissen und besonderen Bedingungen an. Wir werten Erfahrungen aus der Praxis aus und versuchen, ein Gesamtverständnis für Projektarbeit im gewerkschaftlichen Bereich zu entwickeln. Dazu möchte ich einen Beitrag leisten.

Projektmanagement einführen?

Projektmanagement wird im gewerkschaftlichen Bereich seit mehr als 10 Jahren diskutiert; größere und kleinere Projekte wurden und werden durchgeführt. Mitarbeiter und Funktionäre der Organisationen haben Seminare über Projektmanagement absolviert, Weiterbildungsveranstaltungen zum Thema Projektmanagement finden regelmäßig und mit großem Anklang statt. Standards für Projektaufträge, Projektqualitätspläne und Projektfortschrittsberichte liegen in vielen Organisationen vor.

Dennoch kann man nicht sagen, dass Projektmanagement eine etablierte und akzeptierte Arbeitsweise wäre. »Um Gottes willen, nicht schon wieder ein Projekt!«, bekommt man ebenso zu hören wie »Das müssen wir unbedingt als projektmäßigen Prozess anpacken, sonst ist jede Veränderung unmöglich!«. Nach einer Vielzahl abgeschlossener Projekte fällt es schwer zu behaupten, Projektmanagement sei nun eine wohl eingeführte Arbeitsmethode im gewerkschaftlichen Bereich oder die Mitarbeiter und Funktionäre verfügten über ein solides Basis-Know-how im Projektmanagement.

Die Einführung von Projektmanagement hat sich als schwierig erwiesen. Mehrere Faktoren sind dafür verantwortlich:

  • Schwierigkeiten bei der Definition operationaler (überprüfbarer) Ziele.
  • Schwierigkeiten beim Etablieren von Mechanismen zur Erfolgskontrolle.
  • Schwierigkeiten mit der Verbindlichkeit von Festlegungen und Vereinbarungen.
  • Schwierigkeiten mit der verbindlichen Planung des Ressourceneinsatzes.
  • Schwierigkeiten mit Teamarbeit.
  • Schwierigkeiten aufgrund mangelnder Konfliktkultur.

Solche Schwierigkeiten gibt es bei Ihnen nicht? Sie haben sie schon längst gelöst? Wozu brauchen Sie dann überhaupt Projektmanagement?

Projekt Projektmanagement

»Machen Sie die Einführung von Projektmanagement doch zu einem Projekt!« Diesen Rat findet man in der Literatur, ich habe ihn von Kollegen, Freunden und Beratern bekommen und selbst schon gegeben. Es ist leider nur bedingt möglich, diesem Rat zu folgen.

Die Einführung von Projektmanagement ist in gewerkschaftlichen Organisationen als Aufgabe weder sachlich noch zeitlich abgrenzbar, und sie ist auch nicht aus der Stammorganisation delegierbar. Die Orientierung auf Projektmanagement ist eine grundlegende Entscheidung, die von Funktionären und Mitarbeitern gleichermaßen getragen werden muss.

Eine Grundsatzentscheidung hat der Bundeskongress des ÖGB zwar längst getroffen, die Etablierung von Projektarbeit ist aber ein Prozess. Die Projektkultur in einer Organisation bedarf der ständigen Pflege und Entwicklung. Worauf es ankommt ist, die jeweils aktuellen Schritte zu identifizieren, die eine solche Entwicklung vorantreiben.

Jedes Projekt (insbesondere ab einer bestimmten Größenordnung und mit einem bestimmten Gewicht für die Gesamtorganisation) ist aber auch ein Schritt zur Festigung - oder Veränderung - dieser Kultur. Die systematische Auswertung von Projekterfahrungen kann helfen, diesen Schritt im Bewusstsein der Organisation zu verankern.

Schritte und Sprünge

Organisationen verändern sich schrittweise, manchmal auch in Sprüngen, aber nie von einem Tag auf den anderen von Grund auf. Greift man in die Funktionsweise von Organisationen ein - und die Einführung von Projektmanagement in einer komplex strukturierten gewerkschaftlichen Organisation ist zweifellos ein massiver Eingriff -, so muss man sorgfältig überlegen, zu welchen Schritten die Organisation bereit und in der Lage ist. Wie beim Bergsteigen kommt es darauf an, Griffe und Tritte zu sichern, damit man nicht ins Seil fällt oder gar abstürzt, sondern den Gipfel erreicht.

Das Besondere an gewerkschaftlicher Projektarbeit

Wir wollen nun eine erste Zusammenfassung dessen versuchen, was gewerkschaftliche Projektarbeit ausmacht. Projekte sind:

  • komplex,
  • neuartig,
  • risikobehaftet,
  • übergreifend,
  • abgrenzbar.

Soweit unterscheiden sich gewerkschaftliche Projekte nicht von Projekten im Allgemeinen.

Projekte im gewerkschaftlichen Bereich sind aber auch

  • stärker personen- und organisations- als sachorientiert,
  • weniger durch die Verfügbarkeit von Sachmitteln als durch das Bestehen von Kommunikationskanälen bestimmt,
  • stärker vernetzt und
  • oft schwerer abgrenzbar

als viele Projekte, für die herkömmliche Projektmanagement-Instrumente und -Theorien entwickelt wurden.

Gewerkschaftliche Projektarbeit muss versuchen, diesen besonderen Schwerpunkten Rechnung zu tragen, wenn sie erfolgreich sein will.

Im nächsten Heft: Von der Projektidee zum Projektplan.

ZUM NACHLESEN

Gewerkschaftliche Projektarbeit

Ein praktischer Ratgeber von Herbert Wabnegg mit Beiträgen von Frank Boos, Karl Fink, Manfred Höfler, Hans Schneller, Klaus Scala und Joachim Schwendenwein; Reihe Theorie und Praxis der Gewerkschaften, Band 26; Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes; 193 Seiten, Euro 16,50/ S 229,-.

Das Besondere an diesem Buch

Bücher zum Thema Projektmanagement gibt es viele. Dieses Buch soll das Thema für eine besondere Zielgruppe und für ein besonderes Anwendungsgebiet erschließen: für Gewerkschafter - Betriebsräte, Funktionäre und Mitarbeiter - und die Arbeit in ihrem Aufgabenbereich.

Aktive Gewerkschaftsarbeit lässt selten Zeit, einen komplizierten Text durchzuarbeiten. Deshalb ist das Thema in sechs Teilbereiche aufgegliedert - Einführung, Projektidee, Projektplanung, Projektkommunikation, Projektberatung, Projektabschluss - , die jeweils mit kurzen Beiträgen aus drei verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden: Jeder der Abschnitte enthält als ersten Unterabschnitt eine Übersicht über Grundlagen, dann als zweiten Unterabschnitt eine Auswahl von einsetzbaren Werkzeugen und als dritten Unterabschnitt einen Bericht aus der Praxis.

Natürlich kann man dieses Buch von vorne nach hinten durchlesen. Man kann aber ebenso gut (und vielleicht sogar mit mehr Gewinn) zunächst die Grundlagenabschnitte, dann vielleicht die Praxisberichte und je nach Bedarf die Darstellung bestimmter Projektmanagement-Werkzeuge durchgehen. Das Inhaltsverzeichnis am Anfang und das Sachregister am Ende des Buches sollen dabei helfen, den für die Bedürfnisse des Lesers besten Weg zu finden.

Im Anhang findet sich außerdem ein Verzeichnis ausgewählter weiterführender Literatur und ein Kurzprofil der Autoren der Praxisberichte mit Kontaktadressen. Ein Sachregister unterstützt das Nachschlagen.

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Herbert Wabnegg http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Feb 2002 00:00:00 +0100 1194875985107 Auf dem Weg zur Sozialunion? | Bilanz und Ausblick des Sozialen Dialogs in der EU Der Amsterdamer Gipfel 1997 brachte für die Hauptakteure der Sozialpartnerschaft auf europäischer Ebene einschneidende Veränderungen. Beschränkte sich deren Aufgabe bis dahin weitgehend auf die Abgabe von Stellungnahmen und Erklärungen sowie auf die Verfolgung ihrer Verbandsinteressen im Rahmen der europäischen Entscheidungsprozesse, wurden sie nunmehr Bestandteil des EG-Vertrages und ihre Rolle in gewisser Weise institutionalisiert. Die branchenübergreifenden sozialpartnerschaftlichen Spitzenverbände auf europäischer Ebene sind einerseits der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) sowie auf Arbeitgeberseite UNICE (Europäischer Arbeitgeber- und Industrieverband) und CEEP (Europäischer Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft). Bereits 1991 schlossen die drei Vereinigungen einen Vertrag zur Vorbereitung der Regierungskonferenz von Maastricht, in dem das Modell für die zukünftige Zusammenarbeit der europäischen Sozialpartner festgelegt wurde. Über das »Protokoll der Sozialpolitik« fand dieses Modell schließlich Eingang in den Vertrag von Amsterdam.

Sozialpartnerschaft im EG-Vertrag verankert

Seitdem sind die Sozialpartner im arbeits- und sozialrechtlichen Bereich in den Gesetzgebungsprozess der Europäischen Union integriert und (auch) dessen Träger. Das heißt, ihre Rolle beschränkt sich nicht auf Anhörungs- oder Begutachtungsrechte, sondern sie sind laut EG-Vertrag eine aktiv handelnde Gesetzgebungsinstanz.

Die Tragweite dieser Entscheidung sowie die vom EG-Vertrag vorgesehene Funktion der europäischen Sozialpartner, welche bisweilen lediglich als NGO's der Sozialpolitik angesehen werden, wird bis dato häufig unterschätzt. Artikel 138 und 139 des EG-Vertrages (in der Fassung des Amsterdamer Vertrages) regeln die Einbindung der Sozialpartner in den Gesetzgebungsprozess. Die Intensität dieser Integration ist je nach »Verfahrenstyp« unterschiedlich. Die Kommission hat zunächst die generelle Aufgabe, »die Anhörung der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu fördern« und deren Dialog zu erleichtern (Artikel 138 Absatz 1), weshalb auch von einer »Moderatorenrolle« der Kommission gesprochen werden kann.

Der eigentliche Soziale Dialog beginnt mit einer 2-stufigen Anhörungsphase. Zunächst hat die Kommission die Sozialpartner zur allgemeinen Ausrichtung eines Kommissionsvorschlages im Bereich der Sozialpolitik zu konsultieren. Hält die Kommission danach eine Gemeinschaftsmaßnahme für zweckmäßig, folgt eine zweite Anhörung der Sozialpartner, die dabei eine Stellungnahme oder einen eigenen Vorschlag unterbreiten können. Darüber hinaus können die Spitzenverbände der Sozialpartner der Kommission jedoch auch mitteilen, dass sie selbst Verhandlungen aufnehmen wollen, welche im Abschluss einer Vereinbarung münden sollen. Damit ist der »Kernbereich« des Sozialen Dialogs auf EU-Ebene angesprochen. Denn an dieser Stelle unterscheidet sich die sozialpartnerschaftliche Mitwirkung an der Rechtssetzung erheblich vom »österreichischen Modell«, das eine historisch gewachsene und vor allem informelle Einbeziehung der Sozialpartner in den Rechtssetzungsmechanismus kennt.

Bereits im Vorfeld des parlamentarischen Prozedere werden sozialpolitisch relevante Materien von den österreichischen Sozialpartnern »vorverhandelt«, um zu einem fairen Interessenausgleich zu gelangen. In der Vergangenheit wurden die solcherart gefundenen Lösungen von den gesetzgebenden Verfassungsorganen regelmäßig gänzlich oder doch weitgehend berücksichtigt.

Der EG-Vertrag räumt den Sozialpartnern hingegen explizit das Recht ein, durch ihre Verbände selbst Vereinbarungen zu treffen, die schließlich in einen Rechtsakt der Gemeinschaft münden. Man könnte somit plakativ - jedoch juristisch unscharf - von einem (wenn auch beschränkten) verfassungsmäßig verbrieften Recht der Sozialpartner auf gesetzgeberisches Wirken sprechen.

Wie funktioniert der Soziale Dialog im Einzelnen?

Haben die beteiligten Verbände (in der Regel EGB, UNICE und CEEP) der Kommission mitgeteilt, dass sie das »Gesetzgebungsverfahren« gemeinsam beginnen möchten, nehmen sie Verhandlungen auf, deren Dauer mit neun Monaten limitiert ist und bei Zustimmung aller Beteiligten verlängert werden kann. Kommt es tatsächlich zu einem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen, also zu einer vertraglichen Einigung, kann dieses Abkommen zu einem Rechtsakt der EU werden (in der Regel eine Richtlinie, die von den Mitgliedstaaten umzusetzen ist). Voraussetzung ist, dass die beteiligten europäischen Sozialpartner einen entsprechenden Antrag stellen, die getroffene Vereinbarung als Kommissionsvorschlag dem Rat zum Beschluss vorzulegen.

Es wird also deutlich, dass die Sozialpartner auch auf europäischer Ebene nicht selbständig Rechtsvorschriften erlassen können, sondern ein formeller Beschluss des Rates erforderlich ist. Dennoch handelt es sich um eine institutionalisierte Gesetzgebungsfunktion der Sozialpartner ohne inhaltliche Mitwirkung der EU-Institutionen Rat und Parlament. Wie ein Blick auf die »Realverfassung« noch zeigen wird, ist auch das politische Gewicht der Sozialpartner so stark, dass von dem beschriebenen Verfahren bereits mehrmals erfolgreich Gebrauch gemacht wurde.

Der branchenübergreifende Soziale Dialog hat bislang zu drei Richtlinien der EU geführt:

  • Richtlinie über den Elternurlaub vom 3. 6. 1996
  • Richtlinie über Teilzeitarbeit vom 15. 12. 1997
  • Richtlinie über befristete Arbeitsverträge vom 28. 6. 1999.

Der Umsetzungsbedarf in den Mitgliedstaaten war höchst unterschiedlich, womit auch bereits eines der Hauptprobleme der Rechtssetzung des Sozialen Dialogs angesprochen ist: Die Vereinbarungen sollen europäische Sozial-Mindeststandards schaffen. Sie wären sinnlos, wenn sie zu keiner Verbesserung der sozial- und arbeitsrechtlichen Bedingungen der Beschäftigten führen würden. Doch sind die Ausgangslagen in den einzelnen Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich, sodass Richtlinien, die in einigen Staaten als »No-na«-Regelungen gesehen werden, in anderen Mitgliedsländern fundamentale Auswirkungen auf deren System der sozialen Beziehungen hatten.

Fortschritt nur bei gewerkschaftlichem Druck

Trotz aller positiven Auswirkungen bleiben Schwächen des Sozialen Dialogs augenfällig. So konzipiert der EG-Vertrag ein freiwilliges Tätigwerden der Sozialpartner; dies gilt auch für deren Entscheidung, ob eine erzielte Vereinbarung dem Rat zur Beschlussfassung vorzulegen ist, um sie in die Rechtsform einer Richtlinie zu bringen. Das Interesse der Arbeitgeberorganisationen an der Regelung sozialer Fragen - erst recht in verbindlicher Form - ist naturgemäß begrenzt, sodass schon die Aufnahme von Verhandlungen eine ernste Hürde darstellen kann. Dieselben Probleme treten auch konkret bei den Verhandlungen auf, wenn es darum geht, den Unternehmensvertretern inhaltliche Zugeständnisse abzuringen. Letztlich gilt für die gewerkschaftliche Durchsetzungskraft auf Europaebene nichts anderes als in den Nationalstaaten: Verhandlungserfolge stehen in direkter Abhängigkeit zur politisch-wirtschaftlichen Kampfkraft der Gewerkschaft und deren Verankerung in den Betrieben. Doch gerade hier zeigt sich der europäische Nachholbedarf für die Gewerkschaften: Der EGB vertritt über seine Mitgliedsorganisationen europaweit immerhin mehr als 60 Millionen Beschäftigte, doch fehlen ihm (bzw. auch den nationalen Gewerkschaftsverbänden auf europäischer Ebene) die Kampfinstrumente der nationalen Ebene, von einem »Europa-Streik« gar nicht zu sprechen.

Streikrecht

Dazu passt, dass der EG-Vertrag das Streikrecht (aber auch Regelungen über das Arbeitsentgelt) ausdrücklich aus der Zuständigkeit der EU und somit auch der Partner des Sozialen Dialogs ausnimmt. Daran wird sich aufgrund der politischen Konstellationen in den Mitgliedstaaten mittelfristig nichts ändern, auch wenn die vorige belgische Präsidentschaft damit wohl kein Problem hatte, wie die belgische Arbeitsministerin Onkelinx kürzlich auf der NETLEX-Konferenz des EGB betonte (NETLEX ist ein transnationales Netzwerk von Gewerkschaftsjuristen im Rahmen des EGB und wurde 1996 ins Leben gerufen).

Ein weiteres Manko des Sozialen Dialogs, das sozialpartnerschaftliches Handeln auf EU-Ebene erschwert: In der Regel wird den Sozialpartnern von der Kommission ein genau abgegrenztes Thema zur Behandlung vorgelegt. Diese Beschränkung erschwert die Kompromisssuche durch einen gegenseitigen Abtausch in unterschiedlichen Themenbereichen.

Wie konnten dennoch die genannten Erfolge im Rahmen des Sozialen Dialogs erzielt werden? Neben der politischen Bedeutung, die die Gewerkschaftsbewegung auch auf europäischer Ebene auszeichnet, liegt dies im Gesetzgebungsmechanismus des EG-Vertrages begründet. Selbstverständlich kann die Kommission auch dann tätig werden, wenn zwischen den Sozialpartnern kein Einvernehmen besteht oder die Arbeitgeberverbände keinen Handlungsbedarf sehen.

Verhandlungen nur bei politischem Druck?

An dieser Stelle zeigt sich die Wichtigkeit einer funktionierenden Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf EU-Ebene. Nur ein dauerhafter Meinungsaustausch mit den EU-Institutionen wie der Kommission gewährleistet, dass die dort Handelnden auch für die Themen Sozialpolitik und Arbeitnehmerschutz hinreichend sensibilisiert werden und bei einer Verweigerungshaltung der Arbeitgeber, in den Sozialen Dialog einzusteigen, von sich aus tätig werden.

Tatsächlich haben die Arbeitgeberverbände in der ersten Stufe des Sozialen Dialogs über die Teilzeitarbeit die Notwendigkeit von rechtlichen Mindeststandards zunächst nicht anerkannt. Erst als sich die Kommission der EGB-Forderung nach einer europäischen Regelung anschloss und einen eigenen Richtlinienvorschlag ankündigte, erklärte sich UNICE zu Verhandlungen mit dem EGB bereit, die schließlich in die bereits erwähnte Richtlinie über die Teilzeitarbeit mündeten. Dennoch bleiben Rückschläge im europäischen Sozialen Dialog nicht aus, so scheiterten die Verhandlungen zum Thema Leiharbeit an der starren Haltung der Arbeitgeber, nunmehr wird ein Kommissionsvorschlag erwartet.

Es bleibt somit zu konstatieren: Die Unternehmerverbände sind regelmäßig erst bei entsprechendem politischem Druck zu ernsthaften Verhandlungen auf EU-Ebene bereit.

Problem der innerstaatlichen Umsetzung

Allgemein bekannt ist die oftmals schleppende oder unvollständige Umsetzung von europarechtlichen Vorschriften in den Mitgliedstaaten. Im Bereich des Sozialen Dialogs können sich jedoch ganz spezifische Transformationsprobleme ergeben. Nach Artikel 139 Absatz 2 EG-Vertrag besteht nämlich die Möglichkeit, dass die Sozialpartner nicht die Verbindlichkeit einer EU-Richtlinie in Anspruch nehmen, sondern für die Erfüllung einer getroffenen Vereinbarung selbst verantwortlich sind - also die nationale Umsetzung in ihrem Verantwortungsbereich eigenständig besorgen.

Als Instrumente bieten sich Betriebsvereinbarungen und vor allem Kollektivverträge an. Dieser »formfreiere« Soziale Dialog birgt jedoch erhebliche Risiken, da einem solchen Abkommen die europarechtliche Verbindlichkeit fehlt und letztlich nur das Vertrauen in die Redlichkeit der Verhandlungspartner bleibt, eine Regelung von den einzelnen Mitgliedsverbänden national umsetzen zu lassen.

Aktuelles Beispiel für dieses formfreie Verfahren sind die Verhandlungen zur Regelung der Telearbeit, die zwischen EGB, UNICE und CEEP am 12. 10. 2001 in Brüssel aufgenommen wurden. Bislang existieren zu diesem Thema lediglich sektorale Rahmenvereinbarungen (so genannte »Leitlinien«) für den Handels- und Telekombereich, die von den europäischen Sozialpartnern dieser Branchen ausverhandelt wurden.

Rechte der Telearbeitnehmer sichern!

Nunmehr geht es um eine branchenübergreifende Regelung der Telearbeit, die die Rechte der Telearbeitnehmer insbesondere in folgenden Bereichen europaweit sichern soll:

  • Arbeitszeitgestaltung
  • Unbeobachtete Kommunikation (Kollegen, Betriebsrat, Gewerkschaft)
  • Chancengleichheit
  • Rückkehroptionen.

Die Arbeitgebervertreter drängen auf eine möglichst unverbindliche Vereinbarung und würden wahrscheinlich ein Abkommen mit rein empfehlendem Charakter präferieren. Aus gewerkschaftlicher Sicht kann der Soziale Dialog jedoch nur dann ein sinnvolles Instrument der Sozialgestaltung sein, wenn die Verbindlichkeit einer Sozialpartnervereinbarung gesichert ist.

Gerade aus österreichischer Sicht werden bei der kollektivvertraglichen Umsetzung einer europäischen Vereinbarung erhebliche Schwierigkeiten offensichtlich. So wird die überwiegende Mehrzahl der Kollektivverträge in Österreich auf Arbeitgeberseite von der Wirtschaftskammer abgeschlossen. Als gesetzliche Interessenvertretung ist sie jedoch nicht Mitglied der UNICE, da dieser Organisation nur Vereinigungen auf freiwilliger Basis angehören. Wollte man eine »Durchführungspflicht« der europäischen Sozialpartner bejahen, könnte sich diese aber nur auf deren Mitglieder beziehen, nicht jedoch auf formal »unbeteiligte« Dritte wie die Wirtschaftskammern.

Außenseiterbetriebe und Satzung

Doch sind diese Umsetzungsschwierigkeiten keinesfalls aus-schließlich durch die österreichische Kollektivvertragspraxis bedingt. Bei einem Kollektivvertragsabschluss durch freiwillige Arbeitgebervereinigungen, wie zum Beispiel in Deutschland üblich, stellt sich die Frage, wie mit den so genannten Außenseiterbetrieben zu verfahren ist, die diesem Arbeitgeberverband nicht angehören.

Da sich der Kollektiv- oder Tarifvertrag nur auf die Mitglieder der vertragschließenden Parteien erstrecken kann, wäre eine konsequente Umsetzung einer im Rahmen des Sozialen Dialogs erzielten Vereinbarung nicht gewährleistet.

Für Österreich bietet das Arbeitsverfassungsrecht zumindest das Instrument der so genannten behördlichen Satzungserklärung, um einen Kollektivvertrag mit überwiegender Bedeutung auch auf die nicht erfassten Unternehmen der betreffenden Branche zu erstrecken. Dennoch zeigen diese Beispiele, dass bei einer individuellen Umsetzung durch die Sozialpartner in sämtlichen Mitgliedstaaten erhebliche Probleme auftreten, weshalb dieses Verfahren aus Arbeitnehmersicht eher skeptisch zu beurteilen ist.

Wirtschaftsinteressen und soziales Europa

Alles in allem sind die bisherigen Ergebnisse des Sozialen Dialogs als Fortschritt zu werten, einer auf reinen Wirtschaftsinteressen aufgebauten Union das Konzept eines sozialen Europa entgegenzusetzen. Auch erschöpft sich der Soziale Dialog nicht auf die (erfolgreiche) branchenübergreifende Gesetzgebungsfunktion der Sozialpartner. Gerade in den einzelnen Sektoren haben die Sozialpartner viele richtungsweisende Rahmenabkommen auf Branchenebene getroffen. Neben den bereits erwähnten Leitlinien zur Telearbeit sind hier zahlreiche Vereinbarungen in den Branchen Transport (Bahn, Straße, Schifffahrt und Flugverkehr), Post und Telekom zu nennen. Darüber hinaus kommt den Sozialpartnern eine wichtige Rolle im Rahmen der europäischen Beschäftigungsstrategie, beim Thema Soziale Ausgrenzung sowie im Makroökonomischen Dialog zu. Letzteres bezeichnet das gemeinsame Forum von Europäischer Zentralbank, Finanz- und Arbeitsministerien, der Kommission sowie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, das zu einer besseren Abstimmung der wirtschaftspolitischen Entwicklung führen soll.

Trotz aller Rückschläge und vielfach enttäuschter Erwartungen trägt die Fortführung des Sozialen Dialogs letztlich - auch im Hinblick auf die bevorstehende Erweiterung - zur Entwicklung eines Europas ohne soziale Schranken bei.

VERTRAGSAUSZUG

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

Artikel 138 (ex-Artikel 118 a)

(1) Die Kommission hat die Aufgabe, die Anhörung der Sozialpartner auf Gemeinschaftsebene zu fördern, und erläßt alle zweckdienlichen Maßnahmen, um den Dialog zwischen den Sozialpartnern zu erleichtern, wobei sie für Ausgewogenheit bei der Unterstützung der Parteien sorgt.

(2) Zu diesem Zweck hört die Kommission vor Unterbreitung von Vorschlägen im Bereich der Sozialpolitik die Sozialpartner zu der Frage, wie eine Gemeinschaftsaktion gegebenenfalls ausgerichtet werden sollte.

(3) Hält die Kommission nach dieser Anhörung eine Gemeinschaftsmaßnahme für zweckmäßig, so hört sie die Sozialpartner zum Inhalt des in Aussicht genommenen Vorschlags. Die Sozialpartner übermitteln der Kommission eine Stellungnahme oder gegebenenfalls eine Empfehlung.

(4) Bei dieser Anhörung können die Sozialpartner der Kommission mitteilen, daß sie den Prozeß nach Artikel 139 in Gang setzen wollen. Die Dauer des Verfahrens darf höchstens neun Monate betragen, sofern die betroffenen Sozialpartner und die Kommission nicht gemeinsam eine Verlängerung beschließen.

Artikel 139 (ex-Artikel 118 b)

(1) Der Dialog zwischen den Sozialpartnern auf Gemeinschaftsebene kann, falls sie es wünschen, zur Herstellung vertraglicher Beziehungen, einschließlich des Abschlusses von Vereinbarungen, führen.

(2) Die Durchführung der auf Gemeinschaftsebene geschlossenen Vereinbarungen erfolgt entweder nach den jeweiligen Verfahren und Gepflogenheiten der Sozialpartner und der Mitgliedstaaten oder - in den durch Artikel 137 erfaßten Bereichen - auf gemeinsamen Antrag der Unterzeichnerparteien durch einen Beschluß des Rates auf Vorschlag der Kommission.

Sofern nicht die betreffende Vereinbarung eine oder mehrere Bestimmungen betreffend einen der in Artikel 137 Absatz 3 genannten Bereiche enthält und somit ein einstimmiger Beschluß erforderlich ist, beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit.

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Oliver Röpke (Experte für Sozialpolitik und Arbeitsrecht im ÖGB-Büro in Brüssel) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Feb 2002 00:00:00 +0100 1194875984696 Konjunkturgipfel | Einmal mehr ging es um die Inszenierung Jetzt ist es offiziell«, schreibt Joseph Stiglitz, der Nobelpreisträger für Ökonomie und frühere Berater von Bill Clinton, »die Welt befindet sich in einem globalen Abschwung - vielleicht nicht in einer Rezession, aber gewiss in einem Abschwung.«1) Die weltwirtschaftliche Abkühlung spiegelt sich darin, dass der Welthandel im ersten Halbjahr 2001 bereits geschrumpft ist. Nur in wenigen Regionen - wie China, Mittel- und Osteuropa - war die Wirtschaftsaktivität in diesem Zeitraum noch deutlich nach oben gerichtet.

Wann liegt eine Rezession vor?

Von einer Rezession spricht man, wenn das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in mindestens zwei aufeinander folgenden Quartalen gegenüber dem Vorquartal abnimmt. In Österreich gibt es für den Begriff »Rezession« keine allgemein gebräuchliche bzw. anerkannte Definition mehr, da das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut nach 1975 eine exakte Einteilung der Konjunkturzyklen und -phasen nicht mehr vorgenommen hat. Eine Anwendung der in den USA üblichen Definition ist in Österreich aus statistischen Gründen und wegen des andersartigen Konjunkturverlaufes nicht sinnvoll. Nach der alten Definition - von einem Rezessionsjahr spricht man dann, wenn der reale BIP-Zuwachs unter den langfristigen Trend sinkt - wäre das Jahr 2001 mit einem Wert von 1,3% ein Rezessionsjahr.

Kennzeichen dieser Entwicklung sind Revisionen der Prognosen der Wirtschaftsforscher - sinkenden Wachstumszahlen des BIP stehen steigende Arbeitslosenzahlen gegenüber -, Firmenzusammenbrüche, ein gedämpftes Konsum- und Investitionsklima und drohende Finanzkrisen in den Schwellenländern (Argentinien). In Österreich wurden die Konjunkturprognosen im Jahr 2001 kontinuierlich nach unten revidiert - zuletzt im Dezember.

Nachdem in den beiden letzten Jahrzehnten, neoliberalen Auffassungen entsprechend, der Rückzug des Staates gepredigt und vorangetrieben wurde, setzt in dieser Phase der Konjunkturabschwächung wieder eine neue Sehnsucht nach dem Staat ein - eine Rückbesinnung auf Keynes und sein Konzept von der Konjunktursteuerung durch eine antizyklische Budgetpolitik.

Das Konzept knüpft an einer unzureichenden weltweiten Nachfrage an und empfiehlt zu deren Überwindung eine weltweite Stärkung der Kaufkraft. Stiglitz2) meint, »die Zeit dafür ist reif«. Höchst unterschiedlich sind demgegenüber die Reaktionen der jeweiligen Regierungen. Sie reichen vom Festhalten an starren Regeln (Stabilitäts- und Wachstumspakt in den Mitgliedstaaten der EU) über eine antizyklische Ausrichtung der Geld- und Budgetpolitik (USA) bis hin zur (anfänglichen) Realitätsverweigerung (Österreich).

Regierung beschließt Maßnahmen zur Konjunkturbelebung

Was die österreichische Bundesregierung von der Keynes'schen Rezeptur hält, hat sie am 4. September bei der Präsentation eines »Pseudo«-Konjunkturbelebungsprogramms3) lauthals verkündet. Vorbei sind die Zeiten des sinnlosen, wirtschaftspolitischen Aktivismus Keynesianischer Prägung, war der Schlachtruf. Ein weiterer starker Anstieg der Arbeitslosigkeit - im Baubereich fast 32 Prozent - gab offensichtlich den Ausschlag für zwei Konjunkturgipfel. Beim zweiten Gipfel dieser Art am 5. Dezember hat die Regierung neuerlich ein Programm zur Belebung der Konjunktur vorgelegt. Zwei Kernfragen drängen sich auf:

  • Ist von ihnen angesichts des dringenden Handlungsbedarfs eine Entlastung des Arbeitsmarktes zu erwarten?
  • Genügen die darin vorgeschlagenen Maßnahmen dem von den Arbeitnehmervertretungen geforderten Arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischen Sofortprogramm?

Zunächst kann festgehalten werden, dass die Regierung damit ihre bisher ablehnende Haltung gegenüber konjunkturstützenden Programmen verlassen hat. Damit wurde die Notwendigkeit konjunkturstützender Maßnahmen anerkannt. Jedoch schon ein flüchtiger Blick auf die - rasch zusammengetragenen - Maßnahmen zeigt, dass sich die Regierung inhaltlich auf ein absolutes Minimum beschränkt hat. Insgesamt werden die zusätzlichen Maßnahmen mit etwa 858 Millionen Euro (11,8 Milliarden Schilling) beziffert. Davon entfallen 749 Millionen Euro (10,3 Milliarden Schilling) oder 87 Prozent auf die Bauwirtschaft.

Unzureichende Impulse für die Bauwirtschaft

Im Zentrum der kurzfristig wirksamen Maßnahmen steht somit die Bauwirtschaft, die von der Konjunkturabschwächung und der Arbeitslosigkeit am stärksten betroffen ist. Folgende Maßnahmen sind von Bedeutung:

  • Die Bundesimmobiliengesellschaft wird eine Reihe von baureifen Projekten im Ausmaß von rund 145 Millionen Euro (2 Milliarden Schilling) vorziehen.
  • In den nächsten drei Jahren werden (außerbudgetär finanzierte) Infrastrukturinvestitionen in der Höhe von ca. 470 Millionen Euro (6,5 Milliarden Schilling) getätigt. Über die Aufteilung auf die Bereiche Schiene/Straße gibt das Programm keine Antwort.
  • Mittel der Wohnbauförderung in der Höhe von 290 Millionen Euro (4 Milliarden Schilling) sollen zugunsten der Althaussanierung umgeschichtet werden.
  • Für das Jahr 2002 werden die vorzeitigen Abschreibungen für bauliche Investitionen von 3% auf 10% erhöht.

Aus dieser Aufzählung ist erkennbar, dass die kurzfristig bauwirksamen Investitionen in ihrem Volumen völlig unzureichend sind. Weiters lässt sich nicht wirklich zweifelsfrei erkennen, wie hoch die zusätzlichen Investitionen wirklich sein werden. Geht man von 290 Millionen Euro (4 Milliarden Schilling) für die Infrastruktur aus und fügt dem die Förderung von Althaussanierungsmaßnahmen hinzu, so errechnen sich insgesamt Bauinvestitionen von etwa 730 Millionen Euro (rund 10 Milliarden Schilling). Für die Bauwirtschaft wäre ein doppelt so hohes Volumen notwendig und machbar. So sind im Bereich Schiene ca. 800 Millionen Euro (11 Milliarden Schilling) an baureifen Projekten vorhanden, im Bereich der Straße etwa 360 Millionen Euro (5 Milliarden Schilling).

Geringe Impulse werden von der vorzeitigen Abschreibung ausgehen, weil sie auf ein Investitionsvolumen von 3,6 Millionen Euro (50 Millionen Schilling) beschränkt ist und nur von Betrieben in Anspruch genommen werden kann, die tatsächlich Gewinne machen. Überdies ist mit erheblichen Mitnahmeeffekten zu rechnen.

Weitere Maßnahmen wie die Renovierung von Museen und erhöhte Mittel für Projekte des Denkmalschutzes fallen von ihrer Größenordnung kaum ins Gewicht. Andere Bauvorhaben sind bereits im Bundesbudget enthalten und bewirken daher keine zusätzlichen Impulse (Bauausgaben für historische Objekte des Bundes).

Insgesamt sind die konjunkturbelebenden Maßnahmen für die Bauwirtschaft enttäuschend gering. Sie enthalten in abgewandelter Form zwar einige Maßnahmen, die auch von den Arbeitnehmervertretungen gefordert werden (vorzeitige Abschreibung für Bauten, Förderung der Althaussanierung, Bauinvestitionen), sie werden jedoch nicht ausreichen, um die Arbeitslosigkeit dieses Sektors wesentlich zu erleichtern. Daran wird auch die »Qualifikationsoffensive Bau«, wodurch in Anlehnung an bestehende Arbeitsstiftungen die dafür notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden sollen, nicht viel ändern.

Fehlende Verstärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik

Der Arbeitsmarkt bildet einen weiteren Kernbereich der Konjunkturpolitik. Erstaunlich dabei ist, dass am Konjunkturgipfel verschiedene Deregulierungsmaßnahmen (Neuregelung der privaten Arbeitsvermittlung, einheitlicher Arbeitnehmerbegriff, »zeitgemäße« Gestaltung [Verschärfung] der Zumutbarkeitsbestimmungen in der Arbeitslosenversicherung, Reform des Arbeitsmarktservice ...) als konjunkturell wirksam ausgegeben werden. Von diesen Maßnahmen ist aber weder eine kurzfristige Entlastung des Arbeitsmarktes zu erwarten noch entsprechen sie den Forderungen der Arbeitnehmervertretungen, die eine Verstärkung der aktiven Arbeitsmarktpolitik gefordert haben, um vor allem folgende Maßnahmen zu finanzieren:

  • Recht auf Qualifikation für Arbeitsuchende, die länger als drei Monate ohne Beschäftigung bleiben
  • eine gute berufliche Erstausbildung für alle Jugendlichen
  • Modernisierung und nicht Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen, d. h. Schutz des Einkommens- und des Qualifikationsniveaus statt einer Dequalifizierungsspirale.

Forschungsausgaben wirken erst mittel- bis langfristig

Über diese konjunkturpolitischen Maßnahmen hinaus werden Maßnahmen im Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik angekündigt. Der Forschungsfreibetrag für Unternehmungen soll um 10% angehoben werden. Wahlweise wird eine Forschungsprämie von 3% für Forschungsausgaben eingeführt. Damit erhalten auch jene Unternehmen eine Förderung, die keine Gewinne aufweisen (z. B. Neugründungen).

Da Technologiepolitik eine mittel- bis langfristige Wachstumspolitik ist, sind von diesen Maßnahmen kurzfristig keine konjunkturbelebenden Impulse zu erwarten. Durch die Erhöhung des Forschungsfreibetrags werden zudem erhebliche Mitnahmeeffekte ausgelöst. Auch die Ankündigung, die Mittel für Forschung und Entwicklung in den Jahren 2004 bis 2007 weiter mit etwa 500 Millionen Euro (7 Milliarden Schilling) zu dotieren, wird kurzfristig keine zusätzliche Nachfrage bewirken. Es handelt sich lediglich um eine Absichtserklärung, die einerseits künftige Regierungen bindet und die andererseits wirtschaftspolitischen Aktivismus vermitteln soll.

Keine Weiterbildungsförderung für Arbeitnehmer

Im Bereich der Bildung/Ausbildung wurde eine Anhebung des Freibetragssatzes für den Bildungsfreibetrag von 9 auf 20% bzw. wahlweise die Schaffung einer Bildungsprämie mit einem Prämiensatz von 6% angekündigt. Diese Maßnahmen erhöhen die Investitionsbereitschaft der Unternehmen in Weiterbildung und sind daher zu begrüßen. Da die Prämie auch von Unternehmen mit Verlusten in Anspruch genommen werden kann, ist sie der Erhöhung des Bildungsfreibetrages vorzuziehen. In beiden Fällen aber kommt es zu Mitnahmeeffekten. Ein entsprechendes Modell für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fehlt zur Gänze.

Mit der Verdopplung der Zahl der Fachhochschulanfänger beträgt die tatsächliche Überschreitung des beschlossenen Entwicklungs- und Finanzierungsplans für den Fachhochschulsektor nicht 1200, sondern nur 340 Studienplätze.

Behauptete Kaufkraftimpulse - eine »Mogelpackung«

Im Papier zum Konjunkturgipfel wird behauptet, dass von den gesamten Maßnahmen Kaufkraftimpulse im Ausmaß von 5,8 Milliarden Euro (80 Milliarden Schilling) ausgehen. Bewirkt werden diese »... u. a. durch externe Effekte, Einigungen der Sozialpartner, Maßnahmen der Regierung etc. wie Ölpreisrückgang und Energieliberalisierung, Lohnrunde, Pensionsanpassung und Kindergeld«. Diese Impulse sind weit überzogen und in keiner Weise nachvollziehbar. Ein wenig seltsam mutet es an, dass der Ölpreisrückgang und die Energieliberalisierung als Maßnahmen der Regierung deklariert werden. Auch die Lohnrunde ist - mit Ausnahme des öffentlichen Dienstes - keine Maßnahme der Regierung. Überdies ist die eher bescheidene Lohnrunde im öffentlichen Dienst natürlich bereits budgetiert und kann wohl nur schwer zweimal als Kaufkraftimpuls gerechnet werden. Ebenso wenig die Pensionsanpassung und das Kindergeld.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Im Gegensatz zur früheren Haltung hat die Regierung am Konjunkturgipfel die Notwendigkeit konjunkturstützender Maßnahmen anerkannt. Der Großteil der angekündigten Maßnahmen hat mit Konjunkturpolitik wenig bis nichts zu tun4). Da nach dem Konjunkturgipfel die Wirtschaftsprognose neuerlich revidiert wurde - das Wirtschaftswachstum nach unten und die Arbeitslosenzahlen nach oben -, sind die echten konjunkturbelebenden Maßnahmen in der Bauwirtschaft und im Bereich Arbeitsmarkt zu gering, als dass mit ihnen die Arbeitslosigkeit erfolgreich gesenkt werden könnte. Sie entsprechen nur teilweise den Forderungen der Arbeitnehmervertretungen.

Die nicht nachvollziehbare Ankündigung, dass mit diesem Programm 5,8 Milliarden Euro (80 Milliarden Schilling) Kaufkraftimpulse ausgelöst werden, lässt den Eindruck entstehen, dass wieder einmal mehr der Marketingaspekt, die Inszenierung, im Vordergrund stand. Auch die eher kritischen Reaktionen in den Medien lassen darauf schließen, dass das versuchte Täuschungsmanöver nicht aufgegangen ist.

1) Joseph Stiglitz, Lektionen aus dem weltweiten Abschwung, in: http://www.project-syndicate.org/home/home.asp
2) Joseph Stiglitz, Lektionen aus dem weltweiten Abschwung, in: http://www.project-syndicate.org/home/home.asp
3) »A&W« hat darüber in Nr. 11/2001 bereits berichtet: Bruno Rossmann, Trotz weiterer Konjunkturabschwächung Festhalten am »Nulldefizit«.
4) Auf die Darstellung der vielen Detailmaßnahmen wurde daher hier verzichtet.

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Bruno Rossmann (Mitarbeiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaften der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Feb 2002 00:00:00 +0100 1194875984517 Ein Jahr ver.di | Kommentar von Vorsitzendem Frank Bsirske Exemplarisch für die Erfolge, die ver.di im vergangenen Jahr erzielen konnte, ist die Aussage eines Verhandlungsführers nach monatelangem, zähem Ringen um die Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst. Der niedersächsische Finanzminister Heinrich Aller bekannte freimütig: »Früher saßen bei den Verhandlungen immer die Vertreter von ÖTV und DAG am Tisch und waren sich nicht immer grün. Jetzt tritt ver.di geschlossen auf - das hat eine ganz neue Qualität.«

Das macht ver.di aus - wir sind weder außerordentlich harmoniesüchtig noch machen wir es uns immer einfach, aber wenn es darum ging, politische Akzente zu setzen, kann sich unsere Bilanz nach einem Jahr schon sehen lassen.

Im März 2001 sind wir angetreten, eine »lebendige, vielfältige, streitlustige Dienstleistungsgewerkschaft für das 21. Jahrhundert« aufzubauen.

Fünf Organisationen

Wir haben hierzu fünf Organisationen zusammengefügt, die alle ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Strukturen, ihre Erfahrungen - und ihren Stolz eingebracht haben: Die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) hat es geschafft, in so unterschiedlichen Bereichen wie den Banken und dem Einzelhandel erfolgreiche Streiks zu organisieren und darüber eine starke, branchenübergreifende Identität herauszubilden. Die Deutsche Post-Gewerkschaft (DPG) hat sich durch einen sehr hohen Organisationsgrad ausgezeichnet und durch zukunftsweisende Ansätze in der Mitgliederwerbung - auch bei der Jugend. Die DPG kann selbstbewusst und stolz die ausgeprägte Rolle einbringen, die ehrenamtliche Arbeit in ihrer Gewerkschaft gehabt hat. Der IG Medien verdanken wir, dass ver.di nicht nur die jüngste Gewerkschaft in Deutschland ist, sondern sich zugleich die älteste nennen darf: Der Deutsche Buchdruckerverband, aus dem die IG Medien hervorging, war 1866 die erste Gewerkschaft in Deutschland. 1873 erstreikte er auch den ersten überregionalen Tarifvertrag im Deutschen Reich. Die Keimzelle der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) entstand hingegen erst 1896 - mit dem »Verband der Arbeiter in Gasanstalten, auf Holz- und Kohleplätzen und sonstiger Arbeitsleute«. Zuletzt war die ÖTV durch eine große innere Vielfalt gekennzeichnet und eine Organisationskultur, die mit dieser Vielfalt produktiv umgegangen ist.

Dazu gehörte auch eine starke Stellung der Frauen in der Organisation und die konsequente Quotierung aller Wahlfunktionen. Nicht zuletzt ist die DAG mit der ver.di-Gründung unter das Dach des DGB zurückgekehrt. Sie hat von allen Gründungsgewerkschaften den weitesten Weg zurückgelegt - aus der Erfahrung heraus, dass Statusunterschiede zwischen den Beschäftigtengruppen an Prägekraft verloren haben und es sich lohnt, gewerkschaftliche Konkurrenz im Interesse der Beschäftigten zu überwinden. Die DAG hat seinerzeit das größte Erwachsenenbildungswerk Deutschlands aufgebaut, zu dem auch eine staatlich anerkannte Fachhochschule gehört.

Veränderte Arbeitswelt

ver.di hat sich im Moment ihrer Gründung einerseits in die Tradition ihrer Ursprungsorganisationen gestellt. Zugleich steht ver.di aber für etwas Neues: Dafür, sich den Veränderungen in der Arbeitswelt zu stellen.

Und das ist zwingend notwendig. Denn die klassischen Organisationsbereiche, aus denen wir unsere traditionelle Stärke schöpfen, werden - zum Teil jedenfalls - abnehmen, während jene, in denen wir noch schwach sind, wachsen.

So wird auf höchster Konzernebene durch Fusionen die Konzentration in den Branchen vorangetrieben, während gleichzeitig Großbetriebe zerlegt werden. Zahlreiche Bereiche werden »outgesourct«. Die Zahl der Klein- und Mittelbetriebe nimmt zu und damit auch die Zahl der Beschäftigten in diesen Betrieben.

Die Zahl der Angestellten steigt im Vergleich zu der von Arbeiterinnen und Arbeitern. Und gleichzeitig nehmen befristete, Teilzeit-, Leiharbeits- und andere neue Beschäftigungsverhältnisse zu - wobei wir zur Kenntnis zu nehmen haben, dass dabei nicht nur prekäre Beschäftigungsverhältnisse geschaffen werden, sondern auch solche, die Chancen eröffnen - für den Einzelnen wie für die Gesellschaft insgesamt.

Wer auf diese Entwicklung Antworten finden will, muss sich auf Veränderungen einstellen und Neues wagen - und so entstand ver.di, mit rund 2,8 Millionen Mitgliedern die mitgliederstärkste Einzelgewerkschaft der Welt.

Leistungen

Wir haben in diesem Jahr nach der ver.di-Entstehung Tarifrunden im Handel, für das Bodenpersonal bei der Lufthansa sowie im Banken- und Versicherungswesen absolviert, deren Ergebnisse im Durchschnitt beispielsweise über denen der IG Metall lagen und die wir ohne falsche Bescheidenheit durchaus als erfolgreich bezeichnen können. Zugleich haben wir für die Zivilbeschäftigten bei der Bundeswehr in Zeiten massiver Standortschließungen Verträge abgeschlossen, die betriebsbedingte Kündigungen von vornherein ausschließen - ein Novum. Dann galt es, die Zusatzversorgung für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst davor zu bewahren, immer teurer zu werden, ohne dass sie den Beschäftigten ihre Versorgungsansprüche garantiert hätte - ein harter Brocken, ich bin darauf ja eingangs schon eingegangen.

Und wir haben politische Akzente gesetzt, die richtungsweisend sind: Arbeits- und Entlohnungsbedingungen zu regulieren, ist im Zeichen von Deregulierung und Massenarbeitslosigkeit nicht einfacher geworden. Auf der einen Seite hat es riesige Produktivitätszuwächse und Gewinnsteigerungen gegeben. Auf der anderen Seite stehen die Löhne seit Jahren unter Druck. Dieser Druck kann sich durch die Osterweiterung der EU noch verstärken, das ist kein neues Problem. Das Lohngefälle an der deutsch-polnischen Grenze beträgt 7:1! Wenn es da kein Hauen und Stechen auf Kosten von Tarif-, Sozial- und Sicherheitsstandards geben soll, muss der Gesetzgeber Rahmenbedingungen schaffen.

Um polnische Kollegen als Busfahrer für fünf Mark Stundenlohn im Personennahverkehr einzusetzen, wie es ein Busunternehmer in Niedersachsen getan hat - dazu bedurfte es dabei gar nicht erst der EU-Osterweiterung. Auch auf den Baustellen herrscht zum Teil eine unglaubliche Unterbietungskonkurrenz. Und wenn wir ins ostdeutsche Metall- und Holzhandwerk schauen, stoßen wir auf ganze tariffreie Zonen. Hier besteht schon lange Handlungsbedarf.

Mindeststandards

Es gilt, für Tariftreue und Allgemeinverbindlichkeitserklärungen zu sorgen. Das heißt, wir brauchen ein Vergabegesetz, das öffentliche Aufträge an soziale und tarifliche Mindeststandards bindet. So etwas Ähnliches haben die Kollegen von der ehemaligen DPG in ihrem Bereich schon durchgesetzt. Sie haben eine Klausel im Postgesetz verankern können. Danach bekommt in Deutschland nur eine Postlizenz, wer die im Gesetz definierten sozialen Mindeststandards einhält.

Wir haben hierzu noch vor der ver.di-Gründung gemeinsam mit Kollegen von der Gewerkschaft Nahrung, Gaststätten, Genuss (NGG) und der IG Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) zahlreiche Aktionen durchgeführt - mit Erfolg, das Vergabegesetz ist auf gutem Wege und wurde am 1. Februar in den deutschen Bundesrat eingebracht.

Warnstreik

Wir haben den Verantwortlichen in Bund und Ländern unter anderem mit einem Warnstreik, an dem sich im Frühsommer letzten Jahres 60.000 Kollegen aus dem Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs beteiligt haben - auch dies ein Novum -, deutlich gezeigt: Wir wollen die EU-Osterweiterung und die weitere Vertiefung der europäischen Integration, aber sie kann und muss - um der inneren Akzeptanz willen - mit sozialpolitischen Instrumenten abgesichert werden, wie sie Bund und Ländern zur Verfügung stehen. Es reicht eben nicht, nur Übergangsfristen für die Liberalisierung des Arbeitsmarktes festzulegen.

Europa ist Innenpolitik

Aber nicht nur die Politik, wir selbst sind auch gefordert. ver.di hat seit ihrer Gründung ihre europapolitischen Aktivitäten verstärkt und ausgebaut.

Denn was auf der europäischen Ebene in Brüssel und Straßburg passiert, ist in den Wirkungen auf die Bürgerinnen und Bürger zu 80 Prozent Innenpolitik und da müssen wir schnell in der Reaktion und handlungsfähig sein, auf europäischer Ebene und, vor dem Hintergrund der zunehmenden Dezentralisierung multinationaler Konzerne, so genannter Global Players, auch international.

Wir haben, um auf diesem Gebiet Erfolge erzielen können, die Tradition der ehemaligen HBV fortgesetzt, die sich gesellschaftlicher und sozialer Bündnisse bedient bzw. diese aufgebaut hat, um ihren Interessen mehr Nachdruck zu verleihen. So hat ver.di den Schulterschluss mit der IG Metall ebenso gesucht wie mit Misereor, WEED und attac, um für die Einführung der Tobin-Tax zu werben. Während des WTO-Gipfels in Katar haben wir mit den örtlichen Gruppierungen von attac gemeinsam Aktionen veranstaltet, die den Verbrauchern deutlich vor Augen geführt haben, wie jeder und jede Einzelne von der hemmungslosen Liberalisierung globaler Märkte gerade auch auf dem Gebiet der öffentlichen Daseinsvorsorge betroffen ist - zum Beispiel beim Thema »Trinkwasser«.

Schlaglichtartig habe ich die politische und die tarifpolitische Arbeit von ver.di in den letzten Monaten skizziert. Nun darf dabei aber nicht in den Hintergrund geraten, dass wir dazu auch räumlich fusioniert haben, sowohl auf Bundes- als auch auf Landes- und Bezirksebene. ver.di besteht aus 106 Bezirken, 13 Landesbezirken und der Bundesebene einerseits sowie 13 Fachbereichen bzw. 19 Ressorts andererseits, die alle noch zueinander finden und die fünf Gründungsgewerkschaften in sich neu strukturieren mussten: Das ist unsere Umsetzung der Matrixorganisation, in der es nicht nur Existenzen über- oder untereinander, sondern auch ein gleichberechtigtes Nebeneinander gibt.

Weiße Flecken in der Arbeitswelt

Wir waren im März in dieser Formation angetreten, auch die so genannten weißen Flecken der Arbeitswelt gewerkschaftlich zu organisieren - auch auf diesem Gebiet haben wir bereits »Pflöcke eingerammt«. So hat das ver.di-Projekt connexx-av etwa 1000 Mitglieder aus der »Neuen Ökonomie« gewonnen und ist von uns entsprechend verstärkt worden. Auch im Bereich der Logistik erweitern wir Projekte konsequent, die uns helfen, grade die Tätigkeitsbereiche gewerkschaftlich zu erschließen, die es in den jetzigen Ausmaßen bis vor wenigen Jahren gar nicht gegeben hat. Mit Erfolg: So kann das ver.di-Projekt »Logistik« in Bad Hersfeld nach einem Jahr Laufzeit auf die Gründung von 25 Betriebsräten und neue Maßstäbe in der internationalen Betriebratsarbeit verweisen. Das macht uns Mut für die Zukunft. Denn unser Ziel, den Mitgliedertrend in ver.di umzukehren, haben wir bislang noch nicht verwirklichen können. ver.di verliert, wie die anderen DGB-Gewerkschaften auch, noch immer Mitglieder, etwa 65.000 seit ihrer Gründung.

Diesen Trend umzukehren haben wir uns für das nächste Jahr vorgenommen, und der Blick auf ein Jahr erfolgreiche Arbeit in ver.di wird uns dabei ebenso helfen wie der Blick auf die Tarifrunden, die in diesem Jahr anstehen: Nach etwa zwanzig Jahren Umverteilung zugunsten der Gewinne wollen wir auch für die Löhne der Beschäftigten eine Trendwende herbeiführen - zugunsten ihrer Geldbörsen.

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Fri, 15 Mar 2002 00:00:00 +0100 1194875962269 TEIL 2 | Von der Projektidee zum Projektplan Das heißt nicht, dass gewerkschaftliche Projekte im luftleeren Raum entstehen und ihnen keine Aufträge zugrunde liegen. Aber wichtig ist für das Entstehen eines Projekts, dass jemand eine Idee aufgreift und konkretisiert. Und in diesem Prozess bildet sich oft schon der Kern eines Projektteams heraus.

Idee und Team gehören zusammen. Eine gemeinsame Idee, eine gemeinsame Vorstellung von dem, was entstehen soll, verbindet ein Team. Um diese Vorstellung herum kann sich eine Gruppe von engagierten Kolleginnen und Kollegen sammeln. Gemeinsam, im Gespräch, kann sich eine Idee entwickeln, werden verschiedene Möglichkeiten in Gedanken ausprobiert, verworfen, verbessert, konkretisiert.

Woraus bestehen nun Projektideen?

Drei Elemente kommen hier zusammen:

  • Problem
  • Vision
  • Weg

Ausgangspunkt ist eine Wahrnehmung, etwas, was wir an unserer Umgebung beobachten, und zwar etwas, was so ist, wie es nicht sein sollte: ein Problem eben. Um dieses Problem überhaupt erkennen zu können, brauchen wir eine Vorstellung von einem wünschenswerten Zustand, ein mehr oder weniger verschwommenes Bild davon, wie diese Umgebung aussähe, wenn es das Problem nicht gäbe: eine Vision. Schließlich benötigen wir ein Bindeglied zwischen Problem und Vision, das uns das Problem nicht als unabänderliches Schicksal und die Vision nicht als unerreichbaren Traum erscheinen lässt, also einen Weg zur Lösung des Problems und zur Verwirklichung unserer Vision.

Problemwahrnehmung, Zielvorstellung und Lösungsweg ergeben eine erste Projektidee. Wir stellen uns vor, wie wir etwas besser machen könnten. Auf das Wir kommt es dabei durchaus an. Ein Projekt ist immer ein gemeinsames Vorhaben. Wir (ich und andere) stellen ein Problem fest, wir haben eine Vision vor Augen, wir wollen gemeinsam etwas zur Beseitigung des Problems und zur Verwirklichung unserer Vision tun.

Das Gemeinsame

Das Gemeinsame liegt dabei im Tun, im Lösungsweg. Wir haben zwangsläufig alle mehr oder minder unterschiedliche Vorstellungen davon, was wir erreichen wollen, und davon, was wir als Problem bezeichnen. Uns darüber zu unterhalten ist nützlich, diese Vorstellungen auf ihre Verträglichkeit miteinander zu prüfen ist unumgänglich, vollkommene Einigung darüber anzustreben aber unrealistisch. Worüber wir uns unbedingt einigen müssen, ist der gemeinsame Weg, den wir gehen wollen.

Was meine ich damit? Am Anfang der Gewerkschaftsbewegung steht nicht nur eine Idee wie »Ein gerechter Lohn für ein gerechtes Tagwerk!«, sondern auch eine Vorstellung darüber, dass diese Idee durch das solidarische Handeln der Arbeiter verwirklicht werden soll und nicht durch die Einsicht der Besitzenden, durch göttliche Hilfe oder die Intervention einer fremden Macht. Als Martin Luther King von seinem Traum sprach, dass Schwarze und Weiße in den USA gleiche Rechte hätten, war das mehr als ein bloßer Traum: Es war auch die Vorstellung von einer Bürgerrechtsbewegung, die diesen Traum verwirklichen würde. Wenn Gewerkschafter im Rahmen der Aktion Fairness darum kämpfen, sachlich nicht gerechtfertigte Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten aufzuheben, so verbinden sie damit konkrete Vorstellungen über die Verwirklichung dieses Ziels.

In Projekten ist das nicht anders: Wenn ein Betriebsrat in einem unternehmensinternen Projekt »Betriebsdatenerfassung« mitwirkt, so macht er sich nicht nur mit konkreten Vorstellungen über seine Ziele, sondern auch mit konkreten Vorstellungen über die Mittel zu ihrer Durchsetzung an die Arbeit.

Betroffenheit und Engagement

Um ein Thema anpacken zu können, braucht es Menschen, die sich dafür einsetzen. Wir setzen uns für das ein, woran uns etwas liegt: weil wir

  • den Sachverhalt genau kennen,
  • von der Richtigkeit und Durchführbarkeit unserer Vorstellungen überzeugt sind,
  • vom Problem persönlich betroffen sind.

Wir brauchen nicht nur Betroffenheit, sondern auch Sachkenntnis. Wir brauchen nicht nur Überzeugung, sondern auch Engagement. Eine Projektidee kann sich verfestigen und der Kern eines Projektteams kann sich bilden, wo

  • Betroffene selbst aktiv werden,
  • Sachkenntnis im nötigen Ausmaß vorhanden ist,
  • Vorstellungen klar und realistisch sind.

In Projekten geht es um Themen, das heißt, sie haben eine Sachebene. Es geht darum, dass bestimmte Menschen an diesen Themen arbeiten, das heißt, sie haben eine soziale Ebene. Und es geht schließlich auch um einen zeitlichen Horizont für die Verwirklichung unserer Ideen, das heißt, Projekte haben auch eine Zeitebene. Die Konturen, die Projekte auf diesen drei Ebenen annehmen, unterscheiden sie von anderen Aktivitäten und Vorhaben. Man sagt daher, Projekte zeichnen sich durch ihre sachliche, soziale und zeitliche Abgrenzbarkeit aus.

Ziel, Zeit und Umfeld

Diese Abgrenzung muss im Vorfeld eines Projekts erfolgen. Wir versuchen, unsere Zielvorstellungen im Gespräch mit Kollegen zu konkretisieren. Wir finden dabei heraus, wer dieses Ziel mit uns gemeinsam verfolgen will und wen wir zu seiner Verwirklichung brauchen. Wir entwickeln ein Gefühl für die Zeit, die unser Vorhaben brauchen wird. Wir beginnen, ein Projekt abzugrenzen.

Indem wir in Gedanken diese Grenze ziehen, beginnen wir zu unterscheiden zwischen unserem Projekt und seinem Umfeld. In diesem Umfeld ist für uns wichtig, was den Erfolg unseres Projekts beeinflussen könnte - positiv oder negativ. Je deutlicher wir uns diese Umfeldfaktoren machen - Personen, Gruppen, Organisationseinheiten, Medien -, desto größer werden unsere Möglichkeiten, mit ihnen im Projekt wirkungsvoll umzugehen: fördernde Einflüsse maximal zu nutzen und auf hemmende Einflüsse optimal zu reagieren.

Eigene Möglichkeiten

Ebenso wie über das Umfeld seines Projekts sollte ein Team sich auch über die eigenen Möglichkeiten Rechenschaft ablegen: Über welche

  • Fähigkeiten und Kenntnisse,
  • Kontakte,
  • Hilfsmittel

verfügen wir? Welche fehlen uns, damit wir unser Ziel erreichen können?

Bevor unser Projekt überhaupt begonnen hat, haben wir also schon eine ganze Menge zu klären gehabt:

  • Problem, Ziel, Weg;
  • Sachliche, personelle, zeitliche Abgrenzung;
  • Umfeld;
  • Ressourcen

Mit dieser Klarheit in ein Auftragsgespräch gehen zu können, müsste eigentlich ein sehr gutes Gefühl geben.

Projektauftrag

Ist eine Projektidee einmal konkretisiert und abgegrenzt, kann die Arbeit am Projektauftrag in Angriff genommen werden. Dabei geht es nicht darum, ein schönes Papier zu formulieren, sondern darum, eine Arbeitsbeziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer einzurichten. Die Arbeit am Projektauftrag ist daher keine Schreibtischarbeit für einen Einzelnen, sondern Aushandlungsarbeit zwischen mindestens zwei Beteiligten.

Der Projektauftrag stellt die Verbindung zwischen Organisation und Projekt her. Die Formulierung - auf der Grundlage der Vorarbeiten wie Projektabgrenzung, Umfeldanalyse, Kommunikationskonzept - ist Aufgabe des Projektleiters und steht normalerweise vor dem eigentlichen Projektbeginn.

Projektplan

Über die Schwierigkeit der Planung in einem komplexen gesellschaftlichen Umfeld wissen gerade Gewerkschafter genug zu berichten. Gute Planung in gewerkschaftlichen Projekten wird daher kaum je ein Drehbuch für nacheinander abzuwickelnde Aufgaben sein, sondern viel eher eine Liste von Orientierungs- und Prüfpunkten, die helfen, den Weg durch das Projektdickicht zu finden. Die Projektplanung hat zum Ziel,

  • Qualität,
  • Zeit,
  • Kosten

unter Kontrolle zu halten.

Immer geht es dabei um zwei elementare Schritte:

  • Aufgaben zerlegen;
  • Abläufe strukturieren.

Dieser Vorgang muss mehrfach durchlaufen und die Planung dabei immer weiter konkretisiert werden, bis das Projekt in »Arbeitspakete« zerlegt ist, die den einzelnen Teammitgliedern zugewiesen werden können. Die logische Struktur, die sicherstellen soll, dass keine wesentliche Aktivität übersehen wird, nennt man »Projektstrukturplan«. In dieser Struktur dienen »Meilensteine« der Orientierung.

Meilensteine

Ein wesentliches Hilfsmittel zur Schätzung des Aufwands und zur Kontrolle des Zeitablaufs stellen »Meilensteine« dar. Die dahinter liegende Logik ist, zentrale Ereignisse im Projektverlauf zu identifizieren, die für die weiteren Arbeitsschritte wesentlich sind. Dadurch wird das Gesamtprojekt in überschaubare Einheiten zerlegt, für die Schätzungen eher möglich sind. Man darf außerdem erwarten, dass sich so Schätzfehler zum Teil kompensieren.

Jeder Meilenstein ist charakterisiert durch

  • ein eindeutig identifizierbares Ereignis,
  • einen Soll-Termin.

Gerade in gewerkschaftlichen Projekten, die häufig große Unsicherheitsfaktoren enthalten, ist eine detaillierte Planung aller einzelnen Arbeitsschritte mit Dauer und benötigten Mitteln zu aufwendig, zu schwierig oder gar vollkommen undurchführbar. In diesen Fällen gewinnen Meilensteine zusätzliche Bedeutung. Sie erlauben es, in einer unsicheren Umgebung einzelne Ankerpunkte zu setzen, an denen sich Auftraggeber und Projektteam orientieren können. Anhand von Meilensteinen lassen sich auch Abweichungen vom Zeitplan in der Regel sehr gut einschätzen. Auf die Festlegung von mindestens einem Meilenstein für jede Teilaufgabe eines Projekts sollte man deshalb auf keinen Fall verzichten.

Im nächsten Heft: Projektkommunikation

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Herbert Wabnegg http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Mar 2002 00:00:00 +0100 1194875962236 Es geht um die Löhne! | Position zur beginnenden Debatte um die Flexibilisierung der Arbeitszeit Die Arbeitszeitdiskussion liegt auch in Österreich seit jeher im Spannungsfeld: Einerseits zwischen den ökonomischen Wünschen und Notwendigkeiten, die vor allem von der Arbeitgeberseite eingebracht werden, andererseits zwischen dem im Arbeitszeitrecht beabsichtigten Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch zu lange Arbeitszeiten und Lohnschutz, den Gewerkschaften formulieren.

Unbestritten ist dabei, dass Arbeitszeitregelungen ein wichtiger Faktor für das Einkommen der Arbeitnehmer und damit für die Einkommensverteilung, für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft sowie für die Verteilung der Arbeit auf möglichst viele Arbeitnehmer und damit für die Zahl der Arbeitsplätze ist. Schon deshalb ist die volkswirtschaftliche Bedeutung von Normalarbeitszeit und Höchstarbeitszeit sehr groß. Darüber hinaus wird aber auch Lebensqualität, Gesundheit und die Bedingungen für das gesellschaftliche Zusammenleben wesentlich dadurch mitbestimmt, wie lange und zu welchen Zeiten Arbeitsleistung erbracht werden muss.

Während also der Österreichische Gewerkschaftsbund seit jeher wieder betont hat1), dass Arbeitszeitregelungen ein bedeutender Faktor für wichtige gewerkschaftliche und darüber hinaus gesellschaftspolitische Ziele ist, ging es den Arbeitgebern naturgemäß immer um ganz andere Interessen in der Arbeitszeit(flexibilisierungs)debatte:

  • Kostensenkung durch Wegfall von Überstundenbezahlung,
  • Verringerung des Einsatzes von Arbeitskräften im Rahmen von Rationalisierungen (Anpassung der Arbeitskräfte an Auftragslage und Bedarf).

Tatsache ist aber auch, dass in der Debatte um die Arbeitszeit in Österreich in regelmäßigen Abständen das Argument auftaucht - nicht nur von Führungskräften in der Wirtschaft -, das Arbeitszeitrecht sei zu starr, es lasse keinen ausreichenden Spielraum für Flexibilisierung. Diese Argumente haben auch in das geltende Koalitionsabkommen zwischen FPÖ und ÖVP Eingang gefunden, das mehrfach von Flexibilisierung der Arbeitszeit spricht. Und der für Arbeitsrecht zuständige Wirtschaftsminister Bartenstein hat sich brieflich an den ÖGB gewandt, in eine Debatte um weitere gesetzliche Flexibilisierung der Arbeitszeit einzutreten.

Das geltende Arbeitszeitrecht ist nicht zu starr

Die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer haben in der beginnenden Debatte um die Arbeitszeit zunächst einmal darauf verwiesen, dass alle, die die weitere Arbeitszeitflexibilisierung verlangen, sich einmal über die Daten und Fakten informieren und dabei bei der realen Arbeitszeitsituation der Österreicherinnen und Österreicher beginnen sollen. Josef Cerny hat dazu erst jüngst eine beachtenswerte Aufstellung vorgelegt2):

1. Mehr als eine Million Österreicher arbeiten am Sonntag, das sind 27,6 Prozent aller Erwerbstätigen, mehr als eine halbe Million regelmäßig, darunter fast 250.000 Frauen.

2. Mehr als 800.000 arbeiten regelmäßig am Samstag.

3. Fast eine halbe Million leistet Schichtarbeit, Wechsel- oder Turnusdienst (das ist Rang zwei in der EU).

4. Mehr als 300.000 leisten regelmäßig Nachtarbeit zwischen 22 und 6 Uhr, darunter - trotz grundsätzlichem Nachtarbeitsverbot - ca. 90.000 Frauen.

5. Rund 480.000 arbeiten regelmäßig am Abend zwischen 20 und 22 Uhr.

6. Im Jahresdurchschnitt 1997 gab es ca. 500.000 Teilzeitbeschäftigte, davon mehr als 400.000 Frauen. Seither ist der Anteil der Teilzeitbeschäftigten weiter gestiegen, er beträgt insgesamt ca. 15 Prozent, bei den Frauen schon über 30 Prozent; d. h., jede dritte Frau arbeitet in Teilzeit mit entsprechend geringerem Lohn. Teilzeitarbeit ist vor allem - schlecht bezahlte - Frauenarbeit.

7. Es gibt rund 200.000 »geringfügig Beschäftigte« (mit einem Monatseinkommen von weniger als Euro 291,- oder ATS 4000,-), darunter wieder weitaus überwiegend Frauen.

8. Die Zahl der zur Sozialversicherung gemeldeten »freien Dienstverträge« beträgt etwa 20.000, die Dunkelziffer von Scheinwerkverträgen und anderen Konstruktionen zur Umgehung des Arbeitsrechtes wird weit höher geschätzt.

9. Und letztlich: Zwei Drittel aller unselbständig Beschäftigten leisten Überstunden, ca. ein Viertel jede Woche, das ganze Jahr. Durchschnittlich werden fünf Überstunden pro Woche gearbeitet, ca. ein Fünftel der Arbeitnehmer erhält allerdings für diese Überstunden keinen Zuschlag.

Wenn also

  • fast zwei Drittel der Arbeitnehmer in der österreichischen Privatwirtschaft in flexibler Arbeitszeiteinteilung arbeiten,
  • das »Normarbeitsverhältnis« mit Vollarbeitszeit von 40 Stunden in der Woche, gleichmäßig verteilt auf fünf Arbeitstage, nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme ist,
  • Wochenend- und Nachtarbeit zunehmen, ebenso Teilzeitarbeit
  • durch flexible Arbeitszeitgestaltung die Arbeitsleistung deutlich gestiegen ist - wovon Frauen besonders betroffen sind, für die sich zunehmende Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ergeben,

dann zeigt die tatsächliche Arbeitszeitsituation der Österreicher, dass von starren Arbeitszeiten in Österreich keine Rede sein kann.

Das Arbeitszeitgesetz und das Arbeitsruhegesetz bieten ausreichend Spielraum für Flexibilisierung

Aber nicht nur die tatsächliche Arbeitszeitsituation der Österreicher spricht gegen die angebliche »Unbeweglichkeit« des Arbeitszeitrechtes. Seit der großen Arbeitszeitreform 1997 bestehen weitgehende, auch gesetzliche Regelungen für eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit.

1. Zunächst bei der so genannten »Durchrechnung der Normalarbeitszeit«: In unterschiedlichen Modellen kann die Normalarbeitszeit schwankend gestaltet werden. Zu manchen Zeiten wird länger gearbeitet, zum Ausgleich zu manchen Zeiten kürzer. Soweit solche Modelle auch den Arbeitnehmern Vorteile bringen, können sie jederzeit durch Betriebsvereinbarung oder Einzelvereinbarung eingeführt werden. Modelle, die primär im Arbeitgeberinteresse sind, um schwankenden Arbeitsbedarf unter Vermeidung von Überstundenentgelt abzudecken, können nur durch Kollektivvertrag - also in Verhandlungen mit der zuständigen Gewerkschaft - zugelassen werden. In den meisten Branchen haben sich die Kollektivvertragsparteien auf großzügige Flexibilisierungsmöglichkeiten für die Betriebe geeinigt, dafür aber wichtige Ausgleichsmaßnahmen zugunsten der Arbeitnehmer vorgesehen.

2. Die Höchstgrenzen der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit (einschließlich Überstundenarbeit) mit in der Regel 10 Stunden pro Tag bzw. 50 Stunden pro Woche sind wichtig für den Schutz von Gesundheit, Familienleben und Freizeit der Arbeitnehmer, tragen aber auch wirtschaftlich zu einer gerechten Verteilung der vorhandenen Arbeit auf möglichst viele Menschen bei. Zur Bewältigung von vorübergehenden Arbeitsspitzen (etwa Bearbeitung eines Großauftrages, Saisonspitzen) können durch Betriebsvereinbarung diese Höchstgrenzen jedoch geöffnet werden, und zwar bis zu 12 Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche.

3. Wochenendarbeit kann nicht mehr nur durch Verordnung des Arbeitsministers aus technologischen Gründen (Arbeitsprozesse können nicht unterbrochen werden) oder um Versorgungsleistungen oder Freizeitangebote sicherzustellen, zugelassen werden, sondern auch der Kollektivvertrag kann Wochenendarbeit erlauben, und zwar aus wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Gründen (insbesondere um zu vermeiden, dass Arbeitsplätze ins Ausland abwandern). Damit kann eine Produktion rund um die Uhr ermöglicht werden.

Wer also behauptet, das österreichische Arbeitszeitrecht stelle ein enges Korsett dar, irrt daher auch juristisch. Hinter solchen Behauptungen steckt meist nur der Wunsch, die Gewerkschaften als Verhandlungspartner auszuschalten, also Formen der Arbeitszeitflexibilisierung, die rein an Unternehmerwünschen orientiert sind, unter Umgehung der Gewerkschaften auf betrieblicher Ebene durchsetzen zu können. In der politischen Diskussion segeln solche Argumente unter dem Schlagwort »Betriebliche Sozialpartnerschaft weiter stärken«.

Es geht um Lohnpolitik: Kollektivverträge (und damit Gewerkschaften) in der Arbeitszeitgestaltung unverzichtbar

Flexible Arbeitszeiten, die vorwiegend den Bedürfnissen des Unternehmers folgen, haben zwei schwerwiegende Nachteile für die Arbeitnehmer:

1. Arbeitsspitzen, die sonst als Überstunden abgegolten werden müssen (in Geld oder in Zeitausgleich, aber jedenfalls mit einem 50-prozentigen Zuschlag), werden in solchen Modellen zu Normalarbeitsspitzen, die in Zeiten schwächeren Arbeitsbedarfs im Verhältnis 1:1 ausgeglichen werden. Der Arbeitnehmer verliert also jedenfalls den Überstundenzuschlag in Geld oder in Zeit. Dieser Zusammenhang muss uns klar machen: Bei der Arbeitszeitfrage geht es immer in erster Linie um Entgelt- und Verteilungsfragen - letztlich also um Lohnpolitik.

2. In flexiblen Arbeitszeitmodellen, die überwiegend Unternehmensbedürfnissen folgen, sind Familienleben und Freizeit der Arbeitnehmer weit schwerer planbar als bei fixen, gleich bleibenden Arbeitszeiten oder bei flexiblen Modellen, die überwiegend von den Arbeitnehmern bestimmt werden (wie z. B. Gleitzeit). Je nach dem Arbeitsbedarf des Unternehmens müsste der Arbeitnehmer ohne entsprechende Schutzregelungen mit ununterbrochen wechselnden Arbeitszeiten rechnen, die die Betreuung von Kindern oder andere familiäre Pflichten und die Planung der Freizeitaktivitäten sowie die Benützung fahrplangebundener Verkehrsmittel für den Arbeitsweg ungemein erschweren.

Bei der Gestaltung flexibler Arbeitszeitmodelle ist daher ein Interessenausgleich unbedingt erforderlich. Die Einkommens- bzw. Freizeitverluste durch den Wegfall des Überstundenzuschlages sind durch finanzielle oder andere Vorteile zu kompensieren, die einseitige Festlegung der ständig schwankenden Arbeitszeiten durch den Betrieb ist durch eine partnerschaftliche Regelung zu ersetzen. Solche Regelungen und Kompensationen bedürfen aber gewerkschaftlicher Verhandlungsstärke.

Der einzelne Arbeitnehmer kann aus Angst um den Arbeitsplatz und um das Betriebsklima nicht den erforderlichen Verhandlungsdruck erreichen, aber auch der - an sich kündigungsgeschützte - Betriebsrat ist dem Druck des einzelnen Arbeitgebers (Androhung von Kündigungen, Verweis auf die Konkurrenz in der Branche usw.) weit stärker ausgesetzt als die zuständige Gewerkschaft, die einheitliche Schutz- und Kompensationsregelungen für die ganze Branche erzielen kann. Die zahlreichen bereits bestehenden Kollektivverträge (Flexibilisierungsregelungen) zeigen, wie gut dieser Mechanismus funktioniert: Für die Unternehmungen wurden große Spielräume geschaffen, die erforderlichen Kompensations- und Schutzregelungen für die Arbeitnehmer sind enthalten.

Übrigens: Kann eine Einigung zwischen Kollektivvertragspartnern über die Flexibilisierung der Arbeitszeit nicht hergestellt werden, können beide Seiten ein Schlichtungsverfahren in Gang setzen, durch das dann letzten Endes eine die beiderseitigen Interessen ausgleichende Regelung festgelegt werden kann, die die kollektivvertragliche Regelung ersetzt. Die Bindung von Arbeitszeitflexibilisierungen, die in erster Linie an Unternehmerinteressen orientiert ist, an die Zulassung durch den Kollektivvertrag ist daher nicht, wie vielfach vordergründig behauptet wird, eine »Bevormundung« des Betriebsrates durch die Gewerkschaften, sondern eine Regelung zur Herstellung eines vernünftigen Interessenausgleichs, die auch nicht an der allfälligen »Sturheit« einer der beiden verhandelnden Seiten scheitern kann.

Gesamtüberblick: Österreichs Arbeitszeitrecht in hohem Maß flexibilisiert

Abschließend hier noch einmal ein Gesamtüberblick über die Gesetzesbestimmungen, der zeigen soll, in welch hohem Maß das österreichische Arbeitszeitrecht bereits flexibilisiert ist:

Andere Verteilung der Normalarbeitszeit innerhalb der Woche

  • Zur Erreichung einer längeren Freizeit bei Verkürzung der Normalarbeitszeit an einzelnen Tagen.
  • Zulassung durch Betriebsvereinbarung bzw. Arbeitsinspektorat notwendig, wenn andere ungleichmäßige Verteilung der Normalarbeitszeit erreicht werden soll.
  • Tägliche Normalarbeitszeit neun Stunden.

Einarbeiten in Verbindung mit Feiertagen

  • Einarbeitungszeitraum 7 Wochen, tägliche Normalarbeitszeit 10 Stunden, wöchentliche Normalarbeitszeit 50 Stunden.
  • Verlängerung des Einarbeitungszeitraumes durch Betriebsvereinbarung auf bis zu 13 Wochen, durch Kollektivvertrag länger, tägliche Normalarbeitszeit 9 Stunden, wöchentliche Normalarbeitszeit 50 Stunden.

Durchrechnung der Normalarbeitszeit im Handel

  • Durchrechnungszeitraum 4 Wochen, Verlängerung durch Kollektivvertrag unbegrenzt möglich.
  • Normalarbeitszeit in einzelnen Wochen bis 44 Stunden.
  • Tägliche Normalarbeitszeit 9 Stunden.
  • Tägliche Normalarbeitszeit 10 Stunden bei 4-Tage-Woch

Durchrechnung der Normalarbeitszeit - allgemeine Regelung (außer Handel)

  • Zulassung in der Regel durch Kollektivvertrag (kann von der Wirtschaft über Schlichtungsverfahren durchgesetzt werden).
  • Durchrechnungszeitraum 1 Jahr.
  • Längerer Durchrechnungszeitraum möglich, wenn Zeitausgleich in mehrwöchigen zusammenhängenden Zeiträumen.
  • Normalarbeitszeit in einzelnen Wochen bis 50 Stunden bei Durchrechnungszeitraum bis 8 Wochen, 48 Stunden bei längerem Durchrechnungszeitraum.
  • Tägliche Normalarbeitszeit 9 Stunden, in Sonderfällen 10 Stunden.

4-Tage-Woche (durch Kollektivvertrag)

  • Verteilung der gesamten Wochenarbeitszeit auf 4 Tage.
  • Tägliche Normalarbeitszeit 10 Stunde

Normalarbeitszeit bei Schichtarbeit

  • Durchrechnung der Normalarbeitszeit über den Schichtturnus, durch Kollektivvertrag längere Durchrechnung möglich.
  • Tägliche Normalarbeitszeit 9 Stunden, an Wochenenden (durch Betriebsvereinbarung) und bei Schichtwechsel 12 Stunden möglich.
  • Arbeitszeit in der einzelnen Woche 50 Stunden, durch Kollektivvertrag Ausdehnung bis auf 56 Stunden.

Gleitzeit

  • Arbeitnehmer kann Beginn und Ende der täglichen Normalarbeitszeit innerhalb eines zeitlichen Rahmens selbst bestimmen.
  • Notwendig ist Gleitzeitvereinbarung (Betriebsvereinbarung, wenn kein Betriebsrat schriftliche Einzelvereinbarung).
  • Tägliche Normalarbeitszeit 9 Stunden, durch Kollektivvertrag Verlängerung auf 10 Stunden.
  • Wöchentliche Arbeitszeit 50 Stunden.

Dekadenarbeit

  • Für bestimmte Baustellen, Zulassung durch Kollektivvertrag.
  • Durchrechnungszeitraum 2 Wochen (10 Tage Arbeit, 4 Tage frei).
  • Tägliche Normalarbeitszeit 9 Stunden.

Arbeitsbereitschaft

  • Wöchentliche Normalarbeitszeit 60 Stunden.
  • Tägliche Normalarbeitszeit bis auf 12 Stunden, mit Überstunden bis zu 13 Stunden.
  • Zulassung in der Regel nur durch Kollektivvertrag.

Arbeitsbereitschaft mit besonderen Erholungsmöglichkeiten

  • Dreimal pro Woche Normalarbeitszeit bis zu 24 Stunden + eine halbe Überstunde.
  • Zulassung durch Kollektivvertrag + Betriebsvereinbarung + arbeitsmedizinisches Gutachten.
  • Durchschnittliche Normalarbeitszeit 60 Stunden, in einzelnen Wochen 72 Stunden.

Überstunden bei erhöhtem Arbeitsbedarf

  • Allgemein zulässig 5 Stunden + 60 Stunden Jahrespaket.
  • Tageshöchstarbeitszeit 10 Stunden, Wochenhöchstarbeitszeit 50 Stunden, wo nicht anders angegeben.
  • Zusätzlich 5 für bestimmte Gruppen, zusätzlich 10 Überstunden durch Kollektivvertrag, dadurch Überschreitung der 50-Stunden-Höchstgrenze möglich.
  • In 12 Wochen pro Jahr Überstunden bis zu Tagesarbeitszeit von 12 Stunden durch Betriebsvereinbarung zur Verhinderung eines unverhältnismäßig wirtschaftlichen Nachteils.
  • Weitere Überstunden durch Arbeitsinspektion möglich.
  • Bei Arbeitsbereitschaft: Wochenarbeitszeit kann durch Überstunden bis zu 13 Stunden ausgedehnt werden.

Überstunden für Vor- und Abschlussarbeiten

  • Eine halbe Stunde täglich (zusätzlich zu den Überstunden), Tageshöchstarbeitszeit 10,5 Stunden (Ausnahmen).

Bildungskarenz

  • Die Arbeitnehmer können mit ihrem Arbeitgeber zum Zweck einer Aus- und Weiterbildung für 3 bis 12 Monate eine Karenzierung vereinbaren; sie erhalten in dieser Zeit Weiterbildungsgeld aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung.

Freistellung gegen Entfall des Arbeitsentgeltes

  • Weiters kann eine Karenzierung für 6 bis 12 Monate auch ohne Bindung an ein Bildungsvorhaben vereinbart werden; in dieser Zeit erhält der Arbeitnehmer Weiterbildungsgeld aus der Arbeitslosenversicherung, wenn der Arbeitgeber für diese Zeit eine Ersatzkraft einstellt.

Solidaritätsprämienmodell

  • Hier wird die Normalarbeitszeit einer Mehrzahl von Arbeitnehmern reduziert, sodass für diese reduzierte Normalarbeitszeit ein Zeitrahmen für eine oder mehrere zusätzliche Arbeitskräfte frei wird; die Bedingungen müssen durch Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung festgelegt werden; der einzelne Arbeitnehmer muss seiner Arbeitszeitverkürzung zustimmen; die Arbeitnehmer erhalten einen teilweisen Lohnausgleich aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung.

Herabsetzung der Normalarbeitszeit bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (Gleitpension, Altersteilzeit, Teilzeit bei Betreuungspflichten)

  • Bei Inanspruchnahme einer Gleitpension (Teilpensionsbezug bei Teilzeitarbeit) kann der Arbeitnehmer die erforderliche Reduktion seiner Arbeitszeit verlangen; Arbeitnehmer über 50 Jahre und Personen mit Betreuungspflichten können mit dem Arbeitgeber eine Herabsetzung der Arbeitszeit vereinbaren, wobei keine wesentlichen Nachteile hinsichtlich ihres Abfertigungsanspruchs im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eintreten; Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab 50 und Arbeitnehmer ab 55 Jahren erhalten einen Lohnausgleich vom Arbeitgeber, der diesen aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung refundiert bekommt (Altersteilzeitgeld); Eltern können statt der Karenz eine Elternteilzeit verlangen; dabei sind die Einkommensgrenzen des Kinderbetreuungsgeldes zu berücksichtigen, sonst völliger Entfall bzw. Rückzahlungsverpflichtung.

Schlussbemerkung: Kein Handlungsbedarf für weitere Flexibilisierung auf gesetzlicher Ebene

Die Debatten um eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit in der Öffentlichkeit haben wieder begonnen. Weitere Vorstöße des für die Arbeitszeit zuständigen Wirtschaftsministers Bartenstein mit Berufung auf das Koalitionsübereinkommen der FPÖ-ÖVP-Regierung sind zu erwarten. Es gibt auch keine Arbeitszeitdiskussion in Österreich, wo nicht regelmäßig die Behauptung aufgestellt wird, dass das österreichische Arbeitszeitrecht zu unbeweglich, zu unflexibel und zu starr sei.

Die vorangehenden Ausführungen sollen noch einmal zeigen, dass das Gegenteil dieser Behauptungen der Fall ist. Zwei Drittel der österreichischen Arbeitnehmer arbeiten bereits in flexibler Arbeitszeitgestaltung. 40-Stunden-Woche, 8-Stunden-Tag, 5-Tage-Arbeitswoche sind längst nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Wochenend- und Nachtarbeit sowie Teilzeit nehmen zu. Der Druck auf die Arbeitnehmer durch weitere Flexibilisierung steigt.

Aber auch der Blick auf die großen Flexibilisierungsmöglichkeiten im österreichischen Arbeitszeitrecht selbst zeigt, dass es keineswegs starr ist, im Gegenteil: Es ist in hohem Maße flexibilisiert. Vor allem die Problematik des Entfalls von Überstundenzuschlägen bei weiterer Ausdehnung der Flexibilität (insbesondere bei der Anhebung der Tagesarbeitszeitgrenzen) und die Idee zur Ausschaltung des Kollektivvertrages als Gestaltungsinstrument zeigen, es geht im Kern nicht um Arbeitszeitdebatten, sondern um Lohndebatten in Richtung Lohnsenkung.

Aus diesen Gründen hat der ÖGB Arbeitgebern und Ministerium eine sehr klare Haltung in Bezug auf weitere gesetzliche Flexibilisierung der Arbeitszeit übermittelt.

Erstens: Was die weitere Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes, insbesondere die Ausdehnung der täglichen »Maximalarbeitszeit« betrifft, muss festgehalten werden, dass das österreichische Arbeitszeitgesetz bereits eine Fülle von Flexibilisierungsmöglichkeiten bereitstellt, die durch Sozialpartnereinigung auf Kollektivvertragsebene ausgeschöpft werden und ausgeschöpft werden können.

Zweitens: Erklärtes Ziel des ÖGB und seiner Mitglieder, im Besonderen auch der Urabstimmung, bleibt es, solche wichtigen Entscheidungen wie in der Arbeitszeit auf der Ebene der Kollektivverträge zu belassen.

Drittens: Die Praxis demonstriert auch, dass für Anliegen der Betriebe im Arbeitszeitbereich, die an die Gewerkschaften herangetragen wurden, letztlich immer eine Lösung auf Vereinbarungsebene gefunden werden konnte.

Zusammenfassend heißt das für die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer, dass sie im Rahmen der derzeitigen Rechtslage auch künftig bereit sein werden, jene sehr großen Spielräume auszunützen, die das geltende Recht den Sozialpartnern einräumt. Sinnvollen und notwendigen Flexibilisierungen der Arbeitszeit unter ausgewogener Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer haben sich Gewerkschaften nie verschlossen.

Handlungsbedarf nach weiterer Flexibilisierung auf gesetzlicher Ebene besteht jedoch nicht.

1) U. a. ÖGB, Leitbild der Arbeitszeit, Lebenszeit, 1996

2) Josef Cerny, »Arbeitszeitrecht - Rechtsgrundlagen und Gestaltungsformen«, ÖGB-Verlag

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Richard Leutner (Leitender Sekretär des ÖGB) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Mar 2002 00:00:00 +0100 1194875962222 Halbzeit von »Österreich neu regieren« | Eine Bewertung und Bilanz aus dem Blickwinkel der Sozialversicherung Eine spezifische Eigenschaft dieser Regierung ist das Tempo, mit dem sie an die Arbeit ging. Die Geschwindigkeit und Rücksichtslosigkeit, mit der gerade im sozialpolitischen Bereich in bestehende Gesetze und damit in die Lebensbedingungen Tausender Menschen eingegriffen wurde, ist wahrlich bemerkenswert.

Speed kills

Klubobmann Khol prägte dafür die Bezeichnung »speed kills«, mit der er zum Ausdruck bringen wollte, dass dies eine Regierung der Taten und nicht bloßer Ankündigungen sei. Doch genau diese »geflügelten Worte« erlangten bald eine andere Bedeutung und brachten sehr deutlich die demokratiepolitischen und methodischen Schwächen der Arbeitsweise der blauschwarzen Regierung zum Ausdruck. Gesetze wurden oft ohne ein Begutachtungsverfahren im Eilzugstempo beschlossen, und die Regierung »stolperte« nicht selten über eigene Fehler infolge der überhasteten Beschlussfassung. Kritik von Seiten der Medien konzentriert sich meist auf diesen Dilettantismus, weniger aber auf die Grundlinien, die sich hinter den Maßnahmen verbergen. Letztere sind der Haupteinwand der Gewerkschaften.

Verfassungsgerichtshof

So wurden die Pensionsreform und die Ambulanzgebühren wegen Formalfehlern vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) aufgehoben und mussten neuerlich beschlossen werden. Auch die Kampagne zu meiner Enthebung als Hauptverbandspräsident wurde von der Vizekanzlerin relativ unvorbereitet auf einer FPÖ-Wahlkampfveranstaltung vom Zaun gebrochen. Es stellte sich heraus, dass die Regierung eigentlich über keine legistischen Mittel verfügt, in der Sozialversicherung unerwünschte Funktionäre aus dem Weg zu räumen. Dieses Ziel wurde erst nach einem halben Jahr erreicht, indem für den Hauptverband der Sozialversicherungsträger eine völlig neue Struktur geschaffen wurde.

Der jüngste, aber sicherlich nicht letzte diesbezügliche Fall eines nicht haltbaren Gesetzes war die rückwirkende Abschaffung der Pension wegen geminderter Erwerbs- bzw. Arbeitsfähigkeit. Der Oberste Gerichtshof hat Ende Jänner wieder festgestellt, dass die überfallsartige und rückwirkende Abschaffung dieser Pensionsart dem EU-Recht widerspricht.

Es stehen noch weitere, höchst brisante VfGH-Urteile im Sozialversicherungsbereich bevor: die Unfallrentenbesteuerung und die kurzfristige Anhebung des Pensionsantrittsalters.

Diese neue Methodik im Umgang mit sozialrechtlichen Änderungen, die durch kurzfristige Eingriffe das Vertrauen der Versicherten in das Sozialsystem untergräbt, lässt sich nicht auf das Stopfen von Budgetlöchern, im Dienste des zum Dogma erhobenen Nulldefizits, reduzieren. In der Vielzahl an legistischen Neuerungen kann man zwar kein ausgereiftes Konzept erkennen, es lassen sich aber sehr wohl Grundlinien und eine eindeutige Entwicklungsrichtung festmachen:

Einerseits bestehen deutliche Tendenzen hin zu einem Systemumbau der sozialen Sicherung und andererseits findet eine Verschiebung bei den Akteuren, die die Sozialpolitik gestalten, zu Lasten der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer statt.

Systemumbau

Die Änderung der materiellen Regelungen hinsichtlich des Leistungsniveaus des Sozialsystems trifft alle drei Bereiche der Sozialversicherung. In der Pensionsversicherung steht die Umstellung auf das 3-Säulen-Modell zur Diskussion und in Teilumsetzung, bei der Krankenversicherung droht eine Reduktion des Leistungsspektrums und damit eine größere Rolle der privaten Versicherung, und der Unfallversicherung steht durch die geplante Senkung des Beitragssatzes eine Leistungsverschlechterung ins Haus.

Auch wenn die Umsetzung des Systemumbaus bislang nicht dezidiert in Angriff genommen wurde, weisen viele Maßnahmen deutlich in diese Richtung. Teilweise wurden sie auch im Regierungsprogramm angekündigt. In diesem findet sich neben dem Bekenntnis zum 3-Säulen-System in der Pensionsversicherung auch die Ankündigung, dass im Bereich der Krankenversicherung eine Umstellung von der Pflichtversicherung zur Versicherungspflicht überlegt werden soll. Diesem Ansinnen wurde nun der Wind aus den Segeln genommen, weil die zur Klärung der möglichen Vorteile dieser Systemumstellung eingesetzte Expertenkommission unter der Leitung von Univ.-Prof. Walter Schrammel empfohlen hat, das Pflichtversicherungsmodell grundsätzlich beizubehalten. Auch bei den Arbeitgebern gibt es derzeit keine Intentionen, den Grundsatz der Pflichtversicherung aufzugeben, nachdem sich die Wirtschaftskammer mit den negativen Auswirkungen der freien Versicherungswahl und der Risikoselektion anhand der konkreten Entwicklung in Deutschland auseinander gesetzt hat.

Keine Entwarnung

Trotzdem wäre es meiner Meinung nach fehl am Platze, diesbezüglich Entwarnung zu geben, weil von einer Absicherung der solidarischen Krankenversicherung nur dann die Rede sein kann, wenn man sie mit den dazu notwendigen finanziellen Grundlagen ausstattet. Davon kann aber derzeit leider nicht die Rede sein. Die Entwicklung läuft vielmehr darauf hinaus, vorerst an der Pflichtversicherung festzuhalten, aber den Grundsatz der Solidarischen Krankenversicherung insofern auszuhöhlen, als das Leistungsniveau in Frage gestellt wird und immer höhere Eigenleistungen bei Inanspruchnahme des Gesundheitssystems zu erbringen sind. Über kurz oder lang ist dann eine umfassende medizinische Versorgung nur in Kombination mit einer privaten Krankenversicherung oder persönlicher Zuzahlung gewährleistet.

Wenn man diese Entwicklung hintanhalten will, so darf man nicht unentwegt Beitragssatzerhöhungen kategorisch ablehnen. Ich bin weder ein Mensch, der sich über Beitragserhöhungen freut, noch halte ich sie für das einzige Mittel, um die Finanzierung der Sozialversicherung zu gewährleisten. Eine Zweckwidmung von Teilen der Alkohol- und Tabakabgaben, eine wertschöpfungsbezogene Beitragsgrundlage oder ein Zuschlag zur Kapitalertragsteuer für die Sozialversicherung stellen diskussionswürdige alternative einnahmenseitige Maßnahmen dar. Selbstverständlich muss die Struktur des Gesundheitssystems so ausgerichtet werden, dass keine Ressourcen durch mangelnde Koordination (Doppelbefundungen, Mehrfachuntersuchungen und Ähnliches) suboptimal eingesetzt bzw. verschwendet werden.

Das Grundproblem der Krankenversicherung
Letztlich besteht aber das Grundproblem der Krankenversicherung darin, dass die Einnahmen langsamer als die Ausgaben steigen. Dieses ist auch durch effizientere Strukturen nicht aus der Welt zu schaffen.

Während die Versicherungsleistungen der Krankenversicherung von 1993 bis 2000 um 32,3% gestiegen sind, wuchs das BIP um 30,5%, während die Beitragseinnahmen der Krankenversicherung nur um 26,3% zugenommen haben.

Auch der Generalsekretär der Wirtschaftskammer, Reinhold Mitterlehner, wies unlängst auf einer Enquete der BWK auf diese Zusammenhänge hin:

»99% der Bevölkerung sind in Österreich durch Krankenversicherung geschützt und das mit nur rund 60 Euro im Monat. Die Gesamtkosten des Gesundheitssystems entsprechen 8,3% des BIP, womit wir unter dem europäischen Schnitt von 8,7% liegen.« Gleichzeitig liegen allerdings die Einnahmensteigerungen deutlich unter den Ausgabensteigerungen.1)

Somit konzentriert sich die Problematik auf die Fragestellung, ob man die allgemeinen Einnahmen der Krankenversicherung dynamisiert oder auf Selbstbehalte und Leistungskürzungen setzt. Ich halte in einer solidarischen Krankenversicherung nur die erste Alternative für gangbar und bin mit dieser Meinung nicht allein.

Was ist solidarisch?

Die dem solidarischen Grundsatz der Sozialversicherung widersprechende Belastung jener Versicherten, die auf die Leistungen des Gesundheitssystems angewiesen sind, findet bezeichnenderweise keine Zustimmung in der Bevölkerung. In einer Umfrage der Wiener Ärztekammer sprachen sich 86% der Befragten gegen Leistungskürzungen aus, 68% können sich auch höhere Beiträge vorstellen. Abgelehnt werden hingegen die höheren Eigenleistungen von Kranken.2) Demgegenüber hat der zuständige Staatssekretär Waneck eine äußerst seltsame Auffassung von Solidarität. So verkündete er: »Unsolidarische Maßnahmen wie Beitragserhöhungen werden abgelehnt.« Was das für die Versorgungsqualität des Gesundheitssystems bedeutet, hat er bewusst ausgeklammert.

Mittlerweile hat sich aber auch beim Staatssekretär die Überzeugung durchgesetzt, dass das Gesundheitswesen zusätzliche Mittel benötigt. Am 11. 1. 2002 verkündete er, dass eine Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage oder eine höhere Steuer auf Tabakprodukte und die volle Mehrwertsteuerabgeltung diskussionswürdig sei, was aber vom Sozialminister abgelehnt wurde.3)

Aufgrund der angespannten Finanzsituation müssen mehrere Krankenkassen bereits auf dem Kapitalmarkt Kredite aufnehmen, um die Ausgaben finanzieren zu können.

Die Bundesregierung hat hier durch zahlreiche Maßnahmen nicht ent-, sondern verschärfend gewirkt. Zu diesen verschärfenden Maßnahmen zählen, dass die Kassen die Mehrwertsteuer auf Medikamente nur teilweise abgegolten bekommen, die Senkung der Dienstgeberbeiträge für Arbeiter, geringere Mittel seitens der Arbeitslosenversicherung, die Senkung der Beitragsgrundlage für Zivildiener und ein Zinsverlust von 7.267.830 Euro (100 Millionen Schilling) jährlich durch die Verlängerung der Zahlungsfrist für Dienstgeberbeiträge. Damit wird deutlich, dass das Defizit maßgeblich auch dadurch verursacht wird, dass der Krankenversicherung gezielt Mittel vorenthalten werden.

Aufklärung der Versicherten per Gesetz verhindert

Um zu verhindern, dass die Versicherten von ihren Sozialversicherungsträgern über diese Hintergründe aufgeklärt werden, hat die Regierung im Zuge der 59. ASVG-Novelle eine Gesetzesänderung geschaffen, die bewirkt, dass Informationen der Träger an die Versicherten zukünftig nur nach Genehmigung durch den Sozialminister ausgesandt werden dürfen. Anlass dafür war das enorme Unverständnis vieler Patienten über die Einführung der Ambulanzgebühren und die Besteuerung der Unfallrenten. In beiden Fällen wurden die Versicherten vom jeweiligen Träger darüber informiert, dass diese Maßnahmen keine Entscheidungen sind, die die Sozialversicherung getroffen hat, sondern von den Regierungsparteien beschlossen wurden. Klarstellungen wie diese können künftig seitens des Ministers unterbunden werden. Dies stellt eine gravierende Untergrabung und Verletzung der Prinzipien der Selbstverwaltung dar und darf keinesfalls hingenommen werden.

Resümierend ziehe ich die Bilanz, dass die Regierung im ersten Jahr ihres Bestehens eine Vielzahl von Leistungsverschlechterungen in die Wege geleitet hat. Dazu zählen die Anhebung des Pensionsantrittsalters und die Erhöhung der Abschläge, die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, die Streichung der beitragsfreien Mitversicherung für Kinderlose, die Einführung der Ambulanzgebühren, die Besteuerung der Unfallrenten und die Kürzung von satzungsmäßigen Mehrleistungen in der Krankenversicherung (verlängerter Krankengeldbezug).

In ihrem 2. Arbeitsjahr hat die Regierung die Schwerpunktsetzung geändert. Nun ging sie daran, die Sozialversicherung im Sinne ihrer Parteien umzufärben und neu zu strukturieren.

Neugewichtung der Akteure

Bereits durch die Neuordnung der Ministerien hat neben dem Sozialminister und dem Gesundheitsstaatssekretär vor allem auch der Wirtschaftsminister bei der Frage des Arbeits- und Sozialrechts eine maßgebliche Rolle erlangt.

Die Einbindung von Interessenvertretungen der Arbeitnehmer wurde hingegen weitgehend beendet bzw. neu definiert. Diesbezüglich wurden nicht einmal formale Begutachtungsrechte berücksichtigt, zumal zu allen wesentlichen Entscheidungen Initiativanträge eingebracht wurden, die vorher in keinem Begutachtungsverfahren bewertet und diskutiert werden konnten.

Auf Einwände seitens der Arbeiterkammer oder Gewerkschaft gegen geplante Maßnahmen wurde bisweilen mit deren Verschärfung reagiert. Das war bei der Pensionsreform der Fall, die mit der beschlossenen Letztversion ein um 3 Milliarden Schilling (rund 220 Millionen Euro) höheres Einsparvolumen als ursprünglich vorgesehen zur Folge hat.

Ich bin nicht gewillt, die Zeiten vor der blauschwarzen Wende in einem verklärten Licht darzustellen, zumal die Gewerkschaften schon mit dem Procedere und dem Erstentwurf der Pensionsreform 1997 nicht glücklich waren. Damals verkündete Kanzler Klima Anfang Juni kurzfristigst die Umsetzung einer grundlegenden Pensionsreform. Der ÖGB hat dem diesbezüglichen Vorschlag eine deutliche Absage erteilt. Der prinzipielle Unterschied liegt daran, dass die damalige Regierung im Gegensatz zur derzeitigen bereit war, in Verhandlungen einen für die Gewerkschaften letztlich tragbaren Kompromiss einzugehen.

Umfärbung der Sozialversicherung

Entgegen den Ankündigungen der Entpolitisierung und »Objektivierung der Postenvergabe« in staatsnahen Bereichen hatten die beiden Regierungsparteien nur eine - oft brutale - Umfärbung der Führungsgremien im Auge. Nach den Vorständen der ÖIAG-Betriebe war die Sozialversicherung an der Reihe. Doch die Initiatorin dieser Kampagne, die Vizekanzlerin, musste bald feststellen, dass sie hier nicht so ein leichtes Spiel hat wie in den Industriebetrieben. Die Gremien der Sozialversicherung werden nämlich entsprechend der Kammerwahlergebnisse beschickt.

Und da das Ergebnis der Arbeiterkammerwahl keine Mehrheit für die Koalitionsparteien brachte und das Hauptverbandspräsidium gerade bis 2005 eingesetzt wurde, war hier für die Umfärbung ein monatelanger Kampf erforderlich, der in einer plumpen Anlassgesetzgebung endete. Die Umfärbung in der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, die an meiner Person aufgehängt wurde, endete in einer von der Wirtschaftskammer mitgetragenen Neuordnung des Hauptverbandes, in der sich die beiden Regierungsparteien die Mehrheit in den maßgeblichen Gremien konstruiert haben und der Einfluss der Arbeitnehmervertreter eklatant zurückgedrängt wurde.

Dieses Vorgehen hat die Sozialpartnerschaft auf eine schwere Belastungsprobe gestellt, weil die Wirtschaftskammer nicht der selbst miterstellten Sozialpartnereinigung zur Hauptverbandsreform, sondern dem Regierungsentwurf die Zustimmung erteilte.

Nicht »entpolitisiert«, sondern »umgefärbt«

Die Sozialversicherung wurde durch diese Reform nicht entpolitisiert und in die Hände von unpolitischen Managern gegeben, sondern sie wurde umgefärbt. Eine Entpolitisierung einer Sozialversicherung, deren Gremien durch Wahlen beschickt werden, ist meines Erachtens auch wesensfremd. Die Entscheidungen, die zu treffen sind, sind politischer Natur. Das Ergebnis dieser Wahlen wurde nun aber dadurch hintertrieben, dass die große Mehrheit der Versicherten, die unselbständig Erwerbstätigen, kein höheres Gewicht haben als die Dienstgeberseite.

Die neue Führung des Hauptverbandes kostet die Versicherten übrigens mehr als das Doppelte. Die zustehenden »Gehälter« der Geschäftsführung wurden drastisch angehoben und die Zahl der Gremien aufgebläht.

Lügen

Damit straft die Regierung ihre eigenen Ankündigungen Lügen, wonach sie in der Verwaltung sparen will. Das gilt ganz offensichtlich nicht für die eigenen Funktionäre, da man diese in Spitzenpositionen hievt.

Obwohl die FPÖ mit dieser Säuberung letztlich erfolgreich war, muss ich doch auch zu bedenken geben, dass die Gewerkschaften diesen Affront nicht widerstandslos hingenommen haben, sondern binnen weniger Tage 50.000 Kollegen sowie zahlreiche Sympathisanten am 5. Juli 2001 zu einer eindrucksvollen Demonstration mobilisieren konnten. Das war die größte Demonstration in der Geschichte des ÖGB. Auch die daraufhin in die Wege geleitete Urabstimmung mit mehr als 807.000 Teilnehmern, die ein eindeutiges Zeichen für das soziale Netz und für dessen Verteidigung gesetzt haben, zeigte deutlich, dass die Gewerkschaftsbewegung einen sehr lebendigen und relevanten Faktor in der österreichischen Gesellschaft darstellt.

Bauern, Gewerbetreibende, Freiberufler vergessen?

Doch mit der Hauptverbandsreform war die Umordnung keineswegs zu Ende. Mit der 59. ASVG-Novelle werden die Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und der Angestellten fusioniert. Ich bin allerdings kein Befürworter dieses Zusammenschlusses zu einem für österreichische Verhältnisse Super-Sozialversicherungsträger. Es ist aber legitim und notwendig, bestehende Strukturen und Institutionen daraufhin zu überprüfen, ob sie noch zeitgemäß sind bzw. ob mit ihnen die Herausforderungen der Zukunft optimal bewältigt werden können. Die Notwendigkeit von organisatorischen Veränderungen haben auch die Gewerkschaften erkannt und dementsprechend Schritte in Richtung einer Neustrukturierung gesetzt.

Was an dieser ASVG-Novelle auffällt ist, dass nur die Pensionsversicherungsanstalten der Arbeiter und Angestellten fusioniert werden, während bei den Sozialversicherungsträgern der Bauern, Gewerbetreibenden und Freiberuflern eine derartige Entscheidung nicht einmal in Erwägung gezogen wurde. Fusionen sollten sorgsam vorbereitet werden. Von einer seriös erstellten Reform erwarte ich mir, dass mögliche Synergien bei allen Trägern ausgelotet werden und dass dann ein Gesamtkonzept vorgestellt wird.

Ausblick

Resümierend stelle ich fest, dass die Politik in der ersten Halbzeit dieser Regierung in Angelegenheiten der Sozialversicherung von Entsolidarisierung, Belastungen und Untergrabung der Selbstverwaltung geprägt war. Die Gewerkschaften haben darauf im Jahr 2000 mit Aktionstagen sowie der Menschenkette um das Parlament und im Jahr 2001 mit einer Großdemonstration und der Urabstimmung reagiert. Diese Mobilisierungen waren sehr wichtig, um aufzuzeigen, dass wir eine Politik gegen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht apathisch zur Kenntnis nehmen. Nicht zuletzt durch diese öffentlichkeitswirksamen Aktionen haben wir erreicht, dass die Mehrheit der Österreicher einer Entsolidarisierung ablehnend gegenüberstehen.

Volksbegehren Sozialstaat

Gegenwärtig gibt es die Initiative, die Österreichische Verfassung um das Prinzip der Sozialstaatlichkeit zu erweitern. Österreich soll in der Verfassung als Sozialstaat definiert werden, um diese Wertigkeit gegen die neoliberalen Angriffe zu stärken.

Dazu wird Anfang April (3. bis 10. 4.) ein Volksbegehren stattfinden. Eine möglichst breite Beteiligung an diesem Volksbegehren wäre ein wichtiges Zeichen gegen die neoliberale Politik. Dadurch können unsoziale Gesetze zwar nicht verhindert werden, aber je mehr Menschen dieses Anliegen unterstützen, desto schwieriger ist es, die unsoziale Politik weiterzuführen.

1) APA, 9. 2. 2001

2) Presse, 4. 1. 2002

3) APA, 11. 1. 2002

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Hans Sallmutter (Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten - GPA) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Mar 2002 00:00:00 +0100 1194875962046 Der Sozialstaat als Wirtschaftsfaktor In Österreich werden 28,9% des Sozialprodukts (BIP) als Sozial- leistungen in verschiedenen Formen umverteilt (»Sozialquote«, letzte verfügbare Berechnung für 1999). Das bedeutet, dass in diesem Jahr von den gesamten Steuer- und Abgabeneinnahmen des Staates in Höhe von 44,5% des BIP fast zwei Drittel als Pensionen, Kinderbeihilfen, Arbeitslosenunterstützungen u. a. an die Haushalte und Einzelpersonen zurückfließen. Wie diese Zahl zu bewerten ist, lässt sich aus der bloßen Höhe nicht beurteilen, auch wenn eine permanente Gegenpropaganda den Sozialstaat den Bürgerinnen und Bürgern als »Last, die uns irgendwann alle erdrückt«, darstellt.

Im europäischen Vergleich liegt Österreich mit 28,5% 1998 knapp über dem EU-Durchschnitt (siehe Grafik: »Sozialquoten in der EU«).

Wie erwartet hat Schweden mit 33,3% die höchste Sozialquote, vor Österreich liegen auch Frankreich, Deutschland und Dänemark. Die meisten EU-Länder liegen mit dieser Kennzahl zwischen 25 und 30%. Unter 25% liegt die Sozialquote in den Mitgliedsländern mit unterdurchschnittlichem Wohlstandsniveau (Pro-Kopf-Einkommen).1)

Europäisches Modell

Die Ähnlichkeit der Sozialquoten in Europa ist ein Hinweis darauf, dass es so etwas wie ein »europäisches Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell« tatsächlich gibt. Bei aller Unterschiedlichkeit der konkreten Ausprägung in den Mitgliedsländern zeigt sich diese Gemeinsamkeit am deutlichsten im Vergleich zu den USA. Dort sind - von der staatlichen Altersvorsorge abgesehen - die sozialen Sicherungssysteme vergleichsweise schwach ausgebaut, was sich in einer um etwa 10 Prozentpunkte niedrigeren Sozialquote niederschlägt. Genauere Berechnungen nach der EU-Definition gibt es für die USA allerdings nicht.

Mühlstein am Hals der Wirtschaft?

Sowohl die geringere Sozialquote in Ländern mit niedrigeren Pro-Kopf-Einkommen als auch die historische Entwicklung zeigen, dass der Ausbau des Sozialstaats eine Begleiterscheinung zunehmenden wirtschaftlichen Wohlstandes ist. Die Anfänge des modernen Sozialstaates in Form von Unfall- und Krankenversicherung gehen in Europa bis ins 19. Jahrhundert zurück. Die Wirtschaftsentwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war aber schwach, was einer Ausweitung der Sozialleistungen enge Grenzen setzte. Erst in der Periode des raschen Wirtschaftswachstums nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Sozialstaat zu dem Umfang ausgebaut, in welchem wir ihn heute kennen. Das heißt, dass sich sein Anteil am BIP von den fünfziger Jahren bis 1990 gut verdoppelt hat.2)

Die Gleichzeitigkeit von hohem Wirtschaftswachstum und starkem Ausbau des Sozialstaates ist eine klare Widerlegung der Behauptung, dass Sozialstaat prinzipiell als Mühlstein am Hals der Wirtschaft zu sehen sei. Mehr ins Detail gehende Vergleiche zeigen, dass auch die These, dass das Wachstum umso geringer ist, je stärker die Zunahme der Sozialquote, nicht bestätigt wird. Der moderne Sozialstaat kann allgemein durchaus als den heutigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen angemessene Institutionalisierung von sozialer Sicherheit gesehen werden.

Die Struktur des österreichischen Sozialstaats

Quantitativ lässt sich der Sozialstaat am besten nach den Ausgaben der öffentlichen Hand (Staat und Sozialversicherungsträger) für soziale Sicherheit und Familie darstellen, und zwar sowohl Geldzahlungen (genannt »Transferzahlungen«) als auch in anderer Form erbrachte Leistungen (z. B. Spitalsbehandlungen). Diese Betrachtungsweise erfasst - wohlgemerkt - den Sozialstaat nicht in seiner Gesamtheit.

Wesentlich gehören dazu auch die arbeitsrechtlichen Regelungen in Gesetzen und Kollektivverträgen, die gesetzlich oder kollektivvertraglich geregelten Zahlungen der Unternehmungen an Pensionskassen oder Betriebspensionen, und andere Formen der sozialen Sicherung, welche sich nicht in öffentlichen Haushalten niederschlagen. Auf diesen nicht minder wichtigen Teil des Sozialstaates wird im vorletzten Abschnitt dieses Beitrags (»Arbeitsrecht und Kollektivvertrag«) eingegangen.3)

Nach den verschiedenen Funktionen verteilen sich die Sozialausgaben in Österreich wie folgt (siehe Tabelle 1 »Sozialleistungen 1999«).

Tabelle 1:

SOZIALLEISTUNGEN 1999

Milliarden Euro Anteil in %
Pension (Alters- u. Hinterbliebenen- versorgung) 26,0 47,6
Krankheit 14,3 26,2
Invalidität 4,8 8,8
Familie 5,7 10,4
Arbeitslosigkeit 3,0 5,5
Sonstiges*) 0,9 1,6
Summe 54,7 100,0
*) vor allem Leistungen der Sozialhilfe, Gebührenbefreiungen etc.
Quelle: Wifo-Monatsberichte 12/2001, Seite 729

Fast die Hälfte, nämlich 47,6%, entfällt auf die Pensionen, ein weiteres gutes Viertel auf Leistungen im Krankheitsfall, 10,4% sind Familientransfers (Familienbeihilfen, Karenzgeld, Kindergarten etc.), der Rest entfällt auf Invalidität, Arbeitslosigkeit und diverse Sozialhilfeleistungen.

Die Struktur der Sozialleistungen unterscheidet sich vom EU-Durchschnitt vor allem in folgender Hinsicht: Markant unterschiedlich ist in Österreich der Anteil der kleineren Positionen. Der Anteil der Familienleistungen ist deutlich höher. Bedingt durch die unterdurchschnittliche Arbeitslosenrate ist der Anteil der Ausgaben im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit in Österreich niedriger, ebenso der Anteil der Sozialhilfeleistungen (siehe Tabelle 2 »Struktur der Sozialleistungen im EU-Vergleich 1998«).

Argumente sachlich fundiert oder ideologisch?

Die österreichische Sozialquote ist seit 1980 (26,3%) leicht angestiegen und hat 1995 mit 29,2% ihren bisherigen Höhepunkt erreicht. Seither ist sie wieder leicht zurückgegangen, wobei für die Jahre 2000 und 2001 noch kein exaktes Zahlenmaterial zur Verfügung steht.

Der Sozialstaat wird unter einer Vielzahl von Gesichtspunkten kritisiert. Es ist oft nicht leicht, überwiegend durch wirtschaftliche Interessen oder ideologisch (meist: neoliberal) motivierte Kritik am Sozialstaat von sachlich fundierten Argumenten zu unterscheiden. Die Kritik reicht von den erwähnten pauschalen Behauptungen, der Sozialstaat sei zu teuer bzw. belaste die internationale Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft zu stark, über die These, dass mit riesigem finanziellem Aufwand keine nennenswerte »Umverteilung« erreicht werde, bis zu den Schalmeientönen der Privatversicherungen, dass die private Vorsorge soziale Sicherheit besser und billiger gewährleisten könne.

»Umverteilung« nur »von einer Tasche in die andere?«

Der Begriff »Umverteilung« wird in verschiedener Bedeutung verwendet, woraus immer wieder Konfusionen resultieren. Die Sozialversicherung ist von der Konzeption her eine Mischung aus horizontaler und vertikaler Umverteilung. »Horizontale« Umverteilung bedeutet Verschiebung zwischen Einkommensbeziehern in verschiedenen Lebens- und Bedürfnislagen proportional zur Höhe des Erwerbseinkommens (vergleiche auch Pensionsversicherung). »Vertikale« Umverteilung bedeutet Verschiebung von höheren zu niedrigeren Einkommen. Dieser Aspekt überwiegt bei der Arbeitslosenversicherung, obwohl auch diese eine horizontale Komponente hat. Die vertikale Umverteilung wird vor allem durch zur Sozialversicherungsleistung hinzutretende Transferzahlungen bewirkt (Ausgleichszulage), aber auch durch bestimmte Elemente der Pensionsberechnung. Sowohl die horizontale als auch die vertikale Umverteilung sind notwendige und legitime Zielsetzungen eines staatlich organisierten Systems der sozialen Sicherheit. Die Parole »Sozialleistungen nur für jene, die sie wirklich brauchen« ist im Effekt gegen ein solches System gerichtet, weil sie den Sozialstaat auf eine bloße Armenfürsorge reduzieren will. Aber auch im Sinn von vertikaler Umverteilung trifft es nicht zu, dass durch den großen Umfang der Staatstätigkeit keine nennenswerte Umverteilung bewirkt würde. Zwar wirkt das Steuersystem weitgehend proportional, aber durch die Staatsausgaben wird der Anteil des untersten Einkommensdrittels am Gesamteinkommen um mehrere Prozentpunkte vor allem zu Lasten des obersten Drittels angehoben4). Eine stärkere Senkung der Staatsausgaben hätte daher auch eine Verringerung der vertikalen Umverteilung zur Folge.

Tabelle 2:

STRUKTUR DER SOZIALLEISTUNGEN IM EU-VERGLEICH 1998

Alter Gesundheit und Individualität Familie Arbeitslosigkeit Soziale Ausgrenzung
Österreich 47,6 35,0 10,4 5,5 1,6
EU 15 46,0 34,9 8,5 6,8 3,8
Euro-Zone 46,5 35,0 8,2 7,5 2,9
Deutschland 42,1 36,0 10,5 8,8 2,6
Quelle: Wifo-Monatsberichte 12/2001, Seite 729

Das Märchen von der höheren Effizienz und Rentabilität privater Vorsorge

Wenn die Notwendigkeit einer staatlich organisierten, für alle verpflichtenden Sozialversicherung zumindest in der EU weitgehend anerkannt ist, so wird von konservativer Seite und von neoliberalen Ideologen ein Modell präferiert, das die staatliche bzw. auf Selbstverwaltung beruhende Sozialversicherung durch ein System der Versicherungspflicht ersetzen soll. Es werden hier Vorteile durch den Wettbewerb privater Anbieter von Krankenversicherung und Pensionsversicherung behauptet, zwischen denen die Versicherten Wahlfreiheit haben sollen.

Tatsächlich zeigt sich aber bei der Krankenversicherung, dass ein solches System eine deutlich geringere Effizienz hat. Die Verwaltungskosten bei der privaten Krankenversicherung betragen nämlich mit gut 15% ein Vielfaches der öffentlichen Krankenversicherung. Auch das Problem des Kostenauftriebs lässt sich wahrscheinlich in der öffentlichen Sozialversicherung besser kontrollieren als bei privaten Krankenversicherungen. Wie neuere Erfahrungen in Deutschland zeigen, werden beim Wettbewerb zwischen öffentlich-rechtlichen Selbstverwaltungsversicherungen höhere Verwaltungskosten und komplizierte Systeme des Risikoausgleichs notwendig. Ein wesentlicher Vorteil der öffentlichen Sozialversicherung bei der Krankenversicherung besteht auch in ihrer Umverteilungswirkung zu den niedrigen Einkommen. Diese resultiert daraus, dass die Krankenversicherungsbeiträge bis zur Höchstbeitragsgrundlage dem Einkommen proportional sind, während die Prämien für Privatversicherungen nicht einkommensabhängig gestaltet werden können.

Wie Seifenblasen zerplatzte Versprechungen

Die großspurigen Versprechungen der privaten Versicherungen, dass sie regelmäßig 7,8 oder 9% Ertrag pro Jahr erwirtschaften könnten und so eine viel rentablere und daher mühelosere Form der Altersvorsorge darstellen als die staatlich organisierte Pensionsversicherung, sind in den letzten zwei Jahren wie Seifenblasen zerplatzt. Bei den österreichischen Pensionskassen z. B. war der Ertrag zuletzt Minus. Eine private Altersvorsorge auf Basis eines Kapitaldeckungsverfahrens kann die öffentliche Pensionsversicherung nicht ersetzen, sondern nur in einem gewissen Umfang ergänzen. Nicht nur fallen bei der privaten Pensionsversicherung erheblich größere Verwaltungskosten an. Die spezifischen Risken des Kapitaldeckungsverfahrens bewirken eine beträchtliche Unsicherheit über die (Zusatz-)Pensionshöhe. Die Auswirkungen der langfristigen Entwicklung der Altersstruktur der Bevölkerung auf die Pensionen sind beträchtlich, sie treten aber im Kapitaldeckungsverfahren ebenso ein wie im Umlageverfahren.

Arbeitsrecht und Kollektivvertrag

Ein Kernbestandteil des Sozialstaats sind die gesetzlichen und kollektivvertraglichen Regelungen des Inhalts des Arbeitsvertrages, also die Bestimmungen über Aufnahme und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, über Lohn- und Gehaltshöhe, Arbeitszeit, Urlaubsanspruch, Abfertigung, Betriebsrat und Arbeitsverfassung etc. Der Kollektivvertrag war und ist für die Gewerkschaften das wichtigste Instrument für die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses. Gerade in diesem Bereich unterscheidet sich die EU wesentlich von den USA. Die durchschnittliche Arbeitszeit ist in Europa markant niedriger. Die Amerikaner haben ein um zirka ein Drittel höheres durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen, für das sie aber im Jahr um zirka 200 Stunden oder um fast 15% mehr arbeiten und über entsprechend weniger Freizeit - vor allem beim Urlaub - verfügen. Das allgemeine Niveau des arbeitsrechtlichen Schutzes ist in Europa deutlich höher. Insbesondere existiert in den EU-Mitgliedsländern ein umfassendes System von kollektivvertraglichen Lohnfestsetzungen5), welches anders als der in den USA bestehende gesetzliche Mindestlohn eine gleichmäßigere Verteilung der Arbeitnehmereinkommen bewirkt und in Zeiten mit hoher Arbeitslosigkeit ein zu starkes Auseinanderdriften der hohen und der niedrigen Einkommen verhindert. Deshalb sind die Löhne und Gehälter und auch die Haushaltseinkommen in Europa deutlich weniger ungleichmäßig verteilt als in den USA. Das geringere Risiko von Armut und Ausgrenzung schlägt sich in geringeren Verbrechensraten und niedrigeren Kosten für innere Sicherheit in Europa nieder. Das hohe Ausmaß der Einkommensungleichheit in den USA ist auch auf das Fehlen einer allgemeinen Arbeitslosenversicherung zurückzuführen, die im Fall des Jobverlustes für längere Zeit einen gewissen Einkommensersatz gewährleistet. Dadurch sind Arbeitslose unter einem stärkeren Druck, bei schlechter Arbeitsmarktlage rasch auch weit unter ihrer Qualifikation liegende Arbeit anzunehmen.

Sozialstaatliche Regelungen

Es zeigt sich hier, dass den sozialstaatlichen Regelungen eine mehrfache Funktion zukommt:

  • In verteilungspolitischer Hinsicht reduzieren sie das Ausmaß an sozialer Ungleichheit, helfen Armut zu vermeiden und tragen dazu bei, dass die Arbeitseinkommen am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs partizipieren (»produktivitätsorientierte Lohnpolitik«).
  • Sie tragen auch wesentlich dazu bei, Humankapital und »soziales Kapital«, also individuelle und kollektive Wissens- und Erfahrungsbestände zu erhalten in einer Wirtschaft, die sich in einem kontinuierlichen Strukturwandel befindet, in welchem laufend bestehende Arbeitsplätze verloren gehen und neue geschaffen werden. Nicht nur werden durch soziale Schutzvorkehrungen negative Auswirkungen des Strukturwandels abgefedert und dadurch Widerstände und Reibungsverluste verringert. Qualifikationen und produktionsspezifische Kenntnisse werden für die Anwendung in neuen Tätigkeitsbereichen z. B. dadurch bewahrt, dass sie durch das Arbeitsmarktservice weiterentwickelt und für einen adäquate Nutzung vermittelt werden.
  • Ein hohes allgemeines Niveau an grundlegender allgemeiner und beruflicher Bildung erhöht die Produktivität einer Wirtschaft auch indirekt durch effizientere Kommunikation - »Netzwerkeffekte« nennt man das im Zeitalter der digitalisierten Wirtschaft.

Wirtschaft und Gesellschaft Europas einerseits und der USA andererseits funktionieren nach unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Gesetzmäßigkeiten. Deshalb ist es nicht überraschend, dass eine Transplantation von Elementen des US-Modells in sozialstaatliche Modelle bisher nicht die von der neoliberalen Propaganda behaupteten Erfolge gezeitigt hat. Großbritanniens Wirtschaft hat nach dem unter der Regierung Thatcher herbeigeführten Kurswechsel keine bessere, sondern eine schlechtere Entwicklung als z. B. Österreich. Am konsequentesten wurde das neoliberale Experiment über zwanzig Jahre lang am lebenden Körper der Wirtschaft Neuseelands durchgeführt - mit katastrophalem Ergebnis.

Schlussfolgerung

Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, dass der moderne Sozialstaat - auch »Wohlfahrtsstaat« genannt - nicht nur das Ziel hat, das in einem marktwirtschaftlichen System entstehende Ausmaß von wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ungleichheit zu modifizieren. Die in allen hoch entwickelten Volkswirtschaften bestehenden hohen Ansprüche auf soziale Absicherung in den Bereichen Alter und Gesundheit können durch staatlich organisierte Systeme der Sozialversicherung auch wirtschaftlich effizienter befriedigt werden als durch individuelle Versicherung bei privatwirtschaftlich geführten Unternehmungen.

Die langfristige Absicherung des Sozialstaats erfordert auf der politischen Ebene, dass den Angriffen von neoliberaler Seite mit Entschiedenheit entgegengetreten wird. Gleichzeitig müssen die Risiken und Herausforderungen aufgrund innerer Entwicklungstendenzen richtig eingeschätzt und entsprechende Problemlösungsstrategien entwickelt werden.

Staatlich erbrachte Sozialleistungen müssen kostengünstig erstellt werden, das heißt, Potentiale zur Steigerung der Produktivität und zur Rationalisierung sind zu nutzen.

Gefahren von innen für das System der sozialen Sicherheit resultieren gegenwärtig vor allem aus drei Tendenzen, die zu einer Überforderung führen können:

  • Aus der Verabsolutierung von Ansprüchen, die nur mit Gruppeninteressen begründet werden, welche die Rückbindung an ein »Gesamtwohl«, also an gleiche Fairnesskriterien für alle ablehnen.
  • Das Anwachsen von prekären und irregulären Beschäftigungsverhältnissen führt zu einer doppelten Erosionsgefahr. Die Beschäftigten haben keinen oder einen nur unzureichenden Versicherungsschutz. Der Sozialversicherung werden Beitragseinnahmen entzogen, wodurch das System dann gefährdet werden kann, wenn die Normalbeschäftigung zurückgeht. Wichtig ist daher die allgemeine Anwendbarkeit der Sozialversicherungspflicht auf alle Formen der Erwerbsarbeit.
  • Die langfristige demographische Entwicklung (Alterung der Bevölkerung) stellt für Pensionssystem und Krankenversicherung eine große Herausforderung dar. Entgegen einer feindseligen Propaganda ist die Altersstrukturverschiebung im bestehenden Umlagesystem durchaus bewältigbar, wenn es gelingt, die Erwerbstätigkeit vor allem in den oberen Altersgruppen wieder zu steigern und so das faktische Pensionsalter zu erhöhen.6) Bei zunehmender Verknappung des Arbeitskräfteangebots ist dies eine sehr plausible Entwicklung. Dadurch kann der Anpassungsbedarf auf der Beitragsseite und bei der Ersatzquote (Pension in Prozent des Erwerbseinkommens) stark reduziert werden. Sowohl aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit als auch der Finanzierbarkeit müssen mittel- und langfristig im System der sozialen Sicherheit einheitliche und gemeinsame Fairnesskriterien für die sukzessiven Generationen angewendet werden.

1) Eine Ausnahme bildet Irland, das eine niedrige Sozialquote hat, aber durch sein hohes Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren heute ein überdurchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen aufweist.

2) Über Entwicklungstendenzen des Sozialstaats und seine Zukunftsperspektiven siehe: G. Chaloupek/B. Rossmann (Hrsg.), Die Zukunft des Wohlfahrtsstaates. Orac-Verlag, Wien 1994.

3) Einen weiteren wichtigen Bestandteil des Sozialstaats bildet die staatliche Regulierung und Förderung des Wohnungswesens, die jedoch aus Platzgründen nicht in den vorliegenden Beitrag einbezogen werden kann.

4) Siehe dazu die Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung »Umverteilung durch öffentliche Haushalte in Österreich« aus 1996.

5) In manchen Ländern, z. B. in Frankreich und in Großbritannien, sind auch gesetzliche Mindestlöhne ein wichtiges Instrument.

6) Siehe dazu den Beitrag von Richard Leutner »Erwerbsbeteiligung und Alterssicherung« in Heft 9/2001 von »Arbeit & Wirtschaft«, S. 16-19.

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Günther Chaloupek (Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875962010 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Mar 2002 00:00:00 +0100 1194875961894 Schon wieder ein Volksbegehren? Beim Volksbegehren »Veto gegen Temelin« erklärten laut Kronen Zeitung vor Beginn des Volksbegehrens 56%, dass sie ihre Unterschrift leisten würden. Wenn man nach einem Volksbegehren die Wähler befragt, ob sie am Volksbegehren teilgenommen hätten, erklären wesentlich mehr, als tatsächlich unterschrieben haben, dass sie an dieser offenkundig so wichtigen demokratiepolitischen Übung teilgenommen hätten. Dabei sind die Erfahrungen mit den Volksbegehren durchaus ernüchternd. Das Volksbegehren, das die meiste Zustimmung erhalten hatte, war das Volksbegehren gegen den Bau des Konferenzzentrums. Das Konferenzzentrum ist inzwischen gebaut, wird genützt und ist ein ganz wichtiger Bestandteil der österreichischen Fremdenverkehrswirtschaft, von den Bedürfnissen der anderen Veranstalter ganz zu schweigen.

Das zweitstärkste Volksbegehren für ein genfreies Europa, also das »Anti-Gentechnologie-Volksbegehren«, wurde veranstaltet, erhielt erstaunlich hohe Zustimmung und seither kümmert sich keiner mehr um Gentechnologie, genauso wie die Österreicher auf den Rindfleischkonsum verzichteten, als in England die MSE-Seuche Hunderttausende Rinder erfasste, während jetzt, als auch in Österreich ein BSE-Fall aufgetreten ist, kein Mensch auf den Tafelspitz verzichtet.

Das drittstärkste Volksbegehren, eben das »Veto gegen Temelin«, war darüber hinaus eine arge Zumutung an den Verstand der Österreicher. Das Kernkraftwerk Temelin war ja bereits aktiviert, man hätte also nicht ganz einfach das Kraftwerk zusperren und den Schlüssel beim Hausmeister abgeben können, man hätte es mit ungeheuren Kosten abreißen müssen, die Tschechen hätten keinen Ersatz für die Stromproduktion der Kohlenkraftwerke, die stillgelegt werden sollen, gehabt. Das Versprechen, dass wir den Tschechen das Kraftwerk abkaufen und dann stilllegen, war überhaupt nur noch eine Nummer für Kabaretts. Erfreulicherweise ist einigen Politikern der rettende Gedanke gekommen, dass man sich an die Europäische Union wenden könnte, damit diese wirtschaftlich doch so potente Gemeinschaft die nötigen Geldmittel aufbringt.

Das Sozialstaat Volksbegehren

Genug der Scherze, wenden wir uns einem ernsten Thema zu. Eine Initiative von Persönlichkeiten aus den verschiedensten politischen Lagern hat nun ein Volksbegehren eingeleitet, das die Besorgnis der Österreicher um die Aufrechterhaltung unseres Sozialstaates zum Ausdruck bringen soll. Dieses Volksbegehren steht unter keinem guten Stern, bei einer Befragung vor einigen Wochen erklärten 56% der Befragten, dass sie von dem Volksbegehren noch nichts gehört hätten. Wenn man bedenkt, dass das »Veto gegen Temelin«-Volksbegehren auf einer jahrzehntelang vorbereiteten Grundlage, nämlich der Atomangst der Österreicher, aufbaute, die bereits peinliche Unterstützung der Kronen Zeitung hatte und noch dazu von einem Parteiapparat, nämlich dem der FPÖ, getragen wurde, kann man sich leicht ausrechnen, wie schwer es das Volksbegehren »Erhalten des Sozialstaates« haben wird.

Dazu kommt noch, dass der Innenminister diesem Volksbegehren keinen optimalen Zeitraum zukommen ließ. Offensichtlich hat die große Mehrheit der Österreicher erhebliche Sorgen um den Fortbestand des Sozialstaates. Das Ergebnis des Volksbegehrens wird am Anti-Temelin-Volksbegehren gemessen werden.

15% Zustimmung zu erreichen ist ganz eindeutig eine äußerst schwierige Sache angesichts der unterschiedlichen Umstände und Begleiterscheinungen. Auf der einen Seite kämpft die ganze politische Klasse, abgesehen von den Journalisten und besorgten Müttern, gegen Kernkraftwerke, am Weiterbestehen des österreichischen Sozialstaates ist zwar die überwiegende Mehrheit der Österreicher brennend interessiert, sie müssten also das Volksbegehren unterstützen. Aber außer einigen besorgten Persönlichkeiten hat sich kaum noch jemand für dieses Volksbegehren strapaziert, zumindest war das Mitte Februar noch nicht der Fall.

Was wollen die Österreicher?

Die Betreiber des Volksbegehrens wollen, dass Grundsätze des Sozialstaates in der Verfassung verankert werden, so dass nicht jede zufällige Mehrheit der Parlamentarier Stück für Stück des Sozialstaates abtragen kann, und zwar mit dem geschickten Trick, den Österreichern Steuersenkungen zu versprechen. Dann ist kein Geld vorhanden, um Gesundheitsdienst, Pensionen, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit usw. zu finanzieren. Und schon ist ein Stück Sozialstaat weggebrochen.

Eine Umfrage der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft, die im Jänner 2002 durchgeführt wurde, zeigt nun, dass die Österreicher die Aufgaben der Republik als Sozialstaat besonders hoch schätzen. Als sehr wichtig wurde bezeichnet (siehe Grafik):

Nationalcharakter

Das Volksbegehren will, dass neue Gesetze auf ihre soziale Verträglichkeit geprüft werden müssen, und dafür sind 86% der Befragten. Das heißt, das Kernstück des Volksbegehrens genießt die Unterstützung einer überwältigenden Mehrheit der Österreicher. Nun darf man aber nicht vergessen, dass es zum österreichischen Nationalcharakter gehört, für eine Sache in Gedanken einzutreten, im Geiste sozusagen mitzumarschieren, aber wenn es zu den Taten kommen soll, überlässt man es gern anderen, etwas zu tun. Wir gleichen darin irgendwie den Arabern, die den Heiligen Krieg erklären und mit der Erklärung hat es sich schon, weiter geschieht nichts.

Ganz wichtig ist den Österreichern auch die Absicherung im Fall von Krankheit, Unfall, Behinderung, Alter, Arbeitslosigkeit und Armut. 90% sind dafür, dass durch staatlich geregelte soziale Sicherungssysteme für entsprechende Maßnahmen gesorgt werden soll. Auch bei den 26- bis 35-Jährigen sind es 86%, die dies für richtig halten. Gerade Anhänger der Regierungsparteien dürften den Braten gerochen haben, aber auch hier sind nur 10% der Anhänger der Freiheitlichen Partei und 9% der Anhänger der ÖVP gegen diese Absicherung der Menschen gegen schlimme Entwicklungen.

Für die Ellbogengesellschaft?

Was für eine Gesellschaft wollen die Österreicher überhaupt? Soll es eine so genannte Ellbogengesellschaft sein oder schätzen sie eine Gesellschaft hoch ein, in der sich die Starken verpflichtet fühlen für die Schwachen zu sorgen, die Gesunden für die Kranken und die Gebildeten für die weniger Gebildeten, für die, die weniger Chancen im Leben gehabt haben und die die Natur in ihrer Ausstattung benachteiligt hat. Immerhin sagen 38%, dass sie eine Gesellschaft, in der sich die Starken verpflichtet fühlen, für die Schwachen zu sorgen, sehr hoch einschätzen. 34% schätzen eine solche Gesellschaft hoch ein. Nur 21% halten von einer solchen Gesellschaft nicht besonders viel. Bei den Akademikern, also jenen, die es geschafft haben, sind es sogar 75%, die eine soziale Gesellschaft hoch einschätzen.

Beim Zahlen wird's schwierig

Dass die Finanzierung des Sozialstaates keine Kleinigkeit ist, ist allen bewusst. Es sind aber immerhin 84% dafür, dass die Finanzierung der sozialstaatlichen Leistungen so erfolgen soll, dass jeder Österreicher den Beitrag leistet, der seiner wirtschaftlichen und sozialen Lage angemessen ist.

Die Österreicher sehen natürlich auch die Probleme des Sozialstaats, wissen, dass er nicht vollkommen ist, und erkennen, dass im Zuge von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen auch Veränderungen notwendig sein können. So stimmen 44% der Behauptung zu, dass manche Sozialleistungen angepasst werden müssen, ja dass manchmal auf dem Gebiet der Sozialpolitik in den vergangenen Jahrzehnten etwas zu viel getan wurde. Das gilt für das Gesundheitssystem, wo doch 41% der Meinung sind, dass mit wenigen Abstrichen das Gesundheitssystem aber erhalten bleiben muss, nur 16% meinen, dass es hier viele Abstriche geben wird, 28% lehnen Abstriche ab.

Die Finanzierung des Gesundheitswesens ist immer eine harte Sache. 73% sind der Meinung, dass das Gesundheitssystem durch erhöhte Sozialversicherungsbeiträge finanziert werden soll. 57% fanden, dass durch Steuererhöhungen auf Alkohol und Tabak etwas zur Finanzierungssicherung beigetragen werden könnte. Für Selbstbehalte waren allerdings nur 21%.

An Verwaltungseinsparungen denken viele, und da zeigt sich wieder einmal, dass Österreicher sehr leicht auf Propaganda hereinfallen. Offensichtlich ist es den Krankenkassenfunktionären nicht gelungen, der Bevölkerung verständlich zu machen, dass nur ein verschwindender Prozentsatz der Ausgaben Kosten der Verwaltung sind und eine geschwächte Verwaltung wiederum administrative Schwierigkeiten für den Versicherten bedeutet. Da kann es schon sein, dass er ins bessere Jenseits hinüber gewechselt ist, bevor sein Fall erledigt wurde.

Ein ganz harter Brocken ist natürlich die finanzielle Sicherung der Pensionen. Nur 22% glauben, dass ihre Pension gesichert ist, 35% erwarten geringe Einschränkungen und 20% erwarten sogar große Einschränkungen, 14% sind überhaupt skeptisch und halten ihre Pension für nicht gesichert. Von den Akademikern, die doch eigentlich die sicherste Position einnehmen, glauben nur 15%, dass ihre Pension gesichert ist, 27% erwarten sich geringe Einschränkungen, 31% große Einschränkungen, 18% sind völlig skeptisch hinsichtlich der Sicherheit ihrer Pensionen.

Die Skepsis dürfte in einem hohen Maß auf die immer wieder gehörte Erklärung zurückgehen, dass infolge der Geburtenrate immer weniger und weniger Österreicher im aktiven Berufsleben stehen werden und Pensionsbeiträge einzahlen. Völlig ignoriert wird, dass wir in Österreich Hunderttausende Zuwanderer in den letzten Jahrzehnten hatten, die auch Sozialversicherungsbeiträge zahlen, und vor allem ist den Österreichern nicht bewusst, dass die Wirtschaftsleistung Österreichs seit Jahrzehnten kräftig zunimmt und die Pensionen letzten Endes von der gesamten Wirtschaftsleistung abhängen. Gefährlich wird es, wenn man den Österreichern einredet, dass eine andere Methode als die gesetzliche Pension ein relativ sicheres System ist und sie verleitet werden, auf betriebliche Pensionssicherung zu bauen.

Vielleicht haben allzu wenige mitbekommen, was in den USA mit dem großen Energiehandelskonzern Enron geschehen ist, der seinen Beschäftigten betriebliche Pensionen eingeredet hatte und jetzt, wo der Betrieb zusammenbricht und an den Börsen die Kurse purzeln, die Pensionsempfänger durch die Finger schauen.

Was bringt ein Volksbegehren?

Wir können damit rechnen, dass eine überwältigende Mehrheit der Österreicher einem Volksbegehren, das den Sozialstaat stabilisieren will, zustimmen wird. Da pflegte doch die neue Linke gerne den Spruch »Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin« (ein Bertolt Brecht-Zitat). Vergessen wurde aber die Fortsetzung des Zitats, die lautet »dann kommt der Krieg zu dir«. Beim Volksbegehren sieht das aber anders aus: »Stell dir vor, es gibt ein Sozialstaat-Volksbegehren und keiner geht hin.« Dann wird es nicht lauten, »aber dann wird die Gemeinschaft schon sorgen, dass Gesundheitseinrichtungen und Altersversorgung gesichert sind«. Ganz im Gegenteil, die Gegner des Wohlfahrtsstaats werden sich ermutigt sehen, werden den alten Trick Steuersenkung und dann Abbau des Sozialstaates weiterbetreiben und die Verteidiger des Sozialstaates werden entmutigt zurückstecken, und die Leidtragenden werden die Bedürftigen sein.

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Heinz Kienzl http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875961864 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Mar 2002 00:00:00 +0100 1194875961846 Soziale Grundrechte in die Verfassung - wozu? Die Verfassung ist das rechtliche Fundament für das Zusammenleben von Menschen in einem Staat. Zentraler Baustein jeder modernen Verfassung sind die so genannten Grundrechte. Grundrechte haben den Zweck, die wichtigsten existentiellen Anliegen der Menschen zu schützen - vor allem auch gegenüber der Staatsgewalt. Sogar der demokratisch vom Volk gewählte Gesetzgeber - das Parlament - dürfte Grund- oder Menschenrechte nur unter sehr erschwerten Bedingungen abändern oder gar beseitigen (Erreichen einer Zweidrittelmehrheit im Parlament, in der Regel verbunden mit einer Mehrheit bei einer Volksabstimmung). Große Teile der Grundrechte könnten auch nur durch zusätzliche Aufkündigung internationaler Verpflichtungen Österreichs (Austritt aus der Europäischen Union und dem Europarat!) aufgehoben werden.

Freiheitsrechte

Ein Teil des typischen Grundrechtskatalogs einer modernen Staatsverfassung besteht aus den so genannten Freiheitsrechten, die meist auf die bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts gegen die absolut regierenden Herrscherhäuser zurückgehen. Diese Grundrechte garantieren den Menschen, dass sie frei von staatlichen Übergriffen leben und ihr Leben gestalten können. Im Einzelnen geht es dabei z. B. um Schutz vor unmenschlicher Behandlung durch staatliche Behörden (Folter, willkürliche Verhaftung und Todesstrafe), um Schutz der Meinungsfreiheit und des Familien- und Privatlebens (Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit, freie Wahl der Partnerschaft oder Lebensform, Religions- und Gewissensfreiheit, Briefgeheimnis usw.), aber auch um den Schutz von Hab und Gut und die wirtschaftliche Entfaltungsfreiheit (Schutz des Eigentums, Erwerbsfreiheit usw.).

Lebensgrundlagen garantieren

Neben diesen klassischen bürgerlichen Freiheitsrechten enthalten nahezu alle europäischen Verfassungen aber auch einen zweiten Bestand- teil des Grundrechtskatalogs: die sozialen Grundrechte. Diese beruhen auf der Überlegung, dass die Garantie persönlicher Entfaltungsfreiheit ohne die gleichzeitige Absicherung der materiellen Grundlagen für ein menschenwürdiges Leben eine halbe Sache bleibt. In einem modernen Gemeinwesen sollen die Menschen nicht nur vor Polizeiübergriffen und willkürlicher Enteignung geschützt werden, sondern mit der gleichen Selbstverständlichkeit auch vor Armut, Obdachlosigkeit, Krankheit ohne ausreichende medizinische Hilfeleistung usw.

Soziale Grundrechte sollen also neben der Freiheit des Menschen auch die Sicherheit der Lebensgrundlagen des Menschen garantieren! Die sozialen Grundrechte umfassen vor allem: ein Recht auf Arbeit als Grundlage für eine eigenständige Existenzsicherung (sich und seine Familie ernähren zu können), in diesem Zusammenhang ein Recht auf angemessene Arbeitsbedingungen sowie ein Recht auf soziale Sicherheit, bei dem es insbesondere um die Absicherung bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter und generell bei sozialen Notlagen geht.

Gegner

Von Gegnern der Aufnahme sozialer Grundrechte in die Verfassung werden gerne zwei Argumente angeführt:

Erstens: Der Staat könne - wie bei den Freiheitsrechten - immer nur ein Nicht-Handeln, also z. B. das Unterlassen von Polizeiübergriffen, garantieren, könne aber für niemanden einen Arbeitsplatz oder sonstwie einen ausreichenden Lebensunterhalt gewährleisten; das könne nur eine erfolgreiche Wirtschaft, nie aber der Staat. Dagegen ist zu erwidern: Dem Staat kann durch die Verfassung (an der sich staatliches Handeln ja stets orientieren muss) sehr wohl aufgetragen werden, sich bei der Gestaltung der staatlichen Politik durch Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung nach Kräften um die Erreichung der Zielsetzungen der sozialen Grundrechte zu bemühen. Soziale Grundrechte werden daher oft auch als »Staatszielbestimmungen« bezeichnet. Dem Staat kann also - zumindest in einer Marktwirtschaft - kaum der Auftrag erteilt werden, für jeden einzelnen Menschen einen Arbeitsplatz zu schaffen, aber er kann sehr wohl durch die Verfassung verpflichtet werden, im Rahmen seiner Finanz- und Währungspolitik, seiner Wirtschafts- und Steuerpolitik sowie seiner Sozial-, Arbeitsmarkt- und Arbeitsrechtspolitik das Ziel der Vollbeschäftigung anzustreben. Ebenso kann ihm aufgetragen werden, im Rahmen seiner Verteilungs- und Steuerpolitik ausreichende Mittel zur bestmöglichen Krankenversorgung, zur Sicherung des Lebensstandards im Alter und zur Ermöglichung eines menschenwürdigen Lebens bei Arbeitslosigkeit bereitzustellen.

Alles für den Profit ...

Eine Verfassung, die diese Zielsetzungen nicht enthält, deutet an, dass auf ihrer Grundlage der Staat diese Ziele auch vernachlässigen dürfte, um ganz anderen Dingen - etwa dem rein wirtschaftlichen Erfolg der in diesem Staat ansässigen Unternehmen vor der Sicherung der Lebensgrundlagen der auf Arbeit und soziale Absicherung angewiesenen Menschen - den Vorzug zu geben. Ein Staat ohne soziale Grundrechte ist daher im Grunde genommen nur ein unvollkommener Sozialstaat.

Das zweite Argument, das gegen soziale Grundrechte eingewendet wird: Es gebe die arbeitsrechtlichen, sozialversicherungsrechtlichen und arbeitsmarktpolitischen staatlichen Maßnahmen ja ohnehin auf einfachgesetzlicher Ebene. Soziale Grundrechte in Verfassungsrang seien daher ein unnötiger juristischer Luxus ohne konkreten Nutzen für die Menschen.

Wenn diese Argumentation richtig wäre und die Formulierung sozialer Grundrechte tatsächlich nur Symbolkraft hätte, wäre der heftige Widerstand, mit dem die Gegner sozialer Grundrechte deren Verankerung in der österreichischen Verfassung bis jetzt verhindert haben, völlig unverständlich. Selbstverständlich können soziale Grundrechte in der Verfassung eine konkrete juristische Wirkung zur Steuerung des staatlichen Handelns in der Richtung einer stetigen sozialstaatlichen Entwicklung entfalten. Was die Verankerung sozialer Grundrechte in der Verfassung außerdem an juristischer Realität für den einzelnen Menschen bedeuten kann, wird im Folgenden an mehreren Beispielen dargestellt:

Profite für die Versicherungen

Fallbeispiel 1: Angenommen, der Gesetzgeber beschließt im Krankenversicherungsrecht den Umstieg vom Prinzip der Pflichtversicherung zum Prinzip der Versicherungspflicht bei einem beliebigen Versicherungsträger. Das hieße: Die Arbeitnehmer, sonstigen Erwerbstätigen, Pensionisten, Arbeitslosen usw. sind nicht mehr automatisch in den Krankenkassen versichert, sondern sind nur verpflichtet, sich gegen das Risiko Krankheit - auch auf dem freien Markt der privaten Versicherungsgesellschaften - zu versichern. Das würde dazu führen, dass private Versicherungsunternehmen jungen (geringes Krankheitsrisiko), gut verdienenden (schon ein geringer Prozentsatz des Einkommens stellt eine vergleichsweise hohe Prämie dar) Männern (keine medizinische Betreuung bei Geburten erforderlich), die in wenig gefährlichen Büroberufen arbeiten (geringes Erkrankungsrisiko), Versicherungsverträge mit sehr günstigen Prämiensätzen anbieten können. Gruppen mit höherem Risiko (ältere Menschen, Frauen, Arbeitnehmer in belastenden Berufen, weniger gut Verdienende) würden hingegen Gefahr laufen, dass sie erheblich höhere Beitragssätze in Kauf nehmen müssten bzw. dass sie mit einem wesentlich schlechteren medizinischen Angebot ihr Auslangen finden müssten.

Es wäre vor einem solchen Hintergrund durchaus denkbar, dass z. B. eine 50-jährige Fabriksarbeiterin, die einem vergleichsweise hohen Berufserkrankungsrisiko ausgesetzt ist, angesichts für sie unbezahlbarer Prämien in der Privatversicherung mit Unterstützung ihrer Interessenvertretungen den Verfassungsgerichtshof mit diesem massiven Eingriff in ihr Grundrecht auf soziale Absicherung bei Krankheit befasst.

Die Tabelle dient dazu, einen Überblick über den Inhalt der Verfassungen der Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Sie führt auf, welche sozialen Grundrechte in den Verfassungen verankert sind. Es ist aber nicht möglich, eine Beziehung zwischen dem Vorhandensein sozialer Grundrechte auf Leistung und dem Bestand und Niveau sozialer Leistungen und Einrichtungen in den betreffenden Mitgliedstaaten herzustellen. Dies wird vor allem an Österreich und dem Vereinigten Königreich deutlich, die in der Tabelle eine leere Spalte haben, tatsächlich aber natürlich soziale Rechte kennen.

Eingriffe in die Pensionen

Fallbeispiel 2: Der Nationalrat könnte in einigen Jahren (weitere) Eingriffe in das Pensionsrecht z. B. in der Form beschließen, dass pensionsversicherte Arbeitnehmer, die seit Jahrzehnten ihre Pensionsbeiträge entrichtet haben, kurz vor Pensionsantritt vom Gesetzgeber damit überrascht werden, dass ihre Pension weitaus geringer ausfallen wird, als stets zugesichert wurde. Würden soziale Grundrechte in der österreichischen Verfassung existieren, könnte der Verfassungsgerichtshof auf die Klage von Betroffenen hin auf einer soliden juristischen Basis überprüfen, ob ein solcher Eingriff des Gesetzgebers in das soziale Grundrecht auf soziale Absicherung im Alter in Abwägung mit anderen staatlichen Zielen noch zulässig war oder nicht. Nach der jetzigen Rechtslage, in der soziale Grundrechte nicht existieren, kann der Verfassungsgerichtshof solche Klagen nur anhand komplizierter juristischer Konstruktionen, die sich vom Recht auf Eigentum und dem Grundsatz der Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ableiten, abhandeln. Ohne die klare Verankerung sozialer Grundrechte, die zugunsten der pensionsversicherten Menschen in die Waagschale gelegt werden können, ist die Rechtssicherheit gering, der Ausgang solcher verfassungsgerichtlicher Verfahren also schwer vorhersagbar und eher pessimistisch zu beurteilen.

Arbeitsmarktpolitik erzwingen

Fallbeispiel 3: Gesetzt der Fall, die Arbeitslosenquote steigt ständig, immer mehr Jugendliche suchen vergeblich nach Lehrstellen oder anderen Ausbildungsplätzen, die den Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte Qualifikationen vermitteln, während gleichzeitig die Unternehmen über grobe Mängel in der staatlichen Arbeitsvermittlung und in der Berufsbildungspolitik klagen. In dieser Situation beschließt die die Regierung stützende Mehrheit im Nationalrat - vielleicht schon zum wiederholten Male - in einem Budgetgesetz, die (aus Beitragszahlungen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber stammenden) Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik für andere Zwecke zu verwenden und auch die Bildungspolitik zurückzuschrauben, während gleichzeitig andere Budgetkapitel kräftige Ausdehnungen erfahren.

Die Opposition könnte hier in Ausübung ihres Rechtes, Gesetze durch den Antrag einer bestimmten Anzahl von Nationalratsabgeordneten vom Verfassungsgerichtshof prüfen zu lassen, gegen eine derartige bewusste Entscheidung der Regierungsmehrheit gegen das Ziel der Vollbeschäftigungspolitik vorgehen. Das Höchstgericht hätte dann zu prüfen, ob der Gesetzgeber das im Grundrecht auf Arbeit festgelegte Vollbeschäftigungsziel zu Recht - in Abwägung mit anderen grundrechtlich geschützten Werten der Verfassung - aufgegeben hat oder ob sein Handeln verfassungswidrig war.

Sonn- und Feiertage

Fallbeispiel 4: Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit gibt dem Drängen bestimmter Handelsunternehmen nach und erklärt die Beschäftigung von Arbeitnehmern im Einzelhandel an Sonn- und Feiertagen durch eine Verordnung generell für zulässig. Eine betroffene Handelsangestellte, die in Zukunft jeden zweiten Sonntag im Geschäft verbringen soll, bringt die Verordnung wegen Gesetzwidrigkeit vor den Verfassungsgerichtshof. Welche Ausnahmen von der Sonn- und Feiertagsruhe der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit durch Verordnung zulassen darf, ist nach derzeitigem Recht in relativ hohem Ausmaß eine Frage der Auslegung einer Bestimmung im Arbeitsruhegesetz, auf die solche Verordnungen gestützt werden.

Würde es ein Grundrecht auf angemessene Arbeitsbedingungen geben, das auch die Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen umfasst, wäre das eine wesentliche Weichenstellung für die Auslegung der entsprechenden Gesetzesstelle: Gesetze müssen nämlich verfassungskonform - also insbesondere unter Berücksichtigung von Grundrechten - ausgelegt werden. Die Chance, eine solche Verordnung zu Fall zu bringen, wäre bei Existenz entsprechender sozialer Grundrechte daher wesentlich höher.

Keine Eingriffe in Kollektivverträge

Fallbeispiel 5: Irgendwann kommt die Regierung zu der Auffassung, Österreich sei in einer wichtigen Branche nicht wettbewerbsfähig genug; die Löhne dort seien zu hoch. Also wird dem Parlament ein Gesetzentwurf mit dem Inhalt vorgelegt, dass die von den Gewerkschaften zuletzt ausverhandelten kollektivvertraglichen Lohn- und Gehaltserhöhungen aufgehoben werden. In diesem Jahr findet daher - auf der Grundlage eines gesetzlichen Eingriffes in die Kollektivverträge dieser Branche - keine Erhöhung der Einkommen der dort beschäftigten Arbeitnehmer statt. (Das Beispiel ist übrigens hoch aktuell: Die derzeitige Regierungsmehrheit im Parlament hat - einmalig in der 2. Republik - tatsächlich bereits per Gesetz kollektivvertragliche Ansprüche verschlechtert!)

Würde die österreichische Bundesverfassung im Rahmen eines Grundrechts auf gerechte Arbeitsbedingungen ausdrücklich den Kollektivvertrag als das Instrument anerkennen und schützen, mit dem die Gewerkschaften die Verhandlungsschwäche des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber den Unternehmen durch das solidarische »Gemeinsam sind wir stark!« ausgleichen können, wäre ein solcher Eingriff in kollektivvertraglich erreichte Arbeitsbedingungen verfassungsrechtlich sicher nicht haltbar.

Zentraler Wert unserer Gesellschaft

Das Sozialstaatsprinzip ist wohl schon längst in den Köpfen der meisten Menschen in Österreich fest verankert. Viele Menschen leben daher in dem Gefühl, der Sozialstaatsgedanke sei ohnehin schon so etwas wie ein ungeschriebener Bestandteil unserer Verfassung. Dieses Gefühl trügt: Eine einfache Mehrheit im Nationalrat - in manchen Angelegenheiten (z. B. in der Sozialhilfe) auch in einem Landtag - kann relativ tief gehende Einschnitte in die rechtliche Ordnung des Arbeitslebens und des Arbeitsmarktes und in unser Sozialsystem beschließen, ohne dabei auf klare verfassungsrechtliche Grenzen zu stoßen. Es ist wichtig und unverzichtbar, dass unsere Freiheitsrechte vor staatlichen Übergriffen geschützt werden. Aber unser Grundrechtskatalog bleibt eine halbe Sache, wenn nicht auch die sozialen Existenzgrundlagen gegen einschneidende Rückschritte abgesichert werden.

Aus diesen Gründen haben von allen 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union 13 soziale Grundrechte in der Verfassung, nur Österreich und das Vereinigte Königreich nicht! Neben der Freiheit gehört auch die soziale Sicherheit als zentraler Wert unserer Gesellschaft endlich in den Grundrechtskatalog der österreichischen Bundesverfassung!

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Christoph Klein (stellvertretender Leiter der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1194875961534 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Fri, 15 Mar 2002 00:00:00 +0100 1194875961488 Für unseren Sozialstaat. Jetzt! Eine durch einen Arbeitsunfall verursachte Querschnittslähmung hat Rechtsanspruch auf die bestmögliche Behandlung, Rehabilitation, auf angemessene Berentung, während der durch Freizeitunfall verursachte Querschnitt diese Ansprüche nicht hat. Dieselbe Verletzung, zwei Schicksale. Das ist Zweiklassenmedizin, gehört längst beseitigt, ist auch leicht zu beseitigen. Auch die Unterversicherung der geringfügig Beschäftigten, der Jungen mit vier Jobs, der Frauen mit Hungerlöhnen, all das blieb unerledigt liegen.

Ohne Übung kein Bestand

Vielleicht wurde der Gedanke der Solidarität, diese in Strukturen gegossene Nächstenliebe, nicht ausreichend gepflegt. Das Gute bedarf der Aufmerksamkeit aller, hält sich nicht, wenn Gewöhnung eintritt. Solidarisches Handeln muss ausgeübt werden, sonst schwindet es.

Also: Das Sozialstaatsprinzip, aber auch seine Einrichtungen, wurden seit Jahren verschlampt. Die Wenderegierung macht damit Schluss. Sie schafft die seit 1889, seit Otto von Bismarck, steuerfreie Unfallrente ab, sie schafft den freien Zugang zu Spitälern und Universitäten ab, sie stellt die Selbstverwaltungen kalt, installiert folgsame Regierungskommissare, die, etwa in der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, die Beiträge der Arbeitgeber herabsetzen, Leistungen der Versicherten kürzen, heimlich über die Schließungen von Unfallkrankenhäusern beraten, also an der Struktur der weltweit bewunderten österreichischen Unfallversorgung rütteln.

Die Neoliberalen wünschen sich einen schlanken Sozialstaat, schon beginnt man mit dem Aushungern. Herr Bartenstein sagt: Lohnnebenkostensenkung. Und Herr Haupt beginnt die Unfallversicherung zu ruinieren. Grasser sagt: Nulldefizit, und schon plündert man die Arbeitslosenversicherung. Milliarden werden abgeschleppt, und der Maulheld Westenthaler will den Arbeitslosen »die Daumenschrauben« fester drehen, will ihnen das ohnehin schmale, weil gekürzte Arbeitslosengeld nochmals kürzen. Knapp vorher wollte er und die Kobra Riess-Passer die Gewerkschaften beseitigen.

Strafmaut für Spitalsbesuche

Das ist autoritär. Das darf man nicht hinnehmen. Daher: Der Sozialstaat muss in die Verfassung. Es geht nicht an, dass eine dahergelaufene Regierung mit einer Minimehrheit ruiniert, was allen Österreichern gehört. Daher das Volksbegehren. Wäre die von uns vorgeschlagene Sozialstaatsklausel (siehe Kasten) schon jetzt in der Bundesverfassung, die Besteuerung der Amputierten, angeblich zugunsten der Behinderten, die Einführung einer Strafmaut für Spitalsbesuche, natürlich auch im Notfall (die Regierungsinserate lügen), die Liquidierung der Selbstverwaltung, all das wäre uns erspart geblieben. Denn niemals hätte sich eine Zweidrittelmehrheit für eine derart menschenfeindliche, autoritäre Gesundheitspolitik gefunden.

Und es ist autoritär, wenn Gesundheitsminister Haupt, von Beruf Veterinär, Patienten wie Tierhorden aus den Spitalsambulanzen in die Ordinationen treiben will. Sind diese geschlossen, und sie sind es an 120 von 168 Wochenstunden, zahlen die Patienten 18 Euro und 17 Cent Strafe. Sind die Ordinationen geöffnet und der Praktiker überweist die alte Dame mit der gebrochenen Hand in die Unfallambulanz, verlangt der Veterinär 10 Euro 90 Cent Maut.

Wie Wegelagerer die Patienten abstieren

Wir haben eine Regierung, die wie Wegelagerer die Patienten vor den Spitälern überfällt und abstiert. Weil wir das nicht wollen: Volksbegehren, dann abwählen. So einfach ist das.

Natürlich dient der Sozialstaatsabbau einem hehren Zweck: dem Nulldefizit. Wobei die dahinter stehende These lautet: Der Sozialstaat ruiniert den Staat. Das aber ist falsch.

Die Entwicklung in den Prosperitätsphasen der Nachkriegszeit zeigt, dass der Sozialstaat keinesfalls Hauptursache für steigende Staatsschulden ist.

Bis Anfang der siebziger Jahre ging die Staatsschuldenquote deutlich zurück, obwohl der Sozialstaat in dieser Phase massiv ausgebaut wurde. Umgekehrt stieg die öffentliche Verschuldung in den vergangenen 20 Jahren markant an, während gleichzeitig der Sozialstaat abgebaut wurde. Nicht der Sozialstaat gefährdet den Staat, wohl aber gefährden die unbarmherzigen Katholiken und egomanischen Blauen den Sozialstaat.

Gibt es aber nicht doch die Kostenexplosion in der Krankenkassa, das Spitalsdefizit? Nein, gibt es nicht. Unser Gesundheitssystem ist, das sagt die Weltbank in Washington, effizient und billig. 99 Prozent der Bevölkerung hat Zugang zu allen Gesundheitseinrichtungen, und das für lächerliche 8,2 Prozent des Volkseinkommens. Amerika gibt 13 Prozent für Gesundheit aus, und die Hälfte der Bevölkerung ist unterversorgt.

Das ist ein Paradebeispiel für die Leistungsfähigkeit des Solidarischen Systems.

DER TEXT DES VOLKSBEGEHRENS

Die UnterzeichnerInnen begehren folgende Ergänzung der österreichischen Bundesverfassung:

Dem Art. 1 (»Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.«) wird ein Absatz 2 angefügt.

Dieser lautet:

»Österreich ist ein Sozialstaat.

Gesetzgebung und Vollziehung berücksichtigen die soziale Sicherheit und Chancengleichheit der in Österreich lebenden Menschen als eigenständige Ziele.

Vor Beschluss eines Gesetzes wird geprüft, wie sich dieses auf die soziale Lage der Betroffenen, die Gleichstellung von Frauen und Männern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt auswirkt (Sozialverträglichkeitsprüfung). Die Absicherung im Fall von Krankheit, Unfall, Behinderung, Alter, Arbeitslosigkeit und Armut erfolgt solidarisch durch öffentlich-rechtliche soziale Sicherungssysteme. Die Finanzierung der Staatsausgaben orientiert sich am Grundsatz, dass die in Österreich lebenden Menschen einen ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage angemessenen Beitrag leisten.«

Fleißig, anständig, tüchtig

Wollen wir amerikanische oder brasilianische Verhältnisse? Wollen wir eine Gesellschaft der »Fleißigen und Tüchtigen« (Haider), der »Anständigen und Tüchtigen« (Schüssel-Kohl), also eine Gesellschaft, in der gespalten statt umverteilt wird, in der ausgesondert statt integriert wird, in der Arbeitslose verleumdet statt die Arbeitslosigkeit bekämpft wird? Nein, das wollen wir nicht. Daher: Volksbegehren »Sozialstaat Österreich«.

Unser Gesundheitssystem baut keine »Defizite«. Es hält 24 Stunden am Tag die Pforten für alle Bürgerinnen und Bürger geöffnet, das 365 Tage im Jahr. Er verwaltet alle von uns geleisteten Beiträge und Steuern sorgfältig und billig. Auch das bewundert die Welt. Nur der Veterinär verkündet das Gegenteil, verleumdet die gute österreichische Sozialbürokratie, um parteipolitisch gezielt im Hauptverband ausmisten zu können.

Natürlich wird Gesundheitssicherung nicht von Jahr zu Jahr billiger. Spitäler sind personalintensive Einrichtungen. Wenn dazu noch, bedingt durch schrumpfende Lohngesamtsumme, durch steigende Schwarzarbeit und Sozialstaatskriminalität, - ein Frächter sitzt, Hinterzieher gibt es aber viele -, eine heftige Beitragseinnahmenerosion stattfindet, dann wäre für Beitragserhöhungen, für Einführung einer Wertschöpfungsabgabe zu sorgen, wären die Beitragshinterzieher zu verhaften, wäre, was sofort möglich wäre, ein Nulldefizit im Sozialstaat herzustellen.

Katechismus, Seite 613

Bekämpft man die Sozialstaatskriminalität? Nein, man versteckt die Hinterzieher. Herr Bartenstein und Herr Schüssel, oft vorgezeigte Kirchgänger, sollten im Weltkatechismus nachblättern. Dort steht unter »Soziallehre der Kirche«: »Es ist ungerecht, den Institutionen der Sozialversicherung die von den zuständigen Autoritäten festgesetzten Beiträge nicht zu entrichten.« (Katechismus, Seite 613). Es ist in der Soziallehre viel vom gerechten Lohn die Rede, viel Richtiges wird über Arbeitslosigkeit gesagt, auch darüber berichtet, was man nicht dem freien Markt überlassen könne.

Aber sie lesen nicht, die unbarmherzigen Vorzeigekatholiken in der Regierung. Wobei es bezeichnend ist, dass die Kirche ihre Soziallehre unter dem siebenten Gebot verkündet. Und das lautet: Du sollst nicht stehlen.

Die unbarmherzigen Vorzeigekatholiken überlassen die Sozialpolitik, die Gesundheitssicherung dem Veterinärmediziner Haupt. Der wütet und fuhrwerkt vor sich hin. Wenn sich herausstellt, dass die Ambulanzgebühr gesundheitspolitisch und ökonomisch dumm ist, nichts ist mit Einnahmen, die Österreicher nicht steuerbar wie Viehherden sind, dann lässt er um Abermillionen Inserate drucken und verlautbart, dass er und seinesgleichen in der Wenderegierung schon wüssten, was das Volk zu tun habe.

Weil aber der Sozialstaat uns allen und nicht einem Tierarzt gehört, darum Volksbegehren »Sozialstaat Österreich«.

Info unter www.sozialstaat.at

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Dr. Werner Vogt (Arzt und Publizis; Mitinitiator des Volksbegehrens) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Apr 2002 00:00:00 +0200 1193756191510 TEIL 3 | Projektkommunikation Kommunikation im Projekt

In Projekten geht es immer um gemeinsames Handeln. Wir stellen daher an den Anfang der Projektarbeit den Austausch darüber, was wir bewirken möchten, von welchen Bedingungen wir ausgehen und wie wir an unser Ziel gelangen wollen. Die Projektbeteiligten kommen aus unterschiedlichen Umgebungen; selbst wenn sie das Gleiche sagen, können wir nicht ohne weiteres annehmen, dass sie auch das Gleiche meinen. Um eine gemeinsame Arbeitsgrundlage zu schaffen, müssen wir unsere Bilder angleichen. Gerade in der Anfangsphase eines Projekts kann man daher kaum zu wenig miteinander reden, zu wenig schriftliche Unterlagen austauschen, zu wenig skizzieren oder aufzeichnen, zu wenig zeigen und darstellen. Jeder von uns kennt eine ganze Reihe von Beispielen dafür, wie tief Missverständnisse gehen können, wenn zwei davon überzeugt sind, vom selben zu reden.

Ein wichtiger Grundsatz ist, nicht alle Antworten zu kennen (wozu bräuchte man sonst ein Projekt?), aber umso mehr Fragen zu stellen. Um Fragen stellen zu können, braucht man Hypothesen (Annahmen). In der Projektarbeit sollte es daher zur Gewohnheit werden, die aktuelle Situation gemeinsam zu analysieren und Hypothesen darüber zu entwickeln, wodurch diese Lage der Dinge erzeugt wird. Von solchen bewusst getroffenen Annahmen ausgehend lassen sich Aktivitäten planen, deren Ergebnis wieder dazu herangezogen werden kann, um die eigenen Annahmen zu überprüfen.

Umgang mit Zeit

Der bewusste Umgang mit Zeit gehört ebenfalls zu erfolgreicher Projektkommunikation. Wer hat sich nicht schon über endlose Sitzungen, über immer wieder verschobene Termine, über zeitlich unbestimmte Vereinbarungen geärgert? Projekte treten an, gerade auch solche Probleme zu bewältigen. Umso wichtiger ist es, im Projekt selbst mit Zeit diszipliniert umzugehen. Es sollte daher keine Projektbesprechung geben, deren Zeitrahmen nicht zu Beginn festgelegt wird und in der nicht der Besprechungsleiter oder ein anderer Teilnehmer dafür verantwortlich ist, auf die Einhaltung des vereinbarten Zeitrahmens zu achten. Ebenso wenig sollte in einem Projekt kein Arbeitsauftrag erteilt werden, bei dem nicht klar ist, wer was bis wann zu erledigen hat. Schließlich gehört die regelmäßige kritische Überprüfung der Einhaltung des Zeitplans zu den wesentlichsten Kontrollaufgaben in jedem Projekt.

Klare Rollentrennung

Distanz wahren, fremde Probleme nicht zu den eigenen machen (lassen) ist ein letzter Grundsatz für erfolgreiche Projektkommunikation. Projekte funktionieren, weil sie Abgrenzungen vornehmen. Das gilt für das Projekt als Ganzes, aber auch für die Rollen im Projekt. Gerade weil Projekte an neuen Fragestellungen arbeiten, ist es wichtig, die Aufgaben im Projekt möglichst eindeutig zuzuordnen und diese Zuordnung nicht zu verwischen.

Kommunikation zwischen Projekt und Auftraggeber

Entscheidend für ein erfolgreiches Projekt ist eine funktionierende Beziehung zwischen Projekt und Auftraggeber. Diese Beziehung drückt sich in der Form der Kommunikation zwischen ihnen aus und wird von dieser Kommunikation geprägt. Sie sollte daher so offen, so zielgerichtet und so regelmäßig sein, wie es der Projektkultur entspricht.

Drei zentrale Punkte gehören zu dieser Kommunikation: die Auftragserteilung, regelmäßige Berichte und der Projektabschluss mit der Übergabe der Projektergebnisse.

Auftragserteilung

Die Vereinbarung eines Projektauftrags zwischen Projektteam oder Projektleiter auf der einen und Auftraggeber auf der anderen Seite ist auf keinen Fall bloße Formsache. Punkte, die »ohnehin klar« sind, haben im Projektauftrag nichts verloren - allerdings ist gesundes Misstrauen angebracht, wenn etwas so klar erscheint. Gerade diese Fragen verdienen in der Regel sorgfältige Behandlung, weil sich hinter der scheinbaren Klarheit oft die Vermeidung von Auseinandersetzungen verbirgt. Für das Auftragsgespräch sollte deshalb ausreichend Zeit und bei allen außer bei ganz einfachen Projekten mehr als ein einziger Gesprächstermin reserviert werden - damit für beide Seiten Gelegenheit bleibt, offene Fragen zu überschlafen.

Über diese Vorbereitungsarbeit hinaus ist es gute Projektgewohnheit, an den Anfang ein »Start«- oder »Kickoff-Meeting«, also einen formellen Projektstart, zu setzen. Dieses Treffen - das unbedingt vom Auftraggeber veranstaltet und eröffnet werden sollte - ist die Gelegenheit schlechthin, gegenüber der Organisation den Start des Projekts klar zu machen und dem Projekt zu signalisieren, dass es ernst genommen wird. Ein gut vorbereiteter Projektstart zahlt sich aus.

Berichte

Berichte über den Fortschritt des Projekts müssten eigentlich selbstverständlich sein, sind es aber leider oft nicht. Dabei ist es zweitrangig, ob diese Berichte mündlich oder schriftlich erfolgen - allerdings zeigt die Erfahrung, dass mündliche Berichte häufiger verschoben, vergessen oder übersehen werden und leichter zu Missverständnissen Anlass geben. Aber auch schriftliche Berichte werden gern schubladiert, wenn sie als Pflichtübung oder als reine Rückversicherung aufgefasst werden. Die wesentlichen Gütekriterien für Fortschrittsberichte in Projekten sind deshalb Kürze, Aussagekraft, Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit. Es lohnt sich, sie ein wenig zu formalisieren.

Projektabschluss

Wenn der Auftraggeber beim Projektabschluss nicht zu sehen ist oder nach zehn Minuten wieder verschwindet, ist im Projekt mit Sicherheit etwas danebengegangen. Der erfolgreiche Abschluss eines Projekts ist der Anlass, um gemeinsam mit dem Auftraggeber die Lehren aus der Projektarbeit auszuwerten. Hier wird oft viel vergeben. Zum Abschluss gehört in der Regel ein schriftlicher Projektbericht an den Auftraggeber, ein Abschlusstreffen (mit dem Auftraggeber) und ein Aktionsplan für Folgeaktivitäten.

Aber auch für die erfolgreiche Verwertung der Projektergebnisse ist ein sorgfältig gemeinsam mit dem Auftraggeber geplanter Abschluss wichtig. Die Konsequenzen aus dem Projekt sollten inhaltlich klar herausgearbeitet werden, es sollte eindeutig sichtbar werden, welche Aktionen aus dem Projekt folgen müssten und wer für diese Aktionen zuständig ist. Alle für die Erteilung solcher Aufträge Verantwortlichen gehören in das Abschlussmeeting. Kein Projekt sollte ohne einen klaren Vorschlag für Folgeaktivitäten beendet werden. Jedes Projekt sollte sich um eine Quittierung dieses Vorschlags bemühen.

Kommunikation zwischen Projekt und Umfeld

Schwieriger als die Kommunikation mit dem Auftraggeber ist für Projekte oft die Kommunikation mit dem Projektumfeld. Dazu kann die Kommunikation mit der Organisation gehören, in der das Projekt angesiedelt ist. Es geht aber oft auch darum, passende Kommunikationskanäle zu für das Projekt wesentliche Interessengruppen oder Personen außerhalb des Kernbereichs aufzubauen. Dabei kann ein Kommunikationskonzept (siehe die Werkzeuge zur Projektidee) sehr hilfreich sein.

Größere Projekte brauchen für ihren Erfolg ein geplantes und organisiertes Projektmarketing.

Daher ist die Umfeldanalyse ein Fixpunkt, der immer wieder bei der Entscheidung zwischen Optionen herangezogen wird. Problemstellung und Anforderungen müssen aus der Perspektive dessen beschrieben werden, dem die Projektergebnisse dienen sollen. Am Anfang jeder Projektaktivität steht die Frage:

Wer sind unsere Adressaten? Schon in der Ideenentwicklungsphase sollte auf einem Flipchart möglichst genau und differenziert aufgelistet werden, an wen sich das Projekt wendet und was über diesen potentiellen Adressatenkreis bekannt ist. Diese Umfeldanalyse begleitet die ganze weitere Arbeit und wird bei Bedarf ergänzt oder korrigiert. Sie ist ein Fixpunkt, der immer wieder herangezogen wird.

Ideale Adressaten

Von der Umfeldanalyse ausgehend wird versucht, sich in idealtypische Adressatengruppen hineinzuversetzen, Problemstellung und Anforderungen aus deren Perspektive zu beschreiben, und zwar möglichst in vollständigen Sätzen von der Art: »Mein Problem ist, dass ...« und »Mir wäre geholfen, wenn ...«. In einem Brainstorming lassen sich so verschiedene Hypothesen über Problemlage und Umfelderwartungen entwickeln.

Aus vermuteter Problemlage und Anforderungen einerseits und eigener Orientierung des Projekts andererseits lässt sich ein konkretes Angebot des Projekts entwickeln und der konkrete Nutzen des Projekts definieren. Was haben unsere Adressaten davon, wenn das Projektergebnis vorliegt? Einen konkreten, persönlichen Nutzen muss das Projekt kommunizieren.

Projekte brauchen Marketing

Auf dieser Grundlage kann ein Projekt einen Marketing-Mix für sein Angebot entwickeln. Innerhalb einer Organisation bestehen in der Regel die unterschiedlichsten Kommunikationskanäle, formelle und informelle, schriftliche und mündliche, technisch vermittelte und konventionelle, sprachliche und nonverbale, direkte und indirekte, allgemeine und persönliche ...

Außerdem hindert nichts daran, für ein neues Angebot auch nach neuen, ungewöhnlichen, bisher nicht oder nicht für diesen Zweck benutzten Kommunikationswegen zu suchen. Persönliche Kommunikation wirkt ungleich stärker als allgemeine Verlautbarungen, ein direktes Eingehen auf das Umfeld erhöht die Chancen zur Herstellung einer Beziehung deutlich, und auf das spezifische Thema sorgfältig abgestimmte, vom Gewohnten abweichende Kommunikationswege und -muster ziehen die Aufmerksamkeit auf sich. Ideenreichtum wird honoriert, aber nur, wenn die Ideen auf Adressaten, Gegenstand und Projekt abgestimmt sind.

Der richtige Einsatz des Faktors Zeit ist entscheidend. Folgende Phasengliederung hat sich bei der Planung einer sinnvollen Abfolge von Maßnahmen bewährt:

  1. Aufmerksamkeit wecken,
  2. persönlich näher informieren,
  3. Entscheidung herbeiführen,
  4. Entscheidung bestätigen und verstärken.

Projekte brauchen Marketing. Die Entwicklung der notwendigen Werkzeuge und ihre konsequente Anwendung verändern die Arbeitsabläufe im Projekt und die Haltung der Projektmitarbeiter ebenso wie die Beziehungen zum Umfeld des Projekts.


Ein praktischer Ratgeber von Herbert Wabnegg mit Beiträgen von Frank Boos, Karl Fink, Manfred Höfler, Hans Schneller, Klaus Scala und Joachim Schwendenwein; Reihe Theorie und Praxis der Gewerkschaften, Band 26; Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes; 193 Seiten, Euro 16,50 (S 229,-).

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Herbert Wabnegg http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Apr 2002 00:00:00 +0200 1193756191468 Der Europäische Betriebsrat | Papiertiger oder Exportschlager der Mitbestimmung? Mehr als 20 Jahre zäher Diskussionen und Verhandlungen hatte es gedauert, ehe die Widerstände von Arbeitgeberverbänden und einzelner Regierungen überwunden waren. Am 22. September 1994 schließlich verabschiedete der - damals noch elfköpfige - Europäische Rat in Brüssel die »Richtlinie 94/45/EG«. Deren sperrige Bezeichnung im vollen Wortlaut, die seine Kernaufgaben vorweg umreißt: »Richtlinie über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates oder die Schaffung eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer in gemeinschaftlich operierenden Unternehmen und Unternehmensgruppen.«

Wo die Entscheidungen fallen ...

»Eine Einrichtung, die es überhaupt erst ermöglicht, dass >nationale< Betriebsräte, deren Recht ja an der Staatsgrenze endet, einen Fuß dort hineinbekommen, wo die Entscheidungen tatsächlich fallen«, urteilt Wolfgang Greif, internationaler Sekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA).

Die EU-Richtlinie ermöglicht es, in allen Unternehmen oder Unternehmensgruppen mit mehr als 1000 Arbeitnehmern - vorausgesetzt sie beschäftigen in wenigstens zwei Mitgliedstaaten der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraumes mindestens 150 Personen - dieses grenzübergreifende Vertretungsorgan der Arbeitnehmer einzurichten.

Wirksam wurde dieses Instrument allerdings erst durch die Verpflichtung der EU-Mitgliedstaaten, die Mindestbestimmungen der Richtlinie in die jeweilige nationale Rechtsordnung zu übernehmen. In Österreich wurde die EBR-Richtlinie im Herbst 1996 über eine Novelle des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG) in die heimische Rechtsordnung umgesetzt.

Potentiell sind europaweit heute mehr als 1800 Konzerne von der EBR-Richtlinie betroffen. Derzeit gibt es in rund einem Drittel davon, nämlich in etwa 670 Konzernen, bereits etablierte Euro-Betriebsräte. Die meisten davon in der Metall- und Elektroindustrie, in der Chemie- und Pharmabranche, gefolgt von der Nahrungsmittel- und der Bauindustrie, dem Finanz- und Tourismusbereich und dem unternehmensnahen Dienstleistungssektor.

»Österreicher mischen mit ...«

In Österreich unterliegen hinsichtlich der EBR-Richtlinie etwa 45 Konzerne mit zentraler Leitung im Inland dem heimischen Arbeitsverfassungsgesetz. In 15 davon gibt es bereits einen Euro-Betriebsrat. Vertragsabschlüsse dazu sind etwa bei der OMV, bei VA Tech und VA Stahl und bei Böhler Uddeholm erfolgt oder beim Feuerfestkonzern RHI. »In diesen - salopp gesagt - österreichischen Konzernen sitzen im Regelfall sechs bis zehn Österreicher im Euro-Betriebsrat. Je nach Stärke und geographischer Ansiedlung des internationalen Engagements sind dann auch Deutsche, Briten, Franzosen oder eben Vertreter anderer Nationen drinnen«, erklärt Wolfgang Greif.

Für Österreich wichtiger seien aber die Konzerne, die ihre Zentrale außerhalb unserer Landesgrenze haben. Ihre Zahl schwankt zwischen 130 und 140; darunter sind zum Beispiel der deutsche Siemens-Konzern, die skandinavische Unternehmensgruppe Ericsson, aber auch US-amerikanische wie der Multi IBM. »Alles was Rang und Namen hat in der europäischen Industrie, verfügt heute über einen Euro-Betriebsrat und überall dort mischen Österreicher mit«, beurteilt Greif das Gremium, das im Schnitt mit einem bis drei Euro-Betriebsräten aus Österreich bestückt ist.

Was ist nun der Europäische Betriebsrat bzw. was legt die EBR-Richtlinie als seine Funktionen fest? Im Wesentlichen orientiert sich die Richtlinie an nationalen Modellen der betrieblichen Interessenvertretung. Was allerdings seine Kompetenzen betrifft, entspricht der europäische nicht exakt dem österreichischen Betriebsrat. Festgelegt werden grundlegende Informationspflichten der Unternehmensleitung. So sind die Arbeitnehmervertreter über die Entwicklung der Geschäftslage des Konzerns in allen relevanten Aspekten, von finanzieller und wirtschaftlicher Lage bis hin zur Beschäftigungssituation, geplanten Entlassungen und Produktionsverlagerungen, Fusionen oder Schließungen, zu unterrichten.

Information und Konsultation

Information heißt auch, dass der Austausch zwischen den Arbeitnehmervertretern unterschiedlicher Standorte und Länder ermöglicht und in die Wege geleitet werden muss. Umgekehrt besteht auch das Recht auf Anhörung bzw. Konsultation der Arbeitnehmervertreter: So verlangt die Richtlinie einen Meinungsaustausch und die Einrichtung eines Dialogs zwischen Management und Arbeitnehmern.

Durch die »Umsetzung in nationales Recht«, zu der sich die EU-Mitgliedstaaten bis spätestens 22. September 1996 verpflichtet hatten, wurde die Richtlinie an die nationalen Besonderheiten angepasst und in nationale Gesetze übergeführt. In erster Linie stellen die jeweiligen nationalen EBR-Vorschriften die Verfahrensregeln für das Zustandekommen eines EBR zur Verfügung. Sollten die Verhandlungen zwischen der Konzernleitung und Arbeitnehmervertretung zu keinem Abschluss kommen, sind darin auch Bestimmungen zur Einrichtung eines Euro-Betriebsrates »kraft Gesetz« vorgesehen. Eine Vorkehrung, die allerdings in den seltensten Fällen zum Tragen kommt. Wenn es darauf ankommt, so die Erfahrung der Gewerkschaften, zieht das Management in der Regel doch eine verhandelte Lösung vor.

Gesetze und Landesgrenzen

Was das legistische Rahmenwerk zur Mitbestimmung über die Landesgrenzen hinaus betrifft, können die Gewerkschaften vorerst zufrieden sein. Mit einer zweiten Richtlinie, die im Dezember 2001 beschlossen wurde, sind auf nationaler Ebene die rechtlichen Grundlagen geschaffen, die eine effektive Arbeit von Euro-Betriebsräten erst ermöglichen. Durch diese Rahmenrichtlinie über Information und Konsultation der Arbeitnehmer in der EU (in Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten) werden den Betriebsräten Informations- und Anhörungsrechte eingeräumt.

Das ist vor allem für jene Länder von Bedeutung, wo es keine festgeschriebenen Konsultationsrechte der Arbeitnehmervertreter in den Betrieben gibt, wie etwa in Großbritannien oder Irland. »Eine Bestimmung, die quasi das nationale >Unterfutter< für die Tätigkeit des Euro-Betriebsrates ist«, meint Wolfgang Greif. Nunmehr müssen die Betriebsräte auch auf nationaler Ebene über wesentliche Fragen des Unternehmens wie wirtschaftliche Lage und geplante Veränderungen der Beschäftigungssituation informiert werden.

Bei der EBR-Richtlinie, die ja die grenzübergreifende Mitbestimmung anstrebt, war das Informations- und Anhörungsrecht seit Beginn wesentliches Element.

Realität nicht rosig

Dass die Realität nicht so rosig ist, wie es die EBR-Richtlinie festlegt, wissen die beteiligten Betriebsräte. Sprachprobleme, fehlende Zeit und Ressourcen sind nur die vordergründigen Hindernisse in der Euro-Betriebsratsarbeit. Auch die unterschiedliche Auffassung, was unter »Information« zu verstehen ist, behindert die Euro-Betriebsräte. Und vor allem: Versteht die Arbeitnehmervertretung dasselbe wie das Management unter »rechtzeitig zu erfolgender Information«? So kommt es immer wieder vor, dass ein europäischer Betriebsrat über bereits gefällte Entscheidungen informiert wird. »Schmeck's,« sozusagen, »der Betrieb wird geschlossen!«

Ein Übel, das zumindest auf dem Papier demnächst behoben werden könnte. Die Revision der Richtlinie könnte im heurigen Jahr über die Bühne gehen. Als günstiges Zeichen in dieser Richtung werden zwei Gesetzgebungsverfahren zur Arbeitnehmermitbestimmung gewertet, die im Vorjahr umgesetzt wurden und indirekt Einfluss auf die EBR-Tätigkeit haben: Die Verabschiedung der oben erwähnten Richtlinie über die Informations- und Anhörungsrechte von Betriebsräten in Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten und das Statut zur Arbeitnehmerbeteiligung an der Europäischen Aktiengesellschaft, das nach 30-jährigem Diskussionsprozess im vergangenen Oktober beschlossen wurde. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Gesetzlicher Rahmen und Praxis: Revision notwendig!

Die Revision der EBR-Richtlinie soll nun den gesetzlichen Rahmen an die Praxis anpassen. Eine Aktualisierung, die bereits für 1999 festgelegt worden war, aber mangels Interesse seitens Arbeitgeberverbänden und einzelner Regierungen liegen geblieben war.

Für den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) und den ÖGB gibt es mehrere Eckpunkte in Richtung Revision. In erster Linie ist sehr genau zu definieren, was eine umfassende, rechtzeitige und permanente Information ist. Wolfgang Greif: »Wenn diese Definition in der EBR-Richtlinie genauer festgelegt ist, werden auch die Vereinbarungen auf Konzernebene besser ausgestattet und formuliert sein, um eine Anhörung vor Entscheidungsfindung zu ermöglichen.«

In zweiter Linie ist festzulegen, was passiert, wenn ein Konzernmanagement seine Informationspflicht nicht einhält. Sanktionen sind nämlich in der bisherigen Richtlinie nicht enthalten. Wolfgang Greif weiß von einigen (wenigen) spektakulären Gerichtsprozessen. So konnten Euro-Betriebsräte beim jeweiligen nationalen Arbeitsgericht die Verurteilung des Managements wegen Nichteinhaltung der Informationspflicht erreichen.

Allerdings: Die relativ niedrigen Geldstrafen kratzten die Unternehmensleitung kaum, die bereits getroffene Entscheidung der Direktion wurde nicht geändert. Bei Verletzung der Informationspflicht, so fordern die Gewerkschaften, müssten die getroffenen Entscheidungen für null und nichtig erklärt werden. Vor allem, was die Arbeitsverträge betrifft. Will etwa ein Multi einen Standort mit drei- oder viertausend Mitarbeitern schließen, ohne seine Informationspflicht zu erfüllen, käme ihm das recht teuer. Denn Kündigungen müssten bei dieser Form der Sanktion dann - zumindest während der Prozessdauer - wie aufrechte Dienstverhältnisse behandelt werden. Das schmerzt finanziell.

Ein wirksames Mittel gegen die Flucht aus dem Informationsrecht wäre zudem, zuwiderhandelnde Unternehmen von Subventionen und Förderungen auszuschließen.

»Kennzahlen« absenken!

Diskutieren wollen die Gewerkschaften auch über die so genannten Kennzahlen, ab denen ein Unternehmen der Richtlinie unterliegt. Derzeit liegen diese ja bei 1000 Mitarbeitern im gesamten EU- bzw. EWR-Raum, die in mindestens zwei Ländern 150 Arbeitnehmer beschäftigen. »Ein Schwellenwert, der nicht einsehbar ist«, meint Wolfgang Greif. »Gerade in Österreich gibt es auch grenzübergreifend sehr viele Konzerne mit einigen hundert Arbeitern, die in zwei Ländern tätig sind.« Die Forderung der Gewerkschaften: Diese Kennzahlen auf 500 Arbeitnehmer insgesamt, mit mindestens hundert Beschäftigten in zwei Ländern zu senken.

Eine Forderung, die - sollte sie durchgesetzt werden - mehr Arbeit für die Gewerkschaften bedeutet. Die Praxis hat gezeigt, dass schon jetzt viele Arbeitnehmervertreter die grenzübergreifende Arbeit scheuen. Fehlende Ressourcen und Zeitmangel sind zwei der vielen Gründe. Ein wesentlicher Punkt, der bei der Revision der Richtlinie zu berücksichtigen ist, ist demnach, die Stellung des Euro-Betriebsrates insgesamt zu stärken. Ohne mehr Freistellungen, Bildungsmöglichkeiten und Sprachkursen bleibt der Euro-Betriebsrat ein Papiertiger.

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Gabriele Müller (freie Journalistin in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1193756191416 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1193756191432 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Apr 2002 00:00:00 +0200 1193756191333 »Strategie von Lissabon« | Chancen und Voraussetzungen aus Arbeitnehmersicht Aus Arbeitnehmersicht besonders hervorzuheben ist, dass mit Lissabon endlich das Konzept der Vollbeschäftigung auf europäischer Ebene angesprochen wird. So bezeichnet die Europäische Kommission das Streben nach Vollbeschäftigung als »Herzstück der Lissabonner Strategie«. Dementsprechend wird erstmals seit ihrer Einführung in den »Grundzügen der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft 2000« die Rückkehr zur Vollbeschäftigung als Hauptziel der Wirtschafts- und Sozialpolitik definiert.

Was sind die besonderen Merkmale dieser Strategie? Warum wurde dieser ambitionierte Prozess in Gang gesetzt? Ist Lissabon die Weichenstellung für die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion zu einer Beschäftigungs- und Sozialunion, wie dies besonders von Arbeitnehmerseite seit Jahren mit Nachdruck eingefordert wird? Eine Studie der AK Wien versucht diese Fragen zu beantworten und die positiven und negativen Elemente der Strategie aus Arbeitnehmersicht zu bewerten.

Historische Ausgangslage

»Die Europäische Union ist mit einem Quantensprung konfrontiert, der aus der Globalisierung und den Herausforderungen einer neuen wissensbasierten Wirtschaft resultiert.« Dieser Satz in den Schlussfolgerungen von Lissabon umschreibt die Hauptantriebsfedern der Strategie. Gleichzeitig geht es darum, die bestehenden Defizite der sozio-ökonomischen Entwicklung zu beseitigen. Denn - so die Staats- und Regierungschefs in Lissabon - trotz der derzeit »besten makro-ökonomischen Perspektiven seit einer ganzen Generation« dürfen die Schwächen nicht übersehen werden:

  • Mehr als 15 Millionen Europäer sind nach wie vor arbeitslos.
  • Die Beschäftigungsrate ist zu niedrig und durch eine ungenügende Beteiligung von Frauen und älteren Arbeitskräften am Arbeitsmarkt gekennzeichnet.
  • In Teilen der Union bestehen eine strukturelle Langzeitarbeitslosigkeit und ausgeprägte regionale Unterschiede bei der Arbeitslosigkeit fort.
  • Der Dienstleistungssektor ist unterentwickelt, besonders im Telekommunikations- und im Internet-Bereich.
  • Qualifikationsdefizite nehmen zu, vor allem in der Informationstechnologie, wo immer mehr Stellen unbesetzt bleiben.

Vor diesem Hintergrund zielt die »Strategie von Lissabon« auf eine radikale Umgestaltung der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft bis zum Jahr 2010. Dabei geht es konkret um

  • den Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft;
  • mehr Wachstum durch geeigneten makro-ökonomischen Policy-Mix;
  • die Modernisierung des europäischen Gesellschaftsmodells.

Die Lissabonner Schlussfolgerungen sind geprägt von den damals noch euphorischen Erwartungen in Bezug auf die Herausbildung einer wissensbasierten Wirtschaft und die Bedeutung der digitalen Technologien. Diese würden aus Sicht der Kommission die Hauptantriebskraft für ein ausgeprägtes Wachstum in der Union in den nächsten Jahren sein. Mittlerweile ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Die jüngste Entwicklung in den USA, sowohl der realen Wirtschaft als auch - und insbesondere - der Finanzmärkte, demonstriert, dass die in eine vermeintlich »neue« Wirtschaft gesetzten Hoffnungen überzogen waren. Verschiedene Untersuchungen belegen zudem, dass die These von einem neuen Produktivitätsschub in den USA durch die technologische Dynamik der »New Economy« statistisch (noch) nicht belegbar ist. Ergänzende Bemühungen zur Förderung des Wirtschaftswachstums sind daher unumgänglich.

Besondere Merkmale der Strategie

Zur Umsetzung der anspruchsvollen Lissabon-Agenda bis 2010 haben die Staats- und Regierungschefs eine besondere »Konstruktion« entwickelt. So gibt es neben dem globalen strategischen Ziel, bis zum Jahr 2010 der dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt mit Vollbeschäftigung zu werden, eine Reihe von quantifizierten Zielen in verschiedenen Politikbereichen, die es ermöglichen, die Fortschritte auf diesem Weg zu bewerten. Die Gesamtbeschäftigungsquote soll bis 2010 auf 70%, die Frauenbeschäftigungsquote auf über 60%, die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer auf 50% erhöht werden. Vor allem Letztere ist eine sehr anspruchsvolle Zielvorgabe, derzeit haben gerade 38% dieser Altersgruppe einen Arbeitsplatz. Leider bleibt es nur bei diesen Zielindikatoren. Weitere quantifizierte Beschäftigungs- und Sozialziele, wie z. B. eine von der Kommission vorgeschlagene Arbeitslosenquote von 4% oder die Ausmerzung der Kinderarmut bis 2010 (Vorschlag der damaligen portugiesischen Präsidentschaft) wurden nicht übernommen. Festgeschrieben wurde hingegen eine durchschnittliche Wachstumsrate von 3 % zur Erreichung dieser Ziele.

Neben diesen quantifizierten Zielen sind es vor allem zwei institutionelle »Innovationen«, die bei dieser Konstruktion ins Auge fallen:

1. Wichtiges Ergebnis von Lissabon war die Festlegung auf einen jährlichen Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates über Wirtschafts- und Sozialfragen, auf dem jeweils die konkrete Umsetzung des Lissabonner Globalzieles überprüft und vorangetrieben werden soll. Der Europäische Rat von Stockholm im März 2001 war das erste diesbezügliche Frühjahrstreffen, das nächste wird in Barcelona stattfinden. Die Einführung einer jährlichen speziellen Frühjahrstagung des Europäischen Rates ist ein in der Geschichte der europäischen Integration einmaliger Vorgang. Der Europäische Rat - und damit die Staats- und Regierungschefs der Union - hat sich damit selbst enorm unter Erfolgszwang gesetzt. Das Lissabon-Follow-up konzentriert sich jedoch nicht nur auf die Frühjahrsgipfel, sondern wird auf allen Gipfeltreffen ein Thema sein.

2. In Lissabon wurde eine neue Methode europäischer Politikgestaltung, das so genannte »offene Koordinierungsverfahren«, eingeführt. Diese Methode hat durchaus den Charakter einer »institutionellen Innovation«, weil sie eine gemeinsame Vorgangsweise in Politikfeldern ermöglicht, in denen die Kompetenz rechtlich bei den einzelnen Mitgliedstaaten liegt. Statt Vergemeinschaftung weiterer Politikfelder soll ein koordinierter Wettbewerb im Sinne eines Lernprozesses auf europäischer Ebene gemeinsame Zielvorgaben umsetzen.

Bewertung aus AK-Sicht

In den Schlussfolgerungen von Lissabon findet sich der bemerkenswerte Satz: »Die Menschen sind Europas wichtigstes Gut und müssen im Zentrum der Politik der Union stehen.« Wenn dieser Satz ernst gemeint ist, müsste mit Lissabon eine Weichenstellung in Richtung einer Beschäftigungs- und Sozialunion eingeleitet worden sein und damit auch eine weitgehende Änderung in der wirtschaftspolitischen Grundausrichtung der Europäischen Union. Ein in dieser Deutlichkeit noch nie abgegebenes Bekenntnis der Staats- und Regierungschefs zu einer Politik der Vollbeschäftigung hat diesbezüglich berechtigte Hoffnung aufkeimen lassen.

Als zentrale Schlussfolgerung unserer Analyse ausgewählter Politikbereiche kann festgehalten werden, dass diese Weichenstellung noch nicht manifest ist. Dies lässt sich konkret anhand folgender Entwicklungen darstellen:

Keine Verzahnung von europäischer Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik

Auch nach Lissabon ist eine institutionelle Gleichwertigkeit von Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik auf europäischer Ebene nicht in Sicht. Die Dominanz der Wirtschafts- und Währungspolitik über andere Politikbereiche ist ungebrochen. Dies zeigt sich

  • am strikten Festhalten an Stabilitätszielen in der makro-ökonomischen Politik der Union;
  • an der mangelhaften inhaltlichen und zeitlichen Synchronisierung zwischen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik auf europäischer Ebene;
  • am Außerachtlassen verteilungspolitischer Zusammenhänge bei der Konzeption von Wirtschafts-, Währungs-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik.

Die beiden derzeit wichtigsten Koordinierungsprozesse auf europäischer Ebene - die wirtschaftspolitische Koordinierung im Rahmen der Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Koordinierung der nationalen Beschäftigungspolitiken im Rahmen der europäischen Beschäftigungsstrategie - sind sowohl zeitlich als auch inhaltlich nicht gleichgewichtig miteinander abgestimmt. Gemäß EG-Vertrag müssen die beschäftigungspolitischen Leitlinien mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik im Einklang stehen und nicht umgekehrt. Diese werden in der Regel Mitte Juni vom Europäischen Rat genehmigt und geben somit den Arbeits- und Sozialministern die Richtung vor (die beschäftigungspolitischen Leitlinien und der gemeinsame Beschäftigungsbericht werden vom Europäischen Rat im Dezember angenommen).

Wir fordern daher eine inhaltliche und zeitliche Synchronisierung beider Koordinierungsprozesse. Konkret: Beide Koordinierungsprozesse sollten gleichgewichtig abgestimmt und jeweils am Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates politisch abgesegnet werden. Gleichzeitig sind die europäischen Sozialpartner stärker einzubinden. Hier gibt es eine interessante Entwicklung: Der EGB, UNICE und CEEP haben im November 2001 vorgeschlagen, den ständigen Ausschuss für Beschäftigungsfragen durch einen Dreier-Konzertierungsausschuss für Wachstum und Beschäftigung zu ersetzen. Dieser soll zukünftig als Forum zwischen den Sozialpartnern und den öffentlichen Behörden für die in Lissabon definierte europäische Wachstums- und Beschäftigungsstrategie fungieren. Zukünftig wird es auch vor jeder Frühjahrstagung des Europäischen Rates einen Sozialpartner-Gipfel geben.

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschaftsentwicklung wird sichtbar, wie sehr sich die Politik wichtiger Handlungsfelder begeben hat. Die in drei Schritten erfolgte Verschärfung der fiskalischen Disziplin für die nationale Budgetpolitik (Konvergenzkriterien, Stabilitäts- und Wachstumspakt, Vorgaben hinsichtlich der Budgetstrukturen) zeigt ihre Wirkung. Tatenlos sehen die Wirtschafts- und Finanzminister der steigenden Arbeitslosigkeit in den Mitgliedstaaten zu, den Arbeits- und Sozialministern sind wegen der ihnen auferlegten budgetären Fesseln die Hände gebunden - Beschäftigungspolitik wird nicht als Aufgabe der Gestaltung von Wirtschafts-, Währungs- und Budgetpolitik begriffen, sondern vorrangig als Frage der Strukturen auf dem Arbeitsmarkt. Bei der notwendigen Modernisierung der Systeme der sozialen Sicherheit - von der Versorgung im Krankheitsfall über die Altersversorgung bis hin zur Armutsbekämpfung - steht nicht die Frage der Leistungsfähigkeit dieser Systeme im Vordergrund, sondern die Eindämmung der Kosten für die öffentlichen Haushalte.

Vollbeschäftigung erfordert Neukonzeption der makro-ökonomischen Politik

Zunächst ist positiv festzuhalten, dass das Ziel der Vollbeschäftigung nunmehr auch in den Grundzügen der Wirtschaftspolitik - dem Kerndokument europäischer Politik im Rahmen der Lissabon-Strategie - verankert ist.

Allerdings teilen wir nicht das dahinterliegende Konzept, das tendenziell auf niedrigere Löhne, erhöhte Unsicherheit und Risiken und eine Verringerung sozialer Schutzmaßnahmen abzielt. Der europäische Weg zur Vollbeschäftigung muss mit angemessenen Löhnen, sozialer Sicherheit und hohen arbeitsrechtlichen Standards verbunden sein.

Wir halten es daher unter anderem für notwendig, über den Sozialen Dialog eine europäische Mindestlohnpolitik zu etablieren. Wie die Analyse der »Grundzüge« zeigt, hat die Rückkehr zum Ziel der Vollbeschäftigung bislang noch zu keiner Änderung der wirtschaftspolitischen Grundausrichtung geführt. Nach wie vor wird auf ein angebotsorientiertes Wirtschaftsmodell gesetzt, das schon bisher nicht in der Lage war, die eingangs skizzierten Defizite in der sozio-ökonomischen Entwicklung abzubauen.

Notwendig ist daher eine Neukonzeption der makro-ökonomischen Politik, die eine kooperative Geldpolitik und eine expansivere Ausrichtung der Fiskalpolitik mit dem Ziel zulässt, die Arbeitslosigkeit wirkungsvoll zu bekämpfen. Eine entsprechende Reinterpretation des Stabilitäts- und Wachstumspaktes soll die bugdetpolitischen Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten erweitern.

Mangelhafte Verbindlichkeit der europäischen Beschäftigungspolitik

Seit dem Vertrag von Amsterdam steht der Union ein rechtlich geregeltes Verfahren zur Verfügung, das auf die Entwicklung einer abgestimmten Beschäftigungsstrategie zielt. Dieser Prozess ist im Wesentlichen erfolgreich, problematisch ist aber seine mangelhafte Verbindlichkeit. Das einzige Druckmittel in Richtung tatsächlicher Beachtung beschäftigungspolitischer Zielsetzungen ist die jährliche Veröffentlichung so genannter »beschäftigungspolitischer Empfehlungen der Europäischen Union« an ihre Mitgliedstaaten.

Wir gehen nicht so weit, ein undifferenziertes Sanktionsinstrumentarium zu verlangen, wie es im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegt wurde. Denkbar wäre aber, dass bei nachhaltigem Verfehlen der quantitativen Ziele in den beschäftigungspolitischen Leitlinien das zwischen dem betroffenen Mitgliedsland und der Kommission vereinbarte Programm des Europäischen Sozialfonds (ESF) so verändert wird, dass die Finanzmittel des ESF vorrangig zur Finanzierung von Maßnahmen eingesetzt werden, die notwendig sind, um die erkannten Defizite in der aktiven Arbeitsmarktpolitik des Mitgliedstaates zu beseitigen.

Alterssicherung vor neoliberalem Hintergrund

Lissabon leitet auch eine neue Ära in der Alterssicherung ein. Die Bewältigung der demographischen Herausforderung ist zu einem europäischen Thema geworden. Dabei besonders begrüßenswert ist, dass in der Lissabon-Strategie der enge Zusammenhang zwischen Erwerbsbeteiligung und Alterssicherung betont wird. Bei näherer Analyse der Dokumente und Diskussionen zeigt sich jedoch, dass diese Diskussion oftmals von einer neoliberalen Ideologie überlagert wird, die unter dem Titel finanzielle Sicherung der Zukunftsfähigkeit der Pensionssysteme zu einer Zurückdrängung sozialer Zielsetzungen führen kann.

Dieser neoliberale Hintergrund zeigt sich insbesondere in folgenden Entwicklungen:

1. Die in vielen Staaten existente niedrige Erwerbsbeteiligung wird in den einschlägigen Dokumenten fast ausschließlich auf individuelle Unzulänglichkeiten der Betroffenen (mangelnde »employability«) und/ oder auf vermeintlich nicht gegebene Anreize in den sozialen Sicherungssystemen für einen längeren Verbleib im Erwerbsleben zurückgeführt. Die Erfahrungen vor allem älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt widersprechen dieser Argumentation, die letztlich auf Sozialabbau abzielt.

Die Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze, eine generelle Änderung der negativen Einstellung gegenüber älteren Arbeitnehmern und natürlich auch die Sicherung der Leistungskraft der Beschäftigten sind aus unserer Sicht die erforderlichen beschäftigungspolitischen Antworten zur langfristigen Alterssicherung.

2. Die undifferenzierte Forderung nach einem Ausbau der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge wird von uns ebenfalls kritisch hinterfragt. Eine wertfreie Nebeneinanderstellung der drei so genannten »Säulen« der Alterssicherung übersieht, dass es zwischen öffentlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge massive quantitative und qualitative Unterschiede gibt (so gibt es z. B. in Betriebspensionssystemen keine sozialen Ausgleichsmechanismen wie die Anrechnung von Kindererziehungszeiten, von Zeiten der Arbeitslosigkeit). Zudem zeigt die Börsenentwicklung, dass eine massive Verlagerung von umlagefinanzierter zu kapitalgedeckter Altersversorgung auch zu keinem Mehr an Sicherheit führt, wie das bisher vielfach behauptet wird.

Wir halten daran fest, dass ein öffentliches Sicherungssystem nach wie vor am ehesten den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden kann. Betriebspensionen und Privatvorsorge sind eine sinnvolle Ergänzung, aber kein vollwertiger Ersatz für eine gesetzliche Alterssicherung.

Ausblick

Der diesjährige Frühjahrsgipfel des Europäischen Rates in Barcelona (März 2002) hat erneut anschaulich dokumentiert, welche große Bedeutung der Europäische Rat der Lissabon-Strategie beimisst. Gleichzeitig zeigte sich nach den euphorischen Gipfeltreffen in Lissabon und Stockholm jedoch erstmals eine gewisse Ernüchterung in Bezug auf die Erreichung des neuen strategischen Ziels.

Die Union steht jedenfalls noch vor großen Anstrengungen, will sie glaubhaft an der Umsetzung der Lissabonner Zielvorgaben festhalten. Ohne hier im Detail auf die Ergebnisse des Gipfels von Barcelona eingehen zu können, ist festzuhalten, dass eine Änderung der wirtschaftspolitischen Grundausrichtung nach wie vor nicht in Sicht ist. Auch in den nächsten Jahren wird der Druck auf die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte anhalten. In Barcelona wurde festgeschrieben, dass die Mitgliedstaaten spätestens im Jahr 2004 einen nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalt erreichen sollen.

Das bedeutet eine Fortsetzung der restriktiven Budgetpolitik, die aus unserer Sicht eine Schwächung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage nach sich zieht und damit die Lissabonner Zielvorgaben gefährdet. Positiv ist der Beschluss, die Zeitpläne für die Festlegung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik und des jährlichen Beschäftigungspakets so bald wie möglich zu synchronisieren, allerdings bleibt der Vorrang der Wirtschaftspolitik weiterhin unangetastet.

Gleichzeitig hat der Europäische Rat erneut die Vollbeschäftigung als Kernstück der Lissabonner Strategie und Hauptziel der Wirtschafts- und Sozialpolitik bestätigt. Es wurden auch neue quantifizierte Zielsetzungen für 2010 vereinbart, u. a. die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die Erkenntnis, dass das hehre Ziel der Vollbeschäftigung eine Neukonzeption der makro-ökonomischen Politik, die der Beschäftigung eine zentrale Rolle einräumt, erfordert, ist jedenfalls auf Ebene des Europäischen Rates noch nicht mehrheitsfähig.

Es bleibt zu hoffen, dass der bereits aktiv gewordene Konvent zur Vorbereitung der nächsten Regierungskonferenz diese Thematik aufgreift und sich für eine Weiterentwicklung der Union zu einer Beschäftigungs- und Sozialunion ausspricht.

Die Studie »Strategie von Lissabon« kann bestellt werden unter: gernot.mitter@akwien.or.at oder
norbert.templ@akwien.or.at

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Norbert Templ (Mitarbeiter der Abteilung Außenwirtschaft und Integration in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Apr 2002 00:00:00 +0200 1193756190741 Wer soll durch die Steuerreform 2003 entlastet werden? 1) einen historischen Höchststand erreicht. Die Budgetkonsolidierung wurde von der Bundesregierung entgegen anders lautenden Darstellungen vor allem einnahmenseitig vorangetrieben, wobei es massive Steuererhöhungen für Lohnsteuerzahler wie auch für Unternehmer gab. Weiters wurden zahlreiche indirekte Steuern (z. B. motorbezogene Versicherungssteuer, Elektrizitätsabgabe, Tabaksteuer) erhöht. Im Vorfeld der Steuerreform 2003 setzt nun der Wettlauf der Interessen-gruppen um die in Aussicht gestellte (und gleichzeitig wieder dementierte) Entlastung ein.]]> Die große Frage ist: Wer soll - wenn überhaupt - vorrangig steuerlich entlastet werden. Für eine objektive Beantwortung dieser Frage sind mehrere Informationen nötig. Ein besonders wichtiger Aspekt dabei ist sicher die Aufkommensentwicklung der Steuern für Arbeit und Kapital in den letzten Jahren.

Betrachten wir zunächst die nüchternen Aufkommenszahlen der für die politische Diskussion relevanten Steuern (siehe Tabelle 1 »Aufkommen verschiedener Steuern«).

Tabelle 1

AUFKOMMEN VERSCHIEDENER STEUERN
(in Milliarden Schilling)
1999
Erfolg
2000
Erfolg
2001
BVA
2002
BVA

Steigerung
1999/2002
in %

Lohnsteuer 203,0 199,1 222,0 235,0 18,0
Einkommensteuer 39,8 38,8 44,0 46,0 15,5
Körperschaftsteuer 44,7 53,2 62,0 65,5 46,5

Für die Jahre 2001 und 2002 sind in obiger Statistik die Werte des Bundesvoranschlages (BVA) ausgewiesen; von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang aber nicht die Budgetzahlen, sondern die mittlerweile vorliegenden tatsächlichen Aufkommenszahlen (Abgabenerfolg 2001, siehe Tabelle 2).

Tabelle 2

VORLÄUFIGER ABGABEN- ERFOLG I-XII 2001
(in Milliarden Schilling)
2000 2001 Steigerung
in %
Lohnsteuer 199,1 215,6 8,3
Einkommensteuer 38,8 54,8 41,4
Körperschaftsteuer 53,2 85,8 61,3

Forderungen der Unternehmer

Wir sehen dramatische Zuwächse im Bereich der Gewinnsteuern (veranlagte Einkommensteuer und Körperschaftsteuer), was die Interessenvertretungen der Unternehmer beflügelt, folgende Forderungen zu stellen:

  • Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf mindestens 31%
  • Steuersatz für nicht entnommene Gewinne auf 25%
  • Lohnnebenkostensenkung im Umfang von mindestens 1,45 Milliarden Euro (20 Milliarden S).

Forderungen der Arbeitnehmervertreter

Die Arbeitnehmervertreter wollen demgegenüber natürlich eine Lohnsteuersenkung, und wie es aussieht, haben sie angesichts der vorliegenden Zahlen die schlechteren Karten in der Argumentation. Doch analysieren wir die Zahlen genauer:

Das Lohnsteuermehraufkommen ist von 2000 auf 2001 um 8,3% oder um etwa 1,205 Milliarden Euro (16,5 Milliarden S) gestiegen, und diese Steigerung erklärt sich dem Wesen nach durch zwei Komponenten:

Steuererhöhungseffekte durch das Budgetbegleitgesetz 2000

Hier sind vor allem Tariferhöhungen durch die Abschleifung des allgemeinen Absetzbetrages und des Pensionistenabsetzbetrages bzw. die Halbierung des Arbeitnehmerabsetzbetrages (etwa 292 Millionen Euro oder 4 Milliarden S) zu nennen, wie auch Effekte der Höherbesteuerung von Zahlungen aus Anlass der Beendigung des Dienstverhältnisses (etwa 329 Millionen Euro oder 4,5 Milliarden S), wie z. B. Urlaubsersatzleistung, Kündigungsentschädigungen, Zahlungen aus Anlass der Insolvenz des Unternehmens, Vergleichssummen usw. Weiters lässt die Besteuerung der Unfallrenten die Kassen klingeln.

Normale Progressionseffekte

Bedingt durch die Lohn- und Gehaltssteigerungen steigt auch die Lohnsteuer. Aufgrund der Progressivität der Lohnsteuer wächst das Steueraufkommen ungefähr 1,7-mal so rasch wie die Bemessungsgrundlage.

Das Steuermehraufkommen bei den Gewinnsteuern erklärt sich dem Wesen nach durch drei Komponenten:

1. Steuererhöhungseffekte durch das Budgetbegleitgesetz 2000:

Als wichtigste Maßnahmen sind hier zu nennen:

  • Entfall des Investitionsfreibetrages: rund 435 Millionen Euro (6 Milliarden S)
  • Beschränkung des Verlustvortrages: rund 180 Millionen Euro (2,5 Milliarden S).
  • Verlängerung von Abschreibungsdauern: rund 180 Millionen Euro (2,5 Milliarden S)
  • Einschränkungen von Rückstellungen: rund 218 Millionen Euro (3 Milliarden S)
)

2. Normale Progressionseffekte

3. Steuervorauszahlungserhöhungen aufgrund gesetzlicher Vorauszahlungserhöhungen und Vorzieheffekte aufgrund der neu eingeführten Verzinsung der Steuerschulden bei Einkommensteuer und Körperschaftsteuer ab dem Entstehungsjahr.

Betrachtet man die Größenordnung der steuerlichen Mehrergebnisse bei den Gewinnsteuern und unterstellt man, dass es in den letzten Jahren keine Gewinnexplosion gegeben hat, dann muss der größte Teil des Steuermehraufkommens durch diese Vorzieheffekte erklärt werden. Insgesamt wird es sich dabei um ein Volumen von rund 1,825 Milliarden Euro (25 Milliarden S) handeln.

Es hat sich die langjährige Argumentation der AK nunmehr bestätigt, dass Unternehmen aus taktischen Gründen die Abgabe von Steuererklärungen verzögern und damit Zinsvorteile zu lukrieren versuchen. Was überrascht, ist nur das Potential an Steuern, das mit der simplen Maßnahme der Verzinsung der Steuerschulden vom Entstehungsjahr an, bewegt werden konnte. Allerdings muss klar dazu gesagt werden, dass es sich hier nicht um dauerhafte Mehreinnahmen handelt, sondern eben um Vorzieheffekte, die das Steuerniveau in den Folgejahren entsprechend geringer ausfallen lassen werden.

Die Steuererhöhungen im Bereich der Lohnsteuer sind hingegen zur Gänze dauerhaft und können sinnvollerweise nur mit dauerhaften Erhöhungen im Unternehmerbereich verglichen werden. Die dauerhaften Steuererhöhungen werden ungefähr dort liegen, wo sie nach den Zahlen des Bundesvoranschlages (BVA) 2002 zu liegen kommen.

Aus dieser Erkenntnis erhält man aber noch keine vernünftige Handlungsanleitung für die Frage, wo eine Steuerreform 2003 anzusetzen hat und wo die Entlastungsschwerpunkte liegen sollen. Aus der Aufkommensentwicklung verschiedener Steuern kann man noch keinen Schluss ziehen, zu welchem Prozentsatz die Lohnsumme oder die Gewinnsumme mit Steuern belastet ist und wie Österreich damit im internationalen Vergleich liegt. Wir wollen in der Folge versuchen, objektive Entscheidungsgrundlagen für eine solche Fragestellung aufzubereiten.

Steuerquoten

Um die Steuerbelastung der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital zu ermitteln und einen internationalen Vergleich anstellen zu können, werden von verschiedensten Institutionen Steuerquoten berechnet. Solche Steuerbelastungsquoten folgen den unterschiedlichsten Konzepten und führen zu den unterschiedlichsten Ergebnissen. Je nachdem, welches Konzept man wählt, kann man damit trefflich Demagogie betreiben. Wir wollen hier nicht Munition für die kommende interessenpolitische Auseinandersetzung aufbereiten, sondern einen Einblick in die Schwierigkeiten der Ermittlung solcher Quoten geben und anhand des Vergleichs unterschiedlicher Konzepte eine möglichst objektive Einsicht in die tatsächlichen Steuerbelastungsrelationen geben. Gehen wir zunächst von einem traditionellen Ansatz aus2), wie er jüngst von der OECD weitergeführt wurde3) (siehe Tabelle 3 »Steuerquoten«).

Tabelle 3

STEUERQUOTEN
Steuerquoten des Faktors Arbeit in %
1980-85 1986-90 1991-97
USA 25,3 25,9 26,7
Österreich 44,1 44,7 47,3
Deutschland 38,6 40,6 41,4
Frankreich 42,6 45,6 47,2
Italien 37,7 42,2 47,3
Großbritannien 27,5 25,2 23,7
Niederlande 48,5 49,3 50,5

Vergleicht man die Steuerbelastung des Kapitals von Österreich mit jener der USA, so überrascht, dass diese in den USA fast doppelt so hoch ist, obwohl die Vereinigten Staaten insgesamt eine deutlich niedrigere Abgabenquote haben als Österreich. Auch im Vergleich zu anderen europäischen Staaten ist in Österreich die Steuerquote des Kapitals vergleichsweise niedrig, wenn auch die Unterschiede nicht so krass ausfallen.

Spiegelbildlich verkehrt dazu ist im Vergleich zu den USA die Steuerquote der Lohnsumme; der sehr niedrige Wert der USA lässt sich dem Wesen nach auf den niedrigen Ausbau des Sozialversicherungswesens und damit der Sozialversicherungsbeiträge zurückführen. Aber auch im Vergleich der hier ausgewählten europäischen Länder ergibt sich eine relativ hohe Belastung der Lohnsumme in Österreich. Was die Steuerbelastung des Konsums betrifft, so liegt Österreich in dieser Länderauswahl an der Spitze, würde man alle EU-Staaten berücksichtigen, so käme Österreich im oberen Drittel zu liegen. Ein Problem dabei ist, dass der Abstand zwi- schen unseren Haupthandelspartnern Deutschland und Italien relativ deutlich ausfällt. Der markante Abstand aller europäischer Staaten zu den USA lässt sich darauf zurückführen, dass die europäischen Länder das Mehrwertsteuersystem kennen und die USA nur regionale Sales Taxes. Sales Taxes ohne Vorsteuerabzug wirken kumulativ in der Handelskette und lassen praktisch nur geringe Steuerniveaus zu, das Mehrwertsteuersystem lässt hohe Steuerniveaus zu, da es kaum ökonomische Verzerrungen produziert.

Um zu zeigen, wie sehr die Ergebnisse von den statistischen Definitionen und Quotenkonzepten abhängig sind, präsentieren wir noch eine Graphik der Steuerbelastungsquoten des Kapitals wie sie jüngst von der OECD veröffentlicht wurde4): (siehe Grafik »Steuerquoten des Faktors Kapital in Prozent«).

Für Österreich werden zwei verschiedene statistische Konzepte angewendet (Österreich und Österreich alt.), die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, aber Österreich in jedem Fall nicht als Hochsteuerland für Kapital präsentieren.5)

Steuerquoten des Faktors Kapital sind insoweit wenig aussagekräftig, als die Besteuerung der Kapitalerträge vermengt mit Unternehmensgewinnen dargestellt sind. In Europa sind die Besteuerungsregime für Kapitalerträge und Unternehmensgewinne sehr unterschiedlich, sodass es auch von Interesse ist, die Steuerbelastung der Unternehmen und hier wiederum im Besonderen die der Kapitalgesellschaften getrennt darzustellen.

In der zuletzt zitierten Studie wird die Steuerquote der Einkommen der Kapitalgesellschaften wie folgt ausgewiesen: (siehe Grafik »Steuerquoten des Einkommens der Kapitalgesellschaften in Prozent«).

Diese Quotenberechnung folgt nachstehendem Konzept:

Nach einem solchen Konzept weist Österreich den niedrigsten Wert der ausgewählten und vom Entwicklungsniveau vergleichbaren europäischen Staaten aus. Dadurch, dass es keine verlässliche Zeitreihe für die Einkommen der Einzelunternehmer und Personengesellschaften in Österreich gibt, setzt die OECD diesen Wert hier auf 0, wodurch der Nenner größer wird und damit im internationalen Vergleich eine geringere Quote ausgewiesen wird.

Es gibt zahlreiche weitere Analysen, die sich mit Steuerquoten der Unternehmensgewinne und Kapitaleinkommen beschäftigen.7) All diese Studien haben bei aller Verschiedenheit der Konzepte im Detail eines gemeinsam: Eine besonders hohe Steuerbelastung des Kapitals und der Unternehmensgewinne wird für Österreich im internationalen Vergleich nirgends ausgewiesen. Dies steht in einem auffälligen Gegensatz zum ständigen Klagelied der Interessenvertretungen der Unternehmer.

Betrachten wir noch in Gegenüberstellung der Steuerquoten für Kapital die Steuerquoten für Arbeit: (siehe Grafik »Steuerquoten des Faktors Arbeit in Prozent«).

Die Berechnung der Steuerquoten des Faktors Arbeit geschieht nach folgendem Konzept:

Körperschaftsteuer + Vermögensteuern von Körperschaften

Net Operating Surplus6) - Einkommen der Einzelunternehmer und Personengesellschaften
Anteil der auf Arbeitnehmer entfallenden Einkommensteuer + Sozialversicherungsbeiträge der Dienstgeber und Dienstnehmer, Lohnsummensteuern

Bruttoentgelte für unselbständige Arbeit + Lohnsummensteuern

Österreich liegt demnach zwar nicht an der Spitze in Europa (Italien, Belgien und die Niederlande haben noch höhere Belastungswerte der Lohnsumme), aber doch im oberen Feld. Es fällt auch auf, dass das absolute Niveau der Quoten deutlich höher ist als das der Kapitalbesteuerung.

Welche Rückschlüsse können nun aus der bisherigen Analyse gewonnen werden?

  • Die Belastung des Produktionsfaktors Arbeit ist in Österreich signifikant höher als die Belastung des Produktionsfaktors Kapital.
  • Im internationalen Vergleich ist die Belastung des Faktors Kapital in Österreich relativ gering, die Belastung des Faktors Arbeit relativ hoch, wobei das Ausmaß des Unterschiedes vom gewählten statistischen Konzept abhängt.
  • Unabhängig vom statistischen Konzept lässt sich feststellen, dass die Niveauunterschiede zwischen der Besteuerung des Kapitals und der Arbeit in Österreich besonders ausgeprägt sind.

Dieser Befund ist ökonomisch nicht irrelevant, sondern er bedeutet, dass das bestehende Abgabensystem dem Kapital gegenüber der Arbeit einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Dieser Wettbewerbsvorteil besteht zwar in den meisten europäischen Staaten, er ist in Österreich aber besonders ausgeprägt. Wenn also die Steuerreform 2003 von rationalen Überlegungen geleitet wird (das werden Steuerreformen nicht immer), dann müsste die grundlegende Entscheidung lauten: Nicht die Gewinnsteuern müssten vorrangig gesenkt werden, sondern die Arbeit müsste vorrangig steuerlich entlastet werden. Damit würde man sich auch in Einklang mit den steuerpolitischen Vorstellungen der Europäischen Kommission und des Europäischen Rates befinden.8) Ist dieser Grundsatz einmal akzeptiert, dann freilich stellt sich die nächste spannende politische Frage: »Sollen die Dienstgeberabgaben (Lohnnebenkosten) vorrangig gesenkt werden oder die Dienstnehmerabgaben?«

Tabelle 4

RELATIVE LOHNSTÜCKKOSTENENTWICKLUNG
1997 1998 1999 2000 2001 2002*)
gegenüber Handelspartnern 100 99,1 96,6 91,0 90,6 90,8
gegenüber Deutschland 100 100,4 100,3 97,9 97,8 97,8

*) Prognose: WIFO, Quelle: WIFO

Von der Wirtschaft wird dabei immer ins Treffen geführt, dass die hohe Lohnnebenkostenbelastung die internationale Wettbewerbsfähigkeit Österreichs beeinträchtigt und deshalb vorrangig die Lohnnebenkosten gesenkt werden müssen. Relevant für den internationalen Wettbewerb sind aber nicht die Lohnnebenkosten, sondern die Lohnkosten insgesamt und hier wiederum die Lohnstückkosten in Relation zu unseren Handelspartnern. Betrachten wir deshalb zum Abschluss die Entwicklung der relativen Lohnstückkosten in Österreich (siehe Tabelle 4 »Lohnstückkostenentwicklung«). Wir sehen eine Verbesserung der Kostenposition Österreichs gegenüber allen Handelspartnern um fast 10 Prozentpunkte in nur 5 Jahren. Das jedenfalls ist kein zwingender ökonomischer Beleg dafür, dass man bei der Senkung von lohnabhängigen Abgaben bei den Dienstgeberabgaben beginnen müsste. Die Dienstnehmerabgaben und hier wiederum die Lohnsteuer sind wesentlich stärker gestiegen als die Dienstgeberabgaben, weshalb wir glauben, dass die Steuerreform 2003 schwerpunktmäßig eine Lohnsteuersenkung zum Gegenstand haben sollte.

1) Nach der OECD-Definition unter Einbeziehung von imputierten Pensionsbeiträgen für Beamte sogar 47,7%.

2) E. G. Mendoza, A. Razin, L. L. Tesar, Effective Tax Rates in Macroeconomics, NBER Working Paper No. 4864, September 1994.

3) D. Carey, H. Tchilinguirian, Average Effective Tax Rates on Capital, Labour and Consumption, OECD - Economics Department Working Papers No. 258, Paris 2000.

4) OECD, Tax Policy Studies No. 5, Tax Ratios - a Critical Survey, Paris 2001.

5) Die Abteilung Steuerpolitik der Arbeiterkammer Wien präsentiert demnächst eine Studie, aus der die verschiedenen statistischen Konzeptionen im Detail ersichtlich sein werden.

6) Der Net Operating Surplus ist ein international genormter Begriff der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung; er stellt eine Residualgröße dar, die annähernd als Maß für Unternehmensgewinne und Kapitalerträge herangezogen werden kann.

7) ZB: OECD, Taxing Profits in a Global Economy, Paris 1991; European Commission, Effective taxation and tax convergence in the EU and the OECD, Background paper - Note for the Economic and Policy Committee, Brussels, Dec. 1997.

8) Vgl. Beschlussfassungen von Feira oder Deklaration von Essen.

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Otto Farny (Leiter der Abteilung Steuerpolitik in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1193756190670 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1193756190679 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1193756190699 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Apr 2002 00:00:00 +0200 1193756190506 Kampfansage! | Stopp dem Sozial- und Steuerbetrug durch »schwarze Schafe« unter den Unternehmern Dass diese ungesetzlichen Praktiken auch von österreichischen Unternehmen angewendet werden, wird vom ÖGB schon lange Zeit kritisiert. Bisher wurde jedoch immer versucht, das Problem zu verniedlichen, in dem behauptet wurde, dass es sich bei Firmen, die derartige Praktiken anwenden, nur um einzelne »schwarze Schafe« handelt. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass durch Kontrollen österreichischer Behörden nur sehr selten Verstöße im großen Ausmaß festgestellt wurden. Wie sich jetzt zeigt, liegt es aber nicht daran, dass es die systematische illegale Beschäftigung in Österreich nicht gibt, sondern daran, dass den Kontrollbehörden in Österreich die entsprechenden Kompetenzen und Ausstattung fehlen. Darüber hinaus sind die Strafen für Unternehmen, denen illegale Beschäftigung nachgewiesen wird, im Vergleich zu den Vorteilen, die sie sich über Jahre verschaffen, lächerlich gering.

Einerseits die ungenügende Gesetzeslage, die es den Schwarzunternehmern ermöglicht, die Strafen aus der »Portokasse« zu bezahlen, und andererseits das fehlende Personal seien für derartige Zustände verantwortlich. Josef Macek, Wiener Landessekretär der Gewerkschaft Metall - Textil, bringt es auf den Punkt: »In Bayern, das von der Größe her mit Österreich vergleichbar ist, gibt es 450 Beamte zur Kontrolle der Schwarzarbeit, für ganz Österreich haben wir 35.«

Nur die Spitze des Eisberges

Durch den internationalen Skandal ist es weder der Wirtschaftskammer noch der Bundesregierung länger möglich, das Problem des Schwarzunternehmertums zu bagatellisieren. Handlungsbedarf ist dringend gegeben, denn der Frächterskandal ist nur die Spitze des Eisberges. Illegale Praktiken beschränken sich nicht nur auf das Transportwesen, sondern sind auch in vielen anderen Bereichen gang und gäbe.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz, Johann Driemer, macht schon seit Jahren darauf aufmerksam, dass in der Baubranche durch die Weitergabe von Bauaufträgen an Subunternehmer und darüber hinaus an Subsubunternehmer ein zunehmender Druck entsteht, Lohn- und sonstige Arbeitsbedingungen zu unterlaufen und Arbeitnehmer illegal zu beschäftigen. Tatsächlich geht es darum, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Sozial- und Lohnansprüche sicherzustellen und gegen das Schwarzunternehmertum aufzutreten. Es ist paradox, dass überall in Europa Schwarzunternehmertum zu den strafrechtlichen Tatbeständen zählt, während es in Österreich immer noch ein Kavaliersdelikt ist.

Gewerkschafter aus dem Gastgewerbe wissen zu berichten, dass Bedienstete, die mit ihrem tatsächlichen Lohn angemeldet sein wollen, nicht aufgenommen werden, Sozialversicherungsabgaben traditionell in vielen Betrieben nur vom KV-Lohn bezahlt werden und etwaige höhere Forderungen der Arbeitnehmer unter der Hand ausgezahlt werden.

»Die Palette ist sehr weitreichend. Es geht von organisierter illegaler Beschäftigung bis hin zu Schwarzgeldzahlungen«, erläutert Rudolf Kaske, Vorsitzender der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst.

Sozial- und Steuerbetrug

Bei allen diesen Beispielen geht es um Menschen, die um ihre Rechte geprellt werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wird Lohn vorenthalten und sie werden entweder gar nicht oder in einem nicht ausreichenden Ausmaß sozialversichert. Diese Machenschaften sind aber auch ein Betrug an den Krankenkassen, der Sozialversicherung und der Steuer. Das sind keine Kavaliersdelikte, denn dadurch entsteht der österreichischen Volkswirtschaft ein Schaden von mehreren Milliarden Euro pro Jahr.

Die Hauptgeschädigten sind einerseits die betroffenen Arbeitnehmer, die nur dann ein Einkommen erzielen können, wenn sie diese Bedingungen akzeptieren, andererseits alle seriösen Unternehmen, die sich an die gesetzlichen Bestimmungen halten. Denn die »schwarzen Schafe« unter den Mitbewerbern verschaffen sich einen unerlaubten Wettbewerbsvorteil, indem sie Steuern und Sozialabgaben hinterziehen.

Regierung blockiert Gesetz

Obwohl Steuern hinterzogen werden, den Krankenkassen Abgaben vorenthalten werden und seriöse Unternehmer durch diese Praktiken unter Druck geraten, wurde der schon 1999 unter der Federführung der damaligen Sozialministerin Lore Hostasch eingebrachte Gesetzent-wurf zur Bekämpfung des Schwarzunternehmertums bisher nicht umgesetzt, weil eine Beschlussfassung damals von der ÖVP verhindert wurde. Auch die neuerlich am 26. Jänner 2000 eingebrachte Gesetzesvorlage im Nationalrat liegt vorerst auf Eis. Sie wurde zwar dem zuständigen Sozialausschuss zugeleitet und auch ein eigener Unterausschuss dafür eingerichtet, seit Juni 2000 weigern sich aber die derzeitigen Regierungsparteien, den Antrag zu behandeln. »Angesichts des Skandals um illegale Beschäftigung ist ein schnellstmöglicher Gesetzesbeschluss aber notwendig, um Steuerhinterziehung und Sozialbetrug wirksam bekämpfen zu können«, fordert ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch.

Die Forderungen von ÖGB, Gewerkschaften und AK

ÖGB, Gewerkschaften und AK fordern die Verabschiedung des Gesetzes zur Bekämpfung von Schwarzunternehmertum. Kernpunkte sind:

  • Konzentration der unterschiedlichen Kontrollkompetenzen (Sozialversicherung, Steuer, illegale Ausländerbeschäftigung usw.) bei einer einheitlichen Kontrollbehörde.
  • Ausweitung der personellen Ressourcen und Kompetenzen dieser Kontrollbehörde.
  • Wirksame Kontrollmöglichkeiten nicht angemeldeter Beschäftigung durch die Verpflichtung, Arbeitskräfte sofort bei Arbeitsbeginn zur Sozialversicherung anzumelden. Widerlegbare Tatsachenvermutung betreffend die Dauer der Erwerbstätigkeit bei fehlender Anmeldung zur Pflichtversicherung.
  • Koordinierungs- und Kooperationsverpflichtungen der involvierten Behörden sowie Verbesserung der rechtlichen Möglichkeiten der Kontrollorgane (Zutrittsrechte, Verweisungsrecht, Verfall von Gegenständen, Betriebseinstellungen, Erweiterung der Befugnisse der Kontrollorgane der Versicherungsträger in Anlehnung an die Befugnisse der Kontrollorgane der Finanzverwaltung).
  • Schaffung von gerichtlich strafbaren Tatbeständen der organisierten Schwarzarbeit und Verschärfung der bestehenden Strafsanktionen.
  • Die Verwaltungsstrafbestimmungen in Deutschland sind zum Teil wesentlich höher und Fälle schweren Sozialbetruges werden gerichtlich sanktioniert. Es kann dadurch wirksamer vorgegangen werden und eine abschreckende Wirkung erzielt werden. Eine Anpassung an die entsprechenden Bestimmungen in Deutschland ist daher notwendig.
  • Zurückbehaltung vertraglich geschuldeter Leistungen bei öffentlicher Auftragsvergabe.
  • Schärfere Haftung für Generalunternehmer (GU): Beibehaltung der beschränkten Auftragsweitergabe bei der Vergabe öffentlicher Aufträge (derzeit liegt ein Entwurf zum Bundesvergabegesetz vor, nach dem diese beschränkte Auftragsweitergabe verwässert werden soll).
  • Schärfere Haftung der Generalunternehmer bei illegaler Ausländerbeschäftigung, bei Nichteinhaltung der Arbeitsbedingungen und Nichtabfuhr der Sozialversicherungsbeiträge durch den Subunternehmer.

SOZIAL- UND STEUERBETRUG: WORUM GEHT ES?

Wenn Unternehmen systematisch nicht zur Sozialversicherung angemeldete Arbeitnehmer oder ausländische Arbeitnehmer ohne Beschäftigungsbewilligung einsetzen, dann

  • verdrängen sie damit reguläre Arbeitsplätze und tragen zur Arbeitslosigkeit bei;
  • schädigen sie damit die Schwarzarbeitnehmer, indem diese keine oder zu geringe Ansprüche auf Pension, Krankengeld und Arbeitslosengeld erwerben;
  • schädigen sie die korrekt arbeitenden Unternehmen und die dort beschäftigten Arbeitnehmer, weil sie aufgrund der Schwarzarbeit Preise anbieten können, die die Angebote der seriösen Unternehmen unterlaufen;
  • schädigen sie durch die vor allem an ausländische Schwarzarbeiter gezahlten Niedrigstlöhne das Lohnniveau in Österreich und tragen damit zu Spannungen zwischen In- und Ausländern bei.


Diese systematischen Angriffe gegen den Sozialstaat Österreich durch eine Minderheit von Unternehmen, die sich durch illegale Ausbeutung von Schwarzarbeitern unfaire Wettbewerbsvorteile verschaffen, soll das Gesetz zur Bekämpfung des Schwarzunternehmertums effizienter als bisher bekämpfen.

Es geht nicht - wie teilweise in der Öffentlichkeit unrichtig dargestellt wird - um die Kontrolle und Bestrafung von Privatpersonen, die sich von Freunden, Nachbarn und Bekannten beim Hausbau oder bei der Autoreparatur helfen lassen.

Wer das Gesetz zur Bekämpfung des Schwarzunternehmertums verhindert, schützt nicht Privatpersonen und deren Helfer, sondern Unternehmen, die mit systematischer, illegaler Schwarzarbeit die österreichische Wirtschaft, den österreichischen Sozialstaat schädigen und die österreichischen Lohn- und Arbeitsbedingungen krass verschlechtern.

BEISPIELE, DIE LEIDER WAHR SIND

Lenker im Fernverkehr, ...
... die im Jahr 150.000 Kilometer fahren, werden als geringfügig beschäftigt bei der Sozialversicherung angemeldet. Andere Lenker werden beim Verlassen Österreichs von ihren Dienstgebern abgemeldet und sobald sie wieder zurückkommen und österreichisches Staatsgebiet betreten, wieder angemeldet. Ähnliche Probleme sind auch in der Binnenschifffahrt bekannt.

Willibald Steinkellner,
Vorsitzender der Gewerkschaft
Handel, Transport, Verkehr.

Aus dem Baunebengewerbe ...
... gibt es immer wieder Hinweise, allerdings anonym, weil die Betroffenen Angst um ihre Arbeitsplätze haben, selbst wenn es illegale Arbeitsplätze sind. Die meisten Hinweise kommen aus dem Baunebengewerbe, also Installateure, Schlosser, Spengler etc. Bei Kontrollen von Baustellen durch das Arbeitsinspektorat wissen die Firmen vorher von den Kontrollen, die illegal beschäftigten Ausländer würden so lange auf Dachböden oder in Containern eingesperrt. Die Kontrollore finden die Baustellen ordnungsgemäß vor, und danach nehme der Betrug weiter seinen Lauf.

Josef Macek,
Wiener Landessekretär der
Gewerkschaft Metall - Textil.

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Bernhard Achitz (Leiter der Abteilung Sozialpolitik im ÖGB) Ernst Weber (stellvertretender Leiter im ÖGB-Pressereferat) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Apr 2002 00:00:00 +0200 1193756190487 Liebe Leserin, lieber Leser! Bis jetzt vergeblich. Sozusagen eine lässliche Sünde von einigen vereinzelten schwarzen Schäfchen. So werden Schwarzarbeitgeber mit Samthandschuhen angefasst und es ist bezeichnend, dass es deutsche und nicht österreichische Behörden waren, die den letzten Skandal im Bereich der Frächter aufdeckten. Aber lesen Sie selbst alles darüber auf Seite 8. Unser Bildredakteur hat zwar Bilder von ganz lieben geschorenen Viecherln gefunden und eines davon schwarz eingefärbt, aber die echte Spezies ist alles andere als lieb.

Der Beitrag über die geplante »Steuerreform« auf Seite 16 stellt zwar eine gewisse Herausforderung an Sie dar, aber das ein wenig spröde Thema betrifft wiederum uns alle. Und wir bringen dazu Zahlen und Fakten und nicht politische Parolen, obwohl aus diesen Zahlen und Fakten natürlich Forderungen der Arbeitnehmer abzuleiten sind.

Auch die europäischen Bemühungen um mehr und bessere Arbeitsplätze und einen größeren sozialen Zusammenhalt betreffen uns alle. Ausführliche Hintergrundinformationen zur europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitik werden Sie sicher genauso interessieren wie die Darstellung der Probleme um den Europäischen Betriebsrat. Wir wünschen Ihnen Ausdauer beim Lesen und laden Sie ein, auch Fragen zu den Beiträgen zu stellen.

Für das Redaktionsteam
Siegfried Sorz

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Mon, 15 Apr 2002 00:00:00 +0200 1193756190482 Sonntagsredner, Zahlenfetischisten und der Sozialstaat Da nun einer der Initiatoren in seinem Überschwang bei einem Interview die Zahl von einer Million Unterschriften als Ziel angegeben hatte, heißt es jetzt, Ziel nicht erreicht. Wobei nicht nur ich allein der Meinung bin, dass hier in den Medien genauso wie bei der ÖGB-Urabstimmung eine Art »Zahlenfetischismus« betrieben wird: Der Fokus ist nämlich hauptsächlich auf diesem quantitativen Aspekt, während die Auseinandersetzung mit den Inhalten zu kurz kommt oder gar nicht stattfindet. Analog zu gewissen Sportdisziplinen ist immer nur davon die Rede, wie hoch die »Latte jetzt gelegt sei« und ob man da jetzt »drübergekommen« sei oder nicht. Erklärte Absicht war und ist es aber immer noch, die Öffentlichkeit für die Inhalte, die Problematik, die Anliegen zu sensibilisieren.

In der Öffentlichkeit waren gewisse Interessengruppen sehr bemüht, dieses Volksbegehren als einseitig parteipolitisch oder als reine Angelegenheit der Opposition darzustellen. Das stimmt so einfach nicht. Nehmen wir allein den Beschluss zur Unterstützung des Sozialstaat-Volksbegehrens im ÖGB-Bundesvorstand, in dem bekanntlich alle Parteien vertreten sind, und der einstimmig erfolgte.

Oder nehmen wir die Unterstützung aus kirchlichen Kreisen, z. B. von der evangelischen Kirche, die ja bereits seit 1997 eine »Sozialverträglichkeitsprüfung« fordert. »Der Sozialstaat Österreich ist derzeit auf Männer mit langen Erwerbszeiten ausgerichtet. Es wird davon ausgegangen, dass Frauen in der Langzeitbeziehung Ehe mitversichert sind. Das stimmt aber so in der heutigen Zeit nicht mehr. Dadurch sind etwa vor allem Frauen und Alleinerzieherinnen von Armut betroffen. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Daher ist es für die evangelische Kirche klar, das Volksbegehren zu unterstützen, erklärte z. B. Superintendentin Gertraud Knoll.

Innerhalb der katholischen Kirche wurde das Sozialstaat-Volksbegehren z. B. von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung Österreich (KABÖ) unterstützt, deren Vorsitzender Bruno Holzhammer feststellte, dass eine Verankerung in der Verfassung eine Sicherheitsgarantie für bisherige Errungenschaften darstelle. Zudem sei ein Schutz vor kurzfristigen populistischen Angriffen gegeben. Das Anliegen des Sozialstaat-Volksbegehrens sei fast wortident mit dem Grundsatzprogramm des KABÖ. Christen und Kirchen könnten sich den Anliegen des Sozialstaat-Volksbegehrens nicht entziehen, auch wenn es manchen in der Kirche nicht gefalle ... Nach Bekanntgabe des Ergebnisses erklärte ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch: »Nach der ÖGB-Urabstimmung ist die Beteiligung am Sozialstaat-Volksbegehren ein weiterer Beweis für die hohe sozialpolitische Sensibilität in unserem Land. Soziale Gerechtigkeit ist den Österreichern ein wichtiges Anliegen. Die Bundesregierung und politischen Parteien im Nationalrat sind nun gut beraten, daraus die entsprechenden Schlüsse zu ziehen.«

»Es geht darum«, so Verzetnitsch, »wieder verstärkt soziale Politik zu betreiben, bei der die Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht das Geld oder der Aktienkurs.«

Der ÖGB-Präsident fordert als Folge des Volksbegehrens die Bundesregierung nachdrücklich auf, unsoziale Maßnahmen wie die Ambulanzgebühr oder die Besteuerung der Unfallrenten wieder zurückzunehmen. »Der Sozialstaat muss weiterentwickelt werden, und zwar nach den Grundsätzen der Solidarität, der Würde und sozialen Gerechtigkeit«, sagt Verzetnitsch. Dem von vielen beabsichtigten Umbau des Sozialsystems zu einer Vergabe von Almosen haben die Unterzeichner des Volksbegehrens eine klare Absage erteilt.

Verzetnitsch: »Die Behandlung des Volksbegehrens im Nationalrat, mit der Verankerung des Prinzips >Sozialstaat in der Bundesverfassung<, wird auf jeden Fall für alle jene zu einer Nagelprobe, die sich in Sonntagsreden gerne als sozialpolitisch engagiert zeigen. Jetzt müssen diesen Worten konkrete Taten folgen.« Diese Sonntagsredner sollten bedenken, dass dieses Volksbegehren von einer breiten Basis getragen wurde: Hohe kirchliche Würdenträger haben es genauso unterschrieben wie Unternehmer, Arbeiter, Angestellte, Universitätsprofessoren und Mitglieder aller Parteien. Mit dem Ergebnis des Volksbegehrens sei das Engagement für einen gerechten Sozialstaat nicht beendet. Im Gegenteil: »Wir Gewerkschafter werden weiter für den Erhalt und die Weiterentwicklung der sozialen Gerechtigkeit kämpfen. Erste Gelegenheiten dazu bieten sich etwa in der aktiven Bekämpfung der wachsenden Arbeitslosigkeit und beim Kampf um Verbesserungen für die atypisch Beschäftigten.«

Wenn ich mich so umsehe, ist die schrittweise Zerstörung der Systeme sozialer Sicherheit ein im Zuge der Durchsetzung des neoliberalen Modells fast überall in Europa zu beobachtendes Phänomen. Der Sozialstaat, der Wohlfahrtsstaat wird reformiert, es wird dereguliert und privatisiert. Wenn man fragt, wann eigentlich diese neoliberalen Rosskuren endlich anschlagen, wann endlich die versprochene Wirkung eintritt, erhält man eine recht gelungene Antwort: »Es ist noch nicht genug reformiert worden. Weiter reformieren und entstaatlichen, den Arbeitsmarkt noch >flexibler< machen, die sozialen Sicherungssysteme weiter reduzieren und privatisieren, das gesamte >Reformprogramm< konsequent abarbeiten ...«

Gott bewahre uns vor diesen Reformern! Wir jedenfalls werden uns zu wehren wissen!

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Siegfried Sorz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 May 2002 00:00:00 +0200 1193756182377 Ungarn: Arbeitsmarkt und EU Meine Studenten an der Budapester Universität sind skeptisch und gar nicht so begeistert, wie ich das von ihnen eigentlich erwartet hätte; wir reden in meinem Blockseminar über die »Erweiterung der EU« und über »Ungarns Chancen«. Wie im Kreise meiner Studenten, so herrscht in ganz Ungarn die Meinung: »Gerne nach Brüssel, aber nicht ohne Wenn und Aber ...« Vor allem die Globalisierung und die dadurch zunehmende Arbeitslosigkeit, aber auch der »große Appetit« internationaler Unternehmen ängstigen die wirtschaftspolitisch eher konservativen Magyaren. Meine beste Studentin, eine ungarische Roma, bringt die ganze Sache auf den Punkt: »Herr Professor, glauben Sie uns: Mit dem Hirn sind wir dabei, aber nicht mit dem Herzen ...!«

Wer die Ungarn kennt, der weiß, dass sie »ohne Herz« nicht viel zu machen bereit sind, erst recht nicht auf Arbeitssuche in den Westen zu gehen. Nur ganze 7 Prozent aller Ungarn würden nach einer erfolgten EU-Mitgliedschaft gerne im westlichen Ausland eine Arbeit suchen. Immerhin: 57 Prozent der Befragten würden »unter gar keinen Umständen« einen westlichen Arbeitsplatz anstreben.

Umfrage in fünf Ländern (MOEL)

Diese Zahlen stammen aus der Untersuchung des führenden ungarischen sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts »Tárki«, das gemeinsam mit dem polnischen Partnerinstitut CBOS und dem tschechischen CVVM in fünf Ländern die zentrale Frage stellte: »Haben Sie vor, nach Aufnahme ihres Landes in die EU, in einen anderen Mitgliedstaat arbeiten zu gehen?«

Die größte Bereitschaft, einen ausländischen Arbeitsplatz zu suchen, zeigen die Rumänen (17%) und die Polen (13%), gefolgt von den Bulgaren (10%), Ungarn (7%) und Tschechen (4%). - Auf der anderen (»Mobilitätsverweigerer«-)Seite führen die Ungarn (57%), gefolgt von den Tschechen (45%), Bulgaren (42%), Rumänen (39%) und Polen (31%). Demnach sind die Polen am ehesten bereit, einen - besser als in ihrem Land - bezahlten Arbeitsplatz »im Westen« zu suchen; hier ist auch der Anteil der »Sesshaften« am niedrigsten.

»Lieblingsländer«

Die drei - ungarischen, polnischen und tschechischen - Forschungsinstitute, die gemeinsam die »Mitteleuropäische demoskopische Forschungsgesellschaft« (CEORG) gegründet haben, untersuchten auch die Lieblingszielländer künftiger Arbeitsmigranten: An erster Stelle steht Deutschland, wo 27 bis 48 Prozent aller Migrationswilligen eine neue Arbeit aufnehmen würden, gefolgt von Österreich, wo sich nur 24 Prozent niederlassen wollen.

Die überwiegende Mehrheit der Ungarn (70%), Polen (76%) und Tschechen (66%) vertreten die Meinung, dass im Falle von Übergangsbestimmungen durch die EU (»Verhinderung des freien Arbeitskräfteflusses«), auch die Kandidatenländer Sonderkonditionen aushandeln müssten. - Meine ungarische Studentin hat auch diesen Wunsch auf den richtigen Punkt gebracht: »Wenn wir nicht im Westen arbeiten dürfen, dann sollten die Multiunternehmen bei uns nicht alles aufkaufen dürfen ...« Auch hier zeigt sich ein gewisser »Euro-Pessimismus«.

Sozialpolitisches Niveau

Noch vor dem Beitritt ihres Landes fordern die ungarischen Gewerkschaften einen aktiven »sozi- alen Dialog« von der Regierung. Als Ziel dieses Dialoges definiert der Vorsitzende des größten Gewerkschaftsverbandes (MSZOSZ), Lászlo Sándor, die Möglichkeit einer effektiven Weiterbildung ungarischer Arbeitnehmer. Der Gewerkschaftspräsident und sozialistische Parlamentarier spricht auch im Namen anderer führender Gewerkschafter, wenn er eine baldige EU-Aufnahme Ungarns fordert, um auch hier »das hohe sozial- und arbeitsmarktpolitische Niveau der EU« erreichen zu können und hofft dabei auf den »notwendigen Druck der Gemeinschaft«.

MSZOSZ-Präsident Sándor ist davon überzeugt, dass die 3,8 Millionen Arbeitnehmer und die 3,1 Millionen Pensionisten und Rentner Ungarns die Volksabstimmung über den EU-Beitritt entscheiden werden.

Im Gegensatz zur Regierung wollen die meisten Gewerkschafter die vor allem von der österreichischen Bundesregierung vehement geforderten Übergangsbestimmungen nicht akzeptieren. So wollen die Metallgewerkschafter und ihr Vorsitzender Károly Szöke die »Hemmung des Arbeitskräfteflusses« nicht akzeptieren. Obwohl die ungarische Schwerindustrie und das Verkehrswesen immer mehr Arbeitskräfte »freisetzt«, rechnet der Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft, Imre Márkus, mit »keiner Flucht dieser Menschen ins westliche Ausland«, wie er das sinngemäß der »Pester Lloyd« erklärte.

Diplomierte Hilfsarbeiter

Der Pessimismus vieler Ungarn findet sich als skeptischer Unterton in den Medien wieder. So schreibt z. B. die Budapester »Pester Lloyd«: »Für die Österreicher sind Pendler aus dem Nachbarland längst an der Tagesordnung, die sich mit einem Diplom in der Tasche als Hilfsarbeiter verdingen.« Und weiter kommentiert leicht erbittert die Zeitung die Bereitschaft der ungarischen Politik, die Übergangsbestimmungen von sieben Jahren voll zu akzeptieren: »Damit degradieren sich die Ungarn im Haus Europa zu Bürgern zweiter Klasse.«

Im »ungarischen Hirn« haben sich die guten Verdienstmöglichkeiten »im Westen« (gemeint vor allem Österreich und Deutschland) festgesetzt. Es ist verständlich, wenn eine ausgebildete ungarische Mittelschullehrerin nicht zu Hause für 60.000 Forint (Euro 240,-) arbeiten geht, wenn sie als Putzfrau, Bedienerin in Wien oder in Wiesbaden das vielfache verdienen kann. Der Bruttolohn eines Universitätsabsolventen im öffentlichen Dienst beträgt ganze 100.000 Forint (Euro 400,-). So ist es kein Wunder, wenn ungarische Spitalsärzte, die auch nicht mehr verdienen, lieber in Österreich oder in Deutschland in die private Krankenpflege gehen.

Trotz dieser und ähnlicher Einkommensunterschiede zwischen den meisten EU-Mitgliedstaaten und den Kandidatenländern würden vor allem die Ungarn gerne im eigenen Land bleiben. Ihre mangelnde Mobilitätsbereitschaft zeigt sich auch im eigenen Land; den Arbeitsämtern gelingt es kaum, ostungarische Arbeitslose auf westungarische Arbeitsplätze zu vermitteln. Noch dazu sind die Fremdsprachenkenntnisse der Ungarn nicht sonderlich entwickelt; außer unter westungarischen Zahnärzten und Kellnern - aber auch sie wollen die Heimat, wo das »Herz« bleibt, nicht verlassen.

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Peter Stiegnitz, Budapest http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 May 2002 00:00:00 +0200 1193756182334 Quo vadis Italia? | Die Regierung Berlusconi kündigt die Sozialpartnerschaft und provoziert damit einen Generalstreik Mit diesem Streik warnten die italienischen Gewerkschaften Berlusconi ausdrücklich vor einer einseitigen Revision des Kündigungsschutz-Artikels 18 des »Statuts der Arbeiter«.

Berlusconi für die Legalisierung missbräuchlicher Kündigungen

Gemäß Kabinettsbeschluss vom 14. März 2002 soll es Arbeitgebern künftig erlaubt sein, bestimmte Beschäftigte auch »ohne guten Grund« zu entlassen. Dieser Beschluss betrifft vor allem diejenigen, die heute schon zu den Benachteiligten auf dem italienischen Arbeitsmarkt zählen, nämlich die nur befristet Beschäftigten und die zur »Schwarzarbeit« gezwungenen. Sie müssten ihren Traum einer »festen« Stelle endgültig begraben. Auch wenn ihr Arbeitsverhältnis formal in ein »unbefristetes« umgewandelt werden würde, schützte sie der revidierte »Artikel 18« des »Statuts der Arbeiter« nicht mehr. Wie vor Verabschiedung dieses Statutes im Jahre 1970, wären sie ihrem Arbeitgeber weitgehend ausgeliefert. Hinzu kommt, dass es in Italien weder eine funktionierende Arbeitslosenversicherung noch staatliche Sozialhilfe gibt.

Auf Druck der separatistischen Lega Nord, der Partei des Arbeitsministers, sollen die Beschäftigten in Norditalien teilweise von der Abschaffung des Kündigungsschutzes vorerst verschont bleiben. Das »Statut der Arbeiter« soll dann 2003 durch ein neues »Statut der Arbeiten« vollkommen ersetzt werden. Falls das Parlament die Regierungsvorlage annimmt, würden in Italien künftig unterschiedliche soziale Grundrechte gelten, je nachdem, in welcher Region und zu welchen Bedingungen jemand angestellt ist.

Ende der italienischen Sozialpartnerschaft

Die Entschiedenheit, mit der Silvio Berlusconi die italienische Sozialpartnerschaft aufkündigte, überraschte viele gemäßigte Gewerkschafter. Insbesondere der Generalsekretär der katholischen Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori (CISL), Salvino Pezzotta, ging davon aus, dass auch die neue Regierung den sozialen Ausgleich suchen würde. Diese Einschätzung wurde durch die Präsenz einiger »moderater«, christdemokratischer und postfaschistischer Politiker in der Regierung Berlusconi gestützt, mit denen die CISL relativ gute Kontakte pflegt.

Unterdessen musste jedoch auch Pezzotta feststellen, dass Berlusconi den Konflikt mit allen Gewerkschaften sucht. Bislang geben in seinem Kabinett diejenigen Parteien den Ton an, die mit einer sozialpartnerschaftlichen Politik nichts zu tun haben möchten, nämlich Berlusconis Klientelpartei Forza Italia und die rechtsradikale Lega Nord. Silvio Berlusconi ist nicht gewillt, seine politischen Entscheidungen mit anderen gesellschaftlichen Akteuren abzusprechen, geschweige seine Macht mit irgendjemandem zu teilen. Jeder potentiellen Gegenmacht - der unabhängigen Justiz, den öffentlich-rechtlichen Medien, den sozialen Bewegungen - und nun auch den Gewerkschaften -, die sich seinem umfassenden Herrschaftsanspruch entgegenstellen könnte, hat er den Fehdehandschuh hingeworfen (siehe Kasten »Berlusconis Kampf gegen den Rechtsstaat ...«).

Gewerkschaftlicher Widerstand

Die mit 5,4 Millionen Mitgliedern größte Gewerkschaft Italiens1), die linke Confederazione Generale del Lavoro (CGIL), beschloss bereits im Februar 2002, eine Großdemonstration sowie einen Generalstreik gegen die geplante Änderung des »Artikels 18« zu organisieren. Für den besonnenen Generalsekretär der CGIL, den ehemaligen Chemieangestellten Sergio Cofferati, hatte die Regierung Berlusconi mit der vorgeschlagenen Aushöhlung des Kündigungsschutzes den Bogen überspannt: »Über Löhne kann man immer verhandeln, über Rechte nicht.«

Die Gewerkschaft CISL und die sozial-liberale Unione Italiana del Lavoro (UIL) reagierten erst verärgert über den Vorstoß der CGIL, da sie Berlusconi mittels weitreichender Kompromissangebote in der Tarif- und Arbeitsmarktpolitik von einer Änderung des Artikels 18 abhalten wollten. Deshalb beteiligten sie sich auch nicht an der CGIL-Großdemonstration am 23. März in Rom, woran dennoch mehr als zwei Millionen Menschen teilnahmen.

Da die italienische Regierung trotzdem stur auf dem vom Industrie-Arbeitgeberverband Confindustria propagierten Konfrontationskurs beharrte, sahen auch CISL und UIL keine Alternative mehr zu einem Generalstreik. Selbst die postfaschistische Gewerkschaft UGL, die der Alleanza Nazionale, der Partei des stellvertretenden Premierministers Fini nahe steht, schloss sich dem Generalstreik von CGIL, CISL und UIL vom 16. April 2002 an.

Gewerkschaften = »Helfershelfer des Terrorismus«

Der breiten Mobilisierung der Gewerkschaften folgte eine weitere Regierungsattacke: Nach der beeindruckenden Demonstration vom 23. März 2002 bezeichneten drei Minister Berlusconis die Gewerkschaften »als eine Gefahr für die Demokratie« sowie als »Helfershelfer des Terrorismus«. Sie beschuldigten die Gewerkschaften, Verursacher des politischen Mordes vom 19. März 2002 an Marco Biagi, einem Arbeitsrechtsprofessor und Berater des Arbeitsministeriums, zu sein.

Von Berlusconi verlangten die Gewerkschaften umgehend eine Entschuldigung, zumal sie selbst mehrmals Opfer von Terroranschlägen wurden. Berlusconi ging nicht auf diese Forderung ein und verkündete stattdessen, dass er »weder vor den Schlägen der Staatsanwaltschaft, den Schlägen der >Piazza< noch den Schlägen der Pistolen« zurückweichen werde. Dies sei er Marco Biagi schuldig. Allerdings scheint die Familie des - laut Bekennerschreiben von den Roten Brigaden ermordeten - Professors nicht besonders gut auf die Berlusconi-Regierung zu sprechen zu sein. Das Angebot eines Staatsbegräbnisses wurde von dessen Witwe aus privaten Gründen dankend abgelehnt.

Freunde der Familie erklärten dies mit der Verbitterung über die italienischen Behörden, die im Herbst 2001 Marco Biagi den Polizeischutz entzogen haben - ungeachtet mehrfach eingegangener Morddrohungen.

Scheitert Berlusconi an seinem totalen Herrschaftsanspruch?

Trotz Berlusconis Beharrlichkeit könnten die Gewerkschaften die Auseinandersetzung mit der Regierung gewinnen. Die Gewerkschaften konnten Millionen von Menschen mobilisieren und schafften es, alle Berlusconi-kritischen gesellschaftlichen Strömungen, soziale Bewegungen und Parteien zusammenzubringen. Die Gewerkschaften bewiesen, dass es Berlusconi trotz Kontrolle über alle Fernsehkanäle nicht gelingt, den Widerspruch gegen seine Politik zu ersticken. Je näher der Generalstreik vom 16. April 2002 rückte, desto mehr Berlusconi-kritische Stimmen meldeten sich zu Wort, auch im Regierungslager.

Inzwischen zweifeln sogar Arbeitgebervertreter, wie z. B. der Generalsekretär des Arbeitgeberverbandes des Einzelhandels, Confcommercio, Billè, öffentlich an der sturen Haltung des Regierungschefs. Letztlich könnte Berlusconi gerade an seinem absoluten Herrschaftsanspruch scheitern, denn dieser lässt sich in der italienischen Gesellschaft kaum durchsetzen, zumindest nicht auf demokratisch-rechtsstaatliche Weise.

1) Die CGIL gehört zu den wenigen europäischen Gewerkschaften, die steigende Mitgliederzahlen und einen über 30-Prozent-Anteil jugendlicher Mitglieder (unter 30 Jahren) aufweisen können.

BERLUSCONIS KAMPF GEGEN DEN RECHTSSTAAT ...

Laut Berlusconis »Justizreform« soll das Parlament künftig von Jahr zu Jahr die Prioritäten für die Strafuntersuchung festlegen. Folglich könnte Berlusconis Parlamentsmehrheit künftig noch einfacher unerwünschte Strafuntersuchungen verhindern. Bislang griff die rechte Parlamentsmehrheit zu Gunsten Berlusconis in laufende Strafverfahren ein, indem sie mittels verschiedener Gesetzesänderungen und Dekrete:

  • den Straftatbestand der Bilanzfälschung rückwirkend entkriminalisierte (gegen Berlusconis Holdinggesellschaft, Fininvest, läuft ein Strafverfahren wegen Bilanzfälschungen in der Höhe von 774 Millionen Euro);
  • das Rechtshilfeabkommen Schweiz-Italien sabotierte (die Schweizer Justiz stellte auf Antrag der Mailänder Staatsanwaltschaft Beweise sicher, die Berlusconi und seinen Anwalt in Sachen Richterbestechung schwer belasten);
  • Berlusconis Medienmonopolbesitz per Gesetz vor Interventionen der Kartellbehörden schützte;
  • den Staatsanwälten, die u. a. gegen Berlusconi in Sachen Korruption, Bestechung und Bilanzfälschung ermitteln, schlicht den Polizeischutz entzog.


Im Januar 2002 rief deshalb der oberste Staatsanwalt Mailands in seiner offiziellen Neujahrsansprache die Bürger zum Widerstand gegen die Politik Berlusconis auf:»Resistere! Resistere! Resistere!«. Es folgten mehrere Demonstrationen mit bis zu 500.000 Teilnehmern. Für Mitte Juni kündigte die »Kammer der Richter und Staatsanwälte« sogar einen landesweiten Streik der Gerichte gegen Berlusconis Rechtspolitik an.

… UND GEGEN DIE INFORMATIONSFREIHEIT

Beim staatlichen Rundfunk RAI setzte Berlusconis Mehrheit einen neuen Generaldirektor ein, der sofort die meisten Programmchefs der verschiedenen TV- und Nachrichtensender mit Parteigängern der Regierung neu besetzte. Diese Neubesetzungen sollen laut Berlusconis Rhetorik sicherstellen, dass die »RAI endlich wieder objektiv berichtet«. Er habe zudem keine »schwarzen Listen« von zu entlassenden Journalisten erstellt. Diejenigen RAI-Medienschaffenden, die »ihre Meinung ändern« und künftig »objektiv berichten würden«, würden - laut Berlusconi - auch künftig nicht entlassen. Diese Äußerung zeigt, wie wichtig der Kündigungsschutz insbesondere für die Verteidigung der Meinungsfreiheit ist. Deshalb schlossen sich auch die Journalisten aller TV-Sender mehr oder minder komplett dem Generalstreik an.

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Roland Erne, Florenz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 May 2002 00:00:00 +0200 1193756182037 Kommentar | Budgetwissen ist Herrschaftswissen Obwohl internationale Organisationen wie die OECD, der internationale Währungsfonds oder die EU-Kommission sich ständig darum bemühen, die Budgettransparenz der Mitgliedstaaten zu erhöhen und teilweise dafür sogar Grundprinzipien entworfen haben, wählt Österreich offensichtlich den Weg der weiteren Budgetverschleierung. Die öffentlich publizierten Daten werden immer weniger oder erscheinen immer später und der Inhalt der wenigen Quellen wird immer dürftiger.

Dieses Abrücken von international üblichen Informationsstandards hat zur Folge, dass Analysen über die öffentlichen Haushalte selbst für die Vergangenheit immer schwieriger bzw. in aktueller Form sogar unmöglich werden.

Der Versuch, vorläufige Abschlussdaten über den Bundeshaushalt des Jahres 2001 zu erhalten, mündete darin, dass der Autor dieser Zeilen von Vertretern des Bundesministeriums für Finanzen auf das Erscheinen des Rechnungsabschlusses verwiesen wurde. Dieser erscheint zu einem Zeitpunkt (Herbst 2002), zu dem wir heuer den Budgetentwurf 2003 diskutieren werden. Nach dem bisherigen Parlamentsfahrplan ist das Datum der Budgetrede 2003 für den 19. September festgesetzt worden. Zu diesem Zeitpunkt wird sich also niemand mehr ernsthaft für das Budget 2001 interessieren.

Die Bürger als Kunden sind also nur dann gefragt, wenn es ums Steuerzahlen geht. Das durften sie ja im abgelaufenen Jahr zur Genüge. Die Abgabenquote erreichte mit 45,5% des BIP das höchste Niveau der Nachkriegszeit. Aber zu wissen, was mit den Steuergeldern passiert, das bleibt den Mächtigen vorbehalten. Leider zeigt sich einmal mehr, dass Budgetpolitik Herrschaftspolitik ist. Transparent und demokratisch regieren gehört nicht zu den Stärken dieser Koalition.

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Bruno Rossmann http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 May 2002 00:00:00 +0200 1193756181967 Zahlen statt Menschen »Bei Umstrukturierungsprozessen geschieht oft Seltsames. Betriebsräte werden eingeladen, am Diskussionsprozess teilzunehmen. Das Paradoxe daran: Mit manipulativen Mitteln werden sie schließlich dazu gebracht, etwas zu tun, was sie im Grunde gar nicht möchten«, meint der Mitarbeiter der ÖGB-Bildungsabteilung Michael Vlastos. »Sie werden so über den Tisch gezogen, weil sie die Spielregeln bzw. die modernen Sozialtechniken nicht kennen.« Zwei Fälle aus der Praxis zeigen, wie unterschiedlich die Ansätze von Betriebsberatung sind. Aber auch, dass die Gefahr von Manipulation durch Beratung nicht zu unterschätzen ist.

Systemischer Beratungsansatz

Die Stadtwerke Bremen AG, ein Dienstleister im Energiesektor, steht 1997 vor massivem Wettbewerbsdruck. Die Beratergruppe Neuwaldegg wird eingeladen, das »Projekt des kulturellen Wandels«, mit dem das Unternehmen auf die radikalen Veränderungen durch die Energieliberalisierung reagieren will, zu begleiten. Die Beratergruppe, die sich dem systemischen Ansatz verpflichtet fühlt, rückt die Selbstorganisation in den Mittelpunkt: Das heißt, Konfliktparteien werden als Teil sozialer Systeme betrachtet, die sich durch Kommunikation bilden, aber auch verändern. Der Berater hat dabei die Aufgabe, »eigendynamische« Prozesse so zu beeinflussen, dass keiner der Beteiligten »im eigenen Saft schmort«, sondern die Standpunkte der anderen zu verstehen beginnt.

Der Soziologe und Mitbegründer des »gesellschaftspolitischen Diskussionsforums«, Ulrich Schönbauer: »Lange Zeit wird das Projekt als eine Art ðKuscheleckeĐ abgetan. Die veränderten Marktbedingungen werden nicht thematisiert, sondern nur der eigene Betrieb.« Die so genannten Bewahrer haben die Oberhand, Unvorhergesehenes passiert allerdings durch die Fusion von Konkurrenten und Mitbewerbern. Es muss rasch gehandelt werden, es kommt sogar zu Kündigungen. Der Vorstand kündigt die jahrzehntelange Kooperation mit dem Betriebsrat auf. Die Berater werden nun verdächtigt, »ein verlängerter Arm des Vorstandes zu sein«. Bei Stadtwerke Bremen AG endet der Beratungsprozess schließlich in der Zerschlagung des Unternehmens in eine Holding.

Strategischer Organisationsansatz

Zukunftsweisender für die Interessenvertreter der Arbeitnehmer, ist Schönbauer überzeugt, »dürften Modelle sein, die an einem emanzipatorischen Diskurs anknüpfen und die Vielfalt von Rationalitäten in einem Unternehmen zum Thema machen«.

Erhard Friedberg, dessen Buch »Macht und Organisation« als Wende der deutschen Industriesoziologie bezeichnet wird, berichtet vom Fallbeispiel eines belgischen Zulieferbetriebes der Flugzeugmotorenindustrie. Friedberg und zwei weitere Organisationssoziologen aus Frankreich wurden damit beauftragt, die wichtigsten Blockierungspunkte aufzuspüren, die einer Veränderung im Weg standen. In Interviews mit Mitarbeitern und Führungskräften wurde deutlich, was alles im Betrieb nicht funktionierte. Aus der Projektgruppe heraus wurden schließlich neue Abteilungsleiterstellen besetzt. Eine neue Arbeitsweise wurde eingeführt, die aber nicht unbedingt zum Vorteil der Arbeitnehmer war. »Als wir die neue Arbeitsteilung und Produktionsweise der Belegschaft genauer anschauten«, meint Friedberg, »zeigte sich, dass es eine Machtverschiebung zu Ungunsten der Gewerkschaft gegeben hatte.«

Der »Fall« ÖBB

Kein gutes Haar an Unternehmens- und Organisationsberatern lässt der Vorsitzende der Eisenbahnergewerkschaft, Wilhelm Haberzettl. Er will bei seiner Kritik »dieser Spezies kapitalistischer Nutznießer nicht so weit gehen wie der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, der gemeint hat, ðZwischen Unternehmensberatern wie den McKinsey-Menschen und SS-Männern gibt es keinen Unterschied.Đ Beide hätten die gleiche Logik und dächten nur noch in Zahlen statt an Menschen«.

Für Haberzettl sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: McKinsey, jene Firma, die ab 1993 das ausgegliederte Unternehmen ÖBB beriet, hatte Ende der 90er Jahre einen Jahresumsatz von 2,5 Milliarden US-Dollar. »Die ÖBB haben in der achtjährigen Ära des Generaldirektors Draxler auch ein paar Milliarden zu diesem Erfolg beigetragen. In dieser Zeit haben die ÖBB mehr als 16.000 Eisenbahner abgebaut.«

Die Berater hatten keine Ahnung ...

Dass das Unternehmen ÖBB einer Organisationsreform unterzogen werden musste, stand außer Streit. Der Personalvertretung ging es aber um den zeitlichen und inhaltlichen Ablauf dieser Reform. Haberzettl: »Weil die von außen geholten Berater von der Bahn und den Gesetzmäßigkeiten des Schienenverkehrs keinerlei Ahnung hatten, legten sie ihre eigenen Maßstäbe an, nach der altbekannten Chaostheorie: Immer neue Ideen, immer in Bewegung bleiben.«

Für ein Unternehmen wie McKinsey vielleicht ein brauchbares Rezept - dort werden laut Gewerkschafter Haberzettl jährlich 15 Prozent der Mitarbeiter durch neue Leute ersetzt. Bei den ÖBB, einem in Jahrzehnten gewachsenen Unternehmen, musste es zwangsläufig zu Konflikten führen.

Bald schwirrten zahlreiche Unternehmensberater und neue Worte durch die ÖBB-Betriebe. Die Startphase hieß »Diagnose - Shake up«, die vier weiteren Phasen von 1993 bis 1998 wurden im »New speak« der Managersprache »Neue Struktur«, »Geschäftsbereichsphilosophie«, »Topdown-Ansatz« und »Pilot« genannt.

Ein Kauderwelsch, das die ÖBB-Dienstnehmer zunehmend irritierte. Für den endgültigen Imageverlust sorgten die Berater selbst, die von den Eisenbahnern den Spitznamen »Blindenhunde« verliehen bekamen: Einige Detailvorschläge, die sie im Zuge ihrer Recherchen aufgeschnappt hatten, war für bare Münze genommen und dem Unternehmen als Bestandteile der Reform verkauft worden.

Teures Sparen

Wilhelm Haberzettl: »Die Personalvertretung drang deshalb darauf, die notwendigen Teile der Organisationsreform in rascher Folge umzusetzen, um die Verunsicherung über ungenügend geklärte neue Strukturen und Kompetenzverteilungen möglichst gering zu halten. Andererseits musste auch viel Kraft darauf verwendet werden, die Ambitionen des Managements auf rasche Reform der Reform unter Kontrolle zu halten.«

Zur grundsätzlichen Auseinandersetzung über den Weg der Reform - die immer mehr zur Rationalisierung um des Personaleinsparens willen mutierte - kam es 1998. Das ÖBB-Management plante, binnen drei Jahren 10.000 Arbeitsplätze einzusparen, Gehälter und Löhne zu senken und gültige Vertragsbedingungen durch Sonderverträge zu unterlaufen.

Durch den extremen Sparkurs wurde selbst die Sicherheit der Mitarbeiter und Fahrgäste gefährdet. »Ein Konflikt, der deutlich zeigt, wie inkompetente Berater im Verein mit einer selbstherrlichen Führung ein Unternehmen in große Schwierigkeiten bringen können«, meint Haberzettl. Das Problem konnte schließlich »auf politischer Ebene« durch einen Kompromiss zwischen ÖBB-Führung und Gewerkschaft bereinigt werden.

Ethikcodex für Berater

Wie können Gewerkschafter und Betriebsräte mit dem Problem »Beratung« umgehen? Wilhelm Haberzettl: »Nur starke Gewerkschaften und Personalvertreter können dem zweifellos schädlichen Einfluss von inkompetenten Unternehmensberatern wirksam begegnen.«

Mit einem Ethikcodex für Unternehmensberatung und Organisationsentwicklung will das »gesellschaftspolitische Diskussionsforum« Manipulationen vorbeugen. So soll etwa ein Beratungsvertrag der Zustimmung des Betriebsrates bedürfen, die Freiwilligkeit der Teilnahme am Prozess eingehalten und die »Spielregeln« wie Methoden, Sozialtechnik und andere Verfahren vor Beginn des Beratungsprozesses offengelegt werden.

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Gabriele Müller http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 May 2002 00:00:00 +0200 1193756181872 Der Weg vom Arbeitsamt zum Arbeitsmarktservice | Von der Arbeitsmarktpolitik zur Dienstleistung Das Arbeitsmarktservice, An- fang der 90er Jahre noch als Arbeitsamt bekannt, ist die größte Vermittlungsagentur auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. 1994 war die Arbeitsmarktverwaltung ausgegliedert und als öffentlich-rechtliches Dienstleistungsunternehmen unter der Bezeichnung AMS neu organisiert worden. Bald danach wurde eine umfassende Reorganisation buchstäblich »in Angriff genommen«. »Ein Vorhaben, das, generalstabsmäßig geplant, bis 2004 hineinreicht«, kommentiert AMS-Vorstandsmitglied Herbert Böhm. Die Planungsschritte umfassen Mitarbeiterschulung, Integration der Datensysteme bis hin zu räumlichen und baulichen Veränderungen. In Wien wurden die - nunmehr - elf Geschäftsstellen nach nur einer Schließwoche per 11. Februar auf das neue »Dreizonenmodell« umgestellt. (Siehe Interview mit AMS-Vorstandsmitglied Herbert Böhm auf Seite 40). »Alles unter einem Dach« heißt die Devise, unter der Versicherungsdienste, Information und Beratung geboten werden. Die frühere Branchenzuständigkeit wurde aufgelöst und durch das Kriterium des nächstgelegenen Wohnsitzes der Arbeitsuchenden ersetzt. »Eine Herkulesarbeit«, meint Inge Friehs, stellvertretende Landesgeschäftsführerin des AMS Wien.

Effizient und kundenorientiert

Von enormem Fortschritt in Richtung effizientem und kundenorientiertem Dienstleistungsservice spricht Bernhard Achitz, ÖGB-Vertreter im AMS-Verwaltungsrat. Allerdings: »Das AMS kann unter den gegebenen Rahmenbedingungen nur versuchen, das Optimum herauszuholen. Das geschieht auch. Das AMS sucht Kooperationen, um im eigenen Bereich besser zu werden, es wendet Managementmethoden an, um von der Behörde zur Serviceorganisation zu werden. Die Maßnahmen der Bundesregierung aber konterkarieren jede Bemühung, die steigende Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.«

»Die Entwicklung vom Amt zum Service wurde in den letzten sechs Jahren vollzogen, Einsparungspotentiale mehr als wahrgenommen. Mit wenigen Ausnahmen, die budgetär nicht ins Gewicht fallen«, analysiert Rudolf Kaske, Kurienvertreter der Arbeitnehmer und Mitglied des Kontrollausschusses im AMS. Zwar hat das AMS mit 605 Millionen Euro (rund 8,3 Milliarden Schilling) sogar etwas mehr Budget als im Vorjahr. Eine Erhöhung, die übrigens von den Arbeitnehmervertretern durchgesetzt wurde. Laut WIFO-Prognose ist aber mit kontinuierlicher Steigerung der Arbeitslosenquote (registrierte Arbeitslose in Prozent des unselbständigen Arbeitskräftepotentials) zu rechnen, zumindest so lange, bis der erwartete Konjunkturaufschwung eintritt.

Wie sich das heuer mit den projektierten Maßnahmen ausgeht? »Es bedeutet, dass der einzelne Förderfall um sieben Prozent billiger werden muss«, errechnet Herbert Buchinger, AMS-Vorstandsvorsitzender, »indem wir die Maßnahmeträger noch mehr drücken und noch mehr Konkurrenz unter den Anbietern auf dem Arbeitsmarkt herstellen. Hie und da wird man auch von teuren zu billigeren Maßnahmen umschichten müssen.«

2,7 Milliarden Euro Arbeitergelder ins Budget verschoben!

Von der Konjunkturflaute abgesehen, ein hausgemachter Druck. Wertvolle Zeit hatte die Erklärung der Bundesregierung, das AMS in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umzuwandeln, gekostet. Die Geschichte: Die Regierung hatte beschlossen, per 1. 1. 2002 das AMS in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Alleineigentum des Bundes umzuwandeln. Die Sozialpartner wären von Entscheidungsträgern in den AMS-Gremien (siehe Kasten »AMS-Organigramm«) zu Aufsichtsräten degradiert, Beiträge und Leistungen wären im Nationalrat beschlossen worden. Nicht umsonst eine Lieblingsidee von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein: Als Eigentümer einer einzigen GesmbH wäre er immerhin befugt, den Aufsichtsrat zu nominieren.

Der Bund, als hundertprozentiger Eigentümer der GesmbH, könnte seine Vorstellungen gegen den Willen der Sozialpartner durchsetzen, die finanzielle Verantwortung aber auf die AMS-Gesellschaft abwälzen, kritisierten damals die Arbeitnehmervertreter. »Durch Wegfall der Bundeshaftung trägt eine AMS GesmbH und deren Organe erhebliches finanzielles Risiko in Milliardenhöhe. Kürzungen im Leistungsrecht, Personaleinsparungen und Leistungsauslagerungen sind unausweichliche Folgen«, empörte sich Rudolf Kaske damals über das abenteuerliche Vorhaben, das zur Reverstaatlichung des AMS bei gleichzeitiger Privatisierung des Risikos geführt hätte.

Weniger Einsicht, sondern ein selbst verursachtes Problem brachte die Bundesregierung (vorerst?) von dem Projekt ab: Die Umwandlung in eine privatwirtschaftliche Gesellschaft mit beschränkter Haftung hätte betriebswirtschaftlicher Rücklagen und vor allem des Ausgleichs eines jährlichen Defizits - im Schnitt geschätzte 327 Millionen Euro (4,5 Milliarden Schilling) - bedurft. Ein Minus, das nach geltendem Gesetz aus dem allgemeinen Budget zu begleichen ist.

Die Chuzpe: Bei der Erstellung des Doppeletats 2001/2002 hatte der FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser sämtliche AMS-Überschüsse für das allgemeine Budget verwendet. Überschüsse, die aus den Pflichtbeiträgen von mehr als drei Millionen Arbeitnehmern zustande gekommen waren. Binnen zwei Jahren wurden dem AMS etwa 2,7 Milliarden Euro (37 Milliarden Schilling) entzogen. Stillschweigen breitete sich über die Debatte »Privatisierung des Arbeitsmarktservice«, die immerhin wichtige Ressourcen blockiert hatte.

Geldprobleme

Schwerwiegender als die virtuelle GesmbH-Diskussion wiegt für die Arbeitnehmervertreter besagte »Abschöpfung« der Mittel aus der Arbeitslosenversicherung.

»In Zeiten, wo verstärkte Arbeitsmarktpolitik gefordert wäre, werden die Beiträge nicht zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und akzentuierte Förderung von Aus- und Weiterbildung verwendet, sondern budgetwirksam abgeschöpft«, meint Georg Ziniel, AK-Vertreter im AMS-Verwaltungsrat. »Das größte hausgemachte Problem ist die Entziehung der Mittel und die fehlende arbeitsmarktpolitische Strategie.«

Die letzte Märzstatistik zeigte zwei besorgniserregende Entwicklungen: Den Anstieg der Arbeitslosen bei Jugendlichen und bei über 50-Jährigen. Die negative Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wurde bereits im Mai 2001 dokumentiert. Seit damals reklamieren ÖGB und AK die Freigabe der so genannten Bundesreserve von 1,5 Milliarden. Ziniel: »Die Geldmittel, um der derzeitigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt entgegenzusteuern, sind vorhanden. Die Regierung beabsichtigt aber, auch diese budgetwirksam einzusetzen.«

Am Rand wird's eng

Spürbar wird die finanzielle Enge in der Kooperation des AMS mit seinen Partnern. Bundesweit arbeiten rund 3000 Maßnahmenträger, von großen Bildungseinrichtungen wie dem bfi bis zu kleinen gemeinnützigen Vereinen, als Auftragnehmer des AMS im Bereich der Arbeitsmarktpolitik. Besonders betroffen sind die sozialökonomischen Betriebe und die Beratungs- und Betreuungseinrichtungen, beide in unterschiedlicher Weise mit der Betreuung von »Problemgruppen« befasst. Sie betreuen jene Arbeitssuchenden, für die auch im neuen »Dreizonenmodell« des AMS keine Zeit ist.

In der ausgelagerten »Vierten Zone« sozusagen, finden Menschen mit ganz spezifischen Problemen, die einer raschen Integration auf dem Arbeitsmarkt im Weg stehen, Rat und Hilfe: Schuldner, Suchtkranke, Strafentlassene zum Beispiel, Migranten, ganz einfach »Frauen« oder Langzeitarbeitslose sind unter den Zielgruppen. Auch Menschen mit psychischen oder physischen Problemen, wobei eines wohl immer ins andere übergreift.

Mitte der 80er Jahre war im Bereich der »Problemgruppen« die arbeitsmarktpolitische Diskussion noch völlig anders gelagert: Autonome Vereine, Gemeinden und eigens zu dem Zweck geschaffene Beschäftigungsinitiativen waren angetreten, Arbeitsuchenden auf dem so genannten »Zweiten Arbeitsmarkt« zu attraktiven und sinnvollen Arbeitsplätzen zu verhelfen. Nicht vordergründige Integration so rasch wie möglich war Ziel von Beratung und Betreuung, sondern nachhaltige Begleitung der weniger dynamischen Arbeitslosen. Heute scheinen die Akteure am äußeren Rand des Arbeitsmarktes selbst zum Problem geworden zu sein.

So war zwischen dem Auftraggeber AMS und den Auftragnehmern, die an der Integration von Benachteiligten in den Arbeitsmarkt arbeiten, im Vorjahr eine heftige Diskussion entbrannt, die noch andauert. Angekündigte Budgetkürzungen quer durch alle Maßnahmenträger brachten viele Einrichtungen in prekäre Situationen, bis hin zur Gefahr der völligen Schließung.

»Unser Zugang als ÖGB und AK war, mit dem AMS nachzuverhandeln, um zu sehen, wo Umschichtungspotentiale sind«, berichtet Josef Wallner, Vertreter der AK im Landesdirektorium des AMS Wien. »Bei einigen Einrichtungen, etwa Frauenberatungsstellen, Migranten und Haftentlassenen, ist uns auch eine massive Senkung der Kürzungen gelungen. Einige haben aber noch Probleme.« Nicht allein finanzieller, sondern grundsätzlicher Natur.

Neobliberaler Ansatz der Arbeitsmarktpolitik

Grundsätzliche Probleme zeichnen sich für den Experten in innovativer Arbeitsmarktpolitik, Rainer Klien, schon seit geraumer Zeit ab. Von Projekten mit dem Ziel, Menschen in sinnvolle Tätigkeiten zu bringen, ginge der Weg heute in Richtung Förderung des Niedriglohnbereichs, meinte er bei der vierten Armutskonferenz im Oktober 2001. Ein sichtbares Zeichen davon ist die steigende Armut selbst unter jenen, die entlohnter Arbeit nachgehen.

Rainer Klien: »Die Experten der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik haben sich schamlos zu Handlangern des wild gewordenen Neoliberalismus machen lassen. Wenn dieser Prozess nicht gestoppt wird, stehen Armut und Barbarei mitten in den >zivilisierten< Gesellschaften.« (Siehe auch A&W 2/2001 »Gegen Einheitsdenken und Zwangsarbeit: Zweiter Arbeitsmarkt und innovative Beschäftigung«, von Rainer Klien.)

Eine Tendenz, die sich an Thematik und Form der aktuellen Debatte zeigt. Es geht um die Frage: Was bedeutet Effizienz und Nachhaltigkeit in der Vermittlung von Menschen in den Arbeitsmarkt? Und vor allem: Wie wird sie gemessen?

Ein Detail, das durch die Auflagen des AMS an die Betreuungsstellen für weitere Kooperation zum Problem wurde. Die geplanten Vorgaben: »Anhebung des Betreuungsschlüssels« (sprich: mehr Kunden pro Zeiteinheit), Konzentration auf AMS-Zuweisungen (die Zahl der Arbeitsuchenden, die sich aus Eigeninitiative an die Beratungsstellen wenden, soll gesenkt werden) und eine rigide Dokumentationspflicht. Für die AMS-Partner stellt dies die Qualität ihrer Arbeit in Frage.

Effizienz und Kundenorientiertheit ist ohnehin auch ihr Anliegen. In der ausgelagerten »vierten Zone«, wo Kunden zu Klienten werden, gelten andere Maßstäbe. Diese festzulegen ist eine arbeitsmarktpolitische Diskussion wert.

DAS ORGANISATIONSMODELL DES AMS ÖSTERREICH

Mit dem Arbeitsmarktservicegesetz vom 1. Juli 1994 wurde die Arbeitsmarktverwaltung aus dem Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales ausgegliedert und das Arbeitsmarktservice (AMS) als Dienstleistungsunternehmen des öffentlichen Rechts konstituiert.

Im hoheitlichen Bereich ist der Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft oberstes Organ und weisungsbefugt. Zwar nimmt das AMS hoheitliche Funktionen wie die Auszahlung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe wahr, die Geschäftsführer sind aber an die Weisungen des Eigentümers Bund, vertreten durch Arbeitsminister (und Wirtschaftsminister) Martin Bartenstein, gebunden. Er gibt die allgemeinen Zielsetzungen vor, bewertet die Tätigkeiten des AMS und genehmigt grundsätzliche finanzielle Angelegenheiten. Die Entscheidungen über den Instrumenten- und Mitteleinsatz für die Erreichung der vorgegebenen arbeitsmarktpolitischen Ziele erfolgt - weitgehend - im AMS, das in Bundes-, Landes- und Regionalorganisationen gegliedert ist.

Auf Bundesebene agiert der

Verwaltungsrat:
Vorsitzender des Präsidiums ist Günter Steinbach (AMS-Bundesgeschäftsstelle), dessen Stellvertreter sind Georg Ziniel (Bundesarbeitskammer) und Wolfgang Tritremmel (Vereinigung der Österreichischen Industrie).
Günter Steinbach (AMS-Bundesgeschäftsstelle), Arnold Pregernig (Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft) und Richard Gauss (Finanzministerium) vertreten als Mitglieder im Verwaltungsrat die Regierung.

Die Arbeitnehmer
werden von Bernhard Achitz (ÖGB), Rudolf Kaske (Vorsitzender der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönliche Dienste) und Georg Ziniel (Bundesarbeitskammer) repräsentiert.
Wolfgang Tritremmel (Vereinigung der Österreichischen Industrie), Peter Kotauczek (Beko GmbH) und Fritz Miklau (Wirtschaftskammer) sprechen für

die Arbeitgeber.
Die Sozialpartner sind also gegenüber den Vertretern der Regierung »in der Überzahl«. Zu bedenken ist aber auch, dass Arbeitgeber und Unternehmer allein die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung leisten. Die Stärkung der Rolle der Sozialpartner bei der Gestaltung der österreichischen Arbeitsmarktpolitik ist daher eine der wichtigsten Forderungen von ÖGB und AK.

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Gabriele Müller http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 May 2002 00:00:00 +0200 1193756181835 Die Urabstimmung des ÖGB | Forderungen und Ergebnisse 1). 807.192 Unterschriften haben Wirkung gezeigt. Die Regierung war gezwungen, sich ernsthaft mit den Vorschlägen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auseinander zu setzen. Die bisherigen Gespräche haben gezeigt, dass es bei den Urabstimmungsfragen kein »Drüberfahren« gibt.]]> So sind wichtige Forderungen, zum Beispiel die Pflichtversicherung in der Sozialversicherung, außer Streit gestellt und unsere Vorstellungen einer »Abfertigung neu« für alle Arbeitnehmer von der Regierung übernommen worden.

Umgekehrt gibt es aber auch Anliegen der Urabstimmung, denen die Regierung bisher nicht gefolgt ist - zum Beispiel die Rücknahme der Studiengebühren oder, wo lediglich weitere Gespräche zugesichert wurden (zum Beispiel zur Aufnahme wertschöpfungsbezogener Grundlagen in der Sozialstaatsfinanzierung). In diesen Bereichen ist der ÖGB keinesfalls mit den bisher erzielten Ergebnissen zufrieden und wird weiter alle demokratischen Mittel zur Umsetzung der Forderung nützen - parlamentarische Initiativen, Aktionen, Überprüfung der für die Arbeitnehmer nachteiligen Gesetze durch die Höchstgerichte, Unterstützung von Volksbegehren und anderes mehr.

Ergebnis der bisherigen Verhandlungen waren letztlich zum Teil auch sehr unterschiedliche Auffassungen einzelner Regierungsmitglieder zu wichtigen Fragen.

So hat etwa die FPÖ Vorstöße des (auch für die Arbeitsrechtspolitik) zuständigen Wirtschaftsministers zur Arbeitszeitflexibilisierung schlichtweg abgelehnt.

Insgesamt zeigen die bisherigen Ergebnisse und der Stand der Verhandlungen mit den Regierungsmitgliedern: Die Urabstimmung hat den ÖGB gestärkt. Da und dort gehörte Stimmen in der Politik - »der ÖGB vertrete ja gar nicht die Anliegen seiner Mitglieder« - sind widerlegt. Die mehr als 800.000 Stimmen sind allerdings nicht der Schluss, sondern erst der Beginn der Bemühungen um die Umsetzung der Forderungen.

Positive Verhandlungsergebnisse

Pflichtversicherung bleibt gewährleistet

Ein erstes Ergebnis der Urabstimmung war die überwältigende Mehrheit für die Beibehaltung der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung. Damit sollen auch in Zukunft alle, unabhängig von ihrem Einkommen, auf Gesundheits- und Pensionsvorsorge vertrauen können.

Noch das FPÖ-ÖVP-Regierungsabkommen vom Februar 2000 hatte anderes vorgesehen: Nämlich im Krankenversicherungsrecht die »Prüfung« eines Umstiegs vom Prinzip der Pflichtversicherung zum Prinzip der Versicherungspflicht bei einem beliebigen Versicherungsträger.

Die Konsequenzen eines solchen Umstiegs sind klar: Die Arbeitnehmer sind nicht mehr automatisch in den Krankenkassen versichert, sondern nur verpflichtet, sich gegen das Risiko Krankheit auf dem freien Markt der Versicherungsgesellschaften zu versichern.

Das würde bedeuten, dass private Versicherungsunternehmen - wegen des geringen Krankheitsrisikos - jungen Menschen Versicherungsverträge mit vergleichsweise günstigen Prämiensätzen anbieten können. Gruppen mit höherem Risiko - zum Beispiel ältere Menschen, Frauen, Arbeitnehmerinnen mit belastenden Arbeitsbedingungen, weniger gut Verdienende - würden hingegen Gefahr laufen, höhere Beitragssätze in Kauf zu nehmen oder sich mit schlechteren medizinischen Leistungen abzufinden. Im Ergebnis: Zwei-klassenmedizin.

Offenbar aufgrund dieser Einsicht hat sich der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen in den Verhandlungen zur Urabstimmung ausdrücklich für die Beibehaltung der Pflichtversicherung in der Sozialversicherung ausgesprochen. Diskussionen um »Versicherungspflicht statt Pflichtversicherung« sind damit für die Regierung beendet.

Auch Vorschläge zur Ausnahme »Besserverdienender« aus der sozialen Krankenversicherung und damit aus dem Solidarausgleich werden nicht verfolgt. Ein erster wichtiger Erfolg der Urabstimmung.

Die »Abfertigung neu« für alle Arbeitnehmer wird von der Regierung übernommen

Ein zweiter wesentlicher Punkt der Urabstimmung war die Forderung nach Abfertigung ab dem ersten Tag, auch bei Selbstkündigung und mit freier Verfügbarkeit für die Arbeitnehmer.

Die Forderungen waren auch hier wohl begründet. Denn nach den Ausführungen im FPÖ-ÖVP-Regierungsabkommen ging der Weg noch in Richtung Abschaffung der Abfertigung. An ihre Stelle sollte eine - aus den ehemaligen Abfertigungsansprüchen der Arbeitnehmer finanzierte - »Betriebspension« treten.

ÖGB und Arbeiterkammer haben von Anfang an derartige »Reformmodelle« strikt abgelehnt. Denn Umwandlungen der Abfertigung in eine Betriebspension müssten aller Voraussicht nach als Vorwand für weitere Senkungen des Leistungsniveaus der ASVG-Pensionen herhalten. Im Ergebnis stünde dann bestenfalls so viel Pension wie heute zu, gleichzeitig wäre die Abfertigung weg.

Es ist bereits ein direkter Erfolg der ÖGB-Urabstimmung, dass unsere Positionen zum Durchbruch kamen. Die Forderungen »Abfertigung für alle Arbeitnehmer, kein Eingriff in bestehende Ansprüche, Abfertigung bei Selbstkündigung und geradliniges Anwachsen der Abfertigung«, vor allem aber auch »keine Vermengung von Abfertigung und Betriebspension« fanden Eingang in der Sozialpartnereinigung, die letztlich von der Bundesregierung übernommen wurden2).

Kollektivvertragsautonomie außer Streit

In der Urabstimmung haben die Mitglieder ein unmissverständliches Votum dafür abgegeben, dass Lohnerhöhungen und Arbeitszeiten weiterhin durch die Gewerkschaften in Kollektivverträgen geregelt werden.

No-na-Forderungen, wie manche Gegner der Urabstimmung meinten?

Mitnichten, denn das hier schon öfter zitierte Regierungsabkommen sah Gegenteiliges zu den ÖGB-Forderungen vor. Unter dem Titel »Reform der Sozialpartnerschaft« wurde kryptisch von »Verlagerung der überbetrieblichen in die betriebliche Mitbestimmung« gesprochen - insbesondere in Bezug auf Arbeitszeit, Betriebszeiten und Kollektivvertragsrecht.

Auch in diesem Bereich haben die Verhandlungen zur Urabstimmung wichtige Ergebnisse gebracht. Der zuständige Minister für Wirtschaft und Arbeit hat in den Gesprächen die Regelung der Lohnbedingungen durch das Instrument der Kollektivverträge und damit die Kollektivvertragsautonomie außer Streit gestellt. Das gilt ausdrücklich auch für die Festlegung der Ist-Löhne und die Absicherung von Urlaubsgeld und Weihnachtsremuneration (13. und 14. Gehalt).

Eine wichtige Einschränkung bei der Erfüllung der Urabstimmungsforderungen gibt es allerdings in der Arbeitszeit. Hier ist der Wirtschaftsminister von seinem Wunsch zu einer »Reform des Arbeitszeitgesetzes«, durch die individuelle Abmachungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Unternehmensebene größeres Gewicht bekommen sollen, nicht abgerückt. Was in der Formulierung oft schön klingt, heißt in der Praxis: Verschiedene Unternehmerwünsche nach Flexibilisierung der Arbeitszeit und Entfall von Überstundenzuschlägen sollen vorbei an den Gewerkschaften und Betriebsräten durchgesetzt werden können3).

Keine weitere Ausdehnung der Selbstbehalte für diese Legislaturperiode

Selbstbehalte sind eine Art Krankensteuer. Wer oft oder lange oder schwer krank ist, muss viel zahlen. Ein zusätzlicher Selbstbehalt trifft also besonders chronisch Kranke, ältere Menschen und Schwerkranke.

Eine wichtige Forderung der Mitglieder in der Urabstimmung war daher auch die Linie gegen generelle Selbstbehalte als Finanzierungs- und Steuerungsinstrument im Gesundheitswesen.

Im Regierungsabkommen für diese Legislaturperiode war hingegen noch die Festlegung eines generellen Selbstbehaltes bei Inanspruchnahme aller medizinischen Leistungen in Höhe von 20 Prozent vorgesehen. Das wäre mehr als eine Verdoppelung der bisherigen Selbstbehaltlasten für Arbeitnehmer und eine zusätzliche Belastung von rund 800 Millionen Euro gewesen.

Im Besonderen auch unter dem Eindruck der heftigen Diskussion um die Einführung der Ambulanzgebühren hat nun der zuständige Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen in den Gesprächen zur Urabstimmung eine weitere Ausdehnung der Selbstbehalte für diese Legislaturperiode ausgeschlossen. Teilergebnis der Verhandlungen ist zudem, dass das Sozialministerium die Einführung der Chipkartengebühr4) nicht als politisches Ziel ansieht, sofern andere nachhaltige Finanzierungsquellen für die Krankenkassen zur Verfügung stehen. Da die Entscheidung darüber bis zum Sommer des Jahres fallen soll, sind Auseinandersetzungen um die Finanzierung der sozialen Krankenversicherung auch in den nächsten Monaten zu erwarten.

Positive Ergebnisse der Urabstimmung im AMS-Bereich - Ausbildungsgarantie für Schulabgänger

Gerade auch der Bereich des Arbeitsmarktservice hatte in den letz-ten zwei Jahren unter der Regierungspolitik zu leiden. 2000 wurden 581 Millionen Euro, 2001 821 Millionen Euro und 2002 1119 Millionen Euro Beitragsgelder der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zweckentfremdet für das Bundesbudget abgezogen. Und das trotz mittlerweile exorbitant ansteigender Arbeitslosigkeit.

Trotzdem zeigen sich auch hier, durch das von der Urabstimmung herbeigeführte politische Klima, positive Auswirkungen auf die praktische Gewerkschaftsarbeit. Eine ursprünglich für heuer geplante Kürzung der Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik (Arbeitsmarktförderung) um weitere 43,6 Millionen Euro konnte durch die Arbeitnehmervertreter im Arbeitsmarktservice verhindert werden. Für die aktive Arbeitsmarktpolitik werden heuer ebenso 603 Millionen Euro zur Verfügung stehen wie 2001.

Die starke Thematisierung der Jugendarbeitslosigkeit in den Verhandlungen um die Urabstimmung hat ein weiteres positives Ergebnis gebracht. Vor allem die von uns immer wieder vorgebrachte Sorge um die Unterbringung von Schulabgängern hat zu einer Ausbildungsgarantie des zuständigen Wirtschaftsministers für alle Schulabgänger ohne Lehrplatz geführt.

Letztlich: Das von allen Regierungsmitgliedern abgelegte Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft zeigt in Einzelbereichen Wirkung: Während ursprünglich Ideen des Wirtschaftsministeriums zur Reform der AMS-Organisation noch die Schwächung der Stellung der Sozialpartner bedeutet hätten (unter anderem bei der Vergabe von Arbeitsmarktförderungsmitteln), hat der zuständige Minister in den Urabstimmungsverhandlungen erklärt, dass es zu keiner Stärkung der Position des Ministeriums zu Lasten der Sozialpartner kommen wird. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei der AMS-Planung - auch regional - bleibt erhalten.

Sozialministerium: Positiv zur Aufnahme sozialer Grundrechte in die Verfassung, Arbeitsgruppe im Sozialministerium zur Wertschöpfungsabgabe.

Wichtige Ergebnisse brachten die Verhandlungen zu den Forderungen der Urabstimmung auch bei einem anderen Anliegen der Mitglieder: der Verankerung sozialer Grundrechte in der Verfassung. Dabei geht es darum, neben den klassischen Grund- und Freiheitsrechten auch so genannte soziale Grundrechte (Recht auf Arbeit, Recht auf angemessene Arbeitsbedingungen, Recht auf soziale Sicherheit) in das rechtliche Fundament des Zusammenlebens im Staat - der Verfassung - zu übernehmen. Neben der Freiheit gehört auch die soziale Sicherheit als zentraler Wert unserer Gesellschaft endlich in den Grundrechtskatalog der österreichischen Bundesverfassung5).

Der Sozialminister hat sich in den Gesprächen zur Urabstimmung nun ausdrücklich positiv zur Aufnahme sozialer Grundrechte in die Verfassung gestellt. Das soll auch für das Sozialversicherungsprinzip einschließlich Pflichtversicherung und für die Pensionsvorsorge gelten. Seine entsprechende Einladung zu diesbezüglichen Vorbereitungen hat der ÖGB natürlich sofort aufgenommen.

Letztlich: Eine Arbeitsgruppe hat der Minister darüber hinaus in einem anderen wichtigen Thema der Urabstimmung zugesagt, nämlich »Beitragsgerechtigkeit zwischen Versicherten in der Sozialversicherung und Einführung einer Wertschöpfungsabgabe zur Finanzierung«.

Viele offen gebliebene Forderungen der Urabstimmung

Die Verhandlungen zu den Forderungen der Urabstimmung haben eine Reihe positiver Ergebnisse gebracht. Umgekehrt sind aber auch viele Fragen offen geblieben.

Das gilt zunächst einmal für den gesamten Bildungsbereich. Die zuständige Bundesministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur hat die Urabstimmungsforderung nach Abschaffung der Studiengebühren abgelehnt.

Offen geblieben sind im Sozialministerium die von uns angesprochenen wichtigen Fragen wie: Rücknahme der Ambulanzgebühren und der Besteuerung der Unfallrenten.

Offen geblieben sind auch entscheidende Fragen in Bezug auf den öffentlichen Dienst und das öffentliche Eigentum. Die Urabstimmung hatte sich ja ganz deutlich für einen Stopp des unwiderruflichen Ausverkaufs öffentlichen Eigentums (zum Beispiel Betriebe, Strom, Wasser, Wälder) ausgesprochen, um die Grundversorgung zu sichern.

So hat es in den Gesprächen im Finanzministerium lediglich ein sehr allgemeines Bekenntnis zum öffentlichen Dienst gegeben, gleichzeitig mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Verwaltungsreform. Das Dienstrecht wird hier also auch in den nächsten Monaten Teil der politischen Auseinandersetzung sein.

Auch was die Zukunft der ÖIAG-Unternehmen betrifft, blieben entscheidende Fragen der Wirtschaftspolitik unbeantwortet. Während sich der Finanzminister klar ablehnend zur ÖGB-Position nach österreichischem Kerneigentum und Stellung der ÖIAG als Beteiligungsgesellschaft geäußert hat (»Standortpolitik geht vor strategischem Eigentum«), vertrat der Wirtschaftsminister ähnliche Positionen wie der ÖGB. In den Gesprächen zur Urabstimmung hat er seine öffentliche Haltung wiederholt, wonach es bei künftigen Privatisierungen von größeren ÖIAG-Betrieben einen österreichischen Kernaktionär geben müsse, und wenn es dazu keine private Alternative gäbe, dann eben der Staat und die ÖIAG. Letztendlich offen geblieben sind auch die Fragen der »Daseinsvorsorge«. Die Kritik der ÖGB-Urabstimmung an der Bundesregierung, die sich unter anderem im Bericht der Aufgabenreformkommission niederschlägt, in dem weitere Bereiche der Daseinsvorsorge wie Wasser, Abfall und Nahverkehr zur quasi zwangsweisen Privatisierung empfohlen wird, blieb in den bisherigen Verhandlungen nicht ausreichend beantwortet.

1) 6. November 2001 - Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel und Vizekanzlerin Dr. Susanne Riess-Passer, 19. Dezember 2001 - Bundesminister für Finanzen, Mag. Karl-Heinz Grasser, 21. Dezember 2001 - Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, Dr. Martin Bartenstein, 18. Jänner 2002 - Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Dr. Elisabeth Gehrer, 28. Jänner 2002 - Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen, Mag. Herbert Haupt

2) Ein entsprechender Gesetzentwurf über die »Abfertigung neu« befindet sich in Begutachtung.

3) Dr. Richard Leutner; »Es geht um die Löhne«, A&W 3/2002

4) Ersatz für die mit der Einführung der Chipkarte in der Sozialversicherung entfallende Krankenscheingebühr.

5) Christoph Klein; »Soziale Grundrechte in die Verfassung, wozu?«, A&W 3/2002

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Richard Leutner (Leitender Sekretär des ÖGB) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 May 2002 00:00:00 +0200 1193756181767 »Produktivitätszuwächse in Löhne umsetzen!« | Zukunftskonferenz des ÖGB in Wattens Im Rahmen der Zukunftskonferenz über die Themen »Einkom- menspolitik - Kollektivvertragspolitik« standen jene Fragen im Mittelpunkt der Diskussion, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter besonders berühren.

Die Einkommenspolitik der Zukunft im ÖGB

Denn obwohl wir in Sachen Gehaltspolitik sehr bemüht sind und Erfolge zu verzeichnen haben, zeigt sich oft die Notwendigkeit, neue Wege zu gehen beziehungsweise eingefahrene Spurrillen zu verlassen.

So ist es in Österreich Realität, dass in der Zeit von 1990 bis 2000 der jährliche Produktivitätszuwachs in der Sachgüterproduktion 2 Prozent betrug, das durchschnittliche Nettoeinkommen der Arbeitnehmer im selben Zeitraum lediglich um 0,5 Prozent stieg, obwohl wir versucht haben, jährlich produktivitätsorientierte Kollektivvertragsabschlüsse nach Hause zu bringen.

Das leidige Lohnnebenkostenproblem

Unsere Partner auf Unternehmerseite jammern uns vor, die Lohnnebenkosten seien zu hoch, darum gäbe es eine so geringe Nettoreallohnentwicklung. Richtig ist vielmehr, dass sich die reale relative Lohnstückkostensituation Österreichs im Vergleich zu den wichtigsten Handelspartnern seit 1997 jedes Jahr verbessert hat und daher die Nettolöhne ebenfalls besser aussehen müssten. Die Lohnstückkosten werden international zum Vergleich der Wettbewerbsfähigkeit herangezogen. Was Lohnnebenkosten sind, weiß man nur in der Wirtschaftskammer Österreich und das in mehreren unterschiedlichen Ausführungen. Bei den wirklich relevanten Lohnstückkosten nimmt Österreich eine ausgesprochen gute Position ein (siehe Grafik »Lohnstückkostenentwicklung« auf dieser Seite).

Österreich ist international gesehen wettbewerbsfähig. Im Durchschnitt zu allen Handelspartnern hat sich die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie- und Sachgüterproduktion österreichischer Firmen um 10 Prozent verbessert. Was uns fehlt, ist eine ausreichende Stabilisierung der Massenkaufkraft.

Auch die realen Prozentzahlen der nicht aussagekräftigen »Lohnnebenkosten« gingen in der Zeit von 1988 bis 2000 von 94,4 Prozent auf 90,2 Prozent zurück. Die so genannten Lohnnebenkosten sind also nicht wirklich der Grund für unseren »Kriechgang« in der Nettoreallohnentwicklung.

Preiserhöhung und so genannte »Sparpakete«

Die »Schneckenbewegung« in der Nettoreallohnentwicklung hat einerseits mit der Preisentwicklung, andererseits mit der Belastung der Arbeitnehmer durch Gebühren und Abgaben zu tun.

Viele Unternehmen wollen nur noch die so genannte »Kerninflation« abgelten und weigern sich, jene Fragen einem Lohnausgleich zuzuführen, die vom Weltmarkt gestellt werden. Die Europäische Zentralbank und der ECO-FIN-Rat schließen sich gerne dieser Sichtweise an. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber stehen vor einer Preissteigerung von etwa 2,7 Prozent (2001) und können nicht akzeptieren, dass sie die mangelnde Preisdisziplin und die oft nicht vorhandene Preiskontrolle durch niedrige Löhne und Gehälter bezahlen sollen.

Durch die Belastungen infolge der Sparpakete der Regierungen wird ebenfalls das Nettorealeinkommen sehr negativ beeinflusst (siehe Tabelle 1: »Entwicklung der Einkommen insgesamt«).

Tabelle 1

ENTWICKLUNG DER EINKOMMEN INSGESAMT
(in Milliarden E)
2001 2002 2003
Masseneinkommen netto: 99,55 101,94 105,00
Belastungen durch Sparpakete 2,4 2,7 2,9
Auswirkungen -2,35% -2,58% -2,60%

Quelle: WIFO

Produktivitätssteigerungen nicht abgelten

Die europäischen Institutionen wie ECO-FIN-Rat und Europäische Zentralbank geben uns Gewerkschaften gerne den Rat, wir sollten doch mit unseren Lohnabschlüssen unter den Produktivitätssteigerungen liegen und droht uns sogar mit Sanktionen, wenn wir diese unserer Meinung nach falsche Ansicht nicht auch vertreten (siehe Tabelle 2: »Die Entwicklung der Nettoeinkommen in Österreich«).

Tabelle 2

DIE ENTWICKLUNG DER
NETTOEINKOMMEN IN ÖSTERREICH
BIP, real Produktivität (BIP real je Erwerbstätigen) Arbeitnehmer: Nettorealeinkommen
1990 +4,7 +3,0 +0,5
1991 +3,3 +1,9 +2,1
1992 +2,3 +2,1 +0,5
1993 +0,4 +1,1 -0,5
1994 +2,6 +2,7 +0,8
1995 +1,6 +1,6 0,0
1996 +2,0 +2,6 -2,8
1997 +1,3 +0,8 -2,4
1998 +3,3 +2,5 +2,3
1999 +2,8 +1,5 +4,3
2000 +3,3 +2,5 +1,7
2001 +1,1 +0,6 -0,7
Prognose
2002 +1,2 +1,2 +0,6
2003 +2,8 +1,9 +0,4

Quelle: WIFO

Die Nettorealeinkommen geben an, was die Arbeitnehmer nach erfolgter Lohnerhöhung unter korrekter Berücksichtigung der Inflationsrate und der steuerlichen Abzüge tatsächlich mehr bekommen haben

Gewerkschaften müssen - und das ist eine der wesentlichen Erkenntnisse der Wattener Konferenz - den gesamten Produktivitätszuwachs in die Lohnentwicklung integrieren, denn nur so kann man Kaufkraftverluste verhindern. Die gesamtwirtschaftliche Produktivitätssteigerung ist hier angesprochen und nicht die einer Branche.

Ist der Kollektivvertrag, wie wir ihn kennen, noch zeitgemäß?

Günther Chaloupek (AK) beantwortete in seinem Referat bei der Zukunftskonferenz diese Frage sehr eindeutig (Artikel 1). »Selbst die Unternehmerorganisationen stellen den Kollektivvertrag als Regelungsinstrument der Arbeitsbeziehungen nicht in Frage, warum sollten wir das tun?«

Der Kollektivvertrag erspart den Unternehmen einen erheblichen Aufwand bei der Gestaltung normativ nötiger Arbeitsbeziehungen und entlastet die betriebliche Ebene von Konflikten. Der Kollektivvertrag erhöht außerdem die Sicherheit bei der Entwicklung des Kostenfaktors Lohn. Es gibt noch viele Gründe, warum der Kollektivvertrag etwas Sinnvolles und Vorteilhaftes ist.

Für die Arbeitnehmer ist der Kollektivvertrag neben der Lohnsicherheit, die er schafft, vor allem ein Instrument der Regelung von Arbeitsbeziehungen und eine verlässliche Basisnorm, auf der vieles aufbaut.

Gewerkschaften müssen »neue Antworten auf alte Fragen« geben und sich europaweit koordinieren!

Die Antwort der Gewerkschaften auf die Vorstellungen der Unternehmer war bisher das Festhalten an einer produktivitätsorientierten Einkommenspolitik und die Abgeltung der Preissteigerung nach dem Verbraucherpreisindex. Nun aber muss eine koordinierte Vorgangsweise in der Lohnpolitik in ganz Europa gefunden und unsere Hausaufgaben müssen in Österreich noch erledigt werden. So wurden in Wattens folgende Problembereiche in den Vordergrund gestellt, die rasch gelöst werden müssen:

  1. Die Flucht aus dem Kollektivvertrag auf allen Ebenen hat Ausmaße angenommen, die nicht zu tolerieren sind. Die Sicherheit der Kollektivverträge muss gegenüber dem Gesetzgeber und dem Kollektivvertragspartner wieder hergestellt werden. Das gilt auch für den ÖGB. Wenn wir uns der Branchenpolitik, als der sinnvollsten Kollektivvertragspolitikform, verschrieben haben, müssen wir uns auch selbst daran halten. Ausnahmen von der Regel kann es nur für Gebietskörperschaften und Vereine geben, nicht aber für ausgelagerte Unternehmen und Betriebe.
  2. Die Rechtssicherheit für Arbeitnehmer und Kollektivvertragspartner bei der Umsetzung beschlossener Kollektivverträge muss vergrößert werden.
  3. Der ÖGB ist auf Arbeitnehmerseite mit Priorität gegenüber der Kammer für Arbeiter und Angestellte in allen Bereichen kollektivvertragsfähig, mit Ausnahme einer Sonderregelung für den Land- und Forstarbeiterbund Oberösterreich. Die Maßnahme der Bundesregierung, dem Zentralbetriebsrat des ORF die Kollektivvertragsfähigkeit per Gesetz zu gewähren, ist der Meinung namhafter Experten zufolge verfassungswidrig. Die von allen gewollte Autonomie der Gewerkschaften in der Einkommens- und Kollektivvertragspolitik ist im Statut und der Geschäftsordnung des ÖGB festgelegt. Die Einbehaltung und Belebung der Gewerkschaftsautonomie ist eine wesentliche Aufgabe, das Konkurrenzverhalten zwischen den Gewerkschaften ist abzubauen und gemeinsame Kollektivvertragslösungen sind im Rahmen einer solidarischen Kollektivvertragspolitik zu finden.
  4. Die Einkommenspolitik in den Kollektivverträgen soll sich in Zukunft vor allem am Verbraucherpreisindex (VPI) und am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritt orientieren, nicht an der Branchenproduktivität.
  5. Bildung, Aus-, Weiter- und Fortbildung soll in Zukunft wichtiger Bestandteil der Kollektivverträge werden.

Arbeitsgruppen formulieren Forderungen

In einer intensiven Diskussion erarbeitete die Konferenz eine Fülle von Forderungen an die Lohn- und Gehaltspolitik im ÖGB, also an uns selbst. Die Palette reichte von einer Mindestlohnpolitik (1000 Euro) über flachere Einkommenskurven und höhere Anfangsbezüge bis zu der nötigen Neubewertung der Arbeit, der Anwendung von »Gender-Mainstreaming« in der Kollektivvertragspolitik und vielen Detailforderungen.

Über eine Frage wurde intensiv diskutiert, nämlich über die Regelung von Aus-, Weiter- und Fortbildung als fixes Element künftiger Kollektivverträge und die Konsequenzen aus dieser Forderung.

Zusammenfassung

  • Der große Vorteil der österreichischen Kollektivvertragspolitik liegt in ihrer Berechenbarkeit für alle beteiligten Akteure. Dazu kommt im Vergleich zu anderen Ländern der enorme gesamtwirtschaftliche Nutzen aus der Art und Weise, wie in Österreich bei Lohnrunden rund die Hälfte der gesamten österreichischen Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt) bewegt wird: Der Abschluss erfolgt nach einigen wenigen konzentrierten Verhandlungsrunden. Andere Länder - auch die Unternehmer - beneiden uns darum.
  • Lohnverhandlungen sind eine gesamtwirtschaftliche Notwendigkeit: Durch sie wird wesentlich die Binnennachfrage im nächsten Jahr bestimmt. Für die Arbeitnehmer geht es um die Teilnahme an der höheren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
  • Der Maßstab für Lohnverhandlungen ist die Abgeltung der Inflation und ein möglichst großer Anteil der Arbeitnehmer am Produktivitätsfortschritt.

Die gewerkschaftliche Koordination in der Lohnpolitik über die österreichischen Grenzen hinaus ist angesichts der Euroeinführung notwendig, damit sich Gewerkschaften künftig bei Lohnrunden nicht gegenseitig unterbieten.

  • Die österreichischen Löhne sind kein Hindernis der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs: Österreich liegt bei den Arbeitskosten im Mittelfeld, bei der Produktivitätsentwicklung jedoch hinter Irland und Finnland an dritter Stelle.
  • Die in der letzten Zeit geäußerte Kritik an der Art und Weise österreichischer Lohnverhandlungsrunden hält der Realität nicht stand. Die Argumente laufen im Wesentlichen darauf hinaus, dass sich die Arbeitnehmer mit dem Bisherigen zufrieden geben sollen.
  • Die Nettorealeinkommen der Arbeitnehmer sind von 1990 bis zum Jahr 2002 jährlich lediglich um 0,5 Prozent gewachsen.
  • Die Einkommensprognosen bis 2003 lassen größere Steigerungen der Nettorealeinkommen der Arbeitnehmer über dieses Maß hinaus erwarten.
  • Die den Arbeitnehmern von der Bundesregierung verursachten Belastungen sind im Wege einer Lohnsteuerreform abzugelten.

Trotzdem wir seit Jahren in Österreich eine ausgeglichene Lohn- und Gehaltspolitik betrieben haben, stellt sich die Frage nach dem »Wie geht es weiter?«. Die Zukunftskonferenz in Wattens hat den Diskussionsprozess eingeleitet.

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Karl Klein (Leiter des Referats für Kollektivverträge des ÖGB und Bundessekretär der Fraktion Christlicher Gewerkschafter im ÖGB) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1193756181708 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 May 2002 00:00:00 +0200 1193756181584 Ist Kollektivvertragspolitik noch zeitgemäß? 1. Zielsetzungen der gewerkschaftlichen Lohnpolitik und ihre Relevanz

Die Erhöhung der Realeinkommen im Ausmaß der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung (zusammen mit Sicherung der Löhne und Gehälter vor der Entwertung durch Inflation) als mittel- und längerfristiges Ziel hat in Zeiten schwächeren Wirtschaftswachstums und gestiegener Arbeitslosigkeit an Aktualität gewonnen.

Knappheait der Arbeitskraft wirkt sich positiv auf den Preis - nämlich den Lohn - aus. Je weniger knapp die Arbeitskraft, je höher die Arbeitslosigkeit, umso schwieriger wird es, bei der Lohnentwicklung mit der Produktivität, die natürlich ebenfalls langsamer zunimmt, Schritt zu halten.

Bis in die achtziger Jahre war dies kein Problem, seither sind die Löhne etwas hinter der Produktivität zurückgeblieben. Dabei muss man auch einräumen, dass es statistisch immer schwieriger wird, so etwas wie ein »durchschnittliches Arbeitnehmereinkommen« zu berechnen, welches für das Jahr 2000 mit dem Wert z. B. für 1980 vergleichbar ist. Durch die Zunahme von Teilzeit, geringfügigen und anderen »atypischen« Formen der Beschäftigung muss z. B. die Arbeitszeit viel stärker berücksichtigt werden, wenn die Teilzeitarbeit so stark zunimmt wie in den letzten zehn Jahren, und darüber gibt es nur mangelhafte Informationen. Aber selbst unter Berücksichtigung dieser Faktoren ergibt sich in fast allen europäischen Ländern ein gewisser, nicht dramatischer Rückstand.

Teilweise ist diese gedämpfte Lohnerhöhung auch durch eine bewusste Zurückhaltung bei den Lohnforderungen bedingt, etwa in schwierigen Konjunktursituationen, bei steigender Arbeitslosigkeit oder bei Branchenkrisen. Bei aller selbst auferlegten Mäßigung sollten wir als Gewerkschaften jede Verallgemeinerung von der Art zurückweisen, »je geringer die Lohnerhöhung, umso besser für die Beschäftigung«. Manche Wissenschafter und die Nationalbanken beglücken uns regelmäßig mit solchen Ratschlägen. Die Erfahrung in der EU in den letzten 20 Jahren zeigt, dass für eine nachhaltige Änderung auf dem Arbeitsmarkt mit permanenter Lohnzurückhaltung nichts zu gewinnen ist.

Nur Reallohnsteigerungen

Wirtschaftswachstum beruht angebotsseitig auf der Zunahme der Produktivität, nachfrageseitig auf einer Zunahme von Konsum und Investitionen. Mehr Wachstum wird es nur bei entsprechender Zunahme des Konsums geben, und diese Zunahme kann längerfristig nur aus Reallohnsteigerungen kommen, welche den Produktivitätsspielraum stärker ausschöpfen. Auf die Aspekte der internationalen Wettbewerbsfähigkeit, die in diesem Zusammenhang immer erwähnt werden, komme ich noch zurück.

Ein Arbeitsmarkt mit hoher bzw. steigender Arbeitslosigkeit erzeugt zudem einen starken Druck für eine Zunahme der Einkommensungleichheit. Das bedeutet eine starke Herausforderung für die solidarische Lohnpolitik. Diese hat das Ziel, »auch für schwächere Gruppen (auf dem Arbeitsmarkt) durch die Kraft starker Gewerkschaften eine positive Einkommensentwicklung zu garantieren. Damit kann eine gleichmäßige Verbesserung des Lebensstandards aller Arbeitnehmer erreicht werden«.

Eine solche möglichst gleichmäßige Einkommensentwicklung zu erreichen, ist in Zeiten hoher und steigender Arbeitslosigkeit eine große Herausforderung. Der Druck geht vor allem auf die niedrigen Einkommen, deren Bezieher erfahrungsgemäß von Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich betroffen sind. Wie wichtig die Kollektivverträge in einer solchen Situation sind, kann man bei einem Vergleich mit anderen Ländern erkennen. Die deutlich erhöhte Ungleichheit der Verteilung der Löhne und Gehälter in jenen Ländern, in denen die kollektiven Lohnbildungsmechanismen geringe Bedeutung haben, also in den USA und in Großbritannien, zeigt, dass Kollektivverträge für eine möglichst gleichmäßige Teilhabe aller Beschäftigten am Produktivitätszuwachs entscheidend sind (siehe Grafik 1: Einkommensungleichheit im internationalen Vergleich).

»... als soziales Gewissen aufspielen ...«

In Österreich ist dies in den letzten 20 Jahren in vergleichsweise hohem Maße, wenn auch nicht völlig, erreicht worden. Der Abstand zwischen den obersten und den untersten 20% der Lohn- und Gehaltsbezieher hat in den letzten 10 Jahren nur geringfügig zugenommen, sodass man weiterhin fast von einer Parallelentwicklung sprechen kann. Diese Tatsache ist erstaunlicherweise nur wenig bekannt, gerade für die Gewerkschaften ist sie aber sehr wichtig, zeigt sie doch, dass die bei uns kontinuierlich praktizierte Kollektivvertragspolitik durchaus ihre positiven Resultate hat. Diese Feststellung ist für die Gewerkschaften - nicht nur in Österreich, sondern in den meisten Ländern der EU, wo die Entwicklung ähnlich verlaufen ist - von außerordentlich großer Bedeutung angesichts der ständigen neoliberalen Propaganda, dass auch bei uns »alles so wird wie in Amerika«, dass der Versuch, die Dinge anders zu gestalten, schädlich und wirkungslos ist. Letzteres sagen auch manche »progressive« Sozialkritiker, die sich den Gewerkschaften gegenüber gerne als soziales Gewissen aufspielen. Die Herausforderung ist in den nächsten Jahren unverändert stark gegeben, denn auch bei guter Wirtschaftsentwicklung wird die Arbeitslosigkeit nicht über Nacht verschwinden. Zuletzt hat sich immer wieder gezeigt, wie schwierig es in manchen Branchen ist, einen Kollektivvertragsabschluss zu erzielen, der wenigstens die Inflation kompensiert (s. Tabelle 1: KV-Lohnerhöhung (%) 1995-2001).

KV-LOHNERHÖHUNG IN % 1995-2001
laut Tariflohnindex Statistik Austria
Arbeiter
Eisen- u. Metallindustrie 20,3
Chem. Industrie 18,8
Erdölindustrie 18,7
Fremdenverkehr 15,2
Friseure 14,3
Fleischer 13,0
Baugewerbe 12,5
Holz verarbeitende Industrie 11,4
Bäcker 11,4
Angestellte
Handel 13,7
Fremdenverkehr 12,1
Verkehr 12,0

Mindestlöhne und Schere Männer : Frauen

Aus ähnlichen Gründen gilt dies auch für die Mindestlohnpolitik (Ziel 1000 Euro) und für die angestrebte Verringerung der Einkommensunterschiede für Männer und Frauen.

Längerfristig betrachtet - also seit 1990 oder seit 1980 - ist eine gewisse Annäherung der Einkommen der Frauen an jene der Männer erfolgt: Vor allem in der oberen Hälfte der Einkommensbezieher ist sie feststellbar, also die relativ besser verdienenden Frauen haben am deutlichsten aufgeholt. Allerdings ist der Abstand beim mittleren Einkommen - bei der Gesamtheit aller Erwerbstätigen haben die Männer hier um 46,5% mehr - immer noch beträchtlich.

Man muss sich aber auch klar machen, dass der KV wahrscheinlich für eine Annäherung der Fraueneinkommen an jene der Männer nicht mehr sehr viel bewirken kann. Alle formalen Unterschiede in den Lohngruppen sind längst eliminiert. Die Unterschiede ergeben sich nicht nur als Effekt von Differentialen zwischen Branchen, sondern ebenso de facto in der Verteilung innerhalb der Branchen. Die entscheidenden Faktoren sind hier die Ausbildung, unterschiedliche Karriereverläufe von Männern und Frauen durch Berufsunterbrechungen, Aufstiegschancen, Arbeitszeiten u. a. m.

2. Die Kritik am Kollektivvertragssystem

Von Unternehmerseite wird die kollektive Lohnsetzung seit längerem aus den verschiedensten Gründen kritisiert.

Eher vereinzelt ist die Infragestellung des Kollektivvertrags an sich. Einzelne Manager behaupten vollmundig, dass der KV als Instrument der Regulierung der Arbeitsbeziehungen »im Zeitalter der Globalisierung« überholt sei und dass viel besser auf Firmenebene die Arbeitsverhältnisse individuell geregelt gehörten.

Eine gewisse Unterstützung finden diese Stimmen bei der Industriellenvereinigung (IV), die auch die treibende Kraft hinter jenem Passus in der ÖVP-FPÖ-Regierungserklärung ist, der Schritte zu einer »Verbetrieblichung« der jetzt im Kollektivvertrag vorbehaltenen Materien ankündigt. Konkrete Vorschläge hat es dazu bis jetzt zur Lohnbildung nicht gegeben, zur Arbeitszeit erfolgte vor kurzem wieder ein Vorstoß. Die IV tritt bekanntlich nicht als Kollektivvertragspartner auf. Die maßgeblichen Interessenvertretungen der Unternehmer (Teilorganisationen der Wirtschaftskammer Österreich, WKÖ) fordern Änderungen, ohne den KV als solchen zu negieren. Die WKÖ bzw. ihre Teilorganisationen umfassen aufgrund der Pflichtmitgliedschaft immer alle Unternehmungen einer bestimmten Branche und Gruppe, und hier werden offenbar die großen Rationalisierungsvorteile, die der KV hat, von der Mehrheit der Mitglieder durchaus geschätzt. Der KV erspart dem einzelnen Unternehmen einen erheblichen Aufwand bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen. Er entlastet die betriebliche Ebene (auch auf Arbeitnehmerseite!) von Verhandlungen und von konfliktträchtigen Entscheidungen. Er erhöht die Sicherheit des einzelnen Unternehmens im Konkurrenzverhältnis zu den anderen durch gleichmäßige Entwicklung des Kostenfaktors Lohn. Es gibt also zahlreiche Gründe für die Sinnhaftigkeit des Instruments KV aus Unternehmersicht.

Unternehmensschlagwort »Mehr Flexibilität«

Gefordert wird von den KV-Verhandlern der Unternehmerseite regelmäßig seit vielen Jahren eine »Erhöhung der Flexibilität«. Unter diesem Titel werden teils sehr verschiedenartige Dinge thematisiert.

Immer wieder behauptet wird die Überforderung der Leistungskraft der Unternehmungen durch zu hohe Lohnforderungen bzw. Lohnerhöhungen im Durchschnitt, die angeblich für einen großen Teil der Unternehmungen nicht verkraftbar sein sollen. Dieser Behauptung widersprechen jedoch die statistischen Daten über Ertragsentwicklung der Unternehmungen und Wettbewerbsfähigkeit. Die so genannten »Lohnstückkosten«, das ist die Lohnkostensteigerung je Produktionseinheit, sind in der Sachgütererzeugung in Österreich seit 1997 um mehr als 7% gesunken (bis 2001). Gegenüber den Konkurrenzländern Österreichs, die keine so starken Produktivitätssteigerungen hatten, hat dies zur Folge, dass sich die preisliche und kostenmäßige internationale Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrieerzeugnisse deutlich verbessert hat - seit 1997 um fast 10% (siehe Grafik: Lohnstückkostenentwicklung 1997-2002 bei Karl Klein »Produktivitätszuwächse in Löhne umsetzen!«, Artikel 2).

Exkurs Lohnnebenkosten

Im Gegensatz zu von der WKÖ ständig wiederholten Behauptungen sind die Lohnnebenkosten in den letzten Jahren nicht gestiegen, sondern gesunken. Nach Berechnungen des Wifo gingen sie zwischen 1988 und 2000 von 94,4% auf 90,2% zurück. Auch die letzte Lohnnebenkostenerhebung der WKÖ ergibt eine Senkung der Lohnnebenkosten um fast 4% zwischen 1996 und 1999. Seither wurden durch das »Belastungspaket 1« der derzeitigen Bundesregierung die Lohnnebenkosten durch Entfall der Urlaubsaliquotierung und des Postensuchtages um weitere 300 Millionen Euro (4,2 Milliarden S) reduziert, und zwar zu Lasten der Arbeitnehmer. Die WKÖ betreibt durch ihre missverständliche Verwendung des Lohnnebenkostenarguments seit Jahren eine gezielte Desinformation. Die Lohnneben-kosten sind keineswegs Zahlungen, »die dem Arbeitgeber viel kosten und von denen der Arbeitnehmer nichts hat«. Mehr als die Hälfte davon kommen den Arbeitnehmern in Form von Sonderzahlungen (13. und 14. Bezug, Lohn während des Urlaubs, Krankengeld, betriebliche Sozialleistungen etc.) direkt zugute, weitere etwa zwei Fünftel sind Beiträge an die gesetzliche Sozialversicherung.

Flexibilität von Unternehmern nicht genützt

In der Industrie ist z. B. durch die so genannten »Verteiloptionen« in den KVs zusätzlicher Flexibilitätsspielraum auf betrieblicher Ebene geschaffen worden, der allerdings von Arbeitgeberseite meist nur in geringem Ausmaß genützt worden ist.

Vor allem muss in diesem Zusammenhang auf die hohe Anpassungsfähigkeit des Instruments Kollektivvertrag an unterschiedliche Erfordernisse der einzelnen Wirtschaftsbranchen hingewiesen werden. Wenn in Österreich mehr als 95% der Arbeitnehmer durch Kollektivverträge erfasst werden, so steht aber hinter dieser hohen Gesamtdeckungsrate die große Vielfalt von rund 250 bundesweiten Kollektivverträgen (dazu kommen noch zahlreiche mit regionalem Geltungsbereich). Dies ermöglicht nicht nur bei der Entlohnung, sondern auch bei der Gestaltung sonstiger Arbeitsbedingungen (vor allem auch bei der Arbeitszeit) ein Eingehen auf die differenzierten Verhältnisse. Die Radikalforderungen nach betrieblicher Dezentralisierung stehen daher nicht nur in starkem Gegensatz zu den gewerkschaftlichen Zielsetzungen, sie sind auch nicht mit sachlichen Erfordernissen zu begründen.

Andrerseits liegt aus gewerkschaftlicher Sicht hier dann ein Problem, wenn die Differenzierung an allzu traditionellen Unterscheidungen ansetzt (alte Handwerkseinteilungen), und/oder wenn auf einen Betrieb eine Vielzahl von KVs angewendet werden muss (z. B. Großkonditorei/-bäckerei: Bäcker, Zuckerbäcker, Gastgewerbe, Transport, Handelsangestellte und -arbeiter). Hier sollte die neue Organisationsstruktur des ÖGB deutliche Vereinfachungen bringen.

New Economy

Neu entstehende Typen von Wirtschaftsaktivität erfordern neue Lösungen für kollektivvertragliche Regelung des Inhaltes von Arbeitsverhältnissen. Das klassische Beispiel ist hier die EDV-Branche, oder allgemeiner: neue Tätigkeitsfelder, die sich unter dem Stichwort »new economy« zusammenfassen lassen.

Von Unternehmerseite wird hier gerne für eine möglichst ungeregelte, »freie Wildbahn« argumentiert. Dass dies mit den hohen Aus- und Weiterbildungsanforderungen einer wissensbasierten Branche nicht zusammenpassen kann, ist evident. Für die Zwecke der Kollektivvertragspolitik muss sehr genau zwischen echten und nur vermeintlichen Besonderheiten der Branche unterschieden werden.

Leiharbeit

Die Leiharbeit ist eine in letzter Zeit stark zunehmende Erscheinung, die meines Erachtens weit überwiegend eine Folge der schlechteren Arbeitsmarktsituation ist, in der die Unternehmer ihre stärkere Position ausnutzen können. Der kürzlich erfolgte Abschluss eines Kollektivvertrags zeigt die Möglichkeiten vor, diese Entwicklung nach und nach in den Griff zu bekommen.

»Verbetrieblichung« nur im Übergangsstadium

Eine Entwicklung, die sich als Folge der Ausgliederung von Bereichen des öffentlichen Dienstes in privatwirtschaftliche Rechtsformen (AG oder GmbH) ergeben hat, muss jedenfalls kritisch beobachtet werden: Auf der Arbeitgeberseite wurde den Unternehmungen Post, Telekom Austria, Bundesmuseen etc. Kollektivvertragsfähigkeit zuerkannt, was an sich normalerweise Vereinigungen vorbehalten ist. Sowohl die Telekom Austria als auch die Post sind Mitglieder der WKÖ. Eine solche »Verbetrieblichung« sollte immer nur auf ein Übergangsstadium beschränkt beleiben.

3. Lohn- und Kollektivvertragspolitik im europäischen Vergleich

Die Arbeitsbeziehungen in den Mitgliedsländern der EU sind äußerst unterschiedlich geregelt, wobei seit Beginn der Währungsunion - eigentlich ziemlich überraschenderweise - ein hohes Maß an Gemeinsamkeit bei der effektiven Regelung der Lohnentwicklung über die Zeit (nicht der absoluten Lohnhöhe und der einzelnen Lohnrelationen) erreicht wird. Es gibt Länder, wo der gesetzliche Mindestlohn dabei eine große Rolle spielt (Frankreich), andere, wo eine Art Allgemeinverbindlichkeit durch Gerichtspraxis gegeben ist (Italien), wieder andere mit großer Bedeutung des Kollektivvertrags (neben Österreich und Deutschland die skandinavischen Länder und die Niederlande).

»Bündnis für Arbeit«

In den Mitgliedsländern der EU haben kollektiv- bzw. tarifvertragliche Instrumente seit etwa 10 Jahren, vor allem als Folge der Schaffung der europäischen Währungsunion, eine beträchtliche Renaissance erlebt. So etwa dadurch, dass im Zusammenhang mit der Schaffung der Europäischen Währungsunion in vielen Ländern »Bündnisse für Arbeit« geschlossen wurden. Unter den derzeit 12 Mitgliedsländern der Währungsunion ist es zu einer deutlichen Konvergenz bei den Forderungen nach Lohnerhöhungen und auch in der tatsächlichen Entwicklung der Nominallöhne gekommen. Eine baldige weitgehende Vereinheitlichung ist weder möglich noch sinnvoll, wohl aber eine Koordinierung auf Gewerkschaftsseite, wobei auf Unternehmerseite ein europäischer Ansprechpartner für Lohnpolitik fehlt. Die großen gewerkschaftlichen Zielsetzungen, Produktivitätsorientierung und solidarische Lohnpolitik, machen eine solche Koordinierung durch Anwendung gemeinsamer Prinzipien seitens der weiterhin national operierenden Gewerkschaften notwendig.

Die Gewerkschaftsseite ist auch einseitig zu einer solchen Koordinierung imstande. Nicht die Kontrolle der Inflation - wie die Europäische Zentralbank fälschlicherweise glauben machen will - ist dabei das zentrale Problem, sondern die Behe-bung der europäischen Nachfrageschwäche durch ein stärkeres Ausschöpfen der Produktivitätsspielräume bei den Lohnerhöhungen. Eine wechselseitige Unterbietung bei den Lohnerhöhungen zur Erzielung - vermeintlicher! - Konkurrenzvorteile fördert die Stagnationstendenzen. Die bessere Ausschöpfung der Wachstumsmöglichkeiten in Europa wird nur gelingen, wenn auch Einkommen und Nachfrage entsprechend zunehmen.

Deutschland : Österreich

Die größte Ähnlichkeit hat das österreichische KV-System mit demjenigen Deutschlands. Von dort werden auch häufig verschiedene Behauptungen auf Österreich übertragen. In Deutschland wurden von Unternehmerseite besonders vehement der Einbau von Öffnungs- und Härteklauseln in die Flächentarifverträge, mehr Möglichkeiten zur Abgeltung von Mehrarbeit in Freizeit (seltener auch umgekehrt) sowie die Möglichkeit untertariflicher Entlohnung bei neu begonnenen Arbeitsverhältnissen gefordert. Eine Übertragung solcher Forderungen auf Österreich ist aber deswegen nicht plausibel, weil in Österreich die KV-Löhne nicht so nahe bei den Effektivlöhnen (»Ist-Löhne« - diesen Begriff kennen die Deutschen kaum) liegen und weil die Möglichkeiten zu Korrekturen auf Betriebsebene in »Härtefällen« durch das Instrument der Änderungskündigung in Österreich größer sind. In Deutschland musste daher die von den Unternehmern so dringend eingeforderte größere Flexibilität durch Einbau neuer Klauseln in die Tarifverträge oft erst neu geschaffen werden, wo sie in Österreich schon vorhanden war. Die Konflikte um die Anwendung solcher Möglichkeiten hat es bei uns auch gegeben, sie wurden aber weit weniger vor medialem Publikum ausgetragen. Gemeinsam für die Situation in beiden Ländern ist, dass das wirkliche Ausmaß der vorhandenen Flexibilität zugedeckt wird durch die permanenten Klagen von Unternehmerseite und auch von Seiten der Medien.

Großer Unterschied

In einer Hinsicht ist der Unterschied zu Deutschland und zur Mehrzahl der anderen EU-Länder sehr groß, nämlich in der automatischen Allgemeinwirkung der Kollektivverträge für alle Arbeitnehmer aller Unternehmungen einer bestimmten Branche durch deren Zugehörigkeit zur Wirtschaftskammerorganisation. In Deutschland ist die Tarifflucht durch Austritt zunehmend ein Problem, sodass heute nur noch etwa 60% aller Arbeitnehmer unter einen Kollektivvertrag fallen, während wir hier zwischen 95% und 100% erreichen. In Deutschland muss im kleingewerblichen Bereich viel stärker mit dem schwierigeren Instrument des »Satzens« gearbeitet werden. Was über die Medien bei uns allgemein bekannt ist, sind die harten Tarifkämpfe der großen deutschen Industriegewerkschaften im gut organisierten Bereich der Großindustrie, wie sie sich auch jetzt gerade wieder abzeichnen. Im übrigen Bereich ist das Tarifsystem in Deutschland nur noch schwach wirksam, während wir in Österreich eine sehr hohe Quote erreichen. Allerdings müssen wir bei den eigenen Vorstellungen kürzer treten, um im Kleingewerbe und im Dienstleistungsbereich einen KV abschließen zu können, der von der Mehrheit der gewählten Fachverbands- und Innungsfunktionäre akzeptiert wird - die Druckmittel auf Gewerkschaftsseite sind hier begrenzt.

4. Kollektivvertrag und Tendenzen der Wirtschaftsstrukturentwicklung

Es ist eine Tatsache, dass der Organisationsgrad der österreichischen Arbeitnehmer in den letzten 20 Jahren kontinuierlich abgenommen hat. Neben der gestiegenen Arbeitslosigkeit sind dafür vor allem zwei langfristige Tendenzen des wirtschaftlichen Strukturwandels maßgeblich.

Die Tertiärisierung der Wirtschaft: Die Beschäftigung in der Sachgütererzeugung geht zurück - allein in dem Zeitraum von 1995 bis 2001 um 56.000 -, während sie im so genannten »Dienstleistungssektor« zunimmt - dort wurde der Verlust der Sachgütererzeugung mit plus 162.500 weit mehr als kompensiert. Kaum noch 30% der Arbeitnehmer arbeiten in Industrie und Sachgütererzeugung, fast 70% in verschiedenen Dienstleistungsbereichen, die eine starke Heterogenität aufweisen.

Bei einer weiteren Untergliederung des Tertiärsektors zeigt sich, dass gerade hier der Organisationsgrad sehr stark zwischen den Teilbereichen differiert (s. Grafik 2: »Beschäftigungsanteile der Wirtschaftsbereiche 2001«).

Eine andere Tendenz, die eng mit der gerade beschriebenen zusammenhängt, ist der abnehmende Anteil der Arbeitnehmer, die in Großbetrieben beschäftigt sind. Allerdings ist die Veränderung in den letzten Jahren in dieser Hinsicht nicht sehr ausgeprägt gewesen. Aber langfristig hat auch dies die Arbeit der Gewerkschaften sehr erschwert.

Wir müssen davon ausgehen, dass sich die beiden aus der Sicht der gewerkschaftlichen Arbeit ungünstigen Strukturtendenzen in den nächsten 10 Jahren mit größter Wahrscheinlichkeit fortsetzen werden (siehe Tabelle 2: Betriebsgröße und Beschäftigung).

BETRIEBSGRÖSSE UND BESCHÄFTIGUNG
Betriebsgröße Beschäftigte in den Betrieben
1990 absolut in % 2000 absolut in %
mehr als 1000 487.129 18,4 489.245 17,2
500-999 199.032 7,5 224.154 7,9
100-499 605.998 22,9 653.836 23,0
50-99 249.204 9,4 279.688 9,8
20-49 336.188 14,7 368.774 13,0
bis 20 770.308 29,1 828.350 29,1
alle Beschäftigten 2,647.779 100,0 2,844.047 100,0

Eine weitere Tendenz ist die Zunahme der Bedeutung von Bildung bzw. Weiterbildung in der »New Economy« oder allgemeiner, in der wissensbasierten Gesellschaft.

Um auch hier breiteren Schichten der Arbeitnehmer den Zugang zu den Weiterbildungsmöglichkeiten zu gewährleisten, wird es notwendig sein, dass entsprechende Rechte im Kollektivvertrag verankert werden.

5. Schlussbemerkungen und Zusammenfassung

Der Kollektivvertrag als Instrument der Lohnbildung ist in Zukunft für die Erreichung der gewerkschaftlichen Zielsetzungen ein unverzichtbares Instrument. Auch für die Unternehmerseite bietet er ein höheres Maß an Berechenbarkeit und Sicherheit bezüglich des wichtigsten Kostenfaktors unter zweifellos schwierigen Konkurrenzverhältnissen. Der Kollektivvertrag kann die schwierige Balance realisieren zwischen betrieblicher Dezentralisierung einerseits und allgemeinen gesetzlichen Regelungen, die oft zu viel Einheitlichkeit voraussetzen würden.

Gerade dadurch ist der Kollektivvertrag in der Sozialpartnerschaft das Instrument, mit dem diese ihre Eigenständigkeit gegenüber dem Staat wahren kann. Dem Kollektivvertrag wird bei der Gestaltung der Arbeitsbeziehungen in der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und in einer globalisierten Wirtschaft im 21. Jahrhundert eine entscheidende Rolle zukommen.

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Günther Chaloupek (Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1193756181453 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1193756181461 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Jun 2002 00:00:00 +0200 1193756181080 Der mühsame Weg aus dem Konjunkturtal Die negativen Einflüsse, die im Vorjahr für den weltweiten Abschwung verantwortlich waren, wie der Zusammenbruch der Investitionen im Informations- und Telekommunikationssektor (IKT) und der drastisch gestiegene Erdölpreis, haben an Wirkungskraft verloren. Auch die politischen und militärischen Reaktionen auf die Terroranschläge des 11. September führten zu keinen zusätzlichen Beeinträchtigung der Wirtschaftslage. Und nicht zuletzt hat der entschlossene Einsatz der Wirtschaftspolitik in einigen Ländern, insbesondere in den USA, dazu beigetragen, dass die Rezession (ein Schrumpfen der realen Wirtschaftsleistung in zwei aufeinander folgenden Quartalen) überwunden werden konnte und Investoren sowie Konsumenten rascher als ursprünglich erwartet wieder zu deren normalem Verhalten zurückfanden.

Abrupter Abschwung - langsame Erholung

Deshalb konnte die Wachstumsprognose für den gesamten OECD-Raum für das Jahr 2002 um gut einen halben Prozentpunkt auf 1,8 Prozent hinauf revidiert werden, und für nächstes Jahr wird mit einem Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes (BIP) von rund 3 Prozent wieder die Rückkehr zur Normalität erwartet. Allerdings ist diese nun optimistischere Sicht ausschließ-lich auf die günstigere Entwicklung in Nordamerika zurückzuführen. Für die EU blieb die Wachstumsprognose mit 1,7/1,5/2,8 Prozent in den Jahren 2001/02/03 praktisch unverändert.

Die OECD stellt fest, dass nach dem überraschend abrupten und weltweit ziemlich im Gleichschritt verlaufenden, wenn auch im historischen Vergleich relativ milden Abschwung die derzeitige Erholung nur langsam an Dynamik zulegt und - im Gegensatz zum vorausgegangenen Abschwung - in den einzelnen Weltregionen recht unterschiedlich verläuft. Die OECD berücksichtigt dabei das überraschend kräftige Wachstum der US-Wirtschaft im 4. Quartal 2001, und sie nimmt an, dass in der EU der Abschwung beendet ist. Japan findet dagegen weiterhin nicht den Weg aus Krise und Deflation, da die anhaltende Strukturbereinigung der Wirtschaft und die infolge Rekordarbeitslosigkeit niedrige Konsumbereitschaft die Inlandsnachfrage drücken.

USA wieder als Konjunkturlokomotive

Die USA müssen somit wieder einmal die Rolle der Konjunkturlokomotive übernehmen. Eine expansive Fiskalpolitik (Steuererleichterungen, vermehrte Sozialtransfers, Abschreibungsbegünstigungen) sowie die raschen, entschlossenen und massiven Zinssenkungen der Zentralbank leisteten wesentliche Beiträge dazu, das Vertrauen insbesondere der Verbraucher, aber auch der Investoren zu stabilisieren. Durch die überraschend hohe Bereitschaft der privaten Haushalte, ihre Schulden auszuweiten, blieb der Konsum die zentrale Konjunkturstütze. Ab dem zweiten Halbjahr 2002 wird auch wieder mit einer Erholung des IKT-Sektors und damit mit einem Anstieg der Inves-titionen zu rechnen sein.

Weiterhin schwache Inlandsnachfrage in Europa

In der Europäischen Union zeichnet sich der Aufschwung weit weniger klar ab. Schließlich fiel auch die Stützung der Konjunktur durch die Wirtschaftspolitik wesentlich zaghafter aus als in den USA. Von den auf Konsolidierungskurs getrimmten öffentlichen Haushalten ging ebenso wenig eine Belebung aus wie von der Zinspolitik der Europäischen Zentralbank, welche ohne Rücksicht auf Wachstum und Beschäftigung einzig die Inflationsbekämpfung im Auge hat. Vor allem die internen Auftriebskräfte fehlen daher, womit die Hoffnungen auf der Belebung der Auslandsnachfrage beruhen. Denn zurzeit sind alle inländischen Nachfragekomponenten schwach. Wenn auch Umfragen bezüglich Wirtschaftsklima, Vertrauen der Investoren usw. eine Verbesserung erwarten lassen, zeigen sich in den »harten« Daten (z. B. Industrieproduktion) noch keine Anzeichen der Wiederbelebung. Von den großen europäischen Ländern zeigte sich Großbritannien am wenigsten von der internationalen Konjunkturabschwächung betroffen, was - ähnlich wie in den USA - vor allem dem sensiblen Einsatz der Wirtschaftspolitik (Staatsausgaben, Zinssenkungen) zugeschrieben wird.

Insbesondere die deutsche Wirtschaft hinkt einer internationalen Konjunkturbelebung nach. Die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt dämpft die Konsumfreudigkeit der Haushalte. Man hofft, dass im Jahresverlauf über die Exportsteigerungen eine Belebung der Investitionen und in deren Folge auch des Konsums eintreten wird.

Arbeitsmarkt und Inflation

Da der Arbeitsmarkt verzögert auf die Produktionsentwicklung reagiert, wird erst heuer mit dem Höhepunkt der Arbeitslosigkeit gerechnet. OECD-weit 35,5 Millionen Arbeitslose stellen den Rekordwert der letzten 5 Jahre dar, und erst 2003 ist mit einem leichten Rückgang zu rechnen. Der Großteil des Anstiegs der Arbeitslosigkeit entfällt auf die USA, und auch in Japan hat sich die Lage weiter verschlechtert. In der EU wird der Höhepunkt der Arbeitslosigkeit gegen Jahresende 2002 und für nächstes Jahr eine leichte Verbesserung erwartet.

OECD-weit wird heuer mit einem deutlichen Rückgang der Inflationsrate gerechnet. In der Euro-Zone erweisen sich dagegen die Preissteigerungsraten auch heuer als hartnäckig. Sie bleiben an der 2-Prozent-Grenze, obwohl die Effekte der Preisanstiege bei Erdöl sowie bei Fleisch ausgeklungen sein sollten und auch von der Lohnseite kein Inflationsdruck besteht. Die OECD rechnet derzeit nicht damit, dass im Zuge weiterer oder verschärfter militärischer Auseinandersetzungen im Nahen und Mittleren Osten eine dramatische Verteuerung von Rohöl einsetzen wird. Man vertraut vielmehr darauf, dass die OPEC versuchen wird, den Ölpreis nicht über den von ihr angestrebten Wert von 25 Dollar pro Fass steigen zu lassen.

Die Prognosen für Österreich

Die Prognosen für Österreich bringen keine Überraschungen: Die Vorhersagen der OECD stimmen weitestgehend mit den nationalen Prognosen (WIFO) über-ein. Wirtschaftswachstum und Inflationsrate liegen minimal unter dem Durchschnitt der Euro-Länder; bei der Arbeitslosenquote besteht zwar nach wie vor das Problem der Vergleichbarkeit aufgrund unterschiedlicher Berechnungsmethoden, doch lässt sich feststellen, dass nach einem relativ kräftigen Anstieg im Jahr 2002 gemäß der Prognose die Quote im kommenden Jahr wieder etwas zurückgehen und damit - in vergleichbarer Rechnung - in der Euro-Zone nur von wenigen Ländern unterboten werden wird.

Unsicherheiten und Risken

Unsicherheiten und Risiken überlagern natürlich auch diesmal das Eintreffen dieser Prognose. Die größte Gefahr geht von der weiteren politischen und militärischen Entwicklung im Nahen und Mittleren Osten aus, welche über eine Erdölpreiserhöhung den erwarteten Aufschwung gefährden könnte. Auch eine Ausweitung der Krisen in Argentinien und in Japan könnte die Belebung der Weltwirtschaft abbremsen. Die Erholung der europäischen Wirtschaft hängt aber vor allem von einem weiterhin ungebrochenen Optimismus der amerikanischen Haushalte ab. Sollte dieser - etwa durch weitere Korrekturen der Aktienkurse nach unten oder wegen ihrer Überschuldung - gebrochen werden, werden wir wohl noch länger auf den Aufschwung warten müssen.

Thomas Delapina
(Mitarbeiter der Abteilung
Wirtschaftswissenschaft der AK)

Tabelle 1
Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in Prozent (BIP)
2001 2002 2003
USA 1,2 2,5 3,5
Japan -0,4 -0,7 0,3
Deutschland 0,6 0,7 2,5
Frankreich 2,0 1,4 3,0
Tabelle 2

Inflationsrate (Deflator des privaten Konsums)

2001 2002 2003
USA 1,9 1,4 1,8
Japan -1,5 -1,6 -1,7
Deutschland 1,8 1,4 1,6
Frankreich 1,2 1,5 1,4
Italien 2,9 2,5 2,1
Großbritannien 1,5 2,3 2,3
Belgien 2,2 2,2 2,3
Dänemark 2,1 2,1 2,1
Finnland 2,7 1,7 1,8
Niederlande 4,6 3,0 2,2
Norwegen 2,5 2,1 2,5
Spanien 3,2 2,8 2,6
Schweden 1,6 2,4 2,4
Schweiz 1,0 0,6 0,7
Österreich 2,3 1,8 1,7
Euro-Zone 2,3 2,0 1,9
EU-Durchschnitt 2,2 2,1 2,0
OECD gesamt1) 2,6 2,2 2,0
Österreich: nationale Prognose (WIFO) 2,7 1,7 1,4

1) Werte durch die teils zweistelligen Raten der Hochinflationsländer (Griechenland, Ungarn, Polen, Türkei, Mexiko) nach oben verzerrt. Die OECD ohne Hochinflationsländer hätte die Werte 1,6/1,3/1,4 Prozent.

Tabelle 3
Arbeitslosenquote (in Prozent der Erwerbstätigen)
2001 2002 2003
USA 4,8 5,6 5,3
Japan 5,0 5,8 6,0
Deutschland 7,4 7,8 7,6
Frankreich 8,7 9,2 9,0
Italien 9,6 9,1 9,0
Großbritannien 5,1 5,3 5,3
Belgien 6,6 6,7 6,7
Dänemark 4,3 4,3 4,2
Finnland 9,1 9,4 9,3
Niederlande 2,2 2,7 3,2
Norwegen 3,6 3,6 3,5
Spanien 10,5 10,7 10,5
Schweden 4,0 4,2 4,0
Schweiz 1,9 2,5 2,2
Österreich2) 4,9 5,6 5,1
Euro-Zone 8,0 8,2 8,1
EU-Durchschnitt 7,4 7,6 7,5
OECD gesamt 6,4 6,9 6,7
Österreich: nationale Prognose (WIFO)
laut EUROSTAT
3,6 3,9 3,8
laut Arbeitsmarktstatistik 6,1 6,7 6,5
2) Für einen aussagekräftigen internationalen Vergleich wären für Österreich allerdings die EUROSTAT-Werte (siehe vorletzte Zeile der Tabelle) heranzuziehen.

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Sat, 15 Jun 2002 00:00:00 +0200 1193756181019 Leserforum Ein gewaltiges Füllhorn

Sehr geehrtes Redaktionsteam!

2002 wurde die langjährige Spalte O DU MEIN ÖSTERREICH eingestellt. Sicherlich hatte sich vieles totgelaufen - aber: Hier war doch ein bunter Tupfen gesetzt worden, der das Studium der oft anspruchsvollen Artikel aufgelockert, wenn nicht schmackhafter gemacht hat. Mir tut es einfach leid um die Spalte.

Ein Vorschlag: O DU MEIN ÖSTERREICH »neu«, dergestalt, dass grundsätzlich keine offensichtlichen Druckfehlerzitate aufgenommen werden dürfen. Selbstverständlich muss auch sicher gestellt sein, dass nicht bereits einschlägig Publiziertes abgedruckt wird, d. h., Autoren müssten ihre Quelle der Redaktion genau bekannt geben. Es gibt wahrlich immer wieder Abstruses im Leben der Republik und ihrer Einwohner, das die Leser zum Schmunzeln oder auch zum Nachdenken bringt. Man denke nur an das gewaltige Füllhorn von Äußerungen der FPÖ und anderer politischer Gruppierungen.

Und wenn einmal kein brauchbarer Vorschlag für einen Beitrag vorliegt, dann wird halt die Spalte nicht erscheinen. Meines Erachtens genügt ein Einzelzitat pro Nummer.

Übrigens, der unvergessene Kollege Senghofer hat mit seinem NOTIZENKRAM formal Ähnliches, wenngleich vom Wesen her Anderes, lange Zeit erfolgreich geschaffen. Wie wär's mit einer Fortführung dieses volksbildnerisch so wertvollen Projekts in »Arbeit & Wirtschaft«, unter Einbeziehung der Leser, wie bei O DU MEIN ÖSTERREICH?

Mit herzlichen gewerkschaftlichen Grüßen,
Heinz Leubolt
3400 Klosterneuburg

*

Lieber Kollege Leubolt,

Ich finde Deinen Vorschlag gut und werde ihn im Redaktionskomitee zur Diskussion stellen. Auf Wunsch dieses Gremiums wurden ja nicht nur »O du mein Österreich«, sondern insgesamt drei Rubriken eingestellt, wobei auch ich glaube: Die »Hörfehler« von Radio und Fernsehen waren meist eher peinlich, nicht nur die »Druckfehler«. Und der »Notizenkram« unseres unvergesslichen Kollegen Senghofer war wirklich gut. Und letztendlich: sowohl Schmunzeln wie Nachdenken kann uns allen nicht schaden.

Ich möchte Dir noch sehr für Dein Interesse an der Zeitschrift und für Deine Mitarbeit danken.

Mit herzlichen Grüßen
Siegfried Sorz

A&W ist DIE Zeitschrift für Arbeitnehmervertreter

Aus für A&W ... ?

Die Beantwortung des Leserbriefes von Karl Kastenhofer in der Ausgabe April 2002 stimmte mich nachdenklich. Da wird von »weiteren substantiellen Einsparungen« gesprochen, wenn nicht zumindest eine Verdoppelung der Abos erzielt werden kann. In der Mai-Ausgabe wird vom Redaktionsteam hinterfragt, ob denn der eingeschlagene Weg auch der richtige sei ... Das gibt Grund zur Besorgnis und ist Anlass für mich, meine Einschätzung zu schreiben:

A&W ist die Zeitschrift für Arbeitnehmervertreter und interessierte Kolleginnen und Kollegen. Keine mir bekannte Publikation von AK und/oder ÖGB erreicht diese Aktualität, diese Informationsvielfalt, keine bietet regelmäßig Hintergrundwissen in dieser gut leserlichen und trotzdem auf sehr gutem Niveau stehenden Art und Weise.

Seit etlichen Jahren bin ich regelmäßiger Leser der Zeitschrift und möchte diese nicht missen. Nicht missen möchte ich aber auch die Qualität! »Substantielle« Einsparungen würden aber zwangsweise auch diese beeinträchtigen und würde, meiner Meinung nach, das Aus für A&W über längere Sicht bedeuten.

Das darf - im Interesse der Arbeitnehmer und deren Vertreter - nicht passieren.

Mit besten Grüßen
Georg Bucher jun.
A-6706 Bürs

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Sat, 15 Jun 2002 00:00:00 +0200 1193324101200 »Solidarität und soziale Gerechtigkeit in einer globalen Wirtschaft« | Leitantrag beim 17. Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes Die Globalisierung ist eine neue Stufe der seit langem anhaltenden Internationalisierung der Weltwirtschaft. Sie bietet Chancen und Risiken. So können individuelle Emanzipation und solidarische Kooperation durch technologischen Fortschritt und die informationstechnische Revolution weiterentwickelt werden. Aber die möglichen positiven Seiten weltweiter Vernetzung können sich nicht entfalten, solange die Bedingungen der Globalisierung allein von Finanzmarktakteuren und multinationalen Konzernen gesetzt werden. Hunger und Armut in den größten Teilen der Welt, Rezession und Arbeitslosigkeit in den Industrieländern, Finanzkrisen mit drohendem Staatsbankrott, Kriege und nicht zuletzt auch Terrorismus zeigen, wie anfällig der globale Kapitalismus ist. All diese Krisensymptome machen überdeutlich, dass eine an der neoliberalen Wirtschaftsideologie orientierte Globalisierung zum Scheitern verurteilt ist.

Bisher überwiegen insbesondere in den Entwicklungsländern die Risiken, weil die nationale und internationale Politik dem Irrtum anhängt, dass soziale Mindeststandards und soziale Gerechtigkeit Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung sind. Doch nach europäischen Erfahrungen ist das Gegenteil der Fall: Ein funktionierender und ausgleichender Sozialstaat, eine ausgebaute Infrastruktur und eine relativ gleichmäßige Einkommensverteilung sind die Voraussetzungen für sozialen Frieden, hohe Beschäftigung und befriedigendes Wachstum. Nur wenn diese Erkenntnis die nationale und internationale Politik leitet, lassen sich in Zukunft aus der Globalisierung für alle Beteiligten der Weltwirtschaft Vorteile ziehen. Nur dann wird es gegen eine weitere Globalisierung keine nationalen und internationalen Widerstände mehr geben. Die Globalisierung muss schließlich für die Menschen auch Demokratie in der Politik und Partizipation in der Wirtschaft einschließen.

Der DGB fordert, dass in einer globalisierten Wirtschaft die Grundsätze von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit umgesetzt werden.

Die Beschäftigungschancen sind zu erhöhen und die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit ist abzubauen.

Globalisierung darf nicht zum Abbau des Sozialstaates führen, vielmehr sind sozialstaatliche Elemente die Voraussetzung für eine gleichgewichtige Globalisierung.

Die Politik und die weitere internationale Gewerkschaftsarbeit stehen vor großen Herausforderungen, um die sehr ungleiche Bilanz der sozialen Gerechtigkeit und die weltwirtschaftliche Integration fair zu gestalten. Dazu gehört, dass die Regelungen des internationalen Miteinanders demokratisch legitimiert und kontrolliert werden.

Solidarität und Gerechtigkeit sind auch in einer globalen Welt möglich. Der Prozess der Globalisierung muss aber gestaltet werden. Die deutschen Gewerkschaften werden sich daran aktiv beteiligen.

Sozialer Ausgleich und Beschäftigungschancen in Deutschland

Kapitalorientierte Globalisierung hat die in Deutschland vorherrschende Wahrnehmung von Internationalisierung als Standortkonkurrenz geprägt. Internationale Wettbewerbsfähigkeit wird dabei an der Attraktivität der Standortbedingungen für die Unternehmen gemessen. Vorrangiges Ziel von Politik und Wirtschaft in Deutschland muss es sein, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Deshalb braucht Deutschland eine grundlegende Neuorientierung in der Wirtschaftspolitik und in der Standortdebatte.

Ein hoher Beschäftigungsstand und ein hoher Lebensstandard sind mit schlichten Kostensenkungsstrategien, Sozialabbau und Deregulierung nicht zu erreichen. Wichtig sind vielmehr die Produktivitätsentwicklung, die Produkt- und Dienstleistungsinnovation und die Bereitstellung günstiger gesamtwirtschaftlicher Rahmenbedingungen.

Nicht die Globalisierung ist die maßgebliche Ursache der sozialen Schieflagen in Deutschland. So weist der deutsche Armuts- und Reichtumsbericht aus, dass die soziale Ungleichheit bei den Markteinkommen bereits seit Anfang der siebziger Jahre zugenommen hat und durch die Steuer- und Sozialpolitik nur unzureichend korrigiert wurde.

Allerdings geraten auch in einem Land, das wie Deutschland zu den Gewinnern des internationalen Handels gehört, die Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die sozialen Sicherungssysteme unter Druck.

Um das steigende Einkommensgefälle zu reduzieren, fordert der DGB:

  • qualifizierte Arbeitskräfte,
  • berufliche Weiterbildung und Eingliederung von Arbeitslosen und der vom Strukturwandel betroffenen Arbeitnehmer,
  • Ausbau und Modernisierung von betrieblicher Ausbildung,
  • mehr Mitbestimmung in Betrieben und Unternehmen,
  • sozial- und familienorientierte flexible Arbeitszeiten,
  • die Förderung der Bereitschaft zu lebenslangem Lernen. Die Grundlagen gewerkschaftlichen Handelns dabei sind:
  • arbeitnehmergerechtere Arbeitszeitmodelle und gerechte Verteilung der Arbeit,
  • Vermeidung von Mehrarbeit und Überstunden,
  • wirksame Bekämpfung von Sozial- und Einkommensdumping,
  • die regulierte Zuwanderung,
  • die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Wenngleich die Globalisierung nicht als exklusive Erklärung der zunehmenden sozialen Ungleichheit in Deutschland gelten kann, darf der Zusammenhang zwischen Globalisierung und wachsendem Einkommensgefälle nicht übersehen werden. Es gibt Globalisierungsgewinner und -verlierer. Ein Ausgleich zwischen den Gewinnern und Verlierern der Globalisierung findet allerdings in Deutschland nur unzureichend statt.

Für den solidarischen Ausgleich innerhalb der Gesellschaft ist deshalb ein verteilungspolitischer Richtungswechsel notwendig:

  • Die bestehenden sozialen Schieflagen müssen überwunden, dazu das Einkommensgefälle ausgeglichen und die sozialen Ausgrenzungen bei den niedrigen Einkommen und die Armut beseitigt werden. Um Deutschland auf dem Entwicklungspfad einer demokratischen Gesellschaft zu halten, müssen durch sozialen Ausgleich allen die gleichen gesellschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten eingeräumt werden.
  • Gleichzeitig müssen die Instrumente des sozialen Ausgleichs geschärft werden, damit die Voraussetzungen für Wachstum und Strukturwandel gestärkt werden. Dies gilt insbesondere für die sozialstaatlichen Fürsorge- und Sicherungssysteme. Bei all dem gilt, dass in Deutschland nicht weniger, sondern mehr Solidarität gefordert ist. Um die Arbeitnehmer von übermäßigen Finanzierungsabgaben zu entlasten und den notwendigen sozialen Ausgleich sicherzustellen, müssen alle sozialen Gruppen in den sozialen Ausgleich einbezogen werden.
  • Für eine Politik des sozialen Ausgleichs tragen die Gewerkschaften als Tarifpartei eine besondere Verantwortung. Eine Einkommensverteilung, die zu Gunsten der Arbeitnehmer die Steigerung der Realeinkommen verbessert, ungerechte Einkommensdifferenzen zwischen Arbeitern und Angestellten sowie zwischen Frauen und Männern abbaut und durch geeignete tarifpolitische Regelungen die Qualifizierungsanstrengungen der Beschäftigten unterstützt, ist anzustreben.
  • Verteilungspolitischer Handlungsbedarf besteht für die Gewerkschaften, aber auch bei der Sozial- und Steuerpolitik. Gerade auf diesen politischen Feldern ist ein verteilungspolitischer Richtungswechsel erforderlich. Erst dadurch kann die Leistungsfähigkeit des über den Staat organisierten sozialen Ausgleichs wiederhergestellt werden. Durch geeignete Sozialtransfers und öffentliche Infrastruktur ist dabei der soziale Ausgleich so zu gestalten, dass Humankapital in erforderlichem Umfang gebildet wird und zum Einsatz kommen kann.

Das europäische Sozialmodell weiterentwickeln

Der DGB fordert die Regierungen der Europäischen Union und die Europäische Kommission auf, die Idee eines europäischen Sozialstaates zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Die Erfahrungen mit der einseitig angebotsorientierten Politik der neunziger Jahre zeigen, dass allein mit Strukturreformen die erhofften Wachstumsimpulse nicht erzielt werden können. Die Überwindung der Beschäftigungskrise benötigt vielmehr auch gesamtwirtschaftliche Rahmenbedingungen, die ein nachhaltiges Wachstum ohne Inflation ermöglichen. Erforderlich ist dabei eine neue Balance zwischen Arbeitsumverteilung, sozialer Sicherheit und Flexibilität.

Die deutsche und europäische Wirtschaftspolitik hat sich zukünftig vermehrt auf expansive Strategien für mehr Beschäftigung zu konzentrieren.

  • Die Europäische Zentralbank muss den notwendigen geldpolitischen Flankenschutz für ein kräftigeres Wachstum liefern. Sie muss ihrer Konjunkturverantwortung verstärkt nachkommen. Eine gleichgewichtige Berücksichtigung des Beschäftigungs- und Wachstumsziels neben dem Stabilitätsziel ist eine wichtige Voraussetzung für die Europäische Währungsunion und für den Abbau der Arbeitslosigkeit in Deutschland und in Europa. Dafür ist Artikel 105 der konsolidierten Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft entsprechend zu ändern.
  • Bedingung für die Umsetzung der Wohlstandsgewinne aus Produktivitätsfortschritten in gesamtwirtschaftliches Wachstum sowie in eine soziale und gerechte Verteilung sind starke Gewerkschaften und die Tarifautonomie. Dies gilt national und international. Nur eine ausreichend hohe Massenkaufkraft ist auf Dauer ein Rezept zum Abbau der Arbeitslosigkeit.
  • Die Finanzpolitik ist aufgerufen, die Fehler der neunziger Jahre zu vermeiden und einen im Konjunkturverlauf atmenden Haushalt zuzulassen. Das heißt, konjunkturbedingte Mindereinnahmen bei Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen müssen ebenso wie Mehrausgaben bei der Arbeitsmarktpolitik hingenommen werden. Um die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft zu erhalten, muss die öffentliche Infrastruktur verstärkt ausgebaut werden. Öffentliche Investitionen sind nötig für eine moderne und ökologisch verträgliche Infrastruktur, für die Deckung sozialer Bedarfe sowie für die Sicherung der Umwelt. Hierfür muss dringend die Finanzkraft der Kommunen gestärkt werden.

Der DGB fordert, dass die einseitigen Kürzungen auf der Ausgabenseite und vor allem bei den Sozialleistungen und öffentlichen Investitionen beendet werden. Auf der Einnahmenseite muss eine gerechte Besteuerung hergestellt werden. Große Vermögen und Erbschaften sind unter Beachtung des Prinzips der Leistungsfähigkeit der Besteuerung, etwa durch die Wiedereinführung der Vermögensteuer bzw. die Verschärfung der Erbschaftsteuer, zu unterwerfen.

Zudem sind die geltenden Steuergesetze konsequent anzuwenden, z. B. durch die Erfassung aller Einnahmen aus Kapitalvermögen sowie durch regelmäßige steuerliche Betriebsprüfungen. Steuerschlupflöcher sind, auch im Wege internationaler Vereinbarungen, zu stopfen.

Internationale Steuersenkungswettläufe, wie sie z. B. bei der Unternehmensbesteuerung feststellbar sind, müssen unterbunden werden, um die staatliche Finanzkraft zu sichern und die Zukunftsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft zu erhalten.

Der Trend, den Arbeitnehmern immer mehr Steuerlasten aufzubürden, muss beendet werden. Bei der Finanzierung von öffentlichen Inves-titionen ist zu beachten, dass hier die Vorfinanzierung über Kredite nicht nur rechtlich zulässig, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist, wenn sich der Nutzen aus diesen Investitionen über mehrere Generationen verteilt.

Die Beseitigung von Hunger und Armut

Die Erträge der Globalisierung sind sehr ungleich verteilt. Große Teile der Weltbevölkerung haben keine Aussicht auf Steigerung ihres Lebensstandards, Entwicklungsländer holen ihren ökonomischen und sozialpolitischen Rückstand nicht auf. Viele Länder sind nicht zuletzt deshalb von politischer Stabilität und Demokratie noch weit entfernt. Dies fördert auch die Oligarchiebildung, Korruption und ungleiche Einkommensverteilung innerhalb der Entwicklungsländer. Die Entwicklungsländer müssen mehr als bisher von der Globalisierung profitieren. Deshalb fordert der DGB die Bundesregierung und die Europäische Union auf, einen aktiven Beitrag zu leisten, der globalen Wirtschaft einen menschlichen und ökologisch verantwortbaren Rahmen zu setzen. Die globale Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen und nicht umgekehrt.

Die Beseitigung von Armut und Hunger und die Sicherung des Friedens sind für den DGB die obersten Ziele internationaler Politik.

Der Erhalt und der Zugang zu den natürlichen Ressourcen, insbesondere Wasser und Boden, sind die Basis sicherer Ernährung für die Menschen in vielen Entwicklungsländern. Wirtschafts-, Umwelt- und Entwicklungspolitik sind gleichermaßen gefordert, ökologische Krisen zu vermeiden. Der DGB fordert die Bundesregierung auf, sich auf allen betroffenen Politikfeldern für den Klimaschutz, die Bekämpfung der Wüstenausbreitung, die Förderung erneuerbarer Energien und die Sicherung des Zugangs zu sauberem Wasser einzusetzen.

Der DGB unterstützt die Bundesregierung und ihr Aktionsprogramm zur Armutsbekämpfung:

  • Das Ziel, die weltweite Armut bis zum Jahr 2015 zu halbieren, kann jedoch nur erreicht werden, wenn weltweit mehr Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt werden.
  • Die Bundesregierung muss das politische Ziel von 0,7% des Bruttosozialproduktes für Entwicklungshilfe mit einem konkreten Zeitplan zügig umsetzen.
  • Die Einnahmen aus einer Devisenumsatzsteuer sollten für Entwicklungshilfe verwendet werden.
  • Die konkrete Umsetzung der Initiative für die hochverschuldeten Entwicklungsländer (HIPC) ist zu beschleunigen. Den verschuldeten Entwicklungs- und Schwellenländern sollte ermöglicht werden, ihren Schuldendienst zu begrenzen. Mehr Entwicklungsländer als bisher müssen die HIPC-Initiative in Anspruch nehmen können.
  • Die soziale Ausgestaltung der Globalisierung erfordert eine stärkere Beteiligung und Mitsprache der Entwicklungsländer bei den internationalen Organisationen. Dies gilt für den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank ebenso wie für die Welthandelsorganisation.
  • IWF und Weltbank müssen ihre Verpflichtung zur weltweiten Armutsbekämpfung in konkrete Maßnahmen umsetzen. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass Gewerkschaften bei der Formulierung und Durchführung von Programmen beteiligt werden. Auf internationaler Ebene müssen Gewerkschaften den Dialog mit den internationalen Finanzinstitutionen (IWF und Weltbank) und der Welthandelsorganisation intensivieren, um langfristig eine permanente gewerkschaftliche Vertretung bei diesen Institutionen zu erreichen.
  • Für die Umsetzung der sozialen Dimension der Globalisierung tritt der DGB für eine Stärkung der Rolle der Internationalen Arbeitsorganisation und die weltweite Achtung der von ihr verabschiedeten Konventionen zur Vereinigungsfreiheit, dem Recht auf Tarifverhandlungen sowie zur Ächtung von Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Diskriminierung ein.

Für eine soziale Gestaltung der internationalen Wirtschaft

Der DGB tritt für eine soziale Wirtschaftspolitik auf internationaler Ebene ein und fordert:

  • eine Integration grundlegender Arbeitnehmer- und Menschenrechte in das multilaterale Handels- und Investitionsregime;
  • ein ständiges Forum zwischen Internationaler Arbeitsorganisation, Welthandelsorganisation und anderen internationalen Institutionen, um das Verhältnis zwischen Welthandel und sozialer Entwicklung zu klären und Ungleichgewichte aufzuheben;
  • die Aufnahme der Kernarbeitsnormen auf die Agenda der bilateralen Handelspolitik der Europäischen Union.

Der DGB setzt sich für eine gerechte Teilhabe der Entwicklungsländer am Weltwirtschaftssystem ein. Dies beinhaltet:

  • die Aufhebung von Handelshemmnissen gegenüber Entwicklungsländern;
  • die Möglichkeit von Ausnahmen bei bestimmten Liberalisierungsverpflichtungen, um eine nachhaltige Entwicklung in den Entwicklungsländern zu fördern;
  • Zugeständnisse für geistiges Eigentum, der Schutz der Artenvielfalt und die Ausnahmeregelungen für lebenserhaltende Medikamente (wie z. B. für Aids und für Malaria);
  • die Berücksichtigung von Umweltaspekten im internationalen Handels- und Investitionsregime;
  • die gleichrangige Behandlung von Handels- und Umweltbelangen auf internationaler Ebene.

Der DGB fordert für den Handel mit Dienstleistungen die Einhaltung klarer Marktordnungsprinzipien. Öffentliche Dienste und wichtige soziale Dienstleistungsbereiche, wie z. B. Bildung, Gesundheit, Umwelt sowie innere und äußere Sicherheit, müssen vom allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) ausgenommen werden. Die WTO-Länder müssen weiterhin das Recht haben, ihre öffentlichen Dienste selbst regeln zu können. Die Marktöffnung für Finanzdienstleistungen soll nur bei Volkswirtschaften mit entwickelten Finanzinstitutionen erfolgen, die eine Liberalisierung des Finanzmarktes managen können. Die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung mit erschwinglichen und qualitativ hochwertigen Dienstleistungen durch das Prinzip der Universaldienste (wie z. B. Telekommunikationen) ist zu garantieren. Eine soziale und ökologische Gestaltung des Wettbewerbs im Transportsektor ist notwendig, um externe Kosten auszugleichen. Eine nachhaltige Marktordnung für Tourismusdienstleistungen ist anzustreben, die dem Schutz der natürlichen und kulturellen Umwelt verpflichtet ist. Soziale Ordnungsprinzipien beim elektronischen Handel, bei der Niederlassungsfreiheit, beim öffentlichen Beschaffungswesen und bei der grenzüberschreitenden Dienstleistungsfreiheit müssen einen unfairen Handel über Sozial- und Lohndumping unterbinden. Sektoren, die in Deutschland heute durch besonders hohe Arbeitslosigkeit oder häufig prekäre Arbeitsbedingungen gekennzeichnet sind, wie zum Beispiel das Baugewerbe, das Gebäudereinigergewerbe und die Forstwirtschaft, sollten bis zur Änderung dieser Situation nicht für grenzüberschreitend entsandte Arbeitskräfte aus den WTO-Ländern geöffnet werden. Generell muss im GATS-Abkommen das Arbeitsorts- und Günstigkeits-prinzip bezüglich Entlohnung, Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerrechten verankert werden. Für die Gewerkschaften ist deshalb eine europäische Politik der öffentlichen Daseinsvorsorge unabdingbar.

Die internationalen Finanzmärkte reformieren

Der DGB hält einen offenen und globalen Finanzmarkt für notwendig, um eine nachhaltige Entwicklungsfinanzierung zu sichern. Doch in ihrer gegenwärtigen Verfassung neigen die internationalen Finanzmärkte dazu, Instabilitäten und Krisen zu erzeugen und zu verstärken.

Deshalb fordert der DGB Reformen der internationalen Finanzmärkte:

  • Strengere Offenlegungspflichten der Banken, risikoangepasste Mindestreserven und härtere Bankaufsichtsregeln, um ein größeres Risikobewusstsein zu fördern. Dabei dürfen jedoch Klein- und Mittelbetriebe von der Kreditversorgung nicht abgeschnitten und im Vergleich zu größeren Unternehmen durch eine schlechtere Bonitätseinstufung nicht diskriminiert werden.
  • Gläubiger müssen einen größeren Teil der Verschuldungslast tragen, wenn durch ihr Verhalten Staaten in Finanzmarktkrisen oder Zahlungsschwierigkeiten geraten. Die Entwicklung eines internationalen Konkurs- und Insolvenzrechts, die Bildung von Gläubigerausschüssen, Umschuldungsverpflichtungen und die Hinnahme von Moratorien kann diesem Zweck dienen. Notwendig sind auch eine verschärfte Überwachung und Kontrolle von Derivaten und außerbörslich gehandelten Geschäften.
  • Eine verbesserte währungspolitische Kooperation und Regeln für den Devisenmarkt, um die Wechselkursrelationen zwischen den Weltwährungen zu stabilisieren. Ein marktwirtschaftliches Instrument zur Begrenzung der Finanzschwankungen besteht in einer Erhöhung der Transaktionskosten der Kapitalströme. Dies hat durch eine Devisenumsatzbesteuerung, härtere Eigenkapitalvorschriften für Banken, ein Kredit- bzw. Unternehmensregister bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich sowie eine Aufsicht der Finanz- und Steueroasen zu erfolgen.
  • Die zügige Umsetzung der schwarzen Liste der OECD, auf der Finanzdienstleister mit problematischem Verhalten aufgenommen sind, durch die Mitgliedstaaten. Darüber hinaus müssen die inter- nationalen Finanzinstitutionen die Möglichkeit erhalten, eine Nicht- kooperation der Finanzplätze in ihrer Kreditvergabe zu sanktionieren.
  • Ethisches Investment, welches neben Rendite, Sicherheit und Liquidität auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigt, ist zu fördern.

Europäische und internationale Gewerkschaftsarbeit ausbauen

  • Der Erhalt und der Ausbau des europäischen Sozialmodells sind das Ziel der europäischen Gewerkschaftsarbeit. Gemeinsam mit dem EGB wird der DGB eine Initiative entwickeln, mit der demokratische Mitbestimmung gestärkt und auf europäischer Ebene ausgestaltet und weiterentwickelt wird. Dazu sind vor allem die Beratungs- und Mitwirkungsrechte der Euro-Betriebsräte auszubauen und wirkungsvolle Voraussetzungen für die Umsetzung der Mitbestimmung in den Unternehmen zu schaffen.

Der DGB muss mit den europäischen Gewerkschaften versuchen, Einfluss darauf zu nehmen, das europäische Sozial- und Ökologiemodell deutlich zu verbessern. Der Prozess der EU-Erweiterung ist zu unterstützen und es muss darauf hingewirkt werden, dass die sozialen und ökologischen Interessen der Menschen in den Mitglieds- und Beitrittsländern besondere Beachtung finden.

Aber auch auf internationaler Ebene müssen Gewerkschaften mehr Durchschlagskraft erlangen, um den Prozess der Globalisierung mitgestalten zu können:

  • Die internationalen Gewerkschaftsorganisationen sind durch die Entwicklung gemeinsamer Aktionen und Kampagnen zu stärken. Dabei sind Gewerkschaften aus Entwicklungsländern stärker als bisher in die internationalen Gewerkschaftsorganisationen einzubinden.
  • Die Gewerkschaften müssen aber auch strategische Bündnisse und Kooperationen mit Nichtregierungsorganisationen (Umweltorganisationen, Entwicklungshilfeorganisationen, Basisinitiativen etc.) suchen, um gemeinsame Ziele besser umsetzen zu können
  • In der globalisierten Welt fallen immer mehr Entscheidungen im Rahmen europaweiter und transkontinentaler Konzerne. Die Gewerkschaften müssen ihr Profil auch als international aktive Interessenvertretung schärfen. Auf Unternehmensebene sind so genannte Codes of Conducts, d. h. Verhaltensregeln für soziale und ökologische Mindeststandards, zu vereinbaren.

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Sat, 15 Jun 2002 00:00:00 +0200 1193324100927 LEBENS LANGES LERNEN | Valencia & Barcelona: LLL als neues Schwerpunktthema der Sozialpartner Donnerstag, 15. Feber 2002, Aeroport de Barcelona. Ma- ria Helena André, Bundessekretärin des Europäischen Gewerkschaftsbundes und Organisatorin der 1. Konferenz des EGB über LLL (lebenslanges Lernen), geht an Bord des Fluges IB 1344 nach Valencia. Kollegin André ist Portugiesin, in erster Linie allerdings Europäerin, sie spricht neben portugiesisch, spanisch, französisch, italienisch, englisch und deutsch.

Auch ihre Mitarbeiterinnen Roxane Bertolini und Naomi Benchaya sind mehrsprachig. Der Europäische Rat von Barcelona empfahl übrigens den Mitgliedstaaten einen Monat später, »Fremdsprachenunterricht in mindestens zwei Sprachen vom jüngsten Kindesalter an« einzuführen, das sei nur konsequent im multilingualen Europa.

Warum eigentlich diese Konferenz in Valencia? »Porque e importante conseguir uma posição antes Barcelona?« Weil es wichtig ist, vor dem Gipfel von Barcelona eine Position zu erarbeiten, nämlich die der Arbeitnehmervertreter, »e indicar que tomamus parte na discussão«, und klarzustellen, dass die Gewerkschaften dabei sind, wenn in Barcelona über LLL diskutiert wird.

An die 100 Frauen und Männer, Gewerkschafter und Funktionäre aus 28 Ländern, waren der gleichen Meinung, zahlreiche Vertreter der Europäischen Kommission sowie der Wissenschaft rundeten das Teilnehmerfeld ab.

Ernst genommene Sozialpartner

Die Europäische Union misst ja mittlerweile, insbesondere seit dem Gipfel von Lissabon1), dem LLL eine entscheidende Rolle zu, um das selbst gesetzte Ziel - nämlich der »wettbewerbfähigste und dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt« zu werden - auch tatsächlich zu erreichen.

Das in Folge des Lissabonner Gipfels entstandene EU-Memorandum über LLL (welches u. a. dazu aufforderte, »die Investitionen in Humanressourcen deutlich zu erhöhen«) führte nach einem intensiven Diskussionsprozess zum richtungweisenden Dokument »Einen europäischen Raum des LLL schaffen« (November 2001). Dass die EU dabei die Rolle der Sozialpartner sehr ernst nimmt, sieht man allein schon daran, dass die Sozialpartner auf 30 Seiten 27-mal erwähnt werden - einige Beispiele:

  • Die Sozialpartner sollen »aktiv in alle relevanten Maßnahmen eingebunden werden«;
  • die Sozialpartner sollen sicherstellen, dass der Trend zu mehr Flexibilität von angemessenen Investitionen der Arbeitgeber in ihre Humanressourcen begleitet wird;
  • die Sozialpartner sollen auf allen Ebenen Vereinbarungen treffen und umsetzen, mit dem Blick auf höhere Investitionen in LLL und mehr Zeit für Lernen;
  • die Sozialpartner müssen dafür sorgen, dass »alle Beschäftigten gleiche Chancen beim Zugang zum Lernen im Betrieb« haben.

Die Kommission hat sich jedenfalls darauf festgelegt, die »Anhörung der Sozialpartner zum LLL« fortzuführen.

Der europäische Rat begrüßt ...

Der Europäische Rat begrüßte in Barcelona (15. und 16. März 2002) die Mitteilung der Kommission »Einen europäischen Raum des LLL schaffen« und rief die Sozialpartner dazu auf, »ihre Strategien auf den verschiedenen Ebenen - der europäischen, der nationalen, der regionalen und der lokalen Ebene - und in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen in den Dienst der Lissabonner Strategie und der Lissabonner Ziele zu stellen«. Barcelona legte außerdem als Ziel fest, »dass die Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung bis 2010 zu einer weltweiten Qualitätsreferenz werden (!)«. Damit ist LLL sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene ein neues Schwerpunktthema der Sozialpartner (LLL ist übrigens auch in die europäische Beschäftigungsstrategie eingebettet, mit dem konkreten Bezug auf mehr und bessere Arbeitsplätze).

Arbeitnehmerinteressenvertretung ist nicht einfach

Zurück nach Valencia. Die Rolle der Arbeitnehmerinteressenvertretung ist nicht einfach. Die Gewerkschaften wären in erster Linie in die praktische Umsetzung des LLL am Arbeitsplatz involviert, und hier würden sie von der gesellschaftlichen Entwicklung fast überholt, sie seien mehr »Getriebene als Antreiber«, so Kollege Winfried Heidemann von der Hans-Böckler-Stiftung des DGB. Es sei eine schwierige Aufgabe, zu einer neuen Balance zwischen Sicherheit (security) und Flexibilität (flexibility) zu kommen - zur so genannten »flexi-curity«, so das Schlagwort, und Kollege Heidemann warnt auch vor der Entwicklung, dass die Regierungen das LLL zunehmend allein den Sozialpartnern überlassen könnten: Da die Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht immer die gleichen seien, dauerten Verhandlungen oft zu lang, manchmal gebe es eben auch keine Vereinbarungen2), »eine aktivere Politik des Bundes ist daher wichtig«.

Auf den Punkt gebracht: Europa schafft es nicht ohne die Sozialpartner, aber die Sozialpartner können es auch nicht allein machen.

Kosten und Nutzen

Prof. Dieter Timmermann, Vorsitzender der vom deutschen Bundestag eingerichteten Expertenkommission zur Finanzierung des LLL, sieht ein zugrunde liegendes Problem darin, dass »nicht klar ist, wie sich der Nutzen des LLL aufteilt«. Daher wird über die Finanzierung vehement gestritten. Der Begriff »Investition« müsse allerdings sehr weit gefasst werden, es gehe dabei nicht nur ums Geld - natürlich spielt der Zeitaspekt, aber auch Fragen der Zertifizierung, Motivation und Arbeitsorganisation eine Rolle wie auch Qualitätsstandards, Transparenz und Information. Die Unternehmen sehen zurzeit eher den Kosten- und nicht den Nutzenaspekt der betrieblichen Weiterbildung. Und »keineswegs förderlich« für die Investitionen in LLL seien Tendenzen wie etwa Outsourcing, die Segmentierung in Kern- und Randbelegschaften oder die Null-Fehler-Toleranz3).

Lernkonten

Die Europäische Kommission selbst hat sich zum Thema LLL auch einiges vorgenommen, sie will z. B.

  • Modelle für individuelle Finanzierungspläne (»individuelle Lernkonten«) prüfen,
  • die Forschung über Nutzen, Kosten und Rentabilität von Bildungsinvestitionen fördern
  • sowie »europäische Qualitätsempfehlungen« ausarbeiten - entsprechende Einrichtungen sollen dann das »europäische Gütesiegel« erhalten, wichtig im Sinne des Konsumentenschutzes in der Weiterbildung.

35 Stunden jährlich

Tomas Niklasson von der Generaldirektion Bildung und Kultur unterstreicht in Valencia die Notwendigkeit, »to invest more and to invest better into lifelong learning« und bekräftigt die Forderung der Kommission an die Arbeitgeber, jedem Beschäftigten 35 Stunden Weiterbildung pro Jahr zu ermöglichen (!). So deutlich hat man das vorher noch nicht gehört seitens der Kommission, und man darf schon gespannt sein auf die Reaktionen der Arbeitgeberverbände.

Die Mitgliedstaaten wiederum sollen u. a., so die Empfehlung der Kommission,

  • eine Ausweitung des »Anspruchs auf (Pflicht-)Bildung« überlegen, das bedeutet: den unentgeltlichen Erwerb von Grundqualifikationen unabhängig vom Alter5);
  • konkrete, nationale Ziele festlegen, um die Investitionen in Humanressourcen insgesamt zu steigern,
  • Ressourcen von Schulen, Erwachsenenbildungs-Einrichtungen, Universitäten etc. als »multifunktionale Zentren für LLL« nutzen6).

150 Millionen

Bisher wurden in der gesamten Europäischen Union kaum Fortschritte hinsichtlich des LLL erzielt. So musste die Kommission in ihrem Bericht »Die Lissabonner Strategie - den Wandel herbeiführen« erst kürzlich feststellen: »Für die meisten Bürger ist das LLL immer noch nicht Teil der Lebenswirklichkeit geworden. Über 150 Millionen Menschen haben noch nicht einmal die Grundstufe einer höheren Schulbildung erreicht, nicht einmal jeder zehnte Erwerbstätige ist in das LLL einbezogen und fast 18% der Schulabbrecher erwerben keine zusätzlichen Qualifikationen.«

Mindestlevel nicht erreicht

Im Jahr 2005 wird in den OECD-Ländern mehr als ein Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer älter als 45 sein, das bedeutet, dass ein großer Teil des Arbeitskräftepotentials die Schule bzw. Erstausbildung vor mehr als 20 Jahren verlassen hat. Die International Adult Literacy Survey (IALS) hat gezeigt, dass selbst in den fortgeschrittensten Ländern der OECD ein beträchtlicher Anteil der Erwachsenen das in der heutigen Gesellschaft erforderliche Mindestlevel an Alphabetisierung (literacy skills) nicht erreicht. Aber ohne diese »Basisqualifikationen«7) fehlt natürlich die Grundlage für LLL.

Wer rutscht ins Abseits?

Kollege Anders Vind von der dänischen Gewerkschaft spricht von 200.000 Analphabeten sogar in Dänemark, welches traditionell immer viel in Bildung investiert hat. Es ist vollkommen klar, so auch Gordon Clark von der Kommission, dass LLL auch ein »huge risk of social exclusion« in sich birgt: wer daran nicht teilnehmen kann, rutscht ins Abseits. Zu Recht fordert daher das Memorandum des EGB zur spanischen Präsidentschaft die »recognition of the right of access to (lifelong) vocational training«. Die wissensbasierte Gesellschaft müsse für alle da sein, so Kollegin André in ihrem Schlusswort.

Auf europäischer Ebene ist die Diskussion über das LLL in den letzten zwei Jahren geradezu entflammt, Österreich und die österreichischen Sozialpartner müssen versuchen, diese »thermische Energie« zu nutzen und die erforderlichen Strukturen für LLL auf nationaler Ebene zu entwickeln. Das ist eine wesentliche Voraussetzung für die Chancen der österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sich auf den europäischen Arbeitsmärkten bewegen zu können.

1) Siehe Norbert Templ: Strategie von Lissabon. Chancen und Voraussetzungen aus Arbeitnehmersicht, in: AW 4/2002, S. 26 ff.

2) Das betrifft nicht nur die Sozialpartner, wie Prof. Herbert Schmid, Mitglied des Europäischen Parlamentes, bestätigt: »Niemand stimmt gegen LLL, wenn es dann aber um konkrete Entscheidungen geht, ist die Übereinstimmung auf einmal weg.«

3) Prof. Timmermann hielt dazu auch am 24. Mai einen Vortrag in der AK Wien.

4) Portugal plant, im Jahr 2003 einen Anspruch auf 20 Stunden Weiterbildung pro Jahr einzuführen und diesen Anspruch im Jahr 2006 auf 35 Stunden auszuweiten.

5) Eine langjährige Forderung der AK, etwa das gebührenfreie Nachholen des Hauptschulabschlusses.

6) Ebenfalls eine AK-Forderung: die Einrichtung »multifunktionaler Bildungszentren«.

7) Zu den Basisqualifikationen zählen auch EDV- und Fremdsprachenkenntnisse sowie »social skills«

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Michael Tölle (Mitarbeiter der Abteilung Weiterbildungspolitik der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Jun 2002 00:00:00 +0200 1193324100865 Was ist die Staatliche Wirtschaftskommission? Laut Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) hat der Betriebsrat verschiedene Mitwirkungsrechte in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Diese reichen von Informations-, Interventions- und Beratungsrechten bis hin zur Mitwirkung bei Betriebsänderungen und Mitwirkung im Aufsichtsrat. Diese Instrumentarien wirken vorerst überwiegend auf betrieblicher Ebene.

Bei Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten und bei Unternehmen mit mehreren Betrieben und insgesamt mehr als 400 Beschäftigten ist laut ArbVG § 111 die Weiterbehandlung von Konfliktfällen auch auf überbetrieblicher Basis möglich. So hat der Betriebsrat die Möglichkeit, bei geplanten wirtschaftlichen Maßnahmen, die wesentliche Nachteile für die Beschäftigten bringen, binnen drei Tagen ab Kenntnisnahme Einspruch dagegen zu erheben. Kommt binnen einer Woche ab Erhebung des Einspruchs keine Einigung auf betrieblicher Ebene zustande, so haben der Betriebsinhaber oder auch der Betriebsrat binnen weiterer drei Tage die Möglichkeit, den Konflikt über einen Antrag auf die Ebene der Kollektivvertragspartner zu heben.

Schlichtungsverhandlungen

Auf Antrag einer der beiden Parteien können (müssen aber nicht) die kollektivvertragsfähigen Körperschaften in einer paritätisch besetzten Schlichtungskommission Schlichtungsverhandlungen einleiten. Die Schlichtungskommission hat prinzipiell nur eine vermittelnde Funktion. Sie kann Schiedssprüche nur fällen, sofern sich die Streitparteien im Vorhinein schriftlich darauf festlegen, sich diesen Schiedssprüchen auch zu unterwerfen. Wenn innerhalb von zwei Wochen ab Antragstellung bei der Schlichtungskommission weder eine Einigung noch ein Schiedsspruch zustande kommt, so haben Betriebsratskörperschaften von Betrieben mit mehr als 400 Beschäftigten die Möglichkeit (§ 112 ArbVG), binnen einer Woche einen Einspruch bei der Staatlichen Wirtschaftskommission zu erheben.

Sofern es sich um eine Angelegenheit von gesamtwirtschaftlicher Bedeutung handelt, der Betriebsrat einen Einspruch beim Betriebsinhaber erhoben hat und binnen einer Woche keine Einigung erfolgt ist, kann der Betriebsrat binnen einer weiteren Woche direkt (ohne Schlichtungskommission) über den Österreichischen Gewerkschaftsbund einen Einspruch bei der Staatlichen Wirtschaftskommission erheben.

Dem ÖGB wird dabei anheim gestellt, den Antrag zurückzuhalten, unmittelbar weiterzuleiten oder auch sich vermittelnd einzuschalten. In jedem Fall ist der Antrag auch zu begründen und der Nachweis der Einhaltung der entsprechenden Fristen zu führen.

Vorsitz: Der Herr oder die Frau Minister

Die Staatliche Wirtschaftskommission ist je nach Art des Unternehmens (Verkehrsunternehmen, Unternehmen mit staatlichem Miteigentum, sonstige Unternehmen) unter Vorsitz des oder der jeweils zuständigen Herrn oder Frau Minister oder einer entsprechend bestellten Vertretung einzurichten. Neben jeweils vier weiteren Mitgliedern, die von der Wirtschaftskammer Österreich und von der Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte entsendet werden, nehmen eine Reihe weiterer Mitglieder mit beratender Stimme teil.

Die Staatliche Wirtschaftskommission hat den Auftrag, entsprechende Vorschläge zu erstatten und eine Einigung zwischen Betriebsrat und Betriebsinhaber anzustreben. Kommt eine Einigung nicht zustande, so hat der Betriebsinhaber der Staatlichen Wirtschaftskommission jedenfalls alle von dieser angeforderten Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Die Staatliche Wirtschaftskommission hat dann in Form eines Gutachtens festzustellen, ob der Einspruch gerechtfertigt ist. Gegen dieses ist zwar kein ordentliches Rechtsmittel zulässig - andererseits sind die erstatteten Gutachten aber auch nicht bindend.

Die Staatliche Wirtschaftskommission in der Vergangenheit

Eine Anrufung der Staatlichen Wirtschaftskommission wurde in der Vergangenheit von Betriebsratskörperschaften bzw. in der Folge vom ÖGB nur selten ins Auge gefasst. Getagt hat die Staatliche Wirtschaftskommission bislang bei den Einsprüchen gegen die Wirtschaftsführung betreffend die Firmen Ingelen Radiowerke in den Jahren 1975/76 und Wien-Milch AG in den Jahren 1994-96. In beiden Fällen kann die Tätigkeit der Staatlichen Wirtschaftskommission aus der Sicht der Arbeitnehmervertretungen nicht als erfolgreich angesehen werden. Abgesehen vom bereits historischen Fall Ingelen lassen sich aus dem Einspruch gegen Wien-Milch und den darauf folgenden Ereignissen mitunter einige Punkte herausfiltern, die zum Misserfolg führten. Bei der zum Raiffeisenverband gehörenden Wien-Milch ging es um die geplante Stilllegung des Wiener Produktionsstandortes im Zuge der Bestrebungen, die Anzahl der Molkereien zu reduzieren. Die Arbeitnehmervertretung versuchte einerseits, die Qualität des Standortes Wien zu untermauern, andererseits den angebotenen - sehr schlechten - Sozialplan zu verbessern.

Von Anfang an wurde vom Unternehmen die Zuständigkeit der Staatlichen Wirtschaftskommission bestritten. In der Folge gelang es dem Unternehmen, die erste Einberufung der Kommission derart lange zu verzögern, dass ein großer Teil der Maschinen und Anlagen vom Standort Wien bereits abtransportiert war, als die Kommission mit ihren Verhandlungen begann. Ohne die Motive näher beleuchten zu wollen, kann festgestellt werden, dass das zuständige Wirtschaftsministerium alles daransetzte, zu einer Schlichtung zu kommen, um ein formelles Gutachten zu vermeiden. Eine Einigung gelang zwar nicht, allerdings kam auch kein Gutachten zustande, da festgestellt wurde, dass im Zuge der Antragstellung eine vorgesehene Frist nicht eingehalten wurde. Die Kommission wurde daher ohne Ergebnis aufgelöst.

Der Fall Semperit in der Staatlichen Wirtschaftskommission

Eine Neuauflage der Staatlichen Wirtschaftskommission gab es erst wieder im Jänner 2002 im Zuge des Kampfes der Belegschaft der Semperit Reifen GmbH gegen die Schließung des Werkes in Traiskirchen durch die deutsche Muttergesellschaft Continental AG. Continental hatte formal beschlossen, die Reifenproduktion am Standort Traiskirchen endgültig einzustellen und zu verlagern. Nur noch Service und Vertrieb sollen letztendlich von Österreich aus betreut werden. Von den 1450 Beschäftigten sind im Laufe des Jahres 950 von der Schließung betroffen. Weitere 300 im Laufe des kommenden Jahres.

Seit vielen Jahren erleben die Beschäftigten von Semperit eine äußerst wechselvolle Zeit. Einst ein voll integriertes Unternehmen im Eigentum der verstaatlichten Creditanstalt, geriet es spätestens Anfang der 80er in Probleme. Aufgrund der schlechten Konjunktursituation, der Kostensteigerungen auf dem Rohstoffmarkt, der Wettbewerbsnachteile durch die im Vergleich geringen Losgrößen und der erdrückenden internationalen Konkurrenz wurden im damaligen Unternehmen existenzgefährdende Verluste angehäuft. Durch verschiedenste Maßnahmen und Zuschüsse in der Höhe von mehr als 87 Millionen Euro wurde die Semperit Reifen GmbH mit rund 3000 Beschäftigten neu strukturiert.

Im Glauben, nur so die langfristige Existenz des Unternehmens sichern zu können, wurde Semperit Reifen 1985 um rund 11,7 Millionen e (und der Zusage von weiteren Fördermitteln in der Höhe von rund 69 Millionen e) an die Continental AG verkauft. Vereinbart wurde darüber hinaus eine zehnjährige Beschäftigungsgarantie für die nach der Sanierung angepeilten 2400 Beschäftigten. In der Folge wurden sukzessive die Möglichkeiten der Semperit Reifen, selbst agieren zu können, eingeschränkt. Produktionen wurden in den Osten verlagert, Gebietszuständigkeiten entzogen, Gewinne abgezogen, die Forschungsabteilung geschlossen usw.

Mit dem Auslaufen der 10-Jahre-Garantie für die Beschäftigungssicherung und dem EU-Verbot der Vereinbarung Österreichs mit Japan zur Lieferung von Autoreifen im Abtausch mit einer Zollvergünstigung für japanische Autos, wurde die Lage Mitte der 90er für die Beschäftigten noch enger. Eine Schließung drohte unmittelbar. Nur unter Mitwirkung und mit großem Einsatz unter anderen der damaligen Bundesregierung, der Gewerkschaften und der AK konnte dies verhindert werden. Allerdings sank die Produktion und die Beschäftigung in der Folge (mit einigen Auf und Abs) auf den heutigen Stand. Im Dezember 2001 erfolgte im Aufsichtsrat der Continental AG der endgültige Schlie-ßungsbeschluss. Abgesehen von konjunkturellen Einbrüchen war das Werk in Traiskirchen über die Jahre gewinnbringend. Insgesamt hat Continental etwa 436 Millionen Euro aus dem Unternehmen gezogen. Zu wenig offenbar. Die Proteste der Regierung waren enden wollend.

Nachdem sich die Geschäftsführung weigerte, eine beantragte Schlichtungskommission zu installieren, erhob der Betriebsausschuss der Semperit Reifen GmbH über den ÖGB Einspruch gemäß § 112 Abs 1 Z 2 ArbVG. Die bereits in diesem Einspruch dargelegten Argumente bezüglich der volkswirtschaftlichen Relevanz wurden seitens der Arbeitnehmervertretungen in der ersten Sitzung der Staatlichen Wirtschaftskommission »Semperit« im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit ausführlich dargelegt, begründet und mit Zahlen untermauert.

Von Seiten der Vertreter der Wirtschaftskammer Österreich wurde die volkswirtschaftliche Relevanz zur Diskussion gestellt und die Forderung des Betriebsrates nach Errichtung einer Schlichtungskommission bestritten - allerdings ohne die Zuständigkeit der Staatlichen Kommission damit in Frage zu stellen. Die Arbeitnehmervertretungen verlangten in den Sitzungen die Rücknahme des Beschlusses zur Schließung der Produktion am Standort Traiskirchen, die Unterstützung von allfälligen Verkaufsverhandlungen durch das Management, die ausreichende Dotierung der Arbeitsstiftung, die Garantie der Ausfinanzierung des Sozialplanes, die Lösung des Problems der Beschäftigung der älteren Arbeitnehmer und jenes der in Ausbildung befindlichen Lehrlinge.

Nachdem das Management von Semperit bereits eingangs erklärt hatte, dass die Rücknahme des Schließungsbeschlusses nicht in seinem Einflussbereich liege - und eine solche auch vom Mutterkonzern nicht zu erwarten sei -, konnte man über die restlichen Punkte in den Sitzungen der Staatlichen Wirtschaftskommission Einverständnis erzielen.

Der Fall »Post AG«

Im Zuge der umstrittenen Neuorganisation der Post AG in fünf Teilbereiche hat der ÖGB zuletzt medienwirksam ebenfalls einen Einspruch laut § 112 ArbVG erhoben und Begründungen für die volkswirtschaftliche Relevanz vorgelegt. Demnach wurden massive Kostenerhöhungen durch den Verlust von Synergieeffekten und der Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet. Da der Vorstand des Unternehmens die Rechtmäßigkeit des Einspruchs aufgrund Fristversäumnis bezweifelte, ließ der zuständige Bundesminister für Finanzen eine rechtliche Prüfung einleiten. Gleichzeitig forderte der Finanzminister die beiden Parteien zu weiteren internen Verhandlungen auf, um zu Lösungen bei den strittigen Problemen zu kommen. In diesen Verhandlungen gelang es dem Betriebsrat schließlich, durch Unterschrift des Managements festzuhalten, dass die geplante Umstrukturierung nicht zu einer gesellschaftsrechtlichen Teilung des Unternehmens und in der Folge zu Teilverkäufen führen wird und die Synergieeffekte zwischen den einzelnen Sparten weiter genützt werden. Zu einer Einberufung der Staatlichen Wirtschaftskommission kam es daher nicht.

Inwieweit kann das Instrument der staatlichen Wirtschaftskommission nützlich sein?

Obwohl über die aufgezeigten Einspruchsrechte der Arbeitnehmer faktisch nichts erzwungen werden kann, kann im Einzelfall ihre Inanspruchnahme für bestimmte Probleme offensichtlich dennoch wirkungsvoll sein. Dabei ist jedenfalls auf die mögliche Moderationsfunktion durch das jeweils zuständige Ministerium hinzuweisen - die sich allerdings von Fall zu Fall unterschiedlich darstellen kann. In diese Richtung hilfreich ist auch die Größe und der offizielle und formelle Charakter der Kommission. Den Druck hin zu einer Einigung erhöhen dürfte auch sicherlich das Interesse der Öffentlichkeit bzw. der Medien: Es ist sicher unangenehm für die betroffenen Managements, Entscheidungen mit erheblichen sozialen Folgen oder Entscheidungen, die unter Umständen nicht jeder objektiven Prüfung standhalten, über Wochen zu diskutieren und vor den Medien breitzutreten.

Aufgrund der Erfahrungen der letzten Monate bietet sich für die Arbeitnehmer daher an, in Zukunft diesem Instrumentarium jedenfalls verstärkte Aufmerksamkeit zu schenken. In jedem Einzelfall ist natürlich sorgsam zu prüfen, ob ein Einspruch bei der Staatlichen Wirtschaftskommission in Verbindung mit anderen Maßnahmen tatsächlich zu positiven Ergebnissen für die betroffenen Arbeitnehmer und die Volkswirtschaft führen kann. Längerfristig schädlich wäre jedenfalls eine inflationäre Inanspruchnahme des Instrumentes und eine Inanspruchnahme in Fällen, in denen schon vorab kein Erfolg zu erwarten ist.

Als mögliche gesetzliche Verbesserungen wären aus den bisherigen Erfahrungen verschiedene Punkte zu erwähnen: So sind die im Gesetz geregelten Fristen für die verschiedenen einzuhaltenden formalen Voraussetzungen aufgrund der oft komplexen Fragestellungen äußerst knapp bemessen.

Anders als im Vorfeld der Anrufung der Staatlichen Wirtschaftskommission werden dann aber zur Einberufung dieser Kommission keine Fristen vorgegeben - was sich für die Arbeitnehmerseite als nachteilig erweisen kann, weil vom Management eine nicht reversible Faktenlage (Abtransport von Maschinen usw.) geschaffen werden kann. Zu überlegen wäre auch, eine Frist für die Vermittlungsbemühung beziehungsweise die Erstellung eines Gutachtens zu setzen.

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Roland Lang (stellvertretender Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Jun 2002 00:00:00 +0200 1193324100475 Vom »Nulldefizit« zum Rückzug des Staates Das rasche Erreichen des Null- defizits und das Beharren auf dieses in Zeiten einer Konjunkturabschwächung, wie wir sie letztes Jahr hatten, wurden von der Arbeiterkammer und den Gewerkschaften von Beginn an kritisiert, da ein Nulldefizit an sich kein vernünftiges ökonomisches Ziel ist. Es kommt vielmehr darauf an, wofür der Staat Geld ausgibt und ob zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben die Bürgerinnen und Bürger nach ihrer Leistungsfähigkeit beitragen. Mit anderen Worten, es geht nicht um den Budgetsaldo, sondern um die Struktur der Budgeteinnahmen und Budgetausgaben. Werfen wir also einen Blick auf die Budgetstrukturen.

Auf die Budgetstrukturen kommt es an

Auf der Ausgabenseite geht es darum, die budgetpolitischen Prioritäten so zu setzen, dass die zukünftigen Herausforderungen bestmöglich bewältigt werden können. Das bedeutet, die Ausgabenströme so zu lenken, dass die Investitionen in die materielle und immaterielle Infrastruktur und in das Humankapital (Ausgaben für Schule, Hochschule, Erwachsenenbildung ...) ebenso wie die sozialstaatlichen Leistungen (Pensionen, Gesundheit, Pflege, Arbeitslosigkeit, Familie etc.) gesichert sind. Ferner geht es darum, den Staat so zu reformieren, dass er seine Leistungen möglichst kostengünstig und zielgerichtet erbringt. Dabei geht es nicht um einen Staat, der auf seine »Kernaufgaben« reduziert werden soll.

Bei der Einnahmenstruktur geht es zunächst darum, dafür Sorge zu tragen, dass der Staat seine Aufgaben finanzieren kann. Steuern sind also nicht Selbstzweck, sie dienen in erster Linie der Finanzierung der Staatsausgaben. Mit Steuern können aber auch andere Zielsetzungen verknüpft werden, etwa verteilungs- und beschäftigungspolitische Ziele. Dann wäre danach zu fragen, ob die Steuerstruktur diesen Zielsetzungen genügt. Hinsichtlich der Steuerstruktur zeigt sich in einem internationalen Vergleich, dass Österreich bei bestimmten Steuern Nachzügler ist. Bei der Steuerbelastung des Vermögens ist Österreich Schlusslicht innerhalb der OECD-Staaten. Bei den Gewinnsteuern der Unternehmungen und Kapitalgesellschaften (AGs und GmbHs) liegt Österreich unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten. Zieht man nur die Kapitalgesellschaften heran, dann nimmt Österreich beim Steueraufkommen den letzten Platz ein. Gewiss, die Steuererhöhungen 2001 haben auch die Unternehmungen getroffen, dennoch liegt die Gewinnsteuerbelastung nach wie vor unter dem OECD-Durchschnitt.

Verteilungspolitik?

Umgekehrt liegt Österreich bei der Belastung mit Umsatzsteuer und mit Sozialversicherungsbeiträgen über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Während die Vermögen- und Einkommensteuern eher die höheren Einkommen belasten, belasten die Umsatzsteuer und die SV-Beiträge die niedrigen Einkommen relativ stärker. Weiters zeigt sich, dass die Belastung des Faktors Arbeit deutlich höher ist als jene des Faktors Kapital, was dem Faktor Kapital gegenüber dem Faktor Arbeit einen Wettbewerbsvorteil verschafft, der in Österreich höher ist als in anderen europäischen Staaten1). Aus der Steuerstruktur Österreichs lässt sich ableiten,

  • dass es kurzfristig - also bei der Steuerreform 2003 - darum gehen muss, Schwerpunktmäßig die Lohnsteuer zu senken und
  • dass es mittelfristig eine Aufgabe der Steuerpolitik ist, die aufgezeigten Strukturen so zu verändern, dass verteilungs- und beschäftigungspolitische Aspekte stärker berücksichtigt werden als bisher. In verteilungspolitischer Hinsicht hat eine Studie des WIFO gezeigt, dass das bestehende Steuer- und Abgabensystem nur mäßig progressiv ist.

Eine so verstandene Budgetpolitik lenkt also den Blick bewusst weg vom Saldenfetischismus, der die Budgetpolitik seit dem EU-Beitritt besonders stark prägte, weil die Erreichung eines bestimmten Budgetsaldos stets im Vordergrund stand. Unabhängig davon sollte Österreich darauf drängen, das enge budgetpolitische Korsett des Stabilitäts- und Wachstumspakts in Frage zu stellen, weil er eben in Phasen von Konjunkturabschwüngen hohe gesellschaftliche Kosten (Wachstumsverluste, Anstieg der Arbeitslosigkeit) verursacht.

Wider den Saldenfetischismus

Aus diesem Grund wird der Saldenfetischismus zu Recht von vielen Ökonomen als ökonomisch unsinnig angesehen, und es wären zumindest folgende Modifikationen anzustreben.

Erstens sollten die öffentlichen Haushalte nur über den Konjunkturzyklus hinweg ausgeglichen sein, damit im Konjunkturabschwung budgetpolitischer Handlungsspielraum gegeben ist. Das heißt natürlich umgekehrt, dass in wirtschaftlich besseren Zeiten die Budgets konsolidiert werden müssen, um Reserven für den nächsten Konjunkturabschwung zu schaffen.

Zweitens wäre zusätzliche Flexibilität dadurch erreichbar, dass die Ausgaben für öffentliche Infrastrukturinvestitionen nicht auf das Budgetdefizit angerechnet werden, das heißt, wie in der Vergangenheit durch das Eingehen von Schulden finanziert werden können. Das macht Sinn, weil auch nachfolgende Generationen Nutznießer dieser Investitionen sind. Ein privater »Häuselbauer« macht es ja auch nicht anders, auch er finanziert sein Eigenheim im Regelfall wohl im Kreditwege. Ein so definierter Stabilitäts- und Wachstumspakt stellt ein Mindesterfordernis dar und würde der Beschäftigungspolitik mehr Spielraum gewähren.

Noch besser natürlich wäre eine noch weitergehende Abschwächung oder sogar die gänzliche Abschaffung des Stabilitäts- und Wachstumspakts, wie sie beispielsweise eine konservative britische Wirtschaftszeitschrift, der Economist, gefordert hatte.

Budgetregeln in die Verfassung?

Aus verschiedenen Gründen ist es nicht sinnvoll, die Forderung nach einem ausgeglichenen Budget sowie die Kreditfinanzierung von Investitionen ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland in die Verfassung zu schreiben. Dort hat sich diese Verfassungsbestimmung als zahnlos erwiesen. In den achtziger Jahren wurde sogar der Verfassungsgerichtshof in Karlsruhe wegen der Nichteinhaltung dieser Budgetregel angerufen, aber Konsequenzen hatte das keine. In den Jahren danach überschritt das Budgetdefizit noch mehrmals die öffentlichen Investitionen, wiederum ohne Folgen. Die Bestimmung ist daher heute totes Recht.

Das Zulassen defizitfinanzierter Investitionen würde voraussetzen, zu klären, was unter öffentlichen Investitionen zu verstehen ist und wie er vom öffentlichen Konsum abzugrenzen ist2). Dazu ist die Verfassung der ungeeignete Ort. Entscheidend ist aber das Argument, dass durch eine Verankerung in der Verfassung wiederum der Budgetsaldo in den Mittelpunkt der Budgetpolitik gerückt wird, obwohl er kein sinnvolles wirtschaftliches Ziel ist. Wird Budgetpolitik als Gesellschaftspolitik gesehen, dann ist hingegen die Frage entscheidend, wofür der Staat sein Geld ausgibt.

»Projekt 2010« - Senkung der Abgabenquote auf 40% des BIP

Nun, da das »Nulldefizit« erreicht ist, wendet sich die Regierung neuen Zielen zu. Bis zum Jahr 2010 soll die Steuer- und Abgabenquote von derzeit 45,9% auf 40% des BIP gesenkt werden. Erste Schritte zur Senkung sollen bereits 2003 folgen, und am Ende - so Finanzminister Grasser - sollten mehr Selbstverantwortung und Freiheit des Einzelnen stehen, der dafür auch mehr in der Brieftasche finden soll3).

Ist was dran an diesen Versprechungen oder ist es wieder eine dieser ökonomisch wenig sinnvollen Zielsetzungen, die sich gut vermarkten lassen? Natürlich antworten Menschen auf die Frage, ob sie weniger Steuern zahlen wollen, mit ja. Aber wird ihnen auch gleichzeitig gesagt, welche Konsequenzen damit verbunden sind? Nein.

Geht man davon aus, dass die Regierung bis 2010 ein mehr oder weniger ausgeglichenes Budget für den Gesamtstaat anstrebt, dann bedeutet die Reduktion der Abgabenquote auf 40% des BIP, dass auf der Ausgabenseite ein Volumen von rund 18 Milliarden Euro eingespart werden muss. Gemessen am heutigen Budgetvolumen des Bundes bedeutet das, dass der Bund - aufgrund der Dynamik der Budgetausgaben - seine Budgetausgaben um 30% senken muss. Bis zum Jahr 2010 kommt das einem jährlichen Sparpaket von rund 2,3 Milliarden Euro gleich.

Das bedeutet, dass in jedem Jahr bis 2010 Ausgabenkürzungen im Ausmaß des Sparpaktes 2000/2001 erfolgen müssen. Die wichtigsten Einsparungen wurden in diesen zwei Jahren erzielt durch: Personalabbau und Verwaltungsreform, Pensionsreform, Maßnahmen zur Erhöhung der sozialen Treffsicherheit, Strukturreformen beim Finanzausgleich.

Woran liegt es, Herr Finanzminister?

Wenn nun Finanzminister Grasser vorrechnet, dass bestimmte Ausgabenblöcke stärker steigen als die Steuereinnahmen des Bundes, so ist das keineswegs neu, weil bestimmte Ausgabenkategorien aufgrund der gegebenen Strukturen eine höhere Ausgabendynamik aufweisen als andere. Er fragt aber nicht danach, woran es liegt, dass das Gesamtsteueraufkommen jährlich etwas schwächer wächst als das BIP, obwohl z. B. die Lohnsteuer im Gegensatz zu anderen (Umsatzsteuer) eine überaus hohe Aufkommensdynamik hat.

Entscheidend für die Frage nach den Konsequenzen für die Betroffenen ist nun, welche Ausgaben und Steuern tatsächlich gesenkt werden? Es ist wohl nicht damit zu rechnen, dass wir im Jahre 2010 ein progressives Steuersystem haben werden, das die Besserverdiener relativ stärker belastet als die Niedrigeinkommensbezieher. Das würde bedeuten, dass zwar in Summe alle weniger Steuern bezahlen, dass sich aber an der Belastungsverteilung zwischen Arm und Reich nichts ändert.

Gut für die Oberen, schlecht für die Unteren

Da - wie bereits erwähnt - über das Steuersystem insgesamt nicht umverteilt wird, kommt unter verteilungspolitischen Gesichtspunkten der Ausgabenseite eine entscheidende Rolle zu, weil über sie stark umverteilt wird. Das bedeutet, dass von den Ausgabenkürzungen am stärks-ten jene betroffen sind, bei denen das Einkommen durch die öffent- lichen Ausgaben am stärksten aufgebessert wurde. Das waren die unteren Einkommensklassen. Am meis-ten profitieren von den Steuersenkungen daher jene, die vom Staat die geringsten Ausgaben erhalten, das sind die oberen Einkommensklassen.

Diese Aussagen gelten streng genommen nur für den Fall von linearen Kürzungen über alle Ausgabenbereiche hinweg. Werden Ausgabenbereiche gekürzt, die stark umverteilende Wirkungen haben, verschärfen sich die verteilungspolitischen Konsequenzen noch. Genau das ist aber zu befürchten, soll doch am Ende mehr Selbstverantwortung und Freiheit des Einzelnen stehen. Aber viele Niedrigeinkommenshaushalte werden nicht mehr, sondern weniger Geld in der Brieftasche finden. Damit ist klar, worauf das Projekt 2010 hinausläuft - auf einen Rückzug des Staates zu Lasten der sozial Schwächeren.

1) Vergleiche dazu den Beitrag von Farny in Heft 4/2002 von Arbeit und Wirtschaft.

2) Nach üblichen Abgrenzungskriterien ist z. B. die Errichtung einer Schule eine öffentliche Investition. Das, was ich zum Betreiben dieser Schule brauche (die Lehrer), wird dem öffentlichen Konsum zugerechnet. Die Sinnhaftigkeit dieser Abgrenzung wird daher häufig in Frage gestellt.

3) »Neue Freie Zeitung« Nr. 16 vom 17. April 2002

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Bruno Rossmann (Mitarbeiter in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jul 2002 00:00:00 +0200 1192029258716 Der deutsche Nitrofenskandal Die Verunsicherung der Konsumenten ist wieder groß, ob und inwieweit das europäische Lebensmittel- und Veterinärrecht sicherstellt, dass im Binnenmarkt wirklich nur sichere Produkte vermarktet werden. Nitrofen in deutschen Futtermitteln und Lebensmitteln ist nur ein Beispiel, das zeigt, dass die Sorge der europäischen Konsumenten nicht unberechtigt ist.

Sabotageverdacht

Zuerst vermutete man einen gezielten Anschlag auf die hohe Reputation von Bioprodukten durch Sabotage. Zu hoch waren die in Futtergetreide für biologische Betriebe eines Futtermittelerzeugers in Niedersachsen gefundenen Mengen an Nitrofen, als dass man von illegaler Anwendung bei der Produktion dieser Produkte durch unehrliche Bioproduzenten ausgehen konnte.

Nitrofen, welches als Unkrautvernichtungsmittel lange Jahre in Verwendung stand, ist aber seit 1980 in der BRD und seit 1990 auch in den neuen deutschen Bundesländern (Ostdeutschland) verboten. Nitrofen gilt als krebserregend, erbgutverändernd und fruchtschädigend. Als verbotenes Mittel darf es in Lebensmitteln nicht nachweisbar sein und muss daher unter 0,01 mg pro Kilogramm Lebensmittel liegen.

Im Futterweizen wurde es aber in Mengen von mehr als 5 mg pro Kilogramm nachgewiesen. Als Quelle der Belastung wurde in der Folge eine Lagerhalle für Futtergetreide in Malchin in Mecklenburg-Vorpommern identifiziert, in der zu DDR-Zeiten Unkrautvernichtungsmittel gelagert worden waren. In dieser kontaminierte Halle lagerte der Futterweizen, der über den Futtermittelerzeuger als Biofuttermittel den Weg zu Biogeflügelerzeugern fand.

Erst als Nitrofen in der Rohware des Biokindernährmittelherstellers Hipp entdeckt wurde, der die Rohstoffe nicht abnahm, wurden Untersuchungen im vorgelagerten Produktionsbereich in Auftrag gegeben und die Herkunft der Belastung ermittelt. Allerdings dauerte es mehrere Monate von den ersten Erkenntnissen bis zu behördlich durchgeführten Ermittlungsarbeiten.

Putenfleisch und Eier

Nitrofen wurde in Deutschland in Putenfleisch und Eiern nachgewiesen. Die festgestellten Gehalte in den Proben lagen bei 0,07 bis 0,8 mg je Kilogramm Putenfleisch, liegen demnach beim 7- bis 80fachen des Grenzwertes. Mittlerweile wurde bekannt, dass auch konventionelles Futtergetreide für Schweine in dem kontaminierten Betrieb gelagert wurde und Nitrofen damit auch in Schweinefleisch auftauchen könnte. Ob diese Quelle tatsächlich den alleinigen Grund der aktuellen Nitrofenbelastung in Deutschland darstellt, ist noch nicht abschließend geklärt, wird aber von offizieller Seite gegenwärtig mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen.

Risiko für Verbraucher

Das deutsche Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) geht davon aus, dass im Hinblick auf die spezifische Gefährdung von Schwangeren für die duldbare tägliche Aufnahmemenge mit einem Sicherheitsfaktor von 1000 auszugehen ist.

Demnach sollte die tägliche Menge an Nitrofen aus allen Quellen nicht mehr als 0,009 mg sein. Die würde durch den Verzehr von 11 g höchstbelastetem Putenfleisch täglich bereits erreicht werden. Allerdings ist die Belastung der durchschnittlich verzehrten Lebensmittel weitaus niedriger. Auch für Österreich gilt: Die potentielle Gefährlichkeit des Stoffes ist hoch, allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, den Stoff über Lebensmittel aufzunehmen, gering. So soll die einzige Lieferung möglicherweise kontaminierter Lebensmittel aus Deutschland nach Österreich insgesamt 9 Kilogramm Putenbrust gewesen sein. Alle bisherigen Untersuchungen österreichischer Lebensmittel waren Nitrofen-negativ.

Konsequenzen

Konsequenzen für den europäischen Binnenmarkt aus Sicht des AK-Konsumentenschutzes:

Auch wenn sich das Problem weitgehend auf den deutschen Markt eingrenzen lässt, so zeigt der Vorfall, dass nach wie vor der Futtermittelbereich ein besonderes Risiko für Lebensmittel darstellt. Wenn Konsumentenschutz im europäischen Maßstab ernst genommen wird, muss den Kontrollen der Futtermittel ein weitaus höherer Stellenwert zukommen. Das europäische Lebensmittelrecht hat darauf bereits Rücksicht genommen und stellt aus diesem Grund die Anforderungen an die Sicherheit, Kontrolle und Rückverfolgbarkeit bei Futtermittel und Lebensmittel grundsätzlich gleich.

Das aktuelle Problem zeigt aber insbesondere, dass die Systeme der Rückverfolgbarkeit von Futtermitteln und der Rohstoffe bis zu den Verarbeitungs- und Endprodukten über alle Marktteilnehmer hinweg nicht optimal funktionieren. So ist es auf nationalen Märkten und im Binnenmarkt nach wie vor schwierig, betroffene Produkte schnell und effizient zu isolieren und vom Markt zu nehmen.

Auch die Kontrollen sind zu intensivieren, wenn Konsumenten sicher sein wollen, dass Probleme von amtlichen Stellen rasch erkannt werden und entsprechend schnell Abhilfe geschaffen werden kann.

Ergebnisse publizieren!

Aus Sicht der AK ist vor allem eine klare Kompetenz des Gesundheitsministers für Lebensmittel- und Veterinärrecht, aber auch das Futtermittel- oder Pflanzenschutzmittelrecht notwendig. Hier ist eine Einflussnahme der Verantwortlichen für die Landwirtschaft fehl am Platz. Auch müssen die Sanktionen bei Verstößen gegen das Lebensmittelrecht verschärft werden, wenn diese nicht bloß Kavaliersdelikt sein sollen. Eine wichtige Maßnahme stellt die verbindliche Veröffentlichung von allen amtlichen Untersuchungsergebnissen dar. Damit soll Konsumenten volle Transparenz ermöglicht werden.

Nach festgestellten Verstößen sollten über einen bestimmten Zeitraum auf Kosten des betroffenen Betriebes amtliche Nachkontrollen durchgeführt werden, um getroffene Verbesserungsmaßnahmen sichtbar zu machen und zu überprüfen.

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Heinz Schöffl http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jul 2002 00:00:00 +0200 1192029258707 Der Missbrauch des Missbrauchs Was wir neben unserem täglichen Brot sonst noch so alles zu schlucken bekommen.

Kürzlich haben zum Beispiel die spanischen Gewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen - einen Tag vor Beginn des EU-Gipfels in Sevilla. Im ORF, genauer gesagt in der »Zeit im Bild«, hat man es tatsächlich geschafft, zwar diesen Streik zu erwähnen, aber völlig auszuklammern, warum denn nun eigentlich gestreikt werden sollte. Es ging übrigens gegen den Abbau des Sozialstaates.

In diesem Land Spanien hat ein früherer »profil«-Chef seinen Alterswohnsitz genommen: P. M. Lingens. Er dürfte irgendwo an der Küste Andalusiens sitzen, und dort will er beobachtet haben, dass am Tage des Streiks viel mehr Leute - baden gegangen seien.

Wildwuchs

Na, wenn die Leut' baden gehen anstatt zu demonstrieren, dann kann so ein Streik nix Ordentliches sein. Herr Lingens hat sich dann noch unter die Bevölkerung gemischt und gefragt, ob der Sozialstaat in Gefahr sei. Diejenigen, die er gefragt hat, haben ihn dann sehr überrascht: Sie waren nämlich eher für die »Eindämmung des sozialen Wildwuchses« als für Empörung über den Abbau. Nach weiteren Ausführungen über die Situation der Schwarzarbeiter kommt er zu dem »unbestreitbaren« Schluss: »Eine große Zahl von Menschen, die Arbeit bekämen, arbeitet nicht, sondern bezieht Arbeitslosenunterstützung.

Auch wenn die Gewerkschaften sofort wütend aufschreien: So ist es natürlich auch in Österreich.«

Natürlich, so lautet die Ferndiagnose von P. M. L. von Andalusien nach Österreich.

Was hast dir erwartet? mögen nun einige fragen. Der Lingens ist halt auch auf dem Niveau der »Kronenzeitung«. Aber es kommt noch dicker. Lingens kennt nämlich einen Installateur.

Ich kenn zwar auch einige Installateure, so zum Beispiel den Fritz Verzetnitsch, der stolz ist, dass er diesen Beruf erlernt hat. Aber der Installateur, den der Lingens kennt, ist ein kleiner Unternehmer, der vor Jahren wegen mangelnder Aufträge zwei seiner langjährigen Mitarbeiter kündigen musste und der deswegen »schlaflose Nächte« hatte. Nach verbesserter Auftragslage hat er sie wieder eingestellt, und die beiden hatten nach einiger Zeit gefragt, ob sie nicht zumindest für einige Zeit wieder gekündigt werden könnten, weil sie dann mehr verdienten.

Lingens macht den Fehler, den so viele andere auch machen: Sie schließen von einzelnen Missständen auf das ganze System. Entweder weil sie's glauben, oder weil sie mit jenen sind, die sich von einer Absenkung oder Demolierung des Systems der sozialen Sicherung persönlichen Gewinn erhoffen. Oder einfach, weil sie mit den Wölfen heulen wollen.

Die sozialen Zusammenhänge sind anders. Und unsere tägliche Desinformation stinkt manchmal schon richtig. Den Abbauern, Deregulierern und Umbauern muss man endlich sagen: Jetzt reicht's! Nicht mit uns! Eure Argumente ziehen nicht!

Berichtigung »Schulden«
Im Leitartikel in Heft 6/02 ist ein bedauerlicher Irrtum unterlaufen. Natürlich sind es nicht die Arbeitnehmer, sondern die Arbeitgeber, die bei der Gebietskrankenkasse Schulden haben. Arbeitnehmerschulden bei der GKK sind maximal die leidigen »Ambulanzgebühren«, die mit hohem Verwaltungsaufwand im Nachhinein verrechnet werden. Bei solchen Fehlern ist es üblich, vom Teufel zu reden, in diesem Fall vom Druckfehlerteufel. Tatsache ist, dass nicht nur der Autor, sondern auch die Korrektoren und Revisoren diesen Fehler übersehen haben.

VKI: Letzte Meldung
Auf Seite 37 der Printausgabe steht ein Aufruf der Betriebsräte des Vereins für Konsumenteninformation (VKI) mit der Bitte um Unterstützung. Kurz vor Drucklegung erreichte uns diese Nachricht des Pressedienstes der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) unter dem Titel »Weiterführung des VKI scheint gesichert«:

»Bei einem ›VKI-Gipfelgespräch‹ zwischen Justizminister Dieter Böhmdorfer und Spitzenvertretern der Sozialpartner konnte eine Einigung über die Zahlung des offenen Mitgliedsbeitrages des Bundes erzielt und damit der seit Monaten schwelende Konflikt zwischen den ordentlichen VKI-Mitgliedern (AK, ÖGB, WKÖ und Präsidentenkonferenz) und dem Bund weitgehend beigelegt werden.

Minister Böhmdorfer sagte zu, den für das laufende Jahr offenen Mitgliedsbeitrag in Höhe von rund 1,6 Millionen Euro noch im Juli zu begleichen. Gleichzeitig haben sich die ordentlichen Mitglieder verpflichtet, auf die Grundlage des früheren Syndikatsvertrages zurückzukehren. Dieser Vertrag regelt, neben den Statuten, die dem Bund zustehenden Mitwirkungsrechte bei wesentlichen Fragen der Vereinsführung.

Die Verhandlungspartner sind weiters übereingekommen, bis Ende September eine Einigung über die künftige strategische Ausrichtung und die betriebswirtschaftlichen Grundlagen des VKI zu finden.«

Natürlich werden wir über die Causa VKI weiter berichten.

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Siegfried Sorz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jul 2002 00:00:00 +0200 1192029258635 Schlecht beraten? | Warum es wichtig ist, sich mit dem Consulting-Boom auseinander zu setzen Hier geht's ans Eingemachte: Der Autor klopft die Methoden der Unternehmensberater ab - und stößt auf erstaunliche ideologische Hintergründe. Weltbilder, die verblüffend simpel und gestrig konstruiert sind: So begreift z. B. der Sozialdarwinismus Unglaublichkeiten und Ungerechtigkeiten als naturgegeben. Ein Dualismus, in dem karikaturhafte Gegenbilder entworfen werden, die Guten und die Bösen, die Bejahenden und die Widerständlerischen. Vor allem aber: Wir sitzen alle in einem Boot. Und alle haben in gleichmäßiger Fahrt durch die raue See der Marktwirtschaft zu rudern.

1. Die Branche boomt

Seit Jahren gilt es als unumstößliches Faktum, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschärfen, der Konkurrenzdruck steigt, der Druck somit auch auf die Beschäftigten, flexibel auf neue Anforderungen zu reagieren, wächst und wächst. Eine Branche scheint von diesen Krisensymptomen nicht nur verschont zu werden, sie boomt geradezu in den letzten Jahren und erzielt erstaunliche Umsatzsteigerungen - die Branche der Unternehmensberater.

Warum ist es wichtig, sich mit diesem Phänomen auseinander zu setzen? Eines der Hauptaufgabenfelder der Unternehmensberatung sind so genannte »Umstrukturierungsprozesse«. Bei Umstrukturierungen sind zentrale Anliegen der Arbeitnehmer wie auch der Gewerkschaften als deren organisierte Interessenvertretung (wie Erhalt und Qualität der Arbeitsplätze) unmittelbar betroffen. Der Boom der Unternehmensberatung findet in einer Situation statt, in der einerseits dem Arbeitenden mehr von seinen Kapazitäten, seinen emotionalen, kreativen Potenzialen abverlangt wird als in früheren Zeiten und gleichzeitig ist die Sicherheit und Stabilität, die zumindest manche Beschäftigungsverhältnisse auszeichnete, dem Erfordernis der Flexibilität und Veränderung gewichen. Umstrukturierungsprozesse beschleunigen solche Entwicklungen, und in diesem Sinne haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch viel dabei zu verlieren. Welche »Philosophie« ein Beratungsunternehmen vertritt, ist daher von eminenter Bedeutung.

Hier soll der Ansatz der systemischen Beratung erläutert werden. In späteren Beiträgen ist es geplant, auf den Beratungsprozess und auf Strategien aus Arbeitnehmerperspektive näher einzugehen.

2. Zum Beispiel: Die systemische Unternehmensberatung

Grundzüge

Unternehmensberatung ist ein weites Feld. Die großen Namen der Branche wie etwa McKinsey tauchten schon in den zwanziger Jahren in den Vereinigten Staaten auf. Für unser Interesse sind aber die neueren Entwicklungen von Interesse. Österreich ist bei der Entwicklung dieser neueren Beratungsphilosophien wie etwa der systemischen Beratung führend. Eine bekannte Vertreterin dieses Ansatzes ist die Beratergruppe Neuwaldegg (BGN), der unsere Aufmerksamkeit gilt.

Zu Beginn der achtziger Jahre gegründet, stellt diese Gruppe eine der erfolgreichsten Beratungsagenturen dar. Sie tritt nicht nur durch ihre praktische Arbeit hervor, sondern beeinflusst die Debatte auch durch eine ganze Fülle von Büchern und Beiträgen, die vor allem im renommierten Klett & Cotta-Verlag erscheinen.

Unterscheidet man zwischen »harten« und »weichen« Schulen der Beratung, dann ist die BGN sicherlich den weichen Ansätzen zuzuordnen: Während »harte« Schulen sich ausschließlich am ökonomischen Kalkül orientieren und ihre Konzepte hierarchisch diktieren, versuchen die »weichen« Schulen gemeinsame Lösungen zu erarbeiten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Prozess teilhaben zu lassen. Das ist zumindest ihr Anspruch.

Systemtheorie als Basis

Der systemische Beratungsansatz basiert auf zwei theoretischen Grundannahmen: der (soziologischen) Systemtheorie des Bielefelder Soziologen Niklas Luhmann und der therapeutischen Praxis der systemischen Familientherapie.

Wie die Systemtheorie insgesamt, orientiert sich der Ansatz der systemischen Beratung an der Theorie autopoietischer (das heißt: sich selbst organisierender) Systeme, die eigentlich aus dem naturwissenschaftlichen Bereich kommt. Dem Beratungsverständnis der systemischen Unternehmensberatung liegt das Modell des Unternehmens als ein geschlossenes System zugrunde.

Das bedeutet, dass Unternehmen sich an selbst erzeugten Zuständen und Zustandsveränderungen orientieren. Sie richten im Laufe ihrer Geschichte Strukturen ein, die für die Reproduktion von Entscheidungen und damit für die Reproduktion des Unternehmens insgesamt sorgen. Dieser Prozess findet in einer Umwelt statt, die das Unternehmen nur selektiv, das heißt eingeschränkt wahrnimmt. Eine nicht angemessene Sicht- und Wahrnehmungsweise - also etwa eine Fehleinschätzung der eigenen Position im Wettbewerb - ist die Ursache von Problemen. Durch (paradoxe) Interventionen will die systemische Beratung die Möglichkeit zur Distanz, zu einer anderen Sichtweise schaffen. Die systemische Beratung will also durch den Wechsel der Perspektive vorher nicht sichtbare Lösungen ermöglichen.

Für das Beratungsverständnis bedeutet dies, dass die Veränderung letztlich aus dem sozialen System Unternehmen selbst kommen muss, von den Beratern also nur angeregt, aber nicht vorgegeben werden kann. Das Unternehmen muss selbst entscheiden, ob es den Veränderungsprozess auch will. Auch die Angestellten können und sollen sich daher am Prozess beteiligen.

Das klingt zunächst nicht schlecht. Die Beschäftigten können ihre Fähigkeiten, Bedürfnisse, Anliegen und Interessen einbringen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen also mitarbeiten. Ein demokratisches, partizipatives Modell? Gehen wir noch einen Schritt zurück. Betrachtet man das Ausgangsverständnis der systemischen Beratung genauer, dann werden eine Reihe hochsensibler Grundannahmen deutlich. Da ist zunächst einmal der Dualismus.

Dualismus

Wie schon die Religionsgeschichte zeigt, erzeugen Dualismen (etwa Gut und Böse) eine starke Suggestivität und Anziehungskraft, weil sie einerseits durch die damit verbundene Reduktion von Komplexität leichtere Orientierung ermöglichen und andererseits ein Erlösungsversprechen in sich bergen, nämlich das Weisen und Aufzeigen des »richtigen« Weges.

Die Funktion dieser Strategie ist klar: Den Betroffenen soll möglichst rasch vermittelt werden, welches die richtige Seite ist, in welche Richtung die Veränderung gehen muss, der unabwendbare Prozess sich bewegt, dem sich entgegenzustellen letztlich zwecklos ist. Dabei werden karikaturhafte Gegenbilder konstruiert (als das »Alte«), von denen sich dann das »Neue« umso eindrucksvoller abheben lässt. Der Veränderungsprozess vom Alten hin zum Neuen soll als unbedingt notwendig, weil alternativlos, porträtiert werden.

Unsere erste Übersicht liefert ein Beispiel für das Denken in den Kategorien »alt und »neu«: Hier sollen die Konsequenzen, die das konventionelle (alte) Denken nach sich zieht, mit den Resultaten neuen Denkens kontrastiert werden (siehe Übersicht 1: »›Altes‹ und ›neues‹ Denken«)

Interessant ist nicht nur die Banalität der Gegensätze (»viel Kooperation« - »wenig Kooperation«). Wer ist schon für wenig Kooperation, wenn es auch viel davon geben kann? Auffallend ist auch, welche Resultate als negativ und welche als positiv besetzt erscheinen. So erscheint die »Kritik an Autoritäten« als Resultat eines offensichtlich abzulehnenden konventionellen Denkens und das bemerkenswerte Wort »widerständlerisch« bezeichnet eine verwerfliche Untugend. Auf der anderen Seite erinnern die Konsequenzen des neuen Denkens, eher an die Resultate einer totalitären Umpolungsstrategie: »engagiert«, »bejahend« und »verlässlich« reagiere dieses neue Denken auf eine nicht näher bezeichnete »Veränderung«. Sollen wir eine Veränderung um ihrer selbst willen begrüßen, ganz egal, wohin sie uns führt? Gibt es nicht auch Veränderungen, auf die wir lieber »widerständlerisch« als »bejahend« und »engagiert« reagieren sollten?

Der Kontrast von Alt und Neu soll auch zeigen, dass der (eben traditionelle) Gegensatz von Kapital und Arbeit, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, überholt ist. Die Gegensätze in einem Unternehmen verlaufen entlang einer anderen Linie. Denn »das Alte«, »Konventionelle« vertreten sowohl die hierarchisch agierenden Führungskräfte als auch die um ihren Arbeitsplatz besorgten und an Sicherheit interessierten Mitarbeiter. Sie sind die »Bewahrer«. Die »Veränderer« hingegen sind die dynamischen, charismatischen Manager und Führungspersönlichkeiten genauso wie die flexiblen, bejahenden Mitarbeiter. Neue Allianzen erscheinen möglich zwischen jenen, die begriffen haben, dass alle im gleichen Boot sitzen.

Auf der Ebene des Weltbildes sieht die Gegenüberstellung dann folgendermaßen aus (siehe Übersicht 2: »Weltbilder«).

Das hier gewählte Organismusmodell war in der politischen Ideengeschichte ein Modell, das soziale Interessengegensätze harmonisiert, das soziale Widersprüche ausgeklammert hat. Widersprüche werden hier zwar als Merkmal des systemischen Weltbildes konstatiert, es geht aber letztlich darum, wie sie am besten integriert werden können.

Biologismus

Eine zweite problematische Tendenz der systemischen Beratung, die festzustellen ist, besteht in der Parallelsetzung von Wirtschaft und Gesellschaft einerseits und Natur andererseits. Wirtschaftliche Abläufe werden zu Naturgesetzen erklärt. Wir können dies als Biologismus bezeichnen. Die Sichtweise von Wirtschaft und Gesellschaft ist dabei folgende: Ein weitgehend unhinterfragbarer, naturhaft ablaufender sozio-ökonomischer Veränderungsprozess erzwingt Anpassung. Dieses Vertrauen auf einen evolutionären Prozess, der Anpassung als Überlebensbedingung erfordert, erweist sich auch als Charakteristikum des »Sozialdarwinismus«.

Der Preis der Nichtanpassung wird selten genannt, ist aber im Grunde genommen präsent. Letztlich geht es - metaphorisch gesprochen - ums Überleben. Menschen werden gewissermaßen zum Spielball zwischen Systemmechanismen und einer nach naturhaften Gesetzen ablaufenden Systemumwelt. Ging es gestern noch um Versorgung, so heißt es an einer Stelle, so ginge es heute ums Überleben (Roswita Königswieser (2000). Macht - Wandel - Macht. In: Hernsteiner - Fachzeitschrift für Managemententwicklung 2/14, 21-24, 23).

Interessant sind auch die Schilderungen der systemischen Berater von Großgruppenprozessen. Diese Großgruppen werden bei Umstrukturierungs- und Veränderungsprozessen großer Unternehmen angewendet. Damit soll ermöglicht werden, dass auch jene, die im eigentlichen Prozess keine Rolle spielen, zumindest zeitweise einbezogen werden können. Bei der Schilderung dieser Großgruppenprozesse also erfahren wir, wie sich die systemischen Berater die menschliche Natur vorstellen.

Sie behaupten beispielsweise, dass in Gruppen ein »Hunger nach Sinnlichkeit« spürbar werde. Menschen, so erfahren wir, wollten nun einmal gesehen werden und dazugehören. Darüber hinaus wollten sie klar zwischen Gut und Böse unterscheiden können. Sie seien aber auch permanent mit der Angst konfrontiert, das Gesicht zu verlieren. Latent sei deshalb immer das Moment des Wettkampfes, des sozialen Vergleiches vorhanden. (Roswita Königswieser (2000). Das Feuer großer Gruppen, in: Roswita Königswieser und Marion Keil (Hg.). Das Feuer großer Gruppen. Konzepte, Designs, Praxisbeispiele für Großveranstaltungen. Stuttgart, 30-44, 35-38). Auch diese Erklärung des Wettbewerbsgedankens zur menschlichen Natur hat einen klaren ideologischen Hintergrund. Was uns hier entgegentritt, das ist das Menschenbild des Neoliberalismus.

Interessenidentität: Schicksalsgemeinschaft Unternehmen

Indem aber das System Unternehmen als einheitlich und von einem klar definierten Hauptinteresse geleitet erscheint (Überleben im Wettbewerb), haben Widersprüche und Interessengegensätze innerhalb des Unternehmens keinen Raum. Sie erscheinen als »dysfunktional« und müssen mittels gezielter »Interventionen« aufgelöst werden. Während die Unterscheidung zwischen Veränderer und Bewahrer eine klare Trennlinie zieht, sind die klassischen Widersprüche (Arbeitgeber-Arbeitnehmer; Arbeit-Kapital) aufgehoben. Die Betonung der Gemeinschaftlichkeit, der weitgehenden Interessenidentität der Mitglieder eines Unternehmens und die Ausblendung von strukturell bedingten Konflikten zugunsten einer Bewahrer-, Veränderer-Kontroverse zieht notwendigerweise auch nach sich, dass über ungleich verteilte Macht nicht mehr geredet wird.

Oder einfacher ausgedrückt: Wenn der Eindruck erfolgreich vermittelt wird, dass alle in einem Boot sitzen, dann wäre es natürlich äußerst unvernünftig, nicht gemeinsam in die gleiche Richtung, durch die raue See der Marktwirtschaft zu rudern. Ob dieses Bild stimmt, das ist die Frage! Denn Arbeitnehmer haben in der Regel ganz andere Interessen als Arbeitgeber. Qualität und Sicherheit eines Arbeitsplatzes müssen beispielsweise keineswegs mit dem Profitinteresse des Unternehmers zusammenfallen.

3. Schlussfolgerung

Es kann nicht darum gehen, Unternehmensberatung pauschal zu verteufeln und abzulehnen. Das wäre sehr kontraproduktiv. Es geht um etwas anderes, nämlich darum, die Kommunikation über ein Thema aufzugreifen, das elementare Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern berührt. Dafür ist es notwendig, sich damit auseinander zu setzen und auf dieser Basis einen Standpunkt zu entwickeln. Und darauf können wiederum konkrete Maßnahmen aufbauen. Die Betriebsräteberatung der AK Oberösterreich oder politische Maßnahmen wie der geplante Ethikkodex, der von der Arbeiterkammer Wien entwickelt worden ist, sind ein erster Schritt in diese Richtung.

Sie sollen in der Folge noch vertieft werden.

»Altes« und »neues« Denken Übersicht 1
Resultate des konventionellen Denkens Resultate des neuen Denkens
Abhängigkeit von Autoritätsfiguren (Verantwortung, Erfolg, Misserfolg) Individuelle und kollektive Verantwortung für Erfolg und Misserfolg
Kritisieren des Verhaltens der Autoritäten, ihrer Entscheidungen (ihre Sache) Übernehmen der gemeinsam gefundenen Richtungen (unsere Sache)
Wenig Kooperation Viel Kooperation
Reaktion auf Veränderung: halbherzig, resignativ, ambivalent, widerständlerisch Reaktion auf Veränderung: engagiert, bejahend, verlässlich
Kein kollektives Lernen Lernende Organisation
Nach: Roswita Königswieser (2000). Das Feuer großer Gruppen, in: Roswita Königswieser und Marion Keil (Hg.). Das Feuer großer Gruppen. Konzepte, Designs, Praxisbeispiele für Großveranstaltungen. Stuttgart, 30-44, 43.

Weltbilder Übersicht 2
Mechanistisches Weltbild Systemisches Weltbild
Bisher standen im Vordergrund: Jetzt und in Zukunft erhalten zusätzlich Bedeutung:
Maschinenbild Organismusmodell
Kausalketten, Logik, Widerspruchsfreiheit Wechselwirkungen, Widersprüche
Rationalität, harte Fakten Emotionalität, Intuition, weiche Faktoren
richtig, falsch, schuldig, unschuldig Funktionalität, Kontextabhängigkeit
Eine Wahrheit, Objektivität Viele Wahrheiten, Konstruktivismus
Nach: Roswita Königswieser (2001). »Rapunzel«. Grundlegende Gedanken zum systemischen Ansatz. In: Roswita Königswieser, Uwe Cichy, Gerhard Jochum (Hg.): SIMsalabim. Veränderung ist keine Zauberei. Systemisches IntegrationsManagement. Stuttgart, 25-29, 27.

Empfohlene Links
Zu aktuellen Debatten um Unternehmensberatung:
Das Gesellschaftspolitische Diskussionsforum der Arbeiterkammer Wien. www.gedifo.or.at
Als Serviceeinrichtung für Betriebsräte: Die Beratung zu Consultingfragen der Arbeiterkammer Oberösterreich. www.arbeiterkammer.com

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Günther Sandner (Politologe, Lehrbeauftragter der Universität Salzburg http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jul 2002 00:00:00 +0200 1192029258417 Betriebsratsarbeit im Wandel In diesem Gesetz ist eine institutionelle Trennung zwischen der Mitbestimmung der Gewerkschaften und der Betriebsräte vorgesehen. Während die Gewerkschaften auf der kollektivvertraglichen und der gesamtwirtschaftlichen Ebene aktiv sind, agieren die Betriebsräte auf Betriebs- und Unternehmensebene. Das hat den Vorteil, dass gesellschaftlich bedingte Konfliktinhalte aufgeteilt und auf unterschiedlichen Ebenen behandelt werden. Dieses »duale Mitbestimmungsmodell« der Interessenvertretung gilt als charakteristisches Herzstück des Systems der industriellen Beziehungen in Österreich.

Faktisch sind Gewerkschaft und Betriebsräte jedoch wechselseitig eng miteinander verwoben. Betriebsräte und Gewerkschaften sind in ein Beziehungsgeflecht eingebunden, das durch wechselseitige Abhängigkeiten sowie durch personal-funktionale Verschränkungen gekennzeichnet ist. Dies lässt sich bereits auf der personellen Ebene feststellen: In Österreich sind nahezu 50.000 Betriebsräte und Personalvertreter in weit mehr als 10.000 Betrieben und Unternehmen aktiv. Nahezu 90 Prozent der Betriebsräte sind gewerkschaftlich organisiert. Zum anderen stellen die Betriebsräte auch das Gros der aktiven Gewerkschaftsfunktionäre.

Aber auch funktional gibt es in beide Richtungen enge Bezüge zwischen der betrieblichen und der tariflichen Ebene der Interessenvertretung: So sind die Betriebsräte für ihre Vertretungsarbeit auf die Schulungsmaßnahmen und die Beratungskompetenz der Gewerkschaft genauso angewiesen wie auf Unterstützung in behördlichen und gerichtlichen Verfahren, auf Expertisen und Branchenanalysen zwecks Verbesserung der innerbetrieblichen Arbeitsbedingungen und vieles mehr. Die betrieblichen Interessenvertreter sichern andererseits der Gewerkschaft durch Mitgliederwerbung und -pflege die finanziellen Ressourcen. Sie sind die wichtigsten Mittler zwischen der Organisation und deren Mitgliedern. Sie sorgen für die Umsetzung und Verfeinerung von dem, was die Gewerkschaften auf der überbetrieblichen Ebene durchgesetzt haben, wie z. B. kollektivvertragliche Regelungen.

Die Beziehungen zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften sind also relativ eng. Es handelt sich um eine eingespielte Arbeitsteilung zu beiderseitigem Nutzen zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften - um eine arbeitsteilige Beziehungsstruktur zwischen der kollektivvertraglichen und der betrieblichen Ebene der Interessenvertretung.

»Verbetrieblichung«

Spätestens seit Mitte der 80er-Jahre zeichnen sich Verschiebungen im dualen System der Interessenaushandlung ab.

Man kann beobachten, dass unter dem Stichwort »Verbetrieblichung« inhaltliche Normierungen zunehmend von der gesetzlichen und der kollektivvertraglichen Ebene auf die betriebliche Ebene delegiert werden. In bestimmten Fragen, wie z. B. der Arbeitszeit, aber auch der Lohnpolitik respektive der »Verteilungsoption«, in der es zu einem größeren Spielraum bei der Erhöhung der Istlöhne- und -gehälter für die betrieblichen Verhandlungspartner gekommen ist, geben Kollektivverträge einen Rahmen vor, der den betrieblichen Akteuren erhebliche Handlungsoptionen einräumt. Öffnungsklauseln für betriebliche Regelungen haben dafür gesorgt, dass mehr Vereinbarungen, die zuvor einer kollektivvertraglichen Regelung vorbehalten waren, auf der Ebene einzelner Betriebe bzw. Unternehmen abschließend geregelt werden. Durch diese Entwicklung geht ein größerer Teil der Regulierungsarbeit und -verantwortung von den Gewerkschaften auf die Betriebsräte über. Betriebsratsarbeit erfährt dadurch einen erheblichen Aufgaben- und Bedeutungszuwachs.

Totschlagargumente

Bisher ist die Verbetrieblichung der Kollektivvertragspolitik unter der Beteiligung und mit der Zustimmung der Kollektivvertragsvertragsparteien gelaufen. Es handelte sich um eine kontrollierte Verbetrieblichung. Es existiert eine klare Hierarchie in der Reihenfolge: staatliche Gesetzgebung, Kollektivvertragsregelungen, Betriebsvereinbarungen. Regelungen auf einer Ebene stellen jeweils Mindestbedingungen für Regulierungen auf den niedrigeren Ebenen dar. Dies soll den Schutz der Beschäftigten und einer gewissen Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen dienen, ohne den Betriebsparteien die Möglichkeit zu nehmen, für die Arbeitnehmer günstigere Vereinbarungen auszuhandeln.

Der aktuelle Entwicklungstrend geht aber in eine andere Richtung: Die ÖVP-FPÖ-Regierung unternimmt jeden Versuch zur Beseitigung der Kollektivverträge und zur gänzlichen Verlagerung der Verhandlungsebene auf die Betriebsebene: So steht im Regierungsprogramm: »Verlagerung von der überbetrieblichen in die betriebliche Mitbestimmung.« Die Arbeitgeberseite neigt offenbar aus gutem Grund dazu, die Verhandlungsebenen möglichst klein und lokal begrenzt halten zu wollen:

Durch Verbetrieblichung wird der Betriebsrat oftmals überfordert. Nur allzu leicht könnte der Unternehmer die Belegschaftsvertretung mit »Totschlagargumenten« wie »Verlagerung des Standorts« oder »unvermeidliche Kündigungen« gefügig machen. Der Betriebsrat wird angebunden an Überlebensfragen des Betriebes, und es wird immer schwieriger für ihn, Gewerkschaftspolitik im Betrieb umzusetzen, denn wo es ums Überleben geht, da kann nicht erwartet werden, dass der Betriebsrat ständig im gewerkschaftlichen Interesse agiert. Es wird schwieriger für Betriebsräte, sich vom unmittelbaren Betriebsinteresse, vom unmittelbaren Erhalt der Arbeitsplätze loszulösen.

Umsetzen, anwenden, kontrollieren

Der Betriebsrat ist keine Einrichtung, die Löhnerhöhungen abschließt, Regelungen erfindet. Das ist mit gutem Grund Aufgabe der Gewerkschaften, die nicht nur den Branchenüberblick haben, sondern auch gegen Repressionen einzelner Unternehmer resistent sind. Der Betriebsrat ist geschaffen worden, die Bestimmungen, die im Gesetz und auf Kollektivvertragsebene etabliert wurden, umzusetzen, anzuwenden und zu kontrollieren.

Durch Verbetrieblichung der kollektiven Regulierung wird die Arbeitsteilung mit der Gewerkschaft im dualen System in Frage gestellt. Dadurch besteht die Gefahr, dass ein Eckpfeiler der bisherigen Mitbestimmung, nämlich das Dualitätsprinzip, unterspült wird. Mit »Verlagerung auf die Betriebsebene« ist die nachhaltige Schwächung der Gewerkschaft beabsichtigt - bis zu ihrer völligen Bedeutungslosigkeit. »Denn was heißt das anderes, wenn der Gewerkschaft die Kollektivvertragskompetenz weggenommen wird, alles auf Betriebsebene geregelt wird ... als eine Zerschlagung der Gewerkschaft ...«, meinte Jörg Flecker von der Forba, der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt, am 6. Senghofer Symposium im November 2001.

»Entbetrieblichung«

In dem Augenblick, in dem der Betrieb durch die Verbetrieblichung der kollektiven Normsetzung aufgewertet wird, wird er aber real-organisatorisch unterhöhlt und abgewertet. Es findet eine »Entbetrieblichung« statt, wodurch, nach Meinung vieler Industriesoziologen, die Wirksamkeit der Betriebsratsarbeit auseinander brechen könnte. Viele Experten meinen sogar, dass die betriebliche Interessenvertretung zum »Auslaufmodell« zu werden drohe. »Die neue Ehre der aktiveren Rolle soll dem Betriebsrat in dem Augenblick zuteil werden, wo er eine Nummer kleiner gemacht wird«, bemerkte besorgt der deutsche Industriesoziologe Hermann Kotthoff in einer Konferenz der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt Forba im Vorjahr. Mit wachsender Aufgabenlast schrumpfen also die Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrates.

Als Ursache für diesen Entwicklungstrend werden Destabilisierungstendenzen festgemacht:

Verbreitung transnationaler Unternehmensformen

Viele Unternehmen, z. B. aus der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie, sind in den vergangenen Jahren durch Firmenaufkäufe und Übernahmen zu Zweigwerken und abhängigen Tochterunternehmen großer und teilweise international agierender Unternehmen mutiert. Wesentliche Entscheidungen, z. B. über Betriebsstandorte oder größere Investitionsvorhaben, werden weit entfernt in den nicht mehr erreichbaren Konzernzentralen gefällt. Dadurch sind wichtige Entscheidungen dem Einflussbereich der lokalen Betriebsräte entzogen. Dem Betriebsrat geht der örtliche Verhandlungspartner verloren. Die tatsächlichen Entscheidungen werden außerhalb des Betriebes getroffen.

Neuer Managertypus

In die aufgekauften Betriebe zieht ein neues Management ein, das unter betriebwirtschaftlichen Direktiven eingestellt wird und dementsprechend unter Erfolgsdruck steht. Oft mit Zeitverträgen ausgestattet, ist das einzige Ziel, dass am Ende des Jahres die Dividende stimmt. Der »neue« Manager setzt mehr auf kurzfristige Ausbeutung als auf eine längerfristige Entwicklungsstrategie des Unternehmens. Damit steht der »moderne« Manager zunehmend im Widerspruch zu vertrauensbasierten, langfristig angelegten betrieblichen Arbeitsbeziehungen. Dieser Managertypus sieht die Mitbestimmung grundsätzlich als störend und überflüssig an.

Komanagement

Komanagement steht für eine gewerkschaftliche Betriebspolitik, wonach der Interessengegensatz von Kapital und Arbeit durch Mitbestimmung überwunden werden kann. An die Stelle des Interessengegensatzes von Arbeit und Kapital tritt die soziale Partnerschaft in Gremienarbeit. Die Interessengegensätze werden verwässert. Dadurch können vielerlei Probleme für den Betriebsrat entstehen: Gremienarbeit ist für viele Beschäftigte intransparent. Der Betriebsrat kann unter dem Verdacht stehen, sich vereinnahmen zu lassen. Er kann Loyalitätsprobleme bekommen.

Zumal oft die Leitfrage solcher Betriebsräte nicht mehr lautet »Was ist gut für die Belegschaft?«, sondern »Was ist gut für den Betrieb - und damit für die Belegschaft?« Diese Begriffe müssen aber nicht immer deckungsgleich sein. Aus dem Betriebsrat wird ein Betriebsökonom.

Neue Arbeitsformen

Die bisherigen Formen betrieblicher Interessenvertretung werden auch durch Veränderungen in der Arbeitsorganisation und im sozialen Zusammenhalt der Beschäftigten in Frage gestellt. Betriebsräte treffen gerade in den Dienstleistungsbranchen auf Arbeitnehmer mit anderen Qualifikationen, Verhaltensweisen und Ansprüchen an Mitbestimmung in der Arbeitswelt, als z. B. Arbeitnehmer in den Großbetrieben der Industrie.

Durch die steigende Selbstverantwortung der Arbeiter und Angestellten kommt es zunehmend zu einer Vielzahl von direkten und individuellen Aushandlungsprozessen, wodurch die Repräsentationsaufgaben des Betriebsrates mitunter als überflüssig empfunden werden. Dieser Arbeitnehmertypus entspricht recht gut dem Bild des Arbeitskraftunternehmers. Arbeiten ist für ihn persönliche Herausforderung, Chance zur Selbstverwirklichung. Er trägt den Unternehmer in sich selbst.

Das Arbeitnehmer-Selbstverständnis unterliegt einem grundsätzlichen Wandel. Die Bereitschaft, Interessen in kollektiver Form wahrzunehmen, sie zu bündeln und in organisierter Form zu vertreten, nimmt stetig ab. Insbesondere in der »New Economy« mit ihren Arbeitsorganisationsformen in selbstverantwortlichen (»teilautonomen«) Projektgruppen, kommt nicht nur die Identifikation der einzelnen Arbeitnehmer mit »dem Betrieb«, sondern vor allem das Zugehörigkeitsgefühl zur Belegschaft abhanden. Es wird zunehmend schwieriger, Kandidatinnen oder Kandidaten für betriebsrätliche Arbeit zu finden. Und dort, wo es einen Betriebsrat gibt, wird diesem nicht erlaubt, sich in die Arbeit des »neuen« Arbeitnehmertypus einzumischen. Der Betriebsrat soll gerade noch die allgemeinen Rahmenbedingungen für die Gehalts- und die Sozialpolitik im Betrieb verhandeln.

Durch »atypische« Beschäftigungsverhältnisse nimmt die Heterogenität der Beschäftigten zu. Der Vertretungsanspruch der Betriebsräte konzentriert sich im Allgemeinen auf die Stammbelegschaften und die so genannten »Normalarbeitsverhältnisse«. Nicht zuletzt aus organisationstechnischen Gründen kann die Randbelegschaft sehr oft unzureichend vertreten werden. Gerade durch die Erosion des »Normalarbeitsverhältnisses« und die daraus folgende Individualisierung der Belegschaften droht die soziale Basis für kollektives Handeln des Betriebsrats verloren zu gehen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass der Betriebsrat in Verhandlungen mit dem Management, gerade aufgrund der differenzierten Interessenstruktur der Belegschaft, ausgespielt wird.

Verschiebung der Betriebsgrenzen

Die letzten Jahre sind geprägt von einem massiven Trend der Dezentralisierung. Betriebsteile werden ausgelagert und zum Teil rechtlich verselbständigt. Gerade Strukturveränderungen im Industriebereich haben zur Auslagerung zahlreicher Produktions- und Dienstleistungsbereiche geführt, die nun in meist kleinbetrieblicher Form mit neuartigen Abhängigkeits- und Kooperationsbeziehungen untereinander weitergeführt werden. In ganz ähnlicher Weise führen die Privatisierungsentscheidungen in größeren Unternehmen des öffentlichen Dienstes zu neuen Netzwerken kleiner Betriebe. Im Ganzen genommen werden die Unternehmenseinheiten im Durchschnitt wesentlich kleiner. Das hat Auswirkungen auf die Betriebsratskörperschaften: Denn parallel zur Ausgliederung von Betriebsteilen werden die Betriebsratsstrukturen zerschlagen. An die Stelle eines personell und materiell recht gut ausgestatteten Gremiums mit Zugang zu den zentralen Entscheidungspositionen eines einheitlichen Betriebes treten jetzt im besten Fall neue »Kleinbetriebsräte«. »Der Betriebsrat der Zukunft wird ein Kleinbetriebsrat sein«, konstatiert der deutsche Sozialforscher Wolfram Wassermann. Das heißt, er wird unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen arbeiten, wenn z. B. Freistellungen und Professionalisierungsmöglichkeiten verloren gehen.

Die in Österreich von ÖGB, Gewerkschaften und Arbeiterkammern geforderte Anpassung des Arbeitsverfassungsgesetzes an diesen grundlegenden Strukturwandel, z. B. durch die Ermöglichung von Standortbetriebsräten, konnte nicht erreicht werden. Durch die Veränderung der Rahmenbedingungen entsteht aber etwas, das im Arbeitsverfassungsgesetz nicht vorgesehen ist, wo es mit Sicherheit Anpassung für die Wirkungsfähigkeit des Betriebsrates braucht.

Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes in Deutschland: Sparten-BR, Cluster-BR & Co.

In Deutschland hingegen bestehen seit der Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes (2001) zahlreiche Möglichkeiten, Arbeitnehmervertretungen und -kooperationen neben und außerhalb der klassischen Betriebsgrenzen zu etablieren. Gerade weil immer mehr Druck auf die Betriebsräte zukommt, hat die Gewerkschaft die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Betriebsratsarbeit verbessert:

Damit z. B. Unternehmen mit mehreren kleinen Standorten die oft kaum durchführbare Errichtung von »Kleinstbetriebsräten« und deren Zusammenführung zu einem Gesamtbetriebsrat (Zentralbetriebsrat) erspart bleibt, aber doch eine unternehmensweite Vertretung geschaffen werden kann, besteht die Möglichkeit, dass die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebrates durch Tarifvertrag geregelt wird.

Oder: Bei Unternehmen, die beispielsweise eine Vielzahl von Betrieben und Betriebsteilen in Form von Filialen führen, wird der Tarifvertrag die Zusammenfassung von Betrieben bzw. Betriebsteilen nach z. B. regionalen Gesichtspunkten ermöglichen.

Weiters sind »Spartenbetriebsräte« vorgesehen. Also die Organisation von Betriebsräten nach produkt- oder projektbezogenen Geschäftsbereichen. Je nach Ausgestaltung der Konzernorganisation könnten nunmehr mehrere Betriebsräte je Sparte oder betriebsübergreifende Spartenbetriebsräte, aber auch unternehmensübergreifende Spartenbetriebsräte bzw. Spartengesamtbetriebsräte gebildet werden.

Der Tarifvertrag kann darüber hinaus auch andere Arbeitnehmervertretungsstrukturen ermöglichen. Gedacht ist unter anderem an Systeme entlang von Produktionsketten (just in time, cluster), um gegenüber den Zusammenarbeitsformen der Unternehmen entsprechende Arbeitnehmer-Vertretungsstrukturen bilden zu können.

Außerdem können zusätzliche Gremien (Arbeitsgemeinschaften) und zusätzliche betriebsverfassungsrechtliche Vertretungen der Arbeitnehmer eingerichtet werden. Dabei handelt es sich zwar um keine Mitbestimmungsorgane, sondern »nur« um Arbeitsgemeinschaften und Arbeitsgruppen, aber die Kommunikation und Zusammenarbeit der Betriebsräte untereinander sowie hin zu den Beschäftigten wird fraglos verbessert.

Dort, wo der Tarifvertrag nicht gilt, wird die Einrichtung unternehmenseinheitlicher Betriebsräte bei Initiative von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern gesetzlich ermöglicht. Ein einfacher Mehrheitsbeschluss aller im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer genügt also, um anstelle von Wahlen auf Ebene der einzelnen Betriebe gleich einen Zentralbetriebsrat zu wählen. Das Ziel der Gewerkschaftsbewegung, Wahl- und Zuständigkeitsbereiche der Betriebsräte möglichst großflächig zu halten, scheint erreicht.

Betriebs»rat« ist nicht teuer: Was nun?

Die Institution Betriebsrat hat es nicht leicht unter den veränderten Rahmenbedingungen. Es scheint, als ob die Mitbestimmung immer weiter den Boden verliert, auf dem sie agiert. Trotz all dieser Veränderungen ist die Einrichtung Betriebsrat nicht in Gefahr. Der Betriebsrat ist kein Auslaufmodell.

Im Gegenteil, der Betriebsrat kann sogar an Bedeutung gewinnen, wenngleich unter erheblich erhöhten Anforderungen: Wo die Betriebe und die Branchen ihre Struktur in einschneidender Weise verändern und die Beziehung zur Belegschaft in Bewegung geraten ist, da findet zunehmend ein inhaltlicher Wandel in der Betriebsratsarbeit statt.

Dabei wird es immer wichtiger für Gewerkschaften, darauf zu schauen, dass Betriebsräte ihre Arbeit durch Bereitstellung von an die geänderten Rahmenbedingungen angepassten Bildungsmaßnahmen auch in Zukunft bewältigen können. Gemeinsam mit der wachsenden Komplexität innerbetrieblicher Verhandlungsgegenstände kommt es zudem zu einem erhöhten Beratungsbedarf der Betriebsräte durch die Gewerkschaften.

Atypische Interessenvertretungsarbeit

Betriebsräte müssen darüber hinaus auch ihre Organisationsstrukturen und Arbeitsweise weiterentwickeln. »Atypisch Beschäftigte erfordern atypische Interessenvertretungsarbeit«, wird in einer Studie der GPA betont. Gemeint ist: Flexible Arbeitsbedingungen erfordern flexible Betriebsräte. Menschen, die engagiert, ohne Scheu vor Veränderungen die Herausforderungen unserer Zeit annehmen. Die, ohne ihre »Mandanten« aus den Augen zu verlieren, phantasievoll alle rechtlichen und außerhalb des Rechts stehenden Möglichkeiten ausschöpfen, um der Arbeitnehmerschaft zu bestmöglichen Konditionen am Arbeitsplatz zu verhelfen. Damit soll nicht Gesetzesübertretungen das Wort geredet, sondern daran erinnert werden, dass der gesetzliche Handlungsrahmen des Betriebsrats und hier vor allem die Mitbestimmungsvorschriften des Arbeitsverfassungsgesetzes (ArbVG) keine absoluten Schranken sind. Denn in unserer Rechtsordnung gilt im Allgemeinen: Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt!

Beispielsweise tauchen regelmäßig Gefühle der Überforderung bei Betriebsräten auf, wenn Unternehmensberater im Betrieb gesichtet werden. Das Reizwort »Unternehmensberatung« genügt oft schon, die Alarmglocken schrillen zu lassen. Welche rechtliche Möglichkeiten stehen nun zur Verfügung, um die drohende Restrukturierung des Betriebs, die ja (vermeintlich?) fast zwangsläufig mit einer Entmachtung des Betriebsrats einhergehen muss, abzuwehren? Ein Blick ins ArbVG macht klar: So gut wie keine! Zwar muss der Betriebsinhaber über bevorstehende Betriebsänderungen rechtzeitig die Belegschaftsvertretung informieren (§ 109 Abs. 1 ArbVG), aber dieser Anspruch der Arbeitnehmerschaft ist ohne unmittelbare Strafsanktion und scheint damit eher zahnlos zu sein. Zwar ist gesetzlich sehr wohl eine für den Unternehmer schmerzhafte Konsequenz vorgesehen, wenn die Geschäftsleitung »vergisst«, den Betriebsrat in ihre Veränderungspläne mit einzubeziehen. Der Sozialplan kann nämlich schmerzhaft teurer werden, wenn die Informationen über die geplanten Betriebsänderungen verspätet oder mangelhaft erfolgten (§ 109 Abs. 3 ArbVG).

Aber ein »innovativer« Betriebsrat wird sich nicht mit seinen juristischen Handlungsmöglichkeiten begnügen. Da es nirgendwo »verboten« ist, wird es in solchen Phasen sinnvoll und geradezu notwendig sein, sich mit anderen Betriebsratskörperschaften kurzzuschließen. Die Förderung derartiger »Netzwerke« von Betriebsräten war ja - wie oben erwähnt - eines der wesentlichen Anliegen der Gewerkschaften bei der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes in Deutschland.

Innerhalb der Branche, innerhalb des Konzerns, jedenfalls unter der Ägide der Fachgewerkschaft, wo Brancheninfos zusammenlaufen, Entwicklungen genau beobachtet und analysiert werden, kann am allerbesten für soziale und humane Arbeitsbedingungen eingetreten werden. Unter einer die Arbeitsstrukturen zerstückelnden Wirtschaftsideologie ist das Zusammenrücken der Interessenvertretungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von entscheidender Bedeutung. Die Durchsetzung unserer Interessen ist gerade in unserem immer weniger überblickbaren Arbeitsumfeld letztlich nur durch das »Erste Gebot der Gewerkschaftsbewegung« zu bewältigen:

»GEMEINSAM SIND WIR STÄRKER!«

VIII. Forum Jägermayrhof

Provokationen zur Zukunft der Gewerkschaftsbewegung

Zukunftsmodell Betriebsrat - Betriebe NEU. Betriebsrat NEU! Gewerkschaften NEU?

Tagungsinhalt:
Betriebliche Organisationsformen ändern sich und mit ihnen die Rolle und Funktion, die Betriebsräte in diesem Umfeld einnehmen. Änderungen im Umfeld sind immer verbunden mit Unsicherheit, und so schwankt die Einschätzung der Entwicklung der Betriebsratsfunktion zwischen Rollenverlust und Bedeutungsgewinn. Das VIII. Forum Jägermayrhof wird aus verschiedenen Blickwinkeln Modelle einer zukunftsfähigen betriebsrätlichen Funktion im Spannungsbogen zwischen Kleinbetrieben und Konzernen, zwischen betrieblichen Gruppenarbeitsstrukturen und interner Professionalisierung der BR-Arbeit, zwischen Komanagement und Konfliktbereitschaft, zwischen ArbVG und betrieblicher Realität auszuleuchten versuchen.

Zielgruppe: Betriebsräte, Funktionäre und Hauptamtliche von AK und ÖGB

Termin und Ort: 4. bis 6. September 2002, AK-Bildungshaus Jägermayrhof

Nähere Informationen und Anmeldung: AK-Funktionärebildung, Römerstraße 98, 4020 Linz, Tel. 050/6906/5417, Fax 050/6906/5427, E-Mail: gstoettner-hofer.g@ak-ooe.at

Zum Inhalt:

Ist die Betriebsratsarbeit dem Wandel in den Betrieben und Unternehmen gewachsen? Einigen Experten gilt die klassische Interessenvertretung als angestaubt, ein Relikt aus der vermeintlich überwundenen fordistischen Produktionsweise. Fraglos unterliegt die Betriebsratsarbeit Destabilisierungstendenzen. Als Gründe werden genannt:

  1. die »Verbetrieblichung« - »Entbetrieblichung«;
  2. die Verbreitung transnationaler Unternehmensformen;
  3. der Verlust des Verhandlungspartners;
  4. ein neuer Managertypus ohne Bezug zu Belegschaft und Betriebsrat;
  5. der Betriebsrat wird zum Komanager;
  6. ein neuer Arbeitnehmertypus und die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses;
  7. die Verschiebung der Betriebsgrenzen und das Entstehen klein- bis kleinstbetrieblich strukturierter betrieblicher Einheiten.


Der Betriebsrat ist aber mit Sicherheit kein Auslaufmodell. Im Gegenteil, der Betriebsrat kann sogar an Bedeutung gewinnen, wenngleich unter erheblich erhöhten Anforderungen. Durch die Veränderung der Rahmenbedingungen entsteht für den Betriebsrat etwas, das im Arbeitsverfassungsgesetz nicht vorgesehen ist, wo es Anpassung für die Wirkungsfähigkeit des Betriebsrates braucht. In Deutschland hat die Gewerkschaft mit der Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes, gerade weil immer mehr Druck auf die Betriebsräte zukommt, die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Betriebsratsarbeit verbessert. (Hinweis: Auch das Forum Jägermayrhof wird sich Anfang September mit diesem Thema beschäftigen, siehe Kasten)

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Hannes Schneller (Mitarbeiter in der sozialpolitischen Abteilung der AK Wien), Michael Vlastos (Sekretär im ÖGB-Referat für Bildung, Freizeit und Kultur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jul 2002 00:00:00 +0200 1192029258273 Heinzelfrauen und Bodenleger | Die Stiefkinder vom zweiten Arbeitsmarkt »Wir mussten unsere Bündel aufhocken, in Reih' und Glied treten und wurden gezählt. Es waren einige zwanzig Bäckergesellen, die nun abmarschierten. Vor einem Bäckerhaus wurde ›Halt‹ kommandiert und gefragt, wie viele nötig seien. ›Zweie‹, hieß es. Die Polizei griff sie heraus, und gab sie ab. Unter ›Marsch‹ ging es von Backhaus zu Backhaus«, schrieb Christoph W. Bechstedt, Bäcker aus dem Thüringerwald, der 1809 auf der Donau nach Wien kam. »1816 wurde durch eine Regierungsverordnung der freien Wahl des Arbeitsplatzes erstmals zum Durchbruch verholfen«, heißt es in der 1964 von der Arbeitsgemeinschaft der Bediensteten des Landesarbeitsamtes Wien herausgegebenen Publikation »Der geschichtliche Werdegang der Arbeitsmarktverwaltung in Wien«.

Arbeitsmarktpolitische Eingriffe, die heute modern anmuten, werden aus der Zeit der Wende des 20. Jahrhunderts kolportiert: So gab es bereits 1908 staatliche »Bemühungen zur Eingliederung verunglückter Existenzen«, hauptsächlich Haftentlassener und körperlich nicht voll einsatzfähiger Arbeitskräfte.

Zweiter Arbeitsmarkt als Chance

»Die Auseinandersetzung um den so genannten zweiten Arbeitsmarkt besteht, seit es arbeitsmarkt- bzw. beschäftigungspolitische Maßnahmen gibt«, schreibt der Experte in experimenteller Arbeitsmarktpolitik, Rainer Klien.1) Jener Bereich, der explizit zur Beschäftigung von Arbeitslosen geschaffen wird, ist für ihn ein Gradmesser, in welche Richtung sich eine Gesellschaft entwickeln will: Sind es attraktive Arbeitsplätze, die man gegebenenfalls auch seinen Kindern zumuten würde, oder sind es demütigende Beschäftigungen in gesellschaftlich wenig angesehenen Bereichen? Sind sie regulär entlohnt oder werden sie mit einem »Gnadenbrot« - etwa Sozial- oder Notstandshilfe - abgegolten?

Nicht nur für die Betroffenen ist die Qualität der geschaffenen Arbeitsplätze von Bedeutung: Die Erfahrungen der 80er-Jahre zeigen, dass Nutzung und Erschließung so genannter Beschäftigungsnischen der Gemeinschaft insgesamt zugute kommen können. Nicht nur die - schon damals als dramatisch gesehene - Zunahme der Arbeitslosenzahl, auch das Phänomen der Sockelarbeitslosigkeit und vermehrte Langzeitarbeitslosigkeit hatte die Politik auf den Plan gerufen. (1980 lag die Arbeitslosenrate bei nur 1,9 Prozent, 2002 ist sie auf knappe 7 Prozent gestiegen. Die AMS-Statistik vonm April des Jahres: »Der Anstieg der Arbeitslosigkeit setzt sich weiter fort. Mit 231.167 Personen lag die Arbeitslosigkeit um 20,8 Prozent über dem Vorjahresniveau.)

Der Markt ist kein Regulativ

In regulären Beschäftigungssystemen werden die Arbeitsplätze knapp. Schon seit Beginn der 80er-Jahre hatte sich das Wachstum der Wirtschaft von dem des Arbeitsmarktes abgekoppelt. Mit herkömmlichen Mitteln, also dem Zusammenführen von Angebot und Nachfrage allein, können bestimmte Gruppen, allen voran Langzeitarbeitslose, nicht mehr nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Vor allem für die Randgruppen, die zuerst von den negativen Folgen betroffen sind, wurden in den frühen 80er-Jahren arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Überlegungen angestellt.

»Der Schwerpunkt lag in Bereichen, wo es viel zu tun gibt, wo die Marktwirtschaft aber nicht tätig ist, weil es ›nichts zu verdienen gibt‹: Etwa soziale Dienstleistungen, Umweltschutz, Kultur, Jugendzentren oder innovativer Tourismus«, berichtete Rainer Klien anlässlich einer österreichisch-ungarischen Konferenz in Szombathely im Mai 1995, die vom österreichischen Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Arbeitsministerium der Republik Ungarn abgehalten wurde, über die heimischen Erfahrungen aus der Zeit der Aufbruchstimmung. »Wer sonst, wenn nicht die Arbeitsmarktverwaltung und die Leiter der unterschiedlichen Projekte sollte eine Widerstandslinie gegen Armut und Arbeitslosigkeit errichten?«, fragte Klien, Autor der bei dieser Gelegenheit präsentierten Studie zum »Stellenwert der Sozialprojekte im Kampf gegen die Langzeitarbeitslosigkeit«.

Bündnispartner

Auf der Suche nach Strategien gegen die Arbeitslosigkeit suchte - und fand - die AMS-Verwaltung neue Ansprech- und Bündnispartner: Gemeinden, Vereine, lokale Beschäftigungsinitiativen, kirchliche Einrichtungen und Initiativgruppen aus dem Dritte-Welt-Bereich bis hin zu Theatergruppen im Non-Profit-Sektor. Bündnispartner waren Sozialarbeiter, Bewährungshelfer, Bürgermeister und Arbeitsmarktbetreuer.

Damit wurde die Arbeitsmarktpolitik von der Privatwirtschaft und verstaatlichten Industrie auf breite Gesellschaftskreise ausgedehnt. Mit der Novellierung des Arbeitsmarktförderungsgesetzes 1983 schließlich wurden erstmals finanzielle Beihilfen für Selbsthilfemaßnahmen bewilligt: Gegründet wurde etwa die »Aktion 8000«, die sozialökonomischen Betriebe und zahlreiche arbeitsmarktpolitische Beratungs- und Betreuungseinrichtungen.

Die Erfolgsanalysen zeigten durchgehend positive Ergebnisse. »Etwa 37 Prozent ehemaliger Transitarbeitskräfte gelingt es, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und dauerhaft in Beschäftigung zu bleiben«, berichtet das AMS in seiner Publikation »Evaluierung sozialökonomischer Betriebe« von der Gründerzeit der 80er-Jahre bis 2000.2)

Nicht nur bessere Vermittelbarkeit durch höhere Motivation, Sozialkompetenz und persönliches Engagement werden als Erfolge gewertet. Für die meisten ehemaligen Transitarbeitskräfte wirkt sich die Zeit in einem sozialökonomischen Betrieb auch im weiteren Erwerbsleben durch höhere Einkommen positiv aus. Laut Fiskalanalyse3) lag 1990 der mittlere Arbeitslosenbezug (ohne Sozialversicherungsabgaben) bei rund 560 Euro (7700 Schilling). Der Kostenaufwand für das AMS betrug - einschließlich der Schlüsselarbeitskräfte - hingegen nur 450 Euro (6200 Schilling).

Zweiter Arbeitsmarkt als Stiefkind

An dieser Relation zwischen Kosten und Nutzen hat sich wenig geändert. Geändert haben sich bekanntlich die politischen Rahmenbedingungen. So ist die Tätigkeit im Überschneidungsbereich von Sozial- und Arbeitsmarktpolitik heute ungleich schwieriger geworden. Die Berater im Bereich der Migration haben mit der rigideren Ausländergesetzgebung mehr behördlichen Aufwand als früher. Drogenabhängige müssen durch das verschärfte Suchtmittelgesetz vermehrt mit Haft rechnen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Schere zwischen Angebot und Nachfrage an Arbeitsplätzen wird ständig größer. Und: Trotz genügender Ressourcen aus den Beiträgen der Arbeitslosenversicherung wird das Budget für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen restriktiv eingesetzt.4)

Das Arbeitsmarktservice, als wichtigster Auftrag- und Finanzgeber von Einrichtungen auf dem zweiten Arbeitsmarkt steht selbst unter Druck. Die Auflagen zur Effizienzsteigerung gibt es an die Beratungs- und Betreuungseinrichtungen weiter. Auch die sozialökonomischen Betriebe, die an sich schon einen jährlich zu steigernden Eigenerwirtschaftungsanteil auszuweisen haben, werden an die Kandare genommen.

So gibt es zwar heute noch eine Vielzahl von Projekten auf dem zweiten Arbeitsmarkt: Allein im Rahmen des »Bundesdachverbandes der sozialen Unternehmen« sind in rund 100 Projekten mehr als 5000 Arbeitsplätze vorhanden. Weder das Angebot der sozialökonomischen Betriebe noch der Beratungs- und Betreuungseinrichtungen stehen aber im Verhältnis zum Problemdruck, sind sich Experten aus Theorie und Praxis des zweiten Arbeitsmarktes einig.

Neuerungen

Vertreter des im Herbst 2001 gegründeten Dachverbandes der sozialökonomischen Einrichtungen, DSE Wien, wurden in der kurzen Zeit seines Bestehens mit zahlreichen Neuerungen konfrontiert. Das Problem des Datenschutzes, das unter den Beratern, die um die Interessen ihrer Klienten fürchteten, heftige Diskussionen auslöste, konnte zu gewisser Zufriedenheit gelöst werden. So dürfen etwa Transitarbeiter nicht gekündigt werden, auch wenn sie die Weitergabe ihrer Daten an das AMS verweigern. Offen ist jedoch der umfassende Bereich der Effizienzmessung einschlägiger Einrichtungen, der eigentlich seit der Gründungsphase in den 80er-Jahren Thema von Diskussionen ist. So sollen in diesem Sommer - unter externer Moderation - zwischen AMS und DSE Wien Indikatoren entwickelt werden, die die Qualität der Beratungs- und Betreuungseinrichtungen sichern und Kostenvergleiche ermöglichen.

Heimo Rampetsreiter, Sprecher des DSE Wien, ist zwar überzeugt, dass »konstruktiv im Interesse der Klienten gearbeitet wird«. Allerdings dürften die »Dienstleistungen dann nicht so filetiert werden, dass nur noch ein Teil vom AMS und öffentlicher Hand finanziert wird«. (Kritikpunkt am Rande: Für ein Indikatorenmodell der sozialökonomischen Betriebe, die einander ähnlicher sind als die vielfältigen Beratungs- und Betreuungseinrichtungen, benötigte das AMS über ein Jahr.)

Die Auflage, die Effizienz zu steigern, birgt für die Einrichtungen auf dem zweiten Arbeitsmarkt eine große Gefahr: Die Menschen, die am dringendsten Hilfe bei der Integration in den Arbeitsmarkt bräuchten, bleiben über. Etwas Paradoxes geschieht. Heimo Rampetsreiter, Sprecher des DSE Wien: »Sehr viele wenden sich an sozialökonomische Betriebe oder Beratungseinrichtungen. Sie müssen aber abgewiesen werden, da sie vom AMS als nicht förderbar eingestuft werden, weil sie nicht in die Indikatorengruppe fallen.«

Wer herausfällt ...

Zwar habe sich die Definition der Langzeitarbeitslosigkeit (siehe Kasten) verbessert: So gelten Langzeitarbeitslose auch bei Unterbrechungen, die nicht über 62 Tagen liegen, etwa durch Besuch einer Kursmaßnahme, weiterhin als förderbar. Dafür ist die Gruppe größer geworden, die aus anderen Gründen »herausfällt«. Rampetsreiter: »Wiedereinsteigerinnen zum Beispiel, weil die Karenzzeit den Bezug unterbricht. Haftentlassene, die massiv die Betreuung bräuchten, weil eine ›normale‹ Firma keinen Exhäftling aufnimmt.« Auch Menschen, die länger als 62 Tage im Spital liegen, psychisch Kranke und Sozialhilfeempfänger haben keinen Anspruch, an Transitarbeitsplätzen für den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet zu werden. Massiv mit dieser Auflage hat derzeit das Café-Restaurant Max auf dem Wiener Stubenring zu kämpfen. Das Projekt, das von der gemeinnützigen »pro mente Beschäftigungsprojekte GmbH« betrieben wird, kann offene Transitarbeitsplätze nicht nachbesetzen, obwohl die Nachfrage größer als das Angebot ist.

Auch die Beratungseinrichtungen stellt die gewünschte Effizienzsteigerung vor Probleme. Generell ist es ihre Aufgabe, im Vorfeld der Beratungs- und Vermittlungsarbeit der AMS-Berater jene Probleme zu lösen, die einer Vermittlung im Weg stehen: Je nach Zielgruppe sind diese ganz unterschiedlicher Natur, überschneiden sich und sind schwer messbar. Zielgruppen sind Frauen, Migranten, schlecht Qualifizierte, Langzeitarbeitslose, Haftentlassene, Suchtkranke, Menschen mit psychischen Problemen, Schulden oder einfach Alleinstehende ohne Betreuung für das Kind und viele andere Problemgruppen mehr.

Leistungskatalog

Die Beratungs- und Betreuungseinrichtungen haben nun einen Katalog erstellt, in dem ihre vielfältigen Leistungen aufgelistet werden. Von der klassischen Beratung, über Begleitung und Bewusstseinsarbeit reicht die breite Palette des Angebots. In der Mädchenberatungsstelle »Sprungbrett« etwa wird nicht allein Beratung, eine Zeiteinheit pro Mädchen, gemacht, die Mitarbeiter gehen auch in die Schulen. In Schnupperwerkstätten sollen die Jugendlichen angeregt werden, auch alternative Tätigkeiten anstelle der Dauerbrenner Friseuse, Verkäuferin, Bürokraft anzupeilen.

Die Auflage, den zweiten Arbeitsmarkt zu ökonomisieren, hat weitgehende Folgen. Die ehemals innovativen sozialökonomischen Betriebe verlagern sich wieder in den Bereich traditioneller Dienstleistungen. »Arbeitslose Frauen putzen wieder in Privathäusern, in Projekten wie Home-Service, Heinzelfrauen und anderen ›lustigen‹ Vorhaben, deren gesellschaftspolitische Sinnhaftigkeit mir verschlossen bleibt«, meint ein Arbeitsmarktexperte*).

»Grundsätzlich wird kein Augenmerk mehr darauf gelegt, hier zu experimentieren«, meint auch DSE-Sprecher Heimo Rampetsreiter. »Das hat mit den Fördervorgaben und dem knappen Budget zu tun. So werden herkömmliche Berufe angeboten: Verkäufer, Textil, Handel, Lager, Heimhilfe, Renovierung. Natürlich kommen viele aus unseren Zielgruppen aus diesem Arbeitskontext. Aber um neue Berufsfelder auszuprobieren, sind die Vorgaben zu rigide. Daher konzentriert man sich auf Geschäftsfelder, die rasch Eigenerlöse bringen.«

Im Versuch, den zweiten Arbeitsmarkt zu ökonomisieren, wird die ursprüngliche Zielsetzung vergessen. Nämlich Modelle zu schaffen, um Arbeitslosen nicht nur irgendeinen Job, sondern auch Perspektiven persönlicher Entwicklung zu schaffen. An der Qualität der aktuellen Diskussion um Arbeitslosigkeit zeigt sich die Richtung, in der sich unsere Gesellschaft offenbar hinentwickeln soll: »Langzeitarbeitslose, Flüchtlinge, Asylwerber und sonst jemand, der sich Geld verdienen muss, sollen die Hundstrümmerln wegräumen.« (O-Ton, diesmal eines Hinterbänklers der FPÖ im Gemeinderat).

1) Siehe: »Gegen Einheitsdenken und Zwangsarbeit - Zweiter Arbeitsmarkt und innovative Beschäftigungspolitik«, A&W 2/2001, Seiten 28 bis 30.

2) »AMS info«, Nummer 30, zum Herunterladen aus dem Internet unter http://www.ams.or.at/allgemeines/forschung.

3) »AMS info«, Nummer 1, »Evaluierung von Instrumenten der experimentellen Arbeitsmarktpolitik in Österreich«

4) Siehe A&W 5/2002, »Der Weg vom Arbeitsmarktamt zum Arbeitsmarktservice, Seite 36 bis 41).

*) Name der Redaktion bekannt.

Die Forderungen von ÖGB und AK

Das klare Bekenntnis von ÖGB und AK zum Sozialstaat schließt auch die Forderung ein, Betroffene mit besonderen Problemen auf dem Arbeitsmarkt intensiver zu betreuen. Grundlage einer kohärenten Arbeitsmarktpolitik, die sämtliche Gruppen der Gesellschaft berücksichtigt, ist die finanzielle Sicherung der Maßnahmen. ÖGB und AK fordern ein Ende der Umschichtung von Geldern aus der Arbeitslosenversicherung zugunsten des angestrebten Nulldefizits (»Tatbestand: Diebstahl« nennen das Arbeitnehmervertreter). Auch die Arbeitsmarktreserve von rund 109 Millionen Euro (1,5 Milliarden Schilling) müsste für Sofortmaßnahmen zur Verfügung gestellt werden, sind sich ÖGB und AK einig. Dadurch könnte auch die Qualität der Maßnahmen auf dem zweiten Arbeitsmarkt sichergestellt werden. Für den Gewerkschafter und Mitglied des AMS-Kontrollausschusses, Rudolf Kaske, lässt sich das Angebot von Initiativen auf dem zweiten Arbeitsmarkt durchaus mit jenem von privaten Dienstleistungen vergleichen. Kaske: »Eine gewisse Qualität kann nur bei entsprechender finanzieller Ausstattung gewährleistet werden. Ein ähnliches Problem haben wir im Reinigungsgewerbe. Da geht es nach dem Bestbieterprinzip. Der Bestbieter ist meist der billigste, aber selten der beste.«

ÖGB und AK treten insgesamt für die qualitative Verbesserung der österreichischen Arbeitsmarktpolitik ein: Ein wesentliches Element davon ist, die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung von einem Sanktionsinstrument zu einem Instrument der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit Arbeitsuchender zu wandeln.

G. M.

Zum Inhalt:

Das Wachstum der Wirtschaft hat sich von jenem des Arbeitsmarktes seit Beginn der 1980er Jahre zunehmend abgekoppelt. Das hat dazu geführt, dass in regulären Beschäftigungssystemen die Arbeitsplätze knapp werden. Das Zusammenführen von Angebot und Nachfrage allein reicht schon längst nicht mehr aus, um z. B. Langzeitarbeitslose nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Diese werden mit Sozial- oder Notstandshilfe »ausgesteuert« oder sie probieren es mit »Mc-Jobs« und Schwarzarbeit.

Der so genannte »2. Arbeitsmarkt«, also jener Bereich, der explizit zur Beschäftigung von Arbeitslosen geschaffen wird, gerät zunehmend zum Gradmesser für die Entwicklung unserer Gesellschaft. Allerdings wird der Druck der Ökonomisierung auch für ihn immer stärker. Dass er immer stärker am Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen gemessen wird, hat weitreichende negative Folgen für die Betroffenen, für die Arbeitslosen: Die Perspektive der persönlichen Entwicklung tritt in den Hintergrund, die Qualität der Arbeitsplätze auf dem 2. Arbeitsmarkt wird schlechter (siehe dazu auch Gabriele Müller: »Der Weg vom Arbeitsamt zum Arbeitsmarktservice«. »A&W« Heft 5/2002, Seiten 36-39).

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Gabriele Müller (freie Journalistin in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Jul 2002 00:00:00 +0200 1192029258121 Alles Rabenmütter? | Familienpolitik geht auch anders, als man hierzulande glaubt Während in Österreich Minister Haupt das Kinderbetreuungsgeld als revolutionäre Familienleistung preist, scheint dies im europäischen Vergleich hoffnungslos veraltet und nicht zielführend. Die wirkliche Revolution findet in jenen Ländern statt, wo Mütter keine Hausfrauen sind und Kinder schon früh qualifizierte Betreuung finden.

»Heim an den Herd«-Prämie

»Mit dieser revolutionären Familienleistung beginnt eine neue Ära der österreichischen Familienpolitik, die weltweit ihresgleichen sucht.« Große Worte kamen aus dem Ministerium, zusammen mit einer recht aufwendigen Kampagne für das neue »Baby« namens Kinderbetreuungsgeld. Spöttisch als »Heim an den Herd«-Prämie bezeichnet, kann das Kinderbetreuungsgeld langfristig jedoch weder den Verdienstentgang erwerbstätiger Frauen noch deren Karriereeinbruch ausreichend kompensieren. Durch den vordergründigen finanziellen Anreiz in Kombination mit fehlenden und oft teuren Betreuungsplätzen werden Frauen auch nicht zu einer kürzeren Babypause angeregt. Nach der langen Babypause schafft ein Drittel der Frauen den beruflichen Wiedereinstieg bekanntlich nicht.

Vor allem wird aber auch nichts oder viel zu wenig für Kinder über drei Jahre getan. Fehlende öffentliche Kindergartenplätze und ein Schulsystem, wo immer noch die Halbtagsschule dominiert, verlangen den Eltern finanziell und organisatorisch einiges ab. Doch die Kindergartenmilliarde ist seit der Einführung des »revolutionären« Kindergeldes kein Thema mehr: eine Politik des Entweder-oder, Betreuungsgeld statt öffentlicher Kinderbetreuung.

Ein Komma vierunddreißig Kinder

Statistisch gesehen bekommt eine Frau in Österreich im Laufe ihres Lebens derzeit nur 1,34 Kinder - ein historischer Tiefstand. Hier liegt Österreich deutlich unter dem europäischen Durchschnitt von 1,53 Kindern pro Frau. Die Revolution bei den Geburtenzahlen lässt auf sich warten. Warum sind die Frauen hierzulande so wenig motiviert, mehr Nachkommen in die Welt zu setzen?

Zu viele Pensionisten, zu wenige Kinder

Der letzte europäische Frühjahrsgipfel in Barcelona erklärte erneut die Vollbeschäftigung zum wesentlichen Ziel der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Europa steht zwei Herausforderungen gegenüber: einerseits der Überalterung unserer Gesellschaft und der Reform der Altersversorgungssysteme, andrerseits dem Zugang der Frauen zum Arbeitsmarkt bzw. der niedrigen Frauenerwerbsquote. Bei beiden Problembereichen geht es letztlich um die zu geringe Anzahl der Beitragszahler, wodurch das europäische Sozialsystem, besonders aber die Pensionsversicherung, bedroht wird. Damit nicht genug: Es fehlen überdies die Kinder, die den Generationenvertrag erfüllen sollten. Das erscheint auf den ersten Blick paradox, da man doch annehmen könnte, dass all die nicht erwerbstätigen Frauen mit dem Aufziehen ihrer zahlreichen Kinder beschäftigt sind. Doch ausgerechnet in den Ländern, wo die weibliche Erwerbstätigkeit am niedrigsten ist, ist auch die Geburtenrate niedrig.

Mamas oder Emanzen?

Vergleicht man nun die Frauenerwerbsquote in Europa mit der Fruchtbarkeitsquote, so fallen gewisse Übereinstimmungen auf: Länder mit einer hohen Frauenerwerbsquote haben eher hohe Fruchtbarkeitsquoten. In Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland hingegen bekommen die Frauen auffällig wenig Kinder, was dem Klischee der südländischen Großfamilie vehement widerspricht. Österreich hat - ebenso wie Deutschland - zwar eine relativ hohe Frauenerwerbsquote, trotzdem aber eine Fruchtbarkeitsquote im unteren Bereich.

Warum folgt Österreich nicht dem europäischen Trend? Denn wie es scheint, schließen Kinder und Beruf einander in anderen Ländern nicht aus.

Europaweite Trends

In ganz Europa steigt das Bildungsniveau bei Frauen, und hoch qualifizierte Frauen (vor allem Akademikerinnen) weisen die höchsten Erwerbsquoten auf. Zugleich ist bei diesen Frauen auch die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass sie ihre berufliche Karriere für die Kindererziehung unterbrechen werden.

Am schwierigsten scheint umgekehrt die Verbindung von Mutterschaft und Erwerbstätigkeit bei sehr niedrig qualifizierten Frauen: Niedrige Löhne, unsichere Arbeitsplätze und hohe Kosten für die Kinderbetreuung lassen diese Frauen zumeist nach der Babypause aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden.

Vom Bildungsstand und der Qualifikation der Mütter scheint es auch abzuhängen, welches Modell sie selbst wollen, ob Elternurlaub, Teilzeitbeschäftigung oder Vollzeitbeschäftigung der Vorzug gegeben wird: Mütter mit höherem Bildungsstand - und übrigens auch die Söhne berufstätiger Mütter! - geben zumeist der Erwerbstätigkeit gegenüber dem Hausfrauendasein den Vorzug.

Knackpunkt

Europas Frauen bekommen ihr erstes Kind immer später, im Durchschnitt erst mit 29 Jahren. Daran geknüpft ist die Frage der Zahl der Kinder. Je später das erste Kind, desto weniger Kinder insgesamt bekommt eine Frau. Ein Knackpunkt bei der Entscheidung für oder gegen eine Erwerbstätigkeit dürfte bei drei Kindern liegen.

Ob Frauen nun kein, ein oder gar drei oder mehr Kinder bekommen, hängt nicht von einem, sondern von einer Vielzahl von Faktoren ab, deren Zusammenspiel zu einem Baby-boom oder zu leeren Volkschulklassen führen kann. Dass direkte Geldleistungen zu höheren Geburtenraten führen, lässt sich empirisch jedoch nicht bestätigen.

Der europäische Rat von Barcelona betonte, dass an der Gleichstellung von Frauen und Männern gearbeitet werden müsse, »indem Maßnahmen ergriffen werden, die den Zugang der Frauen zum Arbeitsmarkt und ihre dauerhafte Beschäftigung erleichtern und Diskriminierungen vermeiden«. Maßnahmen also, durch die sich Familien- und Berufsleben in Einklang bringen lassen, besonders durch die Schaffung von Betreuungseinrichtungen.

Nichts Neues - Kinderbetreuungseinrichtungen werden seit Anfang der 90er Jahre gefordert. Europaweit dürfte das Hauptproblem bei der Betreuung von Kindern unter drei sowie von Schulkindern liegen.

Frankreich: Ganztagsschule ab drei

Doch es gibt auch Positives zu berichten. Frankreichs Frauen bringen mehr und mehr Kinder zur Welt. So kletterte die Fruchtbarkeitsrate von 1,77 Kindern im Jahr 1999 auf 1,9 Kinder im Jahr 2000. Frankreich liegt damit nur noch sehr knapp unter den magischen 2,1 Kindern pro Frau, die für eine gleichbleibend große Bevölkerung sorgen würden - und vor allem beträchtlich über den österreichischen 1,34 Kindern! Das französische System unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten von unserem. Die zwei hauptsächlichen Sozialleistungen werden erst ab dem zweiten Kind ausgezahlt, nämlich die Kinderbeihilfe und der bezahlte Karenzurlaub (Elternurlaub). Es gibt allerdings eine einkommensabhängige Kleinkindbeihilfe. Dies macht insofern Sinn, als der französische Staat die Mehrkindfamilie fördern will. Entsprechend geht der Trend auch weg von Einkindfamilien hin zu drei Kindern oder mehr.

Das Betreuungsangebot kann sich sehen lassen: es besteht ein sehr gutes Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder unter drei Jahren, was nur logisch erscheint, wenn beim ersten Kind kein Betreuungsurlaub möglich ist. Vor allem aber ist mit dem dritten Geburtstag des Kindes das Problem der Kinderbetreuung eigentlich für immer gelöst: Die Vorschule ist Teil des staatlichen Schulsystems, funktioniert wie alle französischen Schulen ganztags und ist - weil öffentlich - überdies gratis! Sie ist allen Kindern zugänglich, egal, ob die Eltern beide berufstätig sind oder nicht. Darüber hinaus wird Betreuung bzw. für die größeren Kinder Hausaufgabenhilfe nach Schulende (nach 16 Uhr) angeboten. Eine Maßnahme der linkspluralistischen Regierung Jospin, nämlich die Einführung der 35-Stunden-Woche mit dem Ziel der Schaffung von Arbeitsplätzen, wirkt sich auch in diesem Kontext positiv aus: Sie hat den angenehmen Nebeneffekt, dass den Eltern mehr Freizeit für die Kinder bleibt.

Die Vorschule soll zugleich der Integration von sozial Schwachen und Immigrantenmilieus dienen und sprachliche sowie soziale Probleme beim Eintritt in die Pflichtschule im Alter von sechs Jahren vorbeugen helfen. Insgesamt haftet sowohl den Vorschulen als auch den Kinderkrippen ein durchaus positives Image an.

Schweden: Kinderbetreuung als pädagogische Aufgabe

Auch in Schweden steht Kinderbetreuung nicht nur im Dienst der Gleichstellung von Mann und Frau, sondern hat explizit eine pädagogische Aufgabe inne. Denn Schwedens Kinderbetreuung - ein echtes Kind der 68er! - fußt auf zwei Grundprinzipien: Es sollen einerseits die kindliche Entwicklung und das Lernen gefördert werden, andrerseits soll den Eltern ermöglicht werden, Arbeit bzw. Ausbildung mit ihrer Elternschaft zu vereinbaren.

Papamonat

Schwedische Mütter und Väter haben nach der Geburt eines Kindes zunächst Anspruch auf »Elternschaftsgeld«, und zwar für ein Jahr, in verringertem Ausmaß für 15 Monate. Diese Zeit der familiären Betreuung kann zwischen den Eltern aufgeteilt werden. 30 Tage müssen vom jeweils anderen Partner konsumiert werden, das ist der so genannte Papa- bzw. Mamamonat. Anders gesagt: Will eine schwedische Frau Elternschaftsgeld beziehen, muss auch der Mann mindestens einen Monat lang zu Hause bleiben - und umgekehrt!

Danach gibt es öffentliche Kinderbetreuung für Kinder zwischen 1 und 12. Dazu gehören Vorschulen und »Familientagesheime« - was unseren Tagesmüttern entspricht - für die jüngeren Kinder. »Freizeitzentren« übernehmen für Kinder im schulpflichtigen Alter die Nachmittagsbetreuung.

Die Mehrzahl der schwedischen Kinder besucht diese Betreuungsstätten, und zwar überwiegend die öffentlichen Einrichtungen, was im Vergleich mit Österreich positiv auffällt (siehe Tabellen). Auch die Gesamtzahl der Kinder im Alter von 2 bzw. 3 Jahren, die eine Kinderbetreuungsstätte besuchen, ist in Schweden um sehr vieles höher.

Tabelle 1
Kinderbetreuung in Schweden, nach Altersgruppen in % (2000)

Alter

Gesamt Vorschule/
Freizeitzentren
Familienbetreuung
1 Jahr 42 36 6
2 Jahre 78 67 11
3 Jahre 82 71 11
4 Jahre 86 76 10
5 Jahre 88 78 10
6-9 Jahre 66 64 2
10-12 Jahre 7 7 0
Quelle: »Swedish Institute«

Tabelle 2
Kinderbetreuung in Österreich, nach Altersgruppen in % (2000)
Alter Gesamt davon in
öffentlichen Kinder-
gärten und -krippen
Privat-
kindergärten,
-krippen
Horte Sonstige
bis 2 Jahre 7,7 53,6 38,7 - 7,8
3 Jahre 57,9 70,9 26,6 - 2,5
4 Jahre 86,4 74,8 24,1 - 1,2
5 Jahre 90,1 75,2 23,2 0,8 0,8
6-11 Jahre 6,4 3,9 3,0 90,5 2,6
Quelle: Kindertagesheimstatistik (ÖSTAT)

Schweden lässt sich seine öffentliche Kinderbetreuung einiges kosten: 40 Milliarden SEK brutto im Jahr 2000 - verglichen mit den Kosten für das öffentliche Schulwesen: 60 Milliarden SEK. Über die Nettokosten gibt es leider nur Schätzungen, die schwedische Regierung ist aber davon überzeugt, dass die Ausgaben für die Kinderbetreuung unterm Strich für die schwedische Gesellschaft einen Profit abwerfen.

Kosten: Sind Kinder erschwinglich?

Die Kinderbetreuung ist für die Eltern mehr als leistbar: sie beträgt 3% des Einkommens der Eltern für die Vorschule, für die Nachmittagsbetreuung der Schulkinder 2% (mit einer Deckelung bei Vorschulen, derzeit 125 Euro pro Kind). Das schwedische Parlament hat überdies vor kurzem beschlossen, dass nun die Vorschule für Kinder ab vier gratis sein wird.

Kinderbetreuung wird als pädagogische Aufgabe definiert, und es gibt auch einen entsprechenden Lehrplan: So sollen Schwedens Kleinkinder sich neben dem Spiel und der Sozialisierung in demokratischen Werten üben, wie z. B. Rücksichtnahme und Respekt für andere, Solidarität, Gleichstellung der Geschlechter (!) und Toleranz.

Eva Bernhardt vom Institut für Demographie an der Universität Stockholm meint: »Ein Blick auf das heutige Schweden scheint die These, dass sich berufliche Ambitionen negativ auf den Kinderwunsch auswirken, nicht zu bestätigen. Bei kinderlosen Erwachsenen hatten hoch gesteckte berufliche Ziele keinerlei Auswirkung auf die Kinderplanung. Wenn überhaupt, so waren Frauen dadurch sogar eher bereit, Kinder zu bekommen.«

Investitionen in die Familienpolitik

Schweden ist außerdem ein Land, das sich für einen politischen Maßnahmenmix entschieden hat, der vor allem die Doppelverdienerhaushalte begünstigt. Während eine Familienerhalterideologie Frauen mit niedrigem Einkommen ins Hausfrauendasein abdrängt, zeigt das schwedische Beispiel, wie gezielte Maßnahmen die Kinderplanung positiv beeinflussen können.

Auch in Dänemark, wo die Kinderbetreuung ähnlich gut geregelt ist wie in Schweden, macht sich das Engagement des Staates bezahlt: Dänemark ist das Land mit der niedrigsten Armutsquote in Europa. Von Armut betroffen sind meist in hohem Ausmaß Großfamilien und vor allem Frauen - Frauen, die über kein eigenes Einkommen verfügen, Frauen ohne Pensionsansprüche, allein erziehende Mütter.

Doch Dänemark investiert nicht nur in Maßnahmen gegen die Armut, es investiert auch massiv in seine Familienpolitik: 4% des BIP werden für Familien1) mit Kindern ausgegeben. Damit liegt Dänemark im europäischen Vergleich an der Spitze. Was hier noch wichtiger erscheint: Nur die Hälfte, also 2%, werden in Form von Transferleistungen ausgezahlt, die anderen 2% werden für öffentliche Kinderbetreuung ausgegeben. Auch hier wiederum liegt Dänemark europaweit an erster Stelle, gefolgt von Schweden, während die anderen Länder zwischen 0,4 und 0,8% ihres BIP der öffentlichen Kinderbetreuung widmen. Mit anderen Worten: Dänemark und Schweden haben sich für eine Politik entschieden, die öffentliche Kinderbetreuung finanziell - und damit indirekt ideologisch - stark aufwertet.

Imageprobleme

Dänemark ist stolz auf die Erfolge seiner Sozialpolitik. Die Chancengleichheit ist in Dänemark wie auch in Schweden eigentlich schon eine Selbstverständlichkeit, die Konsequenzen, die sich daraus für die Betreuung der Kinder ergeben, scheinen nur logisch und folgerichtig. Die Diskussion über die gesamte Thematik - sollen Mütter arbeiten, sind Kinderkrippen gut für Kleinkinder - erfolgte bereits in aller Ausführlichkeit in den 70er Jahren. Denn, ob Kinderbetreuung in Anspruch genommen wird, hängt schließlich auch von ihrer Qualität und ihrem Ansehen ab.

In einem Interview in der »Zeit«2) bringt der französische Wissenschafter Hervé Le Bras den Unterschied zwischen der deutschen und der französischen Mutter auf den Punkt: Die deutsche Mutter glaubt, ihrem Kind die Einlösung eines »Urvertrauens« schuldig zu sein und fühlt sich zu einer exklusiven Betreuung rund um die Uhr verpflichtet, mit der Befürchtung, ihrem Kind sonst psychische Schäden zuzufügen. Die französische Mutter hingegen sieht eine Kindertagesstätte als einen gesellschaftlich anerkannten Ort zur Sozialisierung und in diesem Sinne als positiven Beitrag zur Kindererziehung. »In Frankreich glaubt man nicht, dass ein Kleinkind möglichst viel und lange mit seiner Mutter zusammensein muss, um das lebensnotwendige ›Urvertrauen‹ zu entwickeln«, meint Le Bras.

Minister Haupt stellt in Österreich öffentlich die Qualität der heimischen Kinderbetreuung in Frage, wenn er meint, dass Großmütter besser geeignet seien, den Nachwuchs zu betreuen als Kindergärtnerinnen. Doch wird Haupts Äußerung insgeheim nicht von vielen geteilt?

Es geht nicht allein um die objektiv messbare Qualität, sondern um die Haltung der Gesellschaft zur Betreuung von Kleinkindern an sich: Kinderkrippen gelten nach wie vor als die maximal zweitbeste Lösung, als ein Ort, wo Kinder unter der Abwesenheit der Mutter leiden. Kinder werden - und das leider auch in fortschrittlicheren Kreisen - hierzulande immer noch in Kinderkrippen »gesteckt«.

Dahinter steht eine profunde Unsicherheit im Umgang mit gesellschaftlichen Veränderungen. Wenn die SPÖ-Frauen eine Veranstaltung zum Thema Frau und Beruf unter dem Titel »Rabenmuttertag« durchführen und dabei eigens darauf hinweisen, dass dies natürlich ironisch gemeint sei, so spricht das - gerade in seiner Ironie! - Bände über den seelischen Zustand der Österreicherinnen und Österreicher.

1) »Familie« wird hier nicht im klassisch-konservativen, sondern in einem erweiterten Sinn gebraucht.

2) »Die Zeit« 20/2001

Zum Inhalt:
Mit Hilfe einer teuren Kampagne versucht die Regierung seit einiger Zeit, uns davon zu überzeugen, dass ihre Familienpolitik eine »revolutionäre« sei. Für die Frauen bedeutet das: Eine »gute« Mutter bleibt am besten zu Hause bei den Kindern und überlässt das Arbeiten dem Mann!

Die Wirklichkeit ist aber anders: Das viel gepriesene Kinderbetreuungsgeld ist im europäischen Vergleich veraltet und nicht zielführend. Es kann langfristig weder den Verdienstentgang erwerbstätiger Frauen noch deren Karriereentfall ausreichend kompensieren. Zudem fehlen entweder geeignete Kinderbetreuungsplätze oder sie sind schlichtweg zu teuer. Und: Ein Drittel der Frauen schafft nach der Babypause den Wiedereinstieg ins Berufsleben nicht! Fernab der »plakativen« Wirklichkeit geht es nicht um die Frage »Mama oder Emanze?«, sondern um die Überalterung der europäischen Gesellschaft, die auch die Altersversorgungssysteme in Bedrängnis bringt. Es geht auch darum, dass den Frauen durch eine falsche Familienpolitik der Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert wird, woraus letztlich eine niedrige Frauenerwerbsquote resultiert. Ein Blick über die Grenzen nach Frankreich und Schweden zeigt, dass erfolgreiche Familienpolitik anders aussieht als in Österreich.

(Ch)

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Barbara Lavaud (ist im ÖGB- Europabüro in Brüssel beschäftigt) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1192029258089 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1192029258096 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Sep 2002 00:00:00 +0200 1192029257674 Das blauschwarze Kartenhaus Diese blauschwarze Regierung hat den wirtschaftlichen Abschwung massiv verstärkt und versucht, das Defizit zu Lasten der sozial Schwächeren abzubauen. Gleichzeitig wurden die Reichen begünstigt.

Über zweieinhalb Jahre wurden Handlungen gesetzt, von denen, fürchte ich, viele leider irreversibel sind. Privatisierungen lassen sich nicht rückgängig machen. Krasseste Auswüchse wie die Ambulanzgebühren, die Besteuerung der Unfallrenten oder die Studiengebühren wird man vielleicht zurücknehmen können, worauf es aber vor allem ankommt, sind die mehr als 200.000 Arbeitslosen. Sie sind das dringendste Problem, und von schönen Worten bekommen sie keinen Arbeitsplatz. Aber lassen wir andere zu Worte kommen, z. B. ÖGB-Präsident Verzetnitsch:

»Man soll nicht mit Gewalt an etwas festhalten, das nicht mehr funktioniert. Angesichts der großen Probleme, die dringend gelöst werden müssen - wie etwa die Arbeitslosigkeit oder die EU-Erweiterung -, sind Neuwahlen und damit eine rasche Klärung der künftigen Verantwortlichkeiten die beste Lösung.« Verzetnitsch fordert, dass im Interesse Österreichs rasch gehandelt wird: »Die akuten Probleme und Herausforderungen dürfen im Wahlkampffieber nicht untergehen.«

200.000 Arbeitslose

Verzetnitsch erklärte weiter: Seit Wochen liegt die Arbeit der Bundesregierung wegen der koalitionsinternen Streitereien lahm. Dabei hätte sie jetzt alle Hände voll zu tun: 200.000 Arbeitslose - darunter Tausende Jugendliche - haben ein Recht auf ein schnell wirksames Beschäftigungsprogramm. Die EU-Erweiterung bedarf intensiver Vorbereitungen, und angesichts der höchsten Steuerquote in der Zweiten Republik brauchen wir dringend eine Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Ein erster Schritt dazu wäre die Rücknahme der Belastungen wie etwa die Unfallrentenbesteuerung, die Ambulanz- oder Studiengebühren. Weiters haben die Pensionisten einen Anspruch auf eine faire Abgeltung der Teuerungsrate, und auch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst brauchen einen »Arbeitgeber«, der ihre Leistungen entsprechend honoriert.

Der ÖGB beurteilt traditionell jede Regierung danach, was sie für die Arbeitnehmer tut. Eine kurze Übersicht der »Leistungen« dieser Bundesregierung für die Arbeitnehmer: eine der höchsten Arbeitslosenzahlen seit 1945, ein dramatischer Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit, die höchste Belastungsquote in der Zweiten Republik, Unfallrentenbesteuerung, Ambulanz- und Studiengebühren, parteipolitisch motivierter Putsch im Hauptverband und Finanzierungsprobleme in den Krankenkassen, Verscherbelung des Volksvermögens in der ÖIAG. Einzig und allein das von den Sozialpartnern ausgearbeitete Abfertigungsmodell wurde von der Bundesregierung übernommen und hat Arbeitnehmern Vorteile gebracht.

Auch von Seiten der Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) wurde betont, dass viele Maßnahmen der "Wenderegierung" von den christlichen Gewerkschaftern heftig umstritten waren und bekämpft wurden. Der Bogen reichte dabei von der Unfallrentenbesteuerung bis hin zur Neuordnung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger oder Maßnahmen zur Pensionsreform. »Sozialpolitische Meilensteine« sind für die FCG das Kindergeld, die »Abfertigung neu« oder die Familienhospizkarenz. Offene Reformvorhaben blieben unter anderem das Demokratiepaket, die Bundesstaatsreform, die Reform der Presseförderung, die Steuerreform sowie das Budget 2003.

»200.000 arbeitslose Menschen, davon 30.000 Jugendliche, Belastungen für die Österreicherinnen und Österreicher und Sozialabbau, den das Land noch nicht gesehen hat, das ist im Groben die Bilanz des gescheiterten blauschwarzen Experiments,« sagt Rudolf Nürnberger als Bundesvorsitzender der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter im ÖGB.

Verantwortung gefordert

Auch in der Frage der Privatisierung von ÖIAG-Unternehmen appelliert der FSG-Chef an das Verantwortungsbewusstsein der verbleibenden Regierungsmitglieder. »Wir haben immer davor gewarnt, dass der Verkauf von florierenden Unternehmen dem Staat schadet, weil er ihn einerseits um jährliche Einnahmen bringt und andererseits Arbeitsplätze gefährdet. Auch in dieser Hinsicht brauchen wir keine Abschiedsgeschenke von dieser Regierung, wir werden sie auch so lange genug als ›Speed kills soziale Gerechtigkeit und verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik-Regierung‹ in Erinnerung behalten.«

Auch wenn beide Regierungspartner dieses Experiment als Erfolg bezeichnen, sprechen die Tatsachen eine andere Sprache, so Nürnberger: »Von mehr sozialer Gerechtigkeit kann keine Rede sein: Die Kluft zwischen Reich und Arm hat sich vergrößert, es gibt Rekordzahlen an Arbeitslosen, es werden Kranke für medizinische Behandlung zur Kasse gebeten, junge Menschen müssen für ihre Ausbildung Studiengebühren bezahlen und die Arbeiter haben noch immer nicht die gleichen Rechte wie die Angestellten, auch wenn ständig das Gegenteil behauptet wird.« Es sei hoch an der Zeit, sagte Nürnberger abschließend, diesen katastrophalen Weg für Österreich und seine Menschen zu beenden. »Wir werden alles dazu tun, dass dies spätestens am Wahltag der Fall ist.«

Bleibt nur zu hoffen, dass mehr soziale Verantwortung und eine rasche Lösung der dringlichsten Probleme auch in dieser Übergangszeit verwirklicht werden kann. Ob Neuwahlen oder nicht, die vielen Arbeitslosen brauchen jetzt einen Job und die Jugendlichen brauchen jetzt eine Lehrstelle. Da werden wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter nicht lockerlassen.

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Siegfried Sorz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Sep 2002 00:00:00 +0200 1192029257555 Liebe Leserin, lieber Leser! Statistiken sind nüchterne Zahlen, sie »bluten und stinken nicht«, sagte einmal Churchill. Aber halten wir uns einmal vor: 200.000 Arbeitslose sind offiziell registriert. Wenn wir noch eine gewisse Dunkelziffer dazurechnen, sagen wir 50.000, und annehmen, dass jeder Arbeitslose in seinem engeren Lebensumfeld zumindest drei Menschen hat, Partner, Kinder, Verwandte, so ist es sicherlich nicht zu hoch gegriffen, wenn wir sagen, mindestens eine Million Menschen sind betroffen.

Noch bedrückender ist die Jugendarbeitslosigkeit: Junge Menschen, die noch das ganze Leben vor sich haben, drohen in einer dunklen Hoffnungslosigkeit zu versinken. Wenn hier nicht wirklich schnell und effizient etwas getan wird, hat unsere Gesellschaft versagt. An alle Unternehmer nach dem Gießkannenprinzip einen warmen Regen von Steuergeldern zu verteilen, anstatt gezielt zu fördern, bringt hier gar nichts.

Wie ist Ihre Meinung, liebe Leserin, lieber Leser, zu diesen akuten Problemen? Sind Sie auch persönlich betroffen? Haben Sie Vorschläge oder Kommentare? Über jede Zuschrift freut sich die gesamte Redaktion und besonders Ihr

Siegfried Sorz (für das Redaktionsteam)

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Sun, 15 Sep 2002 00:00:00 +0200 1192029257441 Spielregeln für den Markt Die fortschreitende Liberalisierung und der Globalisierungsprozess haben wirtschaftspolitische und staatliche Lenkungsinstrumente weitgehend reduziert oder auf eine andere - europäische oder internationale - Ebene verlagert.

Während auf der einen Seite die letzten Jahre durch eine massive Liberalisierung und Deregulierung von Leistungen, die bisher vom Staat angeboten worden sind, gekennzeichnet sind, nimmt der Trend zur Größe im privaten Bereich sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene ungebremst weiter zu. Staatliche und damit kontrollierbare und diskutierbare Macht muss abgebaut werden, während private Monopole immer fetter werden dürfen. Fast täglich werden wir daher auch mit internationalen Megafusionen konfrontiert. Aber auch in Österreich geht der Konzentrationsprozess rasant weiter. In einigen Branchen - z. B. im Lebensmitteleinzelhandel, im Möbelhandel oder in der Bauwirtschaft - müssen wir in Österreich sogar besonders extreme Konzentrationen feststellen.

Wettbewerb ist die Grundlage für eine dynamische Marktwirtschaft. Dennoch versuchen Unternehmen laufend, den Wettbewerb einzuschränken. Die Spielregeln der freien Marktwirtschaft werden oft genug mit der Freiheit verwechselt, so rasch wie möglich eine marktbeherrschende Stellung zu erlangen. Die Strategie ist klar nachvollziehbar: Mit der Schaffung eines Monopols kann man mehr Geld verdienen als durch bessere Produkte.

Marktmissbrauch und wettbewerbsfeindliches Verhalten haben aber vielfältige negative Auswirkungen: Strukturen versteinern, Unternehmen werden vom Markt gedrängt, was wiederum einhergeht mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, Know-how und stärkerem Lohndruck, Innovation wird gebremst, die Abhängigkeit der Kunden von Produkten der marktbeherrschenden Unternehmen steigt, Konsumenten zahlen überhöhte Preise und finden eine eingeschränkte Produktauswahl vor.

Spätestens der Fall Microsoft hat deutlich gemacht, dass Missbrauch vielfältig sein kann und dass wettbewerbsfeindliches Verhalten die Innovation bremst. Der Markt funktioniert ganz offensichtlich nur in den Lehrbüchern ganz von allein. Tatsächlich ist das Wirtschaftsgeschehen aber geprägt durch eine Vielzahl von Marktversagen. Marktwirtschaft kann nur dann optimal funktionieren, wenn die Voraussetzungen stimmen. Die Basis dafür ist ein funktionierender Wettbewerb.

Die Wettbewerbsregeln gehören daher auch zu den wichtigsten Spielregeln einer Volkswirtschaft. Also müssen die Regierungen diese Spielregeln definieren, damit Fair Play und ein lebendiger Wettbewerb das Spiel bestimmen. Der Markt braucht den Staat als Stütze, damit er einwandfrei funktionieren kann. Oft genug wird Marktwirtschaft verwechselt mit einer Politik des »laissez-faire«. Und oft genug verwenden Regierungen ihren Einfluss dazu, um die Interessen der (großen) Unternehmen voranzutreiben, deren Anliegen naturgemäß weniger in der Schaffung strenger Spielregeln besteht als im weiteren Ausbau ihrer Marktposition - letztendlich zum Schaden der Verbraucher, Beschäftigten und Mitkonkurrenten.

Wettbewerbs- und Regulierungspolitik gehören in einer Zeit, in der Schlagworte wie Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung die Politik bestimmen, zu den wenigen verbleibenden Lenkungsinstrumenten der Wirtschaftspolitik. Sie sollten daher auch offensiv eingesetzt werden.

Mangelndes Problembewusstsein in Österreich

In Österreich hat Wettbewerbspolitik kaum Tradition. Es mangelt an Problembewusstsein bei Managern und Politikern. Dies wird nicht zuletzt dadurch deutlich, dass die Arbeiterkammer in den letzten Jahren praktisch die einzige Institution in Österreich war, die im Rahmen ihrer Funktion als »Amtspartei« nach dem Kartellgesetz eine aktive Rolle in der Wettbewerbspolitik spielte. Allein in den letzten drei Jahren stellte die AK mehr als 60 Prüfanträge an das Kartellgericht. Das inhaltlich für Wettbewerbspolitik zuständige Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit konnte sich überhaupt erst im letzten Jahr zu nennenswerten Aktivitäten überwinden. Die ebenfalls antragsberechtigten Sozialpartnerinstitutionen Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer zeichneten sich bisher überhaupt durch absolute Untätigkeit aus.

Die anhaltende Ignoranz zum Thema Wettbewerbspolitik ist aber gerade für ein kleines Land wie Österreich ein Problem. Auf Märkten, bei denen es auf regionale Präsenz ankommt, ist der Anreiz, in den Markt einzusteigen - aufgrund der Kleinheit des Marktes -, oft gering. Das Ergebnis ist ein - auch im europäischen Vergleich - extrem hoher Konzentrationsgrad in einzelnen Branchen, der durch weitere Zusammenschlüsse gerade in den letzten Jahren weiter massiv vorangetrieben wurde. Eines der extremsten Beispiele ist sicher der Einzelhandel, wobei hier besonders der Lebensmitteleinzelhandel, der Drogeriewarenhandel, der Möbeleinzelhandel, aber auch die Bau- und Fachmärkte zu nennen sind.

Lebensmittel: Höchste Konzentration in Europa

Der österreichische Lebensmittelhandel zeigt beispielsweise den höchsten Konzentrationsgrad in Europa. Die zwei größten Ketten erreichen gemeinsam einen Marktanteil von mehr als zwei Drittel. Die vier größten Handelsketten decken rund 80% des Marktes ab. Im Vergleich dazu beträgt der Marktanteil der 10 größten Unternehmen in dieser Sparte in Deutschland rund 78%. Gerade im Lebensmitteleinzelhandel lassen sich daher die Auswirkungen eines eingeschränkten Wettbewerbes anschaulich darstellen: Als Konsequenz einer derart hohen Konzentration bei den Lebensmittelketten steigt beispielsweise der Druck auf die österreichische Lebensmittelindustrie weiter an.

Da die Lieferanten darauf angewiesen sind, ihre Produkte über die großen Handelsketten zu vertreiben, müssen sie die Bedingungen des Einkäufers akzeptieren, um nicht Gefahr zu laufen, ausgelistet zu werden. Forderungen der Lebensmittelhandelsunternehmen wie Leistungsgebühren, Regalmieten bzw. Sonderleistungen, wie z. B. so genannte »Hochzeitsrabatte« etc., schränken den Spielraum der österreichischen Hersteller zusätzlich ein. Für die österreichischen Töchter der Nahrungsmittelmultis wird damit der Spielraum zunehmend enger. Entweder sie können den Forderungen des Handels hinsichtlich der Preis- und Konditionengestaltung erfüllen oder Waren werden nicht mehr über Österreich bezogen. Dies kann in der Folge zur Schließung der österreichischen Niederlassungen führen. Der Verlust von Arbeitsplätzen ist die logische Folge.

»Zu großer Druck des Handels«

Als Beispiel könnte hier das Produktionsunternehmen Oetker in Villach erwähnt werden. Dieses hat im Frühjahr 1999 seine Produktion eingestellt. Als Begründung wird der »zu große Druck des Handels« genannt (siehe Kurier 4. 8. 1998, Seite 15).

»Produktbereinigung«

Schlussendlich führt eine so massive Konzentration dazu, dass die Angebotsvielfalt zu Lasten der Verbraucher abnehmen wird. Nischen- bzw. Spezialprodukte werden aus den Regalen verschwinden. Der größte Marktteilnehmer im Lebensmitteleinzelhandel in Österreich führt seinen Kunden gerade in diesen Wochen vor Augen, was das bedeuten kann. Das Produktsortiment wird stark eingeschränkt. Eigenmarken werden bevorzugt. Pech für den Konsumenten, wenn das Lieblingsjoghurt oder die bevorzugte Fruchtsaftmarke der Produktbereinigung zum Opfer fällt. Die Ausweichmöglichkeiten auf andere Geschäfte sind aufgrund der hohen Konzentration jedenfalls sehr gering. Bleibt nichts anderes übrig, als sich umzustellen und den eigenen Geschmack den Vorgaben der marktbeherrschenden Handelsketten anzupassen.

Mängel des wettbewerbspolitischen Systems in Österreich

Das allgemein vorhandene mangelnde Problembewusstsein zum Thema Wettbewerbspolitik zeigt sich auch sehr deutlich aufgrund der eindeutigen Mängel, die das wettbewerbspolitische System in Österreich kennzeichnen.

Unser System war bisher geprägt durch eine ausgesprochen mangelhafte Struktur, die ein effizientes amtswegiges Aufgreifen von wettbewerbsrechtlichen Verstößen sehr schwierig machte. Mangelnde Ermittlungsbefugnisse, mangelnde Vernetzung zwischen europäischer und nationaler Wettbewerbspolitik, intransparente Abläufe sowie eine im europäischen Vergleich fast unvorstellbar mangelhafte Ausstattung mit personellen Ressourcen behinderten eine wirklich schlagkräftige Wettbewerbspolitik.

Längst fällige Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen

Der zunehmenden Bedeutung, die der Wettbewerbspolitik in den letzen Jahren zukommt, wurde nun auch in Österreich mit einer längst fälligen Novellierung des Kartellgesetzes Rechnung getragen. Und tatsächlich konnten eine Reihe von Anliegen der Arbeiterkammer umgesetzt werden.

Die Hauptforderungen der AK, die allesamt Eingang in das neue Kartellgesetz gefunden haben, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Unterstützung des Kartellgerichtes durch eine vorgelagerte Behörde, bei der folgende Aufgaben konzentriert sein sollten: eine Gesamtverantwortung für die Gestaltung der Wettbewerbspolitik, die Schaffung einer effizienten Aufgriffsstruktur für Verstöße gegen das Kartellgesetz, eine Beschleunigung der Verfahrensdauer durch effiziente Ermittlungsbefugnisse in allen kartellrechtlichen Belangen sowie die Verbindungsstelle zur europäischen Wettbewerbspolitik.
  • Eine bessere Ausstattung mit personellen Ressourcen bei den zuständigen Behörden.
  • Die Schaffung von Transparenz in der Wettbewerbspolitik - das erhöht den Druck für eine offensive Wettbewerbspolitik.
  • Eine breite Einbeziehung von unterschiedlichen Interessengruppen: Die Sozialpartner sollen weiterhin die Möglichkeit haben, eine aktive Rolle in der Wettbewerbspolitik zu spielen.
  • Eine Stärkung der Zusammenarbeit mit branchenspezifischen Regulierungsbehörden sowie mit der EG-Kommission.
  • Die Schaffung von zusätzlichen Bußgeldbestimmungen.

Insbesondere ist es der AK gelungen, auch die Einbindung der Sozialpartner in das System der Wettbewerbspolitik aufrechtzuerhalten. Auch in Zukunft stehen den Sozialpartnern somit umfassende Stellungnahmerechte in allen kartellrechtlichen Verfahren zu, mit Ausnahme des Antragsrechtes im Rahmen der Fusionskontrolle bleiben auch sämtliche Individualantragsrechte erhalten. Als Ausgleich für den Entfall des Individualantragsrechtes in der Fusionskontrolle werden die Sozialpartner in die neu eingerichtete Wettbewerbskommission eingebunden sein, die bei der neu gegründeten Wettbewerbsbehörde angesiedelt ist.

Sie soll einerseits Empfehlungen für Prüfanträge der Behörde abgeben, andrerseits die Schwerpunkte der österreichischen Wettbewerbspolitik definieren. Auch die Mitwirkung von Laienrichtern beim Kartellgericht, die von Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer nominiert werden, bleibt bestehen.

Ziel der Wettbewerbspolitik muss es jedenfalls sein, faire Rahmenbedingungen in der Wirtschaft sicherzustellen. Denn die Auswirkungen eines mangelhaften Wettbewerbs treffen Beschäftigte, Konsumenten und die Wirtschaft gleichermaßen. Die Voraussetzungen für eine effizientere und aktivere Wettbewerbspolitik sind mit der Novelle des Kartellgesetzes jedenfalls geschaffen. Was daraus gemacht wird und ob damit auch das Problembewusstsein von Managern und Wirtschaftspolitikern steigen wird, bleibt abzuwarten.

Worum geht’s?

Big is beautiful - je größer, desto besser! Unter diesem Motto versuchen große Konzerne, den freien Wettbewerb als Grundlage einer dynamischen Marktwirtschaft einzuschränken. Der Trend zur Größe nimmt sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene stetig zu, Megafusionen stehen auf der Tagesordnung. Die Unternehmensgröße wird dabei jedoch oft mit einer fast monopolistischen Marktbeherrschung verwechselt. Die Nachteile dieser Entwicklung treten immer deutlicher zutage: Strukturen versteinern, kleinere Unternehmen werden vom Markt gedrängt, Arbeitsplätze und Know-how gehen verloren, der Lohndruck steigt und die Konsumenten zahlen überhöhte Preise. Gerade in kleinen Staaten wie Österreich gehören die Wettbewerbsregeln zu den wichtigsten Normen der Volkswirtschaft. Fair Play und ein lebendiger Wettbewerb sollten darin vorherrschen, der Staat als Stütze fungieren. Funktioniert der Wettbewerb, dann funktioniert auch der Markt. Die Einbindung der Sozialpartner in das System der Wettbewerbspolitik ist dabei unerlässlich.

(Ch)

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Maria Kubitschek (Leiterin des Bereichs Wirtschaft in der AK Wien und SPÖ-Abgeordnete zum Nationalrat) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Sep 2002 00:00:00 +0200 1192029249843 Abschied vom Jugendkult? In den Unternehmen wird derzeit eine Personalpolitik betrieben, die fast ausschließlich auf jüngere Mitarbeiter setzt. Demographen sagen den westlichen Industrieländern jedoch folgende gravierende Veränderungen in der Altersstruktur der Gesamtbevölkerung voraus: Gesamtwirtschaftlich sinkt die Quote der Erwerbstätigen, die Zahl der älteren Arbeitnehmer steigt und es werden weniger Junge aus dem Bildungssystem auf den Arbeitsmarkt kommen.

Doppelte Altersschere

Es ist also seitens der Unternehmen sowohl die Entwicklung bei den jüngeren Arbeitskräften als auch bei den älteren Arbeitnehmern zu betrachten. Man spricht auch von einer »doppelten Altersschere«, die in den Betrieben spürbar werden wird. Dadurch werden die bisher beliebten Strategien der Ausgliederung Älterer aus dem Arbeitsprozess weniger möglich sein. Die Pensionsreform hat (vorwiegend aus Finanzierungsüberlegungen) versucht, dieser Entwicklung durch eine Anhebung von Altersgrenzen Rechnung zu tragen. Dass ohne begleitende Maßnahmen auf betrieblicher Ebene das Problem nur verlagert statt gelöst wird, zeigen die Arbeitslosendaten. Sowohl die Arbeitslosenquote als auch die Dauer der Arbeitslosigkeit liegen für die über 55-Jährigen seit einigen Jahren deutlich über dem Durchschnitt. Der demographische Wandel und die Notwendigkeit der Anhebung des Pensionsalters erfordern, dass die Arbeitsfähigkeit der Mitarbeiter bis zum Pensionsantrittsalter erhalten bleibt. Ansonsten droht weiterhin das Schicksal verstärkter Altersarbeitslosigkeit. Wenn die Unternehmen die Probleme nicht aufgreifen, werden besonders die Beschäftigten darunter leiden (z. B. durch steigenden Arbeitsdruck, sinkende Motivation).

Fehlendes Problembewusstsein in den Unternehmen

In Unternehmen sind derzeit drei Strategien des Umgangs mit der Thematik der älter werdenden Belegschaften zu beobachten:

  • Verlagerung nach außen: Die bisher »erfolgreich« praktizierten Strategien der Frühpensionierung bzw. Kündigung, Scheinselbständigkeit oder Umsteigen auf Leiharbeit werden entsprechend den gesetzlichen Möglichkeiten fortgesetzt. Diese Personalstrategie kann als »maximale Leistungsausschöpfung« bezeichnet werden. Arbeitnehmer werden kurzfristig ausgepowert, die dadurch entstehenden Gesundheits- und Leistungsprobleme gemeinsam mit den älter gewordenen Mitarbeitern externalisiert. Dieses Vorgehen scheint vor allem dort funktional zu sein, wo spezifisches Erfahrungswissen, Loyalität und Weitergabe von Werten und Wissen nur eine geringe Rolle spielen. Ältere Mitarbeiter sind hier eine Problemgruppe, neue Qualifikationen werden mit jüngeren Arbeitskräften ins Unternehmen geholt. Angesichts der Entwicklungen wird diese Strategie an ihre Grenzen stoßen, vor allem bei schwacher Position des Unternehmens auf dem Arbeitsmarkt oder spezifischen Qualifikationsanforderungen.
  • Ignorieren: Viele Personalverantwortliche kennen die Altersstruktur der Belegschaft nicht. Möglicherweise ist das Problem einer Überalterung der Belegschaft auch nicht akut, weil viele ältere Mitarbeiter frühpensioniert wurden und sich die Unternehmen dadurch künstlich »verjüngt« haben. Die Unternehmen verkennen aber häufig, dass unter Umständen ein großer Anteil der Beschäftigten in absehbarer Zeit in einem »kritischen Alter« sein wird.
  • Vorausschauendes Handeln: Nur vereinzelt wird in Unternehmen das Problem aktiv bearbeitet. Es dürfte sich um Unternehmen handeln, wo spezifische Qualifikationen, Erfahrungswissen und Loyalität eine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang ergibt sich ein enormes Gestaltungspotenzial für Arbeitnehmervertretungen. Die Lösungen müssen zwar auf das einzelne Unternehmen und die Personalstruktur abgestimmt sein, drei wesentliche Grundsätze sollten aber beachtet werden. Sie sind Gegenstand dieses Beitrags.

Leitlinien für eine alternsgerechte Personalpolitik

1. Sicherung der Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmer

Altern wird allgemein als ein Prozess der Veränderung beschrieben, dem alle Menschen unterliegen. Gewisse körperliche und psychische Leistungspotenziale nehmen ab, gleichzeitig erfolgt aber ein Zugewinn in der Entwicklung der Persönlichkeit und der geistigen Fähigkeiten (z. B. Achtsamkeit, Argumentationsfähigkeit, Erfahrung). Das Alter von Arbeitnehmern ist also für sich gesehen kein Problem für die Berufsausübung. Das »Altersproblem« entsteht erst, wenn das Verhältnis zwischen den Arbeitsanforderungen und dem persönlichen Leistungsvermögen nicht mehr stimmt. Arbeitsfähigkeit bedeutet so gesehen, dass man die Anforderungen, die eine bestimmte Tätigkeit stellt, bewältigen kann. Im Allgemeinen wird der Produktionsbereich dabei alterskritischer als der Dienstleistungsbereich eingeschätzt, aber auch zwischen einzelnen Berufen bestehen große Unterschiede (vgl. Grafik »Altersverteilung in verschiedenen Berufen«).

Die Übersicht zeigt die Altersverteilung im Jahr 1995 in ausgewählten Berufen für Deutschland (Bundesgebiet West). Es ist davon auszugehen, dass in Österreich ähnliche Verteilungen vorliegen. Aus dieser Grafik kann man die unterschiedliche »Alterstauglichkeit« verschiedener Berufe erkennen. Das Vorliegen solcher »Berufe mit begrenzter Tätigkeitsdauer« wird in Unternehmen häufig verdrängt oder eben über Frühpensionierungen »abgewickelt«.

Welche Anforderungen beruflicher Tätigkeiten sind als alterskritisch anzusehen?

  • Qualifikation: Die Qualifikationen Älterer sind im Vergleich zu denjenigen jüngerer Arbeitnehmer häufig weniger aktuell und spezialisiert. Dazu kommt, dass der Kenntnisstand einseitig wird, wenn Beschäftigte über längere Zeit immer wieder die gleichen Tätigkeiten ausüben. Gleichzeitig verlernen sie dabei das Lernen. Durch Personalentwicklung und Arbeitseinsatz bzw. Arbeitsgestaltung kann Qualifikationsdefiziten entgegengewirkt werden.
  • Gesundheit: Zieht man Krankenstände als Indikator für Gesundheit heran, so zeigen sich vor allem Altersunterschiede hinsichtlich der Dauer der Krankenstände (vgl. Kasten 2: »Krankenstandstage nach Alter«).

Eine für Deutschland durchgeführte Analyse der typischen Krankheitsarten zeigt ebenfalls altersbedingte Unterschiede. Jüngere Mitarbeiter leiden demnach häufiger an allergischen Hauterkrankungen, asthmatischen Atemwegsbeschwerden oder Geschlechtskrankheiten, bei ihnen kommt es auch öfter zu Unfällen. Mit dem Lebensalter nehmen die Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie die Muskel- und Skeletterkrankungen stark zu. Die Zunahme beginnt allerdings bereits ab dem 30. Lebensjahr.1) Finnische Arbeitsmediziner haben umfangreiche Untersuchungen zur Arbeitsfähigkeit älterer Arbeitnehmer durchgeführt und führen etwa ein Drittel der Krankenstände auf tätigkeitsbedingte Ursachen zurück.

  • Motivation: Einen dritten wesentlichen Faktor in Bezug auf die Arbeitsfähigkeit stellt die Motivation der älteren Arbeitnehmer dar. Diese ist häufig eingeschränkt durch nachlassende psychische Belastbarkeit (Burn-out), fehlende soziale Anerkennung durch Kollegen und Vorgesetzte, fehlende Aussichten auf Tätigkeitswechsel oder abwertende Zuschreibungen. Untersuchungen schreiben hier dem sozialen Klima und dem Vorgesetztenverhalten einen wesentlichen Einfluss auf die Motivation Älterer zu.

Ganzheitliche Arbeitsfähigkeit erfordert ein Handeln auf allen drei beschriebenen Ebenen: Qualifikation, Gesundheit und Motivation. Nur selten stehen die Maßnahmen in den Unternehmen auf allen drei Säulen, meistens werden nur kurzfristige Einzelaktivitäten gesetzt (z. B. sind derzeit Gesundheitsprogramme hoch im Kurs). Das kann am Rollenbild, an begrenzten bzw. getrennten Zuständigkeiten (z. B. Arbeitnehmerschutz, Betriebsrat, Arbeitsmedizin, Personalverantwortliche) oder an kurzfristigen Erfolgsmaßstäben der Verantwortlichen liegen. Es liegt aber auf der Hand, dass ältere Arbeitnehmer nur durch langfristige und vorausschauende Maßnahmen arbeitsfähig bleiben. Wenn Arbeitsfähigkeit die Entsprechung von Fähigkeiten und ausgeübter Tätigkeit bedeutet, sind Anpassungen in beide Richtungen denkbar. Diese umfassen im Wesentlichen folgende vier Handlungsfelder2):

  • Analyse und Gestaltung der Arbeitstätigkeit (Ergonomie, Zeitdruck, Tätigkeitswechsel),
  • Aufgabenverteilung/Gruppenarbeit (Berücksichtigung von Qualifikation, Leistungsvermögen, Gestaltung des Entlohnungssystems),
  • Gestaltung altersgerechter Laufbahnen (Festsetzung einer begrenzten Tätigkeitsdauer für bestimmte Positionen, belastungsorientierte Laufbahngestaltung, Qualifizierung),
  • Gestaltung der Arbeitszeit (z. B. Gestaltung von Schichtarbeit, Altersteilzeit).

Handlungsfelder im Arbeiterbereich bei VW Hannover

Referat von Heiko Spieker vom 19. 3. 2002 im Rahmen der Tagung »Abschied vom Jugendkult?« (Kooperation AK-Universität Linz)

  1. Gefährdungs- und Belastungsanalysen (bei der Planung von Anlagen und der Arbeitsplatzgestaltung), z. B. Ergonomie, Mindesttakt ...
  2. Arbeitsorganisation und Aufgabenzuschnitte (Belastungswechsel, Qualifizierung für Rotation, Tätigkeiten mit begrenzter Verweildauer ...)
  3. Generationenvertrag (berufliche Grundausbildung, Rekrutierung, Altersteilzeit ...)
  4. Personalentwicklungswege (Wiederbesetzungsketten, Laufbahngestaltung, Rücksicht auf Bedürfnisse in unterschiedlichen Lebenslagen ...)
  5. Gesundheitsförderung (Gesundheitszirkel, Rehabilitation ...)
  6. Arbeitszeitregelungen (Dauer, Lage, Verteilung, Wiedereinstellzusagen, Pausenregime ...)

2. Orientierung am gesamten Erwerbsleben

Häufig beschränken sich die Überlegungen darauf, welche spezifischen Anforderungen und Bedürfnisse ältere Mitarbeiter haben. Aus der Sicht der Arbeitnehmervertretung steht hier legitimerweise der Schutzgedanke im Vordergrund. Diskutiert werden derzeit z. B. auch die Fragen, wie Ältere lernen, welche Qualifizierungsformen für sie günstig sind, wie altersgerechte Arbeits- bzw. Erholungszeiten zu gestalten sind. Diese Überlegungen mit dem Fokus auf Ältere sind wichtig, sie lassen aber außer Acht, dass viele Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit dieser Gruppe ihren Ursprung in der Erwerbsbiografie haben.

Sie können z. B. durch gesundheitlichen Verschleiß in früheren Jahren, einseitige Belastungen, fehlende Qualifizierung, Unter- oder Überforderung hervorgerufen werden. Es ist mittlerweile belegt, dass Innovationsbereitschaft und der Erhalt der Leistungsfähigkeit durch den lebens- und berufsgeschichtlichen Verlauf beeinflusst sind. Daher muss bereits bei den jungen Mitarbeitern angesetzt werden. Sinnvoll ist also eine alternsgerechte, nicht nur eine altersgerechte Personalpolitik. Letztere führt häufig auch zu einer Stigmatisierung der Älteren und stempelt sie als Problemgruppe ab.

Krankenstandstage nach Alter in österreichischen Unternehmen
Alter Arbeiter männlich Arbeiter weiblich Angestellte männlich Angestellte weiblich
15-19 15,3 15,7 9,2 12,40
20-24 16,6 14,4 7,9 9,5
25-29 15,7 13,5 6,7 7,7
30-34 16,1 14,7 6,7 7,9
35-39 17,3 15,8 7,0 8,6
40-44 18,6 18,0 7,9 10,10
45-49 21,2 21,0 9,4 12,70
50-54 27,4 28,2 13,90 19,00
55-59 42,2 36,2 21,10 23,20

Quelle: www.arbeitundalter.at; dl. 21. 5. 2002

3. Altersstrukturen im Auge behalten

Altersstrukturen zeigen auf, wie sich die Belegschaft altersmäßig zusammensetzt. Sie können ausgewogen sein, wenn alle Altersgruppen (z. B. bis 35 Jahre, 35-44, ab 45 Jahre) annähernd gleich stark vertreten sind; in vielen Unternehmen sind die Belegschaften aber einseitig alters- bzw. jugendzentriert zusammengesetzt. Wenn die Altersstrukturen beobachtet werden, lassen sich Handlungsbedarfe für die Zukunft rechtzeitig erkennen.

Wie bereits angedeutet, bringt der demographische Wandel ein höheres Durchschnittsalter der Arbeitnehmer bei gleichzeitiger Knappheit an Jüngeren. Vielen Unternehmen stehen daher alterslastige Personalstrukturen ins Haus, aus denen folgende Probleme resultieren können:

- Gibt es einen starken Überhang an älteren Mitarbeitern, so entsteht mit deren Pensionierung schlagartig ein mengenmäßiges Ersatzproblem, das weniger leicht als bisher über den Arbeitsmarkt gedeckt werden kann. Unternehmen werden gezwungen sein, mehr Rekrutierungsmöglichkeiten auszuschöpfen (z. B. Frauen, Langzeitarbeitslose, interne Weiterqualifizierung). Bei sehr betriebsspezifischem Wissen muss parallel in die Bindung von (jüngeren) Mitarbeitern investiert werden, damit es nicht zu einer noch stärkeren Überalterung kommt.

Davon abgesehen sollten folgende Auswirkungen alterslastiger Personalstrukturen bedacht werden:

- Neben den höheren Personalkosten erschwert die Dominanz Älterer (z. B. in einer Berufsgruppe, Hierarchieebene, einem Unternehmensbereich) die Integration neuer Qualifikationen oder Innovationen - unter Umständen bei gleichzeitig steigender Bedeutung wissensbasierter Dienstleistungen. Dass Ältere ihr Wissen nicht up to date halten können oder allein aufgrund ihres Alters innovationsfeindlich sind, ist längst widerlegt. Aber das Unternehmen muss hier z. B. vermehrt in die Motivation und Qualifikation investieren, während Jüngere neues Wissen aus dem öffentlichen Bildungssystem mitbringen.

- Durch das Älterwerden verändern sich - wie oben gezeigt - auch die Ansprüche an die Arbeitsplätze.

- Es kann zu Aufstiegsproblemen für jüngere Mitarbeiter kommen, wenn die Aufstiegspositionen besetzt sind und das Senioritätsprinzip gilt. Die Folgen sind Demotivation und hohe Fluktuation jüngerer Mitarbeiter3). Diese Situation ist bereits jenen Unternehmen bekannt, die ihre Führungsebenen in den letzten Jahren durchgängig stark verjüngt (und/oder ausgedünnt) haben.

Zukünftig alterslastige Belegschaften sind laut Experten zu einem großen Teil »hausgemacht«. Sie entstehen z. B. durch Frühpensionen, Personalabbau über Sozialpläne, Kündigung überwiegend von Jüngeren, den Verzicht auf Neueinstellungen oder die Vernachlässigung der Lehrlingsausbildung. Personalpolitische Maßnahmen sollten daher speziell in ihren Wirkungen auf künftige Altersstrukturen durchdacht werden.

Notwendige Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Bewältigung des demographischen Wandels

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Unternehmen in Bezug auf den demographischen Wandel zwei Probleme zu lösen haben:

Erstens stellt der Arbeitsmarkt in Zukunft junge Nachwuchskräfte nicht mehr in jenem Ausmaß zur Verfügung, wie dies in der Vergangenheit der Fall war. Für bestimmte Branchen, kleinere Unternehmen oder in bestimmten Regionen wird es besonders schwierig, qualifizierte junge Mitarbeiter zu bekommen.

Zweitens muss die Zusammenarbeit zwischen den Generationen bei einem Überhang von älteren Arbeitnehmern gestaltet werden.

Untersuchungen haben gezeigt, dass Unternehmen diese Herausforderungen erfolgreicher bewältigen, wenn bestimmte Rahmenbedingungen in der Personalarbeit vorliegen4):

  • Wesentlich ist, dass Personalstrukturüberlegungen als eigene Zielsetzungen in die Personalarbeit einfließen. Diese Zielsetzungen müssen mit längerfristig vorausschauenden Personalplanungszeiträumen gekoppelt werden.
  • Eine an Altersstrukturen orientierte Personalarbeit muss umfassend und langfristig orientiert sein. Ein koordiniertes Vorgehen verschiedener Entscheidungsträger ist dabei notwendig.
  • Der altersstrukturelle Wandel kann besser bewältigt werden, wenn Personalstrategien Bestandteil von Unternehmensstrategien sind. Wenn Alters- bzw. Personalstrukturvorgaben in Früherkennungsstrategien Berücksichtigung finden (z. B. durch Personalinformationssysteme, Balanced Scorecards), so können die Ziele effizienter verfolgt werden.
  • Bestehende Altersleitbilder im Unternehmen müssen überdacht werden - nicht zuletzt auf der Ebene betrieblicher Entscheidungsträger.

Den Belegschaftsvertretungen kommen in diesem Szenario wichtige gestaltende Aufgaben zu. Eine alternsgerechte Arbeitsorganisations- und Personalplanung berührt zentrale Bereiche der Arbeitnehmervertretung.

Es gilt daher, sich rechtzeitig darauf vorzubereiten. Wie umfassend die Handlungsfelder sein können, zeigt das Maßnahmenpaket des VW-Werkes in Hannover (siehe Kasten 1: »Handlungsfelder im Arbeiterbereich«).

Ein so langfristiges und umfassendes Herangehen beschert vielleicht weniger kurzfristig sichtbare Erfolge, die sich Belegschaftsvertreter oft wünschen. Die Realisierung solcher Vorhaben dürfte daher aussichtsreicher sein,

  • wenn die Belegschaftsvertretung eine anerkannte Position innerhalb des Unternehmens (seitens der Belegschaft wie auch der Unternehmensleitung) besitzt,
  • wenn es im Unternehmen möglich ist, als Belegschaftsvertretung produktiv mit anderen betrieblichen Akteuren (z. B. Arbeitsmedizin, Führungskräften, Unternehmensleitung) zusammenzuarbeiten und an einem Strang zu ziehen
  • und wenn ein vorausschauendgestaltendes Rollenverständnis innerhalb des Gremiums vorherrscht.

1) vgl. Morschhäuser, M.: Grundzüge altersgerechter Arbeitsgestaltung. In: Gussone, M. et al.: Ältere Arbeitnehmer. Altern und Erwerbsarbeit in rechtlicher, arbeits- und sozialwissenschaftlicher Sicht. Bund Verlag 1999, S. 101-186.

2) vgl. Morschhäuser, M.: a.a.O.

3) vgl. Nienhüser, W.: Wirkungsanalyse und Gestaltung betrieblicher Personalstrukturen - am Beispiel der Altersstruktur. In: Zeitschrift für Personalforschung, Heft 1/1992, S. 75-96.

4) vgl. Köchling, A.: Altersstrukturen und Personalpolitik unter den Bedingungen des demographischen Wandels. In: Köchling, A. et al.: Innovation und Leistung mit älter werdenden Belegschaften. München: Hampp, S. 43-93.

Worum geht’s?

Der Generationenwechsel kommt bestimmt, aber anders, als die meisten glauben! Die demographische Entwicklung macht deutlich, welche Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren und Jahrzehnten zu erwarten sind: Arbeitnehmer über 45 werden zur größten Beschäftigungsgruppe anwachsen, jüngere Arbeitnehmer werden knapp. Eines wird dadurch klar: Ältere Arbeitnehmer abbauen und durch jüngere ersetzen geht dann nicht mehr! Und: Bestimmte Unternehmensleitbilder (»jung, aktiv, dynamisch«) müssen wohl grundlegend überdacht werden. Unternehmer und insbesondere die Belegschaftsvertreter sind gefordert, sich rechtzeitig auf diese Veränderungen vorzubereiten, um eine altersgerechte Arbeitsorganisation und Personalplanung zu gewährleisten.

(Ch)

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Brigitta Nöbauer (wissenschaftliche Mitarbeiterin im Zentrum für Soziale Kompetenz der Johannes-Kepler Universität in Linz) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1192029256901 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Sep 2002 00:00:00 +0200 1192029249620 Lehre mit Zukunft? Seit Jahren geht das Angebot an Lehrstellen zurück. Es entwickelte sich ein großer Überhang an Lehrstellensuchenden gegenüber offenen Lehrstellen. Insbesondere zwischen 2001 und 2002 ist das Lehrstellendefizit stark angewachsen.

Ende Juni 2002 standen österreichweit 6491 Lehrstellensuchende (Lehrstellensuchende für sofort plus jugendliche Teilnehmerinnen und Teilnehmer in kurzfristigen Kursen) 2620 offenen Lehrstellen gegenüber. Verglichen mit Ende Juni des Vorjahres ist die Zahl der Lehrstellensuchenden um 32,7% gestiegen und die Zahl der offenen Lehrstellen um 3,9% gesunken. Besonders dramatisch stellt sich die Lehrstellensituation in Wien mit einer Steigerung von 55,7% bei den Lehrstellensuchenden dar (siehe Tabelle 1).

Jugendliche ohne betriebliche Ausbildungsplätze
Vergleich 30. 6. 2001 mit 30. 6. 2002 (ohne Arbeitslosengeldbezieher)
Bundesländer Teilnehmer an den Auffangnetzen (JASG) Jugendliche in Schulung (15 bis 19) Lehrstellen-
suchende für sofort
Lehrstellen-
suchende für sofort insgesamt
Offene Lehrstellen für sofort
Wien, 30. 6. 2001 380 496 237 733 125
Wien, 30. 6. 2002 382 466 675 1.141 150
Veränderung +2
(+0,5%)
-30 (-6,05%) +438
(+184,8%)
+408
(+55,7%)
+25 (+20%)
Österreich,
30. 6. 2001
3.057 2.669 2.223 4.892 2.727
Österreich,
30. 6. 2002
1.138 3.669 2.822 6.491 2.620
Veränderung -1.919 (-62,8%) +1.000
(+ 37,5%)
+599
(+27%)
+1.599
(+32,7%)
-107 (-3,9%)

Quelle: Statistik des AMS Österreich und Umfrage bei den Arbeiterkammern

Für den Bedarf an Fachkräften in der Wirtschaft sowie hinsichtlich des Lehrstellenmangels fällt besonders ins Gewicht, dass das Lehrstellendefizit in Lehrberufen sehr hoch ausgeprägt ist, die in Wachstumsbranchen der Wirtschaft von starker Bedeutung sind. Insbesondere in den IT-Berufen (EDV-Techniker/in, Kommunikationstechniker/in, Medientechniker/in) gibt es eine große Lücke an Ausbildungsplätzen, obwohl in den entsprechenden Branchen ein sehr hoher Bedarf an ausgebildeten Fachkräften besteht.

Der Überhang von Lehrstellensuchenden an offenen Lehrstellen ist insbesondere auf einen Mangel an Lehrstellenangeboten zurückzuführen. Die Wirtschaft zieht sich zunehmend aus der Lehrlingsausbildung zurück. Das wird aus einem Vergleich des Lehrlingsstandes zwischen 31. 12. 1991 und 31. 12. 2001 deutlich (Tabelle 2).

Veränderung des Lehrlingsstandes im Vergleich 1991-2001
Jahr Lehrlings-
zahl gesamt
Gewerbe Industrie Handel Geld-, Kredit- u. Versicher-
ungswesen
Transport, Verkehr u. Tele-
kommuni-
kation
Fremden-
verkehr
Nicht-
kammer-
betriebe
1991 141.099 74.499 21.327 25.080 759 2.711 12.767 3.956
2001 122.167 65.734 14.905 19.566 897 2.318 12.974 5.773
Unterschied -18.932
(-13,42%)
-8.765
(-11,77%)
-6.422
(-30,12%)
-5.514
(-21,99%)
+138
(+18,19%)
-393
(-14,50%)
+207
(+1,63%)
+1.817
(+45%)

Quelle: Lehrlingsstatistik der Wirtschaftskammer Österreich

Insgesamt ist die Zahl der angebotenen Lehrverträge im 10-Jahres-Vergleich um 13,4% gesunken. Ein starker Rückgang war in der Sektion Industrie zu verzeichnen, wobei beinahe ein Drittel der Lehrplätze in dem 10-Jahres-Zeitraum verloren gingen. Gerade die Industrie hatte immer Lehrberufe mit einem hohen technologischen Standard angeboten, wobei für Lehrabsolventen und -absolventinnen aus den entsprechenden Lehrberufen in einem hohen Ausmaß Chancen für eine berufliche Laufbahn als Fachkräfte in der Wirtschaft eröffnet wurden.

Aber auch die Rückgänge in den Sektionen Gewerbe, Handel und Transport, Verkehr und Telekommunikation (Reduktionen zwischen 12% und 22% der Lehrplätze) in einem 10-Jahres-Zeitraum zeigen deutlich die Angebotskrise auf dem Lehrstellenmarkt.

Lediglich in der Sektion Fremdenverkehr ist eine Zunahme von etwa 2% zu verzeichnen gewesen.

Auch in den Lehrplätzen aus den Betrieben, die nicht der Wirtschaftskammer zugehörig sind, gab es eine Zunahme. Die hohe Zunahme von Lehrplätzen (+45% auf der Basis von geringen Besetzungszahlen) in den Nichtkammer-Betrieben gab es insbesondere im öffentlichen Dienst, aber auch in Lehrplätzen bei Trägern von freien Berufen (z. B. Rechtsanwälten) und in einem bestimmten Ausmaß auch durch die Maßnahmen nach dem Jugendausbildungs-Sicherungsgesetz (JASG), nämlich Stiftungen und Lehrgänge.

Förderung der Lehrlingsausbildung

Trotz der prekären Lehrstellensituation ist die Zahl der Plätze in den Auffangnetzen für Jugendliche ohne Lehrplätze zwischen den Ausbildungsjahren 1998/99 und 2001/2002 zurückgegangen.

1998/1999 3500 Plätze (in Stiftungen und Lehrgängen)
1999/2000 4400 Plätze (in Stiftungen und Lehrgängen)
2000/2001 3500 Plätze (hauptsächlich in Lehrgängen; einschließlich der Ausbildungsplätze für Jugendliche ohne Lehrstellen aus den vergangenen Jahren)
2001/2002 2600 Plätze (hauptsächlich in Lehrgängen; einschließlich der Ausbildungsplätze für Jugendliche ohne Lehrstellen aus den vergangenen Jahren)

Ab dem Ausbildungsjahr 2000/ 2001 gab es im Auffangnetz keine Stiftungen, d. h. keine gesicherte Ausbildung bis zum Lehrabschluss, da Stiftungsmaßnahmen aus dem JASG gestrichen wurden. In den letzten beiden Ausbildungsjahren gab es nur noch 10-monatige Lehrgänge. Weiters gab es ab dem Ausbildungsjahr 2000/2001 keine im JASG gesicherten finanziellen Bundesmittel mehr; es gab lediglich den Hinweis im JASG, dass die Ausbildungsplätze aus den nicht verbrauchten Bundesmitteln der vergangenen Jahre finanziert werden sollen.

Für die Ausbildungsjahre 1998/ 1999 und 1999/2000 wurden im JASG 1,8 Milliarden Schilling (130,8 Millionen EUR) für Zwecke der Jugendausbildung dotiert.

» Insgesamt handelt die Bundesregierung verantwortungslos gegenüber den lehrstellensuchenden und arbeitslosen Jugendlichen ...«

Nach dem Regierungswechsel wurden für die Ausbildungsjahre 2000/2001 und 2001/2002 keine zusätzlichen finanziellen Mittel im JASG dotiert. Die Finanzierung der Lehrgänge erfolgte aus den nicht verbrauchten Bundesmitteln der vorangegangenen zwei Jahre. Im Ausbildungsjahr 2001/2002 war zusätzlich - ohne Verhandlungen mit den jeweiligen Bundesländern - eine Kofinanzierung der Lehrgänge durch die einzelnen Bundesländer vorgesehen. Es war daher nur in einzelnen Bundesländern durch Mithilfe des jeweiligen Länder möglich, eine reduzierte Anzahl von Lehrgangsplätzen sicherzustellen.

Insgesamt handelt die Bundesregierung verantwortungslos gegenüber den lehrstellensuchenden und arbeitslosen Jugendlichen, indem immer weniger Ausbildungsplätze im Auffangnetz für lehrstellensuchende und arbeitslose Jugendliche zur Verfügung gestellt werden, kaum neue Bundesmittel zur Finanzierung von Lehrgangsplätzen eingesetzt werden und die Verlängerung der rechtlichen Grundlage im Jugendausbildungs-Sicherungsgesetz zu Lasten der Jugendlichen jeweils bis Ende des Jahres hinausgezögert wird.

Gefördert werden lediglich die Lehrbetriebe, aber nicht nach Qualitätskriterien, sondern nach dem Gießkannenprinzip:

Durch Entfall der Dienstgeberbeiträge zur Krankenversicherung für Lehrlinge vom 1. bis zum 3. Lehrjahr, durch Aufhebung des Beitrags zur Unfallversicherung für Lehrlinge im 1. Lehrjahr, durch Steuerfreibeträge und durch AMS-Förderungen für Ausbildungsverhältnisse lukrieren die Lehrbetriebe jährlich insgesamt 94,1 Millionen e (1,3 Milliarden Schilling). Diese Förderungen ohne Gegenleistungen führten lediglich zu Mitnahmeeffekten, da trotz Förderungen die Lehrlingsaufnahme (siehe Tabelle 2) ständig sank.

Forderungen von ÖGB, ÖGJ, AK im Zusammenhang mit der Lehrlingsausbildung

  • Recht auf qualifizierte Ausbildungsplätze für alle Jugendlichen.
  • Erhaltung und Ausbau der Qualität der dualen Ausbildung.
  • Gesicherte Berufschancen auf dem Arbeitsmarkt für Lehrabsolventinnen und Lahrabsolventen.

1. Wiedereinführung der Stiftungen nach dem Jugendausbildungs-Sicherungsgesetz

Die derzeitige Situation auf dem Lehrstellenmarkt lässt es nicht zu, dass alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz finden; es ist also erforderlich, für lehrstellensuchende Jugendliche Ersatzmaßnahmen in Form von Lehrlingsstiftungen wieder einzurichten (besondere selbständige Ausbildungseinrichtungen gemäß § 30 Berufsausbildungsgesetz BAG), die eine Ausbildung in zukunftsorientierten Lehrberufen (EDV- Technik, Medientechnik, Mediendesign, Informatik etc.) ermöglichen. Nach der derzeitigen Fassung des Jugendausbildungs-Sicherungsgesetzes sind lediglich Lehrgänge mit einer 10-monatigen Dauer eingerichtet. In die Lehrgänge können nur Jugendliche eintreten, die die Schulpflicht positiv absolviert haben.

Die Stiftungen sind im Jahr 2000 ersatzlos aus dem Jugendausbildungs-Sicherungsgesetz gestrichen worden, obwohl die Vermittlungsquote aus den Stiftungen in reguläre Lehrstellen hervorragend war. Die Stiftungen konnten von den Jugendlichen bis zum Abschluss der Lehre besucht werden und standen allen, also auch jenen Jugendlichen offen, die die Schulpflicht nicht positiv absolviert hatten.

Für arbeitslose Jugendliche ohne positives Abschlusszeugnis der 9. Schulstufe gibt es daher derzeit kein spezielles Angebot an Ausbildungsplätzen, die zum Lehrabschluss führen, obwohl gerade sie besonders dringend Förderung und Unterstützung benötigen würden. Eine Ausbildung in Stiftungen entlastet den Lehrstellenmarkt, da die Jugendlichen nicht unbedingt nach 10 Monaten - so wie bei den Lehrgängen - auf reguläre Lehrplätze vermittelt werden müssen.

2. Sicherstellung von Ausbildungsverbünden - triale Ausbildung

Eine verpflichtende zusätzliche Ausbildung in Kursen oder Partnerbetrieben bei komplexen Qualifikationen oder neuen Technologien soll vorgesehen werden. Die Betriebe spezialisieren sich immer mehr, die Anforderungen an Ausbildungsbreite und -tiefe steigen aber im Gegenzug an.

Es ist daher notwendig, in Ausbildungsverbünden sicherzustellen, dass die Lehrlinge die Qualifikation bekommen, die sie auch tatsächlich brauchen. Beispiele für mögliche Ausbildungsverbünde sind:

  • Schweißen bei den Sanitär- und Klimatechniker/innen (z. B. Angebote von Kursen beim bfi oder in der schweißtechnischen Zentralanstalt).
  • Flambieren, Gueridonservice bei den Restaurantfachleuten (z. B. Kurs beim bfi).
  • Buchhaltung bei kaufmännisch-administrativen Lehrberufen (z. B. Kurs oder Steuerberater als Partnerbetrieb).

Dadurch können auch die Betriebe, die nicht alle Bereiche des Berufsbildes vermitteln, Lehrlinge aufnehmen; darüber hinaus kann die Qualität der dualen Ausbildung gesteigert werden und es können auch mehr Lehrplätze geschaffen werden.

Die Steigerung der Qualität der Lehrlingsausbildung führt auch zur Steigerung der Jobchancen und der Mobilität der 19- bis 25-jährigen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen.

3. Schaffung von neuen Lehrberufen und von Gruppenlehrberufen

Qualifikationen, Jobchancen, Weiterbildungsmöglichkeiten und Mobilität auf dem Arbeitsmarkt für Lehrabsolventen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Wir setzen uns für Gruppenlehrberufe ein: z. B. Zusammenfassung der administrativ-kaufmännischen Lehrberufe (Bürokaufmann/frau, Bankkaufmann/frau, Industriekaufmann/frau, Versicherungskaufmann/frau, Personaldienstleistung etc.) zu einer Gruppe mit erleichterten Übergängen zwischen den einzelnen Lehrberufen (z. B. wer Bankkaufmann/frau gelernt hat, kann mit einer verkleinerten Prüfung zum Lehrberuf Versicherungskaufmann/frau wechseln). Zusammenfassung der Schlosserberufe zu einem Lehrberuf Metalltechnik mit Fachrichtungen Metallbearbeitungstechnik, Metallbautechnik, Fahrzeugbautechnik, Schmiedetechnik, Stahlbautechnik, Blechtechnik) mit erleichterten Übergängen zwischen den Fachrichtungen.
» Schmalspurlehrberufe wie Servierkraft oder Reparaturschuster, wo ohne Qualifikation die Jugendlichen nach wenigen Wochen voll einsetzbar sind zum Preis einer billigen Lehrlingsentschädigung, werden voll abgelehnt.«

»Schmalspur«lehrberufe wie Servierkraft, Reparaturschuster etc., in denen ohne Qualifikation die Jugendlichen nach wenigen Wochen voll zur Entlohnung von billigen Lehrlingsentschädigungen einsetzbar sind, werden abgelehnt. Diese Lehrberufe bereiten einen Jugendlichen sicher nicht auf das »lebenslange Lernen« vor, noch auf die Erfordernisse einer modernen Arbeitswelt, und sind auch nicht geeignet, Jugendliche auf neue Arbeitsorganisationsstrategien (flache Hierarchien, Verantwortung im Team, Schlüsselqualifikationen) einzustellen.

Neue Technologien entwickeln sich rasant, und die Anpassungsfähigkeit der Arbeitnehmer ist für ihren Erfolg am Arbeitsplatz unbedingt notwendig. Daher ist jede Ausbildung an diesen Kriterien zu messen. Dadurch ergeben sich auch größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt für die Lehrabsolventen und -absolventinnen.

4. Qualifizierung der Ausbilder in den Betrieben

Verpflichtende Ausbilderprüfungen und Ausbilderkurse sollen vorgesehen werden. Alle mit der Lehrlingsausbildung in den Betrieben beschäftigten Ausbilder und Ausbilderinnen sollen eine Ausbildung erhalten. Weiters soll eine verpflichtende Weiterbildung in Seminaren von zumindest einer Woche innerhalb von 3 Jahren vorgesehen werden.

In Österreich gibt es ein Positivbeispiel zur Qualifizierung von Ausbildern in der Lehrlingsausbildung in Tirol. Das Ausbilderforum Tirol ist ein Pilotprojekt zur Vernetzung der Aktivitäten von Lehrlingsausbildern und -ausbilderinnen zum Zweck der Weiterbildung in fachlicher und pädagogisch-didaktischer Hinsicht.

5. Finanzierung der Ausbildung

Die einzelbetriebliche Finanzierung kann in der Summe die Lehrlingsausbildung nicht sicherstellen. Die gut qualifizierenden Lehrberechtigten (z. B. Lehrwerkstätten) mit höheren finanziellen Aufwänden ziehen sich aus der Lehrlingsausbildung zurück.

Die Lehrberechtigten mit unterdurchschnittlicher bzw. mangelhafter Ausbildung und Erträgen aus der Lehrlingsausbildung bleiben. Daher sind öffentliche Förderungen nach dem Gießkannenprinzip zutiefst ungerecht und führen auch nicht zu dem gewünschten Effekt in einer Steigerung von angebotenen Lehrstellen.

Trotz Förderungen (AMS-Förderungen, Steuerfreibeträge, Bezahlung der UV-Beiträge im 1. Lehrjahr und Bezahlung der KV-Beiträge für die Arbeitgeber) sank in den letzten Jahren die Zahl der angebotenen Lehrstellen. Die öffentliche Finanzierung der Lehrlingsausbildung über Förderungen etc. stößt daher an ihre Grenzen. An eine Herabsenkung von Qualifikationen zur Steigerung der Zahl der Lehrplätze ist aber im Interesse der Lehrlinge und ihrer Arbeitsmarktchancen nicht zu denken.

Finanzielle Mittel werden daher für

  • die Sicherstellung von Ausbildungsplätzen für alle Jugendlichen und
  • die Sicherung der Qualität in der Lehrlingsausbildung

benötigt.

Daher ist die Finanzierung der Lehrlingsausbildung in Zukunft über den Lastenausgleich zwischen ausbildenden und nichtausbildenden Betrieben notwendig.

Qualitativ hoch stehende Ausbildungsleistungen sollen aus dem Lastenausgleich finanziert werden: Direktzahlungen für Lehrverhältnisse nach bestandener Lehrabschlussprüfung; Direktzahlungen zur Unterstützung von Ausbildungsverbünden.

Auch Zusatzleistungen zur Unterstützung von arbeitslosen Jugendlichen sollen aus dem Lastenausgleich finanziert werden: Finanzierung von selbständigen Ausbildungseinrichtungen; Finanzierung von Stiftungen.

» Öffentliche Förderungen nach dem Gießkannenprinzip sind zutiefst ungerecht ...«

Neben den durch einen Lastenausgleich aufgebrachten finanziellen Mitteln sollen zusätzlich auch Förderungen durch die öffentliche Hand zur Finanzierung von Qualifikationsmaßnahmen bereitgestellt werden (öffentliche Förderungen für branchenbezogene und regionale Modelle des Lastenausgleichs).

Die Finanzierung der notwendigen Stiftungs- und Lehrgangsplätze, aber auch der qualitativ hoch stehenden Ausbildungsleistungen der Betriebe im dualen System soll durch einen Berufsausbildungsfonds und durch an Qualitätskriterien gebundene öffentliche Förderung sichergestellt werden.

Der Fonds soll aus Beiträgen der Dienstgeber dotiert werden. Positives Beispiel: Lastenausgleich in der Metall- und Elektroindustrie in Vorarlberg.

Worum geht’s?

Nichts Neues auf dem Lehrstellenmarkt - die Situation ist weiterhin angespannt! Seit Jahren schon dasselbe Bild: Das Angebot an Lehrstellen geht zurück, der Überhang der Lehrstellensuchenden wird immer größer.

Trotz verschiedenster Anreize und Vergünstigungen stiehlt sich die Wirtschaft aus ihrer Verantwortung für junge, ausbildungssuchende Menschen davon. Auch die so genannten Wachstumsbranchen bilden da keine Ausnahme, insbesondere in den IT-Berufen klafft trotz des hohen Bedarfs an ausgebildeten Fachkräften eine große Lücke an Ausbildungsplätzen.

Die Angebotskrise auf dem Lehrstellenmarkt zeigt sich aber auch in den Bereichen Gewerbe, Handel und Transport, Verkehr und Telekommunikation. Die Regierung ist auch keine Hilfe: Im Auffangnetz gibt es immer weniger Ausbildungsplätze, Bundesmittel zur Finanzierung von Lehrgangsplätzen sind rar und die Lehrbetriebe werden nur nach dem Gießkannenprinzip gefördert.

ÖGB, AK und Gewerkschaftsjugend fordern ein Recht auf qualifizierte Ausbildung für alle Jugendlichen, den Erhalt und Ausbau der dualen Ausbildung sowie gesicherte Berufschancen auf dem Arbeitsmarkt für alle Lehrabsolventen.

(Ch)

siehe auch G. Müller: »Bleib i halt daham!« in »A&W« 5/02

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Arthur Baier (Leiter der Abteilung Lehrlings- und Jugendschutz in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Sep 2002 00:00:00 +0200 1192029249136 Vogel Strauß als Pate der Regierungspolitik | Handeln statt schönreden - Arbeitslosigkeit bekämpfen! Um 17,6 Prozent ist die Arbeitslosigkeit im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Zusätzlich 29.000 Menschen, die ohne Job dastehen, insgesamt sind es inzwischen wieder fast 200.000 Arbeitslose.

Ihnen gegenüber stehen nicht einmal 25.000 beim AMS gemeldete offene Stellen. Dennoch, es klingt fast paradox, klagen Unternehmen gleichzeitig über einen zunehmenden Mangel an Fachkräften.

Mehr als die Hälfte der Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen, brauchen laut einer Umfrage des Fessel-GfK-Instituts qualifizierte Arbeitnehmer, die sie in diesem Ausmaß auf dem Arbeitsmarkt nicht vorfinden.

Qualifizierung wird eingespart

Statt in dieser Situation schon kurzfristig alle Mittel freizuschaufeln und in eine umfassende Qualifizierung von Arbeitslosen und von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten zu investieren, hat die Regierung die Gelder für aktive Arbeitsmarktpolitik eingefroren und damit real sogar gekürzt - pro Arbeitslosen stehen im heurigen Jahr um mehr als 7 Prozent weniger Mittel für Aus- und Weiterbildung zur Verfügung!

Statt der dringend nötigen Aufstockung der Mittel wird dieArbeitslosenversicherung von dieser Regierung weiter ausgeräumt und Milliardenbeträge - allein in den Jahren 2001 und 2002 mehr als 2 Milliarden EUR - zweckwidrig zur kurzfristigen Stopfung von Budgetlöchern missbraucht.

Arbeitslosenversicherung wird ins Defizit getrieben!

Trotz bereits durchgeführter Kürzungen bei Arbeitslosengeld und Notstandshilfe droht die Arbeitslosenversicherung damit schon heuer in ein Defizit in Höhe von 800 Millionen e zu schlittern.

Was diese Regierung einzig zu der Konsequenz veranlasst, über den genauen Zeitpunkt für die den Unternehmern versprochene Senkung der Dienstgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung herumzulavieren, statt endgültig davon Abstand zu nehmen! Dabei geht es um alles andere als um Peanuts, denn die angekündigte Lohnnebenkostensenkung von 0,5 Prozentpunkten würde der Arbeitslosenversicherung jährlich zusätzlich und dauerhaft weitere fast 330 Milliarden EUR entziehen.

Politik der kurzsichtigen Ideologie

Enorme Geldbeträge also, die wegen der Verschiebungen in der Altersstruktur der Erwerbstätigen auch mittelfristig dringend für verstärkte Qualifizierungsmaßnahmen gebraucht werden. Denn die Zahl der Beschäftigten, die jünger als 40 Jahre sind, wird schon bis zum Jahr 2005 um ca. 57.000 sinken, während die über 40-jährigen Beschäftigten dann um 83.000 mehr sein werden. Die derzeitige Strategie der Unternehmen, sich vor allem junge Fachkräfte zu holen, wird nicht zuletzt auch deshalb immer weniger aufgehen.

Nicht einmal das von den Unternehmen gern betriebene Schielen auf ausländische Fachkräfte wird diese Probleme auf Dauer lösen können, denn letztlich verzeichnen alle europäischen Staaten - auch die im Osten - die gleiche Entwicklung in der Altersstruktur. Doch das, was in dieser Situation kurz- wie auch mittelfristig geradezu auf der Hand liegt, unterbleibt: Die Qualifikation der von Arbeitslosigkeit bedrohten und betroffenen Arbeitnehmer, auch älteren Jahrgangs, hin zu Berufen, wo Fachkräfte gesucht werden.

Vogel Strauß als Pate der Politik

Damit werden aber nicht nur den Arbeitnehmern Chancen auf dem Arbeitsmarkt vorenthalten, sondern auch die Arbeitgeber schneiden sich damit letztlich ins eigene Fleisch. Denn sie sparen sich vielleicht ein paar Euro Lohnnebenkosten bei ihren Mitarbeitern, müssen aber auf die gesamte Wertschöpfung der fehlenden Fachkräfte verzichten!

Vor diesem Hintergrund ist die geplante Lohnnebenkostensenkung in der Tat eine Politik der reinen Ideologie, bei der Vogel Strauß Pate steht.

Beschäftigungswachstum ankurbeln

Neben einer umfassenden Qualifizierungsoffensive ist es darüber hinaus dringend nötig, das Wirtschaftswachstum nachhaltig zu stärken, um insgesamt zu einem höheren Beschäftigungswachstum zu gelangen.

Aber auch in diesem Zusammenhang ist die von der Wirtschaft als Allheilmittel gepriesene Lohnnebenkostensenkung alles andere als notwendig, wie sämtliche Wirtschaftsdaten belegen. Denn die österreichische Exportwirtschaft hat kein Wettbewerbsproblem, schon gar nicht wegen der Lohnnebenkosten, wie uns Unternehmervertreter gern weismachen wollen. Im Gegenteil.

Wettbewerbsfähigkeit ist besser denn je!

Denn bei der Wettbewerbsfähigkeit, die international über die so genannten Lohnstückkosten verglichen wird, liegt Österreich ohnehin im europäischen Spitzenfeld, nur Irland liegt noch vor uns. Zwischen 1995 und 2000 sind die Lohnstückkosten gegenüber unseren wichtigsten Handelspartnern um 15 Prozent gesunken! Nicht umsonst haben die Exporte zwischen 1995 und 2001 um insgesamt real fast 65 Prozent zugelegt.

Von mangelnder Wettbewerbsfähigkeit kann da wohl keine Rede sein. Aus wirtschaftlichen Gründen ist eine Lohnnebenkostensenkung daher überhaupt nicht notwendig! Sie würde bestenfalls in höheren Gewinnen verpuffen und obendrein die Sozialtöpfe massiv belasten, was in der Folge über Leistungskürzungen auch die heimische Kaufkraft schwächen würde!

Schwaches Wirtschaftswachstum wegen schwacher Kaufkraft

Wie stark die private Konsumnachfrage das Wachstum unserer Gesamtwirtschaft beeinflusst, zeigt der Vergleich zwischen Wirtschaftswachstum und Entwicklung des Privatkonsums, die beide nahezu identisch nur mäßige Steigerungen vorweisen, während die Exporte enorm zulegen konnten (siehe Grafik 1: »Nur mäßiges Wachstum von Konsumnachfrage und Gesamtwirtschaft«).

Mit einer Politik, die die private Kaufkraft stärkt, könnte unser Wirtschaftswachstum also maßgeblich erhöht und Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft werden.

Heimischer Konsum muss gestärkt werden!

Nicht die Exporte sind es also, die eine weitere Stärkung brauchen, sondern in der inländischen Kaufkraft liegt der Schlüssel zu mehr Wachstum und Beschäftigung. Denn die gesamtwirtschaftliche Entwicklung hängt ganz entscheidend von der heimischen Konsumnachfrage, und diese wiederum ganz wesentlich von den Löhnen und Gehältern ab.

Der private Konsum war die Lokomotive, die Österreich auf die Überholspur der wirtschaftsstärksten Nationen brachte. Gerade jetzt, in Zeiten der internationalen Konjunkturschwäche, ist die private Nachfrage der entscheidende Faktor, der im Inland für einen nachhaltigen wirtschaftlichen Aufschwung sorgen kann.

Löhne und Gehälter müssen steigen!

Dass die privaten Konsumausgaben in den letzten Jahren nicht völlig eingebrochen sind, sondern zwischen 1995 und 2001 mit plus 25,2 Prozent das Wachstum der Gesamtwirtschaft mit nominell plus 22,3 Prozent leicht übertroffen haben, liegt nicht etwa an der guten Entwicklung der Löhne und Gehälter. Denn die Bruttolohnsumme stieg nominell im selben Zeitraum lediglich um 18,4 Prozent. Die Nettolohnsumme, also nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben, wuchs in Folge der Belastungspolitik der Regierung gar nur um 17,7 Prozent (siehe Grafik 2: »Zurückbleibende Löhne belasten Kaufkraft«)!

Nur der Umstand, dass die Arbeitnehmer in den letzten Jahren deutlich weniger gespart haben, hat tiefere Einbrüche in der privaten Konsumnachfrage verhindern können (siehe Grafik 3: »Sinkende Sparquote verhindert Konsumeinbruch«).

Aber irgendwann ist das Sparschwein leer, und dann sind weitere Wachstumseinbrüche zu befürchten, wenn nicht endlich die private Konsumnachfrage als noch immer wichtigste Wirtschaftssäule ernst genommen und gestärkt wird!

Belastungspolitik schwächt Kaufkraft und Wirtschaftswachstum

Die Belastungspolitik der Regierung bei den kleinen und mittleren Einkommen hat die Kaufkraft aber zusätzlich gewaltig belastet. Während die Lohnsumme zwischen 2000 und 2002 laut den jüngsten Prognosen nur um 6,2 Prozent steigen wird, explodiert das Lohnsteueraufkommen laut Budgetansatz des Finanzministers im selben Zeitraum mit einem Zuwachs von plus 18 Prozent! Es sind aber gerade die kleinen und mittleren Einkommen, von denen der überwiegende Teil als Nachfrage wirksam wird.

Mit der Belastungspolitik hat die Regierung mutwillig Wachstumschancen verspielt und dafür gesorgt, dass Österreich vom wirtschaftlichen Vorreiter zum Nachzügler in der EU geworden ist (siehe Grafik 4: »Von der Überholspur auf die Kriechspur wegen Belastung der Kaufkraft«)!

Während bei der wirtschaftlich überhaupt nicht nötigen, ja für Sozialstaat und Qualifizierung vielmehr gefährlichen Lohnnebenkostensenkung im Moment seitens der Regierung lediglich der Zeitpunkt zur Debatte steht, wird die angekündigte Steuerreform umgehend in Verbindung gebracht mit neuen Belastungspaketen für die Bevölkerung. Unterm Strich droht die Gefahr, dass diese Regierung die Kaufkraft nicht wirklich stärken will, sondern wieder einmal nur Klientelpolitik und Umverteilung von unten nach oben anstrebt.

Daher: Qualifizierungsoffensive und Kaufkraftstärkung!

Dabei liegt klar auf der Hand, was es nun dringend zu tun gilt:

  • Statt Senkung der Lohnnebenkosten in der Arbeitslosenversicherung Verwendung der dafür vorgesehenen Gelder für Qualifizierung von Arbeitslosen und Beschäftigten durch das AMS; sofortige Verwendung der bestehenden Arbeitsmarktrücklage des AMS von rund 109 Millionen e, um jetzt für den Aufschwung Arbeitskräfte zu qualifizieren.
  • Wiederaufbau von Arbeitsmarktrücklagen auf 500 Millionen e aus den Überschüssen der Arbeitslosenversicherung in den nächsten beiden Jahren, statt diese Gelder wieder für das Bundesbudget abzuschöpfen.
  • Lohnsteigerungen, die nicht nur die Inflation abfangen, sondern den Arbeitnehmern darüber hinaus einen gerechten Anteil an den Produktivitätssteigerungen abgelten, wie es die Gewerkschaften fordern.
  • Rasche und deutliche steuerliche Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen ohne darauf folgende Belastungspakete!

Worum geht’s?

Die Regierung bekommt die steigende Arbeitslosigkeit nicht in den Griff.

Die Tatsache, dass es den meisten anderen EU-Staaten genauso ergeht, ist da nur ein schwacher Trost.

Paradox wird die Situation dadurch, dass die heimischen Unternehmen gleichzeitig über einen zunehmenden Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften klagen.

ÖGB und AK fordern daher volle Kraft und Konzentration auf die Aus- und Weiterbildung der Arbeitnehmer sowie eine aktive Wachstums- und Beschäftigungspolitik.

Die Regierung dagegen verehrt lieber das Nulldefizit als heilige Kuh und räumt die Sozialtöpfe aus.

Die Senkung der Lohnnebenkosten ist der Regierung wichtiger als eine umfassende Qualifizierungsoffensive. Sie übersieht dabei, dass Österreich bei der Wettbewerbsfähigkeit ohnehin schon im absoluten europäischen Spitzenfeld liegt.

Die inländische Kaufkraft ist der Schlüssel zu mehr Wachstum und Beschäftigung, und diese wiederum hängt ganz wesentlich von den Löhnen und Gehältern ab.

(Ch)

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Elisabeth Buchinger (Referentin der wirtschaftspolitischen Abteilung der AK Oberösterreich) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1192029249068 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1192029249076 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1192029249093 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Oct 2002 00:00:00 +0200 1192029248584 Hütchenspiel und Kettenbrief Dem wäre fast nichts hinzuzufügen. Das Kettenbriefe massiver Betrug sind, mit dem nur noch ganz begnadete Bauernfänger operieren können, weiß inzwischen (fast) jeder. Ums Hütchenspiel wissen wir auch Bescheid, doch was die Erwartungen an die Börse betrifft, bleibt uns immer wieder der Mund offen. Ob Unternehmen durch Banken oder durch Aktien finanziert werden, ist Jacke wie Hose, könnte man meinen. Wie Günther Chaloupek in seinem Beitrag auf Seite 10 erklärt, wollen wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und aus Formen des Versagens der Finanzmärkte deren Abschaffung folgern und fordern. Aber wie es diesen großen Firmen über Jahre gelungen ist, riesige Potemkinsche Dörfer aufzubauen, deren Fundamente Kursmanipulation, Bilanzfälschung und Betrug waren, mit denen die »Finanzwelt« getäuscht wurde, - das ist schon sagenhaft.

Was die Prinzipien von Wettbüro, Hütchenspiel und Kettenbrief betrifft, denen man versucht hat, in der gesamten Ökonomie Geltung zu verschaffen, so geht obiges Zitat noch weiter: »… was, wenn es gelungen wäre, den Unterhaltungswert und die journalistische Ergiebigkeit der Welt noch erheblich gesteigert hätte.«

Geschmäcker und Ohrfeigen sind bekanntlich verschieden. Aber wenn ich zusehen muss, wie Arbeitnehmer um ihre Pensionen betrogen werden, fühle ich mich nicht unterhalten, sondern eher gequält, weil bei mir ein empathisches Gefühl vorherrscht und es mir nicht an Fantasie fehlt, um mir vorzustellen, wie sich die um ihre Pensionen geprellten nun fühlen und wie es ihnen geht.

In der internationalen Politik ist immer wieder von »Schurkenstaaten« (rogue-states) die Rede. Die wahren Schurken sitzen aber in den Führungsetagen dieser nunmehr entlarvten Firmen und Konzerne. Und auf die Gefahr eines allgemeinen Aufschreis hin behaupte ich nun einmal, das dies nur die Spitze einer Art von »Eisberg« ist. Die Rede ist von »Bubble-« oder Seifenblasenökonomie bzw. der »Aktienblase« (Spiegel), wo der schöne Schein überwiegt. Nicht umsonst gibt es immer mehr Stimmen, die über eine kommende große Krise sprechen, obwohl es dann andere gibt, die so tun, als habe man den Namen des »Gottseibeiuns« ausgesprochen und uns alle der Gefahr ausgesetzt, dass er uns hört und uns wirklich heimsucht.

Und überhaupt die Finanzkonzerne:
»Am 2. Juli 1997 haben amerikanische und europäische Finanzkonzerne das asiatische Wirtschaftswunder zerstört. Unter dem Druck der Spekulation musste die thailändische Regierung die Bindung der nationalen Währung an den Dollar aufgeben. Innerhalb weniger Stunden fiel der Wert des (thailändischen) Baht gegenüber dem amerikanischen Dollar um mehr als 20%, innerhalb weniger Wochen um mehr als 50%. Innerhalb der folgenden 6 Monate werteten die philippinische Währung um 42%, die malaysische um 46%, die südkoreanische um 55% und die indonesische sogar um 84% ab … Das in internationalem Geld ausgedrückte Volksvermögen Thailands schrumpfte in kürzester Frist auf weniger als die Hälfte, in Indonesien auf knapp ein Fünftel. Die Folgen für die Menschen in den betreffenden Ländern waren katastrophal …« (zitiert aus Jörg Huffschmid: »Die politische Ökonomie der Finanzmärkte«, VSA-Verlag).

Der Autor schildert dann, wie das internationale Finanzkapital weiterzieht: Russland, Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Argentinien, Uruguay …

Die Gewinnperspektive für Finanzanleger, also für Banken, Investmentfonds, Versicherungen, Wertpapierhäuser: unter ihrem Druck betreiben auch die Regierungen im »unierten Europa« eine fundamentalistische Stabilitätspolitik, die wachs-tums- und beschäftigungsfeindlich ist …

Die Arbeitslosenzahlen in unserem Land sprechen für sich, und wenn man von der derzeitigen Regierung Stimmen hört in der Art wie, die Arbeitslosigkeit ist bei uns gar nicht »sooo« schlimm, weil woanders in Europa ist sie noch viel viel schlimmer, so ist das zumindest für die Betroffenen und ihre Angehörigen wahrlich kein Trost.

Wollen Sie Ihre Zukunft einem Pensionsfonds anvertrauen? Einem Fonds, dessen Kapital auf der Suche nach schnellen Gewinnen um die Welt saust und woanders vielleicht ganze Volkswirtschaften zerstört? Derzeit werden private Pensionen wegen der sinkenden Kurse an den Börsen gekürzt, doch die derzeitige Regierung will eine private Pensionsvorsorge einführen, wobei 60 Prozent des Kapitals in Aktien angelegt werden.

Die »strahlende Zukunft« als Seifenblase? An der Wall Street, an den Börsen von Buenos Aires oder Montevideo? Nach der Bruchlandung der Neuen Ökonomie hält die »Zeit der Schurken« an …

In einer Erklärung von Renate Csörgits, Vorstandsmitglied des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG), heißt des unter anderem: »Mit wachsender Sorge beobachtet der ÖGB die Maßnahmen der US-Administration zur Vorbereitung einer Militärintervention in einer der explosivsten und sensibelsten Regionen der Welt, die mit hoher Sicherheit folgenschwere Konsequenzen von globalem Ausmaß nach sich ziehen würde.

In einer Zeit, in welcher täglich neue, dramatische Meldungen über Wirtschaftskrisen, Zusammenbrüche von Weltkonzernen und damit einhergehende schwere Schäden für alle Menschen eintreffen, wäre ein solcher Schritt der denkbar folgenschwerste Irrtum einer völlig falsch verstandenen Weltpolitik. Die ungeheuren Kosten einer solchen Militärintervention würden zudem in vielen Staaten die finanziellen Möglichkeiten weiter beschneiden, um die Schaffung von sinnvollen Sozial und -Beschäftigungsprogrammen durchzuführen oder in Angriff zu nehmen …»
So ist es.

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Siegfried Sorz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Oct 2002 00:00:00 +0200 1192029248567 Liebe Leserin, lieber Leser! »Kann sich das auf die Sicherheit meines Arbeitsplatzes oder auf meine Pension auswirken?« Für die Antwort findet er diesmal gleich drei Beiträge, die sich auf verschiedene Art mit diesen Aspekten unseres Wirtschaftssystems beschäftigen. Die Frage, die sich letzten Endes aus dem allen ergibt, lautet: »Leben wir wirklich in der besten aller Welten oder könnte man da und dort doch noch etwas verbessern?« Eine Frage, die ein jeder für sich beantworten muss, nicht nur weil wir hier in den Bereich der vielgeschmähten »Visionen« geraten, sondern weil man das auch als eine philosophische Frage ohne Ende behandeln könnte ... Aber zumindest was den Börsenkapitalismus oder die Absicherung unserer Pensionen betrifft, sind Verbesserungen durchaus vorstellbar und werden in diesem Heft auch beschrieben. Auch die Zustände mit den Schwarzarbeitgebern, denen zwei weitere Beiträge gewidmet sind, wären sehr stark verbesserbar, vor allem dann, wenn man erkennt, das unsere Gesellschaft und die Welt, in der wir leben, nichts Statisches ist, sondern einem ständigen Wandel unterzogen ist. Auf diesen Wandel kann jeder einzelne von uns einwirken. Aber das ist für dich, liebe Leserin, lieber Leser, nichts Neues, denn sonst hättest du dich nicht in den Betriebsrat wählen lassen. »Oder?« fragt für sich und das Redaktionsteam

Siegfried Sorz

PS. Der Dollarschein auf dem Titelbild, der zum Papierflieger gefaltet ist, hat nichts mit diversen Bombenflugzeugen zu tun. Oder doch?

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Tue, 15 Oct 2002 00:00:00 +0200 1192029248504 Schmutzige Geschäfte | Schwarzarbeit als »Undercover-Sozialforscher« erlebt Vor einigen Jahren mischte ich mich unter polnische Zuwanderer, die auch heute noch zu Dutzenden in der Herbststraße in Wien stehen, obwohl das ehemals größte Arbeitsamt des Landes längst abgesiedelt worden ist. Die Männer platzieren sich nach wie vor einzeln oder in kleinen Gruppen am Straßenrand und warten auf Arbeitsaufträge. Auch ich stellte mich ab 6 Uhr früh in die Herbststraße und versuchte wiederholt mein Glück. Durch meine guten deutschen Sprachkenntnisse war es für mich nicht besonders schwierig, von Auftraggebern engagiert zu werden.

Vom Arbeiterstrich zur Schwarzarbeit

Meist nähern sich die Arbeitgeber in Autos, verlangsamen das Tempo, bleiben stehen, kurbeln das Seitenfenster herunter und dann heißt es schnell reagieren, auf die Fahrerseite laufen, sich anhören, um welchen Auftrag es sich handelt und ohne zu zögern zusagen. Nicht wenige Anbieter von Arbeit stellen, um Aufsehen zu vermeiden, ihren Pkw in einer Seitengasse ab, nähern sich zu Fuß den Wartenden und sprechen sie an, ob sie an einer bestimmten Arbeit interessiert seien.

Bei den Jobs handelt es sich rund zur Hälfte um Aufträge von Privatpersonen und zur anderen Hälfte um Aufträge von Firmen. So wurde ich wiederholt für Gartenarbeiten in der Herbststraße abgeholt. Oft hatte ich allein oder mit anderen Kollegen gemeinsam frische Erde in Gartensiedlungen aufzutragen. Die schwere, feuchte Erde musste dabei über mehr oder weniger weite Strecken in Schubkarren herangeschafft werden.

Großzügig?

Die privaten Auftraggeber zahlen meist zwischen 3,50 und 5 Euro und kommen sich bei diesem Stundenlohn durchwegs großzügig vor. Sie verweisen dabei gerne auf die vergleichsweise niedrigen Gehälter in den Herkunftsländern der Helfer aus dem Osten. Allerdings berücksichtigt diese Rechtfertigung der Bezahlung nicht, dass das Leben in Wien im Vergleich zu den Herkunftsorten viel teurer ist. Schwarzarbeiter, die in Wien leben, müssen für ein Bett in einer Unterkunft zwischen 100 und 150 Euro zahlen, sich aus den hiesigen Märkten mit Lebensmitteln versorgen und für die Fahrtkosten hierzulande aufkommen. Die Selbstzufriedenheit der privaten Auftraggeber ist, was ihre Zahlungsmoral anlangt, völlig unangebracht.

Bei qualifizierteren Arbeiten für private Auftraggeber, etwa für Elektro-, Installateur-, Fliesen-, Maler- und Maurerarbeiten, kann es Schwarzarbeitern gelingen, gleich über einen längeren Zeitraum mit Auftragsarbeiten versorgt zu werden. Durch die Mundpropaganda, verbunden mit einer guten Erreichbarkeit über Handy, schaffen es tüchtige Schwarzarbeiterpartien, von Häuselbauer zu Häuselbauer weiterempfohlen zu werden. Sie sind auf das Stehen in der Herbststraße, das manchmal auch gefährlich sein kann, weil die Polizei Kontrollen durchführt, nicht mehr angewiesen.

Schwarzarbeit für Firmen

Nicht nur private Auftraggeber holen sich bei Bedarf Schwarzarbeiter aus der Herbststraße, es kommen auch Firmenautos, die auf ihrem Weg zur Baustelle tüchtige Helfer vom Arbeiterstrich abholen. Oft handelt es sich dabei um anstrengende und meist auch unangenehme Hilfsarbeiten. Das Schleppen von Gipsplatten für den Innenausbau gehört etwa ebenso dazu wie das staubige Ausräumen von Kellern und Dachböden.

Einmal wurde ich von zwei Schlossern engagiert. Sie hatten von ihrem Chef den Auftrag, sich einen Helfer von der Herbststraße zu holen, der ihnen bei der Montage von Stiegengeländern behilflich sein sollte. Ein anderes Mal arbeitete ich zusammen mit einem Schwarzarbeiter aus Polen für eine Installateurfirma. Zu zweit hatten wir den Auftrag, alte Öltanks aus verstaubten Kellerräumen zu schaffen. Bei dieser Arbeit wurden wir total schmutzig. Unsere private Straßenkleidung mussten wir nach diesem Einsatz entsorgen. Bei der Heimfahrt mit den öffentlichen Linien rückten die anderen Fahrgäste von uns wandelnden Ölfässern ab.

Ein anderes Mal durfte ich mit Schwarzarbeiterkollegen beim Abladen eines Lebensmitteltransportes helfen. Die schweren Reissäcke und Kartons mit Dosen mussten vom Lkw gehoben, über enge Stiegen getragen und in einem knapp bemessenen Lagerraum verstaut werden. Wir arbeiteten ohne Pause durch und waren nach vier Stunden mit der Arbeit fertig. Der Lohn: magere 5 Euro.

Auch von einer Baufirma wurde ich eines Morgens in der Herbststraße aufgelesen. Ein Bauarbeiter brachte mich mit seinem privaten Pkw zur Baustelle in Wien-Floridsdorf. Ein kleines Einfamilienhaus wurde komplett renoviert. Ich hatte die Aufgabe, den alten Estrichboden in den Kellerräumen herauszureißen. Zunächst musste ich den Boden mit einem Fäustl brechen, den Schutt in Kübel füllen, ihn über viele Stufen hinaufschleppen und in den Müllcontainer schütten. Danach wurde ich beauftragt, Beton zu mischen und den Maurern als Helfer zur Verfügung zu stehen.

Später wurde ich eingeladen, gleich zur nächsten Baustelle mitzuziehen. Diesmal handelte es sich um ein mehrstöckiges Mietshaus in Wien-Ottakring, das ebenfalls komplett renoviert wurde. Meine Aufgabe und die meiner zwei weiteren Schwarzarbeiterkollegen bestand darin, den alten Putz im Stiegenhaus und in den unappetitlichen WC-Anlagen abzuschlagen, den Maurern zwischendurch Baumaterialien und Werkzeuge zu reichen, die schweren Gipsplatten in die einzelnen Stockwerke zu zerren und bei Lkw-Lieferungen beim Abladen behilflich zu sein.

Interessant an dieser Firmentätigkeit war, dass die Baufirma selbst nur ausgebildete Maurer in einem Anstellungsverhältnis beschäftigte und alle Hilfskräfte, die nun mal auch zu einer Baustelle gehören, schwarz requirierte. Meine beiden Kollegen freuten sich über die Arbeits- und Verdienstmöglichkeit. Einer stammte aus Polen und der zweite war ein knapp 60-jähriger Arbeiter aus Kroatien, der, wie er mir gegenüber angab, keine Chance mehr hatte, auf dem Arbeitsmarkt regulär unterzukommen. Er war froh, dass er wenigstens schwarz auf eine regelmäßige Beschäftigung hoffen konnte. Er sparte Mietkosten und nächtigte auf dem Dachboden des alten Hauses, wo er sich mit einer Matratze und Baumaterialien gemütlich eingerichtet hatte. An heißen Tagen war es jedoch unmöglich, auf dem Dachboden zu schlafen, so nächtigte er auf dem Balkon, fiel dort argwöhnischen Anrainern auf, die sofort die Polizei alarmierten. Nach dem Polizeieinsatz musste mein Kollege sein Quartier aufgeben, er fand später über einen Bekannten Unterschlupf in einer Gemeindewohnung, die vom eigentlichen Mieter illegalerweise in Untermiete vergeben wurde.

Jeden Freitag war Zahltag. Der Polier ließ sich an diesem Tag kaum auf der Baustelle blicken und kam erst nach Arbeitsschluss. Mit der Auszahlung hatte er es nicht eilig. Irgendwann stellte er sich zu uns, hatte auf einem Zettel Papier handschriftlich unsere Vornamen, Stundenanzahl und Auszahlbetrag draufgekritzelt und zählte uns aus einer dicken Kellnerbrieftasche einige wenige Scheine in die Hand. Pro Arbeitsstunde verdienten wir 4,50 Euro. Von den Arbeitsstunden wurde eine Stunde Mittagspause abgezogen, obwohl wir nur eine halbe Stunde pausieren durften, Überstunden wurden ab- und nicht aufgerundet und zählten als Normalarbeitszeit. Eine Beschwerde war zwecklos. Meine Kollegen waren immer froh, wenn uns der Polier nach der Auszahlung einlud, nächsten Montag wieder zu kommen.

Schwarzarbeit über Personalbereitstellungsfirmen

Nicht nur über die Herbststraße fand ich Zugang zur Schwarzarbeit, auch über Personalbereitstellungsfirmen kam ich mit vielen Schwarzarbeitern in Kontakt. Es gibt Personalbereitstellungsfirmen, die von ihren Arbeitern nur die Vornamen kennen und sie ohne anzumelden an Beschäftigerbetriebe verleihen. Anfangs glaubte ich, dass die Kundenfirmen über den Schwarzarbeiterstatus nicht im Bilde sind, doch in einer Kaffeerösterei, die regelmäßig Leiharbeiter beschäftigte, wurden wir vom Meister extra darauf hingewiesen, bei der Arbeit vorsichtig zu sein, denn wir wären ja nicht versichert. Die Kundenfirmen sind demnach sehr wohl im Bilde. Es gibt Leihfirmen, die Arbeiter beschäftigen, die von sich aus den Wunsch äußern, nicht angemeldet zu werden. Sie haben zumeist Unterhaltszahlungen zu leisten und deswegen ist es ihnen angenehm, wenn sie kein offizielles Einkommen aufs Konto überwiesen bekommen. Sie bevorzugen es, bar entweder täglich, wöchentlich oder maximal vierzehntägig ausbezahlt zu werden.

Doch selbst wenn Leiharbeiter angemeldet beschäftigt sein wollen, gehen manche Personalbereitstellungsfirmen nur widerwillig auf diese Wünsche ein. So musste ich einmal starken Druck entwickeln, damit die Leihfirma meine Lohnsteuerkarte entgegennahm. Angemeldet war ich in einer viel besseren Position. So war es vor meiner Anmeldung einige Male vorgekommen, dass ich wie meine Kollegen zwar um 6 Uhr früh in das Büro der Leihfirma gekommen war, dort jedoch nach drei Stunden Wartezeit keinen Arbeitsauftrag bekommen konnte und wie meine zahlreichen Kollegen unverrichteter Dinge nach Hause gehen musste.

Obwohl die Leihfirma an meiner Lohnsteuerkarte kein Interesse zeigte, betrachtete ich mich nicht als Schwarzarbeiter. Bei der wöchentlichen Stundenabrechnung forderte ich die Bezahlung der unfreiwilligen Arbeitspausen. Laut Arbeitskräfteüberlassungsgesetz muss die Leihfirma ihr Personal auch dann bezahlen, wenn sie keine Arbeitsaufträge hat. Hier geht es um die verbotene Abwälzung des Unternehmerrisikos auf die Arbeitnehmer. Anfangs wollten die Leihfirmen von meiner Forderung nichts wissen, aber schließlich zahlten sie doch einen Betrag für meine Arbeitsbereitschaft. Jetzt wurde die Geschäftsleitung auf mich aufmerksam, sie war erstaunt, dass ein Leiharbeiter an einer ordentlichen Anmeldung interessiert war. Erst jetzt durfte ich die Lohnsteuerkarte und einen Lichtbildausweis abliefern. Für mich änderte sich die Beschäftigungs- und Einkommenssituation gravierend, denn während meine Kollegen nach wie vor zwangsweise pausieren mussten, weil die Leihfirma nicht genug Arbeitsaufträge hatte, gab es für mich ab diesem Zeitpunkt jeden Tag einen Arbeitsauftrag. Die Firma wollte nicht wieder für meine bloße Arbeitsbereitschaft zahlen.

Rechtloser Zustand

An diesem Beispiel lässt sich deutlich die rechtliche Unsicherheit bei einer Schwarzarbeit aufzeigen. Schwarzarbeiter sind rechtlos, sie sind auf das Wohlwollen der Arbeitgeber angewiesen, sie können etwa nicht jeden Tag mit einem Arbeitsauftrag rechnen, sie müssen Zwangspausen einlegen. Als angemeldeter Leiharbeiter konnte ich auf meine Rechte pochen, meine Kollegen konnten das nicht.

Manchmal reduzieren die Auftraggeber den im Vorhinein vereinbarten Stundenlohn, wenn sie sehen, dass die Arbeit nicht in der erhofften Zeit fertig gestellt werden kann. Sie reduzieren nicht nur den Lohn, sondern auch den Personalstand. Am Abend nach der Auszahlung weisen sie etwa zwei Schwarzarbeiter an, meist handelt es sich um die Kräftigsten der Gruppe, am nächsten Tag wiederzukommen, während sie sich von den anderen verabschieden und sie so zurück zur Herbststraße bzw. Leihfirma schicken, wo sie erneut ihr Glück versuchen müssen.

Auch für qualifizierte Schwarzarbeiter gibt es keine Garantie, den vereinbarten Lohn zu bekommen. So erzählten mir Kollegen, dass sie ein allein stehendes, altes Haus in Niederösterreich instand setzen sollten. In der ersten Woche wurde ihnen ein kleiner Vorschuss gewährt, doch dann wurden sie drei weitere Wochen mit der Bezahlung vertröstet, und schließlich schaffte der Auftraggeber auch keine Baumaterialien mehr heran. Eines Tages näherte sich der Baustelle ein Gendarmerieauto. Die Schwarzarbeiter mussten, ihre Werkzeuge zurücklassend, von der Baustelle fliehen und sich möglichst ohne Aufsehen zu erregen nach Wien durchschlagen.

Dem Kurier vom 15. Mai 2002 entnehme ich eine kleine Notiz, wonach es wieder einmal gelungen ist, einen ausländischen Schwarzarbeiter und seinen inländischen Arbeitgeber bei Malerarbeiten in einem Haus aufzudecken. Der ausländische Schwarzarbeiter wird sofort in Schubhaft genommen, aus Österreich ausgewiesen und mit einem Einreiseverbot belegt, der inländische Arbeitgeber wiederum muss mit einer Anzeige rechnen.

An diesem Beispiel lässt sich erkennen, wer den größeren Schaden aus einem illegalen Arbeitsverhältnis zieht. Dem Mann, der jetzt in Untersuchungshaft sitzt, wird nicht nur seine Zukunft verbaut, er steht auch mit leeren Händen da. Sein Arbeitgeber wird ihn kaum noch schnell den ausstehenden Wochen- oder gar Monatslohn bezahlt haben. Das »ersparte« Geld deckt wahrscheinlich bereits einen Gutteil der Verwaltungsstrafe des Arbeitgebers ab. Schwarzarbeit ist ein Tauschgeschäft auf einer höchst unsicheren Basis mit einem sicheren Verlierer - dem Schwarzarbeitnehmer.

Schwarzarbeit bedeutet niedriges Einkommen bei hohem Arbeitseinsatz. Fällt dieser nicht zufrieden stellend aus, gehen Schwarzarbeiter ihrer Arbeit kurzfristig verlustig. Es gibt keinen Kündigungsschutz. Es gibt auch keine Arbeitszeitbeschränkung. In einem großen Papier verarbeitenden Betrieb lernte ich Schwarzarbeiter kennen, die gleich beide Schichten durcharbeiteten, um trotz ihres niedrigen Stundenlohnes auf ein einigermaßen akzeptables Einkommen zu kommen. In der zweiten Woche reduzierten sie ihr gewaltiges tägliches Arbeitspensum von 16 auf 14 Arbeitsstunden, weil sie die Strapazen körperlich nicht verkraften konnten.

Ausbeutung und Selbstausbeutung?

Die Einkommenssituation von Schwarzarbeitern kann oft nur dann zufrieden stellend gelöst werden, wenn alle Normalarbeitszeiten ignoriert werden und es die Möglichkeit für Überstunden gibt. Ein Beispiel dieser Strategie erlebte ich mittelbar durch eine befreundete Polin, die mit ihren Kolleginnen für einen Euro pro Stunde in einer Änderungsschneiderei arbeitete. Um auf einen halbwegs tolerierbaren Tageslohn zu kommen, durften die Frauen täglich zehn Stunden arbeiten.

In diesem Fall wurde sogar eine Wochenendzulage gewährt. Für die je zehnstündigen Arbeitseinsätze am Samstag bzw. am Sonntag bekamen sie zwei Euro Stundenlohn. Dieses »Zuckerl« war notwendig, denn sonst hätten selbst diese abhängigen Frauen an dieser Schwarzarbeit kein Interesse gezeigt und wären zu Hause geblieben.

Auch in diesem Betrieb kam es zu einer Kontrolle. Die Schwarzarbeiterinnen versteckten sich in Kästen, waren verängstigt, weinten. Sie kamen in U-Haft und wurden abgeschoben. Der Betriebsleiter, der zu einer Verwaltungsstrafe verurteilt wurde, sperrte die Firma zu und gab sich zahlungsunfähig. Es handelte sich um ein Subunternehmen, das für ein großes Kleiderhaus die notwendigen Änderungen durchführte. Unter einem anderen Namen mit einem neuem Betriebsleiter wurde wenig später wiederum eine Änderungsschneiderei eröffnet.

Das System der günstigen Übergabe von Arbeitsaufträgen eines Generalunternehmens an Subfirmen, die wiederum meist Schwarzarbeiter beschäftigen, spart nicht nur Lohnkosten, sondern auch Sozialabgaben und Steuern. Es ist interessant, dass es kaum ernsthafte Versuche gibt, der Schwarzarbeit effektiv zu Leibe zu rücken. Eine rechtlich verbindliche Klausel, wonach ein Generalunternehmen für die reelle Abwicklung des Projektauftrages verantwortlich gemacht wird, würde bereits genügen, um die systematische Ausnutzung von Schwarzarbeitnehmern zu verhindern, doch derartige einfache und konsensfähige Initiativen der Regierenden lassen beharrlich auf sich warten.

So passierte es mir einmal, dass ich als Helfer einer kleinen Subfirma beim Aufstellen von Zwischenwänden gebraucht wurde. Der Chef versprach mir, anstatt am Freitag am Montag das versprochene Geld zu zahlen. Am Montag stand ich jedoch allein auf der Baustelle, denn meine Firma hatte die Arbeiten übers Wochenende abgeschlossen und war für mich nicht mehr ausfindig zu machen.

In solchen und ähnlich gelagerten Fällen müsste es die Möglichkeit geben, dass Schwarzarbeiter dennoch ihre Forderungen stellen und die betreffenden Arbeitgeber zur Nachzahlung eines korrekten Lohnes samt Lohnnebenkosten gedrängt werden. Nicht nur die Steuer- und Sozialabgaben müssten nachgefordert werden, sondern die betreffenden Schwarzarbeiter müssten ihre tatsächlichen Löhne zugesprochen erhalten. Dadurch könnten Schwarzarbeitnehmer die Rolle von wertvollen Zeugen bei gerichtlichen Verhandlungen einnehmen und nicht diejenige von kriminellen Menschen, die aus Mangel an legalen Möglichkeiten, einen Arbeitsvertrag zu schließen, auf illegale Beschäftigungsmöglichkeiten angewiesen sind und dabei, wie meine eigenen Erfahrungen zeigen, schamlos ausgebeutet werden.

Unterschiedliche Abhängigkeit von Schwarzarbeit

Diese Beispiele von Schwarzarbeit unterscheiden sich in vielen Punkten vom so genannten »Pfusch«, der meist von Handwerkern neben ihrer legalen Erwerbsarbeit geleistet wird. Maler, Maurer, Fliesenleger, Installateure, Tischler, Elektriker, Friseure, Mechaniker etc. nutzen verschiedentlich die Möglichkeit, in der Verwandtschaft, aber auch darüber hinausgehend, ihre besonderen beruflichen Fähigkeiten in der Freizeit einzusetzen, um sich ein Zubrot zu verdienen.

Diese Gruppe von »Pfuschern« hat die Freiheit, die Arbeitsaufträge aus ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis anzunehmen oder nicht, sie stehen in der Regel im Vergleich zur zuvor besprochenen Schwarzarbeit in keinem Abhängigkeitsverhältnis zur Schwarzarbeit. Die Motive für ein zusätzliches berufliches Engagement über die berufliche Tätigkeit in der Firma hinaus liegen meist im damit verbundenen höheren Einkommen. Das Geld aus der Pfuscharbeit ist aus der Sicht der Betroffenen steuerfrei und erleichtert es oft maßgeblich, einen höheren Lebensstandard zu erreichen. So erzählte mir ein Maler, der gerne Pfuscharbeiten nach der Arbeit oder übers Wochenende ausführt, dass er sich als Ausgleich dafür im Urlaub nichts abgehen lässt. Er steigt in den teuersten Hotels ab und fühlt sich als echter »Sir«.

Einige Firmen wissen genau über das »Freizeitverhalten« ihrer Arbeitnehmer Bescheid. Sie stellen sogar das Material zu günstigen Konditionen ihren Arbeitnehmern zur Verfügung. Für dieses Entgegenkommen geben sich viele Arbeiter mit einem niedrigen Ist-Lohn zufrieden. Pfuscharbeit fungiert hier als Ventil für eine unbefriedigende Entlohnung.

Es gilt festzuhalten, dass in der Schwarzarbeit oft Profis am Werk sind, die zu ihrem Einkommen im Beruf noch zusätzlich private Aufträge annehmen und damit Geld verdienen. Dazu zählen etwa auch Pädagogen, die neben ihrer vollen Lehrverpflichtung gegen Bezahlung private Nachhilfestunden geben. Das heißt, hier geht es um eine Aufbesserung des Grundgehaltes. Das Zusatzeinkommen ist den Lehrpersonen willkommen, in der Regel sind sie aber nicht unbedingt darauf angewiesen.

Besonders ausbeuterisch ...

Ganz anders stellt sich die Situation für die vorher beschriebenen arbeitsfähigen Menschen dar, die aus verschiedenen Gründen, etwa einem strengen Ausländerbeschäftigungsgesetz oder durch den Bezug von Versicherungs- oder Sozialleistungen, keine Möglichkeit haben, eine adäquate legale Beschäftigung zu finden, wo Schwarzarbeit die einzige Möglichkeit wird, sich ein Einkommen zu organisieren, um überleben zu können oder einen Mindestlebensstandard halten zu können. Schwarzarbeit bekommt erst in Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit eine besonders ausbeuterische Facette. Wenn man dringend und sofort eine Arbeit finden muss, wenn man dadurch in eine immer höhere Abhängigkeit und Unsicherheit gezwungen wird, wenn man ohne Unterstützung ist oder nur so wenig bekommt, dass sie nicht ausreicht, dann ist man bereit, jede beliebige Form der Arbeit zu jedem beliebigen Preis und zu jeder beliebigen Bedingung anzunehmen.

Eine verantwortungsvolle Sozialpolitik kann sich dieser Mechanismen, die zu Arbeitsformen frühkapitalistischer Prägung führen, nicht entziehen. Statt einem undifferenzierten Mitleid, bei dem gleichzeitig jede Form von Strafe möglich ist, geht es um eine grundlegende Gestaltung des Arbeitslebens im Sinn von Respekt, Würde und Recht. Auch Schwarzarbeitnehmern gebührt ein Recht. Es kann nicht sein, dass sich die Schwarzarbeit für Schwarzarbeitgeber durch die gängige Praxis der Bestrafung lohnt, während Schwarzarbeitnehmer in U-Haft genommen und abgeschoben werden, es kann nicht sein, dass sich Schwarzarbeitgeber an keine arbeitsrechtlichen Regeln halten brauchen, dass sie niedrigste Löhne zahlen, keine Arbeitszeitregeln beachten, schlicht, keinen Anstand zeigen und dieses schändliche Verhalten weniger Folgen hat als dasjenige der abhängigen Schwarzarbeitnehmer.

Schwarzarbeitnehmern und Schwarzarbeitnehmerinnen muss ein Recht auf Würde und Respekt eingeräumt werden.

Worum geht’s?

Die Herbststraße im 15. Wiener Gemeindebezirk, sechs Uhr morgens. Einzeln oder in Gruppen stehen sie am Straßenrand. Sie warten auf Arbeit, auf einen Auftrag, der Geld bringt. Der Straßenstrich. Die Auftraggeber kommen meist im Auto, kurbeln das Seitenfenster herunter, so als ob sie mit einer Prostituierten verhandeln würden. Die eine Hälfte der Arbeitsanbieter sind Privatpersonen, die andere Hälfte Firmen. Der Stundenlohn schwankt zwischen 3,50 und 5 Euro, je nach Schwere der Arbeit. Wer gut arbeitet und über ein Handy verfügt, hat die Chance, weiterempfohlen zu werden. Das erspart dann wiederum das Warten in der Herbststraße.

Aber nicht nur über den Straßenstrich, auch über Personalbereitstellungsfirmen gibt es Zugang zu Schwarzarbeit. Ohne Anmeldung und ohne Versicherung. Denn Schwarzarbeiter sind rechtlos, einzig auf das Wohlwollen der Arbeitgeber angewiesen. Niedriges Einkommen bei hohem Arbeitseinsatz. Ohne Kündigungsschutz und ohne Arbeitszeitbeschränkung. Sie sind die Sklaven der Gegenwart.

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Konrad Hofer (Soziologe und freischaffender Publizist in Wien)) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Oct 2002 00:00:00 +0200 1192029248420 Schwarzarbeitgeber | Das Milliardengeschäft »Sozialbetrug« Suleyman hat sich bloß umgesehen in der Küche. Dabei Hand an die Käsespätzle zu legen ist gut für ihn. Schließlich will
er in seiner Heimat, der Türkei, ein Lokal eröffnen. Der arme Kerl darf sogar bei seinem Vorarlberger Gastronomie-Kollegen in spe wohnen. »Brutale G’schichten erfinden s’ schon, die Chefs«, sagt dann einer des Kontrolltrupps. »Aber bitte: Keine Namen nennen.«

Suleyman

Gegessen haben die Kontrolleure die Geschichte nicht. Während oben einer vom Team beim Chef war, hörte unten, in der Küche, ein anderer die Geschichte Suleymans. Monate schon schneidet er hier Salate und jagt Teige durch das Spätzlesieb. Er ist anonym da, in der Region um die Bregenzerwälder Käsestraße, und was von ihm in Österreich bleiben wird, ist eine anonyme Zeitungsmeldung: »Vorarlberger Zoll: In einem Monat 15 illegal Beschäftigte angezeigt.«

Edmund Spiegel, ehemaliger Zollbeamter und nunmehr Teamverantwortlicher der neuen Inspektionsgruppe zur »Kontrolle illegaler Ausländerbeschäftigung«, (KIAB), sitzt in seinem kleinen Büro im Feldkircher Hauptzollamt. Seine Sprache ist streng amtlich, das hilft, Namen und Details nicht auszuplaudern. Stolz ist er schon auf das vierköpfige Team, das mit 1. Juli des Jahres seine Arbeit aufgenommen hat. Immerhin 15 illegale Ausländer wurden von der KIAB Feldkirch »betreten« und anschließend »fremdenpolizeilich weiterbehandelt«. Ein guter Schnitt, bei acht von 18 kontrollierten Betrieben, mit insgesamt 42 dort beschäftigten Ausländern.

Sozial- und Abgabenbetrug

Österreichweit sind 98 Kontrolleure von Arbeitsinspektorat, Zoll und Finanz auf Baustellen und in Betrieben unterwegs. Die Kontrollkompetenz, mit dem Schwerpunkt »Sozial- und Abgabenbetrug«, liegt nunmehr bei den Hauptzollämtern. »Das hat Vorteile und Synergieeffekte«, meint der Feldkircher KIAB-Teamchef Edmund Spiegel. »Der Zöllner muss Gespür dafür aufbringen, wo Hinterziehungsfälle auftreten. Auch das Fachwissen der früheren Berufslaufbahn ist für die KIAB von Bedeutung.«

Der Vorarlberger Sekretär der Gewerkschaft Bau-Holz (GBH), Gerhard Flatz, sieht die langjährigen Forderungen der Gewerkschaften bestätigt, »wenn zumindest das Thema ein bisschen aufgegriffen und es ja bereits Erfolge der KIAB gibt«. Schon als die Zollbeamten aufgrund des Schengener Abkommens »freigesetzt« oder in den Vorruhestand entlassen wurden, hatten die Arbeitnehmervertreter dafür plädiert, das gut geschulte Personal auf das Problem »illegale Beschäftigung« anzusetzen. »Ein Supermodell gab es damals«, erinnert sich Flatz, »das aber damals schubladisiert wurde.«

Auch GBH-Zentralsekretär Karl-Heinz Stefan, für Tirol und Vorarlberg zuständig, freut sich über die neue Kontrollgruppe und ärgert sich über alte Versäumnisse, die hartnäckig bestehen bleiben. Immerhin ist mit der KIAB-Kontrollgruppe eine »Miniausgabe« unserer Forderungen entstanden, kommentiert Karl-Heinz Stefan und verweist auf den bayrischen Nachbarn. Dort sind um etwa fünfmal mehr Beamte als in ganz Österreich ausschließlich in Sachen Sozial- und Abgabebetrug unterwegs. »Durch die Strafverfügungen erhalten sie sich, leider oder Gott sei Dank, selber und liefern sogar dem Staat noch etwas ab«, meint Zentralsekretär Stefan. »Das bringt mehr als jede Radarüberwachung.«

Keine Menschenjagd

Erfolge verzeichnet auch besagte junge Eingreiftruppe zur »Kontrolle illegaler Ausländerbeschäftigung«. Gemessen wird Erfolg - noch? - an der Zahl der Opfer betrügerischer Unternehmen: »In Wien wurden 85 illegal beschäftigte Ausländer in insgesamt 226 kontrollierten Betrieben angetroffen«, liest ein KIAB-Mitarbeiter Teams aus seinen Aufzeichnungen im Büro in der Wiener Vorderen Zollamtsstraße vor.

Teamverantwortlicher Wolfgang Müller zum Problem, dass über das Opfer der Zugang zum Täter erfolgt: »Auf Menschenjagd gehen wir nicht. Die ›Illegalen‹ sind zwar das äußere Zeichen, aber man muss auch die menschenunwürdigen Bedingungen sehen, unter denen sie ›gehalten‹ werden. Uns geht es aber primär darum, den Sozial- und Abgabenbetrug zu unterbinden. Im Hintergrund steckt so viel Geld, dass man den Firmen in konzertierter Weise solche ›Schmerzen‹ zufügen muss, dass die illegale Beschäftigung von Ausländern uninteressant wird.«

Eine konzertierte Zusammenarbeit könnte mit der neuen Einsatzgruppe durchaus funktionieren. »Vorher war die Sache eher in einem schwimmenden Bereich«, erinnert sich Peter Nigel vom KIAB-Team in Wien. »Eine Verwaltungsstrafe wurde verhängt, die restlichen Meldungen gingen an die entsprechenden Behörden, etwa Finanzamt oder Gebietskrankenkassen, weiter. Nun läuft automatisch und parallel zur Verwaltungsstrafe ein Verfahren nach dem Abgabengesetz. Da gibt es nahezu kein Entrinnen.«

Empfindliche Strafen

Die hinterzogenen Sozial- und Steuerabgaben sind bei weitem höher als die Verwaltungsstrafe für illegale Beschäftigung, die so mancher Unternehmer schon in seiner Preiskalkulation vorbeugend berücksichtigt.

Bei kleineren Betrieben zeigt die Erhöhung der Pönale erste Reflektionsprozesse. Von einer Glaserei berichtet KIAB-Leiter Wolfgang Müller. »Wenn ihr noch einmal kommt und mich straft, geht’s an meine Existenz«, soll der Meister zu den Kontrolleuren gesagt haben. Ob er, wie beteuert, seine Arbeiter nun tatsächlich anmeldet? Bei einer Erhöhung der Strafe um durchschnittlich 30 Prozent durchaus zu überlegen. Die Mindeststrafe, sie wird pro Kopf (eines illegal beschäftigten Ausländers) verhängt, wurde nunmehr von 726 auf 1000 Euro angehoben. Ab drei Erwischten können zwischen 2000 und 10.000 Euro eingehoben werden.

Für unkooperative Schwarzarbeitergeber, die etwa den Kontrolleuren Unterlagen verweigern oder Märchen auftischen, »wird die Strafforderung sicher höher sein«, meint der Vorarlberger KIAB-Leiter Edmund Spiegel. »Der illegal Beschäftigte ist für uns nicht der, der bestraft wird, sondern Zeuge in diesem Verfahren.« Weil aber illegal beschäftigte Ausländer in den meisten Fällen auch ohne Aufenthaltspapiere sind, ist eines fast unausweichlich: Die Abschiebung des Betroffenen.

Keine Ahnung

Da ist es fast überraschend, dass einige dennoch aus der Anonymität auftauchen. Eines Tages erschienen drei Arbeiter aus Ex-Jugoslawien im Büro der Gewerkschaft Bau-Holz, im zweiten Stock des Feldkircher ÖGB-Gebäudes. »Sauerei, wir bekommen kein Geld«, hieß es. »Wer ist euer Chef?« »Keine Ahnung.« Keine Ahnung auch von Firmensitz, Namen oder Handynummer der Kontaktperson, von einer ordentlichen Abrechnung ganz zu schweigen. »Hier können wir nur Ersthilfe anbieten«, meint GBH-Sekretär Flatz, »oder die Betroffenen an die AK verweisen. Aber keinen Rechtsschutz.«

Ein wenig mehr kann die GBH vor Ort für die rechtlosen Arbeitnehmer tun. Vorausgesetzt, es sind Betriebsräte oder Gewerkschafter auf Baustellen und in den Betrieben. GBH-Zentralsekretär Karl-Heinz Stefan: »Mit Hilfe von Sprachkundigen wird Aufklärung über die Mindeststandards gemacht. Die Leute staunen nur so, was ein Eisenflechter, Betonierer, Schaler oder Hilfsarbeiter eigentlich verdienen müsste.«

Schlagwort: Sozialbetrug

Sozialbetrug ist, wenn Arbeitgeber Arbeitnehmer gesetzwidrig beschäftigen, sie auf diese Art einschneidend schädigen und dazu dem Sozialwesen Beiträge entziehen, um sich selbst Kostenvorteile zu verschaffen. Dies geschieht durch Nichtanmeldung oder durch zu niedrige Anmeldung zur Sozialversicherung, durch Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften ohne Beschäftigungsbewilligung und zu gesetzwidrigen Arbeitsbedingungen, durch Nichtabführen der Lohnsteuer, Vorenthalt von Mindestlöhnen oder Nichteinhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften.

Sozialbetrug führt dazu, dass reguläre Arbeitsplätze verdrängt werden und die Arbeitslosigkeit steigt; Arbeitnehmer zu wenig Lohn für ihre Leistung bekommen; ihre Ansprüche auf Sozialleistungen, wie z. B. Arbeitslosengeld, Krankengeld, Pension und Unfallrente, geschmälert werden; dem Sozialwesen in Österreich jährlich viele Milliarden Euro durch vorenthaltene Sozialversicherungsbeiträge und nicht abgeführte Steuern entgehen; seriös arbeitende Unternehmen einem unlauteren Wettbewerb ausgesetzt sind.

AK und ÖGB fordern, dass die Kontrollen effizienter und die Strafen härter werden. Die Beschäftigten müssen bei Arbeitsbeginn verpflichtend angemeldet und die Haftungsbestimmungen für Generalunternehmer verschärft werden. Organisiertes Schwarzunternehmertum muss endlich faktisch strafrechtlich verankert und damit gerichtlich verfolgbar werden. In besonders schwerwiegenden Fällen soll auch eine Betriebseinstellung möglich sein.

(Ch)

Die Aufklärungsarbeit stößt auf ein zusätzliches Problem: Schließlich sind die Betriebsstätten einer Baufirma über das ganze Land verteilt. Betriebsräte, die nicht freigestellt sind, kommen nur schwer vom eigenen Arbeitsplatz weg. Für große Distanzen fehlen Zeit und Mittel. Und: Durch die Aufsplitterung der Betriebsstrukturen wird es immer schwieriger, die Grenze von 150 Beschäftigten zu erreichen, die für die Freistellung eines Betriebsrates erforderlich ist. (Eine der Forderungen der GBH bei ihrem kommenden 16. Gewerkschaftstag im November ist daher die Absenkung der Freistellungsgrenze.)

Staatsanwalt einschalten

Die Forderungen der Gewerkschaften zur Bekämpfung des organisierten Sozial- und Abgabenbetrugs sind bei weitem umfassender als die politischen Pflaster auf den Wunden des Wirtschaftsgefüges. »Jeder kann ermessen, wie wirkungsvoll eine Gruppe von 98 Personen die rund 300.000 österreichischen Betriebe kontrollieren kann«, hatte GBH-Bundesvorsitzender Johann Driemer die Einführung der KIAB-»Eingreiftruppe« im Juli kommentiert. »Die blauschwarze Regierung weigert sich, auf die Vorschläge von ÖGB, AK und Gewerkschaften einzugehen.«

Abgabenbetrüger sollen nun zwar verstärkt zur Nachzahlung der hinterzogenen Summen herangezogen und auch durch höhere Verwaltungsstrafen abgeschreckt werden. Der Betrug an sich wird aber nicht geahndet. Johann Driemer: »Das Schwarzunternehmertum muss gerichtlich strafbar und in gravierenden Fällen mit der Betriebseinstellung verbunden sein.« Eine Forderung, die sich am deutschen Modell orientiert, wo das bewusste Vorenthalten von Löhnen, Sozialversicherungsbeiträgen und Abgaben ein Straftatbestand ist, der von der Staatsanwaltschaft geahndet wird.

Ein aufsehenerregendes Urteil wurde beim deutschen Nachbarn etwa im Bereich des Transport(un)wesens gefällt. Der Unternehmer Arnoldo Forti hatte in der Slowakei ein Transportunternehmen gegründet: Slowakische Fahrer preschten - zu slowakischen Bedingungen - mit ihren Lkw quer durch die Europäische Union. Mehr als vier Jahre Haft und Nachzahlung der hinterzogenen Beiträge lautete das Urteil.

21,8 Milliarden EUR

Ein Beispiel, das allein schon der Zahlen wegen Schule machen sollte: In Österreich, so errechnete der Linzer Ökonom Friedrich Schneider in einer Studie über den Umfang der Schwarzarbeit des Jahres 2002, werden die im Bereich der Schattenwirtschaft erzielten Beträge von 21,1 Milliarden Euro (2001) heuer auf 21,8 Milliarden klettern. EU-weit wird mit einem Volumen von rund 28 Millionen Arbeitsplätzen gerechnet, auf denen schwarz gearbeitet wird.

Auch seriöse Unternehmen geraten unter Druck. Billigstbieter, die sich mit bis zu 50 Prozent »günstigeren« Offerten Aufträge schnappen, bringen legal operierende Firmen in Bedrängnis. Die Reaktionen sind unterschiedlich. Betriebsräte hören von Unternehmen, die mit ähnlichen »Methoden« drohen, weil sie mit dem Preis nicht mithalten können. Aber auch von Hinweisen an Kontrollbehörden und Gewerkschaften ist die Rede, mit denen redliche Unternehmer ihren mafiosen »Kollegen« das Handwerk legen wollen.

Betriebsräte und Gewerkschaften kennen, besser als jeder externe Kontrolleur, Mitarbeiter und Situation eines Betriebes. Ihre Kenntnis und Erfahrung kommen bei der neu gegründeten Kontrolltruppe nicht zum Tragen. Einstweilen noch: Eine Hotline kann sich etwa der Tiroler GBH-Zentralsekretär Karl-Heinz Stefan vorstellen, mittels der Betriebräte obskure Vorgänge an ihren Betriebsstätten an die KIAB weitergeben. Und grundsätzlich ist man in einem Punkt einig. Je mehr Personen eingebunden sind, umso größer ist die Chance, nicht den Beschäftigten, sondern den Profiteur zu strafen.

Worum geht’s?

Die Gewerkschaften werden nicht müde in ihrem Kampf gegen das organisierte Schwarzunternehmertum! Der Katalog ihrer Forderungen zur Bekämpfung dieses gesellschafts- und finanzpolitischen Phänomens ist lang. Die neue Einsatztruppe zur Kontrolle illegaler Ausländerbeschäftigung ist ein Schritt nach vorn, aber immer noch viel zu wenig. In ganz Österreich sind lediglich 98 Kontrolleure von Arbeitsinspektorat, Zoll und Finanz auf den Baustellen und in den rund 300.000 Betrieben in Österreich im Einsatz, um den Sozial- und Abgabenbetrug zu bekämpfen. Allein in Bayern sind es fünfmal so viel! Es ist wie ein Kampf gegen Windmühlen, denn die hinterzogenen Sozial- und Steuerabgaben sind um ein Vielfaches höher als die verhängten Strafen. In Österreich wird das Volumen der Schattenwirtschaft 2002 den Rekordwert von geschätzten 21,8 Milliarden Euro erreichen, EU-weit wird auf rund 28 Millionen Arbeitsplätzen schwarz gearbeitet! Das Ausmaß der illegalen Beschäftigung ist derart hoch, dass auch seriöse Unternehmen zunehmend unter Druck geraten. Dabei sollten nicht Zahlen im Vordergrund stehen, sondern die Not der betroffenen, zur Schwarzarbeit gezwungenen Menschen!

(Ch)

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Gabriele Müller (freie Journalistin in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Oct 2002 00:00:00 +0200 1192029248098 Mythos Kapitaldeckung | Die Risken der Privatisierung des Pensionssystems Argumente der Befürworter der Pensionsprivatisierung

Von den Befürwortern der Systemumstellung wird unterstellt, dass die Finanzierung der Pensionen durch Veranlagung der Beiträge auf den Kapitalmärkten gesichert werden könne. Die Pensionsfinanzierung sei dann von der Alterung der Gesellschaft nicht betroffen.

Außerdem wird behauptet, die Renditen auf den Kapitalmärkten seien höher als die Wachstumsraten der Löhne und der Beschäftigung, weshalb ein kapitalgedecktes Pensionssystem bei gleich hohen Beiträgen höhere Rentenleistungen ermöglichen würde als das Umlageverfahren.

Unplausible Argumente

Der klare Vorteil der gesetzlichen Pensionsversicherung ist der konkurrenzlos niedrige Verwaltungsaufwand. Kosten für Konkurrenzkämpfe zwischen Pensionskassen sowie Provisionen für das Anwerben von Beitragsleistern fallen in der Pflichtversicherung nicht an. Dieser Vorteil wird durch den Umstieg auf ein 3-Säulen-Modell preisgegeben. Eine Weltbankstudie aus dem Jahr 1999 weist nach, dass in Großbritannien durchschnittlich 40 bis 45 Prozent des Wertes an Pensionsansprüchen durch diverse Verwaltungskosten absorbiert werden.1)

Doch durch ein 3-Säulen-Modell wird auch vom solidarischen Riskenausgleich abgegangen. All jene Personen, die über keinen durchgängigen Erwerbsverlauf verfügen, werden deutlich benachteiligt. In der zweiten Säule erwirbt man Pensionsansprüche nur während Zeiten der Erwerbstätigkeit in Betrieben, die betriebliche Altersvorsorge anbieten. Das bedeutet, dass im Gegensatz zur solidarischen Pensionsversicherung Perioden von Arbeitslosigkeit, atypischer Beschäftigung oder Kindererziehung nicht berücksichtigt werden. Die dritte Säule ist vom Arbeitnehmer allein zu finanzieren, falls er die dafür notwendigen Mittel aufbringen kann. Das 3-Säulen-Modell ist also Ausdruck eines Konzepts, das auf weniger gesellschaftlichem Ausgleich und vermehrtem Risiko für die Einzelnen beruht.

Funktionsweise eines Pensionssystems

Jedes Pensionssystem stellt grundsätzlich einen (Einkommens-) Transfer von den Erwerbstätigen zu den Pensionisten dar. Das Umlageverfahren finanziert die laufenden Pensionen direkt aus den Beitragszahlungen der Erwerbstätigen bzw. aus Steuereinnahmen des jeweiligen Jahres.2)

Im Kapitaldeckungsverfahren werden die Beitragszahlungen der Versicherten im Laufe der Erwerbsjahre auf dem Kapitalmarkt veranlagt, und in der Phase der Pension wird das (verzinste) Kapitalvermögen verkauft und damit der Konsum finanziert.

Unsichere Pensionshöhe in kapitalgedeckten Pensionssystemen
Einer der zentralen Nachteile von kapitalgedeckten Pensionssystemen besteht in der Unsicherheit über das Leistungsniveau während des Alters. Die Höhe der Pensionen hängt von folgenden Faktoren ab:

  • Höhe der eingezahlten Beiträge und Einzahlungsdauer
  • Verzinsung des angelegten Kapitals, abhängig vom Erfolg der Investitionsstrategie
  • Dauer des (erwarteten) Pensionsbezuges.

Neben der Ungewissheit über die Entwicklung der Lebenserwartung ist die Höhe der Verzinsung des Kapitals für die Versicherten die große Unbekannte. Diejenigen, die ihre Beiträge während einer Periode geringer Erträge auf den Kapitalmärkten leisten, erhalten bei gleicher Lebensarbeitszeit, gleichem Verdienstverlauf und gleicher Restlebenserwartung eine viel geringere Pension als jene, die nach einer Phase hoher Erträge in Pension gehen. Der kontinuierliche Fall der Börsenkurse während der letzten beiden Jahre hat dazu geführt, dass in den USA viele Rentner 40 bis 70 Prozent ihres Vermögens, das für die Pension angespart wurde, verloren haben. Diese Menschen stehen nun nicht vor der Rente, sondern vor dem Ruin. Sie haben die Alternative, ihren Lebensabend in Altersarmut zu verbringen oder so lange weiterzuarbeiten, bis sich die Börsenkurse wieder erholen.

Ein aktuelles Beispiel, das die Gefahren bei der Veranlagung von Pensionen in Aktien verdeutlicht, liefert der Bankrott des siebentgrößten US-Unternehmens Enron. Enron hatte seinen Mitarbeitern eine freiwillige Pensionsvorsorge auf einem steuerlich geförderten Rentenkonto angeboten und den von den Mitarbeitern geleisteten Einzahlungsbetrag in Form von Enron-Aktien verdoppelt. Der Kauf von Aktien des eigenen Unternehmens wurde gefördert, sodass viele Mitarbeiter auch ihre persönlichen Rentenbeiträge zu einem Großteil in Enron-Aktien investierten. Nach dem Bankrott des Energieriesen durch vermutete kriminelle Machenschaften des Managements, in Zusammenarbeit mit den Wirtschaftsprüfern der Kanzlei Andersen, fiel der Aktienkurs von 32 auf unter einen Dollar. Viele Mitarbeiter, die über ein beachtliches Depotvermögen verfügt hatten, stehen nun vor den Trümmern ihrer Existenz.

Höhere Erträge auf dem Kapitalmarkt nur durch höheres Risiko
Die Finanzierung der Pensionen über die Kapitalmärkte muss nicht durch riskante Aktien erfolgen. Es gibt auch relativ sichere Veranlagungsformen, wie etwa Staatsanleihen, bei denen ein Staat für die Bezahlung der ausständigen Schuld bürgt.

Diese sind jedoch in der Regel mit niedrigen Renditen verknüpft. Die jährliche reale Rendite von 10-jährigen US-Staatsanleihen betrug zwischen 1947 und 1996 1,8 Prozent, jene von Unternehmensanleihen 2,1 Prozent.3) Daraus ist ersichtlich, dass bei Veranlagung in sicheren Wertpapieren kein Renditevorteil gegenüber dem Umlageverfahren gegeben ist.4)

Bei riskanteren Anlageformen, wie etwa Aktien, hat man keine Garantie, das eingesetzte Kapital wieder zurückzubekommen. Stürzt der Kurs der Aktie ab oder geht das Unternehmen gar in Konkurs, so ist das eingesetzte Geld verloren. Investitionen in Fremdwährungen unterliegen zusätzlich dem Risiko schwankender Wechselkurse.

Die Frage des Zeithorizonts

Für Analysen der Entwicklung eines Pensionssystems muss man lange Zeiträume im Auge behalten. Ein Herausstreichen der letzten 20 Jahre, in denen die Kapitalmarkterträge deutlich über der Wachstumsrate der Lohnsumme lagen, hat eine begrenzte Aussagekraft und kann nicht als Argument für eine Systemumstellung herhalten.

Eine Aufteilung der letzten 40 Jahre in die Zeitabschnitte 1960 bis 1980 sowie 1980 bis 2000 zeigt, dass zwischen 1960 und 1980 die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Dow-Jones-Index nur 1,72 Prozent betragen hat, während sie in den letzten 20 Jahren auf 13,5 Prozent p. a. gestiegen ist. Wer in der Phase 1960 bis 1980 auf kapitalgedeckte Pensionen gesetzt hätte, wäre deutlich schlechter ausgestiegen als im Umlageverfahren, weil die jährliche Wachstumsrate von 1,72 Prozent während dieser Periode unterhalb der Lohnsteigerungsrate gelegen ist.5)

Ein entgegengesetztes Bild zeigt sich ab 1980. Der Dow-Jones-Index wuchs in diesem Zeitraum viel stärker als die Wirtschaft. Die Börseneinbrüche in den Jahren 2000 bis 2002 zeigen aber deutlich, wie stark die Kurse innerhalb kürzester Zeit absacken können und wie stark sie sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre von den »realen« Unternehmenswerten abgekoppelt hatten (»Spekulative Blase«).

Die meisten angeführten Aktienindizes geben aus mehreren Gründen ein falsches Bild wider: Sie verzerren die erzielbare Rendite nach oben, da sie all jene Unternehmen nicht weiter enthalten, die Bankrott gehen oder deren Kurs drastisch sinkt (»Survivor Bias«). Die Enron-Aktie wurde kurz nach Beginn ihres Wertverfalls aus der Berechnung des Dow-Jones-Index genommen und durch einen anderen Titel ersetzt. Somit floss der Enron-Absturz nur in geringem Maße in die Kursentwicklung des Dow Jones ein. Indizes berechnen sich aus den besten in den jeweiligen Segmenten gehandelten Aktien und geben daher weniger ein Bild der gesamten Börsenentwicklung, als vielmehr ein Bild der am meisten nachgefragten und am höchsten bewerteten Aktien wieder.

Demographie und Kapitalmärkte

Auch kapitalgedeckte Pensionen werden von der Alterung der Gesellschaft beeinflusst. So wie im Umlageverfahren das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern maßgeblich von der Altersstruktur der Gesellschaft geprägt wird, ist im Kapitaldeckungsverfahren davon die Relation von (jungen) Sparern zu (pensionierten) Entsparern6) abhängig.

Gegenwärtig nimmt das Volumen des Kapitals, das in Pensionsfonds eingezahlt wird, laufend und sehr stark zu. Auszahlungen in Form von Pensionen finden jedoch noch kaum statt, da sich die Systeme erst in der Aufbauphase befinden. Einer Flut an nach Veranlagung suchenden Mitteln steht ein begrenztes Angebot an Aktien und anderen Wertpapieren gegenüber, was bewirkt, dass die Kurse der Aktien tendenziell in die Höhe schnellen.

Sobald die geburtenstarken Jahrgänge (etwa um das Jahr 2030) in Pension gehen, wendet sich die Situation. Vielen »Alten«, die aus dem Erwerbsleben ausscheiden und daher ihre Wertpapiere (über Pensionsfonds, Pensionskassen) verkaufen müssen, stehen deutlich weniger »Junge« gegenüber, die für ihre Pension ansparen. Einem steigenden Angebot an Aktien steht eine geringere Nachfrage gegenüber. Logischer Effekt ist ein Sinken der Kurse von Aktien und dementsprechend geringere Pensionen.

Für Deutschland ergab eine Studie der Hypovereinsbank, dass heute auf einen Entsparer noch 1,7 Sparer kommen. Bis zum Jahr 2040 wird sich dieses Verhältnis unter optimistischen Annahmen hinsichtlich Zuwanderung und Erhöhung der Frauenerwerbsbeteiligung auf 1:1 angleichen.

Kosten der Umstellung auf das Kapitaldeckungsverfahren

Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt sind die enormen Kosten, die während des Zeitraumes der Umstellung anfallen. In diesem Fall muss der Kapitalstock für die Pension der Jungen aufgebaut werden, während weiterhin Renten aus dem Umlageverfahren ausgezahlt (und natürlich auch finanziert) werden müssen. Eine oder auch mehrere Generationen sind dazu verurteilt, doppelt zu zahlen.

Stabilisierung des Umlagesystems möglich

Für die Pensionsversicherung ist nicht das Verhältnis von Jungen zu Alten ausschlaggebend, sondern das Verhältnis derer, die arbeiten und daher Beiträge zahlen, zu denen, die eine Pension beziehen. Der zentrale Ansatzpunkt für die Sicherung des Pensionssystems ist daher eine Erhöhung der Erwerbsquote, also des Anteils jener Menschen im erwerbsfähigen Alter, die arbeiten.7)

Das WIFO hat Szenarien berechnet, die zeigen, wie die Kosten der Alterung durch steigende Erwerbstätigkeit deutlich gedämpft werden können. Bei 2,4 Prozent realem Wirtschaftswachstum, das sich aus einer jährlichen Beschäftigungssteigerung von 0,4 Prozent und einer Produktivitätserhöhung von 2 Prozent ergibt, sind die Auswirkungen der Zunahme der Anzahl der Pensionsbezieher im Verhältnis zu den Erwerbstätigen keineswegs dramatisch. Wenn die Realeinkommen mit der Produktivität zunehmen, sind sie im Jahr 2030 um 80 Prozent höher als heute. Bleiben sie einen halben Prozentpunkt hinter der Produktivitätsentwicklung zurück, steigen sie immerhin noch um 56 Prozent.

Nach den neuesten Bevölkerungsprognosen würde die Pensionsquote, das ist die Anzahl der Pensionen je 1000 Beschäftigungsverhältnissen, von heute 619 auf etwa 710 im Jahr 2030 ansteigen. Da sich das BIP, die Wirtschaftskraft des Landes, bei einer Wachstumsrate von 2,4 Prozent bis 2030 mehr als verdoppelt, scheint eine Steigerung der Pensionslastquote um 15 Prozent nicht bedrohlich. Zum Vergleich: Im Zeitraum von 1970 bis 2000 stieg die Pensionslastquote um 27,1 Prozent von 487 auf 619.

Schlussfolgerungen

Der Prozess der Privatisierung und (Teil-)Kapitaldeckung der Pensionssysteme gewann in der zweiten Hälfte der 90er Jahre in vielen Staaten an Dynamik. Die Zurückdrängung solidarischer sozialer Sicherungssysteme ist ein Teil des neoliberalen Modells, das generell auf Marktlösungen und Abbau des Staatseinflusses setzt. Dem liegt die falsche Vorstellung zugrunde, dass der Markt generell im Stande ist, eine optimale Lösung herbeizuführen.

Paradoxerweise haben zahlreiche Länder diesen Weg auch noch eingeschlagen, nachdem die Risken der Kapitaldeckung infolge der Finanzmarktkrisen von Mexiko 1994, Südostasien 1997, Russland 1998 bis zu Argentinien 2002 und dem allgemeinen Börsenkursverfall 2000/2002 bereits manifest geworden sind.

Es liegt die Vermutung nahe, dass die Umstellung auf Kapitaldeckung kein Ergebnis einer rationalen Entscheidungsfindung ist, in der die Neoliberalen die besseren Argumente vorbringen, sondern sich dabei materielle Interessen des Finanzkapitals und all jener Wirtschaftszweige durchsetzen, die mit einer Pensionsprivatisierung ihre Geschäftstätigkeit erweitern können. Die Behauptung, dass ein kapitalgedecktes Pensionssystem den Versicherten mit geringeren Beitragszahlungen höhere Pensionen ermöglicht, beruht auf der falschen Annahme, dass sich die Kapitalmarktentwicklung der 80er und 90er Jahre mit hohen Kurssteigerungen fortsetzen würde. Der kontinuierliche Kursverfall der letzten beiden Jahre, bei dem allein im ersten Halbjahr 2002 mehr als 900.000.000 Euro »vernichtet« wurden, sollte die Alarmglocken schrillen lassen.

Das Hauptargument, mit dem in der Öffentlichkeit gegen den Erhalt des solidarischen Umlageverfahrens argumentiert wird, ist die Alterung der Gesellschaft. Eine Stabilisierung des umlagefinanzierten Pensionssystems ist aber möglich und setzt vor allem bei einer Erhöhung der Erwerbsbeteiligung an. Demgegenüber wird unseriöserweise verschwiegen, dass das Kapitaldeckungsverfahren durch die Demographie ebenso negativ beeinflusst wird.

Wir kommen also zur Schlussfolgerung, dass die mediale Infragestellung der künftigen Finanzierbarkeit des Umlagesystems eher durch dahinter stehende Interessen als plausible Argumente begründet ist.

1) »Administrative Costs under a Decentralized Approach to Individual Accounts: Lessons from the United Kingdom«, Murthi, Orszag and Orszag, September 1999

2) In Dänemark werden die Pensionen aus allgemeinen Steuereinnahmen finanziert.

4) Die Rendite im Umlageverfahren berechnet sich aus dem Wachstum der Lohnsumme.

5) In der Entwicklung des Dow Jones und der daraus abgeleiteten Ertragsrate des Aktienmarktes sind allerdings die Dividendenzahlungen nicht berücksichtigt, die in den 60er und 70er Jahren durchaus nennenswert waren.

6) Entsparer: Jemand, der einen angesparten Kapitalstock wieder in Geld umwandelt, um seinen Konsum zu finanzieren.

7) Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung wie der Vorruhestand für zahlreiche Beamte untergraben diese Bemühungen ganz klar. Es bedarf einer Überwindung der Unkultur, Menschen ab 55 zu kündigen.

Worum geht’s?

Jedes Pensionssystem ist ein grundsätzlicher (Einkommens-) Transfer von den Erwerbstätigen hin zu den Pensionisten. Über das Umlageverfahren werden die laufenden Pensionen direkt aus den Beitragszahlungen der Erwerbstätigen bzw. aus Steuereinnahmen finanziert. In den letzten Jahren wurde jedoch in vielen Ländern die Alterssicherung teilprivatisiert. Argumentiert wurde dabei mit der angeblichen Unfinanzierbarkeit der staatlichen Pensionen angesichts der zunehmenden Überalterung der Gesellschaft. Zeit für eine Systemumstellung? - Öffentliche Grundpension, betriebliche und private Vorsorge sollen das neue 3-Säulen-System der Alterssicherung bilden. Höhere Pensionen sollen dabei durch die Veranlagung geringerer Pensionsbeiträge auf den Kapitalmärkten finanziert werden. Das ist jedoch erstens gar nicht so sicher, und zweitens treten dabei schwierig zu beantwortende Fragen auf: Wie wird das Leistungsniveau während des Alters? Wie entwickelt sich die Lebenserwartung? Wie hoch wird das Kapital verzinst? Eine höhere Erwerbsbeteiligung wäre das beste Argument für die Beibehaltung des umlagefinanzierten Pensionssystems.

(Ch)

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Gerald Klec und David Mum (sind in der Grundlagenabteilung der GPA beschäftigt) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1192029248107 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Oct 2002 00:00:00 +0200 1192029247716 Wie ist das mit den Aktien? - Unredlich erworbene Vermögen und warum an der Börse Pensionen verspielt wurden Die Preise für Aktien fallen. Seit Monaten und auf fast allen wichtigen Börsen der Welt. Auf vielen Börsen lagen die Aktienindizes (also jene Statistik, die ausdrückt, wie sich die Aktien an der betreffenden Börse im Durchschnitt entwickelt haben) zur Jahresmitte 2002 bereits unter den Werten des Jahres 1997 - die schönen Gewinne des Börsenaufschwungs Ende der neunziger Jahre sind also schon wieder verloren. Und zum Teil liegen die Aktienindizes bereits unter der Hälfte ihres Standes zum Höhepunkt des Börsenbooms im Jahre 2000.

Pensionskassen und Abfertigungsfonds

Aber kann uns das nicht egal sein, uns, die wir in der Regel doch keine Aktien besitzen? Nun, erstens haben heute schon gar nicht so wenige Arbeitnehmer selber Aktien - entweder direkt oder in Form von Aktienfonds -, die ihnen geschickte Vertreter (innerhalb und außerhalb der Banken) mit der Aussicht auf schöne Gewinne verkauft haben. Betroffen von den Entwicklungen an den Aktienbörsen sind aber auch all jene, die von Pensionskassen oder den neuen Abfertigungsfonds Geld zu erwarten haben. Denn die meisten dieser Institutionen haben das ihnen anvertraute Kapital zumindest zum Teil in Aktien angelegt. Dasselbe gilt auch für viele private Lebensversicherungen, besonders für die so genannten fondsgebundenen Versicherungen.

Was hatte man uns nicht alles erzählt und versprochen. Der Staat könne angeblich die Pensionen in Zukunft nicht mehr garantieren. Die betrieblichen Pensionszusagen kämen die Unternehmer zu teuer. Hier müsse und werde der Kapitalmarkt einspringen. Als Ergänzung zu den nicht mehr ausreichenden staatlichen Pensionen werde man eben private Pensionskassen schaffen, die würden ihr Geld in Aktien anlegen und von den Gewinnen aus diesen Aktien würden dann hohe Pensionszuschüsse bezahlt werden. In anderen Ländern funktioniere das bereits hervorragend. Die Botschaft klang fast zu gut, um wahr zu sein.

Nicht unbeträchtliche Verluste

Tatsächlich schaut die Situation heute etwas anders aus. Die Pensionskassen machen statt satten Gewinnen nicht unbeträchtliche Verluste, weil die Aktienkurse laufend sinken. Die Aktienkurse fallen so stark, dass selbst vorsichtige Pensionskassen, die nur einen kleinen Teil ihres Kapitals in Aktien angelegt hatten, nun in die Verlustzone geraten sind. Kalkuliert hatten diese Kassen in der Regel mit 6 bis 10 Prozent jährlichem Anstieg der Aktienkurse. Rückgänge waren überhaupt nicht vorgesehen. Die in Aussicht gestellten (juristisch versprochen wurden sie ja nie) Gewinne gibt es also nicht und sie können daher auch nicht an die Pensionisten verteilt werden.

Pensionskürzungen

Das Resultat: Für jene, die bereits in Pension sind und die von der Pensionskasse eine Pension bekommen, müssen die Pensionszahlungen nun gekürzt werden, zum Teil sogar recht kräftig. Dabei sind wir in Österreich ohnedies noch gut dran - bei uns machen die staatlichen Zahlungen weiterhin den Großteil der Pensionen aus. In anderen Ländern, wie zum Beispiel England, ist die staatliche Pension nur noch ein Minimum und das meiste Geld kommt von den privaten Pensionskassen. Nun gibt es dort seit einiger Zeit statt Pensionserhöhungen nur Pensionskürzungen.

Doch sinkende Börsenkurse treffen die Arbeitnehmer nicht nur bei in Aktien angelegten Ersparnissen und bei Pensionskassen. Viel gefährlicher sind die möglichen Auswirkungen auf die Konjunktur. Der Zusammenhang ist gar nicht so schwer zu verstehen. Bei steigenden Aktienkursen wurden die Aktienbesitzer stetig reicher und (besonders in den USA) nützten sie das, um sich etwas mehr zu leisten, etwas mehr auszugeben. Das heizt die Nachfrage und damit die Konjunktur an. Doch so rasch die Aktienkurse und damit die Vermögen der Aktionäre (zumindest am Papier) bis 2001 zugenommen hatten, so rasch schmelzen sie seither dahin. Statt die Freude über den gewachsenen Reichtum in vermehrten Konsum umzusetzen, wird man nun dazu neigen, sich etwas einzuschränken.

Konjunktur belastet

Sinkende Aktienkurse bedeuten aber auch, dass die Unternehmen weniger wert sind und daher nur weniger und teurere Kredite bekommen. Neues Aktienkapital ist überhaupt kaum zu bekommen. Da wird so manches Unternehmen geplante Investitionen zurückstellen müssen. Was wieder die Konjunktur belastet.
Noch ist dies kaum der Fall. Noch sind die Wirtschaftsdaten auch in den USA noch recht gut. Noch hält der private Konsum. Noch halten die Investitionen. Aber viele ernst zu nehmende Fachleute warnen: Es könnte in den USA sehr rasch zu einem Konsumrückgang und Investitionsausfällen kommen. Die Auswirkungen auf die amerikanische und in der Folge die Weltwirtschaft wären verheerend. Die Folgen einer solchen Konjunkturflaute würden wir wohl alle sehr deutlich zu spüren bekommen.

Die fallenden Aktienkurse könnten daher für uns alle, in Form eines Konjunktureinbruchs, sehr unangenehme Folgen haben, auch wenn wir nicht eine einzige Aktie besitzen und auch keine Zusatzpension aus einer Pensionskasse, die in Aktien veranlagt, zu erwarten haben. Wie ist es aber dazu gekommen? Hatten uns nicht die Fachleute (besonders jene, die am Verkauf von Aktien und Fonds verdienen) versichert, es werde auch in Zukunft mit den Aktienkursen nur bergauf gehen? Jeder, der nicht kaufe, sei sein eigener Feind. Mühelos (und praktisch risikofrei) ließe sich an der Börse mit Aktien Geld verdienen.

Teures »Papier«

Tatsächlich stiegen die Aktienkurse in den späten neunziger Jahren scheinbar unaufhaltsam an. Niemand schaute mehr auf die Lage der Unternehmen, deren Aktien gekauft wurden. Selbst die Aktien von Firmen, die Jahr für Jahr Verluste schrieben, die kein einziges Mal in ihrer Firmengeschichte einen Gewinn gemacht hatten, wurden immer teurer. Und die Aktienbesitzer wurden (zumindest am Papier) immer reicher.

Einzelne besonnene Fachleute warnten zwar, dass historisch gesehen die Aktienpreise sich letzten Endes immer an den Gewinnen orientiert hatten. Dass mittelfristig der Preis von Aktien bei etwa 16- bis 20-mal dem Jahresgewinn gelegen sei. Und dass diese Preise, die Aktienkurse, inzwischen (selbst bei den Firmen, die Gewinne machten) auf das 30- bis 40fache des Jahresgewinns gestiegen seien. Das werde sich nicht halten, es werde zu kräftigen Kursrückschlägen kommen.

Doch diese Warnungen wurden als lächerlicher Kleinmut abgetan. Die alten Regeln würden nicht mehr gelten. Es gebe eine New Economy (eine Neue Wirtschaft), die sich auf Computer, Internet und Informationstechnologie stütze. Da sei alles (warum wurde nie schlüssig erklärt) ganz anders. Von nun an würden die Aktienkurse Jahr für Jahr um 10 Prozent steigen. Und wer mitmache, würde reich werden. Nicht der Erfolg einer Firma sei für ihren Aktienkurs ausschlaggebend, sondern wie sich dieser Kurs zuletzt entwickelt hat. Weil die Aktie gestiegen ist, wird sie weiter steigen. Die Spirale zeigt immer nach oben. Ende nie?

Bilanzfälschungen

Nun erweist sich aber, dass die uralte Erkenntnis weiter gilt: Wunder gibt es in der Wirtschaft keine. Auch diesmal nicht. Die Börsenblase ist geplatzt. Viele einst hochgerühmte Unternehmen, deren Aktienkurse in schwindelnde Höhen geklettert waren, sind inzwischen bankrott. Die Aktien vieler anderer Firmen, besonders im Hightechbereich, sind nur noch 10 oder 20 Prozent dessen wert, was sie noch Mitte 2000 wert waren.

Die Hauptursache dafür sind wohl die übertrieben hohen und damit unrealistischen Aktienkurse der Boomjahre. Aber für den Absturz vor allem der letzten Monate gibt es auch andere Ursachen. Da wäre einmal das Problem der Bilanzfälschungen. Ab Frühjahr 2002 gab es in den USA fast jede Woche bei der einen oder anderen großen Firma (bei kleineren auch, doch darüber wurde nicht einmal berichtet) das Eingeständnis, dass die bisher vorgelegten Bilanzen falsch waren. Dass man die Gewinne höher dargestellt hatte, als sie tatsächlich waren. Ja, dass recht oft tatsächlich erlittene Verluste mit allerhand Bilanztricks in Gewinne »verwandelt« worden waren.

Arg genug. Aber dazu kam, dass alle diese Bilanzen von (bis dahin) angesehenen Wirtschaftsprüfern bestätigt worden waren. Hatten diese erfahrenen Fachleute wirklich nichts gemerkt? Das schien kaum glaublich. Doch es kam noch dicker: Viele der »Tricks«, mit denen die Bilanzen »geschönt« worden waren, hatten die Bilanzprüfer sogar erfunden, vorgeschlagen und empfohlen. Sie sahen ihre Aufgabe weniger darin, die Firmen zu zwingen, die Gesetze und Vorschriften penibel einzuhalten, sondern vielmehr darin, die Firmen zu beraten, wie man diese Gesetze umgehen kann, welche Schlupflöcher es gibt.

Böcke werden Gärtner

Dieses Verhalten von Wirtschaftsprüfern ist allerdings nicht erstaunlich, wenn man weiß, dass die Wirtschaftsprüfer zugleich lukrative Beratungsverträge mit den von ihnen geprüften Firmen haben. Und dass ihr Honorar für die »Beratung« der Firmen ein Vielfaches des Honorars für die eigentliche Prüftätigkeit ausmacht.

Die Versuchung war für manche Wirtschaftsprüfer offensichtlich zu groß. Sie förderten und deckten jeden Bilanzschwindel, und eine der größten Kanzleien der Welt verbrannte sogar ihre Prüfunterlagen, als sie bei ihren Machenschaften ertappt wurde. Diese Firma gibt es nicht mehr; das Problem ist aber damit leider noch nicht aus der Welt geschafft, weil andere Prüfungskanzleien nicht besser sind, sondern bisher nur weniger oft ertappt wurden.

Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass die Wirtschaftsprüfer zwar theoretisch im Interesse der Aktionäre wirken und auch von diesen bei der Generalversammlung gewählt werden, aber in der Praxis der Vorstand der Firma bestimmt, wer der Generalversammlung zur Wahl vorgeschlagen wird. Die Wirtschaftsprüfer sind damit für die Erteilung des Auftrages an sie in Wirklichkeit vom Vorstand abhängig und tun alles, um den Vorstand zufrieden zu stellen.

Der 2000fache Verdienst eines Arbeiters

Was aber ist das Interesse des Vorstandes? Dass er möglichst gut dasteht! Gemessen wird das am Börsenkurs der Aktien seiner Firma. Umso höher der Kurs, umso rascher er steigt, umso besser ist der Manager. Das ist nicht nur eine Frage der Eitelkeit. Dahinter stehen massive finanzielle Interessen. Die Gehälter der Manager sind vielfach von ihrer »Leistung«, die am Börsenkurs gemessen wird, abhängig. Bei guten Kursen können da schon astronomische Bezüge herauskommen. Galt früher eine Faustregel, dass ein Topmanager in einer größeren USFirma etwa 40- bis 50-mal so viel verdient wie ein Arbeiter, sind diese Verdienste in den letzten Jahren bei gar nicht so wenigen Firmen (besonders bei jenen, die bald darauf Pleite machten) auf das bis zu 2000fache gestiegen. Kein Mensch kann so viel wert sein, keine Leistung einen solchen Bezug rechtfertigen. Doch in den USA war und ist alles möglich. Die herrschende Ideologie vergöttert die Spitzenmanager und jedes Gehalt wird bei ihnen für gerecht angesehen.

Aber damit nicht genug. Zusätzlich wird es üblich, den Managern so genannte »stock options« zu gewähren. Was das heißt? Die Firma räumt dem Manager das Recht ein, jederzeit von ihr eine gewisse Menge ihrer eigenen Aktien zu einem niedrigen, im Vorhinein festgelegten Preis zu erwerben. Steigt der Aktienkurs an, kann der Manager dann diese Optionen ausnützen (d. h. die Aktien zum niedrigen Kurs kaufen) und sie gleich zu dem inzwischen gestiegenen Kurs weiterverkaufen.

100 Millionen Euro durch Betrug

Daran haben viele Manager Jahr für Jahr Millionen Dollar verdient. Auch bei Firmen, deren Aktienkurse nur aufgrund der im Einverständnis mit den Wirtschaftsprüfern »geschönten« Bilanzen so stark gestiegen waren. Damit hatten diese Manager ein brennendes Interesse, den Kurs der Aktien mit allen Mitteln wenigstens für kurze Zeit in die Höhe zu treiben. Und welch Wunder: Die betreffenden Manager verstanden es immer, ihre Aktien rechtzeitig, bevor der Kurs zu sinken begann, abzustoßen. Im Gegensatz zu ihren Angestellten, die mit ansehen mussten, wie der Wert ihrer in Aktien angelegten Pensionen ins Bodenlose sank, ohne dass sie diese Aktien verkaufen durften.

Mit allen diesen Praktiken gelang es manchen Managern, über 100 Millionen Euro im Jahr zu verdienen, in einigen Fällen sogar wesentlich mehr. Lange Zeit fand die Öffentlichkeit nichts dabei. Jeder Verdienst eines Managers wurde widerspruchslos hingenommen.

Bilanzfälschungen, willfährige Wirtschaftsprüfer und Banken und horrende Managerbezüge haben aber nun, in einer Zeit sinkender Aktienkurse, nicht gerade dazu beigetragen, das Vertrauen in Börse und Aktien zu stärken. Immer mehr Aktionäre geben auf und verkaufen ihre Aktien. Aber umso mehr sich die Anleger von der Börse zurückziehen, umso stärker sinken die Aktienkurse. Die Spirale beginnt sich nach unten zu drehen. Also muss man das Vertrauen in die Börse wiederherstellen. Die Fachleute, die Analysten der Banken und Wertpapierhäuser, erklären seit Monaten jedem, der es hören will, nun sei der Boden erreicht, von nun an würden die Aktienkurse wieder steigen.

Der Oberbock als Gartenaufseher

Umso mehr sie das erklären und umso weniger es geschieht, umso weniger glaubt man ihnen. Man vertraut auch ihnen nicht mehr. Ebenso wenig wie den hoch bezahlten Managern und den Wirtschaftsprüfern. Auch nicht der US-Börsenaufsicht, deren Leitung Präsident Bush einem Rechtsanwalt übertragen hat, der bisher davon lebte, Firmen gegen diese Aufsichtsbehörde zu vertreten und der gleich bei seinem Amtsantritt erklärt hatte, es müsse nicht mehr Börsenregelung geben, sondern weniger.

Das Vertrauen ist also dahin. Wie kann man es wiederherstellen? Präsident Bush scheint zu glauben, indem er aufmunternde Reden hält und verspricht, endlich reinen Tisch zu machen. Doch allzu sehr scheint ihm niemand zu glauben: Nach jeder seiner Rede sinken die Aktienkurse besonders stark. Kein Wunder, wenn man weiß, dass Bush selbst ebenso wie sein Vizepräsident und sein Finanzminister inzwischen beschuldigt werden, als Manager jene Praktiken angewendet zu haben, die sie jetzt lautstark verurteilen. Bush gilt als der Präsident der Manager und das ist er wohl auch. Wirklich schaden will er seinen Freunden und Förderern nicht.

Den »tricksenden« Managern wehtun?

Etwas energischer ist da schon die demokratische Mehrheit im US-Senat. Sie hat ein Gesetz vorgelegt und verabschiedet, das die Börsenaufsicht (gegen den Willen ihres republikanischen Präsidenten) stärkt, das eine wirksame öffentliche Aufsicht über die Wirtschaftsprüfer vorsieht, eine Trennung von Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung und das vor allem strenge Strafen für tricksende Manager vorsieht - im Extremfall sogar den Verlust ihrer unredlich erworbenen Millionen. Doch so, wie es der Senat beschlossen hatte, wurde das nicht Gesetz. Der Präsident und seine republikanische Mehrheit im Abgeordnetenhaus waren dagegen. Nicht grundsätzlich, aber in allen wesentlichen Details. Ihr Motto: Ein Gesetz ja, damit sich die Öffentlichkeit beruhigt und das Vertrauen in die Börsen wieder zurückkehrt. Aber keine Bestimmung, die einem Manager oder einem Wirtschaftsprüfer wirklich wehtun könnte. Hier herrscht noch die Ideologie vom Manager als Supermenschen, der kein Unrecht tun kann.

Obwohl die Republikaner entgegen allen Erwartungen schließlich doch wenigstens einem halbwegs wirksamen neuen Börsen- und Unternehmensrecht und strengeren Bilanzierungsvorschriften zustimmten, steht zu befürchten, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis die Amerikaner wieder Vertrauen in ihre Börsen bekommen. Denn jedenfalls Ende Juli 2002 stimmen die Verhältnisse zwischen Unternehmensgewinnen und Aktienkursen noch immer nicht. Die Aktienkurse sind, gemessen an den Gewinnen, noch immer zu hoch.

Rezession der Weltwirtschaft?

Erst wenn die vielen zweifelhaften Unternehmen von der Börse verschwunden sind, wenn wirksame Gesetze beschlossen wurden und wenn die Kurse halbwegs den Gewinnen entsprechen, wird der viel beschworene Boden erreicht sein. Erst dann besteht die Chance, dass die Aktienkurse wieder zu steigen beginnen. Aber auch dann nur in einem realistischen und volkswirtschaftlich vertretbaren Ausmaß und nicht mehr mit den durch nichts zu rechtfertigenden Sprüngen der späten neunziger Jahre. Wir können nur hoffen, dass die Turbulenzen bis dahin nicht eine Rezession in der Weltwirtschaft ausgelöst haben.

Und wie sieht die Sache für den österreichischen Anleger aus? Bei uns waren die Aktienkurse bei weitem nicht so extrem überhöht wie
z. B. in den USA - und sinken nunmehr auch nicht so stark. Um Bilanzwahrheit und Wirtschaftsprüfung ist es bei uns auch offenkundig besser bestellt als in den USA. Doch auch bei uns werden die Wirtschaftsprüfer in der Praxis nicht von den Aktionären ausgewählt, sondern von den Vorständen, deren Interessen sie dann zumindest berücksichtigen.

Viele, allzu viele von ihnen sehen sich weniger als Bilanzprüfer und mehr als Berater, wie man Steuern vermeiden kann. Ihre Haftung für eventuelle Fehler ist gesetzlich (und recht niedrig) begrenzt - in einer echten Marktwirtschaft (über die Wirtschaftsprüfer gerne den Mund voll nehmen) sollte es keine solchen Haftungsbeschränkungen geben. Auch bei uns sollten Prüfung und Beratung streng getrennt von verschiedenen Firmen durchgeführt werden. Die Wirtschaftsprüfer wären regelmäßig zu wechseln, damit keine Verfilzung zwischen ihnen und den zu prüfenden Firmen entsteht.

Aktien und Wertpapiere

Für den einzelnen Anleger gilt es, aus den Ereignissen zu lernen. Aktien sind offensichtlich nicht jene sichere und problemlose Veranlagung, die manche in ihnen sehen wollten. Vor allem, wenn man sein Geld in kürzerer Zeit braucht, um eine Pensionsaufbesserung zu haben oder eine Abfertigung ausbezahlt zu bekommen. Da hilft einem auch nicht die Behauptung, dass in der Vergangenheit Aktien über fünfzig Jahre oder sogar über zehn Jahre gesehen stets eine gute Veranlagung waren - abgesehen davon, dass das sicher nicht für jede einzelne Aktie, sondern bestenfalls für den Durchschnitt aller Aktien gilt.

Wer es sich leisten kann, auch etwas zu verlieren, der soll ruhig weiterhin Aktien kaufen, zumindest in einiger Zeit, wenn die Börsenkurse den Erträgen der Firmen entsprechen. Vielleicht macht er damit auch große Gewinne, obwohl man an der Börse Verluste nie ausschließen kann. Wer aber eine Abfertigungsreserve zu veranlagen hat, wer für Pensionen vorzusorgen hat, der sollte den Großteil des Geldes risikoloser (wenn auch daher mit weniger Chancen auf kräftige Gewinne) anlegen. Also weniger in Aktien und mehr in sicheren festverzinslichen Wertpapieren. Und wer sein Geld einem Abfertigungs- oder Pensionsfonds anvertraut, sollte sich doch die Mühe machen, sich die Veranlagungsgrundsätze dieser Institution genau anzusehen. Damit er sich im Ernstfall eine schmerzliche Enttäuschung erspart.

Worum geht’s?

Der Traum vom schnellen Geld an der Börse ist für viele schon seit ein paar Jahren ausgeträumt. Für viele? - Ja, für viele. Denn von fallenden Aktienkursen betroffen sind nicht nur »Börsen-Insider«, sondern immer mehr Arbeitnehmer, die ihre Ersparnisse in Aktienfonds investiert haben, Pensionskassen beigetreten sind oder aus den neuen Abfertigungsfonds Geld erwarten. Besonders hart kann es Pensionisten treffen: Sogar vorsichtig operierende Pensionskassen erwirtschaften aufgrund fallender Aktienkurse keine Gewinne mehr, sondern schreiben Verluste. Die Folge sind zum Teil sogar recht kräftige Pensionskürzungen - wie gut, dass unser staatliches Umlagesystem noch immer den Großteil der Pensionen finanziert!

Sinkende Aktienkurse bedeuten aber auch, dass börsenotierte Unternehmen an Wert verlieren. Kredite werden teurer, neue Anleger bleiben ebenso aus wie Investitionen. Das dämpft die Konjunktur und erhöht den Druck auf die Wirtschaft und die Arbeitnehmer. An Wunder zu glauben wird nicht reichen, vielmehr muss das Vertrauen in die Börsen der Welt zurückgewonnen werden. Bilanzfälschungen und Kriegsdrohungen à la USA sind da sicher der falsche Weg.

(Ch)

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Thomas Lachs (Pensionist in Wien und war Direktor der OENB) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Oct 2002 00:00:00 +0200 1192029247487 Börsenkapitalismus à la USA und seine Folgen Die realwirtschaftliche Sichtweise erklärt wirtschaftliches Wachstum durch erhöhten Einsatz der Ressourcen Arbeit und Kapital, primär aber durch die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität. Diese wiederum wird auf den technischen Fortschritt bei Maschinen und Anlagen, auf eine Verbesserung der Qualifikationen der Arbeitskräfte, auf steigende Skalenerträge, auf die Realisierung von Netzwerkeffekten, auf die Erfindung neuer Materialien usw. zurückgeführt. Der Finanzierung kommt in dieser Sicht eine dienende Funktion zu, sie steuert die Ressourcenallokation über die Lenkung der Finanzmittel zu den gewinnträchtigsten Verwendungen. Ein schlechtes Finanzsystem ist ein Hindernis für die volle Ausschöpfung des Potentials der Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität.

Euphorie der »New Economy«

In den letzten zwei Jahrzehnten machte sich jedoch zunehmend eine Stimmung breit, welche dem Finanzsystem die Schlüsselrolle im Wachstumsprozess zuschrieb. Ausgegangen ist und weitgehend getragen wurde diese Welle von der Entwicklung in den USA. Die faktische Parallelität von steigenden Börsenkursen und einer außergewöhnlich lang dauernden und im Vergleich zu Europa deutlich stärkeren Expansion der Produktion verleitete einen wachsenden Teil der öffentlichen Meinung, der politischen Entscheidungsträger in so gut wie allen Parteien und auch in breiteren Kreisen der Bevölkerung zu der Ansicht, dass es die ständige Steigerung der Gewinne und Börsenkurse ist, welche der Leistungssteigerung der Wirtschaft zugrunde liegt. Daher sei ein Höchstmaß an Anreizen zur Erzielung von Gewinnen und Wertsteigerungen und eine Gestaltung des Rechnungswesens der Kapitalgesellschaften, welche solche Steigerungen möglichst voll und vor allem schnell durchschlagen lässt, Schlüssel zu dauernder Prosperität. Es entwickelte sich eine Euphorie der »New Economy«, in welcher die Verbindung von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und Börsenkapitalismus ein Wachstum ohne Rezession (»Ende des Konjunkturzyklus«), kontinuierlich steigende Einkommen und Vermögen bringen würde.

Ernüchterung und Suche nach neuen Regulierungen

Die These von der aktiven Schlüsselrolle der Börsen im Wachstumsprozess wurde inzwischen durch eine im Auftrag der AK erstellte Studie des WIFO1) widerlegt. Aktienmarktdominierte Volkswirtschaften weisen keine bessere gesamtwirtschaftliche Entwicklung auf als Volkswirtschaften, in denen die Bankfinanzierung der Unternehmungen die größere Bedeutung hat. Zusätzlich erbrachte diese Studie Hinweise darauf, dass die heftigeren Schwankungen der Aktienmärkte sich auch auf die Investitions- und Sparpläne der Unternehmen und Haushalte übertragen und so zu stärkeren Schwankungen der Realwirtschaft führen.

Vor allem aber hat der Absturz der Börsen zu einer allgemeinen Ernüchterung geführt. Es lohnt sich aus mehreren Gründen, die Fehlfunktionen konkret aufzuzeigen und zu analysieren: Weil trotz der eingetretenen Ernüchterung sich eine bewundernde Haltung gegenüber dem Finanzkapitalismus à la USA hartnäckig behaupten kann und in finanzkapitalistischen »Nachzüglerländern« wie Österreich immer noch Maßnahmen in die falsche Richtung getroffen oder gefordert sind. Aber auch, weil das Kind nicht mit dem Bad ausgeschüttet werden soll, das heißt, aus spezifischen Formen des Versagens der Finanzmärkte nicht deren »Abschaffung« gefolgert werden kann, sondern alternative Formen der Regulierung (wieder-)gefunden werden müssen, die mit den problematischen Eigenschaften dieser Märkte besser zurechtkommen.

Stock Options-Programme

Geradezu als Wundermittel zur Motivation des Top- und des mittleren Managements wurden bis vor kurzem so genannten »Stock Options-Programme« angepriesen. Die Begünstigten dieser Programme erhalten zusätzlich zu ihrem festen Gehalt das Recht, zu einem definierten Zeitpunkt Aktien zu einem bei Einräumung des Optionsrechts festgesetzten Preis zu erwerben. Der Anreiz für das Management besteht darin, die Performance der Gesellschaft zu steigern und so die Aktienkurse zu erhöhen, und über die Ausnutzung der Option am Wertzuwachs selbst spürbar mitzuverdienen. Ein besonderes Zuckerl kann noch darin bestehen, dass - wie in Österreich - ein Teil des Kursgewinns nicht der Einkommensteuer unterliegt oder mit einem niedrigeren Satz besteuert wird. Die angeblich so großartige Wirkung der Optionen hat in den neunziger Jahren zu einer rasant steigenden Anwendung dieser Entlohnungsform geführt, sodass in den USA cirka ein Drittel der höher qualifizierten Angestellten einen Teil ihres Entgelts in Form von Stock options erhielten.

Katastrophal und obszön

Die Beliebtheit der Stock Options-Programme beruht einerseits darauf, dass sie den Vorständen die Möglichkeit zu für europäische Verhältnisse sagenhaft hohen Einkommen eröffnet haben, und andrerseits die Gesellschaften selber nichts kosteten, weil sie über die Ausgabe neuer Aktien finanziert wurden, die zu Lasten der Anleger ging.

Heute erkennt man die Wirkungen dieser Programme als katastrophal, wozu unter anderem folgende Fakten beigetragen haben. Die Höhe der Optionen wird zunehmend als »obszön« kritisiert: Es gibt in der Zeit der Börsenhausse viele Beispiele für in die Hunderte Millionen US-Dollar gehende Zusatzeinkommen von Spitzenmanagern, welche durch die Nutzung von Optionen erzielt wurden. Der frühere CEO (Vorstandsvorsitzende) der berüchtigten Firma Enron, Kenneth Lay, erzielte durch gefälschte Rechnungsabschlüsse, die noch hohe Gewinne auswiesen, obwohl die Gesellschaft tatsächlich schon bankrott war, allein durch Ausübung seiner Stock options 123 Million US$; alle Enron-Manager zusammen erzielten aus Stock options, Provisionen und anderen Vergütungen mehr als 1 Milliarde US$. Noch mehr als die Enron-Manager haben die Spitzenmanager des ebenfalls bankrotten Telekomunternehmens Global Crossing durch Bilanzfälschung für sich herausgeholt, nämlich 1,3 Milliarden US$. Dies sind nur einige der unverschämtesten aus einer Unzahl von Beispielen.

Kursmanipulation, Bilanzfälschung und Betrug

Seit der Trendumkehr der Börsenkurse werden Stock options immer häufiger neu bewertet, damit die Begünstigten auch bei tieferen Börsenkursen noch einen Verkaufsgewinn erzielen können. In diesem Fall kann von einer Anreizwirkung keine Rede mehr sein, da die Latte für den Erfolg im Nachhinein tiefer gelegt wird.

Die eindeutig nachweisbare Wirkung der Einräumung von Stock options ist die Verleitung von Spitzenmanagern zu Kursmanipulation, Bilanzfälschung und Betrug. Seit dem Platzen des Enron-Skandals werden diesbezüglich fast täglich neue, schockierende Tatsachen bekannt:

Die Veröffentlichung von manipulierten Umsatzzuwächsen, das kurzfristige Wechseln zwischen verschiedenen Gewinnermittlungsarten je nach Vorteilhaftigkeit, und andere Praktiken, entweder legal, am Rande oder schon etwas jenseits der Legalität, wurden gezielt zur Kursmanipulation eingesetzt, um aus den Stock options möglichst hohe Einkommen zu erzielen.

Kaum mehr als Ausnahme, sondern als systemimmanente Erscheinung müssen nach der großen und ständig wachsenden Zahl der bekannt werdenden Fälle Fälschung und Betrug gesehen werden.

Wenn die Beträge illegaler Bereicherung Einzelner schon hoch genug erscheinen, so steht ihnen ein Vielfaches an Verlusten auf Seiten der Aktieninhaber gegenüber, wovon ein nicht geringer Teil auf Anlagen zur Sicherung der Altersversorgung entfällt. Die Mitarbeiter von Enron und zahllosen anderen Unternehmungen verloren zig Milliarden $, weil sie den Ankündigungen und Aussagen ihrer Manager vertrauten und ihre betrieblichen Pensionsvorsorgen einseitig in Aktien der eigenen Firma investierten - gegen alle Vernunft, aber gesetzlich in den USA möglich.

Die maßlosen Anreize der Geldgier haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Diese Wirkung liegt allerdings nicht dort, wo sie die Apologeten des extremen Finanzkapitalismus behauptet haben, sondern in fragwürdiger bis betrügerischer Bereicherung einerseits und Milliardenverlusten andrerseits.

Das Sonderbarste an den Stock options ist aber ein Aspekt, der sonderbarerweise erst jetzt kritisch gesehen zu werden beginnt: Dieses Instrument räumt den US-Gesellschaften eigentlich das Recht zur Geldschöpfung, also zur Schaffung finanzieller Ressourcen aus dem Nichts ein. Der typische Vorgang besteht darin, dass aus dem genehmigten, aber noch nicht zur Zeichnung gegebenen Kapital einer Gesellschaft von der Gesellschaft selbst den Begünstigten Aktien zu einem niedrigeren als zum Börsenkurs überlassen werden. Bei den hohen Volumina der Optionsrechte bedeutet dies eine durchaus fühlbare »Verwässerung« der anderen Aktieninhaber. Diese haben den finanziellen Nachteil.

Was sind Gewinne?

Die Vorschriften für die Rechnungslegung werden in den USA nicht vom Gesetzgeber erlassen, sondern von dem aus Experten der Wirtschaftsprüfung bestehenden »Financial Accounting Standards Board« festgelegt und weiterentwickelt. Diese Vorschriften (»US-GAAP«) unterscheiden sich von den europäischen (IAS) durch ihren Kasuismus, inhaltlich vor allem dadurch, dass sie eine besonders rasche Ausweisung von Gewinnen gestatten. Aber damit nicht genug, waren die amerikanischen Gesellschaften in den neunziger Jahren sehr erfinderisch, wenn es darum ging, das schnelle Geld noch schneller darzustellen.

Ein beliebtes Instrument zur Manipulation waren die vor allem in den USA üblichen so genannten »pro forma-statements« der operativen Ergebnisse. Ursprünglich für interne Zwecke vor allem bei Fusionen erstellt, wurden solche Pro-forma-Bilanzen immer häufiger veröffentlicht, wobei »störende Einflüsse« z. B. resultierend aus Fusionen, Aufwendungen für gerichtliche Vergleiche etc. fortgelassen wurden, um ohne diese Einflüsse ein möglichst rosiges Bild der Ertragslage zu zeichnen. Nach einer Untersuchung der US-Beratungsfirma Smart Stock Investor.com haben in den ersten drei Quartalen 2001 die Top 100 des NASDAQ-Index in pro-forma-statements zusammen 19 Milliarden
US$ Gewinn »bekannt gegeben«, während die Gewinnermittlung nach US-GAAP für denselben Zeitraum einen aggregierten Verlust von 82 Milliarden US$ ergab2).

Freche Manipulationen

Ein Vorschlag des Finanzdienstleistungsunternehmens S&P, bei der Darstellung der nicht offiziellen operativen Erträge gewisse Formen von extremer Manipulation auszuschließen, ist unter den Analysten und Investmentstrategen auf vehemente Ablehnung gestoßen. Diese Kreise wollen sich ihr Spielmaterial für das Zusammenbrauen von »Stories« und das Vorspiegeln von großen Gewinnaussichten einfach nicht nehmen lassen. »Die Wall Street will sich nicht arm rechnen«3), kommentierte die FAZ diese Diskussion.

Ein Beispiel besonders frecher Manipulation sind die so genannten »Rückfahrkarten«-Geschäfte (Hin- und Zurückverkäufe) in der Stromhandelsbranche, so etwa wurde z. B. von der Firma CMS Energy in einem Zeitraum von 18 Monaten ein »Umsatz« von 4,4 Milliarden US$ erzielt. Kurioserweise ist diese spezielle Art von Luftumsätzen in den USA nicht einmal illegal, obwohl sie ganz klar die Täuschung der Anleger zum Zweck hat. Ohne dass dies die Täuschungsmanöver entschuldigen kann, ist es sehr wahrscheinlich, dass aggressive Schwindler mit ihren getürkten Umsatzzuwächsen andere Unternehmungen unter Druck brachten. In der Endphase der Börsenhausse konnte man sich fragwürdigen Praktiken möglicherweise schwer entziehen, da es darum ging, wenigsten halbwegs im allgemeinen Erfolgsrausch mithalten zu können.

Von Anfang an als simpler Betrug sind jene Bilanzfälschungen zu sehen, welche dem Skandal um WorldCom, das zweitgrößte Long-distance-Telekomunternehmen der USA, zugrunde liegen. Mit einem Unternehmenswert zum höchsten Börsenkurs im Juni 1999 von 115 Milliarden US$ übertrifft dieser Konkursfall den Fall Enron (63 Milliarden US$) noch um einiges. In der Hauptsache besteht die Bilanzfälschung darin, dass verschiedene Betriebskosten wie Aufwendungen für laufenden Betrieb und Reparatur des Netzes als Kapitalinvestitionen verbucht wurden.

Enron: Simpler Betrug

Das Vorziehen zukünftiger, oft gar nicht gesicherter Erträge in die Gegenwart wurde als großartige Innovation der New Economy angesehen - die »bösen Überraschungen« ließen allerdings nicht lange auf sich warten. Die in den neunziger Jahren rasch wachsenden Umsätze von Enron bestanden überwiegend darin, dass Enron für einen in der Zukunft liegenden Zeitraum für einen fixierten Preis die Lieferung von Strom, Erdgas oder die Bereitstellung von Leitungskapazitäten in Glasfaserkabeln zusagte, wobei sich die Firma wiederum durch entsprechende Verträge bei Stromerzeugern absicherte. Der abgezinste Gewinn aus diesem Geschäft wurde in die Erfolgsrechnung eingestellt. Begünstigt wurde (und wird immer noch) die enorme Ausweitung dieser Handelsaktivitäten durch die drastische Lockerung der gesetzlichen Bestimmungen, sodass aggressive Unternehmungen wie Enron sich wie »auf freier Wildbahn« bewegen konnten. Höhere Gewinne aus solchen Umsätzen erhöhten den Börsenkurs der Aktien des Unternehmens, womit auch eine gewisse Erhöhung der Gewinnausschüttung einhergeht. Da aber die tatsächlichen Geldflüsse noch mehr oder weniger weit in der Zukunft lagen, mussten die Ausschüttungen kreditfinanziert werden. Es entstand ein Liquiditätsengpass, welcher einige Jahre lang vertuscht wurde. Die Methoden, die dabei angewendet wurden, mündeten schließlich bei Enron in ganz simplen Betrug.

Publizität, Wirtschaftsprüfung, Rating

Die US-amerikanische Sichtweise der Finanzmärkte bzw. der Börse setzt in einem sehr hohen Ausmaß auf die Kontrollwirkung von Seiten privater Interessen: auf Publizität, Kontrolle durch unabhängige private Wirtschaftsprüfer und formalisierte öffentlich gemachte Einstufung durch private Institutionen, genannte Rating-Agenturen.

Insbesondere im Vergleich zu den diesbezüglichen europäischen Vorschriften sind die Publizitäts-, Melde- und Prospektanforderungen für die Notierung an US-Börsen erheblich umfangreicher und strenger. Die Orientierung am amerikanischen Modell in diesem Teilbereich würde für Europas Finanzmärkte keine Nachteile, sondern durch erhöhte Transparenz Vorteile für die Anleger bringen. Die Wirksamkeit von Publizitätsvorschriften zur Verhinderung von Missbrauch, Manipulation, Fälschung und Betrug darf allerdings nicht überschätzt werden. Was haben die maximalen Offenlegungsvorschriften bei Stock Options-Programmen genutzt, Manipulationen hintanzuhalten? Wo war die Kritik, wo sind die Korrekturmechanismen, als die Erfolgsmaßstäbe definiert und nach unten umdefiniert wurden und auch heute noch umdefiniert werden?

In einer Untersuchung des Finanzdienstleisters Bloomberg wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der zwischen 1996 und 2001 in den USA bankrott gegangenen börsenotierten Gesellschaften zuvor vom Wirtschaftsprüfer einen Bestätigungsvermerk ohne Einschränkung erhalten hatten (»clean audit«)4) - eine Bestätigung dafür, dass die Wirtschaftsprüfer ängstlich alles vermeiden, was zum Verlust des Kunden führen kann.

Besonders zweifelhaft erscheint nach den jüngsten Entdeckungen die Funktion des Ratings bzw. der Ratingagenturen. Das Versagen dieses Verfahrens im Fall Enron ist eklatant und in höchstem Maße blamabel. Denn der Sinn des Ratings ist es, dass für Anleger mit geringerem Informationsstand Ratingfirmen durch spezielles Analyse-Know-how und auch durch Einsicht in nicht allgemein zugängliche Unternehmensdaten die Bonität bzw. das Ausfallsrisiko einer genauen Überprüfung unterziehen.

Für viele Unternehmungen mit hoher Bonität bringt die Prozedur den Anlegern kaum einen wirklichen Informationsgewinn, während im Fall Enron das Rating kläglich versagt hat - die Agenturen ließen sich viel zu lange Zeit mit der warnenden Abstufung. Das heißt, dass man das Rating eigentlich nicht braucht, wo es verlässlich ist und dort, wo man es brauchen würde, hat es geringen Wert oder ist schlicht falsch. Auf der Verantwortungs- und Haftungsseite steht dem enormen Gewicht der Ratingagenturen bisher nichts gegenüber. Es ist kein Fall bekannt, dass für falsche Ratings Schadenersatz geltend gemacht worden wäre. Man könnte diese Institutionen pointiert quasi als Schlussstein des »Systems der organisierten Verantwortungslosigkeit« bezeichnen. Grund genug, die Institution als solche in Frage zu stellen und für den europäischen Finanzmarkt nach Alternativen zu suchen, bevor uns diese Seuche völlig überrennt.

Zur Rolle von Analysten und Investmentbanken

»Kaufempfehlungen sind Verkaufssignale« lautete kürzlich eine Schlagzeile der Financial Times Deutschland. Diese stellte die Aktientipps von 17 europäischen Finanzhäusern der tatsächlichen Entwicklung nach drei Monaten gegenüber, wobei sich zeigt, dass im Durchschnitt aller Empfehlungen die Kurse der zum Kauf empfohlenen Titel sich schlechter entwickelten als jene mit Verkaufsempfehlungen.5)

Seit der großen Wende der Börsenkursbewegung wird die Branche der Aktienanalytiker immer heftiger kritisiert. Der Hartnäckigkeit des Justizministers des Staates New York, Eliot Spitzer, ist es zu verdanken, dass an einem durchaus gewichtigen Einzelfall nachgewiesen werden konnte, mit welcher Kaltschnäuzigkeit Empfehlungen wider besseren Wissens erteilt worden sind, und zwar von der Investmentbank Merrill Lynch. Es gelang der Untersuchungsbehörde, interne E-Mails von Analysten als Beweismaterial sicherzustellen, in welchen Aktien sehr schlecht beurteilt wurden (»Schrott«, »Pulverfass«), die von der Bank zum Kauf empfohlen wurden. Wenn »anständig« verdient werden soll, muss die Kauflust angeregt werden, wofür eben dann entsprechende Empfehlungen zu sorgen haben.

Deutschland imitiert den US-Börsenkapitalismus

Weil das für eine der weltweit führenden Wirtschaftsnationen zum Renommee gehört, und vielleicht auch in der Hoffnung, damit einen Beitrag zur Behebung der Wachstumsschwäche zu leisten, wurden in Deutschland in den letzten Jahren einige spektakuläre Maßnahmen zur Anregung von Aktienhandel und Börsenspekulation gesetzt, z. B. die Privatisierung von 57% der Deutschen Telekom ab 1996 unter dem Titel »Volksaktie«, sowie steuerpolitische Maßnahmen, hier besonders die von der rotgrünen Regierung eingeführte Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen aus Beteiligungsverkauf.

Damit sollte der Abbau von strategischem Beteiligungsbesitz von Banken, Versicherungen, Finanzinstitutionen, auch Nichtfinanzunternehmungen forciert werden. Der Aktienbesitz sollte mehr in Portefeuilleinvestitionen bestehen, naturgemäß mit wesentlich stärkerer spekulativer Orientierung. Die versprochene wachstumsbelebende Wirkung dieser Maßnahme steht in den Sternen, bereits sichtbar ist schon jetzt ein massiver Ausfall an Einnahmen aus der Körperschaftsteuer.

Der bislang unverschämteste Betrugsfall war wohl jener der Nürnberger Firma Comroad, angeblich führender Anbieter von Telematik-Netzwerken. Von dessen angeblich so rasanten Umsatzzuwächsen stellte sich bald heraus, dass von gemeldeten 93,5 Millionen e Umsatz ganze 1,3 Millionen e echt waren, der Rest »Luft«, das heißt Scheintransaktionen mit einem inexistenten Hongkonger Elektronikunternehmen. Durch solche Umsatzmeldungen hatte der Börsenkurs einen Höchststand von fast 65 e erreicht - man darf annehmen, dass bei günstigem Wind die Gründer-Eigentümer kräftig verkauft haben.

Schlussfolgerungen für ein europäisches Modell der Finanzmarktregulierung und der Corporate Governance:

Man sollte meinen, dass angesichts dieser massiven Evidenz die staunende Bewunderung gegenüber dem amerikanischen Finanzmarktmodell verflogen ist - dies trifft aber keineswegs zu. Noch immer wird versucht, mit den abgewirtschafteten »Analysemethoden« neue »Rallyes« zu erzeugen und euphorische Erwartungen wieder zu beleben, werden von der Politik neue »Kapitalmarktoffensiven« angekündigt, wird an diskreditierten Instrumenten festgehalten.

Langfristige Erfolgsmaßstäbe

Dies gilt in den USA vor allem für die Stock options, gegen die neuerdings massivste Kritik auch aus Kreisen wie dem »Wall Street Journal« geäußert wird, welche gegen extreme Bereicherungsformen an sich keine Bedenken haben. Aufgrund der Erfahrungen gibt es hier eigentlich nur eine Konsequenz: Hände weg von diesem Instrument. In Europa und in Österreich, wo die Gagen noch nicht so exzessiv und Stock Options-Programme noch weniger verbreitet sind, sollte dieses Instrument nicht weiter forciert, sondern zurückgenommen und die Steuerbegünstigung abgeschafft werden. Vor allem sollten Entlohnungsformen für Manager entwickelt werden, welche nicht an kurzfristigen Erfolgsmaßstäben anknüpfen, sondern das Interesse der Manager an einer mittel- und langfristig guten Performance ihrer Gesellschaft stärken.

Was Publizitätspflichten als solche anlangt, so kann Europa in dieser Hinsicht sicherlich noch von den USA lernen. Die Einhaltung sollte jedenfalls viel stärker als derzeit von Amts wegen kontrolliert werden. Das hauptsächliche Problem besteht jedoch im Vordringen des »Systems der Verantwortungslosigkeit«, in welchem sich Entscheidungsträger auf Kontrollore, Ratingagenturen und Berater berufen, die gar nicht oder fast nicht zur Haftung für schlechte Arbeit herangezogen werden können. Hier werden strengere Haftungsbestimmungen notwendig sein. Jede Forcierung des überaus problematischen Instruments Rating, wie sie etwa aus den »Basel II«-Bestimmungen auch in ihrer derzeit diskutierten Form resultieren würde, sollte unterbleiben. Eine weitere notwendige Maßnahme ist die verpflichtende Ablö