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Wed, 15 Jan 2003 00:00:00 +0100 1191422923625 Auch für Gewerkschaften ein »Prinzip Hoffnung« Die Realbilanz des angeblich so »freien Marktes« lautet: Massenarbeitslosigkeit, Abbau des Sozialstaats, ökologische Desaster wie jüngst an der galicischen Küste, Elend und die nicht enden wollende Schuldenfalle für die Länder der Dritten Welt. Und - gekoppelt mit der neoliberalen Offensive - deren Zwillingsbruder, der Rechtsextremismus und Rechtspopulismus - der »Sozialismus des dummen Kerls«.

Gegen all das stand Florenz in beeindruckender Breite, Tiefe und Phantasie. Eine der spannendsten Debatten war sicher das Verhältnis von Parteien zu Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Etliche Linkspolitiker, wie Fausto Bertinotti von der italienischen Rifondazione, machten unmissverständlich klar, dass es nicht um Unterordnung gehen kann. Parteien müssen die volle Autonomie der Bewegungen respektieren, jeglichen Führungsanspruch hintanstellen.

Florenz war auch ein Beleg dafür, wieweit in manchen Ländern der Annäherungsprozess von Bewegungen und Gewerkschaften bereits gediehen ist. Gut ein Viertel der Demonstranten am Ende des Sozialforums waren Gewerkschafter!

Als kurz nach Beendigung des völlig friedlichen Forums zwanzig Repräsentanten der Bewegungen unter fadenscheinigen Vorwänden verhaftet wurden, folgte sofort die Solidarisierung seitens der Gewerkschaften. Umgekehrt stehen die Bewegungen Seite an Seite mit den Beschäftigten von FIAT, denen Kündigungen und Werksschließungen in großem Ausmaß drohen. Ebenso unterstützen die Bewegungen in Frankreich den Abwehrkampf der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gegen die Abbaupläne der Rechtsregierung im Zeichen von GATS.

Auch aus Österreich gibt es Erfreuliches zu berichten. So stand die Globalisierungsdiskussion auf dem GPA-Bundesforum im November ganz im Zeichen der Aufbruchsstimmung von Florenz. Ein Film über das Sozialforum leitete den Tagesordnungspunkt ein. GPA-Vorsitzender Hans Sallmutter machte kein Hehl daraus, dass der Platz der Gewerkschaften bei jenen ist, die für ein anderes, soziales Europa eintreten - jenseits des Profitprinzips.

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H. Dworczak http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 Jan 2003 00:00:00 +0100 1191422923619 Von Porto Alegre nach Florenz | Ein anderes Europa ist möglich! Nur wirklich Ortskundige wissen, dass gleich gegenüber vom Bahnhof normalerweise eine McDonald’s Filiale zu finden ist. Alle Logos sind verhüllt oder abmontiert. In der Florentiner Innenstadt herrscht absolutes Halte- und Parkverbot. Abschleppdienste sind damit beschäftigt, die wenigen übrig gebliebenen Autos aus dem Weg zu schaffen. Die Geschäftsleute und Behörden von Florenz bereiten sich auf den seit Wochen angekündigten Ausnahmezustand vor! Denn: Seit Mittwoch, 6. November, bevölkern 60.000 Globalisierungskritiker die Stadt. Für 5 Tage, vom 6. bis 10. November, ist Florenz Schauplatz des ersten Europäischen Sozialforums und damit Zentrum der globalisierungskritischen Bewegung. Und für den Samstagnachmittag werden mehrere hunderttausend Menschen zur friedlichen Demonstration gegen Krieg und Neoliberalismus erwartet.

Wer sind sie, diese Globalisierungskritiker, denen all die Panikmache gilt?

Sie kommen aus ganz Europa, von mehr als 400 verschiedenen Organisationen - Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften. Es sind aber auch viele engagierte Einzelpersonen darunter. Mehr als 600 von den Teilnehmern des Europäischen Sozialforums kommen aus Österreich. 100 davon sind Gewerkschafter.

In 18 Großkonferenzen und mehr als 150 Seminaren diskutieren die Delegierten über Alternativen zum Neoliberalismus, über den Kampf gegen Rassismus und Krieg, über die Demokratisierung aller Lebensbereiche und nicht zuletzt über die Bildung von Netzwerken und gemeinsamen Aktivitäten. Die Zusammenarbeit innerhalb der bunt zusammengewürfelten Bewegung ist nicht immer ganz leicht. Hin und wieder gehen die vorgeschlagenen Wege auch auseinander. So neigen etwa Gewerkschaften mitunter zur Skepsis gegenüber den völlig anders organisierten neuen sozialen Bewegungen.

Trotzdem: Von den Medien zu wenig beachtet, oft falsch dargestellt und stark unterschätzt, entwickelt sich die ungewöhnliche Allianz aus unterschiedlichsten sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zu einer neuen Form der europäischen Zivilgesellschaft. Was sie eint, ist die gemeinsame Überzeugung, dass eine andere Welt nicht nur nötig, sondern auch möglich ist. Die Delegierten des Sozialforums wollen die zukünftige Gestaltung der Welt nicht den Vertretern von Regierungen, Konzernen und internationalen Organisationen überlassen. Sie wollen ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen und - notfalls auch gegen den Willen der politischen Entscheidungsträger - deren neoliberalem Kurs entgegensteuern.

Die Bewegung wächst

Fast ein Jahr ist vergangen, seit in Porto Alegre, Brasilien, beim 2. Weltsozialforum der Startschuss für die Regionalisierung und Erweiterung der Idee des Weltsozialforums fiel. Inzwischen ist die Bewegung weiter gewachsen, breiter geworden und hat sich besser organisiert.

Der Funke der Begeisterung ist aus Brasilien auf Europa und damit auch auf viele österreichische Gewerkschafter übergesprungen. Aus einer nur 10 Personen starken Gewerkschaftsdelegation in Porto Alegre ist ein Sonderzug mit 500 Plätzen geworden. Gemeinsam organisiert von Eisenbahnergewerkschaft, GPA, attac, Österreichischer Hochschülerschaft und anderen mehr. Die Liste der beteiligten Gruppen ist lang.

Ebenso bunt gemischt wie das österreichische Organisationsteam waren die Mitreisenden im Zug von Wien nach Florenz. Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre aller Altersstufen waren genauso mit an Bord wie Studenten, Vertreter kirchlicher Organisationen und engagierte Einzelpersonen.

Die Zukunft

Der Erfolg des Sozialforums spricht für sich. Trotz kurzfristig wieder zum Leben erweckter Grenzkontrollen, einem enormen Polizeiaufgebot in Florenz und der Negativpropaganda der italienischen Regierung ließ sich niemand entmutigen. Diejenigen, die die globalisierungskritische Bewegung mit Gewalt und Ausschreitungen in Verbindungen gebracht hatten, wurden durch die friedliche Demonstration von einer knappen Million Menschen eines Besseren belehrt. Was für die übervorsichtigen florentinischen Geschäftsleute bleibt, ist ein enormer Verdienstentgang und vielleicht die Erkenntnis, dass sie besser nicht blindlings den Ratschlägen der Regierung Berlusconi folgen sollten.

Das erste Europäische Sozialforum ist jedenfalls erst der Beginn einer Entwicklung.

Der Termin für das nächste Europäische Sozialforum in Paris/St. Denis vom 12. bis zum 16. November 2003 steht schon fest, und ein Österreichisches Sozialforum (wahrscheinlich in Hallein, Salzburg) ist geplant.

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L. Bauer http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 Jan 2003 00:00:00 +0100 1191422923615 Studieren und arbeiten | Viele Betroffene, viele Probleme Alice N. hat einen 40-Stunden-Bürojob und absolviert einen wirtschaftsbezogenen Fachhochschul-(FH-)Studiengang für Berufstätige. Werner K. studiert Politikwissenschaften und jobbt immer wieder einmal in einer Zeitungsredaktion. Brigitta D. arbeitet neben ihrem Biochemie-Studium in einem Labor. Die genannten Fälle sind keineswegs untypisch: Erwerbstätige Studierende sind - dies zeigen zahlreiche Studien - längst der Regelfall, »klassische« Vollzeitstudierende hingegen eine Minderheit.

Daten der Statistik Austria belegen, dass ein Drittel der Absolventen und Absolventinnen des Studienjahrs 1999/2000 während des Studiums regelmäßig gearbeitet hat, knapp die Hälfte unregelmäßig und nur 17% konnten sich ausschließlich dem Studium widmen. Zum Vergleich: Bei der Absolventenbefragung 1990/91 betrug der Anteil der »reinen« Vollzeitstudierenden noch doppelt so viel, nämlich 34%!

Die vom Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung (ÖIBF) erstellte AK-Studie bezieht sich auf eine Befragung von 215 Studierenden technischer und wirtschaftlicher Studienrichtungen in Wien. Im Unterschied zu früheren Untersuchungen wurden nicht nur Studierende an Universitäten, sondern auch jene an FH-Studiengängen miteinbezogen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Befunde im Wesentlichen auf die Situation von berufstätigen Studierenden in den anderen Bundesländern übertragen lassen. Zentrale Ergebnisse der Studie sind:

»Bunte Mischung«

Berufstätige Studierende sind keineswegs eine homogene Gruppe, die Motive für das Betreiben eines Studiums und für eine gleichzeitige Berufstätigkeit sind sehr unterschiedlich, ebenso die Formen und das Ausmaß der Erwerbstätigkeit. Es ist allerdings eine grobe Unterscheidung in zwei »Typen« möglich. Zum einen beginnen bereits Berufstätige ein Studium mit der starken Motivation »Höherqualifizierung«, zum anderen werden viele Studierende im Laufe des Studiums erwerbstätig - oft aufgrund notwendiger Praxiserfahrung oder weil der Arbeitsmarkt berufliche Vorerfahrung verlangt. Hauptmotiv ist jedoch eindeutig, den Lebensunterhalt zu verdienen und von anderen »Finanzierungsquellen«, wie z. B. den Eltern, unabhängig zu sein.

Die unterschiedliche Prioritätensetzung zwischen Studium und Erwerbstätigkeit und die spezifischen Motivationslagen drücken sich in der subjektiven Einschätzung aus: Trotz Erwerbstätigkeit sehen sich viele als »Vollzeitstudent«, während Studierende, die regelmäßig im Arbeitsleben verankert sind, sich tendenziell häufiger als »Berufstätiger, der nebenbei studiert« bezeichnen. Das Studium als Ergänzung zur beruflichen Tätigkeit sehen eher Studierende wirtschaftlicher Studienrichtungen, FH-Studierende und ältere Studierende.

An Fachhochschulen mehr Vollzeitbeschäftigte

Im Hinblick auf das Ausmaß der Erwerbstätigkeit ist die Wahl der Bildungsinstitution von großer Bedeutung. Da derzeit nur Fachhochschulen Studiengänge anbieten, die ausdrücklich für berufstätige Studierende konzipiert sind, finden sich an diesen Einrichtungen häufiger regelmäßig vollzeitstudierende Personen. Der größte Anteil der Befragten an FH (rund 70%) arbeitet regelmäßig 20 bis 40 Stunden pro Woche; an Universitäten hingegen ist der größte Teil (rund 60%) bis zu 20 Stunden pro Woche beschäftigt (an den FH nur etwa 10%). An Universitäten sind den Erfordernissen einer weniger stark geregelten Studienorganisation entsprechend die Formen der Berufstätigkeit bei Studierenden vielfältiger. Hier gibt es häufiger unregelmäßig Erwerbstätige, die stunden- oder tageweise und auf Basis verschiedener Rechtsgrundlagen (z. B. geringfügige Beschäftigung, Werkvertrag, oft mehrere verschiedene Erwerbsverhältnisse gleichzeitig) arbeiten.

Ein breites Spektrum zeigt sich auch bei der vertraglichen Grundlage: Zum Beispiel sind 47% der Befragten auf Basis eines unbefristeten Arbeitsvertrags erwerbstätig, 17% arbeiten ohne »offizielle Anmeldung«.

Im Durchschnitt beträgt die wöchentliche Arbeitszeit regelmäßig erwerbstätiger Studierender 26 Stunden. Der mittlere Zeitaufwand bei unregelmäßiger Erwerbstätigkeit liegt zwar unter 20 Stunden pro Woche, allerdings werden in Phasen gesteigerten Ausmaßes der Erwerbstätigkeit Zeitaufwände beobachtet, die denen Vollzeitbeschäftigter entsprechen.

Mitreden

Die AK Wien plant zum Thema »Vereinbarkeit von Studium und Beruf« für Mitte März 2003 eine Veranstaltung (Studienpräsentation und Diskussion mit Vertreterinnen und Vertretern der Hochschulinstitutionen, Studierenden etc.).

Wenn Sie teilnehmen möchten, wenden Sie sich bitte zwecks Zusendung einer Einladung an die AK Wien, Abteilung Schul- und Hochschulpolitik,
Tel. 01 501 65-3137.

In welchem Ausmaß die Doppelbelastung zu Problemen führt, ist auch von der Studienrichtung abhängig. Das Alter, die Art der Studienberechtigung und ein etwaiger verzögerter Übertritt an die Uni/FH haben insofern Einfluss auf die Problematik, als die Erwerbstätigkeit und deren Ausmaß mit dem Alter zunehmen bzw. Studierende, die vor Aufnahme des Studiums bereits berufstätig waren, diese in den meisten Fällen nicht vollständig aufgeben. Zudem fallen mit steigendem Alter zusätzliche Finanzierungsquellen, wie z. B. Eltern, Stipendien, weg, sodass der Lebensunterhalt verstärkt aus der eigenen Erwerbstätigkeit bestritten wird.

Keineswegs nur Aushilfsjobs

Entgegen der landläufigen Meinung bezüglich der Dominanz »klassischer Studentenjobs« wie Zettelverteilen, Servieren etc. waren von den Befragten ca. 62% einschlägig berufstätig. Es überrascht daher nicht, dass das Studium sehr stark nach Motiven der Höherqualifizierung gewählt wurde: Die Studierenden wollen Grundlagen für eine spätere berufliche Tätigkeit erwerben, ihre Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessern und sich spezifische Fachkenntnisse aneignen (siehe Grafik 1: »Motive für ein Studium«).

Belastung durch Studiengebühren

Die wichtigsten Gründe für die gleichzeitige Ausübung einer Erwerbstätigkeit neben dem Studium sind vor allem finanzieller Art (siehe Grafik 2 »Motive für Erwerbstätige«). Im Durchschnitt stehen den Befragten 1021 Euro pro Monat zur Verfügung. Neben der Familie stellt das Einkommen aus Erwerbstätigkeit die am zweithäufigsten genannte Einkommensquelle dar, 35% beziehen ihr Gesamtbudget nur aus eigener Erwerbstätigkeit.

Erwerbsarbeit neben dem Studium führt in vielen Fällen zu einer Verlängerung der Studienzeiten. Eine Konsequenz daraus ist, dass berufstätige Studierende durch die im Wintersemester 2001/2002 eingeführten Studiengebühren in der Höhe von 363,63 Euro pro Semester besonders negativ betroffen sind. Von den Befragten an den Universitäten gaben ca. 44% an, dass ihre Situation dadurch erschwert wurde.

»Zeit« als größtes Problem

Mit steigender Erwerbstätigkeit werden verstärkt Einflüsse auf das Studium konstatiert. Regelmäßige Erwerbstätigkeit bis zu 20 Stunden pro Woche und unregelmäßiges Arbeiten bis zu einer mittleren wöchentlichen Arbeitsbelastung in diesem Ausmaß belasten das Studium vergleichsweise wenig. Außerdem sind positive Synergieeffekte zwischen Studium und Beruf möglich. Bei weiter wachsendem Ausmaß der Erwerbstätigkeit (mehr als 20 Stunden pro Woche) können fördernde Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Bildung die Belastungseffekte nicht ausreichend kompensieren.

Bei problematischer Vereinbarkeit denkt dennoch nur ein sehr geringer Prozentsatz an den Abbruch des Studiums. Die Aufgabe der Erwerbstätigkeit wird dagegen von beinahe einem Viertel der Befragten konkret in Erwägung gezogen.

Das größte Problem für die Studierenden ist somit der Umgang mit der knappen Ressource »Zeit«. Der mittlere Zeitaufwand für das Studium beträgt 32,9 Stunden/Woche (Uni: 31,9 Stunden, FH: 35,8 Stunden) und verteilt sich auf Lehrveranstaltungen, Lernen, Wegzeiten und administrative Tätigkeiten. Größere Schwankungen sind in dieser Variablen vor allem mit der unterschiedlichen Studienorganisation begründet. So werden die zeitliche Lage der Lehrveranstaltungen und der Aufwand für administrative Vorgänge an den FH-Studiengängen für weniger problematisch erachtet. Als negative Punkte werden vor allem die mangelnde persönliche Freizeit und die wenige Zeit, die für die Familie verbleibt, angeführt (siehe Grafik 3 »Probleme«).

Dieser Aspekt ist insofern interessant, da der Aufwand für das Studium und die Erwerbstätigkeit insgesamt beträchtliche Ausmaße erreichen kann. Die Befragten sind durchschnittlich 22,6 Stunden pro Woche (Uni: 18,7 Stunden, FH: 33,5 Stunden regelmäßig oder unregelmäßig kumuliert) erwerbstätig. In Summe resultiert daher ein Zeitaufwand von 55,3 Stunden pro Woche (Uni: 50,4 Stunden, FH: 69,0 Stunden), der eine wesentliche Belastung, insbesondere für Studierende in berufsbegleitenden FH-Studiengängen widerspiegelt. Etwa 16% der befragten Studierenden an Fachhochschulen wenden in Summe sogar zwischen 80 und 100 Stunden pro Woche auf (siehe Grafik 4 »Gesamtaufwand pro Woche«).

Wenngleich die erwerbstätigen Studierenden angeben, bei erkennbaren Unvereinbarkeiten eher die Erwerbstätigkeit einzuschränken als ein Studium abzubrechen, zeigen die Daten dennoch ein anderes Bild: Mit steigendem Zeitausmaß, das für Studium und Beruf insgesamt aufgewendet wird, sinkt jener Anteil kontinuierlich, der auf das Studium entfällt - von 71%, wenn das Gesamtausmaß bis zu 40 Stunden pro Woche beträgt, auf 43%, wenn für Erwerbstätigkeit und Studium in Summe mehr als 100 Stunden pro Woche aufgewendet werden. Letzteres leisten aber nur noch sehr wenige Studierende. Bei knapp werdenden Zeitressourcen scheint die Prioritätensetzung also eindeutig zugunsten der Erwerbstätigkeit auszufallen.

Häufiger Stress

Ein weiteres, angesichts der aufgezeigten Belastungen freilich wenig überraschendes Faktum ist, dass der Anteil der Personen, die über gesundheitliche Probleme klagen, mit steigender Erwerbstätigkeit zunimmt. Als Folge der Doppelbelastung durch Studium und Beruf wird von mehr als 70% der befragten Personen Belastung durch Stress angegeben.

Trotz der vielfältigen Probleme sind drei Viertel der Personen mit ihrer derzeitigen Lebenssituation zufrieden. Für über 60% ist das Ausmaß der derzeitigen Erwerbstätigkeit in Ordnung. Von jenem verbleibenden Drittel der »unzufriedenen« Befragten möchten allerdings mehr als 75% lieber weniger arbeiten. Fast 50% geben an, die Erwerbstätigkeit wäre bereits zu Beginn des Studiums in diesem Ausmaß geplant gewesen.

Wichtigste Stütze: Familie

Hilfestellungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Studium kommen in erster Linie von Seiten der Familie, von Studienkollegen und Personen im unmittelbaren Arbeitsumfeld, z. B. von den Kolleginnen und Kollegen.

Die Unterstützung der Arbeitgeber ist ebenfalls ein nicht unwesentlicher Faktor. Die flexible Festlegung der Arbeitszeiten ist für 40% der Befragten und für weitere 44% zumindest teilweise möglich. Die flexible Einteilung der Arbeitszeiten kann die Probleme etwas reduzieren, das Stundenausmaß ist in den meisten Fällen jedoch nicht anpassbar. Einige Berufstätige haben eine besondere Erschwernis: Bei ca. 10% der Befragten ist das Studium nämlich beim Arbeitgeber unerwünscht.

Informationsdefizite über Sozialleistungen

Unterstützende Maßnahmen der Bildungsinstitutionen werden weniger häufig wahrgenommen. Der Staat und seine Transferleistungen sind aus Sicht der Befragten nur für jeden Fünften eine zumindest teilweise Unterstützung.

Bildungskarenz, Selbsterhalter-Stipendium bzw. Studienabschluss-Stipendium weisen einen überraschend niedrigen Bekanntheitsgrad auf. Jeweils mehr als ein Drittel kennt die genannten Fördermöglichkeiten nicht. Die meisten Befragten, die die genannten Förderungen in Anspruch genommen haben, geben an, dass diese Angebote die Erwartungen aus ihrer Sicht weitgehend nicht erfüllen.

Große Erwartungen in die Nutzung »neuer Medien«

Von der Bildungsinstitution erwarten die befragten Studierenden vor allem Erleichterungen durch die Möglichkeiten neuer Informations- und Kommunikationstechnologien im Bereich der Lehrangebote und der administrativen Abläufe. Unterlagen zum Selbststudium werden ebenso stark befürwortet wie der Einsatz neuer Medien: »Asynchronität« ist hier der gemeinsame Nenner. Insbesondere für FH-Studierende ist die Reduktion der Belastung durch verminderte Anwesenheitspflicht am vielversprechendsten.

In Bezug auf die zeitliche Organisation der Universitätsstudien werden von berufstätigen Studierenden vor allem Lehrveranstaltungen am Abend sowie Blockveranstaltungen gewünscht. Eigens konzipierte Studiengänge für Berufstätige werden als (sehr) wichtig gesehen. Weiters können die Optimierung der Strukturierung des Studienablaufs und kurzfristig überblickbare Studienmodule den Studierenden helfen.

Was nötig ist

Da Studium und Beruf für viele Betroffene offensichtlich noch immer sehr schwer »unter einen Hut zu bringen« sind, verlangen die Arbeitnehmerorganisationen ein umfassendes Maßnahmenbündel zur besseren Vereinbarkeit. Notwendig sind beispielsweise:

  • mehr auf Berufstätige bezogene Orientierungshilfen beim Studienbeginn, welche die Integration in das System erleichtern (z. B. eigene »Berufstätigenreferenten«);
  • ein eigens für Berufstätige konzipiertes Studienangebot an Universitäten in Studienrichtungen mit einem hohen Erwerbstätigenanteil sowie mehr Abend- und Blockveranstaltungen;
  • bedarfsgerechte Öffnungszeiten von Bibliotheken und Instituten;
  • bevorzugte Mittelzuteilung an FH-Studiengänge für Berufstätige;
  • qualitativ hochwertiger Einsatz neuer Kommunikationstechnologien, wie z. B. Lernmaterialien im Internet, in der Administration etc.;
  • Verbesserung der finanziellen Unterstützungen, z. B. Sicherung und Ausbau der bis August 2003 befristeten Studienabschlussstipendien und Einbeziehung von FH-Studierenden;
  • die Abschaffung der pauschalen Studiengebühren, die berufstätige Studierende aufgrund längerer Studienzeiten besonders benachteiligen.

Fazit

Wenngleich berufstätige Studierende in der Regel offensichtlich hoch motiviert und »belastungserprobt« sind: Die vielfältigen Probleme und Wünsche dieser großen Gruppe dürfen nicht länger negiert werden.

In der neuen Legislaturperiode müssen vom zuständigen Ministerium gemeinsam mit den Hochschuleinrichtungen endlich verstärkt wirksame Initiativen gesetzt werden, die Berufstätigen ein von organisatorischen Barrieren freies und zügiges Studium erlauben!

Worum geht’s?

Mehr als zwei Drittel der Studierenden sind mittlerweile berufstätig. Für die AK-Studie wurden 215 Studierende technischer und wirtschaftlicher Studienrichtungen in Wien zum Thema »Vereinbarkeit von Studium und Beruf« befragt. Die Studie zeigt: Die Motive für ein Studium und eine gleichzeitige Berufstätigkeit sind sehr unterschiedlich, ebenso die Formen und das Ausmaß der Erwerbstätigkeit. Dominante Faktoren sind der Wunsch nach Höherqualifizierung und die Finanzierung des Lebensunterhalts. Hauptproblem ist die knappe Ressource »Zeit«: Die Belastung durch Beruf und Studium ist insbesondere im Fachhochschulbereich, der aufgrund eigener berufsbegleitender Studiengänge viele Vollzeitbeschäftigte aufweist, mit ca. 70 Stunden pro Woche sehr hoch. Weitere Problemfelder: Sozialleistungen sind kaum bekannt bzw. nur teilweise eine Unterstützung. Die Studiengebühr wird von vielen als zusätzliche Erschwernis erlebt. Die Befragten wünschen sich unter anderem mehr Lehrveranstaltungen am Abend und in Blockform an Universitäten, längere Öffnungszeiten der Serviceeinrichtungen und Lernmaterialien im Internet.

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Martha Eckl (hochschulpolitische Referentin der Bundesarbeitskammer) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 Jan 2003 00:00:00 +0100 1191422923421 Corporate Governance Diskussion als Antwort auf Bilanzskandale? Die Auswirkungen dieser Skandale sind gravierend. Die Aktienkurse der betroffenen Unternehmen sind in den Keller gefallen, der Aktienmarkt ist in der Folge noch nervöser geworden als er vorher - etwa durch den 11. September - ohnedies schon war. Im Sommer 2002 erreichten die Börsen schließlich wieder den Tiefstand des 11. September 2001. Wieder einmal ist auch deutlich geworden, wie unsicher langfristige Ansparpläne und Pensionsvorsorgesysteme auf dem Kapitalmarkt sind. Die Enron-Mitarbeiter etwa haben einen Großteil ihrer Pensionsvorsorge auf die Entwicklung der eigenen Aktie aufgebaut - sie ist mittlerweile von 85 US-$ auf 25 US-Cent gefallen und damit wertlos.

Bilanzskandale gibt’s überall

Dass Bilanzskandale kein rein amerikanisches Spezifikum sind, haben unlängst auch Fälle in Österreich gezeigt. Die bekanntesten sind wohl der Riegerbank- und der Bank-Burgenland-Fall. Bei der Bank Burgenland ist ein Schaden von 170 Millionen e durch gefälschte Bilanzen eines Großkreditnehmers entstanden. Auch die Pleiten von Libro, Cybertron und Y-Line weisen auf einen problematischen Umgang mit der Publizität hin, frisch gebackene Aktionäre müssen statt erhofften Kursgewinnen einen Totalverlust des eingesetzten Kapitals hinnehmen. In Oberösterreich sorgte 2001 die Pleite des Kunststoffherstellers Steiner für Aufsehen, der mit gefälschten Bilanzen seinen ausländischen Aktionär täuschen wollte.

Ursachen

Die Ursachen dieser Skandale sind vielfältig. Der Turbokapitalismus mit seiner überbordenden Shareholder-Mentalität dürfte aber wohl eine der Haupttriebfedern sein. Die Unternehmenspolitik wird überwiegend auf kurzfristige Werterhöhung ausgerichtet, die Aktionäre - vor allem Fondsmanager - setzen die Unternehmen gehörig unter Druck. Dazu gesellt sich oft blinder Optimismus von so manchem Aktienanalysten.

Gefragt sind rasche Kurssteigerungen, die Manager müssen ununterbrochen mit tollen Unternehmenszahlen aufwarten. Konzernchefs sind zunehmend bereit, »aggressive Bilanzierungsmethoden« anzuwenden.

Es geht schließlich auch um ihre eigene Börse. Immer mehr Firmen bezahlen ihre Führungskräfte mit Optionen, deren Wert von der Entwicklung des Aktienkurses abhängt. Allein im vergangenen Jahr ließen sich 140 Unternehmen in der BRD Optionsprogramme genehmigen.

In Österreich ist die Situation nicht viel anders. Wer den Kurs zur rechten Zeit nach oben treibt, kassiert kräftig. Angeregt werden die Kursphantasien oft durch wenig überlegte Wachstumsstrategien in Form von Megaübernahmen und Umstrukturierungen, die meist mit einem hohen Anteil von Fremdkapital finanziert werden. Kleine Konjunkturdellen können dann das rasche Ende dieses Traumes bewirken. So geschehen etwa in der New Economy im vergangenen Jahr.

Der österreichische Corporate Governance Kodex

Die wichtigsten Inhalte im Auszug:

  • Unterlagen für die mindestens quartalsweise Aufsichtsratssitzungen sind im Regelfall eine Woche vor der jeweiligen Sitzung zur Verfügung zu stellen.
  • Die Compliance-Verordnung soll im gesamten Unternehmen umgesetzt werden.
  • Offenlegung von Aktienbeständen (der eigenen Gesellschaft) des Vorstandes und Aufsichtsrates.
  • Veröffentlichung der Struktur der Vergütungen des Vorstandes im Geschäftsbericht.
  • Empfehlung, mehr als 4 Aufsichtsratssitzungen im Jahr abzuhalten.
  • Einrichtung eines Audit Committees sowie eines Strategieausschusses im Aufsichtsrat.
  • Klarstellung, dass Betriebsräte und Kapitalvertreter im Aufsichtsrat gleichberechtigt sind.
  • Empfehlungen über die Zusammensetzung und Qualifikation der AR-Mitglieder.
  • Empfehlungen über Rechnungslegungsstandards.
  • Betonung der Unabhängigkeit der Wirtschaftsprüfer.

Mangelnde Sorgfalt bei den Prüfern

Aber auch die prüfenden Organe - insbesondere die Wirtschaftsprüfer und Aufsichtsräte - kommen bei diesen Skandalen wieder einmal nicht gut weg. Ihnen wird vorgeworfen, ihre Sorgfaltspflicht grob vernachlässigt zu haben. Auch die mangelnde Unabhängigkeit der Prüforgane wird stark kritisiert. Arthur Anderson in den USA steht in der Folge nun selbst unmittelbar vor der Pleite, weil die Gesellschaft die Bilanzen von Enron testiert und Dokumente vernichtet hat - aus den Big Five (Anderson, Deloitte&Touche, Ernst &Young, KPMG und BWZ Global) könnten damit bald die Big Four werden, was auch wettbewerbsrechtlich nicht unproblematisch ist. Die italienische Aufsichtsbehörde suspendierte kürzlich einen Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers, weil die Banca Popolare di Novara einen Verlust von 50 Millionen Dollar 1999 nicht auswies. In Deutschland hat eine Sonderprüfung des inzwischen vom Neuen Markt verbannten Telematik-Anbieters Comroad ergeben, dass schon 1998 rund 63 Prozent des Umsatzes mit einer gar nicht existenten VT Electronics Ltd. in Hongkong getürkt worden waren, im darauf folgenden Jahr bereits 86 und im Jahr 2000 sogar 97 Prozent - geprüft und für gut befunden von der renommierten KPMG, die sich nun die Frage gefallen lassen muss: Was sind ihre Testate überhaupt wert?

Ein verzweifelter Versuch der KPMG, den entstandenen Imageschaden offensiv zu begrenzen, schlug kläglich fehl: Der Vorstandssprecher Wiedmann kündigte an, alle 45 von seinem Unternehmen bereits geprüften und testierten Neue-Markt-Kunden noch einmal unter die Lupe nehmen zu wollen. Hämisch kommentierten Konkurrenten, die KPMG traue wohl ihrer eigenen Arbeit nicht mehr1).

Stakeholder

Stakeholder eines Unternehmens sind Gläubiger, Kunden, Arbeitnehmer, der Staat etc. Sie alle haben - oft unterschiedliche - Interessen und Anforderungen an Unternehmen. Ein Unternehmen, das »stakeholder-orientiert« geführt wird, achtet darauf, dass die Interessen der Stakeholder so gut wie möglich erfüllt werden. Dies bedeutet etwa Lohngerechtigkeit und Arbeitsplatzsicherheit für die Beschäftigten, hohe Qualität für die Kunden, Kreditsicherheit für die Gläubiger etc. Demgegenüber stehen Unternehmen, die sich ausschließlich den »Shareholdern« (Eigentümern) verpflichtet fühlen. Bei diesen steht die Erzielung einer möglichst hohen Rendite im Vordergrund.

Rechnungslegungsvorschriften als Mitauslöser?

Letztlich werden auch die Rechnungslegungsvorschriften - vor allem die amerikanischen US-GAAP - als Mitauslöser für diese Krisen verantwortlich gemacht. Die Eigenarten des US-GAAP spielten sicher eine bedeutende Rolle, verbirgt sich dahinter doch ein völlig anderer Denkansatz. US-GAAP ist auf den konkreten Einzelfall bezogen, während es beim internationalen Standard IAS allgemeinere Grundsätze gibt. Zum Beispiel die Regel, sämtliche finanziellen Risiken fair darzulegen. Wenn plötzlich neuartige Risiken auftauchen, die es vorher nicht gab, muss man diese nach IAS in der Bilanz verbuchen. Die Amerikaner fragen bei US-GAAP hingegen: Ist schon mal ein ähnlicher Fall vorgekommen? Wenn nicht, besteht nach US-GAAP die Freiheit, darüber hinwegzusehen. Weil US-GAAP nicht für jeden theoretisch möglichen Spezialfall Lösungen anbieten kann, können die Amerikaner immer erst reagieren, wenn diese Fälle bereits eingetreten sind - wie jetzt bei Enron. Dass IAS zukünftig das Rennen gegen US-GAAP als »der« weltweit anerkannte Rechnungslegungsstandard gewinnt, ist allerdings trotzdem unwahrscheinlich, da hinter US-GAAP die amerikanische Börsenaufsichtsbehörde SEC steht und diese sich kaum auf IAS festlegen lassen wird.

Die österreichischen und deutschen Rechnungslegungsstandards (jeweils laut nationalem Handelsrecht) sind von ihrem Grundansatz dem Gläubigerschutz verpflichtet. Eine vorsichtigere Bilanzierung - etwa in Form der Bildung von Vorsorgen und stillen Reserven - ist die Folge. Der Nachteil ist die bestehende Undurchsichtigkeit - handelsrechtliche Jahresabschlüsse bilden nur einen Teil der Realität ab, da etwa stille Reserven für den Bilanzleser nicht sichtbar sind.

Es sind aber nicht nur die Rechnungslegungsvorschriften selbst, viele Skandale wurden durch bewusste Falschbuchungen herbeigeführt, die in jedem System passieren hätten können - vorausgesetzt, die Prüfer entdecken sie nicht. Etwa wenn Umsätze an Tochtergesellschaften verbucht werden, diese aber keinen Endabnehmer haben. Oder wenn Kosten als Investitionen angesetzt werden und damit über mehrere Jahre verteilt werden können. Oder wenn Bewertungen von Forderungen oder Lagerbeständen bewusst falsch vorgenommen werden.

Corporate Governance

Unter Corporate Governance wird die Steuerung und Kontrolle eines Unternehmens verstanden. Im Mittelpunkt stehen dabei die Organe eines Unternehmens (Hauptversammlung, Vorstand, Aufsichtsrat) sowie deren Aufgaben, Rechte und Pflichten. Geregelt sind die Regeln und Pflichten der Organe in diversen Gesetzen (Aktiengesetz, GmbHG), in Satzungen oder Geschäftsordnungen sowie nun auch im Corporate Governance Kodex.

Könnten diese Bilanzskandale verhindert werden?

Verbrecherisches Verhalten wird aller Voraussicht nach nie zur Gänze zu verhindern sein. Schwarze Schafe wird es wohl immer geben. Problematisch wird es jedoch, wenn sich herausstellt, dass ein großer Teil der Schafherde schwarz ist und der Reihe nach ein Skandal nach dem anderen aufgedeckt wird. »Jede Bilanz ist so gut, wie der Bilanzierende es wünscht«, meint etwa der Bilanzierungsexperte des Instituts für Wirtschaftsprüfung an der Universität des Saarlandes, Karlheinz Küting: »Deshalb brauchen wir eine schärfere Überwachung sowohl der Bilanzierenden als auch der Prüfer. Da wir in Deutschland keine funktionierenden Sanktionsmechanismen haben, bekommen wir die Probleme, die durch kriminelle Energie und fragwürdige Bilanzpraktiken entstehen, nicht in den Griff.«2) Versuche in der BRD, Bilanzskandale etwa durch die nachträgliche Kontrolle durch eine zweite Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (Peer Review) zu verhindern, sind laut Küting zum Scheitern verurteilt. Stattdessen seien spürbare Sanktionen wie etwa Freiheits- und Geldstrafen, die den Akteuren wirklich weh tun, angesagt.

Corporate Governance Kodex als Ausweg aus der Krise

Verhaltenskodizes aller Art sind in den letzten Jahren stark in Mode gekommen. Dabei werden soziale Verhaltensnormen innerhalb eines Unternehmens als Art Leitbild festgeschrieben, andererseits ökologische und ethische Richtlinien für die Produktion bzw. den Vertrieb von Produkten entworfen - für den Kunden sichtbar etwa in Form von diversen Zertifikaten. Das Unterwerfen unter diverse soziale, ökologische oder ethische Verhaltenskodizes dient somit immer auch einer positiven Außendarstellung des Unternehmens.

Das Thema Corporate Governance oder Wohlverhaltensregeln für gute Unternehmensführung hat seinen Ursprung in den angloamerikanischen Ländern, was aber nicht bedeutet, dass Kontinentaleuropa bislang die Fragen der Rechte, Aufgaben und Verantwortlichkeiten der gesellschaftsrechtlichen Organe, der Anteilseigner, der Mitarbeiter und darüber hinaus der übrigen Interessengruppen (Stakeholder) ausklammerte. Im Gegensatz zu anglo-amerikanischen Ländern ging Kontinentaleuropa bislang den Weg, Regeln über Corporate Governance in den diversen Rechtsordnungen (z. B. Aktiengesetz, Arbeitsverfassungsgesetz) festzuschreiben.

Im Zuge der Globalisierung und Liberalisierung der Wirtschaft, der wachsenden Bedeutung der Finanzmärkte wurde in den letzten Jahren vermehrt der Weg in Richtung freiwilliger Kodizes eingeschlagen, weil - nach Auffassung der Befürworter freiwilliger Leitlinien - der Kapitalmarkt ohnehin abweichendes Verhalten sofort sanktioniert.

Die OECD hat 1999 ihre »Prinziples of Corporate Governance« herausgegeben, auf EU-Ebene gibt es seit 2000 die »Euroshareholders Corporate Governance Guidelines« und in Deutschland hat erst im Dezember 2001 eine eigens eingesetzte Regierungskommission den deutschen Corporate Governance Kodex erarbeitet und bereits veröffentlicht. Österreich folgte nun im Herbst. Das Ziel des Kodex wird vom Vorsitzenden der deutschen Regierungskommission, Cromme, wie folgt formuliert: »Wir wollen mit dem Corporate Governance Kodex den Standort Deutschland für internationale - und nationale - Investoren attraktiver machen, in dem wir alle wesentlichen - vor allem internationalen Kritikpunkte an der deutschen Unternehmensverfassung und -führung aufgegriffen und einer Lösung zugeführt haben.«3)

Inhaltlich werden bei diesen Corporate Governance Kodizes in der Regel einerseits die wesentlichen gesetzlichen Vorschriften zu Unternehmensleitung und -überwachung börsennotierter Gesellschaften zusammengefasst. Zusätzlich werden aber in Form von Empfehlungen Verhaltensstandards entwickelt und den einzelnen Gesellschaften Anregungen für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung und -überwachung mitgegeben. Angesichts der Milliarden Euro schweren Bilanzskandale und Aktienoptionen, die dem Spitzenmanagement Jahresgehälter in Höhe von durchschnittlich 100 bis 300 Millionen Dollar einbrachte, verwundert es nicht, wenn das Vertrauen in die Finanzmärkte und in die Börsen als jene Einrichtungen, die bessere Corporate Governance verwirklichen sollen, verstärkt in Zweifel gezogen wird. Der Ruf nach besserer Kontrolle und rechtlichen Sanktionen sowie nach Corporate Social Responsibility wird immer lauter.

Der österreichische Corporate Governance Kodex

Der österreichische Corporate Governance Kodex wurde vom Institut österreichischer Wirtschaftsprüfer (IWP) und der Österreichischen Vereinigung für Finanzanalyse und Anlageberatung (ÖVFA) gemeinsam mit Börsenvertretern ausgearbeitet und danach einer breiteren Diskussion unterworfen, bei der in der letzten Phase auch die AK und der ÖGB einbezogen wurden. Öffentlich präsentiert wurde der Kodex im Oktober 2002. Der Kodex richtet sich vorrangig an börsenotierte Aktiengesellschaften, soll aber auch als Empfehlung für nichtbörsenotierte Gesellschaften gelten. Die AK bemängelt am vorliegenden Kodex vor allem, dass dieser - anders als gesetzliche Regelungen etwa im Aktiengesetz oder im Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG) - keiner demokratischen Legitimierung unterliegt. Weder bei der Einführung noch im Hinblick auf die Durchsetzung gibt es Regeln oder Normen, wie vorzugehen ist. Nicht ein gewähltes Parlament setzt die Normen und Empfehlungen, sondern eine interessengeleitete Gruppe.

Die Diskussion über die Grundsätze effizienter Unternehmensführung, -kontrolle und Transparenz ist nicht zuletzt auch eine über die Unternehmenskultur im Allgemeinen. Grundsätzliche Aussagen im Rahmen des Corporate Governance über das Zielsystem des Unternehmens bzw. über die oberste Richtschnur für die Unternehmensführung sind von wesentlicher gesellschafts- und rechtspolitischer Bedeutung.

Die AK ist der Meinung, dass die derzeitige Diskussion eine Chance bietet, den österreichischen Corporate Governance Kodex im Sinne einer gesamthaften Steuerung des Unternehmens auszugestalten, sodass dieser nicht nur auf die Interessen der Aktionäre abstellt, sondern auch die Anliegen aller Stakeholder (Arbeitnehmer, Gläubiger, Kunden, Öffentlichkeit) umfasst. Demnach hat im Rahmen eines österreichischen Corporate Governance Kodex die Forderung nach notwendiger Gleichbehandlung der Aktionäre hinsichtlich deren Vermögens- und Herrschaftsrechte genauso ihre Berechtigung wie die Feststellung, dass die Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ein wichtiger Teil einer ausgewogenen, gesamthaften Unternehmenssteuerung ist. Soziale Verantwortung und ethische Werthaltungen sind wesentlicher Teil einer sozialen Marktwirtschaft und müssen in einem österreichischen Corporate Governance Kodex zum Ausdruck kommen.

In diesem Sinne forderte die AK im österreichischen Corporate Governance Kodex ein Bekenntnis zu den Grundsätzen der österreichischen Unternehmenskultur, die sich auszeichnet durch soziale Verantwortung des Unternehmens (§ 70 AktG) und durch Konsens zur Arbeitnehmer-Mitbestimmung (§ 110 ArbVG). Österreich könnte damit eine Vorreiterrolle einnehmen und international die Diskussion über Corporate Social Responsibility wesentlich mitgestalten.

Die wichtigsten Inhalte des Kodex zielen aus der Sicht der Arbeiterkammer in die richtige Richtung, sind aber großteils sehr vage formuliert und lassen daher viel Spielraum offen (siehe Kasten).

AK: Kodex allein ist zu wenig

Zu kritisieren ist insbesondere, dass es kaum Konsequenzen bei Nichteinhaltung des Kodex gibt. Im Kodex selbst ist lediglich vorgesehen, dass das Bekenntnis zum Corporate Governance Kodex im Geschäftsbericht aufzunehmen ist und in einer jährlichen Erklärung die Einhaltung des Kodex samt Abweichungen zu erläutern sind. Viele Empfehlungen des Kodex sind nicht einmal berichtspflichtig. Es gibt - anders als bei gesetzlichen Regelungen - keine Verfahrensvorschriften, wie bei Nichteinhaltung der Regeln vorzugehen ist, und es gibt auch keine angemessenen Sanktionen. Die Einhaltung ist somit freiwillig - der Markt soll entscheiden, was geschieht, wenn sich ein Unternehmen nicht kodexgemäß verhält. Wer aber prüft nun, ob die Empfehlungen tatsächlich eingehalten wurden? Wo kann man sich beschweren, wenn falsche Angaben gemacht werden? Diese Fragen werden im österreichischen Kodex - aber auch im vergleichbaren deutschen - nicht beantwortet. Somit ist zu befürchten, dass der Kodex sehr zahnlos bleiben wird - was auch durch die vielen oft nur sehr »weich« formulierten Inhalte verstärkt wird.

Forderungen der AK

Damit die Interessen der Arbeitnehmer und Anleger geschützt werden, müssen für die AK folgende Punkte umgesetzt werden:

  • Gesetzliche Verankerung der wesentlichen Punkte des Kodex wie etwa Unvereinbarkeitsregeln für Organe und Wirtschaftsprüfer, klare Bilanzierungsregeln für Stock-Option-Programme sowie Transparenzbestimmungen für die Bezüge von Vorstand und Aufsichtsrat im Aktienrecht und im Handelsgesetzbuch.
  • Sicherstellung der Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers und des Aufsichtsrates. Insbesondere muss verboten werden, dass Vorstandsmitglieder verschiedener Gesellschaften sich wechselseitig im Aufsichtsrat des jeweils anderen kontrollieren (Kreuzverflechtung). Wirtschaftsprüfer dürfen nicht gleichzeitig der zu prüfenden Gesellschaft als Berater zur Verfügung stehen.
  • Keine aktienkursabhängige Vergütung von Aufsichtsräten (Stock-Option-Modelle). Chancen auf hohe Stock-Option-Gewinne könnten Aufsichtsratsmitglieder dazu verleiten, weniger kritisch zu kontrollieren.
  • Stock Option-Programme für Manager dürfen kein reiner Bonus sein und müssen begrenzt werden; der Vorstand trägt sonst kein Risiko und kann nur gewinnen.
  • Regelmäßige Bewertung und Reflexion der Aufsichtsratstätigkeit.
  • Überprüfung der Bilanzierungsvorschriften. Kein unreflektiertes Übernehmen von IAS bzw. US-GAAP beim Einzelabschluss.
  • Orientierung der Managements auf langfristige Wertsteigerung.
  • Die Interessen der Stakeholder - vor allem der Arbeitnehmer - sind im Kodex ausreichend zu berücksichtigen.

Aus der Sicht der AK geht es aber um mehr: Das Vertrauen in die Finanzmärkte wird nur dann wiedergewonnen werden können, wenn es gelingt, das gängige, rein auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtete Shareholder-Value-Prinzip zu entschärfen. Eine neue Studie der Universität Witten/Herdecke bestätigt, dass das kurzfristige Bedienen der Eigentümerinteressen - also Kurssteigerung und Dividendenmaximierung - die Anteilseigner am meisten schädige. Hinter dem Bedürfnis ständig darzustellender Profitsteigerung hätten langfristige Investitionen keine Chance mehr. Dies hätte laut Rudi Wimmer, Vorstand der Universität Witten/Herdecke, auch im Inneren der Unternehmen zur Zersetzung geführt, weil Belegschaften Sparprogramme, Streichungen und Restrukturierungen nicht mehr verstehen würden und damit nicht mehr mittragen können.

Gefragt sind daher Konzepte mit langfristigen Sichtweisen, gefragt sind Konzepte, die die Interessen der Stakeholder vollwertig mitberücksichtigen und deren Wert und Bedeutung für das Unternehmen richtig einschätzen. Letztlich haben nicht die Kontrolleure die Skandale der letzten Wochen und Monate verursacht, es handelt sich um eine Krise des überbordenden Shareholder-Kapitalismus selbst.


1) Spiegel 18/02


2) Manager-Magazin 7/02


3) www.agenturcafe.de und dort zu Corporate Governance

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Helmut Gahleitner (Mitarbeiter der Abteilung Wirtschaftspolitik in der AK Wien), Heinz Leitsmüller (Mitarbeiter der Abteilung Betriebswirtschaft in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 Jan 2003 00:00:00 +0100 1191422923363 Patentrezept gegen die Arbeitslosigkeit? In der Bundesrepublik Deutschland wird für 2003 ein Ansteigen der Arbeitslosenzahl auf fast 5 Millionen Menschen befürchtet. Die von der deutschen Bundesregierung beauftragte Kommission unter VW-Manager Peter Hartz ist daher angetreten, Reformkonzepte zu entwickeln, um eine Halbierung der Arbeitslosigkeit binnen drei Jahren zu erreichen. Trotz zum Teil für Deutschland innovativer Ideen bestehen große Zweifel, ob der im Sommer 2002 vorgelegte Maßnahmenkatalog geeignet ist, dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen. Im Herbst vorigen Jahres wurden nun die ersten Umsetzungsschritte gesetzt. Auch in Österreich sind die deutschen Überlegungen auf großes Interesse gestoßen. Obwohl sich hierzulande die Gesamtsituation wesentlich günstiger darstellt und die Arbeitslosenquote nur halb so hoch wie in Deutschland ist, verlangt auch die österreichische Arbeitsmarktpolitik nach Reformen, um der steigenden Arbeitslosigkeit Herr zu werden. Eine einseitige Orientierung am Hartz-Modell ist jedoch der falsche Weg. Vielmehr sollten die österreichischen Rahmenbedingungen beachtet und der österreichische Ansatz weiterentwickelt werden.

Die Verbesserung der Dienstleistungs- und Vermittlungsqualität der Arbeitsämter soll nach den Vorstellungen der Hartz-Kommission eine effizientere Arbeitsvermittlung ermöglichen. So sollen die Vermittler von Verwaltungs- und Nebenaufgaben befreit werden, um sich vorrangig der Akquisition offener Stellen und der Pflege der Betriebskontakte widmen zu können.

»Job-Center« statt Arbeitsamt

Ab sofort werden daher die Arbeitsämter zu so genannten »JobCentern« umgestaltet, die im Sinne einer ganzheitlichen Unterstützung der Zielgruppe neben den Vermittlungsaufgaben ab 2004 auch alle arbeitsmarktrelevanten Betreuungs- und Beratungsleistungen (etwa Sozialhilfe oder Schuldnerberatung) erbringen sollen.

Organisationsreformen innerhalb des Arbeitsmarktservice (AMS) sind in Österreich, trotz des ständig gegebenen Bedarfs zur Verbesserung der Vermittlungsprozesse, nicht in jenem Ausmaß, vor allem aber nicht in derselben Form erforderlich wie in Deutschland. Die deutsche Arbeitsmarktverwaltung hat im Vergleich zum österreichischen AMS tatsächlich einen durchaus beachtlichen Nachholbedarf bei Strukturreformen, die in Österreich seit der Überführung in ein drittelparitätisches System - getragen von den Sozialpartnern und der Regierung - sehr erfolgreich umgesetzt worden sind. Hierzulande ist es gelungen, den Strukturwandel von einer zentralistischen Behörde zu einem dezentral aufgebauten und durch ein modernes, zielorientiertes Managementsystem gesteuerten Unternehmen so gut zu bewältigen, dass die AMS-Organisation als »Best-Practice-Modell« im EU-Raum gilt. In Österreich sind auch relativ mehr Mitarbeiter des AMS in der Vermittlung beschäftigt, was nicht zuletzt in der Vermittlungsdauer (Österreich 15 Wochen, Deutschland derzeit 33 Wochen) ihren positiven Niederschlag findet. Was in Österreich allerdings auf der Tagesordnung steht, ist der Ausbau der Qualität der einzelnen Dienstleistungen, wie z. B. der Beratungs- und Vermittlungsprozesse.

Ausweitung von Leiharbeit

Herzstück der Hartz-Reformvorschläge und bereits in die Umsetzungsphase getreten ist die Ausweitung der Leiharbeit. Dazu werden zum einen ab sofort bei jedem Arbeitsamt (Job-Center) eigene oder in Kooperation mit kommerziellen Leiharbeitsfirmen betriebene Personal Service Agenturen (PSA) eingerichtet. Es handelt sich dabei um Personalüberlassungsfirmen, die Arbeitslose einstellen und gegen Entgelt bzw. sogar kostenlos anderen Unternehmen überlassen. Ohne Zweifel diskriminierend und in ihrer beschäftigungsfördernden Wirkung umstritten ist die Regelung, dass PSA-Leiharbeitnehmer während einer »Einarbeitungszeit« von sechs Wochen nicht den Tariflohn, sondern nur das Arbeitslosengeld erhalten. Dies vor allem auch deshalb, da die PSA-Zuweisung verpflichtend ist und bei Weigerung mit Arbeitslosengeldkürzung sanktioniert wird. Dennoch stellt die gesetzliche Umsetzung eine Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Hartz-Vorschlag dar, in dem noch von einer sechsmonatigen Einarbeitungsphase die Rede war.

Zum anderen war von der Hartz-Kommission vorgesehen, die Inanspruchnahme von Leiharbeit für Unternehmen generell attraktiver zu machen, indem die Beschränkungen des Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes (besonderes Befristungsverbot, Wiedereinstellungsverbot, Abwerbeverbot, Beschränkung der Dauer der Überlassung) abgeschwächt werden und eine Bezahlung der Leiharbeiter unter dem für den Beschäftigerbetrieb geltenden Tarifsatz ermöglicht werden sollte. Zumindest den von der Gewerkschaft gegen dieses Lohndumping erhobenen Einwänden wurde im Zuge der Umsetzung der Kommissionsvorschläge Rechnung getragen. Die Leiharbeitnehmer müssen daher in den wesentlichen Arbeitsbedingungen den Beschäftigten in den Entleihbetrieben gleichgestellt werden. Die Tarifvertragsparteien sind jedoch ermächtigt, insbesondere für Langzeitarbeitslose niedrigere Einstiegstarife vorzusehen. Dadurch soll auch ein Anreiz für die Tarifvertragsparteien geschaffen werden, den längst überfälligen Tarifvertrag für Zeitarbeitsfirmen abzuschließen. Es wird aber dabei darauf zu achten sein, Versuche von Arbeitgebern, besser entlohnte fest angestellte Mitarbeiter zu kündigen und als billige Zeitarbeitskräfte zurückzuleihen, von vornherein durch entsprechende Regelungen zu unterbinden.

In Österreich ist die Zusammenarbeit des AMS mit Personalüberlassungsfirmen zum Teil schon Realität. Zumindest in manchen Bundesländern wird das Instrument der gemeinnützigen Arbeitskräfteüberlassung schon seit einigen Jahren erfolgreich eingesetzt, um Arbeit Suchende mit Vermittlungshindernissen wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Im Überlassungsfall sind jedoch vom ersten Tag an zwingend zumindest die kollektivvertraglichen Entgelte zu leisten.

Diese Kooperation mit Personalüberlassungsfirmen fortzusetzen, stellt für Österreich die sinnvollere Variante dar, da die Gründung eigener Zeitarbeitsfirmen durch das AMS die gesamte Organisation mit zusätzlichem Verwaltungsaufwand belasten würde und nicht zuletzt wegen der dadurch verursachten Zusatzkosten nur wenig zweckmäßig wäre.

Im Übrigen sind in Österreich Erleichterungen für die Personalüberlassungsbranche jedenfalls nicht erforderlich. Schon jetzt ist Zeitarbeit im Gegensatz zu Deutschland unter Rahmenbedingungen möglich, die für die Unternehmen leicht einzuhalten sind. Diese wurden durch das Konjunkturbelebungsgesetz und die weitere Liberalisierung der Gewerbeordnung sogar noch unternehmerfreundlicher gestaltet. Gleichzeitig wurde nach langem Kampf der Gewerkschaften ein Kollektivvertrag für Arbeiter in der Arbeitskräfteüberlassungsbranche abgeschlossen, wodurch die rechtliche Stellung auch für diese Arbeitnehmergruppe gestärkt und abgesichert wurde. Auch in dieser Hinsicht ist Österreich schon einen Schritt weiter, da in der Bundesrepublik Deutschland der Abschluss von Tarifverträgen für Zeitarbeitsfirmen bisher am Widerstand der Arbeitgeber gescheitert ist.

Über die »Ich-AG« in die Selbständigkeit

Die Hartz-Kommission hat die Eindämmung illegaler Beschäftigung mit höchster Priorität bewertet und zwei zusätzliche Instrumente zur Legalisierung von »Schwarzarbeit« vorgeschlagen: Die »Ich-AG« soll sich als Alternative zur illegalen Beschäftigung Arbeitsloser durch Schwarzunternehmer etablieren, die »Mini-Jobs« sind auf die Legalisierung der illegal von Privathaushalten in Anspruch genommenen Dienstleistungen gerichtet.

Mit beiden Modellen, die nunmehr in die Praxis umgesetzt werden, sollen steuerbegünstigte Anreize geschaffen werden, Arbeitslose in Richtung einer einfach zu handhabenden Selbständigkeit zu motivieren. Soweit diese Modelle auf die Bekämpfung illegaler Beschäftigung gerichtet sind, ist dazu anzumerken, dass gegen illegale Beschäftigung noch immer ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des Schwarzunternehmertums am erfolgversprechendsten wäre. Die vorgeschlagenen Modelle erfüllen diese Funktion aber zweifellos nicht.

Gegen eine selektive Förderung von Selbständigkeit ist zwar auch aus unserer Sicht nichts einzuwenden; die Förderung von Minifirmen ohne langfristige Überlebenschance schafft aber mehr Arbeitsmarktprobleme, als sie beseitigt. Sinnvoller erscheint die Beibehaltung der in Österreich bisher üblichen selektiven und gegenüber den Betroffenen verantwortungsvollen Begleitung in die Selbständigkeit im Einzelfall. Eine Förderung erfolgt nur nach genauer Prüfung der Marktfähigkeit des Geschäftsgegenstandes. Andernfalls würden nur verstärkt Arbeit Suchende aus Notlage in die Scheinselbständigkeit gedrängt, mit dem Ergebnis vermehrt auftretender Privatinsolvenzen.

Auch die von der Hartz-Kommission vorgeschlagene, im Zuge der Umsetzung aber entscheidend zurückgenommene steuerliche Absetzbarkeit haushaltsnaher Dienstleistungen geht in die falsche Richtung. Der Anreiz, persönliche Dienstleistungen »schwarz« in Anspruch zu nehmen, besteht für sehr gut situierte Private in der Regel in der völligen Abgabenfreiheit und im absoluten Fehlen von Verantwortung gegenüber den Beschäftigten. Eine steuerliche Absetzbarkeit wird für diese Zielgruppe wenig Anreiz zur regulären Beschäftigung der Arbeitnehmer bieten. Vielmehr wird dadurch nur ein Mitnahmeeffekt bei jenen bewirkt, die aus verschiedenen Gründen die in Anspruch genommene Dienstleistung ohnehin regulär versteuert hätten. Die Reintegration Arbeitsloser in den Beschäftigungsprozess kann nicht vorrangig über die Schiene der Selbständigkeit erfolgen, sondern muss die Begründung regulärer Arbeitsverhältnisse zum Ziel haben.

Meldepflicht für Kündigende

Dem Hartz-Vorschlag im Wesentlichen entsprochen wurde mit der Einführung einer mit Sanktionen bedrohten Meldepflicht für Arbeitnehmer, die sich schon nach Erhalt der Kündigung beim Arbeitsamt (Job-Center) zu melden haben. Durch diese Verpflichtung soll die Vermittlungsgeschwindigkeit erhöht und sollen rechtzeitig arbeitsmarktpolitische Maßnahmen eingeleitet werden können. Wer der Verpflichtung nicht nachkommt, wird mit einem Abschlag beim Arbeitslosengeld bestraft. Gleichzeitig werden Arbeitgeber verpflichtet, gekündigte Mitarbeiter zu Zwecken der Stellensuche und zur Teilnahme an Maßnahmen des Arbeitsamtes freizustellen.

Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, das bestehende Kündigungsfrühwarnsystem auszuweiten, insbesondere durch die Einbeziehung der Personengruppen, deren Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt besonders schwierig ist. Abzulehnen sind aber gegen Arbeitnehmer gerichtete Sanktionen. Vielmehr sollten Arbeitnehmer durch die Schaffung von Anreizen dazu motiviert werden, sich frühzeitig beim AMS zu melden. Dies setzt vor allem das Angebot eines attraktiven Dienstleistungspaketes durch das AMS für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer voraus, damit eine vorzeitige Meldung beim AMS nicht zum bürokratischen Formalakt verkommt, sondern Sinn macht. Allerdings wäre es auch wichtig, die Arbeitgeber verstärkt in die Pflicht zu nehmen, da die Erfahrung zeigt, dass diese in der Regel eher unwillig sind, mit dem AMS zu kooperieren, wenn es darum geht, bereits während der Kündigungsfrist Maßnahmen für eine möglichst rasche Vermittlung der betroffenen Arbeitnehmer einzuleiten.

Neue Zumutbarkeitsregelungen

Die Hartz-Kommission wollte die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitslose insbesondere im Hinblick auf die Bereitschaft zur geographischen Mobilität neu geregelt wissen. In diesem Sinne gelten nunmehr längere Pendelzeiten, die getrennte Haushaltsführung für bis zu sechs Monate und allenfalls sogar der Wechsel des Wohnsitzes als zumutbar. Zukünftig gilt auch eine Beweislastumkehr, sodass die Gründe für die Ablehnung eines zumutbaren Arbeitsangebots vom Arbeitslosen zu belegen sind, solange diese Gründe in dessen eigenem Verantwortungsbereich liegen. Die bisher starren Sperrzeitenregelungen, die ein existenzbedrohendes Ausmaß erreichen konnten, werden zu abgestufteren Sanktionen umgestaltet.

Die Überlegung einer Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen wie in Deutschland hat in Österreich aber keine Berechtigung, da hierzulande schon jetzt die einschlägigen Bestimmungen generell strenger sind als in unserem Nachbarland. Während sich die Zumutbarkeit einer vom Arbeitsamt vermittelten Beschäftigung in Deutschland in finanzieller Hinsicht am letzten Gehalt orientiert, wird in Österreich jede Beschäftigung als zumutbar erachtet, die - unabhängig von der Höhe des letzten Verdienstes - mit dem kollektivvertraglichen Mindestlohn entlohnt wird. Auch was die zumutbare Mobilität anbelangt geht die österreichische Praxis von einem wesentlich weiteren Zumutbarkeitsbegriff aus. In diesem Zusammenhang gilt es außerdem zu beachten, dass in Österreich das Leistungsniveau der Arbeitslosenversicherung - absolut und relativ zum zuvor erzielten Einkommen - wesentlich niedriger ist als in Deutschland. Die Kaufkraft des Arbeitslosengeldes ist in Österreich in den letzten 10 Jahren gegenüber den Entgelten und gegenüber anderen Transferleistungen, wie z. B. den Pensionen, deutlich zurückgeblieben, sodass rund zwei Drittel der Arbeitslosengeldbezieher eine Leistung von weniger als dem Ausgleichszulagenrichtsatz beziehen. Damit kann das Arbeitslosengeld seinen Zweck der Existenzsicherung während der Arbeitslosigkeit schon jetzt nicht mehr ausreichend erfüllen. Es besteht daher auch im Hinblick auf allfällige Sanktionen kein Spielraum für eine Leistungsverschlechterung, sondern im Gegenteil: Hier sind leistungsverbessernde Reformen dringend geboten. Nicht zuletzt wäre es purer Zynismus, die Arbeitslosenquote durch verschärfte Sanktionen gegen Arbeitslose senken zu wollen, wenn gleichzeitig das Budget des AMS für Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik trotz steigender Arbeitslosigkeit nicht erhöht wird.

Ältere Arbeitnehmer

Auch die Hartz-Vorschläge zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Älterer werden umgesetzt: Zum einen soll eine - auch für Österreich als durchaus interessant erscheinende - Lohnversicherung die Arbeitslosenversicherung ergänzen. Sie ersetzt älteren Arbeitslosen ab 55 Jahren für die ersten Jahre nach einer Kündigung 50% des Einkommensverlustes in einer niedriger bezahlten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Bei Einstellung von arbeitslosen Menschen über 55 Jahren entfallen die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosenversicherung. Die Altersgrenze für die Zulässigkeit der unbegrenzten zeitlichen Befristung eines Arbeitsverhältnisses wird auf das 50. Lebensjahr abgesenkt. Durch diese Maßnahmen soll die Einstellung älterer Arbeitsloser attraktiver gestaltet werden.

Außerdem soll Älteren (ab 55 Jahren) die Möglichkeit gegeben werden, freiwillig vorzeitig aus dem Arbeitslosengeldbezug bzw. aus der Betreuung durch das Job-Center auszusteigen (Bridge System) und dadurch die Arbeitsämter zu entlasten. Sie bleiben zwar sozialversichert, erhalten für die Dauer von maximal fünf Jahren aber nur ein »Brückengeld« in der Höhe des halben Arbeitslosengeldes.

In Österreich ...

In Österreich wurde dagegen der Ansatz gewählt, die Erwerbsbeteiligung über 50 vor allem durch Einstellungsanreize und Förderungen anzuheben. Tatsache ist allerdings, dass die überfallsartige Anhebung des Pensionsalters durch die ÖVP-FPÖ-Koalition nicht ausreichend mit arbeitsmarktpolitischen Fördermaßnahmen flankiert wurde. Der massive Anstieg der Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmer war die zwangsläufige Folge.

Erforderlich ist daher eine verstärkte Schwerpunktsetzung auf ältere Arbeitnehmer in der aktiven Arbeitsmarktpolitik, wofür ausreichende finanzielle Mittel die Voraussetzung sind, sowie eine Umkehr der Personalpolitik der Unternehmen und Investitionen in die Aus- und Fortbildung. Dadurch könnte die berufliche Erfahrung Älterer mit aktuellem Wissen kombiniert und gerade daraus Vorteile für den Wirtschaftsstandort gezogen werden. Gerade im Hinblick auf die Reintegration Älterer in den Arbeitsmarkt wird eben sichtbar, wo tatsächlich Verbesserungsbedarf besteht - beim Aufwand für die aktive Arbeitsmarktpolitik. Die finanziellen Mittel dafür sind hierzulande sogar geringer ist als in Deutschland.

Entscheidend für eine sinnvolle, zukunftsorientierte Arbeitsmarktpolitik in Österreich wird es daher sein, dafür eine solide Finanzierungsbasis zu schaffen, die vor allem für folgende Ziele zu nutzen ist:

  • Ausbau der Qualifikationsmaßnahmen,
  • Verbesserung der Dienstleistungsqualität des AMS und
  • Anheben der Arbeitslosengeldhöhe wieder auf ein existenzsicherndes Niveau.

Erklärungen zu den Begriffen:

Die deutsche Lohnversicherung soll bei Aufnahme schlechter bezahlter Beschäftigungsmöglichkeiten die daraus resultierenden Einkommensverluste teilweise ausgleichen. Im Unterschied zum Arbeitslosengeld, das einem Arbeitnehmer einen Teil des Einkommens ersetzt, wenn er arbeitslos ist, ersetzt ihm die als Beschäftigungsanreiz gedachte Lohnversicherung einen Teil des Einkommensverlustes gegenüber einer besser bezahlten Vorbeschäftigung, wenn er wieder eine Arbeit aufgenommen hat. Die Lohnversicherung wird aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung bezahlt und leistet für einen befristeten Zeitraum einen monatlichen Zuschuss zum Arbeitsentgelt.

Das deutsche Bridge-System ist eine Art Vorruhestandsmodell, dessen Teilnehmer monatliche Zahlungen in der Höhe des halben Arbeitslosengeldes erhalten. Durch das Bridge-System wird zwar die Arbeitslosenzahl gesenkt, indem ältere Arbeitslose aus der Statistik fallen. Es werden dadurch aber keine neuen Arbeitsplätze geschaffen, und letztlich werden alle Maßnahmen zur Förderung der längeren Verweildauer im Arbeitsleben unterlaufen.

Als »Ich-AG« wird in Deutschland eine »Ein-Personen-Firma« bezeichnet, in der Arbeitslose vor allem im Dienstleistungsbereich ihre Tätigkeiten offiziell und legal auf dem Markt anbieten können. Mit steuerlichen Begünstigungen, Zuschüssen und einer arbeitslosenversicherungsrechtlichen Absicherung soll die »Ich-AG« bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze eine Alternative zur Schwarzarbeit darstellen und den Übergang in die Selbständigkeit erleichtern.

Mit so genannten »Mini-Jobs« soll in Deutschland das Beschäftigungspotenzial haushaltsnaher Dienstleistungen (Haushaltshilfen, Kinderbetreuung) ausgeschöpft und illegale Beschäftigung in diesem Bereich z. B. mit steuerlichen Anreizen und einer Anhebung der Verdienstgrenze (e 500,-) bekämpft werden. Die volle steuerliche Absetzbarkeit solcher Dienstleistungen für Arbeitgeber, wie von der Hartz-Kommission vorgeschlagen, ist inzwischen aber endgültig vom Tisch.

Arbeitslose, die eine zumutbare Beschäftigung nicht annehmen, hatten in Deutschland bisher mit einer Sperrzeit von zwölf Wochen zu rechnen. Im Wiederholungsfall wurde bei Vorliegen von 24 Sperrzeitwochen das Arbeitslosengeld zur Gänze gestrichen. Ein neuerlicher Anspruch auf Arbeitslosengeld wird erst nach 360 Beschäftigungstagen erworben. Bei der nunmehr flexiblen Sperrzeitenregelung kann auf die besonderen Umstände des Einzelfalles besser eingegangen und die Sanktion entsprechend angepasst werden.

Unter »Best-Practice-Modell« wird eine Einrichtung (Institution) verstanden, die aufgrund ihrer Praktikabilität und Übertragbarkeit als »Vorzeigeeinrichtung« dient und allgemein gültige Richtlinien vorgibt. »Best-Practice-Modelle« werden durch einen Vergleich konkreter Kennzahlen von Dienstleistungen, Organisationsstrukturen und Geschäftsabläufen zwischen verschiedenen Unternehmen bzw. Organisationen einer Branche ermittelt.

Die Durchführung der Arbeitsmarktverwaltung wurde 1994 aus der unmittelbaren staatlichen Bundesverwaltung ausgegliedert und dem Dienstleistungsunternehmen Arbeitsmarktservice, einer öffentlich rechtlichen Körperschaft, übertragen. Die entscheidungsbefugten Organe des Arbeitsmarktservice im Bereich des Bundes und im Bereich der Länder werden von den Interessenvertretungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer sowie vom Bundesminister für Arbeit und Wirtschaft und jenem für Finanzen beschickt. Dieses »Drittelparitätische System« garantiert einen arbeitsmarktpolitischen Interessenausgleich, da alle maßgeblichen Akteure auf dem Arbeitsmarkt eingebunden sind.

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Josef Wallner (Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt der AK Wien); Günter Krapf (Mitarbeiter dieser Abteilung) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 Jan 2003 00:00:00 +0100 1191422923167 Von der Arbeit zum Kapital »Die Lohn-, Gehaltsforderungen sind überzogen!« »Wir können uns übermäßige Erhöhungen der Löhne und Gehälter nicht leisten!« »Der Lohn-, Gehaltsabschluss für dieses Jahr war zu hoch, weshalb für das nächste Jahr nur ein geringerer Anstieg akzeptiert werden kann!«

So oder ähnlich klingen regelmäßig Aussagen von Unternehmensvertretern bei den Lohn- und Gehaltsverhandlungen, und manche Medien publizieren solche Argumente bereitwillig. Überprüft man die Fakten, dann trifft der Wahrheitsgehalt solcher Aussagen zumindest für die vergangenen fünf Jahre keineswegs zu. In der Industrie und bei einem Teil der Handelsunternehmen wurde der Zuwachs der Löhne und Gehälter durch deutlich stärkere Produktivitätszuwächse übertroffen. Einsparungen beim Personal auf der einen Seite, beachtliche Zuwachsraten bei Kapitaleinkommen, den Gewinnen, Gewinnausschüttungen und Eigenkapital auf der anderen Seite waren die Regel.

In einer aktuellen Studie der AK Wien1) wurden die Jahresabschlüsse großer und mittelgroßer Kapitalgesellschaften im Zeitraum 1997 bis 2001 in der Industrie sowie im Handel untersucht und die Einkommensverteilung zwischen Arbeit und Kapital dargestellt. Die Ergebnisse lassen durchaus gewisse Rückschlüsse auf die Entwicklung des privaten Konsums bzw. das Bruttoinlandsprodukt zu.

Analysiert wurden die Jahresabschlüsse der größeren Industrie- und Handelsunternehmen. In der Industrie konnten 500 Kapitalgesellschaften und im Handel 137 Kapitalgesellschaften untersucht werden. Die Repräsentativität erreicht in der Industrie ein relativ hohes Ausmaß, während im Handel die kleinbetriebliche Struktur, die Aufsplitterung in rechtlich selbständige Niederlassungen sowie Umstrukturierungen eine vergleichsweise niedrigere Repräsentativität zuließen. Nicht zuletzt lässt sich im Handel auch eine fallweise zurückhaltende Publizitätspolitik der Unternehmen feststellen.

Die Industrieunternehmen wurden in zehn Industriesparten aufgegliedert, sodass errechnet werden konnte, welches Ausmaß die Entwicklungstendenzen genommen haben.

Beschäftigtenabbau in der Industrie

Während in der Industrie der Beschäftigtenstand im Beobachtungszeitraum zurückging (-1,9 Prozent bis zum Jahr 2000; -1,2 Prozent im Jahr 2001), war bei den Handelsunternehmen ein Beschäftigtenzuwachs feststellbar (+12,6 Prozent bis zum Jahr 2000; +3,2% im Jahr 2001).2) Mehr als die Hälfte der Industrieunternehmen hat den Beschäftigtenstand reduziert. Acht von zehn analysierten Industriesparten waren dafür verantwortlich. Trotz allgemein durchschnittlichem Beschäftigtenzuwachs im Handel haben aber mehr als die Hälfte der Handelsunternehmen den Beschäftigtenstand reduziert.

Rückgang des Personalaufwands

Die Entwicklung des Personalaufwands verdeutlicht in diesen fünf Jahren sowohl in der Industrie als auch bei den Handelsunternehmen, dass im Verhältnis zur erwirtschafteten Betriebsleistung (im Wesentlichen der Umsatz) deutlich eingespart wurde. Der ordentliche Personalaufwand (ohne Aufwendungen für Abfertigungen und Pensionen) ging im Verhältnis zur Betriebsleistung in der Industrie jährlich zurück und erreicht im Gesamtzeitraum das Ausmaß von -2,3 Prozentpunkten. Der Anteil sank von 19,9 Prozent (1997) auf den Wert von 17,6 Prozent (2001). Dieser Rückgang war in neun von zehn Sparten zu verzeichnen. In manchen Industriesparten wurde ein Rückgang von 4 bis 5,5 Prozentpunkten erreicht (siehe Graphik 1: »Ordentlicher Personalaufwand in der Industrie«)!

Trotz Beschäftigtenzuwachs geht der ordentliche Personalaufwand im Verhältnis zur Betriebsleistung auch bei den Handelsunternehmen zurück (-1,3 Prozentpunkte). Der Anteil sinkt von 11,4 Prozent (1997) auf den Wert von 10,1 Prozent (2001). Knapp 58 Prozent der Handelsunternehmen war dafür verantwortlich.

Grundsätzlich muss erwähnt werden, dass im Personalaufwand auch Gehälter der Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder enthalten sind. Allfällige Zusatzeinkommen der Vorstands- und Geschäftsführungsmitglieder (»Stock Options«), die in jüngster Zeit gestiegen sein dürften, wurden nicht herausgerechnet.

Überproportionaler Zuwachs der Produktivität

Ein Maßstab für das Ausmaß der Lohn- bzw. Gehaltsentwicklung ist die Produktivität. Als Produktivität wird die betriebliche Wertschöpfung pro Beschäftigten herangezogen. Vergleicht man die Entwicklung der Produktivität mit jener des ordentlichen Personalaufwands pro Beschäftigten, dann zeigt sich, dass der Personalaufwand deutlich hinter der Produktivitätsentwicklung zurückbleibt.

In der Industrie wächst die Produktivität in den fünf Jahren um 21,2 Prozent, während der Zuwachs des Personalaufwands pro Beschäftigten wesentlich schwächer angehoben werden konnte (+12,3 Prozent). Diese Entwicklung war in neun von zehn Industriesparten zu beobachten. Bestätigt wird diese Entwicklung durch die Berechnungen des Wirtschaftsforschungsinstitutes auf dem Gebiet der Entwicklung der Lohnstückkosten in der Sachgütererzeugung. Laut WIFO sinken die Lohnstückkosten in der Sachgütererzeugung im Zeitraum 1995 bis 2001 im Durchschnitt um 1,9 Prozent bzw. um 2,6 Prozent auf Euro-Basis.3) Relativ stärkeren Produktivitätszuwachsraten steht ein verhältnismäßig schwächerer Zuwachs bei den Lohnkosten gegenüber. Anderen Berechnungen zufolge sinken die Lohnstückkosten sogar in der Gesamtwirtschaft von 1997 bis 2000.4)

In acht von zehn Industriesparten steigt die Produktivität im Analysezeitraum relativ stärker als der Personalaufwand pro Beschäftigten (siehe Graphik 2: »Personalaufwand und Produktivität in der Industrie«).

Bei den analysierten Handelsunternehmen stieg die Produktivität in diesen fünf Jahren (+20,1 Prozent) ebenfalls relativ stärker als der Personalaufwand pro Beschäftigten (+11,5 Prozent).

Umverteilung vom Arbeits- zum Kapitaleinkommen

Dieses überdurchschnittliche Wachstum der Produktivität führte in der Industrie im Beobachtungszeitraum zu einer deutlichen anteilsmäßigen Umverteilung der Wertschöpfung vom Arbeitseinkommen im Ausmaß von -2,8 Prozentpunkten zum Unternehmenseinkommen im Ausmaß von +3,1 Prozentpunkten. Bei sieben von zehn Industriesparten errechnet sich im Fünfjahreszeitraum eine - zum Teil deutliche - Umverteilung vom Arbeits- zum Unternehmenseinkommen.

Im Handel sinkt der Anteil des Arbeitseinkommens an der betrieblichen Wertschöpfung in den fünf Jahren im Ausmaß von -4,3 Prozentpunkten, während der Anteil des Unternehmenseinkommens im gleichen Zeitraum um +5,9 Prozentpunkte wächst.

Höhere Gewinnausschüttungen

Ein Teil der Unternehmungen hat diese Umverteilung zu Gunsten des Unternehmenseinkommens zum Anlass genommen, einen jährlich wachsenden Prozentsatz der Betriebsleistung an die Eigentümer und Eigentümerinnen auszuschütten. In der Industrie haben sich die Gewinnausschüttungen im Verhältnis zur Betriebsleistung im Fünfjahreszeitraum mehr als verdoppelt (von 2,5 Prozent im Jahr 1997 auf den Wert von 5,2 Prozent im Jahr 2001). Die Ausschüttungsquote nahm jährlich zu. Von den zehn Industriesparten steigt die Ausschüttungsquote bei acht Sparten an. Die Gewinnausschüttungen sind in absoluten Beträgen von 1,4 Milliarden Euro im Jahr 1997 bis zum Jahr 2000 auf 2,8 Milliarden Euro angestiegen (siehe Graphik 3: »Gewinnausschüttungen der Industrie«).

Im Handel geht die Ausschüttungsquote im Fünfjahreszeitraum nur unwesentlich (-0,2 Prozentpunkte) zurück (von 1,5 Prozent im Jahr 1997 auf den Wert von 1,3 Prozent im Jahr 2001).

Zuwachs der Profite

Die Gewinnsituation stellt sich für beide Branchen als sehr gut dar. Der Jahresüberschuss im Verhältnis zur Betriebsleistung nimmt in der Industrie im Fünfjahreszeitraum um 1,6 Prozentpunkte von 3,1 Prozent (1997) auf den Wert von 4,7 Prozent (2001) zu. Mit einer Ausnahme (2001) wurden jährlich Steigerungen des Jahresüberschusses erwirtschaftet. Das absolute Niveau des Jahresüberschusses wächst im Zeitraum 1997 bis 2000 um 141,6 Prozent nominell. Acht von zehn Industriesparten konnten den Jahresüberschuss im Verhältnis zur Betriebsleistung im Fünfjahreszeitraum jeweils erhöhen.

Im Handel steigt der Jahresüberschuss im Verhältnis zur Betriebsleistung im Fünfjahreszeitraum um einen Prozentpunkt von 1,1 Prozent (1997) auf den Wert von 2,1 Prozent (2001). Mit einer Ausnahme (2000) wurden jährlich Steigerungen des Jahresüberschusses erwirtschaftet.

Verbesserung der Eigenkapitalausstattung

Die Eigenkapitalausstattung konnte trotz ansteigender Ausschüttungsquote (vor allem in der Industrie) bei deutlichen Einsparungen im Personalbereich im Fünfjahreszeitraum verbessert werden. Die Eigenkapitalquote steigt in der Industrie von 38,7 Prozent (1997) auf einen Wert von 40,2 Prozent (2001) an. Mit Ausnahme des letzten Jahres konnte die Eigenkapitalquote jährlich erhöht werden.

Im Handel steigt die Eigenkapitalquote von 26,6 Prozent (1997) auf den Wert von 31,5 Prozent (2001). Mit einer Ausnahme (2000) konnte die Eigenkapitalquote jährlich erhöht werden.

Zusammengefasst kann eine deutliche Umverteilung vom Arbeits- zum Kapitaleinkommen festgestellt werden. Massiv fallen die Einsparungen im Industriebereich aus: Rückgang des Beschäftigtenstandes - Rückgang des Personalaufwands in Prozent der Betriebsleistung - Zurückbleiben des Personalaufwands im Verhältnis zur Produktivität - Rückgang des anteilsmäßigen Arbeitseinkommens an der Wertschöpfung und Umverteilung zum Unternehmenseinkommen - Anstieg der Gewinnausschüttungen - Zuwachs der Gewinne - Verbesserung der Eigenkapitalausstattung.

Wenn sich aufgrund dieser Entwicklung manche Unternehmen bzw. deren Eigentümer und Eigentümerinnen gewissermaßen die Hände reiben, so sollte beachtet werden, dass dies entsprechende Rückwirkungen auf dieselben Unternehmen hat. Bleibt die Einkommensentwicklung der Beschäftigten hinter der Produktivitätsentwicklung längere Zeit zurück, müssen entsprechende Konsequenzen auf die Volkswirtschaft berücksichtigt werden.

Die Beschäftigten können sich verhältnismäßig immer weniger
leisten. Der private Konsum lässt nach. Die Unternehmungen reagieren darauf mit einer zurückhalten-den Investitionspolitik, sodass das Bruttoinlandsprodukt kaum noch wächst. Ein schwächeres BIP-Wachstum hat also auch hausgemachte Ursachen.

Der durch diese Umverteilung verstärkte Profitzuwachs dürfte weit weniger in den privaten Konsum fließen, als dies ein deutlicher Zuwachs der Löhne und Gehälter bewirken könnte. Ob eine Zunahme von Finanzspekulationen ähnliche Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum hat wie ein entsprechender Zuwachs des privaten Konsums, müssen entsprechende Konsequenzen auf die Volkswirtschaft berücksichtigt werden.

Offenbar ist nicht nur die Entwicklung der österreichischen Exporte mitverantwortlich dafür, dass privater Konsum und Bruttoinlandsprodukt im Inland nachlassen. Der größte »Sack Profit« kann auch wertlos werden!

1) Kraus, A.: Von Arbeit zu Kapital. Einsparungen beim Personal - Wachstum der Profite in Industrie und Handel, AK Wien, Dezember 2002

2) Da etliche Unternehmungen den Jahresabschluss für das Jahr 2001 noch nicht veröffentlicht haben, musste bei der Analyse des Beschäftigtenstandes auch ein Vergleich für den Zeitraum 2000 und 2001 mit jenen Unternehmungen durchgeführt werden, die den Jahresabschluss bereits veröffentlicht haben.

3) WIFO-Monatsberichte, 9/2002, S. 577

4) EUROSTAT, OECD. In: OeNB: Statistische Monatshefte 2002

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Alfred Kraus (Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1191422923318 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1191422923325 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1191422923332 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 Jan 2003 00:00:00 +0100 1191422923161 Wir fragen die künftige Bundesregierung Aber welche Farbzusammensetzung die Regierung letzten Endes haben wird, ist nicht das Wesentliche.

Was ist das Wesentliche?

Was die jeweilige Regierung für die österreichischen Arbeitnehmer macht. Oder muss man heute schon sagen, was sie ihnen antut?

Wer sich nun die mediale Präsentierung der »Koalitions-Sondierungs-Gespräche« und anderer »geheimer« und vertraulicher »Vieraugengespräche« ansieht - »Koalitions-verhandlungen« gibt’s bis zum jetzigen Zeitpunkt noch keine -, der wird leicht feststellen, dass man sehr sehr gerne auf die Gewerkschafter, die Arbeitnehmervertreter als die Verhinderer zeigen möchte, auf diese unflexiblen »Betonierer«, die immer nur »Njet« sagen können und sonst - »fallt ihnen nix ein«.

Wer sich nur einseitig informiert, möchte das vielleicht sogar glauben. Tatsache ist aber, dass die Gewerkschaften ein umfassendes Forderungspaket an die künftige Bundesregierung vorgelegt haben (auf der ÖGB-Homepage abrufbar).

Klare Antwort

Aber zuerst zum Grundsätzlichen. Ich möchte hier zitieren, was Anton Benya vor Jahrzehnten gesagt hat, weil es eine deutliche Antwort auf viele heute vorgebrachte Kritiken ist:

»Der Österreichische Gewerkschaftsbund ist eine durchaus eigenständige Kraft in unserem Land. Als freie Gewerkschaften sind wir unabhängig von Staat, Unternehmern und politischen Parteien - und eine in unseren Statuten verankerte Hauptaufgabe ist es, unsere ganze Kraft einzusetzen, den Lebensstandard der Arbeitnehmer unseres Landes zu verbessern. Der ÖGB ist weder eine Oppositionspartei noch ein Teil des Staats- und Verwaltungsapparates. Unsere Aufgabe ist es, weder aus grundsätzlichen Erwägungen der Regierung Schwierigkeiten zu machen noch ihr regieren zu helfen.«

Wir Gewerkschafter haben in dieser Zweiten Republik immer verantwortungsvoll und maßvoll agiert, und wer etwas anderes behauptet, verleumdet uns. Aber niemand kann von uns verlangen, dass wir von unseren grundsätzlichen Prinzipien abrücken und uns vielleicht nicht mehr für die Arbeitnehmer einsetzen.

Fragen, Fragen, Fragen!

Wird die künftige Regierung Beschäftigungsmaßnahmen setzen, um die Rekordarbeitslosigkeit zu bekämpfen? Oder wird man - die Arbeitslosen bekämpfen? Wir Gewerkschafter haben sehr konkrete Vorstellungen für eine aktive Arbeitsmarktpolitik - im Interesse der gesamten Wirtschaft.

Wie steht es um die Ausbildung der jungen Menschen? Das Problem der Jugendarbeitslosigkeit wächst, und die bisher - auf Initiative der Sozialpartner - gesetzten Maßnahmen reichen nicht aus. Wir Gewerkschafter haben weitere Forderungen und Vorschläge. Ist die neue Bundesregierung bereit, den jungen Leuten eine echte Chance zu geben?

Wie steht es um die Frage der Qualität der Arbeitsplätze im Programm einer künftigen Bundesregierung? Es geht um Arbeitsplätze, bei denen man genug zum Leben verdient. Es geht um menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Es geht um das Recht auf Mitsprache der Arbeitnehmer. Was wird die künftige Bundesregierung tun, um die Qualität der Beschäftigungsverhältnisse zu halten und weiter zu verbessern?

Wie steht es um die Beschäftigung von Frauen? Hat die neue Bundesregierung ein Konzept zur Hebung der Frauenerwerbsquote? Wird es ein Recht auf Teilzeit geben, gekoppelt mit einem Rückkehrrecht auf Vollzeit? Wird eine neue Bundesregierung mehr Kindergärten anbieten?

Was wird die neue Bundesregierung machen, damit ältere Arbeitnehmer länger in Beschäftigung gehalten werden können? Gibt es Konzepte zur Förderung der Weiterbildung älterer Arbeitnehmer?

Das sind nur einige von vielen klaren und einfachen Fragen, die wir der künftigen Bundesregierung wie auch jenen stellen können, die jetzt »Gespräche« führen.

Die Antworten ist man uns bis jetzt schuldig geblieben. Wir werden aber nicht müde werden, sie einzufordern.

»Alte» und »neue« Politik

Letzten Endes geht es aber um die grundsätzliche Frage, ob wir gemeinsam die Rahmenbedingungen schaffen wollen für einen funktionierenden Sozialstaat, in dem der Mensch im Mittelpunkt steht.

Wollen wir Sachfragen klären oder wollen wir polemisieren?

Die Antwort auf unsere Fragen kann wohl nicht sein, uns zu ewig Gestrigen zu erklären, die »alte« Politik machen wollen.

Wenn mit »alt« allerdings eine Politik im Interesse der Arbeitnehmer gemeint ist, dann lassen wir uns gerne schimpfen und fühlen uns noch geehrt und bestätigt.

Und die Menschen in den Betrieben werden das auch so sehen. Sie werden sehr genau auf die Inhalte achten, die ihnen von den künftigen Regierungspartnern geboten werden.

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Siegfried Sorz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Wed, 15 Jan 2003 00:00:00 +0100 1191422923083 Liebe Leserin, lieber Leser! Während man in der Öffentlichkeit immer bereit ist, »der« Gewerkschaft das Bummerl zuzuschieben und ihr Wirtschaftskompetenz abzusprechen - jede Lohnerhöhung, ja sogar ein Kampf gegen Lohnkürzungen ist Schuld an allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten und treibt die Unternehmen in den Ruin -, sind die lautesten Schreier merkwürdig leise, wenn von Gewinnen die Rede ist. Und diese Gewinne sind durchaus beachtlich und haben sich innerhalb eines kurzen Zeitraumes mehr als verdoppelt (z. B. in der Industrie). Das und viel mehr erfahren Sie in unserer Titelgeschichte »Von der Arbeit zum Kapital« auf Seite 8.

Bei uns sind (von konservativer Seite) Stimmen laut geworden, die eine Übernahme des deutschen Hartz-Modells vorschlagen. Das zeugt von einer gewissen Denkfaulheit, wie man sich auf Seite 14 überzeugen kann. Jedenfalls ist bei uns ein Teil der Bestimmungen (»Zumutbarkeit«) schon erheblich strenger als in Deutschland - und die Bedingungen sind hierzulande wesentlich anders als in unserem Nachbarland.

Ein Beitrag über Betrug an der Börse und Gegenmaßnahmen dazu sowie einer über »Werkstudenten« bieten weitere Hintergrundinformationen für Sie als Leser. Bleibt nur, Ihnen im Namen des Teams viel Erfolg für 2003 (siehe Seite 48) zu wünschen.

Siegfried Sorz
(für das Redaktionsteam)

Vorschau auf das Feberheft

Im Februarheft von »Arbeit&Wirtschaft« bringen wir unter anderem Beiträge über die Beschäftigungslage und den Arbeitsmarkt in Österreich, über das AMS und über eine aktive Arbeitsmarktpolitik und deren ausreichende finanzielle Dotierung (ein Wunsch bzw. eine Forderung).

Redaktionsschluss

Manuskripte für die Märzausgabe müssen bis 27. Jänner in der Redaktion eintreffen. Für das Aprilheft ist der 24. Februar 2003 Abgabeschluss. Bis 31. März 2003 müssen die Manuskripte für die Maiausgabe eingelangt sein.

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Sat, 15 Feb 2003 00:00:00 +0100 1191422922695 Kommentar | Durchbruch fünf vor zwölf 1. Die Ausgangslage

Die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes, die am 10. Januar 2003 erfolgreich beendet wurde, hielt nicht nur ganz Deutschland, sondern auch die internationale Presse in Atem. In einer prekären finanziellen Haushaltslage von Bund, Ländern und Kommunen ging die größte Einzelgewerkschaft Deutschlands ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) mit zwei umfassenden Forderungen in Verhandlung mit der öffentlichen Hand: Eine Drei vor dem Komma bei der Nettolohnerhöhung und eine verbindliche Angleichung der Vergütung Ost- an Westniveau bis 2007. Andrerseits klagen die öffentlichen Auftraggeber seit langem, sie hätten kein Geld für höhere Löhne und Gehälter ihrer Beschäftigten. Und besonders laut wurde diese Klage während der neuen Tarifrunde. Manche meinten sogar, ihre Haushalte könnten deshalb verfassungswidrig werden und warnten vor betriebsbedingten Kündigungen.

2. Der öffentliche Druck und Berliner Sondersituation

Die »Berliner Zeitung« ermittelte in einer Umfrage eine Bevölkerungsmehrheit dafür, dass auch im öffentlichen Dienst betriebsbedingte Kündigungen möglich sein müssten. Und SPD-Landeschef Peter Strieder erklärte: »Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes werden lernen müssen, dass ein armer Staat nicht anders handeln kann als ein armes Unternehmen.« In diesem Sinne beschloss der rot-rote Berliner Senat, aus der Tarifgemeinschaft der Arbeitgeber auszutreten und damit einen Tarifabschluss zu verhindern. ver.di Berlin droht nun mit einer Klage und Streik, falls das Land Berlin den Bundestarif nicht übernimmt.

3. Die wirklichen Finanzprobleme

Der deutsche Finanznotstand kann nicht den Beschäftigten angelastet werden. Tatsache ist, dass die öffentliche Verschuldung von Bund, Ländern und Gemeinden neben der schlechten weltwirtschaftlichen Entwicklung auch hausgemacht ist. Am 30. September 2002 hatten Bund und Länder Schulden in Höhe von 1,103 Billionen Euro. Im vergangenen Jahr erhöhten sich diese Schulden um rund 60 Milliarden Euro. Allein 24 Milliarden Euro sind auf die ausgefallene Körperschaftsteuer zurückzuführen.1)

Verglichen mit diesen Zahlen war die Forderung von ver.di winzig: Drei Prozent mehr für die Beschäftigten kosten die Arbeitgeber etwa 4 Milliarden Euro netto, also knapp 4 Promille der Staatsschulden. Auch Offenbachs Oberbürgermeister Gerhard Grandke wies Anfang Januar in der »Zeit« darauf hin: »Schlecht gehe es Offenbach nicht wegen der Tariferhöhungen für seine Beschäftigten, sondern weil die Steuereinnahmen völlig eingebrochen sind. Offenbach bekommt mehr Geld aus der Hundesteuer als aus der Gewerbesteuer. Doch gefragte Fachkräfte sind mit dem gezahlten Tarifeinkommen trotz hoher Arbeitslosigkeit nicht mehr zu finden. Eine Abkoppelung von der Privatwirtschaft hätte verheerende Folgen.«

Eine Verbesserung der Finanzlage sieht Frank Bsirske weniger in einer Lohnzurückhaltung als in einer Stärkung der Einnahmenseite der Kommunen. Gemeinsam mit dem Deutschen Städtetag will er deshalb für eine Gemeinde-Finanzreform kämpfen, welche den Kommunen künftig zehn Prozent mehr von der Gewerbesteuer bringen soll.

4. ver.di’s Entschlossenheit

Von Anfang an war die Tarifrunde von einer hohen Mobilisierungsbereitschaft der Beschäftigten geprägt. Einerseits war die Stimmungslage in den Betrieben aufgeheizt. In der Lohnrunde des Jahres 2000, als die Wirtschaftsaussichten rosig waren und das weltwirtschaftliche Wachstum kräftig anzog, setzten die Arbeitgeber moderate Tarifverträge mit 31-monatiger Laufzeit mit dem Versprechen durch, dass der Lohnverzicht zu mehr Arbeitsplätzen führen würde. Der Arbeitsplatzabbau hielt jedoch an, und es kam zu einem unverhältnismäßigen Anstieg unbezahlter Mehrarbeit. Gleichzeitig wurde die Arbeitnehmerkaufkraft weiter geschwächt. So kritisierte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW 2001) die Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften und meinte, »das Wachstumsproblem der deutschen Volkswirtschaft sind nicht die Exporte - da ist Deutschland noch immer Vizeweltmeister -, sondern die schwache binnenwirtschaftliche Nachfrage«. Nicht verwunderlich war deshalb die Reaktion der Gewerkschaften, die mit den Lohnforderungen der IG Metall von 6 bis 6,5 Prozent die Messlatte der folgenden Tarifauseinandersetzungen setzten. So gelang bei 40 von 72 Abschlüssen im Jahr 2002 eine Lohnerhöhung von mehr als drei Prozent. Auf Frank Bsirske lastete ein hoher interner Erwartungsdruck.

5. Das Ergebnis

Angesichts der extrem schwierigen Wirtschafts- und Haushaltslage der öffentlichen Hand erzielte ver.di in dieser Tarifrunde einen guten Kompromiss. Und es wäre höchst fraglich gewesen, ob mit einem Arbeitskampf mehr als dieses Ergebnis erreicht worden wäre.

Verhindert wurde durch den Abschluss eine Nullrunde, eine Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit, eine Absenkung von Sonderprämien sowie die Einführung einer »arbeitsmarktorientierten Eingangsbezahlung«, d. h., abgesenkte Löhne und Vergütungen für alle Neueingestellten.

Für das Ergebnis musste ver.di auch einige Kröten schlucken: die Streichung eines Zeitausgleichtages, das weitere Einfrieren von Sonderprämien, Ostangleichung für Besserverdienende erst bis 2009 und die mögliche Verschiebung des Lohnzahlungstermins auf das Monatsende.

Erreicht wurde eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 4,4% plus Einmalzahlungen über die Laufzeit. Die Laufzeit von 27 Monaten sichert auch für 2004, ein Jahr mit angespannter Haushaltslage, eine deutliche Einkommensverbesserung. Für 2003 kommt ein Großteil der Beschäftigten an die 3% heran.

Die Ostangleichung hat nach vielen Kämpfen endlich einen verbindlichen Zeitplan - für schwache Einkommensgruppen soll sie bis 2007 durchgeführt werden, für die anderen bis 2009. Für den Westen bedeutet dies, dass die Arbeits- und Einkommensbedingungen nicht an das Tarifniveau des Ostens angepasst werden. Und zwischen Ländern wie Berlin und Brandenburg ist die Lohndiskriminierung hoffentlich bald beendet - also endlich Löhne nach Leistung und nicht nach Herkunft.

6. Der Mut hat sich gelohnt

»Bsirske hat recht - das Fehlverhalten der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik darf nicht auf den Schultern der Arbeitnehmer ausgetragen werden«, so Offenbachs Oberbürgermeister Gerhard Grandke.

Dieser Mut hat in Deutschland zum Erfolg geführt und das Image von ver.di bei seinen Mitgliedern gestärkt. Vielleicht auch ein Signal für die österreichischen Gewerkschaften, gegen das Spardogma der österreichischen Bundesregierung in den Kampf zu ziehen?

1) Die Steuerbefreiung der Veräußerungsgewinne von Kapitalbeteiligungen führte zu Milliardenverlusten bei den Steuereinnahmen.
So mussten die Finanzämter mehr als 400 Millionen EUR Körperschaftsteuer an Konzerne und Unternehmen wieder auszahlen.

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Ortrun Gauper (Strategische Abteilung »Politik und Planung« bei ver.di) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Feb 2003 00:00:00 +0100 1191422922674 Kommentar | Stabilitäts- und Wachstumspakt Stabilitätspakt schwächt europäische Wachstumspolitik

Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass die Experten Recht behalten haben, denn zwischen Konjunktur und Budgetdefizit besteht ein enger Zusammenhang: Niedrige Wachstumsraten des BIP bewirken einen Anstieg der Budgetdefizite - gut ablesbar an der Budgetentwicklung Österreichs im Jahr 2002 - und umgekehrt trägt rasches Wirtschaftswachstum zu deren Abbau bei. Bei geringem Wachstum wachsen auch die Steuereinnahmen langsam und die Defizite steigen; Ausgabenkürzungen führen zu einem Nachfrageausfall und bremsen daher das Wachstum. In einer solchen Situation löst die strikte Anwendung des Stabilitäts- und Wachstumspakts einen Teufelskreis aus, weil steigende Defizite immer wieder neue Ausgabenkürzungen erforderlich machen. Und dieser Teufelskreis ist in Europa - im Gegensatz zu den USA - Wirklichkeit geworden1). In den USA hat der Konjunkturabschwung sofort eine expansive Geld- und Budgetpolitik ausgelöst, um die Nachfrageschwäche zu überwinden. Das (erwartete) Wirtschaftswachstum der USA liegt daher heute über jenem Europas. Es sei daher - so Tichy - nicht der richtige Weg, über eine Entschärfung des Stabilitätspakts nachzudenken, weil die zugrunde liegenden Regeln falsch seien.

Neue Vorschläge zur Verbesserung der Interpretation des Stabilitäts- und Wachstumspakts

Dennoch hält die EU am Stabilitätspakt fest. Die Diskussion kreist auch nach den Aussagen Romano Prodis - der ihn etwas pointiert als »dumm« bezeichnet hat - lediglich um eine flexiblere Handhabung des Pakts. Als besorgniserregend wird gesehen, dass die großen Länder (Deutschland, Frankreich, Italien) die Maastricht-Regeln nicht einhalten (können). Kurioserweise wurden diese Regeln einst von den Deutschen der EU aufoktroyiert, jenem Land also, dem vor wenigen Monaten ein Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits2) aufgebrummt wurde. Außer Acht gelassen wird bei der Beurteilung Deutschlands, dass es Sonderlasten aus der Wiedervereinigung jährlich in einer Größenordnung von rund 2% des BIP zu tragen hat. Die Gefahr, in einem Konjunkturabschwung die Dreiprozentgrenze zu überschreiten, ist also sehr groß. Vor dem Hintergrund der nicht enden wollenden Kritik am Stabilitätspakt hat die Europäische Kommission neue Vorschläge ausgearbeitet. Sie sollen eine flexiblere Handhabung ermöglichen, gleichzeitig aber auch eine striktere Einhaltung des Ziels solider und tragfähiger öffentlicher Finanzen ermöglichen. Die Kommission schlug vor, die Anforderung des Stabilitätspakts bezüglich eines nahezu ausgeglichenen Haushalts oder Haushaltsüberschusses nunmehr auf den konjunkturbereinigten Budgetsaldo zu beziehen. Das heißt also, dass konjunkturelle Schwankungen aus dem Budgetsaldo herausgerechnet werden. Dazu wurde auch eine einheitliche Methode zu deren Berechnung vorgeschlagen (siehe Kasten »Drei Schritte zur Berechnung des konjunkturbereinigten Budgetsaldos«).

Auf diesen Vorschlägen basierend hat die Euro-Gruppe am 7. Oktober 2002 einen Beschluss zur Verbesserung der Interpretation des Stabilitäts- und Wachstumspakts mit folgender Kernbotschaft gefasst:

Jene Länder, die noch nicht das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts oder Haushaltsüberschusses erreicht haben, sollen ihren »strukturellen« Budgetsaldo kontinuierlich und jährlich um mindestens 0,5% des BIP anpassen. Länder mit hohem Defizit und Schuldenstand müssen noch stärker konsolidieren. Alle Minister außer jener Frankreichs akzeptierten, dass diese Regel nicht später als im Budget 2003 angewendet werden soll und in den nächsten Stabilitätsprogrammen (samt Maßnahmen) enthalten sein muss. Die diesbezüglichen Anstrengungen werden im Frühjahr 2003 vor dem Hintergrund der Empfehlungen der Grundzüge der Wirtschaftspolitik 2002 und dem Einfluss der Konjunktur überprüft (siehe Kasten »Was ist der strukturelle Budgetsaldo?«).

Weiters wird ausdrücklich festgehalten, dass in konjunkturpolitisch guten Zeiten eine prozyklische Haushaltspolitik, d. h., eine den Konjunkturzyklus verstärkende, vermieden werden sollte. Dieser Hinweis bedeutet, dass unter günstigen Konjunkturbedingungen eine restriktive Budgetpolitik gefahren werden sollte, um die Defizite aus der Periode des Konjunkturabschwungs auszugleichen. Eine expansive Budgetpolitik bleibt nach diesen Beschlüssen nur jenen Ländern vorbehalten, die sich in der Vergangenheit bereits einen ausreichenden Budgetspielraum geschaffen haben. Nur für jene Länder also bringen die neuen Vorschläge eine erhöhte Flexibilität mit sich.

Was bedeutet diese Kernbotschaft nun für die Budgetpolitik Österreichs im Jahr 2003?

Nach den Schätzungen des Bundesministeriums für Finanzen wird der Maastricht-Saldo 2002 bei -1,3% des BIP liegen, der konjunkturbereinigte bei etwa -1% des BIP. Dieser hohe Wert für den konjunkturbereinigten Budgetsaldo kommt deshalb zustande, weil die Berechnungen von Werten nahe der Vollauslastung ausgehen. Das ist bei schwachem Wachstum und steigender Arbeitslosigkeit völlig unplausibel. Ähnlich unplausibel sind auch die Aussagen des Finanzministeriums, wonach die Budgetpolitik des Jahres 2001 mit ihren saftigen Steuererhöhungen praktisch keine prozyklische Wirkung hatte. Auch das ist das Ergebnis der Schätzungen, die ergeben, dass die österreichische Wirtschaft im Jahr 2001 nahe der Vollauslastung war. Das ist bei einem BIP-Wachstum von 1% und einem Anstieg der Arbeitslosenquote von 5,8 auf 6,1% höchst fraglich.
Nach den neuen Regeln zur Überprüfung der Stabilitätsziele muss Österreich demnach seinen strukturellen Budgetsaldo um 0,5% des BIP reduzieren. Dieses Konsolidierungserfordernis gilt erst recht, wenn sich für 2002 ein höherer negativer Budgetsaldo ergeben sollte.

Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass durch die neuen Regeln zwar eine gewisse Flexibilisierung des Stabilitätspakts erfolgte, dass aber falsche Regeln entschärft wurden. Wenn durch das Abstellen auf den konjunkturbereinigten Budgetsaldo zwar grobe Mängel beseitigt werden, so muss dennoch festgehalten werden, dass es Unschärfen gibt und die Gefahr der Manipulation durch »kreative Statistik« besteht. Weiters bedeutet die Zustimmung Österreichs zu den neuen Regeln, dass das öffentliche Haushaltsdefizit 2003 um 0,5% des BIP gesenkt werden muss. Sparen bleibt somit weiterhin der oberste budgetpolitische Grundsatz.

1) Darauf hat Professor Gunther Tichy in einem »Kommentar der Anderen« im Standard vom 14. 10. 2002 hingewiesen.
2) Deutschland überschritt im Jahr 2002 die erlaubte Defizitobergrenze von 3% des BIP.

FAKTEN

3 Schritte zur Berechnung des konjunkturbereinigten Budgetsaldos

1. Festlegung der Stellung im Konjunkturzyklus. 2. Schätzung der Reagibilität der Einnahmen und Ausgaben auf die Konjunkturlücke. 3. Berechnung des konjunkturbereinigten Budgetsaldos. Zur
Ermittlung der Stellung im Konjunkturzyklus erfolgt eine Festlegung auf den Produktionsfunktionsansatz (ab Dezember 2002)3). Das tatsächliche BIP wird jenem gegenübergestellt, das ein Land dauerhaft (durchschnittlich) erreichen kann. Die Differenz ist die so genannte "Outputlücke«. Hinsichtlich der Schätzung der Veränderung der Einnahmen und Ausgaben auf die Outputlücke verwendet die Europäische Kommission die Elastizitäten der OECD.
Diese Festlegungen bringen eine Reihe von offenen Problemen mit sich. Da das BIP häufig revidiert wird, haben diese Revisionen Auswirkungen auf die Outputlücke. Schätzungen von Elastizitäten sind wegen immer wieder auftretenden Strukturbrüchen schwierig. Das zur Glättung der Konjunktur eingesetzte Verfahren wird zum Endpunkt hin ungenau, weil für die Glättung keine Werte mehr zur Verfügung stehen. Insgesamt können sich bei der Konjunkturbereinigung somit Schätzfehler im Bereich von +/- 0,25% des BIP ergeben.

Was ist der strukturelle Budgetsaldo?

administrativer Budgetsaldo
+/- VGR-Korrekturen4)
= ESVG-Saldo5)
+/- Swaps6)
= Maastricht-Saldo
+/- Konjunktureffekte
= konjunkturbereinigter Budgetsaldo
+/- Einmalmaßnahmen
= struktureller Budgetsaldo
+/- langfristige Trends
= dauerhafter Budgetsaldo

3) Österreich, Deutschland und Spanien haben diesbezüglich Vorbehalte angemeldet, weil die bisherigen Schätzungen zu unplausiblen Ergebnissen führten.
4) VGR = Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
5) ESVG = Europäisches System der VGR
6) Korrekturen des Zinsaufwands unter Berücksichtigung der Forderungen und Verbindlichkeiten aus Währungstauschverträgen (Swaps)

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Bruno Rossmann (Mitarbeiter in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Feb 2003 00:00:00 +0100 1191422922629 Billigarbeitskräfte Wirtschafts-Saisonniers | Immer Saison Sie kommen aus Mittel- und Osteuropa, sie leben und arbeiten sechs Monate in Österreich, manchmal auch ein Jahr, wenn die Beschäftigungsbewilligung verlängert wird. Dann muss der Dienstgeber mindestens zwei Monate warten, bis er für denselben Beschäftigten noch einmal einen Antrag stellen kann. Nach der derzeitigen Regelung müssen Saisonniers nach dem Mindestkollektivvertrag bezahlt werden.

»Das drückt natürlich das Lohnniveau«, erklärt Rudolf Kaske, Vorsitzender der Gewerkschaft Hotel, Gastgewebe, Persönlicher Dienst (HGPD). Umso empörender ist, was die HGPD Tirol und die AK Landeck im Dezember des Vorjahres feststellen mussten. Bei Stichproben in Tirols tourismusintensivstem Bezirk fanden sie heraus, dass rund 50 Prozent der Saisonniers weniger Lohn erhalten, als im Antrag auf Beschäftigungsbewilligung festgeschrieben. Auffällig ist, dass es vor allem Hotels der gehobenen Klasse waren, die bei den Saisonniers gespart haben. In einem Fünf-sternebetrieb fehlten sogar 600 Euro auf die im Bewilligungsantrag versprochene Summe.

Missstände härter strafen!

»Viele Saisonniers trauen sich nicht, sich gegen solche Missstände zu wehren, sie wissen nicht über ihre Rechte Bescheid und müssen das Land so oder so nach Beendigung ihres Jobs verlassen«, erklärt Kaske. Ein ganz extremer Fall ist ja zu Jahresbeginn in Obertauern aufgeflogen. Die Geschäftsführerin eines Dreisterne-hotels hatte die Beschäftigten in deren Freizeit eingesperrt. Für HGPD-Landessekretär Josef Gönitzer ist die Dame keine Unbekannte: »Wir hatten letztes Jahr schon Beschwerden aufgrund des Arbeitsklimas in diesem Haus, und die Frau hat mich bei einem Besuch aufs Gröbste beschimpft.« Die Eingesperrten waren zu einem Teil Saisonniers, denen die grimmige Geschäftsführerin mit dem Verlust von Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung gedroht hat.

»Wir fordern schon seit Jahren, dass zuerst arbeitslose Österreicher und in Österreich lebende Ausländer beschäftigt werden sollen. Wer hier lebt, soll auch hier arbeiten dürfen.«

Diese Missstände wurden der Staatsanwaltschaft Salzburg zur Kenntnis gebracht, woraufhin eine Hausdurchsuchung angeordnet wurde. Es wurden dabei Übertretungen nach dem Ausländerbeschäftigungs- und dem Fremdenpolizeigesetz festgestellt sowie durch das Arbeitsinspektorat umfangreiche Mängel erhoben.

Die HGPD fordert von Wirtschafts- und Arbeitsminister Bartenstein harte Strafen für rechtswidrige Saisonnierentlohnung und keine weiteren Saisonnierbewilligungen für Unternehmen, bei denen Missstände nachgewiesen werden. Gleichzeitig kritisiert die Tourismusgewerkschaft, dass sich die Zahl der Saisonniers in der Branche in den vergangenen vier Jahren verdreifacht habe. In der heurigen Wintersaison arbeiteten in Österreich 9000 Saisonniers, erst Anfang Dezember war das Kontingent um 200 erhöht worden - und das, obwohl die Arbeitslosigkeit in der Fremdenverkehrswirtschaft selbst zu Beginn der Hochsaison erneut um 3,8 Prozent oder 774 Arbeitslose gestiegen sei.

»Angesichts unserer Erfahrungen, halte ich es für sehr bedenklich, dass mit dem Jahr 2003 Saisonniers für alle Branchen zugelassen werden«, ergänzt der HGPD-Vorsitzende: »Menschen nur als billige Arbeitskräfte ins Land zu holen und sie nach einem halben bis ganzen Jahr wieder heimzuschicken, kann keine Lösung sein. Wir fordern schon seit Jahren, dass zuerst arbeitslose Österreicher und in Österreich lebende Ausländer beschäftigt werden sollen. Wer hier lebt soll auch hier arbeiten dürfen.«

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K. K. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Feb 2003 00:00:00 +0100 1191422922617 Belastungen statt Konzepte | Kopfsteuer für Kranke Der einzige Einfall der ÖVP zur Finanzierung des Gesundheitssystems seien Belastungen der Versicherten, meint der Leitende Sekretär im ÖGB, Richard Leutner. Mit dem Vorschlag des ÖVP-Gesundheitssprechers Erwin Rasinger nach 20-prozentigem Selbstbehalt würden die Versicherten erneut zur Kasse gebeten. Einige »Leistungen« der ÖVP-FPÖ-Regierung 2000 bis 2002: Einführung der Ambulanzgebühr, Anhebung der Rezeptgebühren um insgesamt 26 Prozent oder Erhöhung der Selbstbehalte in Spitälern.

Als ungeeignet bezeichnet den erneuten Zugriff auf die Geldbörsen der Versicherten auch die Sprecherin der »ARGE-ÄrztInnen im ÖGB«, Sabine Oberhauser. Nötig sei nun ein Therapiewechsel in der Diskussion, eine Bestandsaufnahme von Stärken und Schwächen. Und vor allem ein langfristiges Konzept.

Weitere Selbstbehalte würden vor allem für Frauen zusätzliche Härten bedeuten, ist Erika Helscher, Bundesfrauenvorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA), überzeugt. Durch die erheblichen Einkommensunterschiede (durchschnittlich 31 Prozent) von Frauen und Männern würden Erstere durch »eine derartige Kopfsteuer für Kranke« erheblich mehr belastet.

Die Vorschläge des ÖGB bieten «einen reichlichen Fundus für ein im Interesse aller Versicherten zufrieden stellendes Modell zur Finanzierung des Gesundheitssystems«, stellt Richard Leutner fest. Etwa: Senkung der Spannen im
Arzneimittelhandel auf europäisches Durchschnittsniveau, volle Abgeltung der Mehrwertsteuer bei Medikamenten oder Bekämpfung des Schwarzunternehmertums.

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G. M. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Feb 2003 00:00:00 +0100 1191422914169 Lohnquote sinkt seit zwei Jahrzehnten Vor einigen Jahrzehnten war viel von der Lohnquote die Rede. In der Hochblüte des Keynesianismus wurde vor allem von den Gewerkschaften streng darauf geachtet, dass der Anteil der Arbeitnehmereinkommen am Volkseinkommen zumindest konstant blieb, um die Kaufkraft der Arbeitnehmer zu erhalten.

Heute ist es ziemlich still geworden um die Lohnquote. Im Internet finden sich nur relativ wenige Einträge zu diesem Thema, wissenschaftliche und statistische Untersuchungen gibt es noch weniger. Vielmehr ist heute die Rede von der Entwicklung der realen Lohnstückkosten, das heißt, der Reallohnveränderung gemessen an der Produktivitätssteigerung.

Nun lässt sich mathematisch zeigen, dass die Konzepte der bereinigten Lohnquote und der realen Lohnstückkosten nahezu identisch sind 1). Wir sollten deshalb keinem Politiker trauen, der uns verspricht, die Lohnstückkosten zu senken und gleichzeitig die Lohnquote zu erhöhen. Der große Unterschied zwischen den beiden Konzepten liegt im Ziel: Früher wollte die Wirtschafts- und Sozialpolitik mit einer stabilen Lohnquote die Nachfrage festigen, heute versucht die vorherrschende Angebots- und Standortpolitik die Lohnstückkosten zu senken, um die nationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Der Konkurrenzkampf zwischen den Nationen steht im Vordergrund, nicht mehr die Entwicklung der Nachfrage im gesamten Wirtschaftsraum. Das Hervortreten der Lohnstückkosten gegenüber der Lohnquote spiegelt nicht nur die zunehmende Bedeutung der Standortpolitik im Zuge der Globalisierung, sondern auch die Zurückdrängung der Verteilungsfrage durch die hohe Arbeitslosigkeit in Europa wider.

»Durch steigende bzw. hohe Arbeitslosigkeit lässt sich die Einkommensverteilung zugunsten der Unternehmen verschieben.«

Die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen WIFO-Studie 1) zum Thema Lohnquote wollen wir in diesem Artikel kurz darstellen.

Die Entwicklung der Lohnquote zeigt in den letzten Jahrzehnten ein charakteristisches Muster: Die bereinigte Lohnquote2) geht seit den frühen achtziger Jahren kontinuierlich zurück. Dieser Trend gilt nicht nur für Österreich, sondern für alle EU-Staaten. Der internationale Einklang deutet bereits darauf hin, dass die Entwicklung nicht auf »willkürliches« Gewerkschaftsverhalten in einzelnen Ländern, sondern auf gemeinsame Ursachen zurückgeht.

In Österreich ist die unbereinigte Lohnquote seit 1982 zurückgegangen: von 76% auf 73% im Jahr 2000. Diese Entwicklung hat jedoch nur eine relativ geringe Aussagekraft, weil sie mit einer starken Verringerung des Anteils der Selbständigen - besonders in der Landwirtschaft - verbunden war. Verteilungspolitisch aussagekräftiger ist die Entwicklung der bereinigten Lohnquote. Diese weist seit 1982 eine wesentlich steilere Tendenz nach unten auf: Sie ging 1982 bis 2000 um 8 Prozentpunkte zurück, um fast einen halben Prozentpunkt pro Jahr. Noch stärker war die Verringerung der Netto-Lohnquote (nach Steuern). Darin spiegelt sich das Postulat der Angebotspolitik wider, dass die Unternehmen steuerlich besonders entlastet werden sollen, damit Investoren im internationalen Standortwettbewerb angelockt werden.

Der Mainstream der Ökonomie, wie er sich in den akademischen Journals, der OECD und der EU-Kommission präsentiert, forderte nicht nur eine steuerliche Entlastung der Unternehmen, sondern er gab auch der Lohnpolitik den Rat, die Reallohnsteigerungen hinter die Produktivitätssteigerungen zu-rückfallen zu lassen. Das würde nach dem neoklassischen Modell zu einem Anstieg der Beschäftigung und einem Rückgang der Arbeitslosigkeit führen. Denn erstens sollten die höheren Gewinne nach dieser Theorie zu verstärkter Investitionstätigkeit führen und zweitens sollten die niedrigeren Reallohnsteigerungen die Substitution von Arbeit durch Kapital verlangsamen.

»Die bereinigte Lohnquote ist in den letzten zwei Jahrzehnten um rund 8 Prozentpunkte gesunken. Der Hauptgrund lag in der steigenden Arbeitslosigkeit, sie schwächte die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerseite.«

Die Politik hat sich an diese Forderungen gehalten:

Die realen Lohnstückkosten entwickelten sich definitionsgemäß ähnlich wie die bereinigte Lohnquote. Sie gingen in Österreich seit 1980 um 15%, seit 1990 um 9% zurück (siehe Grafik 1: »Lohnquoten und Lohnstückkosten in Österreich«). Der Rückgang fiel etwas stärker aus als in Deutschland und im EU-Durchschnitt (-12% seit 1980). Die Realeinkommensteigerungen der Arbeitnehmer sind also in beiden Jahrzehnten deutlich hinter dem Fortschritt der Arbeitsproduktivität zurückgeblieben, wie vom Mainstream der Ökonomen gefordert worden war. Die davon erhoffte Verringerung der Arbeitslosigkeit blieb jedoch aus. In Deutschland, wo besonders lautstark über die hohen Lohnkosten als Ursache der steigenden Arbeitslosigkeit geklagt wird, sanken die realen Lohnstückkosten seit 1980 um 13%, seit 1990 um 7%. Trotz dieses markanten Zurückbleibens der Reallöhne hinter dem Produktivitätsfortschritt war die Arbeitsmarktentwicklung in Deutschland enttäuschend.

In Europa wird weiters immer geklagt, dass die Reallöhne stärker stiegen als in den USA. Die Lohnpolitik sei für die schwache Beschäftigungsentwicklung in Europa verantwortlich, lautet das Vorurteil. In den USA hätten dagegen rückläufige Reallöhne ein hohes Beschäftigungswachstum bewirkt. Ein solcher Vergleich zwischen Ländern macht nur Sinn, wenn man die Reallohn- zur Produktivitätsentwicklung in Beziehung setzt. Denn die Produktivitätsentwicklung bestimmt ja den Reallohnspielraum bei unveränderter Einkommensverteilung. Diese Relation - die reale Lohnstückkostenposition - ist in Europa seit 1980 wesentlich stärker als in den USA zurückgegangen (siehe Grafik 2: »Bereinigte Lohnquoten in EU-Ländern und den USA«).

Die Verteilungsposition der Arbeitnehmer verschlechterte sich also in Europa weit stärker als in den USA. Die Verteilungspolitik gibt also keinen Anlass für die weit ungünstigere Arbeitmarktlage Europas verglichen mit den USA. Offenkundig sind nicht Kostenfaktoren, sondern das raschere Wirtschaftswachstum in den USA für die günstigere Arbeitsmarktentwicklung verantwortlich. Der technologische Vorsprung der USA, insbesondere in den Informationstechnologien, und die expansivere Grundhaltung der Wirtschaftspolitik sind für diesen Wachstumsvorsprung der USA entscheidend.

Innerhalb der Europäischen Union waren die Trends in den einzelnen Staaten überraschend ähnlich: In den meisten Ländern sanken die realen Lohnstückkosten in den neunziger Jahren um rund 6%. Am stärksten war der Rückgang dank hohem Produktivitätswachstum in Finnland und Irland, relativ kräftig auch in Italien infolge von Reallohneinbußen zur Erfüllung der Maastricht-Kriterien. Die Unterschiede in der Entwicklung der Lohnstückkosten werden primär vom Produktivitätsfortschritt geprägt. Dieser weicht von Land zu Land weit stärker ab als die Reallohnveränderung. In Irland, Finnland und Schweden stieg die Produktivität in den neunziger Jahren beispielsweise um 25% bis 30%, die Realeinkommen nahmen dagegen ähnlich wie im EU-Durchschnitt (5% bis 10%) zu.

Das Niveau der Lohnquote in der EU weicht von jener in den USA und in Japan relativ wenig ab. Im Durchschnitt der Jahre 1995 bis 2000 betrug die Lohnquote in der EU knapp 69%, in den USA 70,5% und in Japan 73%. Südeuropa hat sehr niedrige Lohnquoten, dafür ist der hohe Anteil der Landwirtschaft bzw. der Selbständigen verantwortlich. Die höchsten Lohnquoten weisen die skandinavischen Länder auf, dazu trägt auch der große öffentliche Sektor in diesen Ländern bei.

Gründe für den Rückgang der Lohnquote

In der WIFO-Studie konnte gezeigt werden, dass vor allem die steigende Arbeitslosigkeit langfristig zur Verringerung der bereinigten Lohnquote geführt hat. Der Umverteilungspolitik der Gewerkschaften ist durch die Arbeitslosigkeit Grenzen gesetzt. Hohe und steigende Arbeitslosigkeit schwächt die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer. Die Realeinkommen konnten nicht mit der Produktivitätssteigerung mithalten, nicht nur wegen der schwächeren Verhandlungsposition der Gewerkschaften, sondern auch wegen der fehlenden Lohndrift auf Betriebsebene.

Der steigende Trend der Lohnquote in den siebziger Jahren und der fallende Trend in den achtziger und neunziger Jahren passt gut mit der Entwicklung der Arbeitslosenquoten zusammen (siehe Grafik 3: »Bereinigte Lohnquote und Arbeitslosenquote in Österreich« und Grafik 4: »Reale Lohnstückkosten und Arbeitslosenquote in Deutschland«). In den siebziger Jahren hat die niedrige und sinkende Arbeitslosigkeit zum Anstieg der Lohnquote beigetragen, in den letzten beiden Jahrzehnten drückte dagegen die steigende Arbeitslosigkeit die Lohnquote. Aufgrund der demographischen Entwicklung ist längerfristig freilich mit einer zunehmenden Knappheit an Arbeitskräften und einem Abbau der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Dies sollte zu einer Stabilisierung bzw. einem Anstieg der bereinigten Lohnquote führen.

Seit Anfang der achtziger Jahre ist der Trend der bereinigten Lohnquote eindeutig rückläufig. Dies könnte auch mit der Globalisierung und dem verstärkten Gang der Unternehmen an die Börse zusammenhängen. In ihrem Gefolge orientieren sich die Unternehmen immer mehr am Shareholder-Value. Die Finanzmärkte reagieren unmittelbar auf schlechte Quartalsbilanzen, viel rascher als die kreditgewährenden Banken. Die Rationalisierungswellen und Kündigungen von Mitarbeitern auf dem Weg zum schlanken Unternehmen drängten die Gewerkschaften durch hohe Arbeitslosigkeit in die Defensive. Der Staat federte diese Strategien durch Früh- und Invaliditätspensionen bzw. Altersteilzeit ab.

Neben der Arbeitslosigkeit hat auch die Konjunktur spürbaren Einfluss auf die Lohnquote: Ein Wirtschaftsaufschwung drückt die Lohnquote, eine Rezession hebt sie an. Die Lohnquote schwankt also antizyklisch. Wenn man die Entwicklung der Lohnquote im Zeitverlauf interpretieren will, sollte man deshalb Jahre mit ähnlicher Konjunktursituation vergleichen (z. B. 1982 und 2000).

von Hayek Darwin Reagan Thatcher Keynes
»Friedrich von Hayek, der Ökonom des Extremliberalismus, hat hohe Arbeitslosigkeit allerdings als wünschenswert für den »Aussiebungsprozess« - die natürliche Selektion durch den Markt - bezeichnet. Diesem Nachfahren des Sozialdarwinismus, der die Reagan- und Thatcherpolitik ideologisch vorwegnahm, werden heute in Österreich auch noch institutionelle Denkmäler gesetzt.« Keynes verkörpert
das Gegenteil -
Deficitspending zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit

Die Entwicklung der Vermögenseinkommen hat ebenfalls erhebliche Auswirkungen auf die Lohnquote. Insbesondere in den achtziger Jahren haben sich die Besitzeinkommen sprunghaft erhöht. Ihr Anteil an den gesamten Einkünften aus Besitz und Unternehmung stieg 1970 bis 1997 von 7% auf 23%. Die Hochzinspolitik trug vor allem in den achtziger Jahren wesentlich zu dieser Einkommensumverteilung bei.

Die Verschiebung der Beschäftigungsstruktur hatte dagegen im letzten Jahrzehnt per Saldo keinen signifikanten Einfluss auf die Lohnquote. Der Anteil der Arbeitnehmerentgelte an der Bruttowertschöpfung differiert zwischen den Branchen und Sektoren erheblich. Er ist in den öffentlichen Dienstleistungen mit 80% am höchsten. Überdurchschnittlich hoch liegt er auch in der Sachgütererzeugung. Dort hat er allerdings von 67% zu Ende der achtziger Jahre auf zuletzt 58% abgenommen. Der Lohnanteil in der Bauwirtschaft entspricht etwa dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt und ist ebenfalls zuletzt merklich gesunken. Deutlich niedriger liegt die Lohnquote im privaten Dienstleistungsbereich (45%). Hier ist sie niedriger als in der Sachgüterproduktion, weil der Anteil der Selbständigen wesentlich höher ist.

1) Marterbauer M., Walterskirchen E., Bestimmungsgründe der Lohnquote und der realen Lohnstückkosten, WIFO-Monographie, Juni 2002.
2) Die Lohnquote wird um die Verschiebungen des Unselbständigenanteils bereinigt, um die Verteilungsposition adäquater zu messen und nicht durch mehr oder weniger Selbständige zu verzerren.

RESÜMEE

Die bereinigte Lohnquote ist in den letzten zwei Jahrzehnten um rund 8 Prozentpunkte gesunken. Der Hauptgrund lag in der steigenden Arbeitslosigkeit, sie schwächte die Verhandlungsposition der Arbeitnehmerseite. Arbeitslosigkeit ist aber nicht nur das Resultat der Wirtschaftsentwicklung, sondern auch ein Instrument der Unternehmenspolitik. Durch steigende bzw. hohe Arbeitslosigkeit lässt sich die Einkommensverteilung zugunsten der Unternehmen verschieben. Massive Rationalisierungsschübe in der Industrie (»Lopez-Effekt« in der Autoindustrie) ermöglichten eine Produktion mit immer weniger Arbeitern.

Die Verschiebung der Einkommensverteilung hat zwar die realen Lohnstückkosten gesenkt. Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Ländern brachte das aber kaum, da alle Länder diese Strategie der Lohnzurückhaltung verfolgten. Wettbewerbsvorteile konnten sich nur jene EU-Länder verschaffen, die mehr Lohnzurückhaltung übten als der internationale Durchschnitt. Gleichzeitig drückte jedoch die Verschiebung der Einkommensverteilung die Nachfrage in der EU, weil die Löhne rascher wieder ausgegeben werden als die Gewinne. Als Folge davon wurde auch die Investitionstätigkeit gedämpft, die in erster Linie von der Kapazitätsauslastung abhängt.

Die wirtschaftspolitische Erwartung des ökonomischen Mainstream, dass ein Zurückbleiben der Reallohn- hinter den Produktivitätssteigerungen das Wirtschaftswachstum beschleunigt und die Arbeitslosigkeit senkt, hat sich leider nicht erfüllt. Das Gegenteil ist eingetreten. Friedrich von Hayek, der Ökonom des Extremliberalismus, hat hohe Arbeitslosigkeit allerdings als wünschenswert für den »Aussiebungsprozess« - die natürliche Selektion durch den Markt - bezeichnet. Diesem Nachfahren des Sozialdarwinismus, der die Reagan- und Thatcherpolitik ideologisch vorwegnahm, werden heute in Österreich auch noch institutionelle Denkmäler gesetzt.

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Markus Marterbauer, Ewald Walterskirchen, Mitarbeiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1191422913991 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1191422914000 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1191422914009 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Feb 2003 00:00:00 +0100 1191422913831 Atypisch oder typisch? 1)]]> Auf dem österreichischen Arbeitsmarkt existieren zu jedem Zeitpunkt verhältnismäßig beständige Formen der Erwerbstätigkeit gleichzeitig mit solchen, die von hoher Fluktuation und teilweise äußerst kurzen Beschäftigungsdauern geprägt sind. Bei Arbeitsmarktstatistiken hängt es in nicht unbeträchtlichem Ausmaß von der Art der Datenauswertung und der gewählten Darstellung der Ergebnisse ab, ob der beständige Teil das Bild stark dominiert oder ob auch die Fluktuationen sichtbar werden.

Die meisten Arbeitsmarktstatistiken basieren in der einen oder anderen Form auf Stichtagszählungen; so werden beispielsweise jeweils zum Monatsende alle aufrechten Beschäftigungsverhältnisse (nicht Personen), nach den unterschiedlichsten Merkmalen untergliedert, ausgezählt: Das ergibt die monatlichen Beschäftigungsstände (siehe Seite 29) und andere daraus errechnete Arbeitsmarktkennzahlen. Nicht sichtbar werden jedoch bei Stichtagszählungen die Fluktuationen zwischen den Stichtagen sowie der Wechsel von Personen von einem Stichtag zum nächsten, welche oft deutlich größer sind als die damit verbundenen Bestandsveränderungen. So betrug für Österreich insgesamt im Jahr 2000 bei den Standardbeschäftigungsverhältnissen der jahresdurchschnittliche Stichtagsbestand 3.064.459 (siehe »A&W« 2/2001, Seite 16). Zum Saisontiefststand im Januar lag die Beschäftigung mit 2.978.379 um gut 86.000 unter dem Jahresdurchschnitt, zum Saisonhöchststand im Juli mit 3.152.441 um knapp 88.000 darüber. Diese saisonalen Differenzen, so groß sie auch sind, geben aber die tatsächlichen Fluktuationen im Jahresverlauf nicht annähernd wieder: Im Verlauf desselben Jahres waren 3.615.080 Personen standardbeschäftigt (ohne Präsenzdiener und KarenzgeldempfängerInnen), über 1,1 Millionen davon jedoch nicht ganzjährig (siehe Tabelle 1: »Standardbeschäftigte 2000 in Österreich«).


Standardbeschäftigte 2000 in Österreich nach Erwerbsgruppen absolut 1
Männer Frauen Gesamt
Ganzjährig beschäftigt 1.425.929 1.082.271 2.508.200
Überwiegend erwerbstätig 242.800 155.127 397.927
Eintritt in das Erwerbsleben 51.347 47.943 99.290
Austritt aus dem Erwerbsleben 29.336 16.987 46.323
Sonstige Erwerbsgruppen 269.004 294.336 563.340
Alle Gruppen 2.18.416 1.596.664 3.615.080

Um die unterschiedlichen Erwerbsmuster auf dem Arbeitsmarkt anschaulicher darstellen zu können, wurden die beschäftigten Personen in Gruppen eingeteilt und für jede neben der Personenzahl auch die Beschäftigungsintensität errechnet. Die Beschäftigungsintensität (einer Personengruppe) ist die (durchschnittliche) Beschäftigungsdauer als Prozentsatz der maximal möglichen Dauer eines Jahres. Die Beschäftigungsintensität aller Personen betrug 84,3% im Jahr 2000; das entspricht etwas mehr als 44 Wochen2). Dieser Gesamtwert setzte sich allerdings aus sehr unterschiedlichen Intensitäten der einzelnen Personengruppen zusammen (siehe Tabelle 2: »Personen und Beschäftigungsintensitäten 2000«).


Personen und Beschäftigungsintensitäten 2000 2
Merkmale Alle Personen ganzjährig beschäftigt überwiegend erwerbstätig Eintritt in das Erwerbs-
leben
Austritt aus dem Erwerbs-
leben
sonstige Erwerbs-
gruppen
Alle Personen 3.615.080 2.508.200 397.927 99.290 46.323 563.340
Durchschnittlich pro Monat aktiv 3.111.935 2.507.015 310.933 28.320 22.065 243.603
Durchschnittsbestand 3.048.959 2.506.916 284.728 23.540 21.067 212.708
Beschäftigungs-
intensitäten in %
84,34 99,95 71,55 23,71 45,48 37,76

2.508.200 Personen waren im Jahr 2000 ganzjährig mit einer Beschäftigungsintensität von nahezu 100% beschäftigt; 217.000 davon bei mehr als einem Dienstgeber. Diese sind gleichzeitig die Personen, denen ein Arbeitsplatzwechsel ohne dazwischenliegende Episoden von Arbeitslosigkeit oder Nichterwerbstätigkeit gelungen ist. Bezogen auf alle Personen betrug der Anteil der durchgehend Beschäftigten 69,4%, bezogen auf den Jahresdurchschnitt der Beschäftigung jedoch 82,3%. Dieser Anteilsunterschied erklärt sich durch die zum Teil deutlich kürzeren Beschäftigungsdauern der nicht jahresdurchgängig Beschäftigten. Dies macht deutlich, dass das Bild der Struktur des Arbeitsmarktes von der gewählten Perspektive nicht unmaßgeblich beeinflusst wird. Dabei handelt es sich um die Gruppen, welche (zumindest im Beobachtungsjahr) am stärksten in den Arbeitsmarkt integriert sind. Der Anteil ganzjähriger Beschäftigung weist durchaus deutliche Branchenunterschiede auf: so hat diese Personengruppe im Unterrichtswesen, im Gesundheitswesen und im öffentlichen Dienst sehr hohe Anteilswerte, während sie z. B. im Fremdenverkehr eher die Ausnahme darstellt.
Für einige Personengruppen ist die nichtjahresdurchgängige Beschäftigung gewissermaßen systembedingt. Auf dem Arbeitsmarkt kommt es laufend zu natürlichen Erneuerungsprozessen: Ein Teil der Arbeitnehmer erreicht die Pensionsanwartschaft und scheidet aus dem Erwerbsleben (mehr oder weniger dauerhaft) aus; Pensionen beginnen zwar gehäuft zum Jahreswechsel, aber es kommt auch zu unterjährigen Übertritten, also während des Jahres. Die 46.000 Austritte aus dem Arbeitsmarkt im Verlauf des Jahres 2000 waren naturgemäß mit nichtjahresdurchgängiger Beschäftigung und einer Beschäftigungsintensität von 45,5% verbunden - dies entspricht etwa 24 Wochen.

Ähnlich verhält es sich mit den Übertritten von jungen Menschen aus dem Ausbildungssystem in den Arbeitsmarkt: Die versetzte Lage des Schuljahres in Bezug auf das Kalenderjahr führt dazu, dass unterjährige Eintritte für diese Personengruppe sogar am wahrscheinlichsten sind. Knapp 100.000 Personen hatten im Jahr 2000 zum ersten Mal in ihrer Erwerbsbiographie ein Standardbeschäftigungsverhältnis.

ERKLÄRUNG

Was ist atypische Beschäftigung?

Der Begriff atypische Beschäftigung orientiert sich oft an Beschäftigungsformen wie geringfügiger Beschäftigung und freien Dienstverträgen oder an der Arbeitszeit und der Frage von Befristungen. Von Ausnahmen abgesehen, schließt die Vorstellung von normaler Arbeitsmarktpartizipation als weitere Dimension aber auch ganzjährige Beschäftigung oder zumindest jahresdurchgängige Erwerbstätigkeit ein. Obwohl ständige Wechsel zur Nichterwerbstätigkeit bei näherer Betrachtung der Fluktuationen durchaus verbreitet sind, werden solche Erwerbsmuster trotzdem nicht als typisch anzusehen sein. Beschäftigungssituationen, die aufgrund der Einkommensmöglichkeiten prekär sein können, sind somit nicht auf atypische Beschäftigungsformen im herkömmlichen Sinn beschränkt; die Grenze verläuft mitten durch die Standardbeschäftigung.

Diese Eintritte ins Beschäftigungssystem müssen nicht von Dauer sein, im Fall von Ferialpraktikanten oder Erwerbstätigkeiten, welche sich auf die Semesterferien beschränken, sind eher kurze Erwerbsepisoden sogar intendiert. Etwa 40% dieser Gruppe aus dem Jahr 1999 fand sich ein Jahr später in jahresdurchgängiger Beschäftigung. Für diese ist der Übertritt (zumindest fürs Erste) gelungen. Bei den restlichen 60% finden sich sowohl die Ferialpraktikanten als auch jene Personen, für die sich der Übertritt schwierig gestaltet. Die Beschäftigungsintensität der Eintretenden betrug durchschnittlich 23,8% oder gut 12 Wochen. Ebenfalls relativ gut in den Arbeitsmarkt integriert sind Personen, die jahresdurchgängig oder zumindest den überwiegenden Teil des Jahres erwerbstätig sind, auch wenn die Beschäftigungsverläufe durch Episoden registrierter Arbeitslosigkeit durchbrochen sind. Unter diesen 398.000 überwiegend erwerbstätigen Personen des Jahres 2000 finden sich diejenigen, für die Arbeitsplatzwechsel nicht nahtlos erfolgt sind, aber auch Personen, deren Beschäftigung immer wieder - oft in der einen oder anderen Form saisonal - mit Arbeitslosigkeitsepisoden verbunden sind. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, finden sich in dieser Gruppe jedoch nur Personen, deren Beschäftigungsdauer in der Vergangenheit zumindest ausreichend war, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erwerben. Die durchschnittliche Beschäftigungsintensität dieser Personen lag bei 71,5%, das entspricht 37 Wochen. Markante Anteile dieser Personengruppe finden sich vor allem im Bauwesen (28,6%) sowie im Fremdenverkehr (25,3%).

Im Jahr 2000 gab es darüber hinaus 563.000 Personen, deren Erwerbsmuster in keine der oben genannten Gruppen hineinpasst. Diese Gruppe der »sonstigen Erwerbsmuster« wies die größten Fluktuationen und eine durchschnittliche Beschäftigungsintensität von nur 37% bzw. 19 Wochen auf. 110.000 Personen mit sonstigen Erwerbsmustern hatten zwar Episoden registrierter Arbeitslosigkeit, aber gleichzeitig ausgedehnte Zeiten von Nichterwerbstätigkeit, sodass von überwiegender Erwerbstätigkeit nicht die Rede sein konnte. 450.000 Personen waren somit zwischen den Beschäftigungszeiten nicht als arbeitslos registriert und überwiegend nichterwerbstätig3). Die verglichen mit der Gruppe der überwiegend Erwerbstätigen geringe Beschäftigungsintensität in dieser Gruppe führt letztlich auch dazu, dass mehr als 300.000 Personen mit sonstigen Erwerbsmustern für einen Leistungsanspruch der Arbeitslosenversicherung nicht die nötigen Anwartschaftszeiten zusammenbekommen haben. Nach Branchen betrachtet, beschäftigen besonders der Fremdenverkehr (31,6%), die unternehmensbezogenen Dienstleistungen (23%) und die sonstigen Dienstleistungen (21,8%) besonders ausgeprägt Personen mit sonstigen Erwerbsmustern.

Mit 15,6% aller Beschäftigten ist diese Gruppe alles andere als zu vernachlässigen; bei einer Bestandsauswertung verkleinert sich der Anteil wegen der geringen Beschäftigungsintensitäten auf etwa 6,9%. Die Personen mit sonstigen Erwerbsmustern stellen eine äußerst heterogene Gruppe dar, und nicht für alle ist die geringe Beschäftigungsintensität ein Problem. So ist zum Beispiel für etwa 60.000 Ferialpraktikanten die Rückkehr ins Ausbildungssystem nach wenigen Wochen durchaus von Anfang an beabsichtigt. Darüber hinaus bringt es die Beobachtung von Kalenderjahren mit sich, dass unterjährige Übergänge in Karenz oder wieder zurück ins Arbeitsleben unter Umständen Beschäftigungsepisoden erzeugen, welche auf der einen oder anderen Seite in das Kalenderjahr hineinragen und damit keine durchgängige Beschäftigung darstellen. Das Gleiche gilt für Wechsel zwischen selbständigen und unselbständigen Erwerbsformen. Da diese Personen dann keine registrierte Arbeitslosigkeit haben, sind sie auch nicht überwiegend erwerbstätig. Die Zahl der Karenzgeldempfängerinnen in dieser Gruppe beträgt zwischen 80.000 und 100.000; die der (auch) Selbständigen zwischen 20.000 und 40.000. Wobei nicht jeder, der im Laufe eines Jahres Episoden selbständiger Erwerbstätigkeit hat, ein Selbständiger in »engeren Sinn« ist. Es gibt eine zunehmende Zahl von Personen, für die wiederkehrende Wechsel und auch Parallelformen dieser beiden Arbeitsmarktpositionen beobachtet werden können. Hier dürfte es sich überwiegend um Arbeitnehmer handeln, wo weder die eine noch die andere Beschäftigungsform für sich genommen ein ausreichendes Einkommen generiert.

Insgesamt ist die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe für 160.000 bis 200.000 Personen durch die erwähnten besonderen Umstände zu erklären. 300.000 bis 350.000 Personen jedoch stellen eine potentielle Arbeitsmarktreserve dar. Vielen von diesen könnten durch geeignete arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sicherlich beständigere Erwerbsverläufe ermöglicht werden; eine Veränderung auf dem Arbeitsmarkt, welche mit dem Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter vermutlich unausweichlich werden wird (siehe Tabelle 3: »Standardbeschäftigte 2000 in Österreich nach Erwerbsgruppen: Veränderung gegenüber dem Vorjahr absolut«).


Standardbeschäftige 2000 in Österreich nach Erwerbsgruppen
Veränderung gegenüber dem Vorjahr absolut
3
Gruppen Männer Frauen Gesamt
Durchgehend beschäftigt -413 23.174 22.761
Überwiegend erwerbstätig -8.964 -5.005 -13.969
Eintritt in das Erwerbsleben 824 1.320 2.144
Austritt aus dem Erwerbsleben 4.913 215 5.128
Sonstige Erwerbsgruppen 14.493 16.668 31.161
Alle Gruppen 10.853 36.372 47.225

Aufgrund vieler Meldungen über die Arbeitsmarktentwicklung der letzten Jahre könnte man vermuten, dass sich die instabileren Beschäftigungsformen vermehrt zu Lasten der jahresdurchgängigen Beschäftigung ausbreiten; aber das Bild ist differenzierter. Das Jahr 2000 war von einer sehr günstigen Arbeitsmarktentwicklung geprägt, sowohl hinsichtlich der Zunahme der Beschäftigung als auch des Rückgangs der Arbeitslosigkeit. Dadurch hat auch die ganzjährige Beschäftigung um 22.800 Personen zugenommen, während die Zahl der überwiegend Erwerbstätigen, wo sich ein beträchtlicher Teil der von Arbeitslosigkeit Betroffenen findet, um knapp 14.000 Personen abgenommen hat. Aber sowohl in absoluten Zahlen als auch prozentuell hat die Gruppe mit den sonstigen Erwerbsmustern am stärksten zugenommen: um 47.200 Personen bzw. um 9,2%.

Auch langfristig zeigt sich die Verschiebung zu den instabilen Arbeitsverhältnissen deutlich. In absoluten Zahlen hat zwar die Gruppe der durchgängig Beschäftigten seit 1988 am stärksten zugenommen, relativ aber die Gruppe der »Sonstigen« zweieinhalbmal so schnell (siehe Tabelle 4: »Standardbeschäftigte in Österreich nach Erwerbsgruppen«). Entgegen an-fänglicher Vermutungen ist bisher die
ganzjährige Beschäftigung noch nicht durch instabilerer Erwerbsformen in absoluten Zahlen zurückgedrängt worden, es kommt aber durch das stärkere Wachstum der "sonstigen Erwerbsmuster« langfristig zu einer Anteilszunahme der instabilen Erwerbsformen.


Standardbeschäftigte in Österreich nach Erwerbsgruppen
Veränderung 2000 gegenüber 1988 absolut und prozentuell
4
Gruppen absolut in %
Durchgehend beschäftigt 234.698 10,66
Überwiegend erwerbstätig 44.788 12,68
Eintritt in das Erwerbsleben 4.441 4,69
Austritt aus dem Erwerbsleben 5.382 13,15
Sonstige Karrieregruppen 113.490 25,67
Alle Gruppen 402.799 12,86

1) Dieser Beitrag beruht auf einer Untersuchung von Personen, die im Laufe des Jahres in vollversicherungspflichtiger Standardbeschäftigung - sowohl in Teil- als auch in Vollzeit standen. Andere Beschäftigungsformen sind nur insoweit berücksichtigt als die betreffenden Personen zumindest vorübergehend auch standardbeschäftigt waren.
2) Urlaube, Krankenstände etc. beschäftigter Personen gelten selbstverständlich auch in dieser Statistik als Beschäftigungszeiten.
3) 48.000 Personen hatten im Beobachtungsjahr auch eine selbständige Erwerbstätigkeit, des Weiteren gab es in dieser Gruppe auch Karenzzeiten und bei den Ferialpraktikanten Zeiten im Ausbildungssystem.

RESÜMEE

Diese Untersuchungen haben gezeigt, dass Instabilität und teilweise sehr kurze Beschäftigungsdauern nicht, wie oft geäußert wurde, ausschließlich ein Problem der »atypischen« Beschäftigungsformen ist. Daher muss das Ziel arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen für viele Menschen auch eine Verstetigung der Beschäftigungsmöglichkeiten sein. Die große Zahl der Erwerbsinteressierten birgt noch eine beträchtliche Beschäftigungsreserve sowohl in Hinblick auf Beschäftigungsintensität als auch auf die - hier nicht untersuchte - Arbeitszeit. Statt dauernd das Gespenst einer zukünftigen generellen Knappheit von Arbeitskräften zu beschwören, wäre eine schrittweise Mobilisierung dieser Reserven sicherlich der sinnvollere Zugang.

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Kai Biehl (Mitarbeiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Feb 2003 00:00:00 +0100 1190322147290 Stichwort Arbeitslosenversicherung = Ausbildungsversicherung Rudolf Kaske ist Vorsitzender der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst (HGPD) und Vertreter der Arbeitnehmer im Verwaltungsrat des AMS

A&W: Du bist als Arbeitnehmervertreter im höchsten Gremium des AMS, des Arbeitsmarkservice, das ja ein Mitbestimmungssystem hat. Du sitzt dort neben zwei anderen Arbeitnehmervertretern im Verwaltungsrat.
R. Kaske: Ja, ich sitze mit Josef Wallner von der Bundesarbeitskammer und neben Bernhard Achitz, dem Leiter der Abeilung Sozialpolitik im ÖGB. Als Leitungsgremium ist da noch das Verwaltungsratspräsidium, das die Sitzungen des Verwaltungsrates vorbereitet. Dort sitzt je ein Vertreter jeder Kurie, das heißt, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Regierung. Vorsitzender ist Prof. Günther Steinbach, Sektionschef i. R., Vertreter der Arbeitgeber ist Wolfgang Tritremmel von der Industriellenvereinigung. Auf Vorschlag der Arbeitgeberkurie bin ich jetzt seit Dezember im Verwaltungsratspräsidium.

»Der Sozialstaat sollte in der Verfassung festgeschrieben sein und damit verbunden auch eine Zweckbindung der Mittel dazu.«

A&W: Nach dem Empfinden der Österreicher ist die Arbeitslosigkeit derzeit das größte politische Problem. Der Arbeitsmarkt und das AMS stehen immer mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Wie siehst du die Aufgaben des AMS? Wo kann das AMS ansetzen? Was kann es in der jetzigen Situation auf dem Arbeitsmarkt machen, wo wir die höchste Arbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg haben? Was kann das AMS verbessern?
R. Kaske: Grundsätzlich sehe ich das AMS als Drehscheibe in der Arbeitsmarktpolitik. Das heißt, Drehscheibe zwischen jenen, die arbeitslos sind und Arbeit suchen und zwischen den Unternehmen, die potentielle Arbeitgeber für diese Arbeitslosen sind. Klar mit im Boot ist dabei die Regierungsseite, die hier versucht, politische Vorgaben für die Arbeitsmarktpolitik zu formulieren. In diesem Spannungsfeld muss es dem AMS gelingen, als »modernes Dienstleistungsunternehmen« allen diesen Wünschen gerecht zu werden. So sehe ich die Aufgabe des AMS. Wichtig ist die finanzielle Ausstattung des AMS. Da stellen wir fest - aber das geht aus den Beiträgen von Gernot Mitter und Josef Wallner in diesem Heft detailliert hervor -, dass die Mittel des AMS in den letzten zwei Jahren nicht mehr geworden sind. Demgegenüber steht eine stärkere Arbeitslosigkeit. Auf der anderen Seite sind in den letzten Jahren dem AMS Mittel entzogen worden, das heißt, sie sind in das allgemeine Budget geflossen. Wäre dieses Geld zur Verfügung gestanden, hätten wir jetzt, wo es eine erhöhte Arbeitslosigkeit gibt, zusätzliche Mittel einsetzen können.

A&W: Die Arbeitsmarktlage hat sich auch insofern verschlechtert, dass viele Stellen schlechter bezahlt sind, oder es gibt schlechtere Arbeitsbedingungen oder überhaupt nur Teilzeitjobs. Immer mehr Leute wechseln jährlich ihren Job, und das AMS wird immer wichtiger als »Drehscheibe«. Was kann man da verbessern?
R. Kaske: Es sind mehr als 750.000 Menschen, die pro Jahr den Job wechseln. Das sind rund 1,1 Millionen Beschäftigungsverhältnisse. Deswegen ist das AMS so wichtig als Drehscheibe für den Arbeitsmarkt. Wichtig ist, dass man das AMS als modernes Dienstleistungsunternehmen auch mit den notwendigen Ressourcen ausstattet. Dazu gehört einerseits das Budget und die Mittel zur Förderung arbeitsloser Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber natürlich auch die Mittel für den Service für Unternehmer. Auch in der Personalausstattung gibt es derzeit einen Engpass. Das heißt, die Arbeitslosenzahlen steigen, die Anforderungen an das AMS werden mehr und größer, aber die Personaldecke ist die gleiche geblieben. Wenn man hier ansetzt, noch mehr die Vermittlung zu forcieren bzw. verstärkt Schulungen anzubieten, dann braucht man hier entsprechend mehr Berater. Das heißt, man braucht auch in diesem Bereich eine bessere Personalausstattung für den Kundenservicebereich, man sollte investieren sowohl im Service für Arbeitslose wie auch für Unternehmer. Ich glaube, dass das eine ganz wichtige Sache ist.

A&W: Was heißt das konkret? Wie viele Leute braucht das AMS zusätzlich?
R. Kaske: In den nächsten 3 Jahren zwischen 50 und 180 Personen. Derzeit hat das AMS 4174 Mitarbeiter, und damit es die Anforderungen erfüllen kann, geht die Personalvertretung von 180 Beschäftigten mehr aus und der Vorstand von 50 in den nächsten 3 bis 4 Jahren.

A&W: Wie steht es mit den Problembereichen, z. B. bei den Jugendlichen und den Lehrstellen, bei den Älteren, bei den Frauen und auch bei den Migranten?
R. Kaske: Frauen werden sehr oft abgedrängt in den Bereich Teilzeit- und geringfügige Beschäftigung, in eher Niedriglohnbereiche. Der Ansatz muss sein, dass die Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt erhöht werden und gleichwertig gegenüber den Männern sind.

A&W: Ist das nicht auch ein Ausbildungsproblem?
R. Kaske: Ja, es geht um Schulung und Ausbildung, aber auch um Karrierechancen. In vielen Unternehmen gibt es die »gläserne Decke«. Wo z. B. gibt es die Frau Küchenchefin? Nirgends. Die Chancen für Frauen und auch Migranten sind zu erhöhen. Nicht im Segment Billiglohnbereich, sondern im qualifizierten Bereich. Nicht im Bereich der Teilzeit- oder Geringfügigbeschäftigten, sondern bei den Vollzeitarbeitsplätzen. Wir haben eine relativ hohe Jugendarbeitslosigkeit. Jeder politische Beobachter und jeder politisch Interessierte muss das mit großer Sorge beobachten. Hier ist die Kritik der Arbeitnehmerseite berechtigt, die da lautet: Jawohl, es wurden Maßnahmen gesetzt, vor allem in den letzten Monaten - die Intensivmaßnahmen für die arbeitslosen Jugendlichen haben im November und Dezember 2002 begonnen -, aber diese Maßnahmen wären früher zu setzen gewesen. Wir haben die Politik schon frühzeitig - vor dem Sommer - darauf hingewiesen.

Da sind, aus meiner Sicht, die Programme zu spät angelaufen.

Zweite Geschichte: Ein Schlagwort, das von den Politikern gerne in den Mund genommen wird. »Wir müssen etwas tun gegen Altersarbeitslosigkeit!«. Fünf Minuten später sagen dieselben Politiker, wenn sie Dienstgeber sind: »Wir müssen uns aber von soundso viel tausend Beamtinnen und Beamten trennen.« Ich sehe hier einen ziemlichen Widerspruch. Man kann nicht auf der einen Seite verlangen, dass die Menschen länger in Beschäftigung bleiben und auf der anderen Seite mit schlechtem Beispiel vorangehen, also Menschen, die länger bleiben könnten, vorzeitig aus dem Arbeitsprozess entlassen. Da sehe ich auch einen Widerspruch bei der Politik der vorigen Regierung.

»Es sind mehr als 750.000 Menschen, die pro Jahr den Job wechseln. Das sind rund 1,1 Millionen Beschäftigungsverhältnisse. Deswegen ist das AMS so wichtig als Drehscheibe für den Arbeitsmarkt.«

A&W: Jetzt will man ja besondere Geschenke an die Unternehmer machen, die für ältere Arbeitnehmer über 50 oder 55 Jahren weniger Steuern oder Abgaben zahlen sollen.
R. Kaske: Das halte ich für vollkommen verfehlt. Erstens herrscht hier wieder das Gießkannenprinzip. Was die wenigsten Leute bedacht haben bei der Geschichte bzw. kommt es auch in den Medien so herüber: »Entlastung älterer Arbeitnehmer« und automatisch glauben die Menschen, sie werden entlastet. Fakt ist aber, dass nur die Unternehmer entlastet werden. Das heißt, sie zahlen weniger Steuern und Sozialversicherungsabgaben. Wo die nächste große Gefahr lauert: Was ist, wenn diese Unternehmer entlastet werden? Was ist mit der Sozialversicherung? Die Belastung für diesen Bereich, sprich die Schulden in der Sozialversicherung, werden dadurch steigen.

A&W: Das heißt, die Unternehmer zahlen weniger Sozialversicherungsbeiträge. Wer zahlt das nachher?
R. Kaske: Das ist die ungelöste Frage. Dazu haben die Regierungsverantwortlichen bis heute keine Antwort gegeben. Woher sollen dann die fehlenden Beiträge kommen?

A&W: Dann sollen sie ihnen andere Steuersachen schenken und nicht solche, die dann bei der Versorgung der Arbeitnehmer fehlen.
R. Kaske: So ist es. Denselben Kritikpunkt haben wir bei der Frage der Altersteilzeit. Wir haben jetzt die Regelung der Altersteilzeit, die dem AMS relativ viel Geld kostet. Wir sind bei Vorbelastungen bis 2008 von knapp einer Milliarde EUR für rund 21.000 bis 22.000 Personen. Natürlich verstehe ich vom einzelnen Menschen her, dass der sagt: Wenn ich die Möglichkeit habe, in Altersteilzeit zu gehen, dann gehe ich. Menschlich verständlich, aber die Vorbelastung des Budgets des AMS ist für die nächsten Jahre erheblich.

Ein weiterer Kritikpunkt, den ich sehe: Es wird damit kein einziger neuer Job geschaffen. Es gibt in dieser Altersteilzeitregelung keine Klausel, dass, wenn ein Arbeitnehmer in Altersteilzeit geht, dafür ein anderer Arbeitnehmer eingestellt werden muss. Das fehlt.

A&W: Also Forderung: Klausel bei der Altersteilzeit mit der Verpflichtung zur Neueinstellung?
R. Kaske: So ist es. Außerdem muss es ja irgendwer zahlen.

A&W: Das heißt, es geht auf unsere Kosten, denn unsere Arbeitnehmergelder werden verteilt?
R. Kaske: Ja, und was auch noch gravierend ist: Es werden in Wahrheit keine neuen Jobs geschaffen.

A&W: Wie ist das bei den Jugendlichen. In einem halben Jahr gibt es ja schon wieder einen neuen Jahrgang auf Lehrplatz- oder Arbeitssuche. Hat man sich da schon vorbereitet?
R. Kaske: Na ja, ob sich die Politik vorbereitet hat - das glaub ich eher nicht. Bis jetzt hat man eher geschaut, dass die Jugendlichen relativ kurzfristig in Maßnahmen kommen. Für uns als Arbeitnehmervertreter steht im Vordergrund, dass das qualitative mittel- und langfristige Maßnahmen sind, d. h., dass die Jugendlichen die Chance haben, entweder in einen Lehrberuf überzutreten oder, wenn diese Chance nicht gegeben ist, bis zum Ende der Lehrzeit ausgebildet zu werden. Währenddessen wird getrachtet, Jugendliche in relativ kurzfristige Maßnahmen unterzubringen, die halt mehrere Monate dauern, aber es stellt sich die Frage, was ist dann danach?

A&W: Es gibt doch Lehrberufe, z. B. »Friseur«, wo rund 90 Prozent nach der Lehre nicht weiterbeschäftigt werden?
R. Kaske: Richtig. Deswegen muss man schauen, in welchen Bereichen Jugendliche künftig ausgebildet werden. Das ist ein wichtiger Qualitätsansatz. Es nützt ja nix, wenn der Jugendliche zwar kurzfristig eine Ausbildung hat, aber keine Zukunftsperspektive.

»Die Obergrenze dieser Sozialversicherungs- und Steuergeschenke ist erreicht, und das muss man den Unternehmern auch bewusst machen.«

A&W: Motto: Weg von der Straße?
R. Kaske: Das allein ist zu wenig. Es geht um die Zukunft, es geht um den beruflichen Werdegang, es geht um zukunftsträchtige Berufe. Man muss fragen: Wo macht es einen Sinn, Jugendliche auszubilden?

A&W: Da sagen mir Leute: Was wollt ihr, Arbeits- und Lehrplätze können nur die Unternehmer schaffen. Die bekommen alle diese Steuergeschenke, und es geht trotzdem nichts weiter ...
R. Kaske: Also, ich glaub, dass da eine Geschenkobergrenze bereits mehr als erreicht ist. Weil Unternehmer, die Jugendliche ausbilden, bereits sehr begünstigt sind. Wenn ich denke an die Sozialversicherung, wenn ich denke an die De-facto-Einführung eines Lastenausgleiches: Es heißt zwar nicht so, aber sie bekommen eine Beihilfe von 1000 EUR für jeden Lehrling. Das geht wieder nach dem Gießkannenprinzip. Ich glaub nicht, dass man da den Unternehmern noch mehr geben kann und auch nicht geben sollte. Sie müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein, dass sie ausbilden wollen und müssen, wenn sie in Zukunft qualifizierte Leute haben wollen. Die Obergrenze dieser Sozialversicherungs- und Steuergeschenke ist erreicht, und das muss man den Unternehmern auch bewusst machen.

A&W: Muss ein Arbeitsloser jeden Job annehmen? Wie ist das mit der Zumutbarkeit?
R. Kaske: Ich bin nicht für eine Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen, sondern für eine gezielte Förderung der Arbeitnehmer in der Aus- und Weiterbildung, damit sie eine bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Also nicht Zwangsmaßnahmen, sondern eine Verbesserung der Qualität der Aus- und Weiterbildung, damit die Menschen auch in andere Berufssparten wechseln oder »hineinwachsen« können.

A&W: Wie kann man da lenken?
R. Kaske: Das AMS konzentriert sich hauptsächlich auf die Vermittlung, auf dem Service für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, aber darüber hinaus setzt es auch Impulse für neue Beschäftigung; z. B. hat man vor zwei Jahren noch von der New Economy geredet, inzwischen haben sich viele Arbeitsplätze in diesem Bereich als Flop erwiesen, aber eines wissen wir ganz sicher - dass wir alle immer älter werden und dass im Bereich Pflege- und Gesundheitsberufe ein Beschäftigungspotential drinnen ist, das man nutzen sollte. Ich sehe die Arbeitslosenversicherung auch als »Ausbildungsversicherung«, das heißt, dass Menschen auch ausgebildet werden in zukunftsträchtigen Berufen - da wären ein Ansatz auch Gesundheits- und Pflegeberufe - wie gesagt, ein Ansatz …

Früher hat man gesagt, das AMS verwaltet, Arbeitsmarktverwaltung, es geht aber darum, Service in den Vordergrund zu stellen, die Dienstleistung in den Vordergrund zu stellen und natürlich auch den politischen Ansatz: finanzielle Mittel für neue Beschäftigung.

A&W: Was sagst du eigentlich zu der so oft grundsätzlich geäußerten Verdächtigung, dass Arbeitslose »arbeitsscheu« sind?
R. Kaske: Das ist sowohl eine beliebte Frage von Journalisten wie auch eine beliebte Stammtischgeschichte, nach dem Motto: Jeder kennt einen Arbeitslosen, der nicht arbeiten will. Dem kann man sehr wohl entgegenhalten, dass jemand, wenn er eine Beschäftigung zugewiesen bekommt und die nicht annimmt, sehr wohl strengen Sanktionen ausgesetzt ist. Da gibt es pro Jahr mehr als 10.000 Fälle, denen aus diesem Grund das Arbeitslosengeld, und noch einmal weit mehr als 20.000, denen das Arbeitslosengeld entzogen wird, weil sie Kontrolltermine nicht eingehalten haben. Insgesamt sind mehr als 60.000 arbeitslose Arbeitnehmer von Sanktionen betroffen. Grundsätzlich möchte ich jedoch bemerken, dass Arbeitslose schon an einer raschen Wiederbeschäftigung interessiert sind.

Entscheidend für die Zukunft wird die finanzielle Ausstattung des AMS sein und die Frage der Aus- und Weiterbildung. Stichwort Arbeitslosenversicherung ist auch eine Ausbildungsversicherung, das heißt, dass man Leuten, die in nicht sehr zukunftsträchtigen Bereichen beschäftigt sind, rechtzeitig die Chance gibt zum Übertritt in andere Beschäftigungsbereiche. Da braucht man natürlich auch die finanzielle Ausstattung.

A&W: Apropos Finanzen, in den erwähnten Beiträgen in diesem Heft steht, das 1,3 Milliarden EUR für das AMS verwendet wurden, aber 2,8 Milliarden, also mehr als das Doppelte, sind in das Budget geflossen.
R. Kaske: Ich bin da für eine Zweckbindung. Der Sozialstaat sollte in der Verfassung festgeschrieben sein und damit verbunden auch eine Zweckbindung der Mittel dazu.

A&W: Lieber Kollege Kaske, wir danken für das Gespräch

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Sat, 15 Feb 2003 00:00:00 +0100 1190322146823 Brennpunkt Arbeitsmarkt Beschäftigung und Arbeitslosigkeit gehören traditionell zu den wichtigsten Themen der österreichischen Politik. Nicht zu Unrecht, denn schließlich musste im November 2002 mit rund 280.000 Menschen auf Arbeitsuche die höchste Novemberarbeitslosigkeit seit dem Zweiten Weltkrieg registriert werden. Gleichzeitig ist es aber auch Tatsache, dass Österreichs Arbeitslosenrate von 4,2% die drittniedrigste in der Europäischen Union ist. Individuelle und öffentliche Wahrnehmung und statistische Beschreibung des Arbeitsmarktes stimmen offensichtlich nicht überein.

Daher soll anhand einiger wichtiger Entwicklungen, Trends und arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen der letzten Jahre zwei Fragen nachgegangen werden: Wie kommt es zu dem problematischen Bild des österreichischen Arbeitsmarktes bei den Menschen, die auf diesem Markt ihre Arbeitskraft anbieten müssen, wenn die Arbeitsmarktsituation - glaubt man den Statistiken der EU - doch so gut ist? Wo liegen Hauptansatzpunkte für eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik im Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?

Dynamik und Flexibilität

Hoher Stellenumsatz auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Ein Grund für das Auseinanderklaffen zwischen statistischem Befund über den österreichischen Arbeitsmarkt und der Wahrnehmung vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer liegt in dem, was Arbeitsmarktforscher »Dynamik des Arbeitsmarktes« nennen. Ein paar Zahlen zur Verdeutlichung, was mit dieser »Dynamik« gemeint ist:

Von den rund 3,2 Millionen Arbeitsplätzen, die in Österreich im Jahr 2000 zur Verfügung standen, waren nur rund 1,9 Millionen das ganze Jahr über von einer Person besetzt. In diesem Jahr wurden 1,5 Millionen Neuaufnahmen einer Beschäftigung registriert. Mit anderen Worten: Im Jahr 2000 wurde knapp jedes zweite registrierte Beschäftigungsverhältnis neu aufgenommen, wurde also knapp die Hälfte der Arbeitsplätze in Österreich zumindest einmal neu besetzt. Ein starkes Drittel der von diesem hohen »Stellenumschlag« auf dem Arbeitsmarkt betroffenen Menschen braucht dabei die Hilfe des Arbeitsmarktservice (AMS) - wird also arbeitslos im engen Wortsinn. So mussten im Jahr 2001 rund 807.000 »Zugänge« in Arbeitslosigkeit registriert werden - statistisch wird rund jede vierte unselbständig erwerbstätige Person pro Jahr einmal mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Werden die so genannten »geschützten Bereiche« - wie der öffentliche Dienst, Sozialversicherungen etc. - nicht mitbetrachtet, konzentriert sich das Risiko, arbeitslos zu werden, auf 2,6 Millionen Beschäftigte - beinahe jede dritte Arbeitskraft wird einmal pro Jahr arbeitslos. Rund 70% der Arbeitslosen, die sich beim AMS im Jahr 2000 registrieren ließen, hatten davor ein Beschäftigungsverhältnis mit einer Dauer von unter einem Jahr. Gleichzeitig fällt im EU-Vergleich eine mit derzeit 107 Tagen recht kurze Dauer der Arbeitslosigkeit auf. Die Höhe des Arbeitslosengeldes ist seit dem Jahr 2000 mit 55% des monatlichen Nettobezuges im Vorjahr festgelegt.

Diese wenigen Zahlen machen verständlich, warum die Arbeitsmarktentwicklung von den Menschen in Österreich als wichtiges politisches Thema gesehen wird, warum so viel Angst vor Arbeitslosigkeit in Österreich herrscht, auch wenn internationale Statistiken ein anderes Bild zeichnen: Schließlich muss jede dritte Arbeitnehmerin, muss jeder dritte Arbeitnehmer damit rechnen, mehr als drei Monate im Jahr mit nur knapp mehr als der Hälfte seines Einkommens auskommen zu müssen. Und es braucht auch nicht zu verwundern, dass der Expertenbericht zur »Treffsicherheit des Sozialstaates« aus dem Jahr 2000 als Hauptgrund für Verarmung in Österreich Arbeitslosigkeit anführt, insbesondere in Alleinverdienerhaushalten mit häufiger oder längerer Arbeitslosigkeit.

Betroffenheit von
Arbeitslosigkeit 1997-2002
Jahr Gesamt Männer Frauen
1997 704.959 411.087 293.822
1998 715.600 411.936 303.672
1999 716.624 411.792 304.832
2000 688.873 396.967 291.906
2001 807.600 # #
2002 (1. bis 3. Quartal) 550.845 # #

Die Notwendigkeit laufender beruflicher Aus- und Weiterbildung als Folge der Dynamik des Arbeitsmarktes

»Dynamik des Arbeitsmarktes« hat aber auch noch eine andere Facette - die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sich rasch auf neue Anforderungen an ihr Wissen und Können anpassen. So hat beispielsweise eine Untersuchung der österreichischen Autozulieferindustrie und der Baubranche ergeben, dass nach zehn Jahren nur noch rund 50% der ursprünglich in diesen Branchen beschäftigten und für sie ausgebildeten Facharbeitskräfte in diesen Wirtschaftsbereichen arbeiten.

»Schließlich muss jeder dritte Arbeitnehmer damit rechnen, mehr als drei Monate im Jahr mit nur knapp mehr als der Hälfte seines Einkommens auskommen zu müssen.«

Rascher und häufiger Stellenwechsel erfordert von den Menschen also ebenso rasche und häufige Anpassungen ihrer beruflichen Fertigkeiten und Kenntnisse. Dieses Verlangen eines dynamischen Arbeitsmarktes nach laufender beruflicher Qualifikation erfordert von den Menschen viel Konsequenz, Energie und auch Einsatz finanzieller Mittel. Dabei müssen sie von einer aktiven Arbeitsmarktpolitik unterstützt werden - als Arbeitsuchende, aber auch als Beschäftigte.
Dennoch hat dieser Zusammenhang nur unzureichend Niederschlag in der österreichischen Arbeitsmarkt- und Qualifikationspolitik gefunden:

Nach einer markanten Steigerung ab 1995 wurden die Budgetmittel für Arbeitsmarktförderung ab 1999 auf dem Betrag von rund 606 Millionen Euro (rund 8,25 Milliarden ATS) eingefroren. Es wurden zwar in den letzten Jahren - nicht zuletzt aufgrund der Zielvorgaben der EU in der Arbeitsmarktpolitik - immer mehr Arbeitsuchende in Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik einbezogen. Das wurde im Kern durch massiven Einsatz so genannter »Aktivierungsmaßnahmen« erreicht - also Maßnahmen, die Arbeitsuchende bei ihren Bewerbungen unterstützen sollen, die aber keine oder nur wenig berufliche Qualifikation vermitteln. Bei der Förderung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen orientiert sich das AMS zudem an rascher Vermittlung - Qualifikation gleichsam als »Schmiermittel« für eine rasche Vermittlung auf eine dem AMS angebotene offene Stelle. Dabei bleibt zunehmend der Aspekt auf der Strecke, durch Qualifikation die »Wettbewerbsfähigkeit« einer arbeitsuchenden Person auf dem Arbeitsmarkt unabhängig von einer konkreten Arbeitsvermittlung dauerhaft zu stärken. Die Folge: Arbeitslosigkeit führt allzu häufig zu einer beruflichen Abwärtsspirale. Aufgrund fehlender beruflicher Weiterbildung bei Arbeitslosigkeit müssen Arbeitsuchende zum Teil deutliche Abstriche bei Einkommen, Arbeitsbedingungen und Qualifikationsniveau hinnehmen. Diese Entwicklung ist sowohl sozial- als auch wirtschaftspolitisch mehr als bedenklich.
Rund 80% der beim AMS vorgemerkten Arbeitsuchenden bleiben derzeit dennoch ohne Chance auf Aus- oder Weiterbildung. Ebenso problematisch ist die Situation bei der laufenden beruflichen Weiterbildung während Beschäftigung: Das ist so gut wie ausschließlich Privatangelegenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. ihrer Betriebe. Zwar besteht seit 1995 die Möglichkeit der Förderung betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen durch das AMS. Es gibt aber so gut wie keine öffentliche Unterstützung für Beschäftigte, die sich aus eigenem Antrieb beruflich umorientieren wollen oder müssen. Die Kritik der Europäischen Union an der österreichischen Beschäftigungspolitik, wonach eine umfassende und abgestimmte Strategie des lebenslangen Lernens in Österreich fehlt, darf also nicht wundern. Umso weniger, als die ohnehin unzureichenden Mittel des Unterrichtsministeriums für Erwachsenenbildung in den letzten Jahren noch weiter gekürzt wurden.

Im Herbst 2002 wurden zwar von der Bundesregierung für die letzten 3 Monate des Jahres 2002 und für 2003 weitere 112 Millionen Euro für Aus- und Weiterbildung jugendlicher Arbeitsuchender freigegeben. Das ändert am grundlegenden Finanzmangel für die öffentliche Unterstützung Arbeitsuchender und der Arbeitnehmer bei ihren Weiterbildungsanstrengungen nichts. So würde ein Recht von Arbeitsuchenden auf Weiterbildung ab dem dritten Monat ihrer Arbeitslosigkeit einen Betrag von rund 100 Millionen Euro erfordern. Weiters wären weitere rund 100 Millionen Euro notwendig, um Arbeitsuchenden wieder mehr fachspezifische Weiterbildungen zu ermöglichen. Gleichzeitig gilt es, eine Form öffentlicher Unterstützung für Beschäftigte zu entwickeln, die vor der Notwendigkeit einer beruflichen Umorientierung stehen und diese finanziell nicht allein bewerkstelligen können.

Zurzeit beschränken sich die dafür eingesetzten öffentlichen Mittel de facto auf die rund 606 Millionen Euro des Arbeitsmarktförderungsbudgets im AMS. Seit 2001 werden diese Mittel in Österreich - einzigartig in der EU - ausschließlich aus der Arbeitslosenversicherung, also aus den Beiträgen der Beschäftigten und ihrer Betriebe, bereitgestellt. Wie wenig Aufmerksamkeit die Arbeitsmarktpolitik der Notwendigkeit laufender beruflicher Aus- und Weiterbildung für Beschäftigte und Arbeitsuchende zollt, zeigt ein Blick auf die Verwendung der Mittel der Arbeitslosenversicherung in den Jahren 2001 und 2002: Mit rund 2,8 Milliarden Euro wurde weit mehr als doppelt so viel Geld der Arbeitslosenversicherung für die Budgetkonsolidierung abgezweigt, als mit den rund 1,3 Milliarden Euro in Arbeitsmarktförderung investiert wurde. Hier tut Änderung not: Eine deutliche Erhöhung der Mittel für die öffentliche Unterstützung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei ihrer laufenden beruflichen Aus- und Weiterbildung ist dringend notwendig. Wie in allen anderen Mitgliedstaaten der EU sollte arbeitsmarktbezogene Qualifikationspolitik zudem als gesamtgesellschaftliche Angelegenheit begriffen und damit auch aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert werden.

»Es braucht auch nicht zu verwundern, dass der Expertenbericht zur ›Treffsicherheit des Sozialstaates‹ als Hauptgrund für Verarmung in Österreich Arbeitslosigkeit anführt, insbesondere in Alleinverdienerhaushalten mit häufiger oder längerer Arbeitslosigkeit.«

Nur ein flexibler Arbeitsmarkt kann dynamisch sein

In der arbeitsmarktpolitischen Diskussion wird immer wieder die angeblich mangelnde Flexibilität des österreichischen Arbeitsmarktes angesprochen. Wie sieht die Realität aus?

Üblicherweise beschäftigt sich diese Diskussion mit den aus dem Arbeitsrecht kommenden Regulierungen des Arbeitsmarktes: Wie wirken Kündigungsschutz, Arbeitszeitregeln, kollektivvertragliche Mindestlohnsysteme und andere soziale Schutzfunktionen des Arbeitsrechtes auf dem Arbeitsmarkt? Auf diese Aspekte von Arbeitsmarktflexibilität näher einzugehen, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Nur so viel sei gesagt: Ein dynamischer Arbeitsmarkt - und ein solcher ist der österreichische zweifellos - ist ohne entsprechende Flexibilität der arbeitsrechtlichen Regulierung gar nicht möglich.

Die hohe Arbeitsmarktflexibilität in Österreich lässt sich anhand folgender Daten darstellen: Im Zeitraum zwischen 1998 und 2002 ist es zu einem Zuwachs des Arbeitsvolumens in Österreich von rund 3,2 Millionen Arbeitsstunden gekommen. 58,3% dieses zusätzlichen Arbeitsvolumens kam Personen zugute, die 365 Tage im Jahr voll versicherungspflichtig beschäftigt sind. 41,8% der zusätzlichen 3,2 Millionen Arbeitsstunden aber wurden von Personen bewältigt, die nur einen Teil des Jahres voll versicherungspflichtig beschäftigt und einen Teil des Jahres arbeitslos waren, die also sozusagen in einem »Jahresteilzeitmodell« gearbeitet haben. Das betraf etwa 1999 1,4 Millionen Personen, überwiegend Frauen.

Die wachsende Arbeitsmarktflexibilität kann auch durch die Zunahmen so genannter »atypischer Beschäftigungsformen« beschrieben werden. So ist die Zahl der »neuen Selbständigen« von rund 7800 im Jahr 1998 auf knapp 27.000 im Jahr 2001 gestiegen, die Zahl der freien Dienstverträge im gleichen Zeitraum von knapp 15.000 auf knapp 24.000, die der Leiharbeitnehmer von knapp 21.000 auf gut 33.000. Ebenfalls deutlich gestiegen ist die geringfügige Beschäftigung in Österreich: Im November 1998 gab es knapp 184.000 geringfügige Beschäftigungsverhältnisse, im November 2002 schon knapp 216.000. Waren 1998 nur 3% der Beschäftigten in einer Form der Telearbeit beschäftigt, waren es 2001 bereits 7,7%. Diese dürren Zahlen spiegeln folgenden Trend klar wider: Die Arbeitnehmer sind in Österreich mit einem Arbeitsmarkt konfrontiert, der von ihnen zunehmend die Fähigkeit verlangt, in unterschiedlichen Beschäftigungsformen ihre Existenzgrundlage zu erwirtschaften, sei es nun auf Basis eines Arbeitsvertrages oder in einer der neuen, atypischen Beschäftigungsarten. Und der österreichische Arbeitsmarkt wird zunehmend weniger ganzjährige Beschäftigung zur Verfügung stellen. Immer mehr Menschen werden sich auf »Jahresteilzeitarbeit« einstellen müssen, was nichts anderes heißt, als einen Teil des Jahres arbeitslos zu sein, einen Teil des Jahreseinkommens aus den Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu erhalten. Der österreichische Arbeitsmarkt mit seiner Dynamik und Flexibilität verlangt den Menschen viel und immer mehr ab: Sie müssen sich darauf einlassen, laufend an ihrer beruflichen Qualifikation zu arbeiten. Und sie können sich immer weniger auf ein stabiles, in jahresdurchgängiger Beschäftigung verdientes Jahreseinkommen verlassen. Die Leistungen der Arbeitslosenversicherung werden für immer mehr Menschen zu einem mehr oder weniger festen Bestandteil ihres Jahreseinkommens und damit ihrer gesamten Lebensplanung.

Ungleiche Verteilung der Risken eines dynamischen und flexiblen Arbeitsmarktes

Die Sache wäre geradezu einfach, wären die sozialen Risken eines dynamischen und flexiblen Arbeitsmarktes über alle Arbeitnehmergruppen gleich verteilt. Ein Blick in die Arbeitsmarktstatistiken zeigt aber rasch, dass dem nicht so ist. Das Risiko, arbeitslos zu werden, das Risiko, in einer sozial und rechtlich schlecht abgesicherten Beschäftigungsform arbeiten zu müssen, die Notwendigkeit zu laufender Investition in das eigene berufliche Wissen und Können ist über die Altersgruppen, zwischen den Geschlechtern, zwischen inländischen und ausländi-
schen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, zwischen den Beschäftigten in den einzelnen Wirtschaftssektoren sehr ungleich verteilt.

In der aktuellen Wirtschaftskrise wird diese ungleiche Verteilung der Arbeitsmarktrisken besonders deutlich sichtbar: So sind seit dem Jahr 2000 etwa die Jugendlichen bis 25 Jahre zu einer arbeitsmarktpolitischen Problemgruppe geworden - bei ihnen ist die Arbeitslosigkeit um mehr als 24% seit Herbst 2000 angestiegen. Die Ursachen dafür liegen in den massiven, durch das »Auffangnetz für Jugendliche« nur quantitativ beantworteten Strukturproblemen der dualen Berufsausbildung (seit 2000 auch das unzureichend). Es liegt auch an der ungenügenden Zahl von Ausbildungsplätzen im berufsbildenden mittleren und höheren Schulwesen. Das Ergebnis: Für immer mehr Jugendliche steht Arbeitslosigkeit am Beginn ihres »Berufslebens«. Die Benachteiligung der Frauen gehört beinahe zu den charakteristischen Kennzeichen des österreichischen Arbeitsmarktes. Frauen haben zwar in den letzten Jahren überproportional vom Beschäftigungsanstieg profitiert, die Frauenarbeitslosigkeit steigt derzeit weniger stark als die der Männer. Sie sind jedoch in besonderem Maße von den negativen Begleiterscheinungen der zunehmenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes betroffen. Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, atypische Beschäftigung am unteren Ende der Einkommensmöglichkeiten sind weiblich in Österreich. Frauenbeschäftigung findet sich zudem konzentriert in den Wirtschaftszweigen und Berufen, die durch belastende Arbeitsbedingungen und geringes Einkommen gekennzeichnet sind.

Besonders schwierig ist die Arbeitsmarktentwicklung für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie sind aufgrund ihres Gesundheitszustandes, aufgrund mangelnder beruflicher Weiterbildung allzu häufig nicht mehr in der Lage, den Anforderungen eines dynamischen und flexiblen Arbeitsmarktes zu entsprechen. So nimmt es nicht wunder, dass ältere Menschen sehr häufig langzeitarbeitslos werden, dass rund 50% aller Übertritte in die vorzeitige Alterspension nicht aus Beschäftigung, sondern aus Arbeitslosigkeit erfolgen.

Und schließlich gehören die ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu den Verlierern auf dem österreichischen Arbeitsmarkt. Eine Ursache dafür liegt sicher im System des Ausländerbeschäftigungsgesetzes zur Zulassung auf den österreichischen Arbeitsmarkt. Mindestens ebenso wichtig für die Arbeitsmarktsituation der in Österreich lebenden ausländischen Menschen ist die Frage der Steuerung des Zustromes neuer ausländischer Arbeitskräfte. Hier hat die Politik in den letzten Jahren für eine deutliche Verschärfung der Situation gesorgt. Das Angebot ausländischer Arbeitskräfte auf dem heimischen Arbeitsmarkt ist seit 2000 um 40.000 Personen gestiegen. 2001 wurden mit rund 54.000 erteilten Saisonierbewilligungen um 37% mehr ausländische Saisonarbeitskräfte als noch im Vorjahr in Österreich beschäftigt. Das mit Beginn 2003 vollständig in Kraft tretende Fremdenrechtspaket 2002 wird die Saisonarbeit weiter ausdehnen: Saisonbeschäftigung ist ab dann nicht nur in der Landwirtschaft und im Tourismus, sondern in allen Branchen möglich. Diese Maßnahmen werden vor dem Hintergrund überproportional steigender Arbeitslosigkeit in der ausländischen Wohnbevölkerung und der Tatsache ergriffen, das nach wie vor eine Gruppe von rund 50.000 in Österreich lebenden ausländischen Menschen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt hat. Über alle gerade erwähnten arbeitsmarktpolitischen Zielgruppen zieht sich die immer schwieriger werdende Arbeitsmarktlage niedrig qualifizierter Beschäftigter, also Menschen mit lediglich Pflichtschulabschluss: Sie tragen mit rund 50% Anteil die Hauptlast der Arbeitslosigkeit, ihre Wiedereinstiegschancen sind deutlich geringer als die besser qualifizierter Arbeitsuchender.

RESÜMEE

Soziale Falle und risikoreiches Abenteuer?

Ein flexibler und dynamischer Arbeitsmarkt ist aus gewerkschaftlicher Sicht nicht von vornherein negativ: So ist z. B. das Risiko, arbeitslos zu werden, in Österreich breiter verteilt als in anderen Ländern. Weiter bedeutet ein hoher Stellenumschlag auf einem Arbeitsmarkt auch die Chance zur raschen Beendigung von Arbeitslosigkeit, zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit.

Hohe Arbeitsmarktdynamik und -flexibilität wird aber dann zur sozialen Falle für Arbeitnehmer, wenn ihre Begleiterscheinungen »vorübergehende Einkommensverluste wegen Arbeitslosigkeit« und »hohe persönliche und finanzielle Anforderungen an laufende berufliche Aus- und Weiterbildung« durch eine unzureichende Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit und durch mangelnde Unterstützung beim Erwerb neuer beruflicher Fertigkeiten und Kenntnisse den Arbeitsuchenden aufgebürdet werden. Fehlen angemessene arbeits- und sozialrechtliche Absicherung sowie Möglichkeiten kollektiver Entgeltfestlegung bei den neuen Beschäftigungsformen, wird arbeiten in solchen Typen von Beschäftigung zu einem für die Betroffenen sehr risikoreichen Abenteuer. Unterbleiben arbeitsmarktpolitisch motivierte Maßnahmen zur Erhöhung der sozialen Sicherheit von Menschen in einem immer dynamischer und flexibler werdenden Arbeitsmarkt, droht einer der Wettbewerbsvorteile der österreichischen Volkswirtschaft - ihr anpassungsfähiger Arbeitsmarkt - zu einem von den Menschen sozial und materiell kaum noch bewältigbaren Abenteuer zu werden. Dann bedeutet Arbeitslosigkeit allzu häufig rasche Verarmungsgefahr, dann bedeutet Arbeitslosigkeit das Abgleiten in noch unsicherere und unattraktive Arbeitsverhältnisse. Die österreichische Arbeitsmarktpolitik hat solche positive Ansätze in Richtung eines Ausgleiches zwischen notwendiger Flexbilität und angemessener sozialer Sicherheit für die Beschäftigten in den letzten Jahren allerdings vermissen lassen.

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Gernot Mitter (Mitarbeiter der Abt. Arbeitsmarkt in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Feb 2003 00:00:00 +0100 1190322136049 Arbeitsmarktreform Österreich 2003 Es scheint, als wären wir an einem Nullpunkt angelangt: Die Arbeitslosenzahlen steigen weiter, die Beschäftigtenzahlen sinken, und auch für die, die Arbeit haben, steht nicht alles zum Besten: Immer mehr Arbeitsplätze werden nur in Form von Teilzeitjobs oder befristet angeboten oder stehen außerhalb der Schutzmechanismen des Sozialstaates und des Arbeitsvertragsrechtes. Sie sind nur als Werkvertrag oder als freies Dienstverhältnis zu haben. Kein Wunder, dass die Lohnquote sinkt und dass Existenzangst auch bei Menschen, die einen Arbeitsplatz haben, um sich greift. Es liegt auf der Hand, dass neben anderen Politikbereichen auch die Arbeitsmarktpolitik in dieser Situation gefordert ist, Lösungen anzubieten. Doch zu allem »Überfluss« sind die Kassen des Arbeitsmarktservices (AMS) gerade jetzt leer. Die Budgets für aktive Arbeitsmarktpolitik sind seit 1999 eingefroren, die Überschüsse in der Arbeitslosenversicherung wurden zum Erreichen des »Nulldefizits« abgeschöpft und 2002 muss vom AMS als Konsequenz dieser Politik ein Abgang von 875 Millionen Euro verzeichnet werden. Einfach weitermachen wie bisher ist auf dieser Basis ausgeschlossen, wenn die Krise auf dem Arbeitsmarkt nicht zum absoluten »Notfall Arbeitsmarkt« eskalieren soll.

1. Wir brauchen ein neues Bild vom Arbeitsmarkt

Unser Begriff von »den Arbeitnehmern und den Arbeitslosen« ist antiquiert. Die einen sind die, die arbeiten, die anderen sind - je nach Weltsicht - entweder die »Ärmsten der Armen« oder »Sozialschmarotzer«. Es ist auch immer »nur« die Rede von 250.000 bis 300.000 Arbeitslosen, das ist die Bestandszahl, die angibt, wie viele Menschen zum jeweiligen Statistikstichtag gerade gleichzeitig Arbeit suchend vorgemerkt sind. Tatsächlich aber waren 2001 mehr als 800.000 Menschen einmal im Jahr arbeitslos. Wie Gernot Mitter in seinem Befund zum österreichischen Arbeitsmarkt darstellt (vergleiche den Beitrag auf Seite 18), muss praktisch jeder dritte Arbeitnehmer (AN) eine gewisse Zeit im Jahr seinen Lebensunterhalt vom Arbeitslosengeld bestreiten.

Arbeitslosigkeit ist offenbar nichts, was heute noch mit Begriffen des Sozialkitsches (»Ärmste der Armen«) oder des selbstgefälligen Moralisierens (»Sozialschmarotzer«) adäquat zu beschreiben wäre. Es sind nicht Außenseiter, die Arbeitslosigkeit betrifft, sondern es ist unser gemeinsamer Arbeitsmarkt, der zunehmend nur noch so funktioniert, dass er für einen wachsenden Teil der Arbeitnehmer praktisch nur noch »Jahresteilzeit« anbietet, mit dem Arbeitslosengeld als quasinormaler Teileinkommensquelle. Nicht weil diese AN das so wollen, sondern weil das so ist in der neuen Zeit der »Just-in-time-Produktion«, des Kostensenkens und -auslagerns bei Unternehmen, der Deregulierung und Flexibilisierung und wie diese Kürzel alle lauten. Und hinzu kommen wie gewohnt konjunkturelle und strukturelle Probleme. Nur mit dem Unterschied, dass Umstrukturierungen nicht mehr phasenweise wie früher, sondern praktisch als permanenter Prozess stattfinden. Noch ehe eine Strukturverschiebung beendet ist, wird sie von der nächsten überlagert, und für viele bedeutet das zumindest das zeitweise Aus für ihren Arbeitsplatz. Immer noch in der Vorstellung von »den Arbeitnehmern« einerseits und den »Arbeitslosen« andererseits zu verharren, als wären dies zwei eigentlich ganz unterschiedliche Gruppen, für die es letztlich unterschiedliche Politiken zu formulieren gilt, führt daher zu falschen Lösungsansätzen. Es gibt nur jene AN, die gerade in Arbeit stehen und jene, die gerade eine Arbeit suchen ohne eine zu haben. Es gibt aber auch jene, die zwar Beschäftigung haben, jedoch außerhalb des Arbeitsvertragsrechtes und bei nur ungenügender sozialversicherungsrechtlicher Absicherung.

Diese Gruppe wächst, sie und ihre ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen sind daher ebenso relevant wie die nackten Arbeitslosenzahlen, wenn der Arbeitsmarkt von heute ausreichend beschrieben und beurteilt werden soll. Es gibt allerdings noch einen Punkt, den wir bei der Beurteilung des Arbeitsmarktes beachten müssen: Wollen wir die neben der Aufklärung wichtigste europäische Errungenschaft sichern, den Sozialstaat, so müssen wir für einen wirklich funktionierenden Arbeitsmarkt sorgen. Es geht darum, dass wir auch künftig die Pensionen in ausreichender Höhe zahlen können und dass auch künftig Spitzenmedizin und Topversorgung bei Krankheit nicht zum Luxus für Wohlhabende oder Reiche verkommt. Der Schlüssel dafür liegt auf dem Arbeitsmarkt, und zwar nicht darin, dass möglichst viele irgendeine Arbeit haben oder sonstwie aus der Arbeitslosenstatisik verschwinden. Garantiert wird die finanzielle Grundlage für die soziale Sicherheit nur durch produktive, gut bezahlte und sozialversicherte Arbeit; durch einen tatsächlich umfassend funktionierenden Arbeitsmarkt, der die Interessen aller drei Arbeitsmarktpartner berücksichtigt: Jene der AN, jene der Arbeitgeber (AG) und das Finanzierungsinteresse der öffentlichen Hand, die im Auftrag der Solidargemeinschaft handelt.

BEGRIFFE

Werkvertrag: Im Unterschied zum Arbeitsvertrag wird nur das Erbringen eines bestimmten Werkes und nicht das regelmäßige Erbringen einer Arbeitsleistung gefordert. Bezahlt wird daher auch nur das vereinbarte Honorar, egal, wie viel Zeit und sonstige Ressourcen für die Fertigstellung des Werkes aufgewendet werden mussten. Sozialversicherung liegt keine vor. Typische Leistungen aus dem Arbeitsverhältnis, wie z. B. bezahlter Urlaub oder Lohnfortzahlung bei Krankheit, sind naturgemäß auch nicht vorgesehen.

Freies Dienstverhältnis, freier Dienstvertrag: Im Unterschied zum Arbeitsvertrag ist die persönliche Abhängigkeit kaum ausgeprägt, es wird jedoch nicht das Ab-liefern eines bestimmten Werkes wie beim Werkvertrag, sondern eine dauerhafte Arbeitsleistung gefordert. Mit dem Arbeitsvertrag verbundene typische Schutzbestimmungen und Rechte (z. B. Vollversicherungsschutz oder Entstehen eines Abfertigungsanspruchs) sind beim freien Dienstvertrag nicht oder nur teilweise gegeben.

Lohnquote: Anteil der Lohneinkommen am Gesamteinkommen aus selbständiger und unselbständiger Arbeit.

Nulldefizit: bedeutet, dass in einem bestimmten Jahr keine Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte erfolgt (Einnahmen und Ausgaben halten sich im betreffenden Jahr die Waage).

Just-in-time-Produktion: Es wird nicht auf Vorrat, sondern nur für einen bestimmten Auftrag mit vorgegebenem Termin produziert. Die dafür benötigten AN werden großteils nur genau für diesen Auftrag eingestellt und danach wieder gekündigt.

Ersatzrate beim Arbeitslosengeld: Prozentsatz, den das Arbeitslosengeld im Vergleich zum vorherigen Nettolohn, nach dem es bemessen wurde, ausmacht.

Aktive Arbeitsmarktpolitik: Darunter werden Arbeitsvermittlung, Beratungsleistungen des AMS und vor allem die Arbeitsmarktförderung (z. B. Finanzierung von Kursen) verstanden.

2. "Verantwortlichkeitsprinzip« als Handlungsvorgabe für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und öffentliche Hand

Wir alle haben schon von der schnellen Lösung dieser Probleme gehört: Angeblich bedarf es nur der »Modernisierung«, der »Flexibilisierung«, einer Lohn(neben)kostensenkung und manchmal auch des »Mutes zur Konfliktgesellschaft« statt der ewigen »Konsenssuche« aus den Zeiten der gut funktionierenden Sozialpartnerschaft. Nur, wer definiert, was das heißt, und wer bestimmt, wie die Lasten und wie der Nutzen bei dieser Vorgangsweise verteilt werden? Tragfähige Lösungen können jedenfalls nur erarbeitet werden, wenn alle beteiligten Gruppen dabei mitwirken und wenn Lasten und Nutzen gleichmäßig verteilt werden. Das gilt auch für die notwendige Arbeitsmarktreform: Sowohl AN als auch AG und die öffentliche Hand haben ihren Teil der Verantwortung zu tragen und dürfen nicht einseitig einer Gruppe, z. B. den AN, »Modernisierung« oder »Flexibilisierung« vorschreiben und dabei selbst im Trockenen bleiben. Dieses neue Verantwortlichkeitsprinzip aller drei Arbeitsmarktpartner muss nachweisbarer Handlungsleitfaden für eine Arbeitsmarktreform sein. Nachweisbar heißt, dass Nutzen- und Kostentragung transparent zu machen sind und deren gleichmäßige Verteilung belegbar sein muss.

BEGRIFFE

Umstrukturierungen, Strukturverschiebungen, Strukturprobleme: Wesentliche Änderungen im Wirtschaftsgefüge mit dem Effekt, dass bestimmte Ausbildungen weniger oder gar nicht mehr gebraucht werden und andere Ausbildungsinhalte an Bedeutung gewinnen oder neu entstehen. Dies führt oft zu Kündigungen von AN mit »veralteten« Qualifikationen und einem unter Umständen parallel dazu auftretenden »Fachkräftemangel«, bezogen auf neue Ausbildungsinhalte, weil es (noch) nicht genügend AN mit den neu nachgefragten Qualifikationen gibt. Abhilfe kann nur durch rechtzeitige Qualifikationsmaßnahmen geschaffen werden.

Frühwarnsystem: Die EU-Richtlinie betreffend »Massenkündigungen« und das österreichische Arbeitsmarktförderungsgesetz schreiben die Einrichtung eines »Frühwarnsystems« vor.

Demnach muss es dem AMS gemeldet werden, wenn ein Unternehmen (in Österreich ab einer Betriebsgröße von 20 AN) eine bestimmte Anzahl von Kündigungen (in Österreich je nach Betriebsgröße mindestens 5 bis mindestens 30 Kündigungen) innerhalb eines definierten Zeitraums (in Österreich innerhalb von 30 Tagen) plant.

Unterlässt der AG diese Meldung, so sind die Kündigungen nach österreichischem Recht rechtsunwirksam. In manchen EU-Ländern gibt es noch weitergehende Sanktionen für diesen Fall (Strafe für den AG oder Zahlung einer zusätzlichen Kündigungsentschädigung).

Ersatzrate beim Arbeitslosengeld: Prozentsatz, den das Arbeitslosengeld im Vergleich zum vorherigen Nettolohn, nach dem es bemessen wurde, ausmacht.

Ausgleichszulagenrichtsatz: »Armutsgrenze« in der Pensionsversicherung. Liegt eine ASVG-Pension versicherungsmathematisch unter dem Grenzwert des »Ausgleichszulagenrichtsatzes«, wird eine Ausgleichszulage bis zum Erreichen dieses Wertes bezahlt, weil dieser als »Armutsschwellwert« angenommen wird.

Der Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende beträgt 2003: 643,54 Euro monatlich.

3. Vorbeugung, Qualifikation, Integration und existenzielle Sicherheit als Leitbild der Arbeitsmarktpolitik

»Vermittlung geht vor Qualifikation« ist - verkürzt dargestellt - die aktuelle Handlungsrichtschnur der Arbeitsmarktpolitik. Auch die Qualifikation stellt vorwiegend auf Billigmaßnahmen ab. Sie ist auf das absolut Notwendige zur raschen Wiedervermittlung reduziert und beabsichtigt nicht die nachhaltige Erweiterung des Qualifikationsprofils der Arbeit Suchenden.

Diese Orientierung hatte ihre guten Gründe, denn die Erlangung eines Arbeitsplatzes ist ja im Prinzip das, worauf es ankommt. Hinter diesem Prinzip steht aber letztlich auch die Vorstellung, das AMS könnte durch rasche Vermittlungsaktionen nahezu im Alleingang die Arbeitsmarktstatistik sanieren. Wohlgemerkt - nicht den Arbeitsmarkt, nur die Statistik. Denn der Arbeitsmarkt, der wie die Analyse Mitters klar macht, wie ein sich rasch drehendes Karussell funktioniert, ist durch Arbeitsvermittlung nicht zu sanieren. Zunächst führt die aufgezeigte hohe Dynamik des österreichischen Arbeitsmarktes ja dazu, dass bei einem Großteil der Arbeit Suchenden die Selbstvermittlung - sehr effizient unterstützt durch die Dienste und Infrastruktur des AMS - bestens funktioniert. Dann aber ist schon der permanente Strukturwandel der entscheidende Knackpunkt (neben anderen - z. B. konjunkturellen - Ereignissen, die nicht über das AMS beeinflusst werden können). Hier muss es aber primär darum gehen, den Arbeit Suchenden das nötige fachliche Rüstzeug mitzugeben, damit sie möglichst gut auf die Arbeitsmarkterfordernisse eingestellt sind. Und das ist ohne genaue Einzelfallanamnese und in vielen Fällen ohne hochwertige Qualifikationsmaßnahmen eben nicht zu leisten.

Eine Ausrichtung auf nachhaltige Maßnahmen macht aber auch eine vorausschauende Handlungsweise zunehmend wichtig, da der Zeitfaktor an Bedeutung gewinnt, wenn es weniger darum geht, einfach nur das Arbeitsmarktkarussell am Laufen zu halten, sondern eine dauerhaftere und qualitativ anspruchsvollere Integration in den Arbeitsmarkt zu fördern. Eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik ist letztlich auch wirtschaftlicher und daher für die öffentlichen Kassen günstiger als eine, die nur auf den schnellen Statistikeffekt abzielt. Und schließlich ist eine auf Nachhaltigkeit gerichtete Arbeitsmarktpolitik ein entscheidender Beitrag zur Weiterentwicklung des Qualifikationsniveaus der österreichischen AN und somit ein wesentlicher Faktor für die Standortqualität im internationalen Wettbewerb. Wird daher unter den Bedingungen eines sehr dynamischen Arbeitsmarktgeschehens, das zunehmend überlagert ist von ständigen strukturellen Veränderungen der bisherige Ansatz »Vermittlung geht vor Qualifikation« unverändert beibehalten, so leiden darunter die Qualität der Einzelfallanalyse, die Qualität der Beratungsdienstleistung und die Qualität der Schulungen, die angeboten werden. Das Ergebnis sind Fehlvermittlungen zur Unzufriedenheit von AG und AN, Ressourceneinsatz für Ziele, die zu sehr dem Schein dienen und das Versäumnis, den Arbeit Suchenden das für den Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt erforderliche Rüstzeug mitzuliefern. Was wir brauchen, ist daher eine Kurskorrektur in der Arbeitsmarktpolitik, die dem tatsächlichen Arbeitsmarktgeschehen gerecht wird und die Interessen von AN, AG und die der öffentlichen Kassen am besten unter einen Hut bringt. Eine Kurskorrektur dieser Art muss Prävention, Qualifikation, nachhaltige Integration und Existenzsicherung zum Inhalt haben.

»Praktisch muss jeder dritte Arbeitnehmer eine gewisse Zeit im Jahr seinen Lebensunterhalt vom Arbeitslosengeld bestreiten.«

BEGRIFFE

Notstandshilfe: Leistung der Arbeitslosenversicherung, wenn die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ausgeschöpft ist und weiterhin Arbeitslosigkeit vorliegt. Die Notstandshilfe beträgt grundsätzlich 92% des Arbeitslosengeldes.

Es erfolgt jedoch eine Einkommensanrechnung: Demnach wird die Notstandshilfe gekürzt - abhängig von der Höhe des Einkommens von Ehepartner, Lebensgefährten oder des eigenen Einkommens, z. B. aus Vermietung; die Notstandshilfe kann durch die Einkommensanrechnung auch zur Gänze wegfallen.

Aktive Arbeitsmarktpolitik: Darunter werden Arbeitsvermittlung, Beratungsleistungen des AMS und vor allem die Arbeitsmarktförderung (z. B. Finanzierung von Kursen) verstanden.

Passive Arbeitsmarktpolitik: Unterstützungszahlungen aus der Arbeitslosenversicherung, wie vor allem Arbeitslosengeld und Notstandshilfe.

Pensionsersatzzeiten: Zeiten des Arbeitslosengeld- und des Notstandshilfebezugs gelten als »Ersatzzeiten« in der Pension, d. h., sie wirken anspruchsbegründend in der Pensionsversicherung und haben eine positive Auswirkung auf die Pensionshöhe.

Nachdem dadurch der Pensionsversicherung Kosten entstehen - ohne Beitragszahlung als Gegenleistung -, muss die Arbeitslosenversicherung eine jährliche Ausgleichszahlung an die Pensionsversicherung leisten.

Zumutbarkeit: Arbeitswilligkeit ist eine der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld und Notstandshilfe. Die Arbeitswilligkeit ist durch Bereitschaft zur Annahme einer »zumutbaren« Beschäftigung nachzuweisen.

Als »zumutbar« gilt eine Beschäftigung, die »angemessen« (d. h., in Höhe des kollektivvertraglichen Mindesttarifs) entlohnt ist, die Gesundheit und Sittlichkeit des Arbeitslosen nicht gefährdet, seinen körperlichen Fähigkeiten entspricht und seine künftige Verwendung im erlernten Beruf nicht wesentlich erschwert.

4. Neuausrichtung der österreichischen Arbeitsmarktpolitik

Schaffung einer vorbeugenden Arbeitsmarktpolitik: In der Regel setzt die arbeitsmarktpolitische Intervention heute viel zu spät an. Erst wenn Arbeitslosigkeit schon eingetreten ist, wird gehandelt. Dabei könnte durch eine systematisch vorausschauende Arbeitsmarktpolitik viel Schaden vermieden werden. Dazu gibt es erfolgreiche europäische Beispiele, auf die hier aber im Einzelnen nicht eingegangen werden kann. Voraussetzung für die Umstellung auf eine präventive Arbeitsmarktpolitik ist aber, dass alle drei Arbeitsmarktakteure ihr bisheriges Verhalten teilweise anpassen. So ist es nicht sehr zweckmäßig, wenn Firmen zwar dem AMS geplante Kündigungen nach dem Frühwarnsystem melden (weil sie das müssen), gemeinsame Beratungen, was dagegen getan werden könnte, jedoch verweigern (im Widerspruch übrigens zur Europarechtslage).

Als Erstes müsste daher das österreichische Frühwarnsystem den europarechtlichen Erfordernissen angepasst werden, und es sollten gute europäische Praktiken übernommen werden. Demnach wäre bei Massenkündigungen sowohl Kündigungsabsicht als auch tatsächlicher Kündigungsausspruch gegenüber dem AMS meldepflichtig zu machen und das verbindliche Einleiten von Gesprächen über Vorbeugemaßnahmen festzulegen.

Zu überlegen wäre auch, ob diese Verpflichtung so wie in Dänemark, Schweden, Finnland und Belgien mit Geldstrafen oder der Verpflichtung zu einer zusätzlichen Kündigungsentschädigungszahlung durch den AG unterstützt werden sollte, da das grundlose Verhindern von frühzeitigem Gegensteuern durch den AG zu zusätzlicher Arbeitslosigkeit und daher zusätzlicher Belastung der Solidargemeinschaft führt.
Ein weiterer wichtiger Faktor für eine präventive Arbeitsmarktpolitik wäre das Erstellen von Beschäftigungsbilanzen durch die Betriebe, die mit dem AMS kooperieren. Darin wären wesentliche Elemente wie Anzahl und Qualifikationsstruktur der Beschäftigten, deren Alter und Geschlecht, die Beschäftigungsdauer u. Ä. festzuhalten. Dadurch würde es dem AMS möglich, sein eigenes Dienstleistungsangebot gegenüber Betrieb und AN zielsicherer zu gestalten, und es erhielte genauere Informationen über den regionalen und fachlichen Arbeitsmarkt. Als Anreiz könnten diesen Betrieben zusätzliche Beratungs- und Personaldienstleistungen angeboten werden. Eine schrittweise in diese vorausschauende Richtung weiterentwickelte Arbeitsmarktpolitik kommt zwangsläufig sehr viel näher an die wirklichen Fragen des Arbeitsmarktes heran als unser aktuelles hinterhereilendes Politikmuster.

Schaffung des Rechts auf Qualifikation: Die ständige Verbesserung der Arbeitsmarktausbildung der AN ist von entscheidender Bedeutung für einen funktionierenden Arbeitsmarkt. Zwar kann ein konjunkturell bedingtes Arbeitsplatzdefizit nicht durch Schulungen behoben werden, aber durch Schulungen erfolgt die zeitgerechte Qualifikationsanpassung der AN, die im nächsten Aufschwung benötigt wird. Sonst kann der Aufschwung in der Folge nicht voll genützt werden, weil dafür wieder einmal die Fachkräfte fehlen. Unterstützt werden könnte eine solche Neuausrichtung durch das Verankern eines Rechtsanspruchs auf Qualifikation für Arbeit Suchende, die nach dreimonatiger Arbeitssuche weder erfolgreich vermittelt wurden noch ein Schulungsangebot vom AMS erhalten haben.

Umstieg auf nachhaltige Arbeitsmarktintegration statt raschem Vermittlungskarussell: Die bisherige Orientierung der Arbeitsmarktpolitik auf »Vermittlung geht vor Qualifikation« hat auch einen unerwünschten und für die Öffentlichkeit teuren Nebeneffekt: Sie begünstigt eine Personalpolitik, wonach AN nur gerade für den nächsten Auftrag eingestellt und bis zum nächsten Mal beim AMS auf öffentliche Kosten »zwischengeparkt« werden.

Das AMS als Arbeitskräftepool der Unternehmen: Das mag den Wunsch nach Kostenreduktion einzelner Betriebe treffen, die öffentlichen Kassen und die AN kommt diese Orientierung aber teuer. Sinnvoll ist dagegen die nachhaltige Integration auf dem Arbeitsmarkt. Dies bedeutet in unserer Zeit realistischerweise nicht nur das Erlangen eines »Lebensarbeitsplatzes«, sondern auch das Fitwerden durch Erwerb von fachlichen und anderen Qualifikationen, durch die AN für einen möglichst breiten Bereich auf dem Arbeitsmarkt qualifiziert werden und nicht nur von Arbeitsuchphase zu Arbeitsuchphase für den jeweils nächsten Kurzzeitjob die allernötigste betriebsspezifische Schulungsanpassung erhalten. Hier schließt sich der Kreis zur großen Bedeutung einer auf Qualifikation ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik. Allerdings sind nicht alle in der gleichen Situation: Es sind vor allem Junge, Ältere, Frauen und Migranten, die ein besonders hohes Risiko tragen, aus den attraktiven Arbeitsmarktbereichen herauszufallen oder gar nicht erst in diese hineinzugelangen (siehe Beitrag von G. Mitter auf Seite 18). Eine auf nachhaltige Integration ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik muss daher in den nächsten Jahren den Schwerpunkt auf diese Personengruppen richten und für diese neue Programme entwickeln.

BEGRIFFE

Solidar(itäts)prinzip und Versicherungsprinzip: Alle Sozialversicherungszweige sind in Österreich im Gegensatz zu kommerziellen Versicherungen nach einer Mischform von Solidar- und Versicherungsprinzip konstruiert. Das Versicherungsprinzip besagt, dass allen Versicherungsleistungen im Prinzip eine Beitragszahlung gegenüberstehen muss. Das Solidarprinzip lässt im Hinblick auf den angestrebten sozialen Ausgleich Ausnahmen von diesem Prinzip zu. So werden z. B. Zeiten des Präsenz- oder des Zivildienstes unter gewissen Umständen als anspruchsbegründend für das Arbeitslosengeld gewertet. Dies widerspricht dem reinen Versicherungsprinzip, da Präsenz-/Zivildiener keine Arbeitslosenversicherungsbeiträge bezahlen. Es entspricht aber dem Solidarprinzip, weil der Präsenz/
Zivildienst eine gesetzlich vorgeschriebene Staatsbürgerpflicht für Männer darstellt, die oft in zumindest kurzfristige Arbeitslosigkeit mündet; dieses Risiko wird von der Solidargemeinschaft aller Versicherten abgedeckt.

Non-Profit-Organisation (NPO): Bezeichnung für Unternehmen, deren Geschäftszweck nicht das Erzielen von wirtschaftlichem Gewinn, sondern das Erbringen einer gesellschaftlich wichtigen Dienstleistung, vor allem im Sozialbereich, darstellt. NPOs sind zumeist in der Rechtsform eines Vereins oder einer Stiftung organisiert. Im Arbeitsmarktbereich gibt es eine Vielzahl von NPOs, die in der Regel im Auftrag des AMS Beratungs- und Schulungsleistungen für Arbeitslose anbieten. Häufig verwendet, wenn auch inhaltlich nicht völlig deckungsgleich, wird der Begriff »NGO« (Non-Government-Organisation). NGOs sind in der Regel auch NPOs, d. h., sie arbeiten nicht gewinnorientiert, der Begriff der »NGO« bezeichnet vor allem Organisationen, deren Dienstleistung in einem deutlich politischen Zusammenhang steht, wobei der private zivile Charakter der Organisation im Gegensatz zum Staat betont werden soll (der NPO-Begriff betont dagegen die Abgrenzung zu kommerziellen Organisationen).

Controlling: Instrument der Unternehmenssteuerung, wobei durch das regelmäßige Beobachten bestimmter Kennzahlen das Einhalten vorgegebener Unternehmensziele beurteilt werden soll. Wird ein Abweichen von den Sollwerten festgestellt, so kann rechtzeitig gezielt gegengesteuert werden.

Existenzsicherung während der Arbeitsuche: Das österreichische System der Arbeitslosenversicherung erfüllt nur noch mangelhaft seine Aufgaben: Es bietet eine der niedrigsten Ersatzraten Europas, nur 55% des vorangegangenen Nettolohns werden abgedeckt, selbst in Deutschland sind es 66%. Zwei Drittel der Arbeitslosengeldansprüche liegen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz, bei den Frauen sind es sogar 80%. Die Notstandshilfe ist sozial extrem unausgewogen. Und zu allem Überfluss steht die Arbeitslosenversicherung mitunter im Widerspruch zu den Zielen der aktiven Arbeitsmarktpolitik: Zum Beispiel wird die Teilnahme an Schulungen aus Eigeninitiative bestraft, selbst wenn vom AMS keine Alternative angeboten werden kann. Dennoch muss die Arbeitslosenversicherung die gesamte aktive Arbeitsmarktpolitik mitfinanzieren und auch noch einen hohen Ausgleich an das Pensionssystem für die Pensionsersatzzeiten leisten. Der nüchterne Befund lautet: Jede Detailkorrektur führt zu neuen Ungleichgewichten. Notwendig ist eine Totalreform mit dem Ziel der Integration von aktiver und passiver Arbeitsmarktpolitik: Bezugshöhe und Bezugsdauer, das Verhältnis von Solidaritäts- zu Versicherungsprinzip, das Verhältnis von Leistungsbezug zu Schulungsteilnahme, die Zumutbarkeit und die Notstandshilfe müssen schlicht neu konstruiert werden. Und nicht zuletzt muss auch das Finanzierungs- und Leistungsmodell, vor allem im Zusammenspiel Arbeitslosenversicherung, Arbeitsmarktförderung und Sozialhilfe, neu gestaltet werden. Modelle und gute Praktiken als Grundlage für ein österreichisches Reformkonzept gibt es. Sie sind aufzugreifen und an unsere Verhältnisse anzupassen.

Gender Mainstreaming als übergreifendes Politikprinzip: Noch ein Punkt kann bei einer Bewertung des Arbeitsmarktes nicht übergangen werden: Frauen werden auf dem Arbeitsmarkt weiterhin systematisch benachteiligt. In gehobenen Positionen sind sie unter-, in schlecht bezahlten dagegen überrepräsentiert. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Es wird auch schon seit einiger Zeit im Rahmen des Gender Mainstreaming gegengesteuert. Damit soll systematisch die generelle Geschlechterbenachteiligung transparent gemacht und ausgeglichen werden. Dieses Prinzip ist weiter aufzuwerten und als durchgängige Vorgabe für alle Aktivitäten im Bereich der Arbeitsmarktpolitik zu verankern und zu evaluieren.

Neupositionierung des AMS auf dreifacher Basis: Eine Bewältigung dieser neu ausgerichteten Arbeitsmarktpolitik erfordert auch eine Anpassung der AMS-Positionierung, da die Ressourcen neu fokussiert werden müssen. Es bietet sich eine Einteilung nach drei Arbeitsmarktsegmenten und die strategische Kooperation mit Non-Profit-Organisationen (NPOs) und kommerziellen Partnern nach neuem Muster an.

Arbeitsmarktsegment mit dem höchsten Anforderungsprofil (Führungskräfte und Spitzenfachleute): Das AMS benötigt hier zwar eigenes Know-how, jedoch primär, um kompetent mit kommerziellen Privaten zu kooperieren. Dieses Segment sollte in erster Linie von privaten Profitdienstleistern bearbeitet werden, in Kooperation und auf Basis von Leistungsverträgen mit dem AMS. Hier handelt es sich in der Regel um Mangelberufe mit sehr guter Entlohnung und aufgrund der Nachfragesituation geringerem Schutzinteresse der AN (die auch häufig selbst AG-Funktion auszuüben haben). Dieses Segment eignet sich daher für die kommerzielle Bearbeitung am besten, denn hier gibt es bei Privaten auch bereits sehr gutes Know-how. Es wäre daher ressourcensparend, diesen Bereich auszulagern.

Arbeitsmarktsegment mit hohem und durchschnittlichem Anforderungsprofil: Dieser Bereich stellt den Kernsektor des österreichischen Arbeitsmarktes dar und sollte daher auch zum Kernbereich des operativen AMS-Geschäfts gemacht werden, auf den der Großteil der eigenen Beratungs- und Vermittlungsressourcen zu konzentrieren ist. Beratung, Vermittlung und Schulungspläne sind vom AMS selbst durchzuführen.

Arbeitsmarktsegment mit geringem fachlichem Anforderungsprofil und Arbeit Suchende mit so grundlegend entwerteten Qualifikationen, dass sie nur über dieses Segment neu einsteigen können: Hier hat die Praxis gezeigt, dass NPOs, die oft auf einzelne Teilsegmente dieses Arbeitsmarktes spezialisiert sind, die besten Erfolgsquoten vorweisen können und auch über ein entwickeltes Know-how für diese Zielgruppen verfügen. Eine weitgehende Auslagerung zu darauf spezialisierte NPOs wäre daher wirksam und wirtschaftlich.

Schaffung eines Arbeitsmarktcontrolling zur Beurteilung der Arbeitsmarktpolitik und der Sicherung des Sozialstaates: Es kommt nicht nur auf die Arbeitslosenstatistik an, wenn der Zustand des Arbeitsmarktes danach beurteilt werden soll, ob er im optimierten Interesse der AN, der AG und der öffentlichen Hand funktioniert oder nicht. Er funktioniert in diesem Sinne nur, wenn nicht nur die Zahl der Arbeit Suchenden möglichst niedrig ist, sondern wenn außerdem die Beschäftigten eine produktive, gut bezahlte, sozialversicherte Arbeit haben, zu Bedingungen, die nicht gesundheitsschädlich sind. Trifft dies weitgehend zu, so leistet der Arbeitsmarkt auch den bestmöglichen Beitrag zur Erhaltung des Sozialstaates und der Finanzierbarkeit der öffentlichen Leistungen. Es liegt daher nahe, ein öffentliches Controllingsystem einzurichten, das den Zustand des Arbeitsmarktgeschehens nach diesen Kriterien ständig beobachtbar macht. Dadurch könnten raschestmöglich die richtigen Anpassungsmaßnahmen gesetzt werden. Außerdem lässt sich dann leichter beurteilen, wer gerade eher die Lasten eines im Ungleichgewicht befindlichen Arbeitsmarktes trägt, und wer daraus eher Nutzen zieht. Ein solches System einzurichten heißt, die Lohnentwicklung gegliedert nach Teilmärkten und Gruppen, die Vollversicherungsquote der Beschäftigten unter Einschluss der neuen Selbständigen, die Quote der auf Dauer oder auf eine lange Frist gerichteten Arbeitsverträge und die Arbeitsbedingungen zu beobachten. Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen kann anhand eigener Kriterien wie etwa faktische Arbeitszeit, Quote der Arbeitsunfälle und der Krankenstände
u. Ä. vorgenommen werden. Die Ergebnisse dieses Controllingsystems sind regelmäßig zu veröffentlichen und von den zuständigen Stellen, dem BMWA, dem AMS, den AN- und den AG-Vertretungen zum Anlass zu nehmen, ihre arbeitsmarktbezogene Politik zu reflektieren, wobei das BMWA und das AMS eine Verpflichtung tragen, ihre Arbeitsprogramme in Bezug zum Controllingergebnis zu stellen.

RESÜMEE

Der Arbeitsmarkt und die österreichische Arbeitsmarktpolitik sind an einem Scheideweg angelangt. Wird weiter gewirtschaftet wie zuletzt, so laufen wir Gefahr, dass wir aus einer wirtschafts- und sozialpolitischen Spitzenposition zu den Absteigern in Europa abrutschen. Es besteht aber vor allem die Gefahr, dass die dauerhafte Sicherung unseres Sozialstaats durch einen nicht funktionierenden Arbeitsmarkt verhindert wird. Notwendig geworden ist daher eine grundlegende Arbeitsmarktreform, die nachvollziehbar und ausgewogen die Interessen der AN, der AG und die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Kassen berücksichtigt.

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Josef Wallner (Leiter der Abt. Arbeitsmarkt der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Mar 2003 00:00:00 +0100 1190322135846 Statistiken sind Argumente
Verbraucherpreisindex
Veränderungen in Prozenten gegenüber dem Vorjahresmonat
Nationale VPI Harmonisierte VPI
Dez. 02 Jan. 03 Dez. 02 Jan. 03
Belgien 1,4 1,2 1,3 1,2
Dänemark 2,5 2,6 2,6 2,6
Deutschland 1,1 1,1 1,1 1,0
Griechenland 3,4 3,1 3,5 3,3
Spanien 4,0 3,7 4,0 3,8
Frankreich 2,3 2,0 2,2 1,9
Irland 5,0 4,8 4,6 4,7
Italien 2,8 2,8 2,9 2,9
Luxemburg 2,2 2,3 2,7 3,3
Niederlande ... 2,5 3,4 2,9
Österreich 1,8 1,7 1,7 1,7
Portugal 3,6 3,7 4,1 4,0
Finnland 1,7 1,4 1,7 1,4
Schweden 2,9 2,8 1,4 2,6
UK 2,9 2,9 1,6 1,4
Island 2,0 1,4 2,3 1,1
Norwegen 2,8 1,8 1,8 4,2
Schweiz 0,9 0,8 ... ...
USA 2,4 2,6 ... ...

Datenquellen: Statistik Österreich/EUROSTAT, lfd. Monat;
Anm.: Der Harmonisierte VPI ist der zentrale Indikator für die Währungspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Er stellt auch die beste statistische Basis für internationale Vergleiche unter europäischem Gesichtspunkt dar. ... = Bei Redaktionsschluss keine Werte.

Der Arbeitsmarkt im Dezember 2002
Stand Veränderung zu
Jan. 03 Dez. 02 Jan. 02
Unselbständige Beschäftigung 3.104.945 -11.037 37.462
ohne KUG/Präsenzdiener 2.995.076 -13.397 -659
Arbeiter 1.208.950 -16.719 2.341
Angestellte u. Beamte 1.895.995 5.682 35.121
Männer 1.659.642 -22.104 -6.043
Frauen 1.445.303 11.067 43.505
Ausländer 322.946 -1.209 7.259
Inländer 2.781.999 -9.828 30.203
Vorgemerkte Arbeitslose 303.676 20.985 5.846
Männer 202.105 19.821 5.707
Frauen 101.571 1.164 139
Ausländer 51.893 3.987 1.042
Inländer 251.783 16.998 4.804
Jugendliche (bis unter 19) 5.402 -333 14
Jugendliche (19 bis unter 25) 41.705 2.206 2.302
Ältere (50 bis unter 55) 31.419 2.246 -286
Ältere (55 bis unter 60) 23.621 1.773 2.845
Ältere (über 60) 4.629 312 857
Arbeitslosenquote 8,9 0,6 0,1
Offene Stellen 20.803 174 -1.158
Lehrstellensuchende 4.074 46 338
Offene Lehrstellen 2.461 135 28
Geringfügige Beschäftigung * 215.026 -1.803 5.824
Männer 62.192 -554 2.824
Frauen 152.834 -1.249 3.000
Arbeiter 121.895 -403 1.212
Angestellte 93.131 -1.400 4.612
* nicht in der unselbständigen Beschäftigung enthalten

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Sat, 15 Mar 2003 00:00:00 +0100 1190322135834 Das Trinkgeld wird nur selten vertrunken: Trinkgeld? Wann und wie hoch? In den meisten Ländern und Kulturen gilt eines: Es gibt praktisch nur drei Branchen und Berufsfelder, wo Trinkgeld praktisch immer üblich ist - in der Gastronomie und im Hotel, im Taxi und beim Friseur. In Nordamerika ist das ein bisschen anders, da sind weit mehr Berufsgruppen auf Trinkgeld eingestellt und angewiesen - aber die eigenwilligen und sozial im Vergleich zu Europa recht schlecht dastehenden Amerikaner lassen wir hier einmal beiseite.

Wo?

Grundsätzlich gilt: Trinkgeld ist - von den drei erwähnten Branchen, wo das ziemlich weitgehend üblich wurde und von allen auch erwartet wird - grundsätzlich etwas Unschönes und Unordentliches, mit zweifelhaftem Beigeschmack. Zusätzlich zum ausgemachten Preis gibt man jemandem gönnerhaft noch Geld dazu. Das wirkt wie: »Der Herr belohnt den Knecht.« Darum muss man etwa in den skandinavischen Ländern mit Trinkgeld vorsichtig sein. Die Leute dort finden es oft als persönliche Demütigung.

Wie viel?

Trinkgeld ist eine Anerkennung für besonders gute Servicequalität. War die Servicequalität nicht gut, gibt es auch kein Trinkgeld, war sie sehr gut, dann ist in der Gastronomie und im Hotel, im Taxi und beim Friseur auch ein gutes Trinkgeld geboten.

International (lassen wir Nordamerika beiseite) gilt folgende Regel: schlechter Service: null Trinkgeld, guter bis sehr guter Service: fünf bis zehn Prozent vom Rechnungsbetrag (in der Gastronomie) und eher etwas weniger, aufgerundet, im Taxi, ein bis zwei und gegebenenfalls mehr Euro beim Friseur, bei Hotelleistungen (Gepäcktransport) 50 Cent bis einen Euro. Im Urlaubshotel sollten sich nach einer Woche gutem Zimmerservice fünf Euro für diesen Service einstellen, bei Business-Übernachtungen entfällt es heute meistens.

Aber noch einmal: Trinkgeld ist eine freiwillige Leistung und Anerkennung, gestaffelt nach Servicequalität.

In der Gastronomie kann es sinnvoll sein, die Rechnung mit Kreditkarte zu bezahlen und gleichzeitig mit ihr das Trinkgeld (bis 10 Prozent) bar zu übergeben.

Wo nicht?

Völlig unangebracht ist es - obschon sich das mit der Euro-Einführung ein bisschen einzubürgern begonnen hat -, in Geschäften Trinkgeld zu geben. Etwa großzügig im Supermarkt oder beim »Anker« von 2,61 auf drei Euro mit »stimmt schon« aufzurunden. Viele dieser beim Zahlen so großartigen Trinkgeldgeber beschweren sich dann beispielsweise, dass alles mit dem Euro teurer geworden sei.

Im Krankenhaus und praktisch an allen anderen Orten ist Trinkgeld völlig unangebracht. Wenn Sie sich für vorzüglichen Service bedanken wollen, dann bitte mit Blumen, einer Bonbonniere, einem exquisiten Tee oder Ähnlichem. Häufiger österreichischer Fehler: Dort, wo Sie beim Unternehmer (Wirt, Taxiunternehmer) selbst bezahlen, gibt’s natürlich kein Trinkgeld. Sinnvoll ist es aber, hier dem Kellner, wenn er guten Service bot, extra etwas zukommen zu lassen, dies aber sollte auch deutlich herauskommen.

Wann noch?

Guten Service anzuerkennen, auch dort, wo kein Trinkgeld üblich ist, kann aber schon sinnvoll sein. Es ist ein Dankeschön an den anderen, der einem Leistung erbringt. Sinnvoll ist das einmal im Jahr: zu Weihnachten bzw. Neujahr. Da ist es passend, dem Briefträger, wenn er Sie gut »beservict« hat, einen Fünf-
Euro-Schein in einem Kuvert zu geben, oder dem Zeitungszusteller, manche andere Berufsgruppen machen ohnedies einen gewissen Kult daraus, so kommen die Rauchfangkehrer meist von selbst an die Haustür, um mit einem Kalender ein gutes neues Jahr zu wünschen.

Wie lange noch?

Ideal wäre eine Gesellschaft, die kein Trinkgeld mehr braucht und kennt. Bislang aber ist es heute leider noch so, dass viele beispielsweise in der Gastronomie tätige Menschen auf das Trinkgeld als Lohnbestandteil (mit dem alle rechnen) angewiesen sind.

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K. Kollmann http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Mar 2003 00:00:00 +0100 1190322135828 ÖGB und ÖGJ gegen Sonntagsarbeit: Sonntags nie Eine Homepage gegen die Abschaffung des Sonntags: www.freesunday.at

Gegen weitere Verschlechterungen für die Handelsbediensteten spricht sich die ÖGB-Frauenvorsitzende Renate Csörgits aus. Zu den Forderungen von Vertretern der Wirtschaft, die bestehende Samstagsregelung und den freien Sonntag abzuschaffen, gebe es von Gewerkschaftsseite ein kategorisches Nein. Die Arbeits- und Einkommenssituation im Handel sei schon jetzt äußerst unattraktiv.

Daher müsse die seit Anfang 1997 geltende Bestimmung, jeden zweiten Samstag arbeitsfrei zu halten, ebenso wie der freie Sonntag bestehen bleiben.

Einer Forderung, der sich auch die Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) anschließt. Gemeinsam mit vier weiteren Jugendorganisationen wurde von der ÖGJ der Wettbewerb »Free Cards for a Free Sunday« veranstaltet. Die drei originellsten Postkarten zum Thema »arbeitsfreier Sonntag« werden nun gedruckt und in Jugendlokalen
aufgelegt.

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G. M. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Mar 2003 00:00:00 +0100 1190322135818 Standpunkt | Das unsichtbare Heer der Arbeitslosen Die neu formierte Bundesregierung Schwarz-Blau II hat ihr Regierungsprogramm bekannt gegeben. Die Aufmerksamkeit mag vielleicht bei den Bomben auf Bagdad sein, trotzdem sollten wir uns von den Vorhaben der Regierung nicht ablenken lassen, vor allem deswegen, weil wir die Auswirkungen bald spüren werden:

Die Prioritäten sind die Anschaffung der teuersten Kampfmaschinen für das Bundesheer um zwei Milliarden Euro sowie eine Förderung des Bauernstandes in der Höhe von drei Milliarden Euro.

Den Preis dafür zahlen die Arbeitnehmer. Die Pensionen werden unter Vorschieben falscher Argumente massiv gekürzt, die Zahlung von Notstandshilfe wird abgeschafft, sofern im Budget ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, kann Sozialhilfe gewährt werden.

Eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten und weitere Flexibilisierungen bei den Arbeitszeiten auch in anderen Branchen verschlechtern zusätzlich die Bedingungen für Erwerbsarbeit. Die ungenügende Stabilität der neuen Regierung zeigte sich bereits nach wenigen Tage in Amt und Würden: Die Durchführung der angekündigten Steuerreform wurde vom Finanz- bzw. neuerdings Marketingminister in Frage gestellt, die Abschaffung der Ambulanzgebühr wird auf die lange Bank geschoben und das Pflegegeld wird vorläufig nicht erhöht. Die Einführung von Selbstbehalten im Gesundheitssystem wird für 2004 bereits definitiv ins Auge gefasst. Welchen Wert das Regierungspapier damit überhaupt hat und wie viele geplante Belastungen noch im Talon schlummern und vorerst gar nicht publiziert werden, bleibt abzuwarten. In einem gemeinsamen Kommentar von AK-Präsident Herbert Tumpel und ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch wurde vor allem betont, dass mit einem Ansteigen der Arbeitslosigkeit um zwei Prozentpunkte zu rechnen sei, wenn es nach dem Regierungsprogramm Schwarz-Blau II geht.

Einige Hunderttausend Menschen sind derzeit in Österreich auf Arbeitsuche, darunter 45.000 Junge, die keine Perspektive im Berufsleben haben, und 60.000 so genannte Ältere. Die letzten Zahlen vom Feber sind bei insgesamt rund 340.000, von einer Dunkelziffer nicht zu reden. Nachdem die meisten dieser Menschen auch noch Familien und ein soziales Umfeld haben, kann man davon ausgehen, dass weit mehr als eine Million Menschen in unserem Land betroffen sind.

Die Regierung Schwarz-Blau II schafft aber nicht mehr Arbeit, sondern mehr Arbeitsuchende:

Durch die Abschaffung der Frühpensionen bis 2006 ist mit rund 28.000 zusätzlichen Arbeitsuchenden zu rechnen.

Durch die Einschränkung der Altersteilzeit werden rund 8000 Menschen zusätzlich Arbeit brauchen.

Neue Regeln für Arbeitnehmer aus dem Ausland (Saisoniers, Praktikanten usw.) bringen rund 70.000 zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland.

Zusätzlich werden bis zum Jahr 2006 noch 3700 vor allem junge Menschen aus den geburtenstarken Jahrgängen Arbeit brauchen, sodass insgesamt 110.000 Menschen auf den Arbeitsmarkt drängen. Laut Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) wird es aber bis dahin nur 50.000 zusätzliche Arbeitsplätze geben: Aus diesen Fakten ergeben sich zwei Prozentpunkte mehr Arbeitslosigkeit.

Das unsichtbare Heer der Arbeitslosen wird also noch größer. Insgesamt ist diese Armee allein auf unserem Kontinent hundertfach größer als die Masse aller Truppen, die sich auf dem Kriegsschauplatz im Nahen Osten gegenüberstehen.

Die Schicksale der Arbeitsuchenden, der Jungen ohne Perspektive und der Alten ohne Hoffnung haben wenig Newswert, sind keine Sensationen. Dabei ist das soziale Leid dieser vielen Hunderttausenden immens. Wir verschließen unsere Augen, auch wir erkennen zunehmend die Wirklichkeit rund um uns nur noch durch die verzerrende Brille der Repräsentation durch die Massenmedien.

Die Friedensbemühungen eines Teiles der Welt, von den Gewerkschaften bis zu den Kirchen und dem katholischen Pontifex, zeigen leider keinen Erfolg. Ein kleiner positiver Lichtblick ist die Breite der Ablehnungsfront gegen diesen Krieg. Und sehr lehrreich für uns alle könnte es sein, die Kurse vor allem an den amerikanischen Börsen zu beobachten, denn sie werden uns die Frage beantworten: Wer gewinnt an diesem Krieg?

Altbekannt ist das Beispiel von den steigenden Aktienkursen nach der Meldung über Stellenabbau bei großen Firmen. Womit wir bei der Frage wären: Wer gewinnt an der Arbeitslosigkeit? Die soziale Misere unter dem alles beherrschenden Moloch »Profit« kommt einem lautlosen Krieg gleich. Wir aber sind für Frieden und Gerechtigkeit - auch im
sozialen Bereich.

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Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Mar 2003 00:00:00 +0100 1190322135812 Ja zu Europa - aber zu welchem? Trotz des gewaltigen Zuwachses an Bedeutung lässt sich aber nicht übersehen, dass es sich bei Europa doch noch sehr weitgehend um ein Projekt »in progress« handelt, dessen künftige Konturen und Funktionsweisen noch nicht genau abzusehen sind. Die anstehenden Probleme sind an den schwierigen und strittigen Überlegungen erkennbar, die sich bei den Fragen des Umfangs und der Terminisierung der EU-Erweiterung, bei den Auseinandersetzungen des Konvents über die künftige Verfassung der EU und nicht zuletzt bei den wirtschaftspolitischen Problemen und Divergenzen, insbesondere in den Bereichen der Agrarwirtschaft und der Konjunkturpolitik, ergeben. Während viele dieser Probleme und Auseinandersetzungen generell und insbesondere angesichts eines umfangreichen Transformationsprozesses unvermeidlich sind, dürften einige von ihnen doch mit konkreten Aspekten der EU verbunden sein.

Wiewohl es im Folgenden vorwiegend um wirtschaftspolitische Fragen geht, möchte ich zunächst kurz auf eine grundlegende Schwäche der Diskussionen und Einschätzungen eingehen, die auch auf die wirtschaftspolitische Diskussion abfärbt. Dass der europäische Raum im Rahmen einer wachsenden weltweiten Globalisierungstendenz eine spezifische Entwicklung durchläuft, steht außer Zweifel. Sie setzte vor mehr als fünfzig Jahren relativ bescheiden mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS 1951) ein und erhielt wenige Jahre später mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG 1958) und der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA 1960) entscheidende Anstöße für einen fortlaufenden Erweiterungs- und Vertiefungsprozess, der heute noch im Gange ist. In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es mit dem erweiterten Binnenmarkt der Europäischen Union (EU) und der Europäischen Währungsunion (EWU) neue Höhepunkte.

Schlagwort »Europa«

Die Titel all der Institutionen, die den fortschreitenden Integrationsprozess begleiten und charakterisieren, werden von einem großen E eingeleitet, das für Europa steht, unabhängig vom jeweiligen Inhalt und Geltungsbereich der verschiedenen Organisationen. »Europa« ist zum vereinfachenden und flächendeckenden Schlagwort für die verschiedensten Aspekte eines langfristigen und komplexen Strukturwandels im europäischen Raum geworden. Parteien werden schlagwortartig als »europafreundlich« oder »europaskeptisch« eingestuft, Personen werden befragt, ob sie sich als »Europäer« fühlen oder nicht, kurz »Europa« ist zu einem emotionsgeladenen Schlagwort geworden, das Einstellungen charakterisieren und Motivierungen hervorrufen soll.

Das wäre an und für sich kein Malheur, wenn der Begriff »Europa« in der politischen Diskussion ein einigermaßen klar umrissenes Konzept wäre. So wie es trotz aller Vagheit des Begriffs »Demokratie« einen ziemlich klaren Sinn ergibt, wenn wir Personen oder Institutionen als generell »prodemokratisch« oder »antidemokratisch« bezeichnen, könnte man dann ebenso schlüssig über Personen und Institutionen urteilen, ob sie generell als »proeuropäisch« oder »antieuropäisch« zu gelten haben, und nicht nur in Bezug auf einzelne Aspekte der aktuellen Europapolitik. Eine solche konzeptuelle Klarheit fehlt aber dem Europabegriff, was Unklarheiten, Missverständnisse und Missbrauch nach sich ziehen kann.

»Europäische friedensstiftende Einigkeit bis hin zur europäischen Einheit kann auf verschiedenen Wegen erfolgen«

Was ist Europa und wer ist Europäer?

In Zusammenhang mit der weltweiten Globalisierung und ihren politischen und wirtschaftlichen Begleiterscheinungen ist »Europa« ein vielschichtiger Begriff geworden, der je nach Kontext verschiedene Definitionen und Assoziationen mit sich bringt. So ist Europa zunächst einmal immer noch ein geographischer Begriff und als solcher (so lange der Ural und der Atlantik schön auf ihrem Platz bleiben) die einzige Form, in der Europa eindeutig definiert und frei von irgendwelchen emotionalen, ideologischen oder kontextbezogenen Untertönen ist. In diesem Zusammenhang ist die Aussage, dass man Europäer ist, eine reine Tatsachenfeststellung mit demselben Stellenwert wie die Aussage, dass man in Österreich lebe und Österreicher sei. Weder erfordert sie ein »Bekenntnis« zu Europa noch beinhaltet sie eine bestimmte »message«.

Die Perspektive ändert sich sofort, wenn »Europa« in Zusammenhang mit dem europäischen Projekt im politischen, ökonomischen und kulturellen Bereich auftaucht. Nun verwischen sich die Konturen, die Grenzen werden fließend und die Frage, ob, in welcher Form und in welchem Umfang »Europa« entstehen soll, wird Gegenstand der Diskussion. In ihr treten die geographischen Gesichtspunkte in den Hintergrund (»Gehört die Türkei zu Europa?«) und politische, ökonomische und kulturelle Faktoren treten in den Vordergrund. Die Frage, ob man »für« oder »gegen« dieses oder jenes Europa ist, ob man ein »guter« oder »schlechter« Europäer ist, erhält nun einen bestimmten Sinn und wird zum Gegenstand der politischen Auseinandersetzung.

Politische Aspekte und ökonomische Rahmenbedingungen

Im Vordergrund dieser Debatte, die ja ihren Ursprung schon weit in der Vergangenheit hat (etwa mit Friedrich Naumanns Mitteleuropaplan von 1915 oder Richard Coudenhove-Calergis Paneuropabewegung in der Zwischenkriegszeit), stehen heute selbstverständlich die diversen Debatten und Einstellungen zu den konkreten »Europas«, wie sie sich jeweils im europäischen Integrationsprozess ergeben und wie sie im weiteren Verlauf dieses Prozesses gestaltet werden sollen. Was nun diese Debatte betrifft, das Für und Wider zu »Europa«, so ist es wichtig, einen grundlegenden Unterschied zwischen den politischen Aspekten einerseits und den ökonomischen Rahmenbedingungen andererseits zu machen. Dieser Unterschied hat - was häufig übersehen wird - bedeutsame Wirkungen auf die Einschätzung der Frage nach »guten« oder »schlechten« Europäern.

Friedensprojekt Europa

Was die politische Seite des Europaprojekts betrifft, so steht sicherlich vor allem der Friedensaspekt im Vordergrund. Die zwei Weltkriege des Zwanzigsten Jahrhunderts, die in Europa ihren Ursprung hatten und bei denen Europa den zentralen Kriegsschauplatz bildete, schufen einen eindringlichen Imperativ, speziell in dieser Region einen politischen Rahmen zu schaffen, der eine Wiederholung dieser Katastrophen verhindern sollte. Diese Idee konnte über alle nationalen und ökonomischen Konflikte und Differenzen hinweg in breitester Form akzeptiert werden. War und ist es doch für die überwiegende Mehrheit der Menschen einsichtig, dass angesichts seiner zerstörenden Wirkungen der Schaden eines modernen Krieges für die gesamte Bevölkerung unverhältnismäßig größer wäre als irgendwelche Probleme, die mit einer integrativen Friedenspolitik verbunden sein könnten.

Der Natur der Sache nach war daher die Idee eines politisch geeinten Europa ein eindeutiges, generell akzeptables Ziel. Das heißt natürlich nicht, dass es deshalb ein leicht zu verwirklichendes Ziel ist. Wenn es um seine Realisierung geht, gilt in hohem Maß der bekannte Ausspruch, dass der Teufel im Detail steckt. Europäische friedensstiftende Einigkeit bis hin zur europäischen Einheit ist kein eindeutig umrissenes Konzept, sondern kann auf verschiedenen Wegen (Staatenbund, Bundesstaat, Einkammer-, Mehrkammersystem usw.) erfolgen, welche die im Detail keineswegs immer übereinstimmenden Interessen und Entscheidungsstrukturen der verschiedenen Länder, Regionen und Lobbys in unterschiedlicher Weise berühren. Gegenwärtig stehen wir noch mitten in diesem schwierigen Prozess, einen geeigneten kompromissfähigen Pfad durch diese Schwierigkeiten zu finden. Aber das ändert nichts daran, dass das Endergebnis eines vereinten und möglichst umfassenden Europa als mehr oder weniger eindeutiges Ziel von den meisten Menschen akzeptiert werden kann, die für Frieden und Demokratie eintreten. So weit die EU und ihre Entwicklung vor allem aus politischer Perspektive gesehen wird, ist daher die Frage, ob jemand ein »guter Europäer« sei, durchaus sinnvoll und aussagekräftig. Welche Formen auch immer der Einigungsprozess letzten Endes ergeben wird, die Richtung des Prozesses kann aus friedenspolitischer Sicht bejaht werden, unabhängig von individuellen Differenzen über die detaillierte Gestaltung.

Wohlstand und Verteilungsprobleme

Bei den wirtschaftlichen Aspekten der europäischen Integration liegen die Dinge grundsätzlich anders. Hier fehlt ein alle Details übergreifendes Ziel, wie es »Frieden« im politischen Bereich darstellt. Zwar kann man europäischen »Wohlstand« oder europäische »Wohlfahrt« als ein generell angestrebtes Ziel erachten, aber dieses Ziel unterscheidet sich in zweierlei Hinsicht vom Friedensziel. Beim »Frieden« und auch bei jedem Schritt zu friedlicheren Konstellationen ist es ja so, dass diese Entwicklung - sieht man von einigen Rüstungsinteressen und potentiellen Kriegsgewinnern ab - allen Bürgern ungeteilt zugute kommt. »Wohlstand«, wie immer gemessen (Wirtschaftswachstum, Konsum- und Sozialstandards etc.), wirft fast immer Verteilungsprobleme auf. Auf jeder Stufe gibt es immer wieder Gewinner und Verlierer, wobei die Verteilung je nach gewähltem Weg verschieden ist. Und das zieht einen weiteren Unterschied zwischen »Frieden« und »Wohlfahrt« nach sich: Form und Richtung des gewählten Weges sind konfliktträchtig. Ökonomisch gesehen genügt es nicht, »für Europa« zu sein. Die Frage, was für ein Europa, erlangt entscheidende Bedeutung. So wie in jedem einzelnen Land politische Auseinandersetzungen über den einzuschlagenden wirtschaftspolitischen Kurs und die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen einen ständigen Bestandteil des demokratischen Prozesses bilden, ohne dass deshalb die eine oder andere Seite als »gute« oder »schlechte« Österreicher (Deutsche, Franzosen etc.) deklariert wird, müsste es auch im konkreten Entwicklungsprozess der europäischen Integration zulässig und demokratiepolitisch wünschenswert sein, Kritik und Reformvorschläge zuzulassen, ohne - wie das gegenwärtig häufig geschieht - solche Äußerungen als »antieuropäisch« zu disqualifizieren.

Heilslehre statt Vernunft

Die verbreitete Gleichsetzung der gegenwärtigen ökonomischen Verfassung der EU mit Europa schlechthin und die damit verbundene Heiligsprechung und Abschottung eines fest umschriebenen wirtschaftspolitischen Konzepts - schlagwortartig gekennzeichnet durch Deregulierung, Privatisierung, radikale Zentralbankautonomie, schlanker Staat - birgt sowohl demokratiepolitische wie ökonomische Gefahren in sich. Sie sind speziell relevant und akut in der Zeit des Übergangs zur endgültigen Konstituierung eines europäischen Staates oder Staatenbundes mit umfassenden demokratischen Institutionen und umfassenden - den heutigen Bedingungen demokratischer Staaten entsprechenden - Entscheidungsprozessen.

In dieser Übergangsperiode, die noch beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen dürfte, besteht das politische Problem vor allem in der Kluft zwischen national dominierten Wahlen und Entscheidungsprozessen einerseits und von der EU zentral vorgegebenen Rahmenbedingungen andererseits. Diese Rahmenbedingungen, die weit über das hinausgehen, was für einen Weg zur politischen Einheit nötig ist, setzen gegenwärtig enge Grenzen für die politische Handlungsfähigkeit der einzelnen Mitgliedsländer, die aber nicht in einer für die Bürger klar erkennbaren Weise entsprechend aus der Verantwortung für nun nicht mehr erreichbare Ziele entlassen werden.

Beschäftigungspolitik ohne Instrumente

Ein exemplarischer Fall ist die Beschäftigungspolitik, für welche die nationalen Regierungen nach wie vor als zuständig erklärt und erachtet werden. Gleichzeitig sind ihnen aber die traditionellen Instrumente für eine entsprechende Strategie - Geld-, Fiskal- und Industriepolitik - durch die Vorgaben der Europäischen Zentralbank, die strikten Bedingungen des Stabilitätspakts sowie durch zahlreiche Detailbestimmungen weitgehend aus der Hand genommen. Unabhängig von der Frage der Qualität und Zweckmäßigkeit der EU-Bestimmungen bedeutet ihre undifferenzierte Verbindlichkeit für sehr heterogene Staaten mit unterschiedlichen Voraussetzungen und unterschiedlichen Wählerwünschen ein unvermeidliches Auseinanderklaffen - zumindest in einigen Mitgliedsländern - zwischen demokratischen Ansprüchen an die Regierung und deren erzwungener Unfähigkeit, darauf mit entsprechenden Maßnahmen zu reagieren. Dieser Widerspruch führt dann zu einer Desavouierung des demokratischen Prozesses und/oder zu einer prinzipiellen Opposition gegen die europäische Integrationsidee. Populistische und antidemokratische Strömungen finden unter diesen Bedingungen ein reiches Betätigungsfeld.

Ausweg: Subsidiarität

Ohne auf Details einzugehen, kann man sagen, dass ein generelles Gebot gegen diese Gefahr darin bestehen sollte, dass die EU ihren Grundsatz der Subsidiarität weit ernster nehmen und extensiver auslegen sollte als das bisher der Fall war, sodass - in dieser Übergangszeit - den verantwortlichen Regierungen mehr Spielraum für geeignete Reaktionen auf spezifische nationale Bedingungen und Wählerpräferenzen verbleibt. Eine solche Umstellung empfiehlt sich nicht nur aus demokratiepolitischen Erwägungen. Sie würde sich auch ökonomisch als produktiv erweisen.

Es kann wohl kein Zweifel bestehen, dass heutzutage mehr als in »normalen Zeiten« neue Technologien, eine beschleunigte Globalisierung und neue Organisationsformen in der Finanz- und Realwirtschaft der wirtschaftlichen Entwicklung eine Dynamik verliehen haben, welche die Beschreitung neuer Wege in eine ungewisse Zukunft erfordert. Die Flexibilität und Kreativität, die man heute angesichts des ra-schen Wandels mit Recht von Managern und Arbeitskräften verlangt, muss auch von der Wirtschaftspolitik gefordert werden.

Dazu kommt weiters, dass in einem national noch aufgesplitterten Europa die wirtschaftspolitisch geforderten Zielsetzungen von Land zu Land verschieden gewichtet sind. Auch dies spricht für eine für Reformen offene Wirtschaftspolitik der EU und für einen möglichst großen Spielraum für nationale Differenzierung.

Damit würde nicht nur der besseren Übereinstimmung zwischen Wählerwillen und Regierung gedient sein, es würde auch ein Experimentierfeld für die Suche nach geeigneten Wegen in eine unbekannte Zukunft geboten werden. Das könnte einen Schutz gegen sich selbst verstärkende Wirkungen gemeinsam begangener Fehler bedeuten.

Jedenfalls zeigten die Erfahrungen der langen Konjunkturperiode der sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, dass national verschiedene Präferenzen und Gewichtungen von Wirtschaftszielen wie Preisstabilität und Beschäftigung sowie Differenzierung der wirtschaftspolitischen Methoden eine nicht unbedeutende Rolle bei der Vermeidung geschlossener Märsche in falsche Richtungen spielen können.

Natürlich kann es aber auch unerwünschte Bremseffekte bei positiven Entwicklungen geben.

RESÜMEE

Kritischer Europäer gefragt

Aus dieser Sicht erscheint die starre zentralistische und dogmatische Festschreibung zahlreicher wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen, die nicht hinterfragt werden sollen und dürfen, als ein ausgesprochener Webfehler der gegenwärtigen EU-Verfassung. Den neoliberalen Gedankengängen und dem »Washington Consensus« angepasste Rahmenbedingungen, die weitgehend den Bedürfnissen der sich ausweitenden transnationalen Finanz- und Produktionsinteressen entgegenkommen, können nicht das letzte und für alle Zeiten sakrosankte Wort sein. Sich ändernde Verhältnisse und alternative Bewertungen ökonomischer, sozialer, ökologischer und kultureller Faktoren verlangen mehr Offenheit, mehr Reform- und Experimentierbereitschaft, um zu einem noch nicht klar umrissenen, generell akzeptierbaren und generell akzeptierten Gesamteuropa zu gelangen. Die wachsenden kritischen Bedenken gegen verschiedene Starrheiten des EU-Konzepts und der EU-Praxis, die sich gegenwärtig in mehreren Ländern bemerkbar machen, lassen eine Tendenz in diese Richtung erkennen. Es könnte sehr wohl der Fall sein, dass sich »kritische Europäer« als notwendig erweisen und dass diese letzten Endes die »guten Europäer« sind.

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Kurt Rothschild (Professor emeritus der Wirtschaftswissenschaften an der Linzer Universität) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Mar 2003 00:00:00 +0100 1190322135787 Diskussion | Selbstbehalte als Finanzierungshilfe für die Krankenversicherung? Kürzlich war ich krank - Mandelentzündung. Da dies der dritte derartige Infekt innerhalb eines halben Jahres war, schlug meine praktische Ärztin neben der symptomatischen Therapie mit Antibiotika vor, mich einmal genauer durchchecken zu lassen - Schädelröntgen, Kontrolle beim HNO, eine Laborzuweisung sowie EKG im Rahmen einer Gesundenuntersuchung. Inklusive der mir verschriebenen Medikamente verursachte dieser Behandlungsweg Kosten von rund 1000 Euro, ein 20-prozentiger Selbstbehalt entspräche somit 200 Euro - kein Klacks für eine in Teilzeit arbeitende Mutter zweier Kinder. Was hätte ich also gemacht, wenn es dafür tatsächlich Selbstbehalte gäbe? Ich hätte mit der Ärztin debattiert, ob wirklich jeder einzelne Blutwert notwendig sei, ich hätte unter Umständen die Gesundenuntersuchung hinausgeschoben. Das wären genau jene Lenkungseffekte, die im 10-Punkte-Programm der ÖVP gemeint sind, wenn sie »einheitliche Selbstbehalte mit Lenkungseffekt« fordert. Ist das sozial? Ist es gesundheitspolitisch sinnvoll, wenn Untersuchungen aufgeschoben oder gar nicht vorgenommen werden?

Befürworter

»Halt!« höre ich da sofort die Befürworter von Selbstbehalten rufen. Die eine Gruppe wird sagen, dass Gesundenuntersuchungen und so genannte prophylaktische Maßnahmen weiterhin kostenlos bleiben sollen. Ebenso wie Kontrolluntersuchungen oder Behandlungen bei chronischen Krankheiten. Ist es sinnvoll, eine Maßnahme einzuführen und dann sofort die Ausnahmen zu definieren? Was bleibt dann überhaupt noch übrig? Und welche der angeführten Maßnahmen ist Krankheitsbehandlung und welche ist Prophylaxe?

Eine andere Gruppe von Selbstbehaltsbefürwortern wird sagen, dass es soziale Staffelungen geben soll. Das würde in meinem Fall bedeuten, dass mein Einkommen und das meines Mannes bei der Sozialversicherung addiert werden, wenn ein einkommensbezogener Deckel eingeführt wird.

All das mag auf den ersten Blick sinnvoll und machbar sein, doch betragen die Selbstbehalte einen so kleinen Teil der Einnahmen der Sozialversicherung, dass bei jeder Ausnahme, ebenso wie bei der sozialen Staffelung, der Administrationsaufwand mitbedacht werden muss. Hier drohen ähnliche Probleme wie bei der Ambulanzgebühr.

Leistungsvergleich

Mit einer Kritik wollen wir uns hier aber doch noch etwas näher auseinander setzen. Gerne wird nämlich behauptet, dass Selbstbehalte deswegen notwendig seien, weil sie eben für einige Beschäftigtengruppen bestünden, während andere keine hätten. Was ist am Argument dran, dass vorgeblich ASVG-Versicherte gegenüber Beamten, Bauern und Gewerbetreibenden bei Selbstbehalten bevorzugt werden? Betrachtet man das Leistungsrecht der Krankenversicherungen, stellt man schnell fest, dass es sich durch Unübersichtlichkeit und mangelnde Vergleichbarkeit auszeichnet. Dies ist natürlich auch auf die Selbstverwaltung zurückzuführen - Leistungen und die entsprechenden Selbstbehalte werden eben nicht nur gesetzlich festgelegt, sondern dies bleibt der Satzung der einzelnen Versicherungssysteme überlassen. Daher würde die Forderung nach einheitlichen Selbstbehalten nicht nur einen massiven Einschnitt in die Selbstverwaltung bedeuten (was wahrscheinlich in der Praxis das größte Hindernis wäre), sondern die Vereinheitlichung würde auch bedeuten, dass die Leistungen der Versicherungssysteme vereinheitlicht würden. Oder verlangt die ÖVP tatsächlich, dass ASVG-Versicherte ab sofort 20 Prozent Selbstbehalt für alle Leistungen zu zahlen haben, dass aber beispielsweise die Zuzahlung zu bestimmten festsitzenden Zahnersätzen oder die kostengünstigere Beanspruchung der Sonderklasse im Spital weiterhin nur Selbständigen oder Beamten vorbehalten sein sollen? Es geht hier keineswegs um die Neidgenossenschaft. Es soll nur klar gestellt werden, dass Vereinheitlichung nur sinnvoll ist, wenn sie sowohl auf der Finanzierungs- als auch auf der Leistungsseite vorgenommen wird.

Und stimmt es denn tatsächlich, dass ASVG-Versicherte weniger zur Kasse gebeten werden als die anderen Versicherten? Das ASVG-Recht kennt zwar keinen generellen 20-prozentigen Selbstbehalt, hat dafür aber eine Vielzahl von »kleinen Selbstbehalten«. Die Daten des Hauptverbandes, der schließlich alle Versichertengruppen vertritt und daher nicht zu Voreingenommenheit neigt, sprechen hier eine andere Sprache: In absoluten Beträgen zahlen ASVG-Versicherte pro Jahr 181,5 Euro an Selbstbehalten, Beamte 194,8, Gewerbetreibende 139,2 und Bauern 136,9 Euro. Wie schon dargelegt, muss man aber auch die Leistungsseite betrachten.

Wenn man nun diese durchschnittlichen Selbstbehalte als Prozentsatz der tatsächlichen durchschnittlichen Leistung pro Versichertem berechnet, so zeigt sich, dass im Durchschnitt ein ASVG-Versicherter 10,36 Prozent Selbstbehalt zahlt, ein Bauer 9,65, ein Gewerbetreibender 8,48 und ein Beamter gar nur 8,14 Prozent.

»Das ASVG-Recht kennt zwar keinen generellen 20-prozentigen Selbstbehalt, hat dafür aber eine Vielzahl von ›kleinen Selbstbehalten‹«

Die Realität ist wesentlich komplexer

Natürlich sind solche Durchschnittsrechnungen problematisch. Vor allem helfen sie demjenigen in der Beamten- oder Gewerbeversicherung, der gerade mit tatsächlichen 20 Prozent für eine Behandlung zur Kasse gebeten wird, wenig. Dennoch illustrieren sie gut, wie einfach es ist, die politische Forderung nach einheitlichen Selbstbehalten aufzustellen, dass sich die Realität aber wesentlich komplexer darstellt. Denn gerade den »Durchschnittsversicherten« gibt es nicht. Es macht eben einen großen Unterschied, ob man eine Frau oder ein Mann und wie alt man ist und nicht zuletzt auch, welcher Einkommensschicht man angehört.

Es wird viele ASVG-Versicherte geben, die weniger Selbstbehalt zahlen als beispielsweise Beamte, dennoch gibt es ein paar, die deutlich mehr zahlen als die zuvor angeführten Durchschnittswerte. Sollen nun gerade die noch mehr zur Kasse gebeten werden? Dafür gäbe es jedenfalls keine vernünftige Begründung. Also müsste die Forderung nach einheitlichen Selbstbehalten beinhalten, dass alle bestehenden Selbstbehalte abgeschafft und durch einen einheitlichen Selbstbehalt ersetzt werden, was nur bei einer gleichzeitigen Vereinheitlichung des Leistungsrechtes möglich wäre.

Bedenken

Es verwundert also auch nicht, dass nicht nur die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer, sondern vor allem eine Anzahl von Gesundheitsökonomen Bedenken artikulieren, wenn es um die Sinnhaftigkeit von Selbstbehalten geht. Wenn Selbstbehalte tatsächlich so hoch sind, dass sie »wehtun«, dass sie also Lenkungseffekte erzielen, besteht die Gefahr, wie ja im praktischen Beispiel am Anfang beschrieben, dass Untersuchungen und Behandlungen aufgeschoben werden, sodass es im Endeffekt teurer kommt, weil Krankheiten verschleppt und verschlimmert werden. Im Allgemeinen kann man aber davon ausgehen, dass selbst diese Lenkungseffekte nur gering ausfallen. Dies war beispielsweise der Grund dafür, dass in den Niederlanden ein Selbstbehaltsmodell nach drei Jahren wieder eingestellt wurde.

Selbstbehalte können Sinn machen bei Arzneimitteln, wie dies ja auch durch die Rezeptgebühr gegeben ist, da hier am ehesten so etwas wie »Missbrauch« entstehen kann, indem es zu unsachgemäßer Verwendung, zur Hortung von Medikamenten, zum Wegwerfen und so weiter kommt. Hier ist es sicher notwendig, das Kostenbewusstsein zu stärken. Aber kann dies nur über Selbstbehalte bewirkt werden? Ein erster, kleiner Schritt könnte doch sein, den Patientinnen und Patienten den Wert der erbrachten Leistungen vor Augen zu führen, indem auf den Medikamenten der tatsächliche Preis ausgewiesen wird. Ebenso wäre es sinnvoll, bekäme man jedesmal eine »Honorarnote« vom Arzt, aus der man ersehen kann, was die einzelnen Leistungen kosten.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass die Diskussion um einheitliche Selbstbehalte nur dann seriös ist, wenn gleichzeitig auch eine Vereinheitlichung von Leistungen gemeint ist. Weiters müssten natürlich im Gegenzug alle bereits bestehenden Selbstbehalte abgeschafft werden. Und drittens müsste es irgendeine Form der Sozialstaffelung geben, um zu verhindern, dass Einkommensschwächere von Gesundheitsleistungen ferngehalten werden. Es ist anzunehmen, dass bei Berücksichtigung dieser drei Voraussetzungen die Politiker rasch wieder von der Idee ihrer »einheitlichen Selbstbehalte mit Lenkungseffekt« abkommen werden!

Damit ist aber die Finanzierungskrise des Gesundheitssystems nicht gelöst. Es soll ja nicht bestritten werden, dass hier etwas geschehen muss.

»Dass Gesundheit immer teurer wird, hat nicht vorrangig mit Ineffizienz zu tun, sondern ist durch die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung, steigenden Wohlstand und technischen Fortschritt bedingt«

Gesundheit wird teurer

Einerseits müssen wir mit der Tatsache leben lernen, dass Gesundheit immer teurer wird. Das hat nicht vorrangig mit Ineffizienz zu tun, sondern ist durch die steigende Lebenserwartung der Bevölkerung, steigenden Wohlstand und technischen Fortschritt bedingt. Wir werden also nicht darum herumkommen, auf der Einnahmenseite etwas zu machen. Nur heißt die Antwort eben nicht Selbstbehalte, sondern Beitragserhöhungen. Im Gegensatz zur Pensionsversicherung, wo sukzessive (auch von Seiten der Politik) der Solidarzusammenhalt untergraben wird, ist dieses Solidargefühl im Bereich der Krankenversicherung noch stärker vorhanden. Beitragserhöhungen würden von der Bevölkerung durchaus akzeptiert werden, sie erfüllen das Kriterium der Sozialstaffelung und sie bedeuten noch dazu eine (erwünschte) Umverteilung von Gesunden zu Kranken.

Aber vor allem muss auf der Ausgabenseite reformiert werden. Hier gibt es verschiedene Vorschläge.

Eine erste Möglichkeit wäre, zu hinterfragen, ob wirklich alle medizinischen Leistungen unentgeltlich zur Verfügung gestellt werden sollen. Dies ist natürlich ein sehr heikles Thema, bedeutet es doch die Auseinandersetzung mit der Frage, wie viel Gesundheit wir uns öffentlich leisten wollen. In Schweden beschäftigt sich seit zehn Jahren eine Ethikkommission mit der Erstellung eines Katalogs von medizinisch gerechtfertigten und nicht unbedingt notwendigen Behandlungen. Auch wenn man über die einzelnen Leistungen streiten kann (beispielsweise wird Psychotherapie als nicht unbedingt notwendige Behandlung angesehen, was ja auch in Österreich leider noch immer eine weit verbreitete Ansicht ist), so wird es in den kommenden Jahren dringend notwendig sein, sich mit der Rationierung von Leistungen zu beschäftigen und nicht einfach Gesundheit als »höchstes Gut« zu betiteln, was impliziert, dass alles diesem Ziel untergeordnet werden müsse.

»Kein Landeshauptmann dürfte sich freuen, wenn eines ›seiner‹ Landes- oder Bezirkskrankenhäuser geschlossen werden soll«

Strukturreformen

Kurz- bis mittelfristig muss es vor allem um Strukturreformen bei den Anbietern im Gesundheitswesen gehen. Zum einen sind das die Ärzte. Hier müssen neue Formen der Honorierung überdacht werden. Solange Ärzte nach Einzelleistungen bezahlt werden, haben sie jeden Anreiz, zu viel an Leistungen anzubieten. Dem Patienten ist es ja egal bzw. fühlt er sich sogar vielleicht besonders gut aufgehoben bei einem Arzt, der viel macht. Zahlen muss das allerdings die Versichertengemeinschaft. Daher wären Pauschalhonorare viel sinnvoller. Wie wäre es zum Beispiel, wenn Ärzte nach der Zahl der bei ihnen eingeschriebenen Patientinnen und Patienten bezahlt werden, wie es beispielsweise in Großbritannien der Fall ist?

Je gesünder diese Patienten sind, umso weniger hat der Arzt zu tun. Wäre das nicht ein Anreiz, gerade die richtigen und notwendigen Leistungen zu setzen, nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel? In so einem System wäre es natürlich notwendig, dass der Arzt seine Patienten nicht an irgendjemand Dritten »abschieben« kann, sei es an Spitäler oder an andere (Fach-)Ärzte. Damit wären wir auch bei der wichtigen Rolle des praktischen Arztes als »gatekeeper«, als Koordinator von Gesundheitsleistungen, um zu vermeiden, dass Leistungen doppelt und dreifach erbracht werden (beispielsweise Röntgen) oder auch, um einen möglichst raschen Übergang von einem Spitalsaufenthalt zur Betreuung zu Hause zu ermöglichen. Womit wir schon beim zweiten und noch viel kostenintensiveren Anbieter wären - den Spitälern.

Es ist bekannt, dass in Österreich eine besonders hohe Dichte an Spitalsbetten herrscht. Es gibt sozusagen eine Überversorgung mit Spitalsbetten. Nicht wundern sollten wir uns dabei über die Tatsache, dass gerade dieser Umstand von der ÖVP erstaunlich wenig thematisiert wird. Schließlich sind Spitäler Ländersache, und man will ja nicht die eigenen Leute vergrämen. Denn kein Landeshauptmann dürfte sich freuen, wenn eines »seiner« Landes- oder Bezirkskrankenhäuser geschlossen werden soll.

Reformen

Tatsache bleibt aber, dass es hier der Reformen bedarf und dass abseits der erwähnten politischen Machtspiele Reformen auch möglich wären. Dabei müssten sie nicht einmal bedeuten, dass Spitäler geschlossen werden. Das Bedürfnis nach einer gewissen Grundversorgung ist durchaus gerechtfertigt und kann in manchen Fällen sogar billiger kommen (ein Tag im AKH kostet eben um ein Vielfaches mehr als in einem der umliegenden niederösterreichischen Bezirkskrankenhäuser). Spezialfälle sollten aber nur in Schwerpunktspitälern behandelt werden. Ebenso müsste aber auch das Zusammenspiel zwischen ambulantem und stationärem Bereich verbessert werden. So gäbe es eine Anzahl von Behandlungen, gerade im Rehabilitationsbereich, die nicht mit einer Spitalsaufnahme verbunden sein müssten. Es wäre genauso gut denkbar, dass die Patienten zu Hause wohnen, unter Umständen mit einer ambulanten Betreuung, und nur zu den Behandlungen in das Spital fahren.

Damit ein derartiges System aber wirklich funktioniert, müssen die einzelnen Träger im Gesundheitswesen viel besser zusammenspielen. Es dürfen nicht die Länder versuchen, ihre Kosten auf die Sozialversicherung abzuschieben und auch umgekehrt. Und es bedürfte natürlich eines vermehrten Ausbaus der
professionellen Pflege im ambulanten Bereich. Aber darüber sind sich ja erfreulicherweise alle Politiker einig. Oder doch nicht?

RESÜMEE

Eine teure »Verbilligung«

Die Regierung handelt einen Selbstbehalt von 20 Prozent als Allheilmittel für die Krankenversicherung. Eine solche Maßnahme würde zu gewaltigen sozialen Ungerechtigkeiten führen, durch die Verschleppung notwendiger Untersuchungen und Behandlungen und die dadurch verursachten zusätzlichen Erkrankungen zu erhöhten Behandlungskosten führen und dabei - ebenso wie bereits die Ambulanzgebühr - durch den Verwaltungsaufwand mehr Geld kosten, als sie einbrächte. Einsparungen im Gesundheitsbereich sind trotzdem notwendig und auch möglich: Bei den Krankenhäusern und durch Information der Versicherten über die Kosten der von ihnen beanspruchten ärztlichen Leistungen und den Preis der verschriebenen Medikamente.

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Agnes Streißler (Gesundheitsökonomin, Mitarbeiterin der Abteilung Wirtschaftswissenschaften in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Mar 2003 00:00:00 +0100 1190322135699 Wie die Sozialversicherung entstand: Selbstverwaltung und Sozialversicherung Vor etwa 120 Jahren begannen die Arbeiter und Angestellten, sich gegen das soziale Elend aufzulehnen, in dem die meisten von ihnen leben mussten. Die Regierungen des Kaisers Franz Joseph fürchteten die junge Arbeiterbewegung und versuchten, diese mit einer Doppelstrategie zu »befrieden«: Einerseits durch Polizeigewalt und politischen Druck, andrerseits durch das Angebot eines Mindestmaßes an sozialer Sicherheit und das Angebot von - wenn auch zunächst noch sehr begrenzter - Mitbestimmung.

  • 1888 trat das erste Krankenversicherungsgesetz für Arbeiter in Kraft.
  • 1889 folgte das erste Unfallversicherungsgesetz für Arbeiter.
  • 1906 erhielten die Angestellten als erste Arbeitnehmergruppe eine Pensionsversicherung.
  • Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 gab es nur in einigen großen Städten eine öffentliche Arbeitslosenversicherung. Die Arbeitslosenunterstützung war damals eine zentrale Aufgabe der Gewerkschaften.
  • 1920 ersetzte eine Arbeitslosen-Pflichtversicherung die bestehenden Arbeitslosenunterstützungseinrichtungen.
  • 1927 wurde endlich eine Pensionsversicherung für Arbeiter beschlossen, die es in Deutschland längst gab. Sie blieb aber auf dem Papier, weil man für ihre Verwirklichung einen »ausgeglichenen Staatshaushalt« zur Bedingung gemacht hatte. Sie kam erst 1938 mit der Übernahme der »Reichsgesetzgebung« nach der Okkupation durch Hitler-Deutschland.

Es geht um sozialen Frieden

Aufsichtsbehörde für die Sozialversicherung war bis 1917 das Innenministerium - ein Zeichen, wie sehr die Sozialgesetzgebung als Maßnahme der inneren Sicherheit verstanden wurde. Erst 1917 kamen die Kompetenzen zum neuen Sozialministerium. Mit der Selbstverwaltung der Sozialversicherung, die von Anfang an bestand, sollte auch

  • »durch Heranziehen ehrenamtlich tätiger Kräfte die Administration verbilligt und zugleich die Kontrolle allfälliger Missbräuche ... erleichtert« werden;
  • das »gemeinsame Zusammenwirken beider sonst so gegensätzlicher Gruppen (Arbeitgeber/Arbeitnehmer) durch Kooperation auf einem neutralen Gebiet« forciert werden (Sozialpartnerschaft!).

Kontrolle und Mitbestimmung der Arbeitnehmer

Als das Krankenversicherungsgesetz in Kraft trat, blieben alle Arbeiter, die bereits bei einer anerkannten Kasse versichert waren (ob durch Gesetz, wie bei den Bruderladen der Bergleute, oder freiwillig in Vereinskassen), bei ihrer bisherigen Versicherung. Das galt auch für die Arbeiterkrankenkassen und Arbeiterinvalidenkassen, die sich als freiwillige Selbsthilfeeinrichtungen natürlich autonom verwalteten. Sie wurden zu einer der beiden tragenden Säulen des Sozialversicherungssystems.

Alle Arbeiter ohne eigenen oder besonderen Versicherungsschutz wurden in der gesetzlichen Pflichtversicherung, den Bezirkskrankenkassen, erfasst. Sie standen unter staatlicher Aufsicht, wurden aber schon in Selbstverwaltung geführt. Da die Arbeiter den größten Teil der Beiträge aufbrachten, hatten ihre Vertreter in den Selbstverwaltungsorganen der Krankenkassen die Mehrheit. Bei der Kontrolle wurde umgekehrt gewichtet.

Die Unfallversicherung ersetzte die Haftpflicht der Unternehmer für Arbeitsunfälle. Die Finanzierung erfolgte überwiegend durch die Arbeitgeber. Demgemäß hatten sie in den Organen auch die Mehrheit - in der Kontrolle waren dagegen die Arbeitnehmer bestimmend.

Auch in der Pensionsversicherung der Angestellten erfolgte die Organisation in Selbstverwaltung ebenfalls unter Mitsprache der Arbeitnehmer.

Bei der 1920 eingeführten Arbeitslosen-Pflichtversicherung zahlten Arbeitnehmer und Arbeitgeber jeweils gleich viel ein. Die Kosten wurden je zu einem Drittel von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Staat aufgebracht. In den Verwaltungsausschüssen der »Industriellen Bezirkskommissionen«, wie die Arbeitsämter damals hießen, waren Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter 50:50 vertreten.

Die autonome Selbstverwaltung blieb im demokratischen Österreich unangetastet. Im Gegenteil - durch die Reform der Sozialversicherung 1927 hatten die Arbeitnehmervertreter vor allem in den neuen Gebietskrankenkassen entscheidenden Einfluss.

Die Gewerkschaften spielten bei den Wahlen in die Selbstverwaltung eine ausschlaggebende Rolle.

Diktatur und Faschismus gegen Selbstverwaltung und Mitbestimmung

Von 1934 bis 1938 war Österreich ein »Ständestaat«, in dem es keine freien Wahlen gab. Parteien und die damals üblichen parteinahen Gewerkschaften waren verboten. Noch 1934 entfernte man alle Arbeitnehmervertreter aus den Verwaltungsausschüssen der Sozialversicherungen, einschließlich der Industriellen Bezirkskommissionen, wenn ihnen ein Naheverhältnis zur Sozialdemokratie unterstellt werden konnte. Mit dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz 1935 wurden die Wahlen zur Selbstverwaltung offiziell abgeschafft. Arbeitnehmervertreter wurden durch den Sozialminister aufgrund des Vorschlagsrechts des staatlich eingerichteten »Gewerkschaftsbundes« bestellt.

1938 kam Österreich unter die Herrschaft des Nationalsozialismus. Die nationalsozialistische Herrschaft vollzog ab 1938 in Österreich nach, was sie bereits in Deutschland durchgeführt hatte. Ein Gesetz zur Wiederherstellung des »nationalen Berufsbeamtentums« führte zur vollständigen Beseitigung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung. An ihre Stelle trat eine Staatsverwaltung, die nach dem Führerprinzip agierte. Das Gesetz bot auch Handhabe zur Judenverfolgung in der Sozialversicherung.

Zweite Republik: Wieder Selbstverwaltung und Mitbestimmung

Mit dem Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz vom Juli 1947 führte die Zweite Republik die unter Diktatur und Faschismus zerschlagene Selbstverwaltung wieder ein. Seit damals werden die Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter von den gewählten Organen der gesetzlichen Interessenvertretungen entsendet, also von der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer.

1949 wurde auch wieder eine Arbeitslosenversicherung mit Mitbestimmungsrechten der Beitragszahler über ihre Vertreter beschlossen. Diese Mitbestimmungsrechte konnten auch bei der Teilprivatisierung der Arbeitsämter 1994 gesichert werden.

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Sabine Lichtenberger (Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Mar 2003 00:00:00 +0100 1190322135642 Eine Funktion der Menschenwürde Damit leitet man eine Aufweichung des starken republikanisch-demokratischen Elements in Österreich ein, zugunsten der »souveränen Staatsgewalt«. Es ist überhaupt zu bemerken, dass in Österreich die Organe des Staates immer mehr autoritäre, zentralistische Handlungsweisen als richtiger ansehen und föderale sowie soziale Strukturen zurückgedrängt werden. Als Argument für diese Vorgangsweise muss die »betriebswirtschaftliche Notwendigkeit« und die »Nicht-EU-Konformität dezentraler Strukturen« herhalten. Damit wird meist ein gesellschaftlich nicht akzeptierter, aber von oben vorangetriebener Trend übertüncht, der in Wirtschaft und Gesellschaft immer deutlicher wird: Der Zentralstaat muss mehr Macht auf Kosten der föderalen, bürgernahen Strukturen bekommen! Mehr »Präsidialstaat«, weniger Republik (res publica = Sache des Volkes, der Öffentlichkeit).

»Damit wird ein gewollter Trend übertüncht: Der Zentralstaat muss mehr Macht auf Kosten der föderalen, bürgernahen Strukturen bekommen!«

Die Bürgerselbstverwaltung ist Teil unseres Staatsverständnisses

Egal, ob man die Selbstverwaltung der Gemeinden, die des Kammersystems oder eben die der Sozialversicherung heranzieht, eines bleibt gemeinsam: Die Selbstverwaltung ist die von staatlicher Macht weisungsfreie Besorgung öffentlicher Aufgaben durch nicht staatliche Körperschaften des öffentlichen Rechts. Der Staat verzichtet darauf, über seinen Beamtenapparat, der weisungsgebunden ist, bestimmte Aufgaben zu erledigen und übergibt sie Körperschaften, die durch Wahlen bestellt werden, statutarische Strukturen besitzen und daher im Sinne des Gemeinwohls und im Interesse der Betroffenen agieren.

Private Vereine können daher niemals Träger von Selbstverwaltungsaufgaben sein, denn diese handeln ohne Gemeinwohlverpflichtung. Der Kampf um die Selbstverwaltung der Bürger begann schon im 15. Jahrhundert und erlebte im 19. Jahrhundert seine ersten Erfolge, als die Autonomie der Gemeindeverwaltungen, die Kammern und die Sozialversicherungsträger als Selbstverwaltungskörper nach und nach bestellt wurden. Es ist daher die Selbstverwaltung das wesentliche Element einer Bürgergesellschaft zum Unterschied von einer diktatorischen Gesellschaft, in der der Staat alle Macht durch seine Organe ausübt. Die Diskussion »Selbstverwaltung ja oder nein« ist in Wahrheit die Diskussion um mehr Republik oder mehr Diktatur oder »Staatssouveränität gegen Volkssouveränität«.
Unabhängig von demokratischen Regierungsformen, die heute kein vernunftbegabter Mensch mehr in Frage stellt, weil es keine wirklichen Alternativen gibt, gehen wir in Österreich langsam, aber sicher einen gefährlichen Weg. Wir gehen zunehmend weg vom Staat als Ordnungsrahmen (polis) für die in seinen Grenzen lebenden Menschen, hin zu einem anderen Staatsverständnis: Der Staat als Selbstzweck. Der Staat als politisches Gebilde ist der Souverän - fast wie im Absolutismus! In so einem Staatsverständnis hat die Selbstverwaltung nur noch untergeordnete oder keine Bedeutung. Sie wird nicht abgeschafft, sondern zum »gesellschaftlichen Aufsichtsrat« degradiert.

Selbstverwaltung in Österreich wurde degradiert

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger ist kein Organ der so genannten »sozialen Selbstverwaltung« der Bürger, denn er verwaltet keine Beitragseinnahmen und zahlt keine Leistungen aus, sondern ist im Wesentlichen die Interessenvertretung der Sozialversicherungsträger Österreichs gegenüber der Staatsmacht. Die Aufgabe des Hauptverbandes wird also dadurch legitimiert, dass die Körperschaften Arbeiterkammer (AK), Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Landwirtschaftskammer (LWK) sowie die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) für die Beamten und deren Pensionsversicherung im Hauptverband die vertretenen Interessen bündeln. Über die Organe des Hauptverbandes wirken sie nicht nur an der Gesetzgebung mit, sondern stellen auch die Distanz der Selbstverwaltung zum Staat sicher, damit der Staat nicht Macht an sich reißt, die er im österreichischen Staatsverständnis nicht haben soll.

Nun hat die Bundesregierung aber die Aktionsfähigkeit der angesprochenen Körperschaften im Hauptverband so eingeschränkt, dass sie nur noch als »Aufsichtsorgan« für eine systemfremde Geschäftsführer-Gruppe agieren können, aber keine politische Handlungsfähigkeit als Interessenvertretung mehr haben. Damit wurde die Selbstverwaltung im Hauptverband praktisch zum Erfüllungsgehilfen der Staatsmacht »degradiert«. Der Hauptverband ist nicht mehr eine durch Körperschaften legitimierte Interessenvertretung mit eigener Autonomie, wie ursprünglich geplant! Das heißt: Österreich macht einen Schritt weg vom republikanisch-demokratischen Prinzip.

Aber nicht nur die so genannte »blau-schwarze« Regierung ging diesen Weg. Erinnern wir uns doch an die Infragestellung der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern. Hier wurde von den Parteien und manchen gesellschaftlichen Gruppen die Grundlage der »Körperschaften der personalen Selbstverwaltung« angegriffen. Denn nur die Pflichtmitgliedschaft aller Betroffenen gibt den Körperschaften die Legitimation, in Selbstverwaltung zu handeln.

Wir sehen also: Es gibt gesellschaftliche Kräfte in Österreich, die mehr Staatsgewalt und weniger Subsidiarität wollen.

»Nur die Pflichtmitgliedschaft aller Betroffenen gibt den Körperschaften die Legitimation, in Selbstverwaltung zu handeln«

Die Selbstverwaltung ist gelebte Subsidiarität

Die katholische Soziallehre kennt das Prinzip der Subsidiarität als »Recht der je kleineren Einheit« und sieht es als logische Folge der Menschenwürde an, die jedem einzelnen Menschen in seiner Einmaligkeit innewohnt. Wir Menschen haben demnach das Recht, jene Dinge selbst zu regeln und mitzubestimmen, die uns unmittelbar betreffen. Selbstverwaltung in den politischen Gemeinden, den Kammern und den Sozialversicherungsträgern ist daher Auswirkung, ja Funktion des Subsidiaritätsprinzips und somit eine Konstante der Humanität. Für Christen ist die Selbstverwaltung keine beliebige Angelegenheit, die man auch abschaffen könnte, sondern Teil des Menschseins, der Menschenwürde.

Wer die Selbstverwaltung abschafft oder sie in Frage stellt, handelt gegen ein Prinzip der christlichen Soziallehre und rüttelt am Fundament dieser Gesellschaftslehre.

Wir Menschen können gewisse Dinge in Eigenverantwortung erledigen, und diese soll man uns auch selbst machen lassen. »Die Ruhe« als einzige und erste Bürgerpflicht war ein Slogan des so genannten »Nachtwächterstaates« im Liberalismus. In einer modernen Republik kann der Würde des Menschen nur dann relevant Beachtung geschenkt werden, wenn er durch gewählte Organe die an sich nötige Staatsgewalt kontrolliert und reduziert.

Dazu haben wir die Kammern. Darüber hinaus ist es möglich, die Beiträge der Bürger zum Sozialversicherungssystem durch legitimierte Organe verwalten zu lassen und dem Staat diese Aufgabe abzunehmen. Das ist Ausdruck der Bürgerautonomie und somit des Wesens des Menschen als Person und Subjekt des Wirtschaftsgeschehens.

»Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist für uns die einzige Möglichkeit, kostengünstig hohe soziale Standards zu bieten«

Der Staat ist nicht unser »Lehensgeber«

Die Institution der Selbstverwaltung stellt nach neuer Lehre und Rechtsprechung eine klar begrenzte Ausnahme von der regulären Organisationsstruktur der weisungsgebundenen Bundes- und Landesverwaltung dar. Nach Meinung der Verfassungsrichter gibt es Schranken für den Gesetzgeber, was die Änderungen in der Organisationsform der Selbstverwaltung betrifft.

So muss der Gesetzgeber (Staat) anerkennen, dass die Selbstverwaltung folgende Grundsätze verfolgt, an die man sich, bei sonstiger Verfassungswidrigkeit, halten muss: Die Selbstverwaltung ist autonom, mit Pflichtmitgliedschaft ausgestattet und in Körperschaften öffentlichen Rechts mit eigenem Statut organisiert. Eine etwaige »Beleihung« der Selbstverwaltung durch den Staat mit irgendwelchen Aufgaben scheidet als Verstoß gegen die Unabhängigkeit des Selbstverwaltungskörpers aus. Der Staat ist nur Aufsichtsorgan, aber niemals »Dienstgeber« der Selbstverwaltung. Viele Aktionen der Bundesregierungen der letzten Jahre waren, so meine ich, demnach verfassungswidrig.

Selbstverwaltung ist Ausdruck der republikanischen Bundesverfassung

So wichtig die Gewaltenteilung im Staat, die Organisationsform der Verwaltung, das bundesstaatliche Prinzip und die demokratische Regierungsform auch sind, die Bürger fühlen sich in ihrer Würde erst dann angenommen und bestätigt, wenn der Staat sie ernst nimmt und im Rahmen der politischen Gemeinden eine regionale Selbstverwaltung zulässt. Es ist beispielsweise gefährlich, die Bürgermeister als Behörde und die Gemeinde als Selbstverwaltungsorgan in Frage zu stellen.

Die Alternative zu diesen zweifellos fehleranfälligen Systemen ist die Ausweitung der Staatsmacht bis in die kleinsten sozialen Systeme hinein. Vergleichen wir uns doch mit anderen Ländern: Der staatliche Gesundheitsdienst in Großbritannien hat zu einem Zweiklassengesundheitssystem geführt, in dem die ärmeren Bevölkerungsschichten die schlechteren Karten haben. Die Abwesenheit der Kammersysteme fast überall auf dieser Welt zwingt zu »Tripartitsystemen« oder ähnlichen staatlichen Sozialpartnerlösungen ohne körperschaftliche Autonomie und nur unter Dominanz der Regierungen.

Nur die selbstverwaltete Sozialversicherung in Österreich kann sich rühmen, so extrem niedrige Verwaltungskosten zu haben. Die Defizite in den Krankenversicherungsträgern beruhen eben auf der Tatsache, dass der Staat und die Gebietskörperschaften ihren Aufgaben nicht nachkommen (z. B. zu viele Krankenhausbetten pro Kopf der Bevölkerung) und die Selbstverwaltungskörper der Sozialversicherung für Dinge zahlen müssen, für die sie nicht da sind.

Österreich ist ein kleines Land mit einer kleinbetrieblichen Struktur. Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist für uns die einzige Möglichkeit, kostengünstig hohe soziale Standards zu bieten, weil Selbstverwaltung immer heißt, dass diese Unternehmen nicht auf Gewinn gerichtet sind und keine Akquisitionskosten haben.

Selbstverwaltung ist aber auch ein Gradmesser für die Selbständigkeit der Bürger gegenüber dem Staat. »Res publica« heißt Zusammenschluss mündiger Bürger zur Regelung ihrer gemeinsamen Interessen und Schaffung von Gemeinwohl.

Es sollte uns nach den historischen Erfahrungen des vergangenen Jahrhunderts doch zu denken geben, wenn einige Propagandisten von »mehr Macht den Organen« und »weniger Macht den Körperschaften« reden. Was wollen die? Offenbar wieder mehr Diktatur und weniger Republik!

RESÜMEE

Christlich dominiert?

Einer christlich dominierten österreichischen Bundesregierung blieb es vorbehalten, Strukturen der Selbstverwaltung abzubauen und damit nicht nur gegen die Verfassung, sondern auch massiv gegen den von der katholischen Kirche und auch von Papst Johannes Paul II.
immer wieder betonten Grundsatz der Subsidiarität zu verstoßen.

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Karl Klein (Leiter des Referats für Kollektivverträge im ÖGB und Bundessekretär der FCG) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Mar 2003 00:00:00 +0100 1190322135522 Damals wie heute? Autonome Selbstverwaltung und Demokratie Die demokratisch gebildete Selbstverwaltung der Gemeinden mit ihren autonomen Entscheidungsrechten wird als selbstverständlich und positiv empfunden. Niemand stellt in Frage, dass es einen gewählten Gemeinderat und einen Bürgermeister gibt, der von den Gemeindebürgerinnen und -bürgern selbst bestimmt wurde. Und es ist unbestritten: Wer in einer Ortsgemeinde wohnt, ist Bürgerin und Bürger dieser selbstverwalteten Gemeinde. Es würde wohl ein Aufschrei durchs Land gehen, käme eine politische Partei oder eine Regierung auf die Idee, der Bürgermeister müsse in Zukunft vom Landeshauptmann eingesetzt werden. Das würde mit Sicherheit als Rückschritt für die Demokratie empfunden werden.

Anders verhält es sich bei jenen Selbstverwaltungsbereichen, die - sprechen wir es offen aus - wesentlich dazu beitragen, dass die Arbeitnehmermitbestimmung außerhalb der Betriebe bisher im demokratischen Österreich fester verankert war als in vielen anderen Demokratien - mit den Kammern als wesentlichem Element einer funktionierenden Sozialpartnerschaft und der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung.

Es wird gerne behauptet, diese Selbstverwaltungseinrichtungen seien »ständische« Relikte, Überbleibsel aus einer Zeit, in der die Demokratie noch in den Kinderschuhen steckte, oder aus einer Zeit, in der das Rad der Geschichte für Jahre in vordemokratische Welten zurückgedreht wurde. Die Existenz von Kammern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer würde, so heißt es, ein System des »Korporatismus« einbetonieren, des »Zwangsausgleichs« der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen durch Verbände. Es handelt sich um eine (im sprachlichen Regelwerk des Deutschen nicht vorgesehene) Verkürzung des Wortes »Korporativismus«, das die ständische Ideologie des italienischen Faschismus bezeichnet.

Tatsächlich wurde diese »korporativistische« Ideologie ähnlich auch vom österreichischen »Ständestaat« vertreten. Es lief darauf hinaus, »Kapital« und »Arbeit« unter Staatskontrolle zunächst paritätisch zu organisieren, um die eigenständige Interessenvertretung durch berufsständische Vertretung aufzuheben. Deklariert wurde ein »Dritter Weg« zwischen Sozialismus und Liberalismus, in dem in Konsequenz freie Gewerkschafts- und Arbeitgeberorganisationen keinen Platz hatten.

Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit

Das autonome, selbstverwaltete österreichische Kammersystem und die in ihrer Zusammensetzung damit eng verbundene Selbstverwaltung der Sozialversicherung stehen tatsächlich in klarem Gegensatz zu einer solchen »ständischen« Ideologie, die einen grundlegenden Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen leugnet:

Kammern (für Unternehmer) sind in Österreich 1848 - parallel zum ersten gewählten Parlament - entstanden. Die Sozialdemokratie und die Freien Gewerkschaften lehnten eine entsprechende Einrichtung für Arbeiter vorerst ab, weil sie die Kampagne für das allgemeine Wahlrecht nicht unterlaufen wollten. Über die Kammern wurden Kurien des Reichsrats nach einem keineswegs demokratischen Auswahlverfahren beschickt. Erst nach der Errichtung der Demokratie wurden Kammern für Arbeiter und Angestellte parallel und rechtsgleich mit den Handelskammern durchgesetzt.

Historischer Interessenausgleich

Es ging, wie aus den Quellen zur Gründungsgeschichte zu ersehen ist, um die staatliche Anerkennung des Gegensatzes von »Kapital« und »Arbeit« in der Gesellschaft - und um einen sozialen Interessenausgleich auf dieser Grundlage. Der »Ständestaat« machte die Kammern allerdings zum Teil seines »korporativistischen« Projektes, indem er die demokratisch gewählte Selbstverwaltung der Arbeiterkammern (und damit die politische Unabhängigkeit gegenüber dem Staat) abschaffte. Im Fall der Arbeiterkammern kam es de facto zur Verschmelzung mit dem staatlich verordneten »Gewerkschaftsbund«, ebenfalls einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung.

Mitwirkung in Staat und Gesellschaft

Mit der gesetzlichen Zugehörigkeit ist das Wahlrecht für die Selbstverwaltung der Kammern verbunden. Dieses Wahlrecht für die gesamte gesellschaftliche Gruppe, die einer Kammer zugeordnet ist, macht sie zu einem ergänzenden Teil des demokratischen Repräsentativsystems. Die von hier ausgehende Bestellung der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung ist damit ebenfalls Teil dieses erweiterten demokratischen Repräsentativsystems.

Damit wird der österreichischen Verfassung entsprochen, die vorsieht, dass den Bürgern über die Beteiligung an Wahlen zu den staatlichen gesetzgebenden Körperschaften hinaus die Möglichkeit der Mitwirkung in Staat und Gesellschaft garantiert sein soll.

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Brigitte Pellar (Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sat, 15 Mar 2003 00:00:00 +0100 1190322135463 Interessen vertreten - Verantwortung tragen Obwohl in Österreich wesentliche Grundlagen des Staates auf dem System der Selbstverwaltung beruhen (sei es die Verwaltung der Gemeinden, die Selbstverwaltung der Berufsgruppen in Kammern oder die soziale Selbstverwaltung), ist diese Tatsache in der Bevölkerung wenig bekannt. Eine vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger 1997 in Auftrag gegebene repräsentative Studie belegte, dass rund 72 Prozent der Befragten mit dem Begriff der Selbstverwaltung nichts anzufangen wussten.1) Dieser Wert hat sich inzwischen möglicherweise verändert, insbesondere wenn man bedenkt, dass gerade die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung in den letzten drei Jahren allzu oft zum parteipolitischen Zankapfel geworden ist.

Es ist aber dennoch anzunehmen, dass es nach wie vor an konkretem Wissen um die Aufgaben und die Funktion der Selbstverwaltung mangelt. Und mit Sicherheit haben die vergangenen Auseinandersetzungen, die über die Medien breitest ausgetragen wurden und auf viel Resonanz in der Öffentlichkeit getroffen sind, keine Imageverbesserung für die Selbstverwaltung bewirken können.

Ich denke hier etwa an die Vorgänge rund um die Bestellung des stellvertretenden Generaldirektors der neuen Pensionsversicherungsanstalt im vorigen Jahr.2)

Zielscheibe Sozialversicherung

Die Selbstverwaltung als ein System, das für viele Bürgerinnen und Bürger nicht ausreichend erlebbar und nachvollziehbar ist, stellt eine leichte Zielscheibe für politische Angriffe dar. Privilegienrittertum sowie scheinbar undurchschaubare Macht- und Einflussverflechtungen werden öffentlichkeitswirksam aufgezeigt. Und jene, die sich dabei in der Rolle großer »Aufdecker« und »Ausmister« gefallen, verfolgen mit Sicherheit nicht das Ziel, die Selbstverwaltung effizienter und moderner weiterzuentwickeln. Im Gegenteil - gerade am Beispiel der Sozialversicherung zeigt sich, dass die Angriffe auf die Selbstverwaltung letztlich einem direkten Zugriff des Staates auf die Sozialversicherung dienen sollen und in der Konsequenz generell die bestehenden sozialen Sicherungssystem in Frage gestellt werden. Die so genannte »Reform« des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, mit der sich die schwarzblauen Regierungsverantwortlichen handfeste Einflussnahme gesichert haben, kann als ein Beispiel für dieses Vorhaben herangezogen werden.

Um diese Entwicklungen besser aufzeigen zu können, ist es, wie ich meine, erforderlich, das Wesen der Selbstverwaltung in der Öffentlichkeit bekannter und greifbarer zu machen. Zweifelsohne ist dafür vor allem das Engagement der Interessenvertretungen der Arbeitnehmer gefragt, und hier muss durchaus selbstkritisch angefügt werden, dass entsprechende Bemühungen bislang zu wenig konsequent erfolgt sind.

Die Versicherten selbst verwalten die Sozialversicherung

Die österreichische Sozialversicherung wird von ihren Versicherten selbst verwaltet: Die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer sowie der Arbeitgeber entsenden Vertreter zur Führung der Geschäfte der Sozialversicherung. Ich bezeichne die Selbstverwaltung als das Herz und den lebendigen Kern der gesetzlichen Sozialversicherung. Sie ist als solche für die Gesetzesumsetzung sowie für die Interessenvertretung der Versicherten zuständig, so etwa im Rahmen von Gesetzesbegutachtungsverfahren.

Als ich 1997 die Funktion des Hauptverbandspräsidenten angetreten hatte, betonte ich, dass die gesetzliche Sozialversicherung ihre Vorstellungen nur gemeinsam mit dem Bundesgesetzgeber verwirklichen könne, nie gegen ihn. Es könne also seitens der Selbstverwaltung keine willenlose und kritikfreie Unterordnung geben, sondern es müsse vielmehr der Anspruch gelebt werden, auch künftig in den Dialog um die Gesetzeswerdung und die Begutachtung von Gesetzen eingebunden zu sein. Es müsse die Freiheit gewahrt werden, konstruktive Kritik üben zu können, wenn es um die Vertretung von Versicherteninteressen geht. Mit diesen Grundsätzen habe ich meiner Aufgabe ein Selbstverständnis zugrunde gelegt, das sich ausschließlich den Interessen der Versicherten verpflichtet sieht und das Unabhängigkeit gegenüber der Bundesregierung wahrt - ganz gleich, wie sich diese parteipolitisch zusammensetzen mag.

FAKTEN

Selbstverwaltung weiterentwickeln

Zurzeit äußern sich die Angriffe auf die gesetzliche Sozialversicherung nicht selten in Form von Untergriffen gegen die Vertreter der Selbstverwaltung.

Mit dem wachsenden parteipolitischen Zugriff auf die Sozialversicherung versucht man, die Bedeutung der Selbstverwaltung sukzessive zu untergraben. Es liegt in dieser Situation bei der Selbstverwaltung selbst, entsprechende Gegenakzente zu setzen und damit sicherzustellen, dass unser über lange Zeit bewährtes Modell der sozialen Sicherheit auch künftig erhalten bleibt.

Es gilt daher, die Bekanntheit der Selbstverwaltung in der Öffentlichkeit zu verbreitern und ihre Aufgaben, ihre Funktion und ihre Bedeutung nachvollziehbarer zu machen. Gleichermaßen braucht es eine gemeinsame Strategie von Dienstnehmern und Dienstgebern, auf deren Grundlage sich die Selbstverwaltung für kommende Anforderungen und Herausforderungen fit macht und sich als moderne, effiziente und solidarisch getragene Geschäftsführung behaupten kann.

Selbstverwaltung sichert parteipolitische Unabhängigkeit

Mit einem solchen Prinzip der Versichertenorientiertheit ist das System der Selbstverwaltung, wie ich meine, untrennbar verbunden. Der Aufbau der Selbstverwaltung ist kein Abbild der Parteipolitik, sondern zielt vielmehr darauf ab, Dienstnehmer und Dienstgeber als die maßgeblichen wirtschaftlichen Kräfte der Arbeitswelt in die Geschäftsführung der Sozialversicherung einzubinden. Diese Einbindung und dieses gemeinsame Tragen von Verantwortung sichern einen sozialen Ausgleich von Interessen und gewährleisten, dass Entscheidungen und Strukturen von beiden Gruppen gleichermaßen mitgetragen werden. Dadurch wird einerseits verhindert, dass eine der beiden Gruppen das Sozialsystem für egoistische Zwecke ausnützen kann, und dass andrerseits eine andere Gruppe vielleicht zu wenig Nutzen und Leistungen bezieht und sich somit aus dem System zurückziehen will.

Im Sinne dieses Anspruches funktioniert dieses System auch nur dann, wenn die Geschäftsführung der Sozialversicherung im Wege der Selbstverwaltung aus Dienstnehmern und Dienstgebern gebildet wird. Reduziert man die Aufgaben dieser beiden Gruppen auf bloße Aufsichtsratsrollen - wie dies etwa durch die ÖVP-FPÖ-Regierung bei der Umgestaltung des Hauptverbandes geschehen ist -, ist eine sozial ausgewogene Interessenvertretung nicht mehr zufrieden stellend zu erfüllen.

Nah am Versicherten, nah an der Praxis

Der Ausgleich von Interessen und das Erfordernis, Kompromisse zu schließen, sind somit Charakteristika der Selbstverwaltung und die Grundvoraussetzungen für das solidarische Funktionieren der Sozialversicherung und für eine zeitgemäße Weiterentwicklung ihrer Strukturen und Leistungen. Die Selbstverwaltung durch Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter bedeutet aber auch Nähe zu den Versicherten, Wissen über die betriebliche Praxis und somit individuelle und faire Entscheidungen. Denn die Funktionen der Selbstverwaltung werden ehrenamtlich wahrgenommen: Die für die Geschäftsführung der Sozialversicherung verantwortlichen Versichertenvertreter haben ihren Hauptberuf als Betriebsräte oder Gewerkschaftsfunktionäre, als Funktionäre der Wirtschaftskammer oder als Unternehmer. Ihre tagtäglichen Erfahrungen in ihren beruflichen Umfeldern prägen ihre Entscheidungen und ihre Positionen in der Sozialversicherung, etwa im Vorstand oder in der Generalversammlung oder wenn es um die Zuerkennung einer Invaliditätspension oder eines Heilverfahrens geht.

Der einzelne Versicherte kann somit die Gewissheit haben, dass Entscheidungen, die für ihn persönlich weit reichende Bedeutung haben können, nicht nur auf medizinischen Gutachten fußen, sondern auch von eigenen Interessenvertretern überprüft und mitgetragen werden. Der Versicherte steht somit auch nicht einer anonymen Behörde gegenüber, die starr nach den Anweisungen des Gesetzgebers zu handeln hat. Vielmehr hat er die Möglichkeit, seinen Nöten und Problemen über seine jeweiligen Vertreter Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Misswirtschaft und Privilegientum sind wohl die populärsten Vorhaltungen, mit denen sich die Selbstverwaltung konfrontiert sieht. Es sind dies auch nicht selten die einzigen Assoziationen, die auch von jenen angeführt werden, die ansonsten zugestehen, nichts Konkretes mit dem Begriff Selbstverwaltung verbinden zu können.
Verflochten solidarisch: Die im Hauptverband zusammengefassten Versicherungssysteme

Kostengünstige Verwaltung

Dass diese Vorurteile weit von den realen Gegebenheiten entfernt sind, beweisen die trockenen Zahlen und Fakten: Die Kosten für die Selbstverwaltung in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung betragen insgesamt nur 0,02 Prozent der jährlichen Gesamtausgaben. Damit entfällt auf einen Beitragszahler ein Anteil von unter einem Euro jährlich für die Selbstverwaltung.

Bedenkt man, dass die gesetzliche Sozialversicherung mit rund 28.000 Beschäftigten und einem jährlichen Gesamtausgabenvolumen von rund 33,5 Milliarden Euro (im Vergleich: Die Ausgaben des Bundes betragen rund 56,8 Milliarden Euro) einen der bedeutendsten Wirtschaftsfaktoren unseres Landes darstellt, ist dieser Anteil umso beachtlicher. Es ist auch wichtig, darauf hinzuweisen, dass es falsch ist, die Ausgaben der gesetzlichen Sozialversicherung nur als bloße Kosten und Belastungen der Beitragszahler zu bezeichnen. Diese Abgaben fließen vielmehr als Pensionen, als Krankengelder, als Honorare und so fort in die Volkswirtschaft zurück und spielen somit als Stabilisatoren der heimischen Wirtschaft eine wesentliche Rolle. Die Sozialversicherung trägt somit gleichzeitig Wesentliches zur Sicherung des sozialen Friedens sowie zur Aufrechterhaltung der Konjunktur bei. Beides Faktoren, die das Argument der vermeintlichen Standortminderung durch die Beiträge zur Sozialversicherung deutlich relativieren.

Trotz dieser Eckdaten herrscht in der Öffentlichkeit immer mehr das Vorurteil, die Sozialversicherung in der bestehenden Form sei ein Kostenmoloch, der nicht mehr lang leistbar sein wird. Rezepte werden in dieser Situation parat gehalten, mit welchen die Sozialversicherung zu ersetzen oder zumindest zu verbilligen sei. Zwar wurde jenen, die diese Rezepte propagieren, durch die letzten Börsencrashs etwas der Wind aus den Segeln genommen, und die Diskussion Pflichtversicherung versus Versicherungspflicht ist in letzter Zeit deutlich abgeebbt.

Der riesige Kuchen, den die Ausgaben der gesetzlichen Sozialversicherung aus der Sicht der privaten Wirtschaft darstellen, bleibt aber mehr denn je eine Verlockung, um die auch künftig gekämpft werden wird.

1) Siehe "Arbeit&Wirtschaft" 4/2000, Seite 24: »Selbstverwaltung heißt Selbstverantwortung« von Tom Schmid
2) Anmerkung der Redaktion: Gemeint ist Reinhard Gaugg

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Hans Sallmutter, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA) und Vizepräsident des ÖGB (FSG) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1190322135228 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322122639 Für eine breitere Basis zur Finanzierung der sozialen Sicherheit: Warum keine Wertschöpfungsabgabe? 1. Was ist die Wertschöpfungsabgabe?
Die Wertschöpfungsabgabe leitet ihre Bezeichnung davon ab, dass die Wertschöpfung eines Betriebes alternativ zur Lohn- und Gehaltssumme als Beitragsbasis für Sozialleistungen dienen soll. Mit dem Anknüpfen an die Wertschöpfung wird die Bemessungsgrundlage breiter. Die Leistungsfähigkeit des Unternehmens soll zum Gradmesser werden, nicht allein die Lohnsumme.

2. Welche Komponenten enthält die Wertschöpfung?
Die Wertschöpfung enthält nach wie vor als größte Komponente die Lohnsumme, dazu kommen Abschreibungen, Gewinne, Fremdkapitalzinsen, Mieten und Pachten, Steuern.

3. Warum Wertschöpfungsabgabe?
Mit zunehmender Arbeitslosigkeit wird die hohe Abgabenbelastung der Arbeitskosten immer stärker als beschäftigungshemmend angesehen. Die hohe Besteuerung des Faktors Arbeit im Verhältnis zur Besteuerung des Faktors Kapital vermindert den Einsatz von Arbeit in der Produktion bzw. führt zu seiner Ersetzung durch Maschinen.

Probleme bei der Finanzierung der Sozialversicherung haben dazu geführt, dass nach zusätzlichen und breiteren Finanzierungsquellen gesucht wurde.

In Österreich kommt als spezieller Beweggrund der Umstand hinzu, dass aus den lohnbezogenen Beiträgen zum Familienlastenausgleich in erheblichem Umfang auch Leistungen an Selbständige (Bauern und Gewerbetreibende) finanziert werden.

4. WIFO-Studie: Umstellung der Finanzierung des FLAF (Familienlastenausgleichsfonds)
Die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe zur Finanzierung von Sozialleistungen, oft bezeichnet auch als »Umbasierung« der Sozialversicherungsbeiträge, kann aufkommensneutral erfolgen. In diesem Fall kann der Beitragssatz
gesenkt werden, da er auf einer breiteren Bemessungsgrundlage angewendet wird. So ist eine aufkommensneutrale Umbasierung der Beiträge zum FLAF auf die Wertschöpfung mit einer Senkung des Beitragssatzes von derzeit 4,5 Prozent auf 2,5 Prozent verbunden.

5. Wer verliert, wer gewinnt durch eine Wertschöpfungsabgabe?
Da der Anteil der Lohnes an der Wertschöpfung zwischen den Branchen erhebliche Unterschiede aufweist, kommt es bei einer aufkommensneutralen Umstellung sowohl zu Entlastungen als auch zu Mehrbelastungen. Mehr Beiträge hätten kapitalintensive Branchen wie Energiewirtschaft, Banken, Versicherungen sowie die Landwirtschaft zu leisten, entlastet würden Industrie und Gewerbe insgesamt, der Handel und der Bausektor.

6. Positive Beschäftigungswirkung der Wertschöpfungsabgabe
Von einer aufkommensneutralen Umstellung ist eine beschäftigungssteigernde Wirkung zu erwarten. Da die Abgabenbelastung der Arbeitskosten gesenkt und jene auf das Kapital erhöht wird, kommt es zu einer relativen Verbilligung der Arbeit, die deshalb vermehrt in der Produktion eingesetzt wird.

In einer WIFO-Studie wurde die Beschäftigungswirkung einer Umstellung der FLAF-Finanzierung untersucht. Mittelfristig könnte die Beschäftigung aufgrund dieser relativ geringfügigen Änderung um 21.000 Arbeitsplätze zunehmen.

7. Entsteht die positive Beschäftigungswirkung nicht auch durch Lohnverzicht?
Eine Lohnsenkung führt auch zu einer Senkung der Arbeitskosten, aber bei dieser Argumentation bleibt die Nachfrageseite unberücksichtigt. Die beschäftigungserhöhende Wirkung der relativ billiger gewordenen Arbeit würde nicht eintreten, da gleichzeitig die Lohnempfänger ihre Nachfrage vermindern würden.

8. Weitere Argumente: Sinkende Lohnquote
Wenn die Lohnquote wie in den letzten 15 Jahren eine sinkende Tendenz hat, so hätte eine zum Zeitpunkt der Umstellung aufkommensneutrale Einführung der Wertschöpfungsabgabe mittel- und längerfristig auch eine Steigerung des Beitragsaufkommens zur Folge, da die erweiterte Bemessungsgrundlage rascher zunimmt als die Lohnsumme.

9. Beitrag der Unternehmer zur Finanzierung des Sozialstaates
sinkt nicht so stark im Falle von Kündigungen bzw. Entlassungen.
Jene Unternehmen, die nur Rationalisierungsinvestitionen vornehmen und Arbeitnehmer kündigen, entziehen sich dadurch auch einer adäquaten Finanzierung des Sozialstaats. Durch eine Wertschöpfungsabgabe ist dies nicht so leicht möglich.

10. Ist die Wertschöpfungsabgabe ein Maschinenkiller?
Die Wertschöpfungsabgabe wird mitunter auch als »Maschinensteuer« bezeichnet. Dies ist insofern unzutreffend, als durch eine Wertschöpfungsabgabe zwar die Abschreibungen besteuert werden sollen, nicht aber einseitig Maschinenankäufe.

Es geht also nicht um eine einseitige Belastung des Faktors Kapital, sondern um eine gleichmäßige Belastung aller Komponenten der Wertschöpfung.

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Günther Chaloupek (AK Wirtschaftswissenschaftliche Abteilung) & Georg Kovarik (ÖGB - Volkswirtschaftliches Referat) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322122573 Die Weichen zur Privatisierung der Bildung sind längst gestellt | Darf Marlboro eine Volksschule in Wörgl betreiben? Das weltweite Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen »General Agreement on Trade in Services - GATS« wird derzeit von der Welthandelsorganisation WTO wie schon Mitte der neunziger Jahre im Wesentlichen unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Genau diese wird aber massiv betroffen sein. Betroffen von der Liberalisierung ist auch die Bildung.

Die wenigsten Länder sind in diesem wichtigen Bereich Verpflichtungen eingegangen. Lediglich 30 der 145 WTO-Mitglieder haben in Bildungsbereichen einer Liberalisierung zugestimmt. Das betrifft auch die EU und ihre Mitglieder. Die EU ist Mitglied der WTO und ihre Handelspolitik folgt bekanntlich gemeinsamen Grundsätzen. Zwölf der 15 EU-Mitgliedstaaten gewähren derzeit durchgängig Marktzugang und Behandlung für die »Erbringungsart 2«, den Konsum im Ausland. Dem Marktzugang für Niederlassungen hat die EU im primären und sekundären Bildungsbereich zugestimmt. Bei der Erwachsenenbildung wurde gänzlich liberalisiert, wenn man vom »grenzüberschreitenden Personenverkehr« absieht.

Dicker Kuchen

In diesem Zusammenhang muss man darauf hinweisen, dass der Bildungssektor in den OECD-Staaten durchschnittlich 5,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beansprucht. Rund 80 Prozent dieser Ausgaben betreffen unmittelbar die öffentliche Finanzierung. Dem entsprechend hat die EU schon seinerzeit eine Subventionsbeschränkung für die öffentlichen Dienstleistungen in ihren Mitgliedstaaten festgelegt.

Österreich hatte schon vor dem EU-Beitritt, 1994/95, die Liberalisierung im primären und sekundären Bildungssektor befürwortet. Weder die Bildungsexperten der Sozialpartner noch das Bildungsministerium wurden vom damaligen Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel in diesen Entscheidungsprozess eingebunden. So würde der gesamte Schulbereich ohne Einschränkung für eine weitgehende Privatisierung freigegeben. Selbst der derzeitige Wirtschaftsminister Martin Bartenstein verfügt anscheinend über keine ausreichende Information, wenn er dem ÖGB in einer Presseaussendung eine Fehlinformations- und Verunsicherungspolitik vorwirft und betont, dass für den Bildungsbereich keine Liberalisierung vorgeschlagen wird: »Die Befürchtungen entbehren jeder Grundlage.«

»Selbst der derzeitige Wirtschaftsminister Martin Bartenstein verfügt anscheinend über keine ausreichende Information«

Subvention für Profite?

Ein Schuss, der nach hinten losgehen könnte. In Anbetracht der uneingeschränkten Freigabe des gesamten Schulbereichs liegen die Befürchtungen, was die Linie des Wirtschaftsressorts bei den weiteren GATS-Verhandlungen betrifft, auf der Hand. Durch die bereits durchgeführte Liberalisierung im Schulbereich können WTO-Mitglieder zum Beispiel bei Angeboten im Privatschulbereich dieselbe Behandlung wie Inländer beanspruchen. Wenn man bedenkt, dass fast das gesamte Schulwesen öffentlich finanziert wird, zeichnet sich eine dramatische Entwicklung ab, denn selbst das private Schulwesen wird beinahe zur Gänze subventioniert. Dies resultiert größtenteils aus den Bestimmungen des Konkordats. Dieser Staatsvertrag könnte nur im Einvernehmen mit dem Vatikan geändert werden. Eine sorgfältige Prüfung und entsprechende Abänderung des Privatschulgesetzes erscheint aber unvermeidbar, wenn es Österreich bei den laufenden GATS-Verhandlungen nicht gelingt, eine Subventionsbeschränkung für öffentliche Bildungsdienstleistungen durchzusetzen.

Fehlende Information

Dies würde dem Standard der anderen EU-Länder entsprechen. Sonst könnten sich ausländische »Bildungsanbieter« diskriminiert fühlen und in Folge ebenso öffentliche Subventionen verlangen. Was das angesichts der angespannten Budgetsituation bedeuten würde, bedarf keiner weiteren Erklärung. Es wird aber nicht von jedem gerne gehört. Eine korrekte Informationspolitik seitens des zuständigen Wirtschaftsressorts fehlt. Sonst könnten ja die wahren Ausmaße dieser Regelungen einer breiten Öffentlichkeit bewusst werden.

Auch das Bildungsministerium kommt seit Jahren in diesem Bereich seinen Aufgaben nicht nach. Nicht einmal das österreichische Schulrecht wurde dem GATS-Vertrag angepasst.

Erst nach mehrfachen Hinweisen von Arbeitnehmerseite wurde zugesagt, dass man sich um eine Subventionsbeschränkung bei öffentlichen Bildungsdienstleistungen bemühen werde. Dies wurde von der EU-Kommission positiv zur Kenntnis genommen, schließlich soll eine einheitliche EU-Regelung ermöglicht werden. Allerdings ist zu hoffen, dass Österreich nicht im Gegenzug mit umfangreichen Kompensationsforderungen konfrontiert wird. Die Experten der Arbeiterkammer fordern hier eine klare, starke Verhandlungslinie zu Gunsten der österreichischen »Bildungsnehmer«. Das Bildungsministerium machte allerdings bei Gesprächen mit den Sozialpartnern klar, dass Österreich weitere Zugeständnisse in Richtung Liberalisierung machen wird, wenn es bei den Verhandlungen unter Druck gerät. Die Lernbereitschaft der Verhandler hält sich offenbar in Grenzen.

»Das Bildungsministerium machte klar, dass Österreich weitere Zugeständnisse in Richtung Liberalisierung machen wird«

Exportgut Bildung

Im Hochschulbereich wächst der internationale Handel mit Bildungsdienstleistungen stark an. Führender Exporteur in diesem Sektor sind die USA. Viele europäische Studenten nützen private US-Unis. Der Handel mit dem Gut Bildung nimmt bereits den fünften Rang unter den US-Dienstleistungsexporten ein. Für die neuen GATS-Verhandlungen haben die US-Bildungskonzerne ihrer Regierung bereits einen Wunschkatalog diktiert. Die Forderungen der USA an Österreich und die EU umfassen eine befristete Arbeitsmigration von Lehrpersonal, die Anerkennung von Zertifikaten, Erleichterungen von ausländischen Niederlassungen und Eigentumsrechte an US-Bildungsmaterialien. Hier ist Österreich noch keine Verpflichtungen eingegangen.

Schritte in Richtung der Liberalisierung von Privatuniversitäten - unabhängig von GATS - wurden jedoch gesetzt. Das bestehende Subventionsverbot des Bundes im Akkreditierungsgesetz für Privatuniversitäten soll gegebenenfalls - also wenn die Verhandler unter Druck kommen - als Beschränkung in die Verpflichtungslisten aufgenommen werden. Diese Vorgangsweise kann nur als absurd bezeichnet werden, wenn man bedenkt, dass mittlerweile in Tirol und Salzburg zwei Privatuniversitäten seitens der Länder große Summen aus öffentlicher Hand erhalten. Die ausländischen Anbieter könnten auch hier auf Diskriminierung verweisen und Subventionen verlangen. Das Bildungsministerium vernachlässigt also österreichische und öffentliche Interessen.

Für den Bereich der Fachhochschulen (FH) lehnt das Bildungsministerium eine Liberalisierung aufgrund der hohen Bundesförderungen ab. Hier werden keine weiteren Probleme gesehen, da FHs, so die Interpretation des Ministeriums, sowieso nur von inländischen juristischen Personen gegründet werden können. Laut Gesetzestext kann davon aber keine Rede sein. Dort spricht man nur von »juristischen Personen öffentlichen Rechts« (FHStG). Bekanntlich können das natürlich auch ausländische Geschäftsleute sein. Interessant, wenn man bedenkt, dass das GATS zwischen staatlichen und privaten Universitäten oder Fachhochschulen nicht unterscheidet.

R E S Ü M E E

Vorerst ist es der Arbeitnehmerseite gelungen, ein Liberalisierungsangebot Österreichs im Hochschulbereich zu verhindern. Die Vertreter der österreichischen Regierung sind aufgefordert, bei dieser GATS-Verhandlungsrunde die Interessen des öffentlichen Bildungssektors zu wahren.

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I. Kaizar http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322122504 Arbeit & Wirtschaft - Leserforum Schüssel und die Telefonzelle

Liebe Redaktion!

Den jüngsten Witz schon gehört? Worin besteht der Unterschied zwischen Bundeskanzler Schüssel und einer Telefonzelle? Ganz einfach: In der Telefonzelle wird zuerst gezahlt und dann gewählt!

Dorothea Schreyvogel, Internet

Hausgemachte Probleme

Sehr geehrte Redaktion!

Mit der Neugestaltung hat Ihre Zeitung sehr gewonnen. Sie ist jetzt lockerer geworden, das tut gerade den Themen gut, die man eigentlich gar nicht gerne liest, obwohl oder gerade weil sie uns Arbeitnehmer betreffen.

Jeder Mensch, der schon einmal eine Nummer beim Ausgabeautomat im AMS gezogen hat, weiß, wie schnell sich die Lebenseinstellung verändert, wenn man Arbeitslose oder Notstandshilfe bezieht, falls einem überhaupt dieses Recht zugestanden wird. Ich kenne viele, die sich heimlich schämen und zu Hause verkriechen, weil sie die ständigen Absagen auf dem Arbeitsmarkt so kränken. So ist es zwar kein Trost, aber hilfreich, immer wieder Hintergrundinformationen über die strukturellen und vor allem hausgemachten Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu erfahren. Hilfreich fürs rasche Verstehen komplexer Dinge in der neuen A&W sind auch die übersichtlichen Begriffserklärungen.

Gerda Raab, Internet

Wechselwarme Bäder

Liebe Redaktion!

Die neue Verpackung ist ansprechend, dabei hätte der wie immer interessante Inhalt eures Heftes sie gar nicht notwendig gehabt. Natürlich stürzt einen das neue Heft vor allem in Zeiten wie diesen immer in ein Wechselbad der Gefühle. Heiß und kalt!!! Das heißt heutzutage: Heiße Zustimmung zu fast allem, was da steht, aber kalte Wut angesichts der Ereignisse, die eure Autoren kommentieren bzw. kommentieren müssen. Wie sehr wünsche ich mir langweilige »Arbeit&Wirtschaft«-Hefte! Nämlich in dem Sinne, dass sowieso alles klappt im Staate. Aber ich fürchte sehr, dass die Zeiten spannend bleiben und man sich weiterhin über die Übereinstimmung im großen NEIN freut, aber so gar nicht über die Anlässe.

Karl Mayer, Wien 17

Lob für Professor Rothschild

Sehr geehrte Redakteure!

Wie immer gefielen mir auch in eurem Märzheft die historischen Geschichten besonders gut. Leider rückt uns die Historie auf die Pelle. Die Zeichnungen und Fotos aus der Ersten Republik werden bald wieder aktuell sein. Lob auch für den Artikel von Professor Rothschild. Mit seiner Kritik an der neoliberalen Politik der EU spricht er aus, was ich mir schon lange denke. Dabei bin ich ein begeisterter Europäer.

Theo Fischer, Linz

A K T U E L L

Kriegslied

’s Ist Krieg! ’s ist Krieg! O Gottes Engel wehre

Und rede Du darein!

’s Ist leider Krieg - und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

Was sollt ich machen, wenn im Schlaf mit Grämen

Und blutig, bleich und blaß

Die Geister der Erschlagnen zu mir kämen

Und vor mir weinten, was?

Wenn wackre Männer, die sich Ehre suchten,

Verstümmelt und halb tot

Im Staub sich vor mir wälzten und mir fluchten

In ihrer Todesnot?

Wenn tausend, tausend Väter, Mütter, Bräute,

So glücklich vor dem Krieg,

Nun alle elend, alle arme Leute,

Wehklagten über mich?

Wenn Hunger, böse Seuch und ihre Nöten

Freund, Freund und Feind ins Grab

Versammleten und mir zu Ehren krähten

Von einer Leich herab?

Was hülf mir Kron und Land und

Gold und Ehre?

Die könnten mich nicht freun!

s’Ist leider Krieg - und ich begehre

Nicht schuld daran zu sein!

Matthias Claudius (1740-1815)

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Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322122462 Standpunkt | Nehmen und Geben Während man den arbeitenden Menschen in Österreich ein Viertel, ein Drittel oder gar die Hälfte ihrer Pensionen wegnehmen will, häufen sich die Steuergeschenke für die obersten Schichten.

Eine Aufstellung über Geschenke 2003:
Private Altersvorsorge (bereits erfolgt) … 200 Mio.EUR
Rücklagen für nicht entnommene Gewinne - halber Steuersatz … 400-600 Mio.EUR

Lohnnebenkostensenkung
für Unternehmer … 140 Mio.EUR
Agrardiesel … 100 Mio.EUR
Landwirtschaft … 93 Mio.EUR
Abschaffung der Anzeigen- und Ankündigungsabgabe (Werbesteuer) … 80 Mio.EUR
Ergibt in Summe über 1 Milliarde EUR

Sie sehen also, die mehr als eine Milliarde Euro, die unseren Pensionen durch diese »Reform« eingespart wird, gibt man mit der anderen Hand wieder an die Unternehmer weiter:

Nehmen und Geben

Christoph Leitl von der Wirtschaftskammer meldet stolz einen Erfolg für Kleinunternehmer und Betriebsgründer: Die zu zahlenden Krankenversicherungsbeiträge wurden mit Jänner 2003 praktisch halbiert. Das betrifft immerhin 70.000 Gewerbetreibende und 30.000 Jungunternehmer. Gleichzeitig wird die Allgemeinheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit der Meldung erfreut, dass es weitere Selbstbehalte im Krankheitsfall geben soll: Nehmen und Geben.

Und bitte, glauben Sie nicht, das Geld wird durch Einsparungen und Reformen in der Verwaltung aufgebracht: Das sind unsere Steuergelder!

Geben ist seliger denn Nehmen

Heißt es in der Bibel. In diesem Sinne hat der Papst immer noch Recht, der einst Österreich als eine »Insel der Seligen« bezeichnete. Nach diesem Vergleich wären wir alle aber lieber unselig. Es wäre für uns an der Zeit aufzuwachen.

Wir wachen auf, blicken verwundert um uns und erkennen die Welt nicht mehr. Nichts ist mehr, wie es war. Das ist der Menschheit schon öfter passiert. Im August 1914 zum Beispiel. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges war das alte Europa wieder einmal unwiderruflich dahin. Den Österreichern erging es so am 5. März 1933, sie wachten auf und hatten kein Parlament und keine Demokratie mehr, dafür die Diktatur des »Millimetternich« Engelbert Dollfuß. Auch an den 12. Februar 1934 kann man nicht oft genug denken.

Nichts als überzogene Vergleiche, in keiner Weise passend auf das, was jetzt passiert, lauter Übertreibungen? Hoffen wir es! Geschossen wird nicht, wie einst am 12. Februar. Auch geht die Demokratie nicht unter. Bloß können in allen europäischen Ländern die Bürger mit ihren Stimmen immer weniger bewegen. Zu Kaisers Zeiten hieß es: »Gegen Demokraten helfen nur Soldaten!« Heute können es in vertrauliche Verhandlungsrunden delegierte Entscheidungen (Stichwort GATS) genauso gut. Internationale Abmachungen, von denen in keinem Wahlkampf die Rede war, von denen »das niedere Volk« nur bruchstückweise erfährt, die aber das Leben jedes Menschen tief greifend verändern und die für alle Staaten bindend sind, helfen gegen Demokraten genauso gut, nein, viel besser als Soldaten.

Was hat der Krieg im Irak mit dem Sozialabbau in Österreich gemeinsam? Beide passen in einen weltweiten Trend, Entscheidungen auch gegen den Willen breiter Wählerschichten, ja notfalls selbst gegen den Willen qualifizierter Mehrheiten rücksichtslos durchzuziehen. Einige wichtige EU-Staaten sind - zum Glück! - gegen den Krieg der USA gegen Saddam Hussein ohne Deckung durch den Sicherheitsrat der UNO.

Wir wachen auf, blicken verwundert um uns und erkennen die Welt nicht mehr: Wir im kleinen Österreich waren vielleicht so verwundert über die Dreistheit des schwarzblauen Raubzuges, dass wir gar nicht merkten, wie gefährlich gut diese Regierung in einem internationalen Trend liegt. Nicht in DEM internationalen Trend, denn noch hat die Demokratie in Europa nicht ausgespielt. Selbst die deutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di mit ihren staunenswerten Erfolgen ist ja nur eine der Kräfte, die den neoliberalen Tendenzen Widerstand entgegensetzen.

»Mann der Arbeit, aufgewacht, und erkenne deine Kraft«, heißt es in einem alten Arbeiterlied. Mögen alle arbeitenden Menschen aufwachen. Darauf setze ich.

Siegfried Sorz

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Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322122459 Geplante Pleite | Wie ein Wiener 1200 Baufirmen gründete Vordergründig ist alles legal, die Arbeiter werden bisweilen sogar bei der Krankenkasse angemeldet. Durch die Finger schauen sie nach getaner Arbeit dennoch. Das Gesetz ist nicht nur machtlos, sondern straft mitunter sogar den Betrogenen.

Für Mehmet kam das Inserat gerade zur rechten Zeit: »Für Demontagen und Abbrucharbeiten tüchtige, verlässliche Hilfskräfte zum sofortigen Arbeitseintritt gesucht. Mehmet nennt sich in Österreich Michael. Der Herr, der sich unter der im Inserat angegebenen Handy-Nummer meldete, nannte sich »Herr K.«. »Herr K.« trug Sonnenbrille und Aktentasche und erinnerte Mehmet-Michael an »Mann wie aus Film«. Der junge Bulgare raucht Kette, weil »viel Probleme«, und wirft, wenn er lacht, sein Gesicht in tiefe, lustige Falten. Trotz seines Pechs lacht er viel, auch über sich selbst und das, was ihm passiert ist.

Ohne Wissen umgemeldet

Er mietete ein kleines Zimmer im zweiten Wiener Gemeindebezirk, doch die Erfüllung seines Traumes, Frau, Sohn und Tochter aus der Einzimmerwohnung am Stadtrand von Sofia an den Donaukanal zu holen, hat er jetzt wieder in die Zukunft verschoben. Er war einer von 36 Bauarbeitern, die sich im vorigen Jahr auf das Inserat meldeten. Für die Firma »M. Haslinger Bau- und Transport KEG« - so glaubte er zumindest - schleppte er wochenlang Rigipsplatten und montierte sie mit je 12 Schrauben pro Platte an Wände. »Viele Tausend Schrauben, vielleicht«, sagt er und surrt zur Illustration wie ein Akkuschrauber. Drei Monate schufteten er und seine Kollegen auf vier Wiener Baustellen, Vermittler war Herr K. gewesen. »Ich habe vieles gesehen«, meint Mehmet rückblickend, vieles, »nur kein Geld.«

Die 36 Arbeiter werden derzeit von der AK Wien vertreten, um ihnen gerichtlich zu ihrem Lohn von insgesamt 60.000 Euro zu verhelfen. (Siehe Interview mit Herbert Tumpel). Sie würden, ohne ihr Wissen, der Reihe nach auf die Subfirmen »L. Angelovic Bau- und Transport KEG«, »M. Köstlbauer Bau- und Transport KEG« und »F. Leermüller Bau- und Transport KEG« umgemeldet. Diese Firmen sind bereits in Konkurs gegangen oder stehen unmittelbar davor. Sie haben vom Generalunternehmen, für das sie als Subunternehmen tätig waren, kassiert. Die Arbeiter wurden um den Lohn betrogen.

Täglich drei Scheinfirmen

»Das sind keine Einzelfälle, sondern das ist Betrug mit System«, sagt AK-Präsident Herbert Tumpel. »Acht von zehn Baufirmen, die in Konkurs gehen, sind schon solche Scheinfirmen. Jeden Tag werden drei solcher Firmen gegründet. Da werden Arbeitnehmer systematisch um ihr Geld betrogen, und Millionen an den Krankenkassen vorbeigewirtschaftet - Millionen, die für das Pensions- und das Gesundheitssystem dringend notwendig wären.«

Ein regelrechter »Gründerwahn« scheint die Baubranche befallen zu haben. Ein einziger Wiener hat gar 1200 Baufirmen gegründet. Gegen ihn ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Einziges Unternehmensziel der auf Vorrat aus dem Boden gestampften Subunternehmen von Subunternehmen: Abkassieren und Auflösung der Firma.

Die Gründungsgeschichte - immer nach dem gleichen Muster - hat die AK Wien aufgezeichnet. Kapitel eins: Eine oder mehrere Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GesmbH) werden gegründet. Die Notare sind - merkwürdig! - immer dieselben. Ihnen kann nicht vorgeworfen werden, dass sie im Moment der Firmengründung die Steuerhinterziehungsabsicht nicht erkannt haben. Belangt werden können sie, wie im Fall des emsigen Gründers, höchstens wegen Verletzung berufsrechtlicher Normen. Etwa wenn die Gründung im Wirtshaus oder ohne beeideten Dolmetsch erfolgt. Das gesetzliche Mindeststammkapital von 35.000 Euro wird durch eine simple Bankbestätigung nachgewiesen, ein Vertrag mit den Geschäftsführern wird vorgelegt.

Das Szenario

Im Kapitel zwei wird der Betrug vorbereitet: Der Kredit wird zurückgezahlt, der gewerbe- und der handelsrechtliche Geschäftsführer legen ihr Mandat zurück. Herbert Tumpel: »Im Haftungsfall gibt es kein Vermögen. Büro ist keines da, höchstens irgendeine schmuddelige Wohnung.«

Kapitel drei: Ein Auftrag wird an Land gezogen. Christoph Klein, Leiter des AK-Bereichs Soziales: »Ein Subauftrag wird übernommen, meist von einem durchaus renommierten Unternehmen. Die Dauer des vereinbarten Bauabschnitts, zum Beispiel Fassadenarbeiten, deckt sich in etwa mit der Lebensdauer des Unternehmens.« Nun werden die Arbeiter angeheuert. Von einem »Herrn K.« und ähnlichen Mittelsmännern, von denen nur der Vorname bekannt ist. Herbert Tumpel: »Neu und vielleicht verblüffend ist, dass Arbeitnehmer - manchmal - sogar bei der Sozialversicherung gemeldet werden.« Nicht ganz so verblüffend, wie sich in den folgenden Kapiteln herausstellt: Es wird fleißig gebaut, ohne Nebenkosten. Wenn überhaupt, wird der Lohn direkt ohne Buchführung ausgezahlt. Programmgemäß geht die GesmbH anschließend pleite. Erst nach drei Monaten darf die Krankenkasse, bei der keine Beiträge für die gemeldeten Arbeitnehmer eingelangt sind, den Konkursantrag stellen. Wieder vergehen Wochen bis zur gerichtlichen Konkurseröffnung. Die Krankenkasse zahlt dem Masseverwalter 4000 Euro. Der stellt schließlich die Vermögenslosigkeit des Unternehmens fest und meldet die Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung ab.

Vermögen und Verantwortliche sind verschwunden. Es bleibt der Schaden: Allein in Wien zehn Millionen Euro an hinterzogenen Sozialversicherungsabgaben pro Jahr. Nicht bezahlte Löhne und Steuern nicht eingerechnet.

Halbherzige Verfolgung

Selbst wenn Drahtzieher oder deren Hintermänner ausfindig gemacht werden, ist noch lange nicht sicher, ob sie strafrechtlich belangt werden können. So wird etwa Krida seit der Strafrechtsreform von Justizminister Böhmdorfer nur noch verfolgt, wenn sie grob fahrlässig herbeigeführt wurde. Etwa durch leichtsinnige Vermögensverschleuderung oder astronomische Kredite, oder wenn der Bankrott »in betrügerischer Absicht« erfolgt ist. Ersteres ist selten der Fall, Letzteres schwer nachzuweisen.

Die AK-Experten stießen auf besondere juristische Spitzfindigkeiten. So scheitert zum Beispiel die Anwendung der auf den ersten Blick einschlägigen Tatbestände wie Betrug nach § 146 Strafgesetzbuch oder Nichtweiterleitung einbehaltener Dienstnehmerbeiträge nach § 114 ASVG an Auslegungsfragen bei der Staatsanwaltschaft. Ein Unternehmer, der Arbeitnehmer zwar bei der Krankenkasse anmeldet, aber keine Beiträge für sie zahlt, ist vom Gesetz her noch lange kein Betrüger: »Für die Staatsanwaltschaft«, so Christoph Klein, »ist die Irreführung, nämlich die Kasse glauben gemacht zu haben, es handle sich um einen ordnungsgemäß angemeldeten Arbeitnehmer, nicht kausal.« Selbst wenn keinerlei Beiträge entrichtet wurden, denn: »Nicht die betrügerische Absicht des Schwarzunternehmers verursacht - nach Ansicht der Staatsanwaltschaft - den Schaden, sondern die gesetzliche Pflicht der Sozialversicherung, den Arbeitnehmern die Versicherungsleistung zu erbringen.«

Der Betrogene zahlt

Spitzfindigkeiten, die im Falle Bogdans nicht zur Anwendung kamen. Er erhielt eine Anzeige, nachdem er bei der Renovierung eines Wohnhauses ertappt wurde. Er war nicht, wie viele Kollegen, beim Erscheinen der Kontrolleure beim Hinterausgang hinaus- und kurz auf einen Kaffee gegangen. Denn dass sein Arbeitgeber ihn schon Wochen zuvor von der Sozialversicherung abgemeldet hatte, hatte er nicht gewusst. Er wurde wegen Schwarzarbeit bestraft. »Da wird ein Missstand im System auf das schwächste Glied abgewälzt«, meint Johannes Denk von der AK Niederösterreich. Dringend an der Zeit sei es daher, eine Bestimmung zu schaffen, wonach auch die Arbeitnehmer informiert werden müssen, wenn sie ihr Dienstgeber von der Krankenkasse abmeldet.

Arbeit & Wirtschaft - Interview

Christian Spitaler spricht mit Herbert Tumpel

»Schwarzunternehmern das Handwerk legen«

Gefängnis für Sozialbetrüger: Der organisierte Sozialbetrug durch Schwarzunternehmer muss endlich konsequent verfolgt werden, verlangt Herbert Tumpel. Der AK-Präsident fordert ein Gesetz gegen Schwarzarbeit.

A&W: Ist der organisierte Sozialbetrug wirklich zum Massenphänomen geworden?
Herbert Tumpel: Ja, und wir verlangen rasche Maßnahmen. Schwarzunternehmer gibt es, seit es Unternehmer gibt. Früher hat es immer geheißen, das seien ja nur einige schwarze Schafe. Das organisierte Schwarzunternehmertum wurde viel zu lange als Kavaliersdelikt bagatellisiert. Dabei geht es hier um Betrug im großen Stil. Betrug an den Arbeitnehmern, die um ihren Lohn geprellt werden, für den sie hart gearbeitet haben. Betrug am Staat, dem jedes Jahr Hunderte Millionen verloren gehen. Geld, das im Pensionssystem und im Gesundheitssystem fehlt. Es ist auch ein Betrug an den seriösen Unternehmern, die sich an die Spielregeln halten. Dem muss jetzt ein Riegel vorgeschoben werden.

Ungarische Grenzgänger als Fernfahrer

A&W: Wie raffiniert sind denn die Tricks der Schwarzunternehmer?
Tumpel: Sie ändern sich zwar laufend, aber eines bleibt gleich: Sie betrügen uns alle. In der Gastronomie arbeiten 15.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer illegal. Es gibt Frächter, die haben 25 Lkw und setzen als Fahrer 19 Praktikanten aus Ungarn ein. So ein Frächter erspart sich jedes Jahr 290.000 Euro. Jetzt gibt es sogar Fuhrunternehmer, die haben als Lkw-Lenker ungarische Grenzgänger. Die dürften normalerweise nur im Burgenland arbeiten, fahren aber dann für die Frächter wochenlang quer durch ganz Europa. Sie fahren dabei über viele Grenzen, aber sicher nicht über die burgenländisch-ungarische. Sogar der Innenminister hat gemeint, Praktikanten dürften nicht mehr als Lkw-Lenker eingesetzt werden. Der Wirtschaftsminister hat diesen Bescheid für ungültig erklärt. Und besonders schlimm ist die Situation jetzt am Bau, da erleben wir eine völlig neue Dimension des Sozialbetrugs. Da werden Tausende Firmen jedes Jahr gegründet - allein mit dem Zweck, Arbeitnehmer und Staat zu betrügen. Diese Firmen übernehmen als Sub- oder Subsubunternehmer Aufträge von angesehenen Baufirmen, kassieren dafür, aber die Arbeiter und die Krankenkassen sehen keinen Cent. Da gibt es Zeitungsinserate: »Berufsverbot? Gründen Sie einfach eine Firma in Gibraltar. Sie können sofort in Österreich mit dem Geschäftemachen anfangen.« Allein am Bau wird nur in Wien die Sozialversicherung jedes Jahr um zehn Millionen Euro betrogen. Die Arbeiterkammer hat in Wien im Vorjahr 2400 Bauarbeiter vertreten, damit sie zu ihrem Geld kommen. In einem konkreten Fall helfen wir zurzeit 36 Bauarbeitern, die bei einer solchen Schwindelfirma gearbeitet haben - allein hier geht es um 60.000 Euro nicht bezahlten Lohnes.

Anmeldung vor Arbeitsantritt

A&W: Was muss konkret getan werden?
Tumpel: Der Adressat meiner Forderungen ist eindeutig der Gesetzgeber. Das Schwarzunternehmergesetz muss endlich beschlossen werden - mit den notwendigen Ergänzungen, um auch die neuesten Tricks und Kniffe dieser Betrüger zu unterbinden. Es darf Schwarzunternehmern nicht so leicht gemacht werden, Scheinfirmen zu gründen. Das gesamte Gesellschaftsrecht muss auf Schlupflöcher durchforstet werden. Ich verlange, dass zum Beispiel die Stammeinlage für eine Ges.m.b.H. wirklich vorhanden sein muss. Derzeit genügt es, die 35.000 Euro für eine Minute beim Notar vorzuweisen, es ist egal, was danach mit dem Geld passiert. Es gehören auch die Geschäftsführer in die Pflicht genommen. Es kann nicht sein, dass Geschäftsführer zum Schein zwanzig, dreißig oder mehr Gesellschaften führen. Oder dass Firmen sechs Monate überhaupt ganz ohne Geschäftsführer tätig sein können. Arbeitnehmer müssen noch vor Beschäftigungsantritt angemeldet werden. Wenn heute etwa auf einer Baustelle illegal Beschäftigte erwischt wurden, heißt es immer: »Morgen hätten wir ihn ja eh angemeldet.« Ich verlange, dass Arbeitnehmer angemeldet werden müssen, noch bevor sie zu arbeiten anfangen. Wir brauchen härtere, und zwar gerichtliche Strafen. Es geht um kein Kavaliersdelikt, sondern um Betrug. In Deutschland können Schwarzunternehmer ins Gefängnis wandern. In Österreich zahlen sie die Strafen aus der Portokasse - wenn sie überhaupt erwischt werden. Wir brauchen mehr Personal im Kampf gegen Schwarzunternehmer. In Bayern sind es doppelt so viele wie in Österreich. Und wir brauchen eine schlagkräftige Behörde statt zersplitterter Kompetenzen. Die Generalunternehmer müssen für die Subunternehmer haften. Jetzt können Bauunternehmen Subfirmen beauftragen, ohne Probleme zu bekommen, wenn diese Subfirmen die Arbeitnehmer und den Staat systematisch betrügen. Ich fordere, dass die Generalunternehmer künftig für alle Abgabenschulden ihrer Subfirmen haften. All diese Maßnahmen sind im Kampf gegen den organisierten Sozialbetrug dringend notwendig - und diese Maßnahmen fordere ich von der neuen Regierung.
A&W: Kollege Tumpel, wir danken für das Gespräch

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Gabriele Müller (Freie Journalistin in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322122440 Ausverkauf der Post Über die ÖIAG hält der Bund noch Beteiligungen an der einstigen verstaatlichten Erdöl-, Stahl- und Bergbauindustrie sowie an den ehemaligen Staatsbetrieben AUA, Telekom, Post und Postbus. Was seinerzeit als klassische Fehlleistung durch die Medien ging, ist aber Programm: - die totale Privatisierung. Liberalisierung, sagen die Verfechter dieses Weges und nennen Preissenkungen und bessere Angebote für die Kunden sowie Schuldenabbau als Hauptvorteile. Was bringt diese Politik aber den Kunden, den Beschäftigten der Postbetriebe und den Steuerzahlern wirklich?

»Verschärfend kommt hinzu, dass die TA als stets gewinnbringender Bereich anlässlich der Ausgliederung 95 Prozent der Postschulden umgehängt bekam«

Die Politik der blau-schwarzen Regierung der letzen drei Jahre hat im Bereich ÖIAG-Betriebe einen Aderlass für die Beschäftigten, die Kunden und für das Volksvermögen bedeutet. Erinnert sei nur an den Ausverkauf der gewinnbringenden Austria Tabak an einen ausländischen Konzern um nur 726,7 Millionen Euro (10 Milliarden Schilling) oder die Komplettprivatisierung der P.S.K. (Postsparkasse) und des Dorotheums sowie der Teilverkauf und Börsengang der Telekom.

Verscherbelt

Gebracht hat das dem Finanzminister seit 1999 rund vier Milliarden Euro (55 Milliarden Schilling). Einen Bruchteil des wahren Wertes. Die Fixierung des Finanzministers auf sein »Nulldefizit« und die Begehrlichkeit der ausländischen Konkurrenz, sich den österreichischen Markt einzuverleiben, zielen auch auf Post, Postbus und Telekom. Unter der neuen Regierung stehen ihre Chancen gut, es steht auch im Regierungsprogramm Schüssel II. Die für Herbst 2002 vorgesehene Totalprivatisierung der Telekom Austria ist nur aufgeschoben, nicht aufgehoben und steht weiterhin auf dem Plan.

Was die Österreicher davon zunächst bemerken, sind Verzögerungen bei der Zustellung von Briefen, Zeitungen und Paketen, erhöhte Gebühren für Briefporto, Brieffächer, Expresssendungen, Zeitungsversand gemeinnütziger Vereine, Bareinzahlungen sowie Telefonzellensterben, Postamtsschließungen, Samstagsperren bei mittleren Postämtern, Wartezeiten auf dem Postamt, Chaos bei der Befreiung von Telefongebühren, höhere Telefon-Grundgebühren im Festnetz, hohe Kosten und wenig Information bei Auslandstelefonaten im Mobilfunknetz, Fehlverbindungen beim Telefonieren, Warten in Hotlines bei Anfragen und Beschwerden, Einstellung von Buslinien und so fort.

Den Unmut bekommen in der Regel nicht die Verantwortlichen zu spüren, sondern die Zusteller, Schalterbediensteten, Buslenker oder die Leute an den Hotlines, mit denen wohl kaum einer tauschen möchte. Doch sie sind am Chaosmanagement der letzten Jahre nicht schuldig. Das sind die Postoberen: Generaldirektor, Vorstand, Aufsichtsrat und als Eigentümervertreter die jeweilige Regierung.

Druck und Unsicherheit

Für die Beschäftigten bedeutete all das in den letzten Jahren zunehmenden Arbeitsdruck, Unsicherheit oder sogar Arbeitsplatzverlust. Während Beschäftigte trotz ständig steigenden Arbeitsanfalles in den Vorruhestand geschickt wurden, sind immer weniger Zusteller mit immer mehr Poststücken unterwegs. Gleichzeitig werden die im Gefolge der Post-Liberalisierung abgebauten Mitarbeiter nicht nur in der Öffentlichkeit als Tachinierer schlecht gemacht, sondern auch von der eigenen Betriebsführung als Minderleister hingestellt. Die Schließung von 648 Postämtern und die Konzentration auf Zustellbasen bedeutet, dass die Zusteller täglich insgesamt Zehntausende Kilometer mehr fahren müssen und selbst zu Pendlern werden.

»Und das alles findet statt, obwohl der Postbereich nicht defizitär ist, sondern Gewinne abwirft und Dividenden ins Budget abliefert, zuletzt eine Sonderdividende in Höhe von 4,6 Milliarden Schilling«1) (siehe Seite 34), so Gerhard Fritz, Vorsitzender der Gewerkschaft der Post- und Fernmeldebediensteten (GPF).

»Nach einem dreiviertel Jahr Praxis lässt sich sagen, dass dieses Konzept gescheitert ist«

EU-Vorgaben

Ein Blick zurück verdeutlicht, was hier gespielt wird, wer die Gewinner und wer die Verlierer sind, die Ursachen und den Zweck der Vorgänge im Post- und Telekombereich. Eingeleitet wurde die Entwicklung nicht zuletzt durch den Beitritt Östereichs zum EWR und zur EU. So schreibt die EU auch im Post- und Telekomsektor die schrittweise volle Liberalisierung, sprich: Deregulierung und Privatisierung, aller Postdienste vor.

Basis der Umsetzung in Österreich bildet das bereits von der SPÖ-ÖVP-Koalition verabschiedete Poststrukturgesetz 1996. Danach erfolgte die Ausgliederung der einstigen Post- und Telegraphenverwaltung zunächst in die Post und Telekom Austria AG (PTA) und die Bildung der Holdinggesellschaft Post- und Telekombeteiligungsverwaltungsgesellschaft (PTBG).

Diese Konstruktion wurde gewählt, um die zum Zeitpunkt der Ausgliederung bestehende Schuldenlast der Post von acht Milliarden Euro (110 Milliarden Schilling) aufzuteilen. Die PTBG musste 3,27 Milliarden Euro (45 Milliarden Schilling) der Postschulden übernehmen und bekam dafür alle Aktien der neuen PTA. Die PTA wiederum übernahm 4,73 Milliarden Euro (65 Milliarden Schilling) Schulden.

Mit dem ÖIAG-Gesetz 2000 wurde dann von der FPÖVP-Regierung ein totaler Privatisierungsauftrag festgeschrieben. Für den Postbereich bedeutete dies zunächst, dass die PTBG mit der ÖIAG verschmolzen, die PTA als Holding für Post und Postbus sowie Telekom aufgelöst, die Post AG (Gelbe Post und Postbus) zu hundert Prozent und die Telekom Austria AG mit den Tochtergesellschaften Datakom und Mobilkom zu 47,8 Prozent der ÖIAG angegliedert wurden. Im Jahr 2001 erfolgte der Börsengang der Telekom, wurde die P.S.K. privatisiert und die Postbus AG aus der Post AG herausgelöst und zu hundert Prozent der ÖIAG unterstellt.

Arbeit & Wirtschaft - Interview

GPF-Vorsitzender Gerhard Fritz

Politik der verbrannten Erde

A&W: Sie befürchten den Ausverkauf der Post AG, der Gelben Post. Kann ein so genannter strategischer Partner den Ausverkauf der Post nicht verhindern?

Gerhard Fritz: Das ist purer Unsinn. Als strategischer Partner kommt nur eine ausländische Postverwaltung in Frage, realistischerweise die Deutsche Post. Von dieser wurde in den Medien auch schon ein Kaufpreis von ein bis 1,5 Milliarden Euro kolportiert. Das entspräche in keiner Weise dem Wert der Österreichischen Post, die Deutsche Post könnte das aus der Portokasse zahlen. In Österreich gibt es keinen potentiellen strategischen Partner, auch ist dafür die wirtschaftliche Notwendigkeit gar nicht gegeben. Ein strategischer Partner sollte uns ja Know-how bringen. In der Post liegt dies einfach in einer gut organisierten Logistik, wozu die Österreichische Post schlicht und einfach Kapital aufbringen muss, das aber im Eigenkapital vorhanden wäre.

Die Post AG hat einen Eigenkapitalanteil von etwa 35 Prozent. Das heißt, wir bräuchten nichts anderes zu tun, als das Logistiknetz im Brief- und Paketbereich auf internationale Verhältnisse auszubauen. Geschieht dies, brauchen wir uns nicht zu verstecken, weil das Filialnetz, aber auch die Zustellung in Österreich weit über dem europäischen Durchschnitt liegen, was die Produktivität betrifft. Das haben wir uns angesehen. Außerdem kann die Österreichische Post AG niemals ein »global player« werden, weil sie ihr Geschäft zu 95 Prozent in Inland abwickelt. Was kann uns also ein strategischer Partner aus dem Ausland helfen? Nichts! Es geht darum, der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen mit den Floskeln »strategischer Partner« und »österreichischer Kapitalmarkt«. Indem man gleichzeitig die Arbeit der Postbediensteten öffentlich heruntermacht, hofft man zu einer Zustimmung dafür zu kommen. Es geht also beinhart in die Richtung, die Österreichische Post ans Ausland zu verschleudern.

A&W: Wer trägt die Schuld an dieser Situation?
Gerhard Fritz: Die Perversität der gesamten Situation ist, dass die Regierung über die Speerspitze der ÖIAG massiv Druck macht, indem sie den Unternehmen Ziele vorschreibt, die nur erreichbar sind, wenn diese massiv Personal abbauen. Das ist der Hintergrund. Man versteckt sich hinter der »Objektivität« der ÖIAG-Führung und nimmt die ÖIAG-Unternehmen in Geiselhaft. Das ist nachweisbar. Denn die Protokolle sind völlig gleich, in der Post, in der Telekom und beim Postbus. Man hat einfach verlangt, Gewinne zu erwirtschaften, die aber nicht aus dem normalen Betriebsablauf herausholbar sind, sondern nur durch massive Einsparungen. Auf der anderen Seite unterschätzt man den Druck, der so auf die Kollegenschaft entsteht. Denn wenn man Leistungssteigerungen von 15 bis 20 Prozent verlangt, ohne entsprechende Investitionen zu tätigen, führt das einfach dazu, dass die Leute krank werden.

Wenn gleichzeitig die Regierung mit einem Bundesbediensteten-Sozialplangesetz selbst die Eingangsvoraussetzungen dafür schafft, dass jemand mit 55 Jahren in den Vorruhestand gehen kann, ist es doch natürlich, dass viele diese Möglichkeit trotz erheblicher finanzieller Einbußen nutzen und aus der Firma flüchten. Und jetzt behandelt man sie mit staatspolizeilichen Maßnahmen und stellt sie ins Eck der Kriminalität. Dazu muss ich sagen: Das ist schlicht und einfach eine Politik der verbrannten Erde, die das, was sie bekämpft, selbst erzeugt.

Schulden durch »Gewinnabführung«

Als Begründung dafür und für die Gesetzesänderung wurde die Privatisierung als Mittel zum Schuldenabbau genannt. Doch die bis 1996 aufgelaufenen Schulden von 110 Milliarden Schilling kamen nicht zustande, weil die Post als Ganzes etwa defizitär gewesen wäre, sondern weil sie vom Gesetzgeber gezwungen wurde, jährlich etwa neun Milliarden Schilling in das Budget abzuführen. Um die notwendigen, gesetzlich vorgesehen Dienste trotzdem anbieten zu können, mussten und müssen laufend Milliardeninvestitionen getätigt werden. Wegen der »Gewinnabführung« an den Staat konnten diese nicht aus eigenen Mitteln, sondern nur durch die Aufnahme von teuren Krediten abgedeckt werden. So ist die Post unschuldig zum Schuldner geworden. Und diese Schulden wurden und werden immer wieder und erst recht von der FPÖVP-Koalition als Vorwand für den weiteren Ausverkauf hergenommen.

So soll die Post AG bis 2003 oder 2004 an strategische Partner teil- oder vollverkauft werden. Im Gespräch sind die Deutsche, die Französische oder die Holländische Post. Für die Telekom Austria ist ein Komplettverkauf über die Börse bis 2006 oder ein strategischer Investor ab 2003 vorgesehen. Bei der Postbus AG ist eine Privatisierung in zwei Schritten vorgesehen: Erstens Verkauf an die ÖBB (ist bereits erfolgt, wird aber kartellrechtlich noch geprüft), zweitens der Weiterverkauf von 30 Prozent (gewinnbringender) Linien an private Busunternehmen.

Ablenken vom Ausverkauf

Diese Strategie der Gewinnmaximierung und das über Jahre praktizierte Sparen bei den Beschäftigten hat dazu geführt, dass seit der Ausgliederung der Postbetriebe 1996 rund 15.000 Arbeitsplätze verloren gingen, rund die Hälfte davon im Bereich der Gelben Post, die nur noch 28.000 Beschäftigte zählt. Jetzt soll die Post AG, »um die künftigen Herausforderungen zu meistern«, unter Berücksichtigung des österreichischen Kapitalmarktes einen strategischen Partner hereinnehmen. Für den GPF-Vorsitzenden Gerhard Fritz ist dies nur ein Vorwand des Postvorstandes, um vom geplanten Ausverkauf der Post ans Ausland abzulenken (siehe Interview mit Gerhard Fritz).

Seit Beginn der Liberalisierung wird die Post bewusst geknebelt. So wird sie einerseits per »Universaldienstverordnung« verpflichtet, die Versorgung mit Postdiensten bis in das kleinste Dorf, in die entlegenste Gegend zu gewährleisten, andrerseits hat sie laut Gesetz auch gemeinwirtschaftliche Leistungen ausschließlich nach kaufmännischen Grundsätzen zu erfüllen.

Erzwungener »Spartenkannibalismus«

Weil aber die Gelbe Post offensichtlich trotz aller Liberalisierungs-Stolpersteine noch immer Gewinne erwirtschaftet und einen hohen Marktanteil hat, wurde vom Vorstand eine Neustrukturierung entwickelt, die so genannte »Spartenorganisation«. Demnach wurde die Gelbe Post in fünf Geschäftsfelder (Brief, Infomail, KEP - Kurier-Expressdienst-Paket, Medienpost und Schalterdienst) und in sieben Serviceeinheiten aufgesplittert. In diesen Einheiten soll, bis hin zur rechtlichen Verselbständigung, »Prozessgeschlossenheit« herrschen, also jeder Bereich völlig autonom arbeiten können. Gerhard Fritz: »Das führt in der Praxis zu eigenständigen Firmen, die sich dann in einer Art von ›Spartenkannibalismus‹ Eigen- und damit Billigkonkurrenz machen würden, denn einen anderen Markt gibt es nicht. Jedes Geschäftsfeld muss Umsatz bringen, daher geht jeder im anderen Bereich räubern.«

Seit 1. Juli 2002 ist diese neue Spartenorganisation in Kraft. Nach einem dreiviertel Jahr Praxis lässt sich sagen, dass dieses Konzept gescheitert ist. Statt der versprochenen Umsatzausweitung brachte die neue Spartenorganisation einen Umsatzrückgang von drei Prozent bei der Gelben Post.

Die derzeit wichtigste Frage ist das im Dezember vergangenen Jahres an die Öffentlichkeit gedrungene Vorhaben der Regierung, die Österreichische Post an die Deutsche Post zu verkaufen. »Nach dem ersten Aufschrei und unseren Protesten hat die Regierung vorerst ihre Gangart zurückgeschaltet und im neuen Regierungsprogramm findet sich nur der lapidare Satz, dass die ÖIAG einen strategischen Partner suchen soll.

»Die Verlustlinien wären bei der Postbus AG geblieben, was der sichere Todesstoß für den
Betrieb und die Mitarbeiter gewesen wäre«

Ein Novum in Europa

Im März oder April ist dann eine Ausschreibung geplant«, so Martin Palensky von der GPF. Tatsächlich wäre der Verkauf eines nationalen Postunternehmens als Ganzes ein Novum in Europa. Beim Verkauf an ein anderes nationales Postunternehmen wären Kartellgerichts- und Beihilfeelementsverfahren laut EU-Recht höchstwahrscheinlich die Folge, weil das jeweils unterliegende Postunternehmen (Käufer) darin eine EU-Wettbewerbsverzerrung erblicken würde. Ein Zuschlag an die Deutsche Post zum Beispiel würde weitere Postbeschäftigte den Arbeitsplatz kosten und für die Bevölkerung das Zusperren weiterer Postämter bedeuten, wie das die Deutsche Post in Deutschland bereits vorexerziert hat. Die GPF ist gegen einen mehrheitlichen Verkauf der Post, weil dann überhaupt keine Gestaltungsmöglichkeit mehr besteht, auch nicht mehr, wenn man sich auf den »Kernaktionär« zurückzieht.

Die Frage ist zudem hochpolitisch: Bei einem Verkauf der Post wäre ein wesentlicher Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeschaltet, mit enormen negativen Folgen für die ganze Bevölkerung. Als einen Weg aus dem Privatisierungs- und Ausverkaufswahn der Regierung, der ja nicht nur die Post, sondern die gesamte ÖIAG umfasst, können sich die Postgewerkschafter eine Infrastrukturholding vorstellen, die auch den Verkehrsbereich umfasst.

Die Belegschaftsvertreter der Post haben schon im vergangenen Dezember, als die Ausverkaufspläne an die Deutsche Post ans Tageslicht kamen, ein Kernteam eingesetzt, das für den Fall des tatsächlichen Ausverkaufs gewerkschaftliche Aktionen in ganz Österreich durchplant. Im Mittelpunkt stehen Maßnahmen, die aufzeigen, welche gravierenden Nachteile ein Postverkauf ans Ausland für Kunden und Bevölkerung hätte.

F A K T E N

Goldene Gans Telekom

»Die Telekom wird ausgeräumt
wie eine Weihnachtsgans: Ein Drittel Mitarbeiter weniger seit der Liberalisierung, Halbierung des Wertes der Telekom seit Anfang der neunziger Jahre, Ausbluten der Substanz durch den Regulator. Wenn hier nichts geschieht, hinkt die TA in drei bis fünf Jahren hinten nach, sind wir in diesem Bereich ein Entwicklungsland. Dann wird der Staat ähnlich wie schon in anderen öffentlichen Bereichen, etwa in England bei den Bahnen oder bei der Wasserversorgung, auf Kosten der Allgemeinheit die Versorgungssicherheit wieder herstellen und dafür teuer investieren müssen«, meint TA-Betriebsrat Erich Huhndorf. Und weiter: »Die Telekom-Belegschaft hat durch ihren Widerstand mit der Menschenkette von 3000 Beschäftigten um die TA-Zentrale im März 2002 verhindert, dass die TA zu hundert Prozent verkauft wird. Jetzt wird es wieder eng, wenn keine Entlastung erfolgt.«

Musterschüler der Liberalisierung

Bei der Telekom Austria (TA) ist der Liberalisierungsprozess noch weiter fortgeschritten als bei der Gelben Post. So weit, dass GPF-Zentralsekretär Walter Summetsberger einen Ausverkauf ähnlich wie bei der Austria Tabak befürchtet. Zu Beginn der Ausgliederung 1996 hatte die TA hundert Prozent Marktanteil und 1998 noch rund 20.000 Mitarbeiter. Heute liegt der Marktanteil in Österreich bei 53 Prozent und die Mitarbeiterzahl bei 13.500. Die verlorenen Arbeitsplätze konnten von den so genannten Alternativbetreibern nicht aufgefangen werden. In Deutschland, Frankreich oder Großbritannien haben vergleichbare Ex-monopolisten trotz Liberalisierung noch immer Marktanteile von 70 bis 90 Prozent. Österreich und seine Telekom ist also ein EU-Musterschüler der Liberalisierung. Verschärfend kommt hinzu, dass die TA als stets gewinnbringender Bereich anlässlich der Ausgliederung 95 Prozent der Postschulden umgehängt bekam. Sie startete also mit einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung in den freien Markt. Dazu kam eine von der Regierung 1997 geschaffene und 2001 umstrukturierte Regulierungsbehörde (Rundfunk und Telekom Regulierungs GmbH). Das entscheidende Gremium ist die Telekom Control-Kommission (TKK)2) (siehe Seite 34). Diese Behörde bevorzugte von Anfang an die Alternativbetreiber. So muss etwa die TA den Alternativbetreibern Leitungen weit unter dem Einstandspreis zur Verfügung stellen. Gleichzeitig hat sie den gesetzlichen Auftrag, rund 17.000 Fernsprechzellen zu betreiben. Im Gegensatz zu den Konkurrenten investiert die TA in die Leitungsinfrastruktur: Nur sechs der 56 Lizenznehmer verfügen über ein eigenes Netz.

Jobmotor wird ausgedünnt

Als Infrastrukturanbieter ist die TA - 90 Prozent der Investitionen ins Festnetz stammen von ihr - ein Jobmotor etwa für die Bauwirtschaft und trägt zur Wertschöpfung im Land bei. Umgekehrt gibt es Alternativbetreiber, die bei etwa 12,5 Prozent Marktanteil nur 25 Mitarbeiter beschäftigen - ein Marktvorteil, den sie der TA verdanken. Für die TA bedeutet das in diesem Fall im Vergleich den Verlust von eintausend Arbeitsplätzen im eigenen Bereich, die aber in keinem anderen aufgefangen werden. Im Gegensatz zu anderen EU-Staaten und im Gegensatz zu den Mitbewerbern auf dem Telekommarkt in Österreich muss sie außerdem ihre Tarife vorab von der Regulierungsbehörde genehmigen lassen.

Während die »Alternativen« kaum in die Infrastruktur investieren, weil dank der Politik des Regulators die Anmietung von der TA billiger ist, kann diese immer weniger investieren, weil sie dazu immer weniger Geld zur Verfügung hat. So gingen die Investitionen der TA von einer Milliarde auf 300 Millionen Euro zurück. Es erscheint unverständlich, dass die Alternativbetreiber nach wie vor vom Regulator bevorzugt werden, sind doch die Newcomer auf dem Markt mittlerweile überwiegend Töchter großer internationaler Unternehmen. In Wirklichkeit handelt es sich also bereits um eine eklatante Wettbewerbsverzerrung. Auch wenn die Konsumenten unter Umständen billiger telefonieren, gehen der Volkswirtschaft und damit den Steuerzahlern Milliarden verloren.3) (siehe Seite 34)

Die Telekom-Gewerkschafter fordern, dass die Universaldienstleistungen und die Infrastrukturinvestitionen vom Staat und/oder von den Mitbewerbern und Netzbenützern entsprechend abgegolten werden. Wenn hier seitens des Regulators nicht bald etwas geschieht, sind bei der TA weitere Arbeitsplätze gefährdet und auch das Unternehmen selbst, weil der Mitarbeiterstand ohne Abgabe von Kerngeschäften an Dritte nicht mehr zu halten ist. Dies würde den weiteren Ausverkauf von Arbeit und Volksvermögen bedeuten.

Mit den Postbussen wird seit Jahren ein ähnlich niederträchtiges Spiel getrieben. Mit derzeit 1600 Bussen und knapp 3000 Mitarbeitern werden täglich auf 700 Linien eine halbe Million oder jährlich 152 Millionen Fahrgäste befördert und 84 Millionen Kilometer zurückgelegt. Das entspricht rund 60 Prozent des regionalen Verkehrs. Seit 1994 hat sich zwar die Fahrgast- und Kilometerzahl nur um drei Millionen erhöht, jedoch die Mitarbeiterzahl von 6000 halbiert, was eine enorme Produktivitätssteigerung bedeutet.

»So ist die Post unschuldig zum Schuldner geworden. Und diese Schulden werden als Vorwand für den Ausverkauf hergenommen«

Das üble Spiel mit den Postbussen

Und der Lohn dafür? Hin- und hergeschoben, wurde die erst 2001 aus der PTA ausgegliederte Postbus AG nunmehr an die ÖBB verkauft. Die ÖBB sollen entweder ein Drittel der Postbusse als Finanzbeteiligung an Private abgeben oder ein Drittel der Linien an Private verkaufen. Mutwille in Reinkultur: Jeder Verantwortliche weiß, dass nur 26 Prozent der Buslinien kostendeckend fahren. Die kostendeckenden Linien kamen bisher für die gemeinwirtschaftlichen Aufgaben auf. Da sich kein Privater an so einem Unternehmen finanziell beteiligen wird, war klar, dass diese Konstruktion auf den Ausverkauf der lukrativen Linien hinauslaufen soll. Die Verlustlinien wären bei der Postbus AG geblieben, was der sichere Todesstoß für den Betrieb und die Mitarbeiter gewesen wäre. Wenn schon Privatisierung, wäre es doch sinnvoller, wenn die größere Postbus AG die ÖBB-Bussparte aufkauft. Daraus entstünde das achtgrößte und damit ein durchaus konkurrenzfähiges Busunternehmen Europas.

Arbeit & Wirtschaft - Interview

Robert Wurm, Vorsitzender des Zentralausschusses der Personalvertretung Postbus AG in der GPF

Kein Ausverkauf, oder 1600 Busse stehen still

A&W: Wie ist es euch beim Streik ergangen?
Robert Wurm: Wir waren uns bewusst, dass unser zweitägiger Streik eine Gratwanderung war. Wir wollten nicht den Fahrgästen schaden, aber uns trotzdem wehren. Also waren wir viel draußen und haben aufgeklärt. Ohne Postbusse wäre der wichtigste öffentliche Verkehrsversorger gefährdet. 700 von 2300 Gemeinden in Österreich werden nur mit Postbussen versorgt. Wir wollten nicht zulassen, dass sich die privaten Busbetreiber wie Richard, Blaguss und so fort die Rosinen aus dem Bus-Kuchen picken und der Verlust von eintausend Arbeitsplätzen die Folge wäre. Mit diesen Verkaufsplänen wurde und wird ein künstliches Katastrophenszenario wie im Fall Semperit erzeugt. Letztlich sind Tausende Arbeitsplätze und die Verkehrsversorgung in ganz Österreich in Gefahr. Wir haben den Verkauf der Postbus AG an die ÖBB vor das Kartellgericht gebracht. Sollte gegen uns entschieden werden, werden wir den Arbeitskampf fortsetzen. Wir haben gute Vorarbeit für den Fall geleistet, dass weitere Streikaktionen erforderlich werden. Die Bevölkerung hat sich mit uns solidarisiert. Die in nur vier Tagen gesammelten 130.000 Unterschriften sind ein deutlicher Beweis dafür. Und noch eins: Ohne Kampf erreicht man gar nichts!

Erfolgreicher Streik

Aber genau das wollte der Eigentümer offensichtlich nicht. Derzeit prüft das Kartellgericht, ob der Verkauf der Postbus AG an die ÖBB überhaupt rechtens ist.

Die Postbusbeschäftigten jedenfalls ließen sich nicht einschüchtern, machten ihre Ankündigung wahr und führten im Sommer zwei Streikaktionen durch, in der zweiten Aktion einen zweitägigen Streik. Er wurde von allen Kolleginnen und Kollegen in ganz Österreich tatkräftig mitgetragen. Es gelang, den Spaltungsversuchen zwischen Streikenden und Bevölkerung in den Medien entgegenzutreten. Das Beispiel der kämpfenden Postbusbeschäftigten und ihrer Vertreter zeigt, dass es sich lohnt, sich zu wehren.

Diese Erfahrung kann für alle Postbediensteten wichtig werden, denn die Ausverkaufspläne sollen ja überall durchgezogen werden.

1) 334,3 Millionen Euro (Anmerkung der Redaktion)
2) AK Wien (Hg.): Beiträge zur Wirtschaftspolitik Nr. 10, Fusionen und Übernahmen 2001, Wettbewerbsbericht der AK Wien, April 2002
3) Vgl. Leo, Pfaffermayr, Schwarz: Innovation und Regulierung im Telekom-Sektor, Wifo, April 2002; vgl. Barfuß, Bertl, Bonek: Kritische Analyse des österreichischen Telekommunikationsmarktes. Ansätze für eine neue Regulierungspolitik, Telekom Austria, Wien, Sept. 01

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Wilfried Leisch (Freier Journalist in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322122348 Deregulierung ist Umverteilung nach oben Uns allen sind die Stichworte des neoliberalen Zeitgeistes seit Jahren bestens bekannt: Mehr Flexibilisierung, Deregulierung und Abbau angeblicher bürokratischer Hemmnisse werden der Bevölkerung als Erfolgsrezepte für eine boomende Wirtschaft und mehr Beschäftigung dargestellt. Besonders beliebt ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf den vermeintlich verkrusteten Arbeitsmarkt, der es Arbeitgebern nicht erlaube, flexibel auf die Marktgegebenheiten zu reagieren. Eines muss man den neoliberalen Ökonomen und der Wirtschaftslobby neidlos zugestehen: Sie haben seit Jahren die Meinungsführerschaft übernommen und ihre Deregulierungskonzepte zum Dogma erhoben, das mittlerweile als fast unantastbar gilt. Es ist kein Zufall, dass Vertreter differenzierter Standpunkte, die in Werten wie sozialer Sicherheit und (in Jahrzehnten erkämpften) Arbeitnehmerrechten mehr sehen als überflüssige Hindernisse einer freien Wirtschaftsentwicklung, als »rückwärtsgewandt« oder als »ewige Bremser« diffamiert werden. Doch was ist mit der stereotypen Forderung nach »Deregulierung« überhaupt konkret gemeint? Sind die angeblich positiven Auswirkungen auf den Abbau der Arbeitslosigkeit und für eine dynamischere Wirtschaftsentwicklung tatsächlich so unumstritten?

Der pauschale Ruf nach Flexibilisierung der europäischen Arbeitsmärkte wird zumeist im Sinne eines Rundumschlages gegen alle Einrichtungen des Sozialschutzes der Arbeitnehmer erhoben: So werden auch Einschnitte in die sozialen Sicherungssysteme unter dem Stichwort »mehr Eigenverantwortlichkeit« im Sinne einer privaten Übernahme der Kosten und stärkerer Druck auf Arbeitslose gefordert. Im Ergebnis streben die Deregulierer stets eine Verbilligung des Faktors Arbeit auf Kosten des Schutzniveaus der Arbeitnehmer an. Mit anderen Worten: Soziale Umverteilung zu Gunsten der Wirtschaft.

Prinzipiell versteht man unter der Regulierung des Arbeitsmarktes jene - nicht nur staatlichen - Eingriffe, welche die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern im weitesten Sinne regeln und somit der Vertragsfreiheit Grenzen setzen. Hierzu gehören zum Beispiel Regelungen über Arbeitszeit, befristete Arbeitsverträge, Kündigungsschutz, aber auch über die Arbeitsverhältnisse von Leiharbeitnehmern, um geordnete Beziehungen im Arbeitsleben herzustellen und die Beschäftigten nicht der Willkür des Unternehmers auszusetzen, der sich typischerweise in der wesentlich stärkeren Verhandlungsposition befindet. Sinnvollerweise wird darüber hinaus den Arbeitnehmervertretern auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene (Betriebsräte und Gewerkschaften) die Möglichkeit gegeben, die sie betreffenden Angelegenheiten mit den Unternehmern bzw. deren Interessenvertretungen weitgehend autonom zu regeln. Dies kann durch Kollektivverträge oder Betriebsvereinbarungen geschehen. All diese Instrumente werden vom neoliberalen Mainstream als marktfeindlich abgelehnt, da sie angeblich zu Effizienzverlusten auf dem Arbeitsmarkt führen.

Österreich ist nicht überreguliert

Dahinter steht die theoretische Vorstellung, Arbeitnehmer als austauschbare Einheiten des Arbeitsangebotes und Betriebe als konkurrierende Nachfrager würden über eine freie Lohnfindung ein Marktgleichgewicht und somit letztlich Vollbeschäftigung herstellen. Deshalb stehen besonders jene Regelungen in der Kritik der Wirtschaftslobby, die die willkürliche Austauschbarkeit von Arbeitnehmern beschränken, insbesondere ein wirksamer Kündigungsschutz und die Beschränkung befristeter Arbeitsverträge, um diesen Kündigungsschutz nicht zu umgehen. Auch die Beschränkung von Leiharbeit in einigen EU-Staaten wird als Hemmnis kritisiert, Arbeitslose wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren.

Schon mit diesen typischen Beispielen lässt sich belegen, dass der österreichische Arbeitsmarkt auch im europäischen Vergleich keineswegs überreguliert ist. So bietet der allgemeine Kündigungsschutz zwar eine Handhabe gegen sozialwidrige Kündigungen, jedoch keineswegs einen übermäßig starken Schutz vor einem Arbeitsplatzverlust. Vielfach leisten die Arbeitsgerichte diesem Trend Vorschub, indem sie Kündigungsschutzverfahren zu einer Art »Abfertigungshandel« degradieren, an dessen Ende sich der Arbeitgeber auch bei rechtswidrigen Kündigungen von der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers »freikaufen« kann.

Generelle gesetzliche Beschränkungen von unbefristeten Arbeitsverträgen, die meist zur Umgehung des Kündigungsschutzes abgeschlossen werden, kennt das österreichische Arbeitsrecht ebenfalls nicht, obwohl es für diesen Bereich eine - von den europäischen Sozialpartnern im Rahmen des Sozialen Dialoges ausgehandelte - EU-Richtlinie gibt, die den unbefristeten Arbeitsvertrag als Regelfall ansieht und Befristungen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. Diese Richtlinie wurde in Österreich bislang nicht gesetzlich umgesetzt, es existiert lediglich eine vage Rechtsprechung, die mehrfache Befristungen ohne sachlichen Grund (so genannte »Kettendienstverträge«) als unzulässig ansieht. Im Bereich der Leiharbeit wird auf europäischer Ebene gegenwärtig ebenfalls an einer Regelung gearbeitet, die das Prinzip »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« auch für die Arbeitskräfteüberlassung vorschreibt. Insofern dient das österreichische Modell hier gewissermaßen als Vorbild, da sowohl Gesetz als auch Kollektivvertrag die Gleichbehandlung der Leiharbeiter verwirklichen.

Es zeigt sich aber, dass das Wehklagen der Wirtschaft über eine zu starke Regulierung in Wirklichkeit ein ideologisches Kampfargument ist, mit dem der Sozialabbau auf Kosten der Arbeitnehmer weiter vorangetrieben werden soll. Bei näherer Betrachtung der einzelnen Regelungsbereiche zeigt sich, dass der heimische Arbeitsmarkt keineswegs verkrustet ist, sondern einen Ordnungs- und Schutzrahmen vorgibt, der stets genug Handlungsspielräume - auch durch kollektivvertragliche Regelungen - für die beteiligten Akteure freilässt.

Führt nun eine breite Deregulierung, also eine Senkung des Schutzniveaus der Arbeitnehmer, tatsächlich zu mehr Beschäftigung? Dieses Standardargument der Wirtschaft und ihr nahe stehender Institutionen wird trotz ständiger Wiederholung nicht richtiger. Auf der Grundlage zahlreicher Studien, zuletzt
z. B. durch die Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS), lässt sich heute feststellen, dass die Belege für den Einfluss der Beschäftigungsregulierung auf die Schaffung von Arbeitsplätzen uneinheitlich und relativ begrenzt sind.

Nicht mehr Beschäftigung?

Es konnte kein Nachweis erbracht werden, dass Arbeitnehmerschutzgesetzgebung und kollektive Mindestlohnfestsetzung grundsätzlich zu niedrigeren Beschäftigungsniveaus beitragen. Selbst einer umfangreichen Untersuchung der OECD aus dem Jahr 1999 zufolge werden die negativen Auswirkungen des Beschäftigungsschutzes auf den Arbeitsmarkt vielfach überschätzt. Dies gilt selbst dort, wo Deregulierung noch am ehesten zu Arbeitsplätzen führen könnte - nämlich im lediglich geringe Qualifikation erfordernden Teil des Dienstleistungssektors.

Die als Ergebnis einer Deregulierung des Arbeitsmarktes geschaffenen Arbeitsplätze erweisen sich zumeist als qualitativ minderwertig: schlecht bezahlt, unsicher und mit schlechten Aufstiegschancen. Doch darüber hinaus dürfen die Auswirkungen auf bereits bestehende Arbeitsverhältnisse nicht übersehen werden. So kommt es zu einem Verdrängungswettbewerb zu Lasten regulierter und besser bezahlter Arbeitsplätze, der in einem Nullsummenspiel gipfeln kann: Es sind zwar insgesamt nicht mehr Arbeitsplätze entstanden, aber das Schutzniveau und die Entlohnung haben sich im Durchschnitt massiv verschlechtert. Dies zeigt sich insbesondere an der abnehmenden Arbeitsplatzsicherheit und Zunahme so genannter instabiler Beschäftigungskarrieren als Folge der Deregulierung (Aufweichung des Kündigungsschutzes). Diese negativen Flexibilisierungsfolgen sind typischerweise sozial strukturiert und betreffen hauptsächlich gering qualifizierte »Randbelegschaften«, also eine ohnehin schon benachteiligte Gruppe. Dies führte vor allem in den USA und in Großbritannien zur Herausbildung eines sozial ungeschützten Niedriglohnsektors, in dem Arbeitnehmer trotz Erwerbsarbeit unterhalb der Armutsgrenze bleiben (»Working Poor«).

Drehtüreffekt

Mittelfristig ist somit als Folge zunehmender Deregulierung zwar kein Beschäftigungswachstum, aber sehr wohl eine Verstärkung sozialer Ungleichheit nachzuweisen.

Die typischen Verdrängungstendenzen durch Deregulierung lassen sich auch am Beispiel der Leiharbeit gut darstellen, wie sie gerade in Deutschland im Rahmen der »Hartz-Reform« diskutiert wird. So wurde von Arbeitgeberseite eine generell niedrigere Bezahlung von Leiharbeitnehmern gefordert, um - so die offizielle Begründung - Langzeitarbeitslosen den Weg zurück in das Berufsleben zu erleichtern. Im Ergebnis käme dies einer Aushebelung der Tarifverträge durch die Hintertür gleich, da langjährig Beschäftigte durch billigere Leiharbeitnehmer ersetzt werden könnten, die nicht dem Kollektivvertrag im Beschäftigerbetrieb unterliegen (»Drehtüreffekt«). Es würde also eine Entwicklung noch verstärkt werden, die vielen Betriebsräten aus ihrer Praxis schon jetzt bestens bekannt ist. Wie bereits erwähnt, geht man in der EU zurzeit den entgegengesetzten Weg und versucht, in einer Richtlinie das Gleichbehandlungsprinzip verpflichtend zu verankern.

Überhaupt steht eine breite Deregulierung der Arbeitsmärkte, verbunden mit einer Senkung der sozialen Schutzniveaus und Ausweitung ungesicherter Beschäftigungsverhältnisse, nicht im Einklang mit der im März 2000 verabschiedeten Strategie des Europäischen Rates von Lissabon. Das Ziel dieser Strategie, die Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, soll durch dauerhaf-
tes Wirtschaftswachstum sowie die Schaffung von mehr und qualitativ hochwertigen Arbeitsplätzen und größeren sozialen Zusammenhalt erreicht werden.

Gefragt sind europäische Standards

Dies ist als klare Absage an neoliberalen Sozialabbau zu verstehen. Notwendig sind gemeinsame europäische Sozialstandards, die gerade auch in den Problembereichen der Arbeitswelt, den atypischen Beschäftigungsverhältnissen, gestaltend eingreifen. Anfänge dazu sind in den letzten Jahren auf europäischer Ebene mit diversen Richtlinien gemacht worden. Auch Informations- und Anhörungsrechte von Betriebsräten wurden europarechtlich verbindlich verankert.

In einigen Staaten, die in den achtziger und neunziger Jahren ihre Arbeitsmärkte massiv dereguliert haben, hat sogar bereits eine Gegenbewegung eingesetzt, da die prognostizierten Erfolge ausblieben und massive soziale Verwerfungen die Folge waren. So wurde in Neuseeland ein 1991 verabschiedetes Gesetz, das die Möglichkeiten der Gewerkschaften zu Kollektivverhandlungen über Lohnerhöhungen drastisch einschränkte, wieder aufgehoben. Die britische Regierung führte einen landesweit gültigen Mindestlohn ein, da der ungeschützte Niedriglohnsektor immer prekärere Auswirkungen auf größere Arbeitnehmergruppen hatte. In den Niederlanden wird versucht, den großen Anteil von Teilzeitarbeitskräften auch in jene Sozialschutzprogramme wie die betriebliche Altersversorgung zu integrieren, von denen sie bislang ausgeschlossen waren.

Regulierung als Standortvorteil

Weitgehend ausgeblendet bleiben in der öffentlichen Debatte die vielfach positiven Auswirkungen einer regulierten, durch sozialen Frieden und Ausgleich gekennzeichneten Arbeitswelt auf eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung. Gerade in einer immer stärker auf Wissen, Ausbildung und ständige Weiterbildung der Beschäftigten basierten Wirtschaft ist eine gewisse Stabilität der Beschäftigungsbeziehungen unverzichtbar. Arbeitsrechtliche Normen, die der Dauerhaftigkeit und Vorhersehbarkeit des Arbeitsverhältnisses dienen, können sich positiv auf die Leistungsbereitschaft auswirken, indem sie die Identifikation der Arbeitnehmer mit den Betriebszielen, die Weitergabe von Kenntnissen und Fähigkeiten, die betriebsinterne Mobilität und die Akzeptanz technologischer Veränderungen fördern. Die Bereitschaft zur ständigen Qualifizierung und Weiterbildung steigt ebenfalls deutlich mit der sozialen Ausgestaltung und Sicherheit des Arbeitsplatzes und wird in einer hoch technisierten Wirtschaft zu einem immer wichtigeren Standortvorteil.

Diese effizienzsteigernden Effekte der Arbeitsmarktregulierung bleiben jedoch vielfach unerwähnt. Dahinter steht das kurzsichtige Kalkül, die Arbeitnehmer durch zunehmenden Sozialabbau zu einer möglichst kurzfristig verfügbaren Größe zu machen, die ihre Interessen den ständig wechselnden wirtschaftlichen Erfordernissen unterzuordnen hat. Diese Forderungen der Wirtschaft, die interessanterweise in fast allen EU-Mitgliedstaaten unisono ertönen, werden regelmäßig mit den Zwängen der Globalisierung und angeblichen Wettbewerbsnachteilen gegenüber den »flexibleren« Mitbewerbern begründet. Der Staat als ausgleichende und demokratisch legitimierte Instanz wird überall immer weiter zurückgedrängt. Durch diese Strategie wird schließlich ein sozialer Unterbietungswettlauf gefördert, der staatliche Ordnungspolitik fast völlig ausschaltet.

Neben den Effizienzvorteilen, die eine sozial regulierte Wirtschaft haben kann, sind aus gewerkschaftlicher Sicht auch die angeblichen Wettbewerbsnachteile kritisch zu hinterfragen, da die EU eine Außenhandelsverflechtung von nur etwa 10 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes aufweist und somit ein relativ binnenorientiertes Wirtschaftsgebiet darstellt. Selbst hier bestehen Konkurrenzsituationen hauptsächlich mit anderen Industrieländern, viel weniger aber mit Schwellen- oder Entwicklungsländern, die typischerweise kaum wirksame soziale Regulierungen ihrer Arbeitsmärkte kennen.

RESÜMEE

Soziale Standards erhöhen!

Eine generelle Deregulierung der europäischen Arbeitsmärkte ist kein wirksames Instrument zur Erhöhung der Beschäftigungsquote. Die negativen Auswirkungen (Förderung sozialer Unsicherheit und Ungleichheit) werden gegenüber den prognostizierten Beschäftigungsimpulsen unterschätzt. Die europäische Ebene muss stärker genutzt werden, um dem Unterbietungswettlauf durch hohe soziale Mindeststandards entgegenzuwirken.

Neben der Absicherung auch atypischer Arbeitsverhältnisse muss ein Europäisches Sozialmodell die Gleichwertigkeit von Wirtschafts- und Sozialpolitik verwirklichen. Nur dann wird die Gemeinschaft auch die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung finden.

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Oliver Röpke (ÖGB-Europabüro Brüssel) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322114129 Die Erstarrung der islamischen Gesellschaft Fundierte Informationen dazu findet man unter anderem in einer kürzlich erschienenen Studie der UNO »Arab Human Development Report 2002«, welche fast aus-schließlich von arabischen Wissenschaftern erstellt wurde.

Dieser lässt sich entnehmen, dass das Pro-Kopf-Einkommen der Region kaum ein Fünftel des westlichen erreicht und dass sich der Abstand in den letzten Jahren eher vergrößert hat. Die Industrie ist wenig entwickelt, 70 Prozent der begrenzten Exporte entfallen auf Öl, und die materielle wie immaterielle Infrastruktur ist unterentwickelt.

Trotz gewisser Fortschritte in der jüngeren Zeit liegt die Rate der Analphabeten noch bei 40 Prozent, die der Frauen erreicht fast 60 Prozent. Darin drückt sich die problematische Lage der Frauen dieser Region aus. Die Quote der Hochschulbesucher zählt zu den niedrigsten der Welt, und keines dieser Länder lässt sich als funktionierende Demokratie mit Achtung der Menschenrechte bezeichnen.

Soweit die Fakten, welche einiges über die Emotionen dieser Völker gegenüber dem Westen aussagen. Doch entsteht die weitere Frage, wie es zu dieser Erstarrung der islamischen Gesellschaften kommen konnte, oder, anders ausgedrückt: Wieso ist die westliche Gesellschaft reich und räumt ihren Angehörigen unter den Bedingungen rechtlicher und sozialer Sicherheit einen weiten Entfaltungsspielraum ein, wogegen für die Menschen in den islamischen Gesellschaften eine solche Entwicklung meist noch ein Wunschtraum bleibt?

Dazu hört man häufig das Argument, Letztere hätten weder die Aufklärung noch die wissenschaftliche Revolution durchlaufen. Tatsächlich lassen sich die Ursachen der krassen Diskrepanz auf weit zurückreichende historische Prozesse zurückführen.

Eine überlegene Kultur

Als der Islam im siebenten Jahrhundert über den ganzen Nahen und Mittleren Osten, über Spanien bis ins Zentrum Frankreichs sowie über Sizilien bis Süditalien hinwegbrauste, entstand nicht nur ein gewaltiger neuer politischer Machtkomplex, sondern eine Kultur, welche unter allen historischen Kriterien zu den glanzvollsten der Geschichte überhaupt zählte. Sie war der damaligen europäischen weit überlegen.

In dieser Zeit erlebte der islamische Raum eine dynamische Wirtschaftsentwicklung - das »abbasidische Wirtschaftswunder«, welches auch den Handel Italiens aufblühen ließ. Es versorgte Europa mit einer Unzahl von Gütern höchster Qualität, neuen Gemüse- und Obstsorten, aber auch mit innovativen technischen Geräten. Doch die Versorgung Europas beschränkte sich keineswegs auf materielle Güter, denn die Wissenschaft strebte im islamischen Raum einem Höhepunkt zu. Besonders an den spanischen Universitäten erlebten nicht nur die Mathematik, die Astronomie und die Medizin einen gewaltigen Aufbruch, sondern auch die Philosophie. Die islamischen Eroberer hatten sich die Lehren des klassischen Griechenland zu Eigen gemacht. Sie übersetzten die Texte der Griechen, welche auf diesem Weg ins europäische Mittelalter gelangten. Doch blieb es keineswegs bei der archivarischen Tätigkeit. Die Philosophen der Region, wie - in der europäischen Verballhornung - Avicenna (980- 1037), Averroes (1126-1198) oder Maimonides (1135-1204) -, formulierten völlig eigenständige Konzepte, die derartigen Einfluss auf die europäische Theologie und Philosophie gewannen, dass sich schließlich der Papst zum Einschreiten veranlasst sah.

Wie konnte es geschehen, dass diese glanzvolle, überlegene Kultur noch im späten Mittelalter gegenüber der europäischen verblasste? Wohl erlebte sie im Rahmen des Osmanischen Reiches noch neue militärische Höhepunkte, aber die kulturelle Ausstrahlung ging ebenso zurück wie die wirtschaftliche Stärke. Und seit der Niederlage vor Wien vollzog sich auch ein stetiger machtpolitischer Abstieg, welcher schließlich im Schlagwort des »kranken Mannes am Bosporus« seinen Ausdruck fand und seit dem 19. Jahrhundert zu einer stets umfassender werdenden Beherrschung der islamischen Länder durch Europa führte.

Theokratische Erstarrung

Ein wesentlicher Grund dafür liegt in der Religion. Der Islam repräsentiert ein theokratisches System, welches durch seine Schriften (Koran, Sunna, Überlieferung) sowie, daraus abgeleitet, das islamische Recht (Scharia) sämtliche Lebensbereiche der Gläubigen in umfassender Weise regelt. Zwar oblag ursprünglich die Interpretation der Schriften dem Kalifen als Nachfolger Mohammeds, doch ging diese Kompetenz unter den Abbasiden immer stärker auf die Theologen über, welche letztlich zur entscheidenden Instanz wurden. Der absolutistische Staat wandelte sich zu einem theokratischen.

Das kreative Denken der spanischen Philosophen fand ein Ende, weil sich allmählich die Position des Theologen Al-Ghazali (1058-1112) durchsetzte, der jegliche philosophische Erörterungen als gefährliche Spekulationen verwarf. Maßgebend seien einzig und allein die in den Schriften geoffenbarten Heilslehren. Damit erstarrte der wissenschaftliche Diskurs. Die Lösung neu auftauchender Probleme wurde bis zur Gegenwart unter der Devise »Zurück zu den alten Quellen« in Angriff genommen. Ihren Höhepunkt fand diese Einstellung schließlich im Verbot des Buchdrucks!

Damit wurde ebenso die Entwicklung des Rechtes determiniert, das gleichfalls an das herkömmliche, also an die Scharia, gebunden blieb. Eine gewisse Weiterentwicklung dieser mittelalterlichen Gegebenheiten erfolgte erst unter der europäischen Kolonialherrschaft, als an Westeuropa orientierte Gesetze eingeführt wurden, ein Prozess, welcher bekanntlich heute seine Umkehrung findet.

Dazu kam jedoch noch ein Weiteres. In dem wohlorganisierten islamischen Staat des Mittelalters wurden die Städte von Beamten des Kalifen verwaltet und beherrscht. Es war in diesem Rahmen nicht möglich, dass sich, wie in Europa, ein autonomes Bürgertum entwickelte, welches neue politische Organisationsformen geschaffen und eine Position errungen hätte, die es ihm erlaubt haben würde, seine Interessen durchzusetzen - auch gegen die herrschende Theologenschicht.

Auf diese Weise verfiel seit dem späten Mittelalter die islamische Gesellschaft in eine Erstarrung, deren Folgen bis in die Gegenwart zu spüren sind.

Nun ließe sich sagen, dass allen Hochkulturen eine gewisse Statik eigen gewesen sei, das gilt für die chinesische ebenso wie für die indische. Das Problem ergibt sich nur aus dem Vergleich mit der ungeheuren Dynamik des benachbarten Europa. Für diese Diskrepanz sind durchaus die gleichen Faktoren verantwortlich wie für die Erstarrung des Islam.

Die europäische Dynamik

Am Anfang steht die Religion. Das Christentum erhob nie einen ähnlich all-umfassenden Anspruch wie der Islam. Ausgehend von den Worten des Stifters: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers und Gott, was Gottes ist« wurde stets die Dualität zwischen kirchlicher und weltlicher Macht aufrechterhalten - auch wenn es darüber zu schweren Auseinandersetzungen kam. Damit verblieb auch die Rechtsetzung und -sprechung vorwiegend in weltlicher Hand. Das hatte zur Folge, dass die hoch entwickelte Rechtstradition der römischen Antike in Europa zumindest teilweise erhalten blieb, vor allem aber, dass es zu einer permanenten Anpassung des Rechts an neue Erfordernisse kam. Und diese vollzog sich während des Mittelalters vor allem in den europäischen Städten.

Das, vom Gesichtspunkt der Staatsorganisation, unzulängliche Feudalsystem ließ zahlreiche Nischen offen, in welchen sich die Städte ansiedelten, mit der Folge, dass hier weitgehend autonome Gebilde entstanden. Diese regelten ihre politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten selbst auf mehr oder minder demokratischer Basis - es entstand die »Regierung der Kaufleute durch Kaufleute für Kaufleute«. Auch setzte sich hier die Tradition der antiken Polis fort.

Reales Bruttoinlandsprodukt je Einwohner der arabischen Staaten
Übersicht 1913 bis 1998
1913 1950 1973 1990 1998
Zu Preisen von 1990 in US$
Ägypten 732 718 1.022 2.012 2.128
Algerien 1.365 2.356 2.916 2.688
Jordanien 1.663 2.389 3.775 4.113
Libanon 2.429 3.157 1.949 3.445
Marokko 807 1.455 1.694 2.596 2.693
Mauretanien 464 965 922 993
Sudan 821 780 743 880
Tunesien 1.115 2.221 3.337 4.190
Westjordanland/Gazastreifen 950 2.236 4.211 5.671
Erdölstaaten 679 1.855 4.972 4.911 5.407
Bahrain 2.104 4.377 4.092 4.620
Irak 1.364 3.753 2.458 1.131
Iran 1.720 5.445 3.586 4.265
Jemen 976 1.757 2.347 2.298
Katar 30.520 43.859 6.797 7.304
Kuwait 28.834 26.674 6.153 11.273
Oman 622 3.278 6.479 7.267
Saudi-Arabien 2.231 11.040 9.101 8.225
Vereinigte Arabische Emirate 15.694 24.908 13.061 13.857
Zum Vergleich:
USA 5.301 9.561 16.689 23.214 27.331
Westeuropa 3.473 4.594 11.534 15.988 17.921
Südkorea 893 770 2.841 8.704 12.152
Quelle: Maddison (2001), S. 215; S. 224

Neuer Menschentyp

In diesem Rahmen entwickelte sich ein spezifischer Menschentyp, nämlich der des individualistischen, verantwortungsbereiten, initiativen und selbstbewussten Bürgers, welcher sich allmählich aus den Begrenzungen des statischen, traditionsbestimmten Denkens befreite und zu rationalen sowie dynamischen Verhaltensweisen vorstieß. Kennzeichen dieser Veränderung wurde die »quantitative Revolution« des späten Mittelalters, deren Merkmale die Linearisierung der Zeit, die Weiterentwicklung der arabischen Mathematik, die Einführung der Perspektive in der Malerei, die doppelte Buchhaltung sowie die Erfindung der Notenschrift darstellten. Wesentlich erscheint auch der Umstand, dass Einkommensmaximierung nicht durch Gewalt, sondern durch Produktion und Leistung erfolgte, und zwar nicht auf traditionsbestimmte Weise, sondern innovativ, durch das ständige Bemühen, Kosten zu senken, und auch schon durch Einsatz des technischen Fortschritts. Schon damals also wurde der dynamische Unternehmer zur Schlüsselfigur der gesellschaftlichen Entwicklung.

Aus dieser Wurzel erwuchs in der frühen Neuzeit die Philosophie der Aufklärung, welche das Individuum ins Zentrum ihrer Überlegungen stellte. Gewiss vollzog sich die Staatswerdung dieser Periode unter der Ägide von Monarchen und Adel, aber das freie Denken hatte sich weitgehend durchgesetzt, welches letztlich auch den Durchbruch zur »wissenschaftlichen Revolution« ermöglichte.

Diese ist keineswegs durch den Umstand gekennzeichnet, dass technische Erfindungen zustande kamen. Solches kam in sämtlichen Hochkulturen vor. Sondern dadurch, dass eine neue, relativ breite Schicht von Wissenschaftern entstand, die sich nicht nur unbehindert auf die Forschung konzentrierte, sondern eine intereuropäische Gemeinschaft bildete, welche in permanentem Kontakt stand und die Resultate ihrer Forschung laufend überprüfte und weiterentwickelte. Die Stunde der »Scientific Community«, der wissenschaftlichen Gemeinschaft, hatte geschlagen. Und diese war es auch, die schließlich jene Erfindungen hervorbrachte, welche die eigentliche Industrielle Revolution in Gang setzten, deren Symbol die Dampfmaschine wurde. Bis heute ist es der technische Fortschritt, der das industrielle Wirtschaftssystem vorantreibt: »Technology is, after all not a thing but a culture«1) (Technologie ist im Grunde nicht eine Sache, sondern eine Kultur).

Nun soll hier nicht der Eindruck entstehen, diese Entwicklung habe sich glatt und für alle befriedigend vollzogen. Die Geschichte Europas und der Welt seit dem Mittelalter ist voll von Gewalt, Not und Unterdrückung. Aber es sollten hier die Grundzüge dieses Prozesses nachgezeichnet und es darf doch auch nicht übersehen werden, dass das industriewirtschaftliche System letztlich zu einer politischen Organisationsform, der Demokratie, führte, welche heute dem Einzelnen ein Leben in Frieden und Freiheit ermöglicht.

Die arabische Fluchtreaktion

Der geschilderte gewaltige gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbruch vollzog sich in Europa und nur in Europa. Allerdings ließen sich seine Bedingungen in anderen Kulturen durchaus reproduzieren. Das hervorstechendste Beispiel dafür stellt Japan dar. Durch die Meiji Restauration von 1868 wurde ein rasanter Aufholprozess in Gang gesetzt, welcher in wenigen Jahrzehnten das vollzog, wofür Europa noch ein Vielfaches benötigt hatte. Und seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts übertrug sich dieser Aufholprozess praktisch auf ganz Südostasien. Die »Four Little Tigers« haben bereits europäisches Niveau erreicht, und allmählich setzt eine ähnliche Entwicklung in allen anderen Ländern dieser Region ein, zuletzt augenfällig in China. Ohne sonderliche Aufgeregtheit und Schuldzuweisungen an den Westen gelingt es diesen Ländern, ihre Gesellschaftsstruktur auf eine industriewirtschaftliche Entwicklung auszurichten.

»Seit der Niederlage vor Wien vollzog sich ein stetiger machtpolitischer Abstieg«

Das gilt nicht für den arabisch-islamischen Raum. Zwar erleben diese Staaten auch wirtschaftliches Wachstum, doch hält sich dieses in engen Grenzen und der Abstand gegenüber dem reichen Westen verringert sich - wie schon gesagt - in keiner Weise. Auch der gewaltige Geldfluss als Folge der Erdölförderung hat sich in keine erkennbaren wirtschaftlichen Impulse umgesetzt.

Natürlich wurde die Stagnation auch im islamischen Raum erkannt, zunächst vor allem durch den dramatischen Machtverlust des Osmanischen Reiches. Es kam auch zu Reformversuchen. Angesichts der dargelegten fundamentalen gesellschaftlichen Erstarrung führten diese Versuche zu keinen Erfolgen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts trachteten die islamischen Oberschichten, sich dem westlichen Lebensstil anzupassen, was für die Masse der Bevölkerung nichts bewirkte.

Atatürk und Nasser

Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches verblieben die meisten arabischen Staaten unter westlicher Oberherrschaft. An ihrer Sozialstruktur änderte sich dadurch wenig, im Gegenteil, die Betonung der traditionellen Verhaltensweisen wurde schon damals als Akt des Widerstandes verstanden. Die einzige Ausnahme bildete die Türkei, weil dort Kemal Atatürk eine radikale Trennung von Religion und Staat durchsetzte und mit allen Mitteln versuchte, das Land zu europäisieren.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges brachte den islamischen Staaten die Freiheit - durch blutige Bürgerkriege oder auf friedlichem Weg. Der große Abstand zum Westen an Einkommen und politischem Gewicht führte in dieser Phase zum Entstehen des »arabischen Sozialismus«, welcher mit dem Namen Nasser verbunden bleibt. Mit dem Sechstagekrieg fand 1967 auch dieser Ansatz sein Ende. Seither, und vor allem seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, lässt sich das »Islamic Revival« beobachten, die Auferstehung des Islam.

Mit der Erfolglosigkeit aller bisherigen Reformansätze vollzieht sich in diesen unverändert im hohen Maße religiös determinierten Gesellschaften wieder der Rückgriff auf die traditionelle Kultur. Abermals wird sie bewusst als Abgrenzung zum gesamten westlichen Lebensstil verstanden. Das scheint deshalb nicht verwunderlich, weil in der islamischen Geschichte eben das »Zurück zu den Quellen« immer wieder hervorkommt. Anstelle des westlich inspirierten Strafrechts tritt immer häufiger wieder die Scharia, die religiösen Bekleidungsvorschriften werden immer rigider eingehalten, in manchen Ländern bleiben die Theologen wieder die letzte politische Instanz. Konsequenterweise wurde kürzlich der Historiker Haschem Aghadscheri, der dieses Recht in Frage stellte, im Iran zum Tod verurteilt.

Gewiss vollzieht sich die Entwicklung nicht eindeutig. Die Situation unterscheidet sich nach Ländern. In jenen, welche den Rest des »arabischen Sozialismus« repräsentieren, wie Irak und Syrien oder in Ägypten, hält sich der Einfluss des mohammedanischen Klerus in engeren Grenzen als in den Extremfällen wie Saudiarabien. Doch nimmt er überall zu. Zwar zeigen sich da und dort alternative Ansätze. Gerade im Iran demonstriert eine junge städtische Generation, dass sie ganz anderen Vorstellungen über die politische Organisation des Landes folgt als der islamische Klerus. Sie vermochte sich freilich bisher kaum durchzusetzen.

1) »Technological Revolutions in Europe«, herausgegeben von M. Berg und K. Bruland, Cheltenham 1998

R E S Ü M E E

Aus allen diesen Überlegungen ergibt sich, dass die gewaltigen Unterschiede in den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen des Westens und des Nahen Ostens das Resultat Jahrhunderte andauernder Prozesse sind.

Die jüngste Entwicklung mit der Wiederkehr des Islam lässt nicht absehen, wie und wann die Unterschiede überwunden werden könnten. Diese Tatsache wird die Verständigung zwischen den Regionen auch in Zukunft nicht vereinfachen.

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Autor: Felix Butschek (Mitarbeiter des Wirtschaftsforschungsinstituts - WIFO) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1190322122258 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322114121 »Was Sie unbedingt wissen sollten« über die Pensionsversicherung Die Pensionshöhe hängt vor allem von der Bemessungsgrundlage und der Anzahl der erworbenen Versicherungsmonate sowie vom Pensionsanfallsalter ab. Bei Inanspruchnahme der normalen Alterspension ist die Bemessungsgrundlage der Durchschnitt der besten 15 Jahre. Für Personen, die eine vorzeitige Alterspension in Anspruch nehmen, wird die Bemessungsgrundlage ab dem Jahr 2003 pro Kalenderjahr um 2 Monate verlängert. Diese Verlängerung dauert bis zum Jahr 2020 an und beträgt dann 18 Jahre.

Höchstens gebühren 80% der Bemessungsgrundlage. Bei Inanspruchnahme der Pension mit Vollendung des 65. Lebensjahres, von Frauen des 60. Lebensjahres, genügen hierfür 40 Versicherungsjahre. Wird die Pension früher in Anspruch genommen, sind für 80% der Bemessungsgrundlage mehr Versicherungsjahre erforderlich.

Der Prozentsatz ändert sich nicht nur bei Erwerb eines weiteren Versicherungsjahres und nicht nur bei Verschiebung der Inanspruchnahme der Pension um ein volles Jahr. Jeder weitere Versicherungsmonat und jeder Kalendermonat, um den die Pension später in Anspruch genommen wird, erhöht den Prozentsatz.

Höchstbemessungsgrundlage:
für Stichtag 2003 EUR 2.955,61
Höchstpension (brutto) EUR 2.364,49

Normale Alterspension

Anspruchsvoraussetzungen:

  • Vollendung des 65. Lebensjahres, bei Frauen des 60. (»Regelpensionsalter«)

Mindestversicherungszeit:

  • entweder 15 Beitragsjahre im Laufe des gesamten Lebens
  • oder 15 Versicherungsjahre, Beitrags- u. Ersatzmonate, in den letzten 30 Jahren
  • oder 25 Versicherungsjahre im Laufe des gesamten Lebens.

Eine Aufgabe der Beschäftigung ist nicht erforderlich. Die Erwerbstätigkeit ist möglich.
WICHTIG IST DIE ANTRAGSTELLUNG!

Alterspension ab 1. Oktober 2000

Bei Inanspruchnahme der Pension zum 65. (Männer) bzw. 60. (Frauen) Lebensjahr gebühren pro Versicherungsjahr 2% der Bemessungsgrundlage, für 6 Monate 1%, für 3 Monate 1/2% und pro Monat 1/6%. Wird die Pension früher in Anspruch genommen, beträgt der Abschlag 3% pro Jahr. Der Abschlag darf jedoch 15% der Summe der Steigerungspunkte bzw. 10,5 Steigerungspunkte nicht überschreiten. Für Männer, die ab dem 1. 10. 1940 bis zum 30. 9. 1942, und Frauen, die ab dem 1. 10. 1945 bis zum 30. 9. 1947 geboren wurden, gibt es bezüglich der Anhebung des Malus von früher 2% auf 3% eine Übergangsregelung.

Kindererziehungszeiten

Sie gelten bis zur Vollendung des 4. Lebensjahres des Kindes als Ersatzzeiten. Sie werden mit einer feststehenden Bemessungsgrundlage honoriert. Diese beträgt pro Monat EUR 643,54 (2003).

Für Geburten ab 1. 1. 2002 gelten die ersten 18 Kalendermonate als Beitragszeiten. Darüber hinaus gelten die Zeiten bis zum 4. Lebensjahr des Kindes wie bisher als Ersatzzeiten.
Schul- und Studienzeiten

  • An Schul- und Studienzeiten kommen in Betracht: Mittlere Schule, z. B. Handelsschule (2- oder 3-jährig), pro Schuljahr 8 Monate, höchstens jedoch insgesamt 16 Monate
  • Höhere Schulen (z. B. AHS, HTL, HAK) 24 Monate
  • Hochschulen, pro Semester 4 Monate, höchstens jedoch 48 Monate.

Anfallsalter für die vorzeitigen Alterspensionen

Das Anfallsalter für die vorzeitigen Alterspensionen (wegen langer Versicherungsdauer, wegen Arbeitslosigkeit und Gleitpension) wurde, beginnend mit 1. Oktober 2000, jedes Vierteljahr für Personen, die in diesem Vierteljahr das 60. (Männer) bzw. 55. (Frauen) Lebensjahr erreichen, um zwei Monate erhöht, sodass im Dauerrecht ein Anfallsalter von -561/2 Jahren für Frauen und 611/2 Jahren für Männer erreicht wird.

Geboren ab
Frauen/Männer
Pensionsantrittsalter
ab 1.10.1945/40 55/60 + 2 Monate
ab 1. 1.1946/41 55/60 + 4 Monate
ab 1. 4.1946/41 55/60 + 6 Monate
ab 1.10.1946/41 55/60 + 10 Monate
ab 1. 1.1947/42 56/61
ab 1. 4.1947/42 56/61 + 2 Monate
ab 1. 7.1947/42 56/61 + 4 Monate
ab 1.10.1947/42 56/61 + 6 Monate

45 bzw. 40 Beitragsjahre

Für männliche Versicherte mit 45 Beitragsjahren und für weibliche Versicherte mit 40 Beitragsjahren wird weder die Verschärfung des Abschlages noch die Hinaufsetzung des Pensionsanfallsalters wirksam. Kindererziehungszeiten sind dabei bis zu 5 Jahre, Präsenzdienst bis zu 12 Monate als Beitragszeiten zu berücksichtigen.

Die »45 bzw. 40 Jahre« Beitragsregelung gilt nur für Männer, die bis zum 30. 9. 1945, und Frauen, die bis zum 30. 9. 1950, geboren wurden.

Vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer

Anspruchsvoraussetzungen:

  • Vollendung des 611/2. Lebensjahres, für Frauen des 561/2. Lebensjahres (Achtung: Übergangsbestimmung);
  • Erwerb von mindestens 35 bis 371/2 Versicherungsjahren, abhängig vom
    Geburtsdatum und
  • 20 Beitragsjahre der Pflichtversicherung im Laufe des gesamten Lebens (ewige Anwartschaft);
  • Fehlen einer Erwerbstätigkeit, gegen ein die Geringfügigkeitsgrenze (2003 = EUR 309,38 monatlich) übersteigendes Entgelt.

Erforderliche Versicherungszeit abhängig vom Geburtsdatum:

Männer geboren in der Zeit Frauen geboren in der Zeit erford. Vers.- monate
bis 31.12.1936 bis 31.12.1941 420
1.1. bis 30.6.1937 1.1. bis 30.6.1942 423
1.7. bis 31.12.1937 1.7. bis 31.12.1942 426
1.1. bis 30.6.1938 1.1. bis 30.6.1943 429
1.7. bis 31.12.1938 1.7. bis 31.12.1943 432
1.1. bis 30.6.1939 1.1. bis 30.6.1944 435
1.7. bis 31.12.1939 1.7. bis 31.12.1944 438
1.1. bis 30.6.1940 1.1. bis 30.6.1945 441
1.7. bis 31.12.1940 1.7. bis 31.12.1945 444
ab 1.1.1941 ab 1.1.1946 450

Wurden 35 Pflichtversicherungsjahre erworben, kommt es zu keiner Verlängerung der erforderlichen Versicherungszeit.

Vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit

Anspruchsvoraussetzungen:

  • Vollendung des 611/2. Lebensjahres, bei Frauen des 561/2. Lebensjahres (Achtung: Übergangsbestimmung);
  • Mindestversicherungszeit
  • entweder im Laufe des gesamten Lebens 20 Pflichtversicherungsjahre
  • oder in den letzten 30 Jahren vor dem Stichtag 20 Versicherungsjahre, wobei Monate einer freiwilligen Weiterversicherung außer Betracht bleiben;
  • Vorliegen von mindestens 15 Pflichtversicherungsjahren
  • Wenn mindestens 10 Pflichtversicherungsjahre vorhanden sind, ist eine Aufstockung durch Kindererziehungsmonate möglich.
  • Leistungsbezug durch 52 Wochen innerhalb der letzten 15 Kalendermonate vor dem Stichtag, und zwar Krankengeld, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Abfertigung
  • oder statt des Leistungsbezuges Meldung beim Arbeitsmarktservice als Arbeit suchend, wenn in den letzten 25 Jahren vor Inanspruchnahme der Pension mindestens 15 Pflichtversicherungsjahre vorhanden sind oder
  • Zeiten der Meldung beim AMS, in denen nur wegen der Höhe des Einkommens des Ehepartners/der Ehepartnerin (Lebensgefährten/Lebensgefährtin) mangels Notlage kein Anspruch auf Notstandshilfe besteht:
  • im Jahr 2000: Männer, die im Jahr 1940 geboren wurden, Frauen, die im Jahr 1945 geboren wurden
  • im Jahr 2001: Männer, die im Jahr 1940 oder 1941 geboren wurden, und Frauen, die im Jahr 1945 oder 1946 geboren wurden
  • im Jahr 2002: Männer, die im Jahr 1940, 1941 oder 1942 geboren wurden, und Frauen, die im Jahr 1945, 1946 oder 1947 geboren wurden
  • Fehlen einer Erwerbstätigkeit (monatliche Freigrenze EUR 309,38)

GLEITPENSION

Anspruchsvoraussetzungen:

  • Vollendung des 611/2. Lebensjahres, für Frauen des 561/2. Lebensjahres (Achtung: Übergangsbestimmung)
  • 35 bis 371/2 Versicherungsjahre;
  • 24 Pflichtversicherungsmonate unmittelbar vor dem Stichtag. Die Pflichtversicherungsmonate können durch Monate des Arbeitslosengeldbezuges oder des Krankengeldbezuges ersetzt werden;
  • Reduktion der Arbeitszeit auf höchstens 28 Wochenstunden, bei vorheriger Teilzeitbeschäftigung auf höchstens 70% der vorherigen Teilzeitbeschäftigung.

Die Gleitpension ist eine Teilpension. Sie beträgt mindestens 50%, höchstens jedoch 80% der sonst gebührenden vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer.

Stellt der Gleitpensionist/die Gleitpensionistin die Erwerbstätigkeit ein und verzichtet auf die Gleitpension, gebührt ab dem auf den Verzicht folgenden Monatsersten die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer. Die Bemessungsgrundlage dafür wird aus den höchsten 180 Gesamtbeitragsgrundlagen neu berechnet. Diese Regelung kann nur zu einer Verbesserung, nie zu einer Verringerung der früheren Bemessungsgrundlage führen.

Eine Honorierung erfolgt in folgendem Ausmaß: für je 12 Monate des Gleitpensionsbezuges wird der ursprüngliche Prozentsatz mit dem Faktor 1,02 multipliziert, für 5 Jahre Gleitpensionsbezug mit dem Faktor 1,104. Die Erhöhung gebührt ab dem auf den Verzicht folgenden Monatsersten. Diese Regelung gilt für alle Gleitpensionen ab einem Stichtag 1. 8. 1998 rückwirkend.

Die Urlaubsersatzleistung verlängert die Sozialversicherungspflicht. Erst nach deren Ende beginnt eine vorzeitige Alterspension.

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Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322114114 Pensionsraub So war schon die »Pensionsreform 2000« vor allem darauf ausgerichtet, möglichst rasch budgetwirksame Ausgabenkürzungen zu erreichen. Ergebnis war eine Leistungskürzung von 18 Milliarden Schilling bei jenen Beschäftigten, die in den Jahren 2001 bis 2003 das seit Jahrzehnten gültige Pensionsalter erreicht hätten1). Und schon damals wurde in Kauf genommen, dass der Vertrauensschutz der Menschen massiv untergraben wurde. Was die Pensionsreform 2000 hingegen nicht brachte, waren überfällige Strukturreformen: Maßnahmen zur Erhöhung der Erwerbschancen älterer Arbeitnehmer, zur Beseitigung der Ursachen für die viel zu hohen Invalidisierungsraten in Österreich, zur kostendeckenden Finanzierung der Ersatzzeiten, zur Erreichung von mehr Beitragsgerechtigkeit im Pensionssystem2) suchte man wieder vergebens.

Das im März 2003 veröffentlichte Regierungsprogramm der ÖVP-FPÖ-Koalition II geht leider wieder in diese Richtung. Wieder stehen Pensionsmaßnahmen unter dem Diktat kurzfristiger Budgetkonsolidierung und Geldbeschaffung. Die schon sehr früh erfolgte Festlegung der ÖVP, die vorzeitige Alterspension gänzlich abzuschaffen und zu Zwecken der Budgetkonsolidierung aus den Pensionssystemen wieder eine Milliarde Euro zu holen, war einmal mehr Hindernis für eine breit angelegte, ausgewogene und zukunftsorientierte politische Diskussion über Pensionssicherung unter Berücksichtigung der schwierigen Arbeitsmarktlage.

»Das auch diesmal wieder angekündigte
arbeitsmarktpolitische Maßnahmenpaket wird kaum Beschäftigungseffekte zeitigen«

Das Regierungsübereinkommen 2003 enthält im Pensionsbereich einerseits kurzfristige Maßnahmen, die schon im Wesentlichen ausformuliert sind und der Budgeteinsparung dienen3), andrerseits mittel- und langfristige Maßnahmen, die aber überwiegend nur in Überschriften und noch sehr unklar angesprochen sind.

In der Doppelmühle »Pensionshöhe runter - Pensionsalter rauf«

Offenbar ab 2004 - einschlägige Gesetze fehlen ja noch - sind im Pensionsrecht vor allem die Abschaffung der vorzeitigen Alterspensionen (»Frühpensionen«) sowie auch weitere massive Verschlechterungen im Leistungsrecht vorgesehen:

  • Anhebung des Pensionsalters bei der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer4) ab 2004 um vier, 2005 um sechs, 2006 bis 2009 um je acht Monate. Ab Ende 2009 soll diese Pensionsart entfallen.
  • Auslaufen der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit (ab 2004); an die Stelle dieser Pension soll künftig ein Altersübergangsgeld aus der Arbeitslosenversicherung treten5).
  • Senkung des Steigerungsbetrages von 2 Prozent auf 1,78 Prozent pro Jahr.
  • Verschärfung des Abschlages pro Jahr früherem Pensionseintritt als zum »Regelpensionsalter« (65/60) statt 3 Prozent pro Jahr von der Bemessungsgrundlage, 4,2 Prozent von der Bruttopension, aber ohne Deckelung.
  • Die so genannte »Hacklerregelung« (Pensionsantritt mit 60/65 nach 45/40 Beitragsjahren) soll bis 2010 verlängert werden.
  • Anhebung des Durchrechungszeitraumes für die Bildung der Pensionsbemessungsgrundlage bis 2033 von 15/18 auf 40 Jahre (ASVG ab 2003 12 Monate pro Jahr, öffentlicher Dienst 18 Monate pro Jahr).
  • Keine Pensionsanpassung (Valorisierung) im ersten Jahr nach Zuerkennung - somit weitere Pensionskürzung auf Lebenszeit.

Auswirkungen

Die Auswirkungen dieser Verschlechterungen sind natürlich gravierend:

  • Nach der Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters um 1,5 Jahre (2000) wird auch die Abschaffung der Frühpensionen massive Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt haben. Bis 2006 werden deswegen zusätzlich mehr als 28.000 Menschen Arbeit brauchen, von 2006 bis 2009 noch einmal 50.000. Dies wird zu einem weiteren Anstieg der Zahl der Altersarbeitslosen führen, die noch dazu deutlich länger in Arbeitslosigkeit verharren müssen.
  • Die Senkung der Steigerungspunkte von 2 Prozent pro Versicherungsjahr auf 1,78 Prozent führt bei einem Pensionsantritt zum 65./60. Lebensjahr zu einem Pensionsverlust von bis zu 11 Prozent.
  • Der Abschlag von 4,2 Prozent pro Jahr vorzeitiger Inanspruchnahme ohne Deckelung führt vor allem bei Versicherten, die aufgrund der »Hacklerregelung« mit 60 oder 55 Jahren in Pension gehen können, zu Verlusten von 20 Prozent.
  • Die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit bedeutet vor allem für viele Frauen eine Verlängerung der Arbeitslosigkeit um 3,5 Jahre mit Einkommensverlusten von 25 Prozent gegenüber dem Pensionsbezug.6)
  • Die ohnehin schon massiven finanziellen Auswirkungen werden durch die geplante Durchrechnung (ohne entsprechende Erhöhung der Aufwertungsfaktoren) bei der Pensionsbemessung noch verstärkt. Berechnungen des Sozialministeriums gehen bei einer Durchrechnung von durchschnittlichen Verlusten von mehr als 20 Prozent aus. Bereits bei einer 18-jährigen Durchrechnung, die im Jahr 2006 erreicht sein wird, ist mit einem Durchrechnungsverlust von 4,5 Prozent zu rechnen, bei überdurchschnittlicher Einkommensentwicklung bereits mit einem Verlust von 9 Prozent.
  • Nimmt man die Pensionsverluste durch Senkung des Steigerungsbetrages plus Durchrechnungsverluste zusammen, führt das in vielen Fällen zu Pensionsverminderungen innerhalb weniger Jahre von bis zu 20 Prozent.
  • Zusätzlich ist zu bedenken, dass erst mit der Pensionsreform 2000 das Zugangsalter von 55/60 auf 56,5/61,5 erhöht wurde. Ein heute 58-jähriger Versicherter (Geburtsjahrgang 1945) hat durch die Pensionsreform 2000 bereits eine Erhöhung des Antrittsalters um 1,5 Jahre erfahren. Nun wird für ihn neuerlich das Pensionsantrittsalter um 18 weitere Monate (auf 63 Jahre) erhöht. Dieses doppelte Betroffensein von einer Erhöhung des Pensionsanfallsalters in so kurzer Zeit ist jedenfalls auch verfassungsrechtlich bedenklich.

»Wieder stehen Pensionsmaßnahmen unter dem Diktat kurzfristiger Geldbeschaffung«

Letztlich: Das im Regierungsabkommen auch diesmal wieder angekündigte arbeitsmarktpolitische Maßnahmenpaket für Ältere wird kaum Beschäftigungseffekte zeitigen, wie es schon bei der Lohnnebenkostensenkung im Rahmen einer »Aktion 56/58« um 3 Prozentpunkte der Fall war. Es ist im Verhältnis zu den ausformulierten Leistungsverschlechterungen wenig konkret, ebenso wie die Verstärkung des Bonus-Malus-Systems bei Kündigung älterer Arbeitnehmer.

»Dies wird zu einem weiteren Anstieg der Zahl der Altersarbeitslosen führen, die deutlich länger in Arbeitslosigkeit verharren«

Jedenfalls wird das angekündigte arbeitsmarktpolitische Maßnahmenpaket für ältere Arbeitnehmer mit dem Einsetzen der Abschaffung der Frühpensionen zu spät kommen. Maßnahmen zur Bekämpfung der Altersarbeitslosigkeit und Stabilisierung der Beschäftigung in den wichtigen Bereichen Gesundheitsvorsorge, Weiterbildung, Wiedereingliederungshilfen müssten, wenn sie ernst gemeint sind, bereits greifen, wenn ein späterer Pensionsantritt ohne Schäden für die Betroffenen angestrebt wird.

Demontage der sozialen Pensionsversicherung?

Während die kurzfristigen Pensionsmaßnahmen im Regierungsprogramm schon sehr genau ausgeführt sind, bleiben die mittel- und langfristigen Maßnahmen in vielen Bereichen noch sehr unklar. Trotzdem wird meiner Ansicht vor allem ein angesprochener Punkt von großer Sensibilität für die künftige Ausgestaltung des Pensionssystems erkennbar - die Einführung eines »beitragsorientierten Pensionskontos«.

FAKTEN

Tiefe Schnitte

25 Prozent weniger Einkommen mehrere Jahre lang bedeutet die Abschaffung der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit vor allem für viele Frauen.

20 Prozent weniger Pension bedeutet die neue »Hacklerregelung« für besonders schwer arbeitende Menschen.

20 Prozent niedriger werden die Pensionen im Durchschnitt sein, wenn der verlängerte Durchrechnungszeitraum zum Tragen kommt. Schon 2006 ist mit Durchrechnungsverlusten von 4,5 bis 9 Prozent zu rechnen.

78.000 Arbeitsplätze wären notwendig, um die bis 2009 eintretenden Folgen des erhöhten Pensionsantrittsalters für den Arbeitsmarkt aufzufangen.

Die soziale Pensionsversicherung wird auf eine Grundpension auf niedrigem Niveau reduziert. Unter dem vielversprechenden Titel »Bis 2024 soll jeder ein Pensionskonto haben« wurden vom Institut für höhere Studien (IHS) und zuletzt auch von der Pensionsreformkommission beim Sozialministerium neue Pensionsmodelle ins Spiel gebracht. Das Prinzip dieser individuellen Pensionskonten ist einfach: Alle Beitragsleistungen zur Pension werden am Pensionskonto summiert und beim frei wählbaren Pensionsantritt durch die verbleibende Lebenserwartung dividiert. Beispiele für derartige Systeme sind Betriebspensionen der Pensionskassen oder private Lebensversicherungen. Was auf den ersten Blick recht plausibel aussieht, hat beim Nachrechnen einen Riesenpferdefuß7). Im Durchschnitt würde die Pensionshöhe um 40 Prozent (!) unter dem gesetzlichen Niveau liegen. Im Übrigen: Durch die längere Lebenserwartung, die sich nach diesen Modellen pensionsmindernd niederschlägt, hätten Frauen durch ihre längere Lebenserwartung noch einmal bis zu 15 Prozent Pensionseinbußen gegenüber Männern. Zwar wird in der Expertendiskussion um diese »beitragsorientierten Pensionskonten« immer wieder versichert, dass Pensionsverluste durch den Bundesbeitrag zu den Pensionen ausgeglichen werden können, sieht man aber umgekehrt die Entwicklung der letzten Jahre, nämlich dass der Bund sich zunehmend aus der Finanzierung der Pensionen zurückziehen will, ist bei beitragsorientierten Pensionskontenmodellen klar, wo die Reise hingeht: Die soziale Pensionsversicherung wird von einer Sicherung des Lebensstandards im Alter auf eine Art Grundversorgung auf niedrigem Leistungsniveau reduziert. Mit dem Rest sind die Arbeitnehmer auf die so genannte Eigenvorsorge verwiesen - die, wie die jüngsten Erfahrungen mit den Pensionskassen zeigen, voll dem Kapitalmarktrisiko ausgesetzt ist.

»Frauen werden die großen Verlierer der geplanten Pensionsreformen sein«

Gerade die Diskussion um die im Regierungsübereinkommen angesprochenen Pensionskontenmodelle zeigt letztlich, dass die jungen Menschen keinesfalls als Gewinner der geplanten Maßnahmen dastehen werden. Welche Pension ein heute 30-jähriger Versicherter zu erwarten hat, bleibt nach dem Regierungsübereinkommen völlig offen.

Abschließend sei noch angemerkt, dass das Regierungsübereinkommen noch eine Reihe anderer mittel- und langfristiger Maßnahmen im Pensionsbereich anspricht wie

  • die schrittweise Harmonisierung der Beitragsgrundlagen und Beitragssätze in der Pensionsversicherung,
  • die Einführung einer Mindestpension in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Alleinstehende bei Bedürftigkeit, finanziert offenbar durch die Länder,
  • ein freiwilliges Pensionssplitting zur Existenzsicherung bei Scheidung.
    All diese Maßnahmen sind noch wenig ausgeführt und werden vor der Gesetzwerdung von den Interessenvertretungen der Arbeitnehmer noch ausführlich kommentiert werden.

1) Die Pensionsreform 2000 hatte überfallsartig den Pensionsantritt von bis dahin 60 Jahre für Männer und 55 Jahre für Frauen auf 56,5 Jahre für Frauen und 61,5 Jahre für Männer angehoben.
2) Noch immer ist es so, dass die Pensionen der Arbeitnehmer zu 86 Prozent aus den laufenden Beitragseinnahmen finanziert werden, bei den Gewerbetreibenden liegt der entsprechende Wert bei 46 Prozent, bei den Bauern lediglich bei 28 Prozent.
3) Dazu sind entsprechende Gesetzentwürfe dieser Tage zu erwarten.
4) Vorzeitige Alterspensionen wegen langer Versicherungsdauer können derzeit mit 61,5 bzw. 56,5 Jahren bzw. 35 Beitragsjahren (37,5 Versicherungsjahren) in Anspruch genommen werden.
5) Auch diese Pensionsart kann mit 61,5 bzw. 56,5 Jahren und einem Jahr Arbeitslosigkeit vor Pensionsantritt beansprucht werden.
6) Das Arbeitslosengeld ist im Regelfall deutlich niedriger als die Pension.
7) Vergleiche auch Pensionsreformkommission, Endbericht vom Dez. 02

RESÜMEE

Wer gewinnt, wer verliert?

Die erste Analyse der beabsichtigten Pensionsmaßnahmen der neuen Bundesregierung zeigt, dass von Pensionsgerechtigkeit keine Rede sein kann. Bei den Arbeitnehmern wird es keine Gewinner geben:

  • Frauen werden die großen Verlierer der im Koalitionsabkommen geplanten Pensionsreformen sein. Sie werden massive
    Leistungskürzungen erleiden, viele in einem Alter, in dem es weder Alternativen der Vorsorge noch Beschäftigungsmöglichkeiten gibt.
  • Große Verlierer werden auch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein. Bereits heute kann nur etwa die Hälfte der Arbeitnehmer aus einer aufrechten Beschäftigung in die Pension übertreten. Die Abschaffung der so genannten Frühpensionen verlängert die Arbeitslosigkeit Älterer und verstärkt den Druck, bei angeschlagener Gesundheit in Invaliditätspensionen einzutreten.
  • Wieder sind die Maßnahmen überfallsartig und treffen Arbeitnehmer, die kurz vor der Pensionierung stehen. Der Vertrauensschutz, die Plan- und Berechenbarkeit des Pensionsantrittes wird erheblich verletzt.
  • Dazu kommt, dass der zwingend vorgeschriebene spätere Pensionsantritt mit schwerwiegenden Abschlägen von der Pensionshöhe verschärft wird.
  • Insgesamt geht es wieder nicht um eine langfristige, systematische Anpassung unserer Alterssicherung an sich wandelnde soziale und demographische Verhältnisse, sondern um massive Verschlechterungen und eine weitere Schwächung der gesetzlichen Pensionsversicherung und damit auch des dort verankerten Solidarausgleiches im Bereich der Alterssicherung.

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Richard Leutner (Leitender Sekretär des ÖGB) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Apr 2003 00:00:00 +0200 1190322114060 Ein kontraproduktives Regierungsprogramm Im ersten Koalitionsprogramm der schwarzblauen Bundesregierung war die Erreichung des Nulldefizits das zentrale wirtschaftspolitische Ziel, dem alles andere untergeordnet wurde. Mit den Sparprogrammen der Jahre 2000 und 2001 wurde zwar 2001 einmalig ein Budgetüberschuss erzielt, aber der Preis war hoch. Österreich handelte sich mit massiven Steuererhöhungen die höchste Steuer- und Abgabenquote der Nachkriegszeit ein (45,6 Prozent des BIP). Diese Budgetkonsolidierung dämpfte in einer ohnehin rezessiven Phase der Wirtschaft die inländische Nachfrage - also Konsum und Investitionen - und verschärfte so die Wachstumsschwäche. Dadurch stieg die Arbeitslosigkeit deutlich an. Die Sparmaßnahmen belasteten die unteren, vor allem aber die mittleren Einkommen stark, während die Reichen und Superreichen extrem wenig zur Konsolidierung beisteuerten.

»Zu den derzeit 340.000 Arbeitsuchenden kommen bis 2006 weitere 110.000 Menschen hinzu«

Das nun durch die ÖVP-FPÖ-Regierung vorgelegte Programm steht unter dem Motto »zukunftsorientiert, nachhaltig und gerecht«. Den aus Arbeitnehmersicht zentralen Problemstellungen Beschäftigung, Wachstum, gerechte Verteilung und soziale Sicherheit wird es nicht gerecht.

Konjunkturerholung lässt warten

Die Konjunkturindikatoren deuten weiterhin nicht auf einen Aufschwung hin, die Konjunkturerholung in Österreich lässt daher weiter auf sich warten. Die Entwicklung der Weltwirtschaft unterliegt zudem erheblichen Risken:
Irakkrieg, Ölpreis, Unsicherheit auf den Aktienmärkten.

Erst in den Jahren 2004 bis 2006 wird das Wachstum die Zweiprozent-marke wieder überschreiten. Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg suchten in Österreich so viele Menschen Arbeit wie derzeit.

Von einem Beschäftigungsrekord, wie oft behauptet, kann keine Rede sein. Im Gegenteil, die aktive Beschäftigung (ohne Kindergeldbezieherinnen) ist im Vorjahr um 24.000 Personen gesunken.

Budgetpfad lässt Defizite zu

Vor diesem Hintergrund beschloss die Bundesregierung einen Budgetpfad, der durch ein Sparprogramm im Ausmaß von mindestens drei Milliarden Euro (bezogen auf das Jahr 2006) und eine Steuer- und Abgabensenkung in zwei Etappen geprägt ist (siehe Tabelle: »Mittelfristiger Wachstums- und Budgetpfad«). Die erste Etappe tritt 2004 in Kraft und soll eine Nettoentlastung von 500 Millionen Euro bringen, die zweite Etappe wird 2005 umgesetzt und peilt eine Nettoentlastung von 2,5 Milliarden Euro an. Damit soll die Abgabenquote im Jahr 2006 auf 43 Prozent gesenkt werden. Der Budgetpfad nach Einsparungen zeigt ab 2004 einen kontinuierlichen Rückgang des Defizits, im Jahr 2006 sogar einen Überschuss. Bei Realisierung der beiden Etappen der Steuerreform und unter Einbeziehung der Sparmaßnahmen steigt das gesamtstaatliche Defizit nach Maastricht-Kriterien 2005 auf 1,5 Prozent und sinkt im Jahr danach auf 1,1 Prozent des BIP. Der Weg des Nulldefizits wird damit verlassen. Auch der Slogan »Keine neuen Schulden« lässt sich nicht mehr aufrechterhalten, da die Steuerentlastung des Jahres 2005 defizitfinanziert wird. Das ist eine Totalumkehr. Nach der obersten Priorität der ersten schwarzblauen Regierung ist nunmehr die Senkung der Abgabenquote das vorrangige budgetpolitische Ziel.

3 Milliarden Sparprogramm bis zum Jahr 2006

Die Sparmaßnahmen für die nächsten Jahre setzen in verschiedenen Bereichen an: Je eine Milliarde Euro soll bei den Pensionen und im Gesundheitsbereich eingespart werden und weitere 1,3 Milliarden durch eine Verwaltungsreform. Nur genannt, aber nicht quantifiziert werden Einsparungsmaßnahmen bei Ländern und Gemeinden, die Bekämpfung der Schwarzarbeit und die Durchforstung der Bundesförderungen.

Pensionssicherung?

Nach den Plänen der Regierung sind im Pensionsrecht (auch der Beamten), beginnend ab 2004, sowohl die schrittweise Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer (Frühpension) innerhalb eines Zeitraumes von sechs Jahren als auch massive Verschlechterungen im Leistungsrecht vorgesehen.1) Die Abschaffung der Frühpensionen, die schrittweise den Pensionsantritt bis zum Regelpensionsalter (65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen) hinausschieben2), haben gravierende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, weil durch die Beseitigung dieser Pensionsart das Angebot an Arbeitskräften um zirka 80.000 Personen erhöht wird. Bereits die Anhebung des Pensionsantritts auf 61,5 Jahre hat einen Anstieg der Arbeitslosigkeit vor allem bei älteren Arbeitnehmern, aber auch bei den jungen mit sich gebracht. Dieses Problem wird sich verschärfen. Daran wird auch das geplante Maßnahmenpaket für Ältere, insbesondere die Aktion »56/58 Plus« und die Qualifizierungsoffensive, wenig ändern. Die Senkung der Lohnnebenkosten für ältere Arbeitnehmer im Rahmen der Aktion »56/58 Plus« wird nur bescheidene Beschäftigungseffekte bewirken.

N A C H L E S E N !

Die vorliegenden Ausführungen, die nur die wichtigsten Maßnahmen behandeln, beruhen auf einer Analyse des Regierungsprogramms durch Arbeiterkammer und ÖGB. Die gesamte Stellungnahme kann von folgender Homepage heruntergeladen werden: www.akwien.at/dat/Analyse_Regierungsprogramm_Endfassung.pdf

Nach Berechnungen des WIFO würde die Senkung der Lohnnebenkosten maximal 1800 Arbeitsplätze bringen. Für die vorgeschlagene - äußerst wichtige - Qualifizierungsoffensive für ältere Arbeitnehmer fehlen aber die finanziellen Mittel im Budget des Arbeitsmarktservice. Auch werden keine Vorkehrungen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit getroffen. Die Abschaffung der Frühpensionen wird daher zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen, sodass per Saldo der angestrebte Spareffekt nicht erzielt werden kann.

»Für die vorgeschlagene - äußerst wichtige -
Qualifizierungsoffensive für ältere Arbeitnehmer fehlen die finanziellen Mittel«

Besonders hart betroffen sind Frauen, die keine durchgängigen Berufskarrieren haben - also fast alle. Die von der »Hacklerregelung« Betroffenen können zwar weiter mit 55 nach 40 Beitragsjahren (Frauen) bzw. mit 60 nach 45 Beitragsjahren (Männer) in Pension gehen, aber die Veränderungen im Leistungsrecht bedeuten für sie einen Pensionsverlust von 20 Prozent gegenüber der jetzigen Regelung. Auf der anderen Seite führt die Senkung des fiktiven Ausgedinges für Bauern zu einer Erhöhung ihrer Pension.

Die so genannte »Pensionssicherungsreform« der Regierung bringt vor allem überfallsartige Kürzungen. Wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Steigerung der Beschäftigung, die den zentralen Ansatzpunkt zur Sicherung der Pensionssysteme darstellt, fehlen in den Regierungsplänen.

Sparen bei der Gesundheit

Im Gesundheitsbereich zielt eine Reihe von Maßnahmen auf die Verhinderung von Abgängen in der Höhe von rund einer Milliarde Euro bis 2006. Dazu gehören insbesondere die Anhebung der Krankenversicherungsbeiträge für Pensionisten von 3,75 Prozent auf 4,75 Prozent in vier Jahresschritten, die Einführung eines Versichertenbeitrags in der Höhe von 0,1 Prozent für Freizeitunfälle, die Einhebung von Selbstbehalten, Einsparungen bei den Arzneimitteln sowie die Umwidmung von 10.000 und der Abbau von 6000 Akutbetten.

»Von einem Beschäftigungsrekord, wie oft behauptet, kann keine Rede sein«

Die Anhebung der Krankenversicherungsbeiträge für Pensionisten lässt sich weder aus dem Solidarprinzip noch aus der gestiegenen Lebenserwartung ableiten. Der beabsichtigten Erhöhung fehlt daher jede sachliche Begründung. Die Einsparungen bei den Arzneimitteln (etwa der stärkere Einsatz von Generika3) und die Überprüfung der Großhandels- und Apothekenspannen) sind sinnvoll, von einer Senkung der Vertriebsspannen auf europäisches Niveau ist allerdings nicht die Rede. Besonders umstritten ist die Einhebung von sozial gestalteten Selbstbehalten (250 Millionen Euro) bei gleichzeitigem Wegfall der Ambulanz- und Krankenscheingebühr, wozu die Sozialversicherungsträger ermächtigt werden sollen. Diese Maßnahmen sind vor allem deshalb problematisch, weil die Selbstbehalte schon jetzt nach Berufsgruppen gestaffelt sind, weil das Prinzip der solidarischen Lastenverteilung vermieden wird, weil aus verteilungspolitischer Sicht die unteren Einkommensbezieher sowie die Kranken selbst bei Einziehen einer Obergrenze stärker belastet werden und weil die Lenkungseffekte unklar sind.

Verwaltungsreform erzeugt Arbeitslose

Der weitaus überwiegende Teil der Einsparungen resultiert aus Personaleinsparungen beim Bund (Bildung ausgenommen), dem Abbau von Überstunden, moderaten Gehaltserhöhungen für die Beamten in den nächsten Jahren und der Kompensation des Struktureffekts im Bildungsbereich. Mit Verwaltungsreform hat all das nur wenig gemeinsam. Die echten Maßnahmen zur Verwaltungsreform (Controlling, E-Government- Offensive, Ausbau von Bezirksverwaltungsbehörden, Intensivierung von Evaluierungen etc.) bringen wenig Einsparungen. Die Einrichtung von Landesverwaltungsgerichtshöfen würde sogar zu Mehrausgaben führen.

Die Einsparung von 10.000 Planstellen beim Bund durch Nichtnachbesetzung würde bedeuten, dass der Personalstand (ohne Schulen und Universitäten) um gut 10 Prozent verringert werden müsste. Dieses Ziel ist wenig realistisch, weil der Personalstand schon in der letzten Legislaturperiode um 13.000 Planstellen gesenkt wurde und weil die Abschaffung der Frühpensionierung diesem Plan entgegenwirkt.

Auch bei den Ländern und Gemeinden sollen bis 2006 20.000 Bedienstete abgebaut werden, das sind etwa 9 Prozent der Beschäftigten von Ländern und Gemeinden (ohne Krankenanstalten). Ob dies möglich ist, bleibt fraglich, nicht zuletzt, weil die Bundesregierung de facto wenig Einfluss auf die Personalpolitik der Länder und Gemeinden hat. Wünschenswert wäre in beiden Bereichen eine Verknüpfung des Personalabbaus mit Fortschritten bei der Verwaltungs- und Bundesstaatsreform. Nur so kann eine Verschlechterung der Qualität der öffentlichen Leistungen verhindert werden.

Im Bildungsbereich soll der so genannte Struktureffekt4) bei Bundes- und Landeslehrern abgebaut werden (erhofftes Ergebnis: 350 Millionen Euro). Egal, welche Maßnahmen zu dieser Einsparung führen (Kürzung der Unterrichtsstunden, Anhebung der Lehrverpflichtung), auch dadurch gehen Arbeitsplätze verloren. Insgesamt resultiert aus diesen vermeintlichen Maßnahmen der Verwaltungsreform ein erheblich negativer Effekt auf dem stark angespannten Arbeitsmarkt.

Per Saldo Mehrkosten

Im Regierungsabkommen werden noch weitere Einsparmaßnahmen genannt, einerseits bei Ländern, Städten und Gemeinden (über die Personalkürzungen hinaus), andrerseits Einsparungen durch Schwarzarbeitsbekämpfung und die Überprüfung von Bundesförderungen. Sie werden aber weder inhaltlich konkretisiert noch wird ein Sparziel genannt. Die Bekämpfung der Schwarzarbeit entspricht jedenfalls einer langjährigen Forderung der Arbeiterkammern und Gewerkschaften.

Die Erreichbarkeit der angestrebten Sparziele muss in Frage gestellt werden. Das auch deshalb, weil im Regierungsprogramm zahlreiche Maßnahmen angeführt sind, die im Budgetpfad gar nicht enthalten sind, die aber zu Einnahmenausfällen bzw. Mehrausgaben führen (etwa die Senkung des fiktiven Ausgedinges für Bauernpensionen, Preissenkung beim Agrardieseltreibstoff, weiterer Ausbau der 2. und 3. Säule der Altersversorgung, Landesverwaltungsgerichtshöfe und so fort). Eine endgültige Beurteilung ist daher erst nach der Konkretisierung der derzeit in vielen Fällen noch zu vagen Pläne möglich.

Erste Etappe der Steuerreform belastet rund 2,5 Millionen Arbeitnehmer

Zur ersten Etappe der Steuerreform gibt es im Regierungsprogramm halbwegs konkrete Angaben, sodass eine erste Einschätzung möglich ist. Demnach sollen Bruttojahreseinkommen bis 14.500 Euro (also rund 1000 Euro pro Monat) steuerfrei sein. Derzeit fallen bei Angestellten mit 1000 Euro Bruttomonatseinkommen 31,8 Euro Lohnsteuer an. Dies wäre die maximal mögliche Entlastung. Diese Lohnsteuersenkung soll nach Angaben des Finanzministers nicht mehr als 385 Millionen Euro kosten. Die Einschleifregelung auf das jetzige Niveau muss also sehr scharf sein. Die Steuersenkung läuft daher nach Berechnungen der Arbeiterkammer bereits bei Bezügen von 1750 Euro aus. Schon ab 1550 Euro monatlich wird die Steuersenkung praktisch nicht mehr spürbar sein. Die Entlastung tritt also nur in einem Einkommensband um 1000 Euro Bruttomonatsbezug ein.

F A K T E N

Fiktives Ausgedinge

Im bäuerlichen Bereich werden bei Übergabe der Landwirtschaft zwischen dem Altbauern oder der Altbäuerin und dem Übernehmer der Landwirtschaft (Sohn oder Tochter) oftmals so genannte Ausgedingeverträge (Übergabeverträge) geschlossen.

Diese Verträge stellen im Wesentlichen eine Unterhaltsregelung dar, die fiktiv in die Berechnung der Bauernpension Eingang findet. Werden die Prozentsätze für das fiktive Ausgedinge - wie im Regierungsabkommen geplant - herabgesetzt, so erhöht sich dadurch die Bauernpension.

Diese Maßnahme stellt zwar eine klientelpolitische Maßnahme dar, sie ist aber auch vor dem Hintergrund der Armutsvermeidung zu sehen.

Die für Unternehmer und Selbständige vorgesehenen Maßnahmen, die Einführung des halben Steuersatzes für nicht entnommene Gewinne von Personengesellschaften und Einzelunternehmern, führen laut Finanzminister zu einer Entlastung von 400 Millionen Euro. Nach Berechnungen der Arbeiterkammer wird der Steuerausfall aus dieser Maßnahme aber auf 600 Millionen Euro geschätzt und zu einer massiven Umverteilung zugunsten der Spitzenverdiener unter den Selbständigen und Gewerbetreibenden führen.

Steuersenkung wird mit neuen Belastungen finanziert

Zur Finanzierung dieser Steuersenkung werden die Energieabgaben um 340 bis 400 Millionen Euro erhöht. »Angedacht« sind Belastungen bei Kohle und Koks, Erdgas, schwefelarmem bzw. nicht entschwefeltem Benzin und Diesel sowie bei Heizöl. Höhere Einnahmen sind wahrscheinlich, da es schwefelarmes Benzin erst im Lauf des Jahres 2004 geben wird. Dabei werden die privaten Haushalte rund die Hälfte dieser Belastung zu tragen haben. Verteilungspolitisch bedeutet das, dass die 1,15 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nur bis 900 Euro verdienen und daher keine Lohnsteuer zahlen, auch von der Lohnsteuersenkung nicht profitieren. Für sie bleibt unter dem Strich nur eine Belastung. Das gilt auch für Arbeitnehmer ab 1750 Euro Bruttomonatseinkommen. Insgesamt werden rund 2,5 Millionen Unselbständige durch die erste Etappe der Steuerreform stärker be- als entlastet. Die andere Hälfte der Energiesteuer zahlen die Unternehmen, also rund 200 Millionen Euro. Dieser Belastung steht aber im Gegenzug eine Entlastung von 400 bis 600 Millionen Euro aus der steuerlichen Begünstigung nicht entnommener Gewinne gegenüber. Von Gerechtigkeit kann hier also keine Rede sein. Was die »größte Steuerreform der Zweiten Republik« in der zweiten Etappe bringen wird, sind bisher nur Versprechen, die nicht nachvollziehbar sind. Wie viel von den 2,5 Milliarden Euro als Entlastung für die Arbeitnehmer und damit für die Stärkung der Kaufkraft vorgesehen ist, ist noch völlig unklar.

Noch mehr Druck nach unten

Gesamteinschätzung der Auswirkungen des Regierungsprogramms:
Die wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Ausgangslage zu Beginn dieser Legislaturperiode ist ungünstig. Das ist zum Teil eine Folge des strikten Nulldefizitkurses im Konjunkturabschwung, also von eigenen Fehlern. Die hier nur zum Teil angesprochenen Belastungen und das Fehlen einer beschäftigungssteigernden Wirtschaftspolitik im Regierungsprogramm lassen einen markanten Anstieg der Arbeitslosigkeit um bis zu zwei Prozentpunkte befürchten. Zu den derzeit 340.000 Arbeitsuchenden kommen bis 2006 weitere 110.000 Menschen hinzu. Dabei sind die Pläne der Regierung, die Beschäftigten im öffentlichen Sektor auf den Durchschnitt des OECD-Niveaus zu senken, noch nicht berücksichtigt.

»Besonders hart betroffen sind Frauen, die keine durchgängigen Berufskarrieren haben - also fast alle«

Die arbeitsmarktpolitische Strategie der Regierung folgt neoliberalen Vorstellungen und setzt vorwiegend auf Maßnahmen zur weiteren Flexibilisierung, auf die Erhöhung des Angebotsdrucks und Druck auf Arbeitslose, zu schlechteren Bedingungen Arbeit anzunehmen (»Flexibilisierung« der Zumutbarkeitsbestimmungen, Abschaffung der Notstandshilfe).

Mittelfristiger Wachstums- und Budgetpfad
2002 2003 2004 2005 2006
BIP-Wachstum real, in % 0,9 1,4 2,0 2,5 2,5
gesamtstaatliches Defizit nach Maßnahmen, in % des BIP -0,6 -1,3 -0,6 -0,3 0,2
Maßnahmen (in Mrd. EURO)
Verwaltungsreform 1,3
Pensionsreform 1,0
Schwarzarbeitsbekämpfung/Bundesförderungen überprüfen -
konsensuale Einsparungen bei Ländern, Städten u. Gemeinden -
Gesundheit - Vermeidung des Enstehens von Defiziten 1,0
Maßnahmen gesamt 3,0
Steuersenkung 2005 auf unter 43% des BIP, Mrd. Euro - - 0,5 2,5 -
gesamtstaatliches Defizit in % des BIP (nach Maßnahmen und Steuersenkung) -0,6 -1,3 -0,7 -1,5 -1,1
Abgabenquote nach Steuersenkung, in % 44,6 42,9
Quelle: Regierungsabkommen

Zu wenig Impulse für Wachstum

Aus der Sicht der Arbeiterkammern und Gewerkschaften findet die Regierung keine Antwort auf die Wachstumsschwäche und die stark verschlechterte Beschäftigungslage. Darin liegt die fundamentale Schwäche des Regierungsprogramms. Ein bloßes Bekenntnis zu den Zielen der Lissabon-Strategie reicht nicht aus. Zur Schaffung von Wachstum und Beschäftigung bedarf es einer expansiveren makroökonomischen Politik. Das haben die Erfahrungen der letzten Jahre eindeutig gezeigt. Die Regierung rückt mit ihrem Budgetpfad zwar vom »Nulldefizit um jeden Preis« ab und lässt Budgetdefizite zwischen 0,7 Prozent (2004) und 1,5 Prozent des BIP (2005) zu, angesichts der zu erwartenden negativen Wirtschaftsentwicklung ist dies aber nach wie vor zu restriktiv. Zudem ist der expansive Impuls aus der defizitfinanzierten Steuersenkung 2005 mit einem Entlastungsvolumen von 2,5 Milliarden Euro ungewiss und fällt in einen Konjunkturaufschwung hinein. Aus Arbeitnehmersicht wäre ein Impuls zur Stärkung des Konsums und der Investitionen so rasch wie möglich zu setzen - 2003 oder spätestens 2004.

Verteilung der Belastung und Entlastung ungewiss

Die Regierung sieht in den nächsten Jahren Belastungen in der Höhe von mindestens drei Milliarden Euro vor. Diesen Belastungen stehen Entlastungen bei Steuern und Sozialabgaben von ebenfalls etwa 3 Milliarden Euro gegenüber. Da die Regierungspläne in weiten Bereichen noch nicht bekannt sind - insbesondere zur Steuerreform 2005 -, ist derzeit in verteilungspolitischer Hinsicht noch keine Gesamtbeurteilung möglich. Aus den bisher bekannten Plänen lassen sich folgende, aus der Sicht der Arbeitnehmer wenig erfreuliche Tendenzen ableiten:

  • Die erste Etappe der Steuerreform entlastet die Unternehmer und Selbständigen per Saldo - mit sehr ungleicher Verteilungswirkung innerhalb der Gruppe. Die Arbeitnehmer hingegen werden überwiegend stärker belastet.
  • Die »klientelorientierte« Politik wird fortgesetzt, ablesbar etwa an den Selbstbehalten oder an den Maßnahmen zur Beschäftigungs- und Standortsicherung (Senkung von Dienstgeberbeiträgen zur Sozialversicherung).
  • Die Flexibilisierung bei den Arbeitnehmern wird fortgesetzt, in das Berufsrecht der freien Berufe wird hingegen nicht eingegriffen.
  • Befriedigung der agrarischen Klientel durch ökologisch bemäntelte Maßnahmen oder durch die Pensionsverbesserungen für Bauern durch die Senkung des fiktiven Ausgedinges.
  • Der im internationalen Vergleich ohnehin sehr niedrigen Unternehmensbesteuerung stehen hohe Entlastungen ohne investitionsfördernde Wirkung gegenüber (Senkung der Körperschaftsteuer, Hälftebesteuerung der nicht entnommenen Gewinne).


1) Siehe dazu den ausführlichen Beitrag von Richard Leutner auf Seite 14 dieses Heftes
2) Ab 2004 um 4 Monate, 2005 um 6 Monate und 2006 bis 2009 um je 8 Monate.
3) Medikamente, deren Patentschutz abgelaufen ist und die daher bei gleicher Wirksamkeit billiger sind.
4) Der Effekt durch automatische Verschiebungen (z. B. Biennal-
sprünge) aufgrund der derzeitigen Alters- und Qualifikationsstruktur.

R E S Ü M E E

Gefährdung des sozialen Zusammenhalts

Das Regierungsprogramm setzt den Trend fort, immer mehr Macht bei der Zentralgewalt des Bundes und bei den Ländern zu konzentrieren. Die sozialpartnerschaftlich organisierten Institutionen der Selbstverwaltung (Gebietskrankenkassen, Arbeitsmarktservice) sollen noch stärker dem Bund und den Ländern untergeordnet bzw. einverleibt werden.

Im Hinblick auf eine Bundesstaats-, Aufgaben- und Finanzausgleichsreform eignen sich die Regierungspläne nicht für eine konsistente Staatsreform, die mittel- und längerfristig eine kostensparende Staatstätigkeit ermöglicht.

Setzt sich der Trend einer Belastungspolitik zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fort, dann ist bei fehlenden Konzepten für die zentralen Fragen Arbeit, Wachstum und Sicherung der Sozialsysteme zu befürchten, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen weiter auseinander driften. Dies gefährdet den sozialen Zusammenhalt.

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Bruno Rossmann (Mitarbeiter in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 May 2003 00:00:00 +0200 1190322114008 Konsumentenschutz: Digital-TV kann alle teuer kommen Die Pioniere des Fortschritts haben ihr argwöhnisches Auge seit längerem auf die von Bites&Bytes umschlossenen analogen Saurier gerichtet. Einige EU-Mitgliedstaaten (vor allem Deutschland) sprechen schon ganz entspannt vom baldigen Aus für die analoge Ausstrahlung. Auch in Österreich ist für den Analogfunk mit dem Stempel der Unzeitgemäßheit ein Platz im Technischen Museum reserviert. DVB-T heißt der neue Standard, dem die Zukunft gehören soll.

Nur Banausen hielten den Übergang ins 21. Jahrhundert für einen belanglosen Wechsel zum Jänner eines Folgejahres. Menschen mit Visionen oder vielleicht auch nur einem entsprechenden Firmenauftrag wissen den Zeitenwechsel für Prophezeiungen zu nutzen: Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts werde ein digitales Informationszeitalter eingeläutet.

Den Geruch des Gestrigen hat das Medium, weil es sich nicht mit anderen elektronischen Übertragungswegen zu einem riesigen gemeinsamen Text-, Sprach- und Bildmedium zusammenführen lässt. Die Konvergenz aller Netze ist das Leitbild der Digitalisierungsdesigner. Außerdem gestattet die Digitalisierung eine ungleich höhere Datenkomprimierung. Auf den vorhandenen Sendefrequenzen (eine knappe Ressource, wie alle wissen, die auf dem Weg durch Österreich störungsfrei ihrem Lieblingsradio lauschen wollen) lassen sich dann deutlich mehr digitale Programmkanäle unterbringen.

Wir als Endverbraucher dürfen freilich nicht durch zu viel Vorinformation verwirrt werden. Auf der technischen Innovationsspur wirken wir doch alle etwas verloren. Immerhin machen wir uns nur langsam mit der Bedeutung von sonderbaren Abkürzungen wie GPRS, UMTS oder Wireless-LAN vertraut. Wäre doch gelacht, wenn wir dereinst, vor vollendete TV-Tatsachen gestellt, nicht auch konsumentengerechtes Kaufverhalten demonstrieren würden. Aufklärungskampagnen und Werbeoffensiven werden uns sicher ganz selbstlos dabei helfen.

Die EU erzwingt nichts

Kabel-TV-Anbieter und Programmveranstalter, die via Satellit ausstrahlen, lassen ihre digitalen Testballons schon seit geraumer Zeit steigen. Mit überschaubarem Erfolg. Kirchs Premiere-Angebot und Großbritanniens interaktives TV gelten als Paradebeispiele für schmerzhaft defizitäre Flops. Teures Pay-TV, so die späte Bilanz, zieht nicht bei einem Publikum, das seit langem an ein preiswertes werbe- oder gebührenfinanziertes Programmangebot gewöhnt ist.

Zeit für eine Nachdenkpause? Es schien so, als auch EU-Kommissar Erkki Liikanen seine Ansprache vor dem EU-Parlament am 11. Februar dieses Jahres mit der Frage übertitelte: »Is Digital TV a priority for Europe?« (Hat Digital-TV für Europa Vorrang?) Der Mann, der innerhalb der EU-Kommission für die Informationsgesellschaft zuständig ist, fand im selben Atemzug auch die Antwort: Ja doch. »The challenge«, die Herausforderung, sei jetzt, digitales TV auf alle Bürger auszudehnen, um den Umstieg zu ermöglichen, wenn dies von der EU-Gesetzgebung auch nicht gefordert werde. Ehrlich währt doch am längsten. Für den Umstieg vom Analog- auf das Digital-TV ist im Gegensatz zur Digitalisierung der Telefonnetze derzeit keine verbindliche EU-Norm vorgesehen.

»Wird die analoge TV-Ausstrahlung zum Auslaufmodell, muss jedes Fernsehgerät ersetzt werden.«

Weichenstellung in Österreich

Die Weichen für das digital-terrestrische TV (Rundfunkempfang über Antenne) werden in Österreich trotzdem gestellt. Dazu die Komm Austria, Österreichs Regulierungsbehörde für den Rundfunk, in einer Veröffentlichung vom Jänner 2003: Die »Migration von der analogen zur digitalen Rundfunkübertragung ist irreversibel im Gange. Es liegt nicht in der Macht von Einzelstaaten, sich dieser Entwicklung zu verschließen oder zu entziehen«. Die Einführung für die Konsumenten sei »vorteilhaft, zunächst aber mit Schmerzen verbunden«. Das hören Konsumenten freilich gerne.

Hohe Kosten, zweifelhafter Nutzen

Rechtlich gibt es wenig zu deuteln: Das Privat-TV-Gesetz sieht die rasche Einführung von digital-terrestrischem Rund-funk in Österreich vor. Wird die analoge TV-Ausstrahlung zum Auslaufmodell, muss jedes Fernsehgerät, aber auch jeder Videorecorder mit Zusatzgeräten (Set-Top-Boxen) ausgestattet oder komplett durch digitaltaugliche TV-Geräte ersetzt werden. Mehr als 60 Prozent der Haushalte wären nach Angaben des Regulators zur Anschaffung neuer End- bzw. Zusatzgeräte gezwungen. (17 Prozent der Haushalte empfangen ORF-Programme nur terrestrisch, die übrigen in Kombination mit SAT-Empfang.)

Bei einem prognostizierten Preis von 200 Euro für einfache Set-Top-Boxen, müsste eine Familie mit zwei Fernsehern und einem Videorecorder mindestens 600 Euro investieren, um das alte terrestrische Sendeangebot weiterhin konsumieren zu können. Dieser Kostenbelastung stellt die Rundfunkbehörde die Aussicht auf ein größeres TV-Angebot (12 verfügbare Senderplätze für Free-TV, Pay-TV und elektronische Zusatzdienste) und mobilen Empfang (etwa TV-Empfang im Auto) gegenüber. Die Chancen, zusätzliche Kanäle mit qualitativ hochwertigen Free-TV-Programmen zu bespielen, sind höchst ungewiss. Das mühevolle Ringen von ATV, dem Inhaber der ersten bundesweiten Privat-TV-Lizenz, aus den Startlöchern zu kommen, stimmt nicht gerade zuversichtlich.

Der Umstieg soll nach den Plänen des Regulators aufgrund äußerst knapper Frequenzen denkbar rasch erfolgen: Ab 2004 könnte schon in Ballungsräumen parallel analog und digital übertragen werden. Vorausgesetzt, es gibt Empfangsgeräte zu »leistbaren Preisen«, soll 2006 die Digitalübertragung »auf die Überholspur ziehen«, wobei massive Einschränkungen bei der analogen Versorgung ausdrücklich in Kauf genommen werden müssen. Von 2008 bis 2012 soll vom analogen TV-Zeitalter endgültig Abschied genommen werden.

»Problematisch wird das Vorhaben in Hinblick auf die Gewährleistung des allgemeinen Zugangs zu umfassender Information.«

Konsumenten-Unlust

Großbritannien, Frankreich und die USA haben sich unabhängig voneinander für einen langfristigen Übergang entschieden. Freilich befinden sich diese drei Referenzländer gegenüber Österreich in der ungleich günstigeren Lage, relativ viele ungenützte Frequenzen zu besitzen (Nutzung von Pufferkanälen in den USA) oder für das Militär reservierte Frequenzen umwidmen zu können (Frankreich). Die Entwicklung verläuft außerdem in allen Ländern zurückhaltend. Die Programmanbieter scheuten die kostenintensive Parallelausstrahlung, die Konsumenten zeigen geringes Interesse am Erwerb digitaler Empfangsgeräte.

Vorreiter eines abrupten Umstiegs ist allerdings Berlin. Ab Sommer wird dort nur noch digital gesendet. Der Grund: Terrestrik ist ein schwindendes Marktsegment. Die überwiegende Mehrheit der Berliner setzt seit langem auf Kabel oder Satellit. Die Vielfalt an digitalen terrestrischen Kanälen soll - so die Betreiberhoffnung - die Teilnehmerzahl vergrößern. Historische Vorbilder bieten sich kaum an. Beim Übergang von Schwarzweiß- auf Farb-TV bzw. im Zuge der Digitalisierung der Telefonnetze konnten jeweils auch mit den Geräten der Vorgängergeneration zumindest die elementarsten Dienste weiter genutzt werden.

Problematisch wird das Vorhaben im Hinblick auf die Gewährleistung eines allgemeinen Zuganges zu umfassender Information. Ein Ende des Parallelbetriebes beider Standards brächte den Konsumenten in ungewollten Zugzwang, wenn er nicht von der Programmausstrahlung gänzlich abgeschnitten werden will.

Das Vorhaben steht allerdings auch im regen Wettbewerb mit dem Ausbau des digitalen SAT-Empfangs, der Kabelverbreitung und der Internetentwicklung. Klar ist: Der Konsument wird in Zukunft jene Versorgung wählen, die günstig ist und die attraktivsten Inhalte bietet. Da man die ORF-Programme auch digital über Satellit empfangen kann, könnte der Abschalttermin für Analog-TV auch jener Zeitpunkt sein, wo dem freien Blick über die Dächer plötzlich vermehrt Satellitenschüsseln im Wege stehen ...

Die AK-Konsumentenschützer fürchten, dass Regierung und Rundfunkregulator die frequenztechnische Umsetzung vorantreiben, ohne das teure Projekt durch sorgfältige Studien über Verbraucherwünsche und künftige Marktentwicklung abzusichern. Sie fordern daher, dass ein Vorhaben dieser Größenordnung erst begonnen wird, wenn ein attraktives zusätzliches Programmangebot in den Digitalkanälen ebenso gesichert ist wie die Investitionsbereitschaft der Haushalte.

Außerdem sind die Gesamtkosten und die Finanzierungsquellen für die nächsten technischen Ausbaustufen offen zu legen. Immerhin sollen dem Vorhaben jährlich 40 Millionen Euro aus der Rundfunkgebühr, die bislang der Bund empfängt, zufließen. Für die Konsumentenschützer ist auch begründungsbedürftig, weshalb der Staat die Rolle des Risikokapitalgebers übernimmt. Den digitalen Netzaufbau bei Kabel-TV, Internet und Mobilfunk hat allein der Markt finanziert.

Besonders prekär wären die Anschaffungskosten für gebührenbefreite Haushalte. Eine kostenlose Bereitstellung der Set-Top-Boxen wird für diese Nutzergruppe immerhin diskutiert. Ein abrupter Switch-off entwertet jedoch auch bei allen Konsumenten alle vorhandenen Analogendgeräte.

Vorbild Mobilfunk

Beispielhaft für eine Entwicklung, die vom Verbraucher selbstbestimmt gesteuert werden konnte, war der Übergang der Mobiltelefonie von der ersten zur zweiten Generation. Zwar war auch hier ein langfristiger Abschalttermin vorgegeben, der sich aber trotz vorhandener analoger Restkunden als kaum konfliktträchtig erwies. Der lange Übergangszeitraum hat dazu geführt, dass sich die Konsumenten zwanglos von den zusätzlichen Vorteilen des GSM-Netzes überzeugen konnten, mit dem Effekt, dass das D-Netz schließlich allgemein als überholt erlebt wurde. Die starke Subventionierung der Endgeräte durch Netzbetreiber schaffte einen zusätzlichen positiven Anreiz, den Standard zu wechseln.

R E S Ü M E E

Ohne Umstiegsdruck!

Die Devise muss lauten: Anreize für die Konsumenten schaffen, sich auf die neue Technologie einzulassen, aber ohne Umstiegsdruck. Kein fixes Abschaltdatum:

Der Parallelbetrieb ist so lange fortzusetzen, bis sich die überwiegende Mehrheit der Verbraucher aus eigenem zu einem Wechsel entschließt.

Keine Verschiebung von Free- zu Pay-TV: Die Technologie kann im für den Verbraucher ungünstigsten Fall auch als Vorwand dafür dienen, den Weg für individuell abgerechnetes Pay-TV zu ebnen.

Wenn DVB-T-basierte Dienste, wie vielfach in Aussicht gestellt, tatsächlich einen für den Verbraucher augenfälligen Mehrwert aufweisen, wird sich dieser Standard auch ohne regulatorischen Druck und ohne fixen Abschalttermin durchsetzen. Vielleicht glauben aber die Visionäre selbst nicht so recht ihren Verheißungen?

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Daniela Zimmer http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 May 2003 00:00:00 +0200 1190322113992 Globales Ziel: Die wahren Defizite der EU Ohne Änderung der europäischen Wirtschaftspolitik ist die Strategie von Lissabon und das Ziel, bis 2010 wieder Vollbeschäftigung zu erreichen, zum Scheitern verurteilt. Im März 2000 hat der Europäische Rat in Lissabon eine neue Strategie verabschiedet und ein globales Ziel festgelegt: Bis 2010 soll die EU »zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt werden - einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erreichen«.

Besondere Konstruktion

Zur Umsetzung haben sich die Staats- und Regierungschefs eine besondere Konstruktion einfallen lassen: Neben dem globalen Ziel gibt es eine Reihe von quantitativen Zielen in verschiedenen Politikbereichen, die es ermöglichen, die Fortschritte zu bewerten, unter anderem auch in der Beschäftigungs-, Sozial- und Bildungspolitik.

Dazu kommen zwei institutionelle Innovationen: die Festlegung eines jährlichen Frühjahrsgipfels des Europäischen Rates mit Blick auf die Lissabon-Strategie und die Einführung einer neuen Methode europäischer Politikgestaltung, das so genannte »offene Koordinierungsverfahren«.

Aus Arbeitnehmersicht ist hervorzuheben, dass mit Lissabon das Ziel der Vollbeschäftigung zum Thema gemacht wurde. So bezeichnet die Kommission das Streben nach Vollbeschäftigung als »Herzstück der Lissabonner Strategie«. Konsequenterweise wurden im Beschäftigungsbereich globale quantitative Ziele festgelegt: Bis 2010 soll die Gesamtbeschäftigungsquote auf 70 Prozent steigen, jene der Frauen auf mindestens 60 Prozent und die der älteren Arbeitnehmer auf 50 Prozent. Demnach muss bis 2010 die Beschäftigung um 15 Millionen erhöht werden, davon 7,4 Millionen ältere Arbeitnehmer.

Politisch fatal

Allerdings krankt die Strategie an einem fundamentalen Defizit. Vollbeschäftigung erfordert mehr als nur Strukturpolitik in wichtigen Politikbereichen. Vollbeschäftigung erfordert vor allem eine entsprechende makroökonomisch fundierte europäische Wirtschaftspolitik, die ihre aktive Rolle zur Beeinflussung der konjunkturellen Entwicklung wahrnimmt. Es ist politisch fatal, dass dieser Zusammenhang seit Jahren ignoriert wird. Zwar äußert die Kommission selbst in ihrem Bericht für die Frühjahrstagung des Europäischen Rates 2003 Zweifel
an der Zielerreichung, sie zeigt jedoch keine Bereitschaft, ihre wirtschaftspolitische Strategie grundlegend zu hinterfragen.

Weiterhin gehen Kommission und EU-Regierungschefs davon aus, dass nicht die Konjunktur, sondern mangelhaft umgesetzte Strukturreformen für schwaches Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum verantwortlich seien. Dem steht die Erfahrung entgegen, dass seit Mitte der neunziger Jahre vor allem Länder mit hohem Wachstum eine sinkende Arbeitslosigkeit aufweisen (Finnland, Irland und die Niederlande), während Länder mit niedrigen Wachstumsraten mit steigender Arbeitslosigkeit konfrontiert sind (Österreich, Italien und Deutschland). Die Prozesse, die in Europa zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit initiiert wurden, tragen diesen Ergebnissen kaum Rechnung. Die zentralen Eckpunkte der europäischen Wirtschaftspolitik - Preisstabilität und restriktive Fiskalpolitik auch im Abschwung - werden noch immer nicht in Frage gestellt.

Fesseln lockern

Wir meinen, dass eine nachhaltige Verbesserung der Wachstums- und Beschäftigungssituation in der europäischen Wirtschaft in erster Linie makroökonomische Maßnahmen erfordert. Die EU-Regierungschefs sollten sich dringend mit diesem Strategiedefizit auseinander setzen und zumindest die Fesseln des Stabilitäts- und Wachstumspakts (SWP) lockern sowie einen unterstützenden Beitrag der EZB zur Konjunkturpolitik einfordern. Angesichts niedriger öffentlicher Investitionen in Europa sollte der SWP so ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten wichtige Zukunftsinvestitionen vornehmen können.

Leider gehört auch Österreich zu jenen EU-Staaten, die trotz wachsender Kritik und offensichtlichen Fehlentwicklungen weiterhin für eine strikte Auslegung des SWP eintreten und keinerlei Ambitionen auf eine intelligente Weiterentwicklung des SWP zeigen. Selbst Gert Haller, der als Staatssekretär unter Theo Waigel für Deutschland den SWP verhandelte, sagte jüngst in »Die Zeit«: »Es ist sinnlos, mit immer höheren Abgaben oder Kürzungen von Investitionsausgaben einem Defizit-Ziel hinterherzuhecheln und dabei die Wirtschaft zu ruinieren.«

Wer die Diskussion über die intelligente Weiterentwicklung des SWP verweigert und auf der europäischen Makropolitik bisherigen Zuschnitts beharrt, gefährdet die Lissabon-Strategie. Noch ist es möglich, den Hebel umzudrehen.

(Siehe auch die Lissabon-Analyse der AK Wien: www.akwien.at/auss.html)

AutorInnen: Silvia Angelo, Bruno Rossmann und Norbert Templ. Alle drei beschäftigen sich in der AK Wien mit europa-, wirtschafts- und budgetpolitischen Fragen.

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Thu, 15 May 2003 00:00:00 +0200 1190322113978 Südafrika zwischen Befreiung und Neoliberalismus: Neun Jahre nach dem Ende der Apartheid Der - zum Schluss - relativ glatte Übergang von der diktatorischen Apartheid zur Demokratie unter Nelson Mandela ohne massenhaften Exodus der ehemals herrschenden Weißen, der anschließende Machtwechsel innerhalb der Regierungspartei ANC zum derzeitigen Präsidenten Thabo Mbeki, all das rief Anerkennung hervor. Doch für die breite schwarze Bevölkerungsmehrheit sind viele Probleme unverändert geblieben.

Die Gegend um Kapstadt bietet viel: traumhafte Strände, fruchtbare Böden, eine exzellente Infrastruktur, Plantagen mit Wein oder Äpfeln für den Export. Erst mit der Zeit fällt auf, wie langwierig die gesellschaftlichen Folgen der Apartheid sind. An einem Sonntagnachmittag gehen wir an einer beliebten Uferpromenade spazieren und zählen die gemischten Paare, auf kaum fünf treffen wir nach einigen Stunden. Oder der öffentliche Nahverkehr in der Millionenmetropole Kapstadt - er erlahmt gegen 18 Uhr. Dann kann sich nur noch bewegen, wer ein eigenes Auto hat oder ein Taxi bezahlen kann. Die Armen sind bis dahin in ihre Townships zurückgekehrt. Endlos ziehen sich diese Schwarzensiedlungen am Stadtrand. In der Innenstadt bleiben Weiße und Farbige unter sich.

Nur wenige Schwarze haben einen ernsthaften Aufstieg in der demokratischen Gesellschaft Südafrikas nach dem Ende der Apartheid 1994 geschafft. »Die Anzahl von Unternehmen in schwarzer Hand ist rückläufig«, stellte das Wirtschaftsberatungsunternehmen BusinessMap kürzlich fest. Das gleiche Bild
herrscht an der Börse vor, wo nur 4,2 Prozent aller Notierungen auf Betriebe der schwarzen Bevölkerungsmehrheit (80 Prozent) entfallen.

Nicht weniger dramatisch ist das Unrecht auf dem Land: Gerade mal 60.000 weiße Großfarmer kontrollieren nach wie vor 80 Prozent des Bodens, 14 Millionen Schwarze leben als Landlose in bitterer Armut.

Fehlgeschlagene Landreform

Diese historische Ungleichheit sollte mit dem Landreformgesetz von 1994 korrigiert werden. Geplant war die Verteilung von einem Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche an acht Millionen Haushalte innerhalb von fünf Jahren. Nicht einmal drei Prozent des Ziels konnten erreicht werden. Kritiker werfen der Regierung eine zunehmend neoliberale Orientierung vor, da diese dem Weltbank-Konzept einer so genannten marktgestützten Landreform folgt. Also das Land dem, der es bezahlen kann. Und das können die Armen nicht, die Land brauchen, um Grundnahrungsmittel anzubauen. »Nelson Mandela ist ein Held, doch die jetzige Regierung hat uns vergessen,« beklagt sich der Landlose David Makuzi.

Die allermeisten Schwarzen auf dem Land sind Landarbeiter und Landarbeiterinnen. In der Region um Stellenbosch, kaum eine Stunde außerhalb Kapstadts, reifen weltbekannte Weine, die auch bei uns hohe Preise erzielen. Die Kaapzicht Farm wird unter den Top Ten der südafrikanischen Weine aufgeführt, knapp die Hälfte der Beschäftigten sind Frauen. »Deren Löhne liegen bei gerade der Hälfte ihrer männlichen Kollegen, obwohl sie die gleiche Arbeit verrichten«, kritisiert Rita Edwards vom »Women on Farms Project«. »Formal sind alle Frauen Gelegenheitsarbeiterinnen, die Männer haben dauerhafte Arbeitsverträge, damit haben auch nur sie das Recht auf die farmeigenen Häuschen. Die Arbeitskleidung ist schlecht, Frauen erhalten meist gar keine.« Seitdem sich die Beschäftigten der Gewekschaft angeschlossen haben, hat sich das innerbetriebliche Klima deutlich verschlechtert.

Permanente Tagelöhner

Nicht weit entfernt liegt das Städtchen Grabouw. Hier produziert die Firma Maltheno Brothers auf knapp 1000 Hektar Äpfel und Birnen vornehmlich für britische Supermärkte. Die Farm gilt als Paradebetrieb in der Kapregion, doch schon nach einigen Gesprächen mit den Arbeitern sieht die Situation weniger rosig aus. »Seit fünf Jahren bin ich hier beschäftigt, doch noch immer ohne festen Vertrag, wie die anderen Kollegen«, beklagt ein Arbeiter. Er ist ein Wanderarbeiter aus KwaZulu Natal, spricht nur Khosa, seine Rechte kennt er kaum, doch ist ihm klar, dass andere Beschäftigte längst Zugang zu kostenlosem Wohnraum, medizinischer Versorgung und Schulbildung für die Kinder erworben haben. »Es gibt immer weniger fest Angestellte«, erläutert Sharon Jafta von der Plantagenarbeitergewerkschaft SAAPAWU. »Die Unternehmen entziehen sich zunehmend ihrer Verantwortung und wollen mehr Flexibilität. Für die Arbeiter heißt das aber ständige Unsicherheit, sie werden permanente Tagelöhner. Sie können kaum ihre Familie zu sich holen und sind auch nur schwer in der Gewerkschaft zu organisieren.«

Etwa 300.0000 feste Arbeitsplätze sollen in der Plantagenwirtschaft in den vergangenen Jahren verloren gegangen sein. Und der Landbesitzerverband droht mit weiterem Abbau, da die ANC-Regierung Anfang Dezember erstmals in der Geschichte Südafrikas gesetzliche Mindestlöhne für Landarbeiter festgelegt hat.

Diese belaufen sich auf 650 Rand oder - in reicheren Region wie rund um Kapstadt - auf 800 Rand pro Monat, also 72 und 89 Euro. Bei einem Preisniveau, das etwa der Hälfte Mitteleuropas entspricht, erschreckend wenig. Doch wird der bisherige durchschnittliche Monatsverdienst auf gerade 544 Rand (60 Euro) beziffert, wobei die Hälfte aller Landarbeiter mehr Überstunden leisten muss als gesetzlich erlaubt - und das ohne Bezahlung. Von daher bezeichnet SAAPAWU-Generalsekretär Sipho Khumalo das neue Mindestlohngesetz als »einen ersten Schritt in die richtige Richtung«, auch wenn seine Gewerkschaft auf mindestens 1200 Rand (133 Euro) im Monat beharrt.

Widerstand gegen Privatisierung

Doch es wird schwer genug werden, das neue Gesetz umzusetzen, denn die Landarbeiterinnen und Landarbeiter leben oft weit entfernt von den Städten, sind traditionell stark an die Grundherren gebunden und nicht leicht für Gewerkschaften zu erreichen.

Es bleibt ein zwiespältiger Blick auf das demokratische Südafrika. Die Regierung des ANC hat zahlreiche positive Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht, nur bleiben sie zu oft Papier oder werden durch andere Maßnahmen konterkariert. Eine beachtliche Leistung war beispielsweise die Zurverfügungstellung von sauberem Trinkwasser an etwa sieben Millionen Menschen seit 1994. Doch durch die Privatisierungstendenzen im öffentlichen Sektor haben 18 Prozent den
Wasserzugang wieder verloren, da sie die Kosten einfach
nicht aufbringen können. Der Dachgewerkschaftsverband COSATU hat sich energisch gegen die Privatisierungspolitik des ANC ausgesprochen und bereits zwei Generalstreiks dagegen durchgeführt.

»Ein paar wenige Schwarze sind Multimillionäre geworden, während die überwältigende Mehrheit in Arbeitslosigkeit und krasser Armut gefangen bleibt,« resümierte COSATU auf seiner November-Tagung. COSATU ist neben der Kommunistischen Partei dritte Säule innerhalb des ANC. Die Debatten über die - fehlende - Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums haben sich innerhalb der ehemaligen Befreiungsbewegung zugespitzt, auch wenn der ANC-Parteitag kurz vor Weihnachten keinesfalls die von konservativen Kräften herbeigewünschte Spaltung brachte. Doch wenn beispielsweise der Verwaltungschef der Küstenstadt Durban, ein bekanntes ANC-Mitglied, im Monat vierzigmal so viel verdient wie ein normaler städtischer Angestellter mit relativ gutem Tarifvertrag, dann ist dies der gewerkschaftlichen Basis nur schwer zu vermitteln.

So mehren sich die Proteste gegen die ANC-Regierung, auch wenn es Gewerkschaften und sozialen Bewegungen schwer fällt, gegen die eigene traditionsreiche Bewegung auf die Straße zu gehen. Doch eine Arbeitslosenrate von etwa 40 Prozent und die wachsende Armut machen Aktionen nötig. Auch die Proteste in den Townships, den langjährigen ANC-Hochburgen, haben in jüngster Zeit zugenommen, nachdem ihnen das Wasser gesperrt oder ganze Bevölkerungsgruppen vertrieben wurden. Die Behörden reagieren nervös und brutal auf die Proteste. Als die Landlosenbewegung vor der großen Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Johannesburg im vergangenen September mobilisierte, wurde sie statt von den zuständigen Politikern von einem massiven Polizeiaufgebot empfangen und zu Dutzenden für einige Tage hinter Gitter gebracht. Das gute internationale Image sollte nicht gefährdet werden. Doch die Menschen ohne Land und ohne Arbeit leiden Hunger, der Mythos Nelson Mandelas macht sie nicht satt.

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Frank Braßel http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 May 2003 00:00:00 +0200 1190322113969 Arbeit & Wirtschaft - Leserforum Arbeit&Wirtschaft NEU

Sehr geehrte Mitglieder der Redaktion!

Ihr wollt ja sicher auch Meinungen aus dem Volk betreffend die Neugestaltung eurer Zeitung wissen. Meine Meinung: Ich finde die Umstellung nicht vorteilhaft. Die Inhalte sind zwar nach wie vor gut. Das Reduzieren der Fotos finde ich allerdings sehr nachteilhaft.

Ich glaube, dass es weniger zum Lesen anregt, wenn so viel "weiß" ist. Insofern ist es schade, dass die Zeitung nicht mehr so bunt ist. Bilder schauen - und dann etwas lesen - regt den Betrachter sicher eher an als nur "trockene" Inhalte.

Harry Hörzer

Angestelltenbetriebsrat der Andritz AG
PS: Bin selber auch seit vielen Jahren "Hobbyjournalist" für diverse Zeitungen und sehe daher das Ganze vielleicht auch etwas anders ...

Anmerkung der Redaktion: Sie haben es richtig erkannt. Wir haben die Zahl der Bilder zwar reduziert, bringen nun aber im Sinne der modernen Grafik größere und hochwertigere Fotos.

Pensionsreform

Liebe Redaktion!

Sollte noch irgendjemand die in den letzten Ausgaben von A&W genannten Horrorziffern betreffend die von der Regierung als Pensionssicherungsreform schwindeletikettierte Budgetsicherung anzweifeln, dann hat ihm die Fernsehsendung "Offen gesagt" vom 27. April wohl die Augen geöffnet. Ich bin ja sonst kein großer Freund dieser Sendungen. Ich sehe mir, um ganz ehrlich zu sein, viel lieber einen unterhaltenden Film an. Aber wenn es um die Wurst geht, von der man uns wohl bald auch nur noch die Haut lassen wird, dann sehe ich mir sogar so eine politische Debatte an. Und ich war aufs Neue entsetzt von dem, was man da hörte, wenn auch gar nicht weiter überrascht, weil ich das alles und noch viel mehr ja schon in eurer Zeitung gelesen hatte.

Dabei ist mir etwas aber schon ganz sauer aufgestoßen: die Diskussionskultur bzw. Diskussionsunkultur von Minister Bartenstein. Zweimal hat er Hans Sallmutter gleich ganz am Anfang grob zurechtgewiesen, weil erdieser ihn unterbrochen hatte. Dabei waren es doch eigentlich nur Zwischenrufe, wie man sie im Parlament ständig hört. Dann aber hat derselbe Bartenstein, der sich selbst nicht unterbrechen lässt, Sallmutter mehrmals unterbrochen. Aber nicht mit kurzen Zwischenbemerkungen, sondern mit ellenlangen Ausführungen. Er hat sozusagen das Wort an sich gerissen. Sallmutter war viel zu höflich, um ihn darauf hinzuweisen. Manche halten sich wohl für Götter, nur weil sie Minister sind.

Sehr gut fand ich auch den Meinungsforscher oder Professor Talos, ich kann mich nicht genau erinnern, welche Funktion er hat. Aber wie der die Herrschaften Erfinder dieses Pensionsraubes heruntergeputzt und bloßgestellt hat, das war schon Spitze. Er war ganz sachlich und ruhig, dabei ist es mir so vorgekommen, als hätte er eine ungeheure Wut im Bauch. Ist ja auch kein Wunder. Wenn Worte etwas bewirken könnten, dann hätte allein diese Sendung die Pensionsreform vom Tisch gefegt. Dass sie noch immer auf demselben liegt, ist halt ein Beweis dafür, dass Argumente von dieser Regierung wirkungslos abprallen. Da kann man nur noch staunen, mit Wut im Bauch, aber was nutzt einem die.

Egon Müller, Internet

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Thu, 15 May 2003 00:00:00 +0200 1190322113963 Standpunkt | Pensionsraub für Budget und Abfangjägerkauf Das »Sein bestimmt das Bewusstsein!« Die Besitzenden haben andere Interessen als die Habenichtse. Oder wollen Sie, liebe Leserin, lieber Leser, allen Ernstes behaupten, dass die künftigen Bezieher einer Pension von 650 Euro so denken wie die einer Pension von 13.000 Euro monatlich? (Wer unter 643,54 Euro Pension hat, bekommt die Differenz als »Ausgleichszulage«.) 650 Euro auf der einen Seite, 13.000 auf der anderen. Wenn man beiden 10 Prozent wegnimmt, wen trifft es härter? Die künftige Bezieherin einer Ausgleichszulage wird aber auch nichts davon haben, wenn man den Leuten mit den hohen Pensionen ein Zehntel wegnimmt. Nicht einmal die Gerechtigkeit ist gewahrt. Ich halte das nur für ein Ablenkungsmanöver.

Früher bedeutete »Reform« eine Besserstellung. Heute bedeutet es das Gegenteil. Wer »Reform« hört, hält automatisch seinen Geldbeutel fest, als wäre er von Taschendieben umgeben. Was ihm auch nichts nützt, dann verschwindet das Geld eben durch einen Schnitt. Keine Sorge, etwas Kleingeld kriegt er später wieder zurück. Der Vorgang heißt dann Steuer-»Reform«.

Politik bedeutet Kompromisse. Aber jetzt sind mehrere Generationen arbeitender Menschen belogen und betrogen und in ihrer Lebensplanung extrem beeinträchtigt worden. Hier können wir nicht weiter nachgeben, sonst sind wir verraten und verkauft. Eine Mehrheit in unserem Land hat Verständnis für Kampfmaßnahmen und ist auch bereit, diese zu unterstützen. Es liegt jetzt an uns allen, den Menschen in den Betrieben zu zeigen, wie man uns für blöd verkaufen und über den Tisch ziehen will.

Es reicht jetzt!

Der Grundkonsens des Sozialstaates ist in Frage gestellt. Daran ändern auch die beruhigenden Worte nichts, die der Mann mit den dünnen Lippen mit staatsmännischem Gestus vorträgt. Die Ausbesserungen in letzter Minute sind nur Kosmetik, sind Täuschung. Diese Rechnung darf nicht aufgehen. Es geht diesmal um unsere Zukunft, unsere Existenz. Deswegen hat es auch im Bundesvorstand des ÖGB einen einstimmigen Beschluss für Kampfmaßnahmen gegeben, also einen Beschluss, der von allen Fraktionen und Gremien getragen wird.

Und wenn wir bis jetzt stolz waren, weil es in unserem Land statistisch gesehen maximal Streik-Minuten gab, so werden wir jetzt beweisen, dass es auch anders geht. Nicht die Arbeitenden, Gewerkschaften und so weiter sind es, die den sozialen Frieden gebrochen haben! Diese »Reform« ist eine Kampfansage!

Der derzeitigen Regierung ist der Militäretat wichtiger als der Sozialhaushalt. So zynisch es klingt: Die in keiner Weise bedrohte äußere Sicherheit ist wichtiger als die soziale. Für die Abfangjäger ist Geld da, noch dazu genauso viel wie man uns bei den Pensionen wegnimmt. Man könnte auch von einer »Abfangjägersicherungsreform« sprechen.

Noch ein Wort zu den Experten und prominenten Vordenkern, die jetzt immer wieder zitiert werden. Sie sind für mich unfreiwillige Handlanger des Neoliberalismus, die benützt werden, um uns in Unmündigkeit zu halten. Aber die Rechnung wird diesmal nicht aufgehen. Auch jene, die sich im Vorjahr »verwählt« haben, wachen auf. Alle erkennen, dass es um eine andere Politik geht. Eine Politik, die auch die Arbeitenden und ihre Interessen berücksichtigt. Diese wollen sich von der Raffgier des Kapitals nicht mehr überrollen lassen. Eine andere Sozialpolitik, eine echte Zukunftsregelung der Pensionen unter Einbeziehung aller vernünftigen Kräfte ist möglich. Dafür sind wir auch bereit, zu kämpfen!

Siegfried Sorz

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Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 May 2003 00:00:00 +0200 1190322106861 Behindert - und doch wertvoll fürs Unternehmen »Geh’, du bist ja behindert!« Erst vor kurzem hörte ich dies bei einem Streit von Schulkindern im Autobus. Ein anderer Satz, den ich immer wieder höre: »Der ist ja nicht ganz normal!« Diese Art der sprachlichen Diskriminierung, in der die Beschreibung eines Menschen als Beschimpfung verwendet wird, ist ein Ausdruck von Nichtwissen, entstanden aus einem Mangel an Information und persönlichen Begegnungen. Wer selbst einen Menschen mit Behinderung kennt, würde die Behinderung nie als Schimpfwort benutzen.

Sensibilisierung kann helfen, Vorurteile und Begegnungsängste abzubauen. Und Sensibilisierung beginnt mit Wissen. Darum soll hier eine Grundinformation über Definitionen, über Leben mit Behinderung, über die arbeitsmarktpolitische Situation in Österreich, über gesetzliche Regelungen und Förderungen für Unternehmen und Arbeitsuchende geboten werden.

Dabei kommen Personen mit und ohne Behinderung zu Wort, die beruflich oder privat mit dem Thema »Behinderung und Arbeit« zu tun haben.

Im nationalen und internationalen Rahmen gibt es vielfältige Ansätze zur Definition des Begriffes »Behinderung«. Es fehlt jedoch auch oder gerade in der wissenschaftlichen Diskussion eine einheitliche Definition. Im Alltagsverständnis hingegen steht der Begriff Behinderung in der Regel nicht zur Diskussion. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Behinderung als Unterscheidungsmerkmal benutzt, das zur defizitorientierten Beschreibung einer Abweichung von der Norm dient.

»Es fehlt auch oder gerade in der wissenschaftlichen Diskussion eine einheitliche Definition des Begriffes Behinderung.«

Das Dilemma der Terminologie

Daher ist es nicht verwunderlich, dass manche Begriffe im Zusammenhang mit Behinderung nicht definiert sind und in einer Weise, die über eine reine Zustandsbeschreibung weit hinausreicht, unreflektiert verwendet werden.

Zwar gibt es in der österreichischen Gesetzgebung keine verbindliche Definition von Behinderung. Einzelne Gesetze enthalten aber Definitionen, um die Umsetzung zu ermöglichen. So heißt es in Paragraf 3 BEinstG (Behinderteneinstellungsgesetz): Behinderung im Sinne des Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder psychischen Zustand beruht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO unterscheidet drei Klassifikationsstufen von Behinderung.

Schädigung (»impairment«): Mängel oder Abnormitäten der anatomischen, psychischen oder physiologischen Funktionen und Strukturen des Körpers.

Beeinträchtigung (»disability«): Funktionsbeeinträchtigungen oder -mängel als direkte Folge einer Schädigung, die typische Alltagssituationen behindern oder deren Bewältigung unmöglich machen.

Benachteiligung (»handicap«): Negative Auswirkungen, die sich im sozialen Bezug für eine Person aus einer Schädigung oder Beeinträchtigung ergeben.

Zersplitterte Rechtsordnung

Diese Definitionen zeigen, dass Behinderung mehr ist als eine körperliche, geistige oder psychische Funktionsstörung, sondern dass es vielmehr wichtig ist, zwischen der Beeinträchtigung, die eine unmittelbare Folge einer Schädigung ist, und der Benachteiligung, die wir Mitmenschen daraus machen, zu unterscheiden.

Österreichs Rechtsordnung stellt sich äußerst zersplittert dar, da die Kompetenzen teils beim Bund, teils bei den Ländern liegen. Im Behinderteneinstellungsgesetz sind eine Reihe von Maßnahmen im Zusammenhang mit Arbeitsmarkt und Behinderung geregelt, wie die Beschäftigungspflicht, die Zugehörigkeit zur Gruppe der begünstigten behinderten Personen, Zahlung der Ausgleichstaxe, erhöhter Kündigungsschutz, Entgeltschutz sowie Förderungen und Zuschüsse. Weitere Gesetze, die für Menschen mit Behinderung Bedeutung haben, sind das Bundesbehindertengesetz, das Arbeitsmarktservicegesetz, das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz und das Bundespflegegeldgesetz (siehe Kasten »Behinderteneinstellungsgesetz«).

F A K T E N

Behinderteneinstellungsgesetz

Die Maßnahmen zur beruflichen Integration behinderter Menschen sind im Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) geregelt.

Beschäftigungspflicht: Dienstgeber, die in Österreich 25 oder mehr Personen beschäftigen, sind verpflichtet, auf je 25 Beschäftigte mindestens einen begünstigten Behinderten einzustellen.

Begünstigung: Nach dem BEinstG können Menschen begünstigt werden, wenn sie einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent haben. Die Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten wird auf Antrag vom Bundessozialamt im Zuge eines Feststellungsverfahrens entschieden.

Ausgleichstaxe: Wenn der Beschäftigungspflicht nicht entsprochen wird, haben die Arbeitgeber pro offener Stelle eine Ausgleichstaxe von EUR 196,22 (ATS 2700,-) monatlich zu entrichten.

Förderungen und Zuschüsse: Aus dem Ausgleichstaxfonds werden Prämien für die Einrichtung von Arbeitsplätzen, Zuschüsse zu Lohnkosten zum Ausgleich konkreter Leistungsminderung (Entgeltschutz) sowie unterstützende Förderungen zur Erlangung und Erhaltung von Arbeitsplätzen (Arbeitsassistenz) bezahlt.

Kündigungsschutz: Begünstigte Behinderte genießen einen besonderen Kündigungsschutz, der mit Beginn des siebenten Monats des Dienstverhältnisses einsetzt, woraus sich eine längere Probezeit ergibt. Vor Kündigung eines unbefristeten Dienstverhältnisses ist beim Bundessozialamt die Zustimmung des Behindertenausschusses zu beantragen.

Die österreichische Bundesverfassung beinhaltet seit 1997 mit Artikel 7, Absatz 1 eine Antidiskriminierungsbestimmung folgenden Inhalts:

»Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.«

»Eine große Barriere für die berufliche Eingliederung stellt oft die unzureichende Qualifikation dar.«

Behindert ist nicht gleich behindert

Das sind zwar schöne Worte, doch in der Praxis fehlt es ihnen an Durchsetzungskraft. Daher fordern Interessenvertretungen im Zuge der Umsetzung der EU-Richtlinie ein Behindertengleichstellungs- bzw. Antidiskriminierungsgesetz, mit dessen Hilfe sich Menschen mit Behinderung erfolgreich gegen Diskriminierung und Benachteiligung zur Wehr setzen können. Dies soll alle Bereiche des täglichen Lebens umfassen: Mobilität, Verkehr, Wohnen, Bauen, Freizeit, Kommunikation, Bildung, Erziehung, Kultur, Beschäftigung, Erwerbstätigkeit, Altersvorsorge, Berufsausbildung und Rechtsschutz.

Wenn wir von Behinderung sprechen, hat jeder ein anderes Bild vor Augen. Es wäre hilfreich, über unterschiedliche Arten von Behinderung Bescheid zu wissen, einfach um die Vielfältigkeit wahrzunehmen und nicht der Versuchung zu erliegen, alle Menschen mit Behinderung in einen Topf zu werfen. Ist ein Spastiker zum Beispiel geistig behindert? Natürlich nicht! Spastiker arbeiten bekanntlich in vielen hoch qualifizierten Berufen.

In unserem Kulturkreis ist es üblich, nach der Art der Behinderung zu unterscheiden, wie Körperbehinderung, Hörschädigung (Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit), Sehschädigung (Blindheit, Sehbehinderung), geistiger Behinderung, Mehrfachbehinderung, chronischer Erkrankung, psychischer Erkrankung.

Die Unterscheidung ist für Laien nicht immer möglich, vielleicht sind deshalb so viele versucht, alle Menschen mit Behinderung »gleich anzusehen«

Ein neues Miteinander

Verschiedene Behinderungen bedingen zwar ähnliche Sachzwänge (so sind die Orientierungsstreifen am Boden für Blinde eine wichtige Hilfe), aber selbst bei Menschen mit ähnlicher Behinderung ist zuerst die Einzelperson mit ihren ganz persönlichen Kompetenzen und Fähigkeiten zu sehen.

Maria Brandl, Vorsitzende von »Integration: Österreich« und selbst betroffene Mutter, weiß, dass ein neuer Umgang, ein neues Miteinander von behinderten und nicht behinderten Menschen das genaue Hinschauen notwendig macht. Es ist wichtig, die individuellen Fähigkeiten zu sehen und nicht zu verallgemeinern (siehe Interview »Behinderten Verantwortung übergeben«).

Arbeit & Wirtschaft - Interview

Maria Brandl

»Behinderten Verantwortung übergeben«

A&W: Sie sind Vorsitzende des Vereins »Integration: Österreich« und Mutter zweier Söhne, einer davon mit Behinderung. Was ist »Integration: Österreich«?
Maria Brandl: »Integration: Österreich« entstand aus einer Elternbewegung, die sich für die schulische Integration ihrer Kinder mit Behinderung einsetzt. Parallel dazu konstituierte sich der Verein als bundesweite politische Interessenvertretung und Anlaufstelle für betroffene Eltern und Interessierte.

A&W: Wie steht es um die schulische Integration von Kindern mit Behinderung?
Brandl: Seit 1993 gibt es den Anspruch auf Integration in Volksschulen, 1997 wurde die Integration in der Sekundarstufe erreicht. Für die weiterführenden Schulen ist aber nichts gesetzlich geregelt, Jugendliche mit Behinderung haben kaum eine Möglichkeit zur schulischen Aus- und Weiterbildung. Unsere Schwerpunkte haben sich aber auch in den nachschulischen Bereich verlagert, denn gerade auf dem Arbeitsmarkt fehlt noch vieles.

A&W: Konkret?
Brandl: Es bedarf gesetzlicher Regelungen und einer Bewusstseinsveränderung, damit die Arbeitgeber wirklich hinschauen, wo auch ein Mensch mit Behinderung arbeiten könnte. Das bedeutet, von den herkömmlichen Berufsbildern wegzugehen und den Unternehmen Job-Coaching oder Arbeitsassistenz zur Verfügung zu stellen. Sie brauchen natürlich auch finanzielle Unterstützung. Dank ihr muss ein Mensch mit Behinderung nicht vollwertig arbeiten können und trotzdem hat der Betrieb keinen Verlust. Das ist ganz wichtig für die Integration in den Arbeitsmarkt.

A&W: Der Arbeitsmarkt ist ein Spiegel der gesamten Situation von Menschen mit Behinderung. Wie kann sie verbessert werden?
Brandl: Ich gehe von einem ganzheitlichen Menschenbild aus, also davon, ihn als vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft anzusehen, egal, welche Stärken und Fähigkeiten ein Mensch hat. Man soll behinderte Menschen nicht nur als »arm« hinstellen, sondern ihnen sehr wohl Verantwortung übergeben. Diese Verantwortung müssen sie auch tragen.

A&W: Wie kann das funktionieren?
Brandl: Grundsätzlich braucht es eine Wahlmöglichkeit für behinderte Menschen. Wenn ich meine zwei Söhne ansehe, so hat mein älterer viele Wahlmöglichkeiten gehabt, in der Aus- und Weiterbildung ebenso wie im Freizeitbereich. Mein jüngerer Sohn hat die Wahlmöglichkeiten nicht, weil er immer auf den Willen, einen behinderten Jugendlichen aufzunehmen, angewiesen ist. Das hängt nicht mit seiner Art als Mensch zusammen, sondern allein mit der Stigmatisierung »Behinderung«.

A&W: Man muss also »nur« das Denken der Menschen ändern?
Brandl: Wir brauchen auch eine gesetzliche Absicherung. Ein Gleichstellungsgesetz ist der erste Schritt, bei vielen Dingen ist einfach ein gesetzlicher Anspruch notwendig. Die Veränderung im Denken passiert schon, aber leider oft nur auf Druck.

Bei der Wahl einer Erwerbstätigkeit bzw. Beurteilung der Arbeitsfähigkeit ist es besonders wichtig, genau hinzuschauen und die richtigen Fragen zu stellen: Welche Art der Schädigung liegt vor? Wie schwerwiegend ist sie? Wie wirkt sie sich auf diesen Menschen aus? Inwiefern beeinträchtigt sie diese Person? Welche Fähigkeiten hat diese Person? Welche Tätigkeiten kann sie ausführen? Welche Erfordernisse erwarten sie an einem konkreten Arbeitsplatz?

Nur die individuelle Betrachtung macht den bestmöglichen Einsatz eines Menschen am Arbeitsplatz möglich. Unterstützende Förderungen wie die Arbeitsassistenz stehen sowohl den Menschen mit Behinderung als auch den Betrieben, die sie einstellen wollen, zur Verfügung (siehe Kasten »Arbeitsassistenz« und Interview »Positiv intervenieren«).

F A K T E N

Arbeitsassistenz

Arbeitsassistenz ist eine Integrationsberatung für Menschen mit Behinderung und für Unternehmen und kann in Anspruch genommen werden:

Bei drohendem Arbeitsplatzverlust.

Zur Unterstützung von Arbeitgebern bei der Auswahl geeigneter Arbeitskräfte mit Behinderung und zur Akquisition von Arbeitsplätzen für diese.

Zur Hilfestellung bei Konflikten am Arbeitsplatz.

Das Angebot für die Betriebe reicht von der Übernahme komplizierter Behördenwege (z. B. Antragstellung für betriebliche Förderungen) bis zur Unterstützung bei der Einschulung im Unternehmen. Arbeitsuchenden bietet die Arbeitsassistenz individuelle Beratung und Unterstützung bei der Jobsuche.

Die Leistung wird von gemeinnützigen Einrichtungen erbracht und Bundessozialämtern aus dem Ausgleichstaxfonds und dem Europäischen Sozialfonds finanziert. Arbeitsmarktservice und einzelne Landesregierungen beteiligen sich an der Finanzierung, die Dienstleistung ist unentgeltlich.

Ziel der Arbeitsassistenz sind individuelle Lösungen, welche die persönlichen Fähigkeiten und die soziale Situation der Einzelnen ebenso berücksichtigen wie die betrieblichen Erfordernisse. Die Beratung ist vertraulich und erfolgt auf Wunsch auch anonym. Es gibt in Österreich zurzeit 57 Arbeitsassistenzprojekte. Die Angebote sind regional organisiert.

Info: www.basb.bmsg.gv.at oder
www.arbeitsassistenz.at


Arbeit & Wirtschaft - Interview

Markus Karner

Positiv intervenieren

A&W: Sie waren als Pädagoge und Betriebsberater am Aufbau der Arbeitsassistenz in Österreich beteiligt und arbeiten zurzeit als Projektleiter für das Institut für Humanistisches Management in Wien an der Entwicklung integrativer Unternehmenskulturen. Wie entstand die Arbeitsassistenz?
Karner: Durch den Beitritt Österreichs zur EU war eine neue Integrationspolitik gefordert, andrerseits standen Mittel des Europäischen Sozialfonds zur Verfügung. Arbeitsassistenz war ein Modellprojekt. Vorher hatten Menschen mit Behinderung keinerlei öffentliche Unterstützung beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder Problemen in den Betrieben.

A&W: Was schwebte den Initiatoren vor?
Karner: Die großen Aufgaben sind, neue Beschäftigungsverhältnisse für Menschen mit Behinderung zu finden und bei Problemen positiv zu intervenieren und den Arbeitsplatz zu erhalten.

A&W: Was konnte bisher erreicht werden?
Karner: Besonders in ländlichen Regionen und bei Klein- und Mittelunternehmen hat sich die Arbeitsassistenz einen Namen gemacht. Durch professionelles Auftreten und engagierten Einsatz konnte das Angebot bei den unterschiedlichen Zielgruppen und in den Betrieben verbreitet werden.

A&W: Wo sehen Sie Grenzen und Schwächen?
Karner: Vor allem einmal in der sehr umständlichen Behindertenpolitik in Österreich. Neun Bundesländer ließen auch sehr unterschiedliche Angebote von Arbeitsassistenz entstehen. Ein weiteres Problem liegt in den unterschiedlichen Interessen der Trägerorganisationen, die Arbeitsassistenz anbieten. Die Tatsache, dass Arbeitsassistenz aus der »sozialen Ecke« kommt, ist für unser Auftreten in der Wirtschaft nicht immer hilfreich.

A&W: Wie soll es weitergehen?
Karner: Ein einheitliches Auftreten und eine Abstimmung der Angebote wären sicher wünschenswert, doch liegt das nicht allein in der Kompetenz der Organisationen. Arbeitsassistenz sollte sich als neutrale Dienstleistung im Rahmen einer aktiven Integrationspolitik darstellen.

Arbeitsmarktpolitische Situation

Eine große Barriere für die berufliche Eingliederung stellt oft die unzureichende Qualifikation dar. Dies bestätigen auch die Ergebnisse des Projektes »Bilder einer Einstellung, Mensch - Arbeit - Behinderung«. Dabei wurden von »Integration: Österreich« bundesweit 300 Menschen mit Behinderung befragt. Ergebnis: Menschen mit Behinderung sind mit der öffentlichen Darstellung ihrer Person unzufrieden. Behinderte Menschen haben einen Mangel an Bildung. Dies wirkt sich als doppelte Behinderung aus, da ihnen der Zugang zu bestimmten Jobs von vornherein verschlossen bleibt.

Nach UNO-Daten kann man davon ausgehen, dass in Europa zehn Prozent der Bevölkerung zumindest in einer der zuvor genannten Formen behindert sind. Das bedeutet, dass in Österreich rund 800.000 Menschen mit Behinderungen leben. Flächendeckende Studien fehlen in Österreich. Die österreichischen Zahlen sind sehr niedrig, da nur jene aufscheinen, die eine Einstufung gemäß Behinderteneinstellungsgesetz beantragen: 83.463 begünstigte Behinderte, 56.212 beschäftigte begünstigte Behinderte und 28.546 vorgemerkte arbeitslose behinderte Personen.

Statistiken mit Lücken

Als arbeitslos scheinen nur jene Personen in der Statistik auf, die zumindest einige Monate beschäftigt waren. Dadurch werden nicht alle Menschen mit Behinderung erfasst, die tatsächlich Arbeit suchen. Rund 14.000 österreichische Unternehmen sind laut Behinderteneinstellungsgesetz verpflichtet, insgesamt 84.869 Pflichtstellen bereitzustellen. Über die tatsächlich vorhandenen Pflichtstellen und die Anzahl von Unternehmen, die die Einstellungspflicht gar nicht, teilweise, voll oder sogar darüber hinaus erfüllen, gibt es keine Daten.

Ambitionierte Projekte

Die steigenden Anforderungen des Arbeitsmarktes stellen für viele eine große Herausforderung dar. Um Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung zu erreichen, gibt es in der EU und in Österreich viele ambitionierte Projekte. Seiner besonderen Rolle als Sozialpartner trägt der ÖGB mit der Kampagne »Chancen nutzen« Rechnung. Diese ist Teil der EU-Gemeinschaftsinitiative sensi_tec (siehe Kasten »Hilfestellungen des ÖGB«).

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Hilfestellungen des ÖGB

Das ÖGB-Projekt Chancen nutzen informiert Unternehmen, Arbeitnehmer sowie deren Vertretungen über die Vorteile der Zusammenarbeit von Menschen mit und ohne Behinderung. Ziel ist es, mehr Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt zu integrieren und ihre Stärken im Unternehmen besser zu nutzen. In Sensibilisierungsseminaren können sich Interessierte aus dem Kreis der Sozialpartner und Unternehmen zu Partnern von Chancen nutzen ausbilden lassen. Sie erhalten wichtige Informationen und lernen, professionell für das Projekt zu argumentieren. Als Netzwerk geben sie ihr Wissen an ihr Umfeld weiter und wirken direkt an der besseren Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt mit.

Zur Beratung im Rahmen von Chancen nutzen zählen Auskunft über Förderungen und rechtliche Rahmenbedingungen, gemeinsam mit den Unternehmen werden maßgeschneiderte Konzepte entwickelt.
Kontakt: chancen-nutzen@oegb.at

Integration und Chancengleichheit bedeuten ein gleichwertiges Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderung. Ob dieses möglich ist, hängt nicht zuletzt von Vorannahmen und Bildern in den Köpfen der Menschen ab. Diese entstehen durch persönliche Erlebnisse, mehr oder weniger große Offenheit für Informationen und Auseinandersetzung mit dem Thema - und zwar nicht nur im europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung 2003.

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Entwicklungspartnerschaft
sensi_tec

Das ÖGB-Projekt Chancen nutzen ist Teil der Entwicklungspartnerschaft sensi_tec, die durch Sensibilisierung und Nutzung neuer Technologien Chancengleichheit für Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt schaffen will. sensi_tec bezeichnet eine Zusammenarbeit von Unternehmen, Sozialpartnern, Non-Profit-Organisationen und Behörden. Im Rahmen der EU-Gemeinschaftsinitiative EQUAL entwickelt es innovative Dienstleistungen und Produkte, die Sensibilisierung und neue Technologien des Informations- und Kommunikationssektors verbinden. Diese Angebote werden bundesweit verbreitet.

sensi_tec legt größten Wert auf die Einbindung von Menschen mit Behinderung. Die Sicht der Unternehmen, ihre Meinungen und Positionen und die Erfahrungen von Menschen mit Behinderung stehen im Blickpunkt der Entwicklungen und Diskussionen.

sensi_tec wird vom Bundessozialamt im Rahmen der Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung und des Europäischen Sozialfonds gefördert.
www.sensitec.info

»Nach UNO-Daten kann man davon ausgehen, dass in Europa zehn Prozent der Menschen behindert sind. Das bedeutet 800.000 Betroffene in Österreich.«

RESÜMEE
Auch in dem ihnen gewidmeten europäischen Jahr sind Menschen mit Behinderung oft doppelt getroffen - durch ihre Behinderung und durch das mangelnde Verständnis der Umwelt. Der ÖGB bietet Hilfestellungen an.

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Stefanie Miksanek (Sozialpädagogin und arbeitet im ÖGB-Büro »Chancen nutzen« für die Integration von Menschen mit Behinderung in den Arbeitsmarkt) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 May 2003 00:00:00 +0200 1190322106849 Die Risken des EU-Beitritts Die Vor- und Nachteile des Euro-Beitritts entsprechen grundsätzlich denen in den jetzigen EU-Mitgliedstaaten, aber es verschieben sich die Akzente aufgrund der historischen Entwicklung und des wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsstands.Viele Kritikpunkte gegen die Politik der Europäischen Zentralbank EZB und das Institutionengefüge der EU-Wirtschaftspolitik gelten bei der Erweiterung in gesteigertem Maße: Maastricht und der Pakt für Stabilität und Wachstum (»Stabilitätspakt«) setzen der Wirtschaftspolitik enge Grenzen. Aufholende Ökonomien brauchen aber, was Inflation und Investitionen in Infrastruktur und Umweltsanierung betrifft, mehr Spielraum.

Wechselkurs als Ventil

Der Geldwechsel stellt eine letzte zumindest psychologische Schutzhürde für die heimischen Märkte dar. Andrerseits dürfte der Wunsch, vollwertiges Mitglied im Klub zu sein, stärker als in den nunmehrigen Euroländern ins Gewicht fallen. Dort ging ja die Einführung des Euro auch mit einer Diskussion um das Identitätsstiftende einer nationalen Währung einher. Doch abgesehen von dieser psychologischen Seite hat die Diskussion handfeste wirtschaftspolitische Bedeutung. Ein Instrument der nationalen Wirtschaftspolitik wird aufgegeben, um im gemeinsamen Europa, wenn auch eingeschränkt, mitgestalten zu können. Bedeutung hat die eigene Währung vor allem für kleine offene Volkswirtschaften, die stark vom internationalen Zinsenniveau abhängen, vor allem als eine Art Druckventil: Treten Handelsungleichgewichte auf, kann durch eine Abwertung der Währung kurzfristig gegengesteuert werden. Fehlt dieses Ventil, trifft die Anpassungslast vor allem den Arbeitsmarkt. Zu oft eingesetzt, verpufft allerdings die Wirkung.

Sozialpartnerschaftliche Kultur

Für Österreich hat sich diese Frage nie gestellt, weil der Schilling über die Bindung an die deutsche Mark bereits über Jahrzehnte Schattenmitglied im Europäischen Währungssystem (EWS) war. Das Motiv Österreichs in den siebziger Jahren, den Schilling an die DM zu binden, war ähnlich wie jenes der heutigen Transformationsländer: Import von Preisstabilität und Glaubwürdigkeit der größeren bzw. härteren Währung und damit auch ein niedrigeres Zinsniveau.

Andere Länder mussten sich mit dem Gedanken an die Aufgabe des Wechselkurses als Ausgleichsventil erst anfreunden. Nicht ganz zufällig sind in mehreren Ländern Pakte zwischen Regierung, Gewerkschaft und Unternehmen (Triparität) geschlossen worden, die dazu dienen, in den Lohnverhandlungen zu einer gesamtwirtschaftlichen Orientierung zu kommen. Dies setzt freilich eine sozialpartnerschaftliche Kultur voraus.

Konvergenz, aber welche?

Unbestritten ist, dass für eine erfolgreiche Teilnahme am Euro Konvergenz, also ein vergleichbarer Entwicklungsstand und -pfad, unabdingbare Voraussetzung ist. Von welcher Konvergenz man spricht und wie man zu dieser kommt, macht den Unterschied schlechthin aus. So wie im »Konvergenzeuropa« der neunziger Jahre diskutiert der Mainstream eigentlich nur über Bedingungen nach Maastricht und Stabilitätspakt. Die Maastrichter Kriterien verlangen von den Beitrittskandidaten das Erreichen des Inflationsziels, des Zinsziels und der Haushaltsziele und des Wechselkursziels. Andere Ziele und Größen (Wachstum, Arbeitsmarkt, Sozial- und Umweltstandards) finden keine oder keine ausreichende Berücksichtigung. Auch wird das Inflationsziel nicht zu Entwicklungsstand und Preisniveau in Relation gesetzt, was zu größeren inneren Widersprüchen führt.

Nehmen wir ein Land, dessen Industrie einen hohen Außenhandelsanteil aufweist, das durch Einsatz modernerer Produktionstechnologien und effizienterer Organisation enorme Produktivitätsfortschritte erzielt und dessen Produkte rasch zum Weltmarktpreisniveau aufschließen. Die Produktivitätsfortschritte verhindern auch bei steigenden Löhnen Inflationsdruck. Die Industrielöhne ziehen aber auch die restlichen Löhne mit hinauf. Im stärker geschützten Dienstleistungsektor von den Mieten bis zu persönlichen Dienstleistungen wie Friseur sind aber geringere Produktivitätsfortschritte zu erwarten, also entsteht dort Inflationsdruck, ohne aber unmittelbar die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Dieser Effekt ist keineswegs unbekannt, selbst die deutsche Bundesbank schätzt das Ausmaß auf zwei bis vier Prozentpunkte. Wenn aber diese »Nebenerscheinung« des Aufholprozesses durch eine restriktive Geldpolitik bekämpft wird, bekämpft man nicht nur die Nebenerscheinung, sondern den Aufholprozess selbst.

»Bleiben in einem beitretenden Land Investitionen in seine Infrastruktur auf der Strecke, gefährdet dies die zukünftige Leistungsfähigkeit und den Aufholprozess.«

Defizit kontra Infrastruktur

Ein ähnliches Problem stellt sich beim Budgetkriterium. Dieses besagt, dass das Defizit des Gesamtstaates drei Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes nicht überschreiten darf. Dies hat bekanntlich auch schon in wirtschaftsstarken Ländern in Zeiten der Konjunkturflaute zu Schwierigkeiten geführt. Bleiben in einem aufholenden Land aber Investitionen in seine Infrastruktur auf der Strecke, gefährdet dies die zukünftige Leistungsfähigkeit und den Aufholprozess. Es sollten daher bestimmte öffentliche Investitionen aus dem maastricht-relevanten Budgetsaldo herausgerechnet werden. Bei den Beitrittskandidaten ist dies umso wichtiger, als ein rasches Aufschließen bei der Wirtschaftsleistung, den Umwelt- und Sozialstandards auch im Interesse der jetzigen Mitgliedstaaten liegt. Nicht nur die Folgen von Finanzkrisen und Inflation sind grenzüberschreitend - auch jene von Armut und Umweltverschmutzung.

Ein weiteres Beitrittskriterium sieht vor, dass die Länder zwei Jahre lang ohne Probleme im Wechselkursmechanismus II (WKM II) des EWS Mitglied sein müssen. Im EWS kam es in der ersten Hälfte der neunziger Jahre zu recht heftigen Krisen, die schließlich zu Reformen (verkürzt dargestellt: höhere Schwankungsbreiten, keine im Vorhinein bestimmten Interventionspunkte der Zentralbanken, Ausstiegsklausel für die EZB) im WKM II führten. Die Krisen traten deshalb auf, weil einerseits innerer und äußerer Wert der Währung (Inflation und Wechselkurs) nicht oder nicht mehr zusammenpassten, andrerseits weil die Deutsche Bundesbank eine Politik verfolgte, die zwar aus ihrer Sicht zur deutschen Situation passte, sich aber nicht mit gesamteuropäischen Erfordernissen deckte. Zudem luden genau bekannte Interventionspunkte der Notenbanken Devisenhändler geradezu zur Spekulation ein. Diesen Spannungen war der Wechselkursmechanismus nicht mehr gewachsen. Die Spekulationen gegen Lira und Pfund waren erfolgreich und brachten das europäische Währungsgefüge erheblich durcheinander. Nicht zuletzt Österreich war davon massiv betroffen, weil wichtige Handelspartner und Konkurrenten quasi über Nacht abwerteten.

Griechischer Weg

Mit zunehmender Intensivierung des Handels und der Integration der Märkte haben die Beitrittskandidaten ihre Wechselkurse mehr oder minder stark einseitig an den Euro gebunden. Ein ökonomisch »richtiger« Wechselkurs wird sehr schwer zu finden sein, noch dazu soll er ja nicht nur das »richtige Austauschverhältnis« widerspiegeln, sondern einerseits so hoch sein, dass er stabilisierend auf das inländische Preisniveau wirkt und andrerseits so niedrig, dass er die internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht gefährdet. Patentlösungen kann es dafür nicht geben. Wie schwerwiegend und nachhaltig die Folgen eines politisch erwünschten, aber ökonomisch falschen Wechselkurses (1:1 statt ca. 1:6) und das Fehlen realer Konvergenz vor der Einführung sein können, zeigen die wirtschaftlichen Probleme der »deutsch-deutschen Währungsunion«. Der Weg Griechenlands erscheint aber vielleicht auch für die Kandidatenländer als gangbar. Das Land ging mit einer Abwertung, die einen gewissen Aufwertungsdruck erzeugte, in den Wechselkursmechanismus und wehrte über Hinterlegungspflichten und nicht nur über Zinsinstrumente Spekulationen ab.

Geldpolitik: Blick aufs Ganze fehlt

Die Fixierung auf ein Ziel - wie im Falle der Europäischen Zentralbank, aber nicht nur dort - verstellt zu oft den Blick aufs Ganze. Natürlich soll eine Notenbank auf die Preisstabilität achten, sie darf sich aber nicht mit Scheuklappen auf dieses eine Ziel beschränken. Die EZB ist als EU-Institution für das Erreichen einer gesamtwirtschaftlichen Stabilität und eines nachhaltigen Wachstums in die Pflicht zu nehmen. Darüber hinaus definiert sie das Inflationsziel von null bis zwei Prozent gefährlich nahe an einem Bereich, in dem messbedingt eigentlich schon Deflation vorliegen könnte. Ist dieser Punkt einmal erreicht, verliert die Geldpolitik ihre Wirksamkeit und die Wirtschaft ist kaum noch aus Deflation, Rezession und steigender Arbeitslosigkeit herauszuführen - siehe Japan.

Darüber hinaus betrachtet die EZB richtigerweise die Inflation im ganzen Euroland. Das heißt aber: Wenn strukturelle Unterschiede zwischen Ländern in einem Aufholprozess notwendigerweise zu höheren Inflationsraten in den aufholenden Ländern führen, und wenn die EZB die durchschnittliche Inflationsrate in diesem niedrigen Bereich halten will, darf sie in den Kernländern die Inflation höchstens bei null halten.

Die Ziele der EZB sind also - auch im Vergleich mit der amerikanischen Notenbank - zu eng definiert. Darüber hinaus fehlt ihr die demokratische Legitimation, alle Ziele und Träger der Wirtschaftspolitik ihrem eng definierten Ziel - quasi als Oberschiedsrichter - unterzuordnen. Ihre Rechenschaftspflicht ist auszuweiten, der makroökonomische Dialog mit den Sozialpartnern ist auszubauen und mit Leben zu erfüllen.

Beitritt mit Risken

Die Teilnahme der Beitrittsländer am Euro ist aus Sicht der Kandidatenländer sowie aus Sicht der Mitgliedstaaten grundsätzlich wünschenswert. Die Wahl der Beitrittsdaten und des richtigen Wechselkurses, mit dem sie beitreten, fordert aber von beiden Seiten Fingerspitzengefühl und ist mit nicht unbeträchtlichen Risken verbunden.

Die Fixierung auf Inflation und Budgetziele bei der Beurteilung der Beitrittsreife birgt die Gefahr in sich, Aufhol- und Anpassungsprozesse zu blockieren und kann zu geringeren Investitionen in die Infrastruktur und damit geringerem nachhaltigem Wachstum führen. Konvergenz kann nicht nur ein Angleichen der Inflationsraten bedeuten. Unterschiedliche Inflationsraten sind zum Teil Ausdruck eines Anpassungsprozesses. Der Integrations- und Aufholprozess, von dem Europa als Ganzes profitieren soll, muss von Maßnahmen begleitet werden, die Umwelt- und Sozialdumping verhindern und die partizipative Demokratie und den sozialen Dialog zu einem unumstößlichen Teil einer modernen europäischen integrativen Entwicklung machen.

R E S Ü M E E

Euro im Ho-ruck-Verfahren?

Die Einführung des Euro wäre unter den derzeitigen Bedingungen für die EU-Beitrittskandidaten mit großen Risken verbunden. Wenn der Aufholprozess der neuen EU-Länder gelingen soll, ist vor allem ein Umdenken in der Europäischen Zentralbank EZB gefordert.

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Thomas Zotter (Mitarbeiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaften der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 May 2003 00:00:00 +0200 1190322106842 Reform in schlechter Tradition In den Bergwerken und Salinen gab es schon um 1700 Witwen- und Waisenrenten und im Salzbergwerk Hall in Tirol sogar Altersrenten. Die Staatsbeamten erhielten um 1800 erstmals eine kleine Pension.

Alle frühen Altersversorgungssysteme hatten eines gemeinsam: Sie waren eigentlich nur eine besondere Invaliditätsversicherung. Die Begünstigten erhielten die Rente erst bei altersbedingter Arbeitsunfähigkeit und nicht ab einem bestimmten Lebensjahr.

Für die Alten das Armenhaus

1862 berief das neue Kurienparlament eine Enquete zur Arbeiterfrage ein. Sie blieb ergebnislos. Die meisten Menschen hatten im Alter nichts als die lokale oder regionale Armenunterstützung oder ihre Ersparnisse. So blieb es bei der Altersvorsorge bis 1918.

Doch schon die erste Arbeiterkasse, die »Allgemeine Arbeiter-Kranken- und Invalidenkasse«, gewährte ihren Mitgliedern ab 1868 auch Unterstützung
bei Berufsunfähigkeit. Beitrags- und Leistungsfeststellung krankten aber am Fehlen einer seriösen versicherungsmathematischen Grundlage. Auch waren nur wenige Unternehmen bereit, einer Invalidenversicherung beizutreten und dafür Beiträge zu zahlen. Die meisten sahen das - im Gegensatz zur Krankenunterstützung - als Fehlinvestition an: »Kranke kann man heilen, Invalide bleiben arbeitsunfähig.«

Die Neusatzung der Kasse von 1875 brachte auch keinen großen Aufschwung. 1879 hatte sie 300 Mitglieder, 1882 waren es 426.

Die Anfangsschwierigkeiten hätten vielleicht überwunden werden können, aber 1880 gefährdete ein Erlass des Innenministeriums das gesamte Unterstützungswesen der jungen Arbeiterbewegung: Die Arbeiterkassen wurden - mit den entsprechenden Auflagen - Versicherungen und Aktiengesellschaften gleichgesetzt. Die Invalidenkasse überlebte das nicht. Sie stellte 1884 ihre Tätigkeit ein. Im Unterschied zu der Kranken- und Unfallversicherung machte der Staat auch keine Anstrengungen, ein öffentliches Rentenversicherungssystem für Arbeiterinnen und Arbeiter aufzubauen - ausgenommen die Bergarbeiter.

Die neue - noch kleine, aber bei der Industrialisierung unverzichtbare - Gruppe der »Privatbeamten« konnte dagegen für den gesamten Angestelltenbereich 1906 einen Durchbruch erzielen. Schon 1888 verabschiedete der Erste Allgemeine Beamtenverein in Wien eine Petition, in der er die Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung forderte. 1893 begannen die Vorarbeiten und im Mai 1901 lag der Entwurf eines Pensionsgesetzes im Parlament. Es trat 1907 in Kraft.

Reformstau durch Diktatur und Krieg

Die Reform der Arbeiterversicherung stand parallel dazu zur Diskussion. Die von den Gewerkschaften geforderte Alters- und Invaliditätsversicherung fand sich erstmals 1908 in einer Regierungsvorlage. Und hier war - wie bei den Angestellten - auch erstmals eine echte Rentenversicherung ab dem 65. Lebensjahr vorgesehen. Es folgten zähe Verhandlungen, vor allem im Rahmen des Arbeitsbeirates im Handelsministerium. Unter führender Beteiligung von Gewerkschaftern wurde dort eine Kompromissfassung erarbeitet, die 1914 kurz vor der parlamentarischen Beschlussfassung stand. Der Erste Weltkrieg, die Auflösung des Reichsrats und das folgende autoritäre Kriegsregime verhinderten sie.

Ferdinand Hanuschs Zielvorstellung

Im Sozialreformpaket, das der Gewerkschafter Ferdinand Hanusch als Staatssekretär für Soziale Verwaltung am Beginn der Ersten Republik durchzusetzen versuchte, befand sich selbstverständlich auch wieder die Alters- und Invaliditätsversicherung für Arbeiter. Vieles konnte erreicht werden, eine Rente für Arbeiter allerdings noch immer nicht.

Der Hanusch-Entwurf von 1920 blieb im Parlament unbehandelt, da die Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten und Christlichsozialen auseinander brach. Sein Kern war ein gemeinsames System für Arbeiter und Angestellte. Die folgende Koalitionsregierung unter Führung der Christlichsozialen beschloss dagegen 1922, die Angestelltenversicherung getrennt von der Arbeiterversicherung auszubauen.

Im neuen Angestelltenversicherungsgesetz, das 1927 in Kraft trat, waren alle Versicherungsbereiche gemeinsam geregelt. Auch für Arbeiter wurde 1927 ein umfassendes Versicherungsgesetz verabschiedet. Die Altersrente stand aber nur auf dem Papier.

In den zwanziger Jahren wurden öffentliche soziale Leistungen wie auch zuvor ausschließlich durch das Abschöpfen von Gewinnen finanziert oder (bei den Sozialversicherungen) kofinanziert. Auf die Entwicklung des Wirtschaftsprozesses selbst nahm man keinen Einfluss. Daher war die Abhängigkeit von Wirtschaftskrisen und Strukturveränderungen extrem hoch. Die Probleme mit der Alterspension für Arbeiter in Österreich sind dafür geradezu ein Musterbeispiel.

Schon 1923 hatte Sozialminister Schmitz erklärt, bei der Ausformung der Arbeiterversicherung müsse auf die finanzielle Lage des Bundes Rücksicht genommen werden. 1927 wurde konsequent der so genannte Wohlstandsindex in das Arbeiterversicherungsgesetz eingeführt. Im Klartext: Erst bei nachweisbarer Budgetkonsolidierung sollte die Arbeiterrente Wirklichkeit werden. Bis 1938 kam es nicht mehr dazu. Die Freien Gewerkschaften akzeptierten den Kompromiss zähneknirschend, weil als »Kaufpreis« unter anderem wenigstens eine (aus Steuermitteln finanzierte) Altersfürsorge für Bedürftige ab dem 60. Lebensjahr zugestanden wurde.

Fortschritt dank »Reichsrecht«

Nach dem Einmarsch Hitlers stand auch Österreich unter »Reichsrecht«. Das brachte einerseits die Legalisierung von Willkür, Unrecht und Terror, andererseits aber auch Gesetze, die aus dem früheren demokratischen Deutschland übernommen worden waren. Was die Sozialversicherung betrifft, so hatten die Nationalsozialisten die Leistungen wesentlich heruntergefahren und dem Führerprinzip unterworfen, aber das System an sich beibehalten. So bekamen Österreichs Arbeiter 1939 erstmals eine Altersrente.

In anderen Staaten erreichten die Gewerkschaften die Arbeiterpension schon sehr früh. In Skandinavien ging man dabei bereits um 1900 vom Versicherungsprinzip ab. Auch Großbritannien und die Niederlande folgten nach dem Zweiten Weltkrieg dieser Linie.

Als in Österreich ab 1945 der Neuaufbau der Sozialversicherung stattfand, beharrte der ÖGB im Gegensatz dazu auf dem Versicherungsprinzip und damit auf einem Finanzierungsmodell, das zu einem deutlich geringeren Teil vom Zuschuss aus Budgetmitteln abhängt als steuerfinanzierte Pensionssysteme. Dieses Prinzip blieb auch die Grundlage für das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG), das 1956 erstmals die gesamten Bestimmungen über die Sozialversicherung der Arbeiter und Angestellten in einem Gesetzeswerk vereinigte.

Die Lüge von der Kostenexplosion

Allerdings blieben deutliche Unterschiede zwischen den Versicherungsbereichen bestehen. Erst in den späten sechziger und in den siebziger Jahren kam es zu einer deutlichen Anhebung der Ausgleichszulagen und zur Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten bei der Beitragshöhe.

Der Steueranteil an der Pensionsfinanzierung explodierte deshalb keineswegs. Der seit 1965 festgelegte Anteil von 33 Prozent wurde bis 1989 nur zweimal ausgeschöpft. Nach 1977 wurde er durch Beitragserhöhungen, Umschichtungen und Leistungskürzungen regelmäßig gesenkt. Die Explosion der Staatszuschüsse ist also eine schlechte Legende.

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Sabine Lichtenberger und Brigitte Pellar (Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 May 2003 00:00:00 +0200 1190322106825 Ein Jahrzehnt der Stagnation? Die für 2003 erhoffte und bis zum Dezember des Vorjahres auch prognostizierte Erholung tritt 2003 nicht ein, und auch 2004 ist aus derzeitiger Sicht allenfalls ein recht mäßiges Wachstum zu erwarten. Nach der Darstellung der Bundesregierung hält sich Österreich im Vergleich zu anderen Ländern dennoch relativ gut, was als Bestätigung ihres wirtschaftspolitischen Kurses gesehen wird, der deswegen auch für die Zukunft die beste Gewähr bieten soll.

Wir wollen diese Behauptungen zunächst mit den neuen Fakten und Prognosen konfrontieren. Immer weniger dürfen wir uns aber damit zufrieden geben, wirtschaftspolitische Fragen im nationalen Kontext zu diskutieren. Die europäische Komponente gewinnt immer mehr die Oberhand (siehe Tabelle »Österreichische Wirtschaftsindikatoren« auf Seite 18).

»Es entspricht nicht den Tatsachen, dass Österreich sich gegen die Konjunkturabschwächung relativ gut behauptet hat.«

Hausgemachte Konjunkturdämpfung

Die nun für das Jahr 2002 vorliegenden Daten des Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) zeigen neuerlich, dass die restriktive Politik der Bundesregierung die österreichische Konjunktur zusätzlich gedämpft hat. Die Exporte haben 2002 mit 5,5 Prozent real und 4,1 Prozent nominell einen durchaus beachtlichen Zuwachs erreicht. Ausgelassen hat hingegen die Inlandsnachfrage.

Die Investitionen sind im Vorjahr um fast fünf Prozent geschrumpft, beim privaten Konsum gab es mit 0,9 Prozent nur einen geringen Zuwachs. Der private Konsum wird hauptsächlich durch die Lohn- und Gehaltsentwicklung bestimmt. Hier haben sich bei an sich schon mäßigen nominellen Lohnerhöhungen die zur Erreichung des Nulldefizits gesetzten Belastungen zweifach auf die Reallöhne ausgewirkt: durch preistreibende Effekte wie Energiesteuer, Tabaksteuer, Autobahnvignette oder Studiengebühren und durch die Erhöhung der Lohnsteuer. Dadurch ergab sich unter dem Strich bei den Reallöhnen 2001 und 2002 netto ein Minus, was sich auch 2003 fortsetzen wird. Die anhaltend schwache Einkommensentwicklung reduziert die Konsumnachfrage und damit Wachstum und Beschäftigung.

Es entspricht also nicht den Tatsachen, dass Österreichs sich gegen die internationale und europäische Konjunkturabschwächung relativ gut behauptet hat. Vielmehr hat die Wirtschaftspolitik der letzten drei Jahre die Krise in unserem Land zusätzlich verstärkt. Dies zeigt sich vor allem bei der Arbeitsmarktentwicklung. Von Regierungsseite wird mit Beschäftigtenzahlen argumentiert, bei denen sogar die gar nicht aktiv erwerbstätigen Bezieher von Kindergeld mitgezählt sind, deren Zahl sich durch die Verlängerung der Bezugsdauer seit Februar 2001 um mehr als 41.000 erhöht hat. Zieht man allerdings die einzig maßgebliche Zahl der tatsächlich erwerbstätigen Aktivbeschäftigten heran, so ist die Beschäftigung in Österreich seit Dezember 2001 ständig gesunken und war 2002 durchschnittlich um 14.500 niedriger als 2001.

Die »Pensionssicherungsreform« erzeugt Arbeitslose

Die Abnahme der Beschäftigung kann aber die Zunahme der Arbeitslosigkeit nur zum Teil erklären. Die Zahl der Arbeitslosen war im Jahresdurchschnitt 2002 um mehr als 37.000 höher als 2000. Hier zeigen sich die Auswirkungen der schrittweisen Anhebung des Pensionsalters beginnend mit Oktober 2000, wodurch sich das Angebot an Arbeitskräften laufend erhöht, und durch die Zuwanderung von 25.000 ausländischen Arbeitskräften, ermöglicht unter anderem durch die Erhöhung der Kontingente für Saisoniers. Die Arbeitslosenrate erhöhte sich dadurch von 5,8 Prozent 2000 auf 6,9 Prozent im Jahr 2002.

Es ist richtig, dass Österreich im europäischen Vergleich eine der niedrigsten Arbeitslosenraten aufweist. Aber die Zunahme der Arbeitslosigkeit war in den letzten zwei Jahren stärker als in Deutschland und im europäischen Durchschnitt.

»Das Einsetzen eines Aufschwungs ist nun schon zum dritten Mal auf das nächste Jahr verschoben worden.«

Auch 2003 nur ein Prozent Wachstum

Auch 2003 wird die österreichische Wirtschaft wieder nur um rund ein Prozent wachsen, die Beschäftigung nimmt weiter ab und die Arbeitslosigkeit zu. Da die Produktivität, also das Bruttoinlandsprodukt (BIP), pro Erwerbstätigem im Durchschnitt pro Jahr um mehr als zwei Prozent steigt, wächst Österreichs Wirtschaft nun zum dritten Mal in Folge unterhalb ihrer Möglichkeiten. Das hat es in der gesamten Nachkriegszeit seit 1945 nicht gegeben. Wir befinden uns in einem Zustand der Beinahe-Stagnation. Allerdings ist nicht Österreich allein, sondern ein großer Teil der europäischen Wirtschaft davon betroffen. Man könnte nun meinen, dass dies angesichts des hohen Niveaus unseres Wohlstandes nicht so schlimm sei. Dabei wird allerdings zweierlei übersehen: zum einen, dass die Bezieher niedriger Einkommen nur in einer wachsenden Wirtschaft eine fühlbare Verbesserung ihrer Situation erwarten können; vor allem aber, dass bei einem fortgesetzten Zurückbleiben hinter der Entwicklung der Produktivität die Arbeitslosigkeit unaufhaltsam steigt. Wachsende Produktivität bedeutet ja, dass dieselbe Produktionsmenge mit weniger Arbeitskräften hergestellt werden kann.

Das Einsetzen eines Aufschwungs ist vom Institut für Wirtschaftsforschung nun schon zum dritten Mal auf das nächste Jahr verschoben worden. Die Grundlage für die ohnehin bescheidene BIP-Prognose von plus 1,7 Prozent für das Jahr 2004 bilden die Annahmen einer baldigen Beendigung des Irak-Krieges, sinkender Ölpreise, einer beschleunigten Zunahme des Welthandels sowie des Wachstums in den USA, in deren Schlepptau für Europa ebenfalls eine Belebung, wenn auch in geringerem Ausmaß, erwartet wird. Hier könnte allerdings manches, etwa eine Zinserhöhung in den USA aufgrund des hohen Budgetdefizits oder Turbulenzen auf den Finanz- und Immobilienmärkten, einen Strich durch die Rechnung machen.

In Österreich selbst sprechen darüber hinaus weitere gewichtige Faktoren gegen eine Belebung: Die Befristung der investitionsfördernden Maßnahmen mit Ende 2003 wird zu Vorzieheffekten führen. 2004 kann es deshalb wieder zu einem Abfall bei den Investitionen kommen. Die private Konsumnachfrage könnte durch die kommende Pensionsreform 2003 viel empfindlicher getroffen werden als in der Prognose angenommen.

Österreichische Wirtschaftsindikatoren
Veränderung in Prozent gegenüber dem Vorjahr
2000 2001 2002 2003*) 2004*)
BIP-Wachstum, real 3,5 0,7 1,0 1,1 1,7
Privater Konsum, real 3,3 1,5 0,9 1,4 1,9
Investitionen, real 5,9 -2,2 -4,8 2,0 3,3
Exporte, real 13,1 7,5 5,5 4,3 7,5
Löhne nominell 2,5 1,4 2,2 2,0 2,4
Reallöhne brutto 0,9 -0,6 0,3 0,1 1,0
Reallöhne netto 1,5 -1,0 -0,5 -0,4 0,4
unselbstständig Beschäftigte 1,0 0,4 -0,5 -0,1 0,3
Arbeitslosenrate 5,8 6,1 6,8 7,0 6,7
*)Wifo-Prognose vom März 2003
Die Regierungspolitik kostete Wachstum und Beschäftigung

Arbeitslosigkeit aussitzen?

Das auffallendsten Merkmal des neuen Regierungsübereinkommens ist, dass die Wachstumsschwäche und die empfindlich verschlechterte Arbeitsmarktsituation darin nicht einmal thematisiert werden. Gefährlich ist eine solche Haltung des Aussitzens und des Wartens, bis sich die Zeiten von selber wieder bessern, auch deshalb, weil auch bei wieder normalisierter Wirtschaftsentwicklung auf mittlere Frist - also über das Jahr 2004 hinaus - eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt unwahrscheinlich ist. Als durchaus optimistisch kann man die mittelfristige Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts für die österreichische Wirtschaft bis 2006 betrachten. Wenn, wie dort angenommen, 2005/06 die Wirtschaft wieder mit 2,5 Prozent wächst, würde das zusätzlich etwa 50.000 Personen in Beschäftigung bringen. Dabei sind allerdings zwei Faktoren nicht berücksichtigt:

Die geplante Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wird bis 2006 das Arbeitskräfteangebot - sehr vorsichtig geschätzt - um 28.000 Personen (fast ein Prozent der Beschäftigten) erhöhen. Die geplanten »Abfederungsmaßnahmen« werden die Beschäftigung bei älteren Arbeitskräften zu Lasten anderer Altersgruppen erhöhen, nicht aber die Gesamtbeschäftigung. Daher bewirkt die Pensionsreform eine zusätzliche Steigerung der Arbeitslosenrate, welche die erhoffte Senkung durch die bessere Konjunktur zunichte macht. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass die erwarteten hohen budgetären Einsparungseffekte durch die Abschaffung der Frühpension illusionär sind, da als Folge steigender Arbeitslosigkeit hohe Kosten für Arbeitslosenunterstützung, Schulungsprogramme und so fort anfallen werden. Dies war bereits bei der Erhöhung des Pensionsalters von 60/55 auf 61,5/56,5 Jahre der Fall.

Als weiterer Bestimmungsfaktor der Arbeitsmarktentwicklung bis 2006 darf die EU-Erweiterung keinesfalls unterschätzt werden. Eine verstärkte Zuwanderung aus den Nachbarländern ab Mai 2004 würde unmittelbar zu einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit in Österreich führen. Im Beitrittsvertrag sind daher Übergangsmaßnahmen vorgesehen, mit denen Österreich die Zuwanderung aus den Beitrittsländern weiterhin begrenzen kann. Das Regierungsprogramm beschränkt sich diesbezüglich weitgehend auf unpräzise Formulierungen (»Umsetzung der vereinbarten Übergangsregelungen«, »stufenweise Heranführung«, Abschluss von Praktikanten- und Beschäftigungsabkommen), hinter denen aber beabsichtigte Maßnahmen stehen, die das Arbeitskräfteangebot innerhalb weniger Jahre um bis zu 70.000 Personen erhöhen könnten.

Saisoniers auch für das Gewerbe?

Eine weitere Erhöhung der Arbeitslosigkeit droht durch eine neuerliche Ausweitung der Kontingente für Saisoniers, wobei die Ausdehnung dieser besonders unsozialen Beschäftigungsreform auf das Gewerbe im Raum steht.

Noch nicht berücksichtigt in der mittelfristigen Wifo-Prognose ist die - zum Glück wenig realistische - Absicht der Regierung, den Personalstand im öffentlichen Dienst weiter zu reduzieren. Der Bund soll ihn um 10.000, die Länder und Gemeinden sollen ihre Beschäftigtenzahlen um 20.000 Stellen verringern.

Demgegenüber ist davon auszugehen, dass in den nächsten Jahren bei gegebener Arbeitslosigkeit von derzeit 7 Prozent in Österreich insgesamt kein zusätzlicher Arbeitskräftebedarf entsteht, wenn zunächst einmal ein möglicher Beschäftigungszuwachs aus dem Reservoir der Arbeitslosen kommen sollte. Es steht daher zu befürchten, dass die Arbeitslosenrate bis 2006 aus der kumulierten Wirkung der genannten Maßnahmen auf 9 Prozent oder noch mehr ansteigt, wenn keine Korrekturen mehr erfolgen.

Die arbeitsmarktpolitische Strategie der Regierung setzt, wie schon in der letzten Legislaturperiode, auf die Erhöhung des Angebotsdrucks und auf Maßnahmen, die den Druck auf Arbeitslose, zu schlechteren Bedingungen Beschäftigungen anzunehmen, erhöhen (»Flexibilisierung« der Zumutbarkeitsbestimmungen, Abschaffung der Notstandshilfe und Ersetzung durch eine »Sozialhilfe neu«), und »Flexibilisierungen«, welche die Arbeitnehmerrechte schwächen.

Keine Impulse für Wachstum

Zur wirtschaftlichen Belebung setzt die Regierung unverändert auf eine Vielzahl von tatsächlichen oder angeblichen standortpolitischen Einzelmaßnahmen. In zentralen Punkten lassen die Aussagen des Programms allerdings kaum erwarten, dass die Versäumnisse der letzten Legislaturperiode etwa bei der Dotierung von Forschung und Entwicklung, der Universitäten und der Infrastrukturinvestitionen gutgemacht werden.

In der Budgetpolitik ist die zweite ÖVP-FPÖ-Regierung - nach den negativen Erfahrungen der letzten Jahre - nun offenbar bereit, von der starren Orientierung auf ein »Nulldefizit um jeden Preis« abzugehen. Es werden unter einem - allerdings zu optimistischen - Wachstumspfad Defizite von 0,7 (2004) bis 1,5 Prozent des BIP zugelassen, was einen expansiveren Kurs und auch eine andere, konjunkturgerechtere Handhabung des europäischen Stabilitätspaktes bedeuten würde. Die für 2004 vorgesehenen steuerpolitischen Maßnahmen führen allerdings bei den Masseneinkommen zu einer Mehrbelastung. Der stärkste Impuls durch die geplante Steuersenkung um 2,5 Milliarden Euro (1,1 Prozent des BIP) ist erst für das Aufschwungjahr 2005 vorgesehen. Ein solcher Impuls wäre aber zur Stärkung der Konsum- und Investitionsnachfrage noch heuer oder spätestens 2004 zu setzen. Das große Volumen der für die nächsten Jahre angekündigten Einsparungen (3 Milliarden Euro) deutet auch auf Hintergedanken hin, das Nulldefizit doch noch zu erreichen, womit der ganze Expansionseffekt hinfällig wäre.

Keinesfalls sollte die Steuersenkung vom tatsächlichen Einsetzen eines Aufschwungs abhängig gemacht werden. Damit würde eine prozyklische Budgetpolitik zum Programm erhoben und die restriktive Linie der letzten Jahre mit allen negativen Konsequenzen fortgesetzt.

Die Gesetzentwürfe, mit denen die »Pensionssicherungsreform« ins Werk gesetzt werden soll, haben sich in einer bisher nicht gekannten Brutalität über Grundsätze der distributiven und intergenerativen Gerechtigkeit und des Vertrauensschutzes hinweggesetzt und sind deswegen zu Recht auf schärfste Kritik der öffentlichen Meinung gestoßen. In den Hintergrund traten dabei die Auswirkungen dieses Kahlschlages auf Wachstum und Beschäftigung in den nächsten Jahren.

Die Arbeitnehmer werden das Vorsorgesparen erhöhen und die laufenden Konsumausgaben einschränken - beim labilen Zustand der Konjunktur ein Effekt, der alles andere als wünschenswert ist. Da sich durch die massive Senkung der Ersatzquote (Pension in Prozent des letzten Aktiveinkommens) als Folge der schlagartigen Reduktion der so genannten Steigerungsbeträge von zwei auf 1,78 Prozent pro Jahr (minus 11 Prozent) sowie durch die Erhöhung der Abschläge bei Pensionsantritt vor dem Regelpensionsalter ein gravierender Einkommensverlust für all jene ergibt, die ab 2004 in Pension gehen, werden diese Arbeitnehmergruppen mit Sicherheit ab sofort mehr Ersparnisse bilden, um den beim Pensionsantritt eintretenden Einkommensabfall wenigstens teilweise zu kompensieren. Der betroffene Personenkreis bei den Arbeitnehmern umfasst in den nächsten fünf Jahren rund 145.000 Personen (Geburtsjahrgänge 1941 bis 1945, überwiegend Männer), in den darauf folgenden fünf Jahren rund 310.000 Personen (Geburtsjahrgänge 1946 bis 1950). Das sind etwa 13 Prozent der unselbständig Beschäftigten, auf die ein deutlich größerer Anteil der Lohnsumme (etwa 20 Prozent) entfällt.

»Man kann die Pensionsreform als volkswirtschaftliche Schocktherapie bezeichnen, die eine fühlbare Beeinträchtigung von Wachstum und Beschäftigung nach sich ziehen wird.«

Pensionsreform senkt den Konsum

Dies wird sich auf den gesamten privaten Konsum auswirken. Wenn die genannte Gruppe ihre Ersparnisbildung um fünf Prozent des Nettoeinkommens erhöht und ihren Konsum um fünf Prozent einschränkt, vermindert dies den gesamten privaten Konsum um ein halbes Prozent. Das ist bei den Mini-Wachstumsraten, die wir in letzter Zeit haben (0,9 bis 1,9 Prozent), eine beträchtliche Einbuße an Nachfrage.

Der Einwand, dass die reichlicheren Ersparnisse bzw. das größere Kapitalangebot von sich aus zu einer (kompensatorischen) Erhöhung der Investitionen führt, ist schon von Keynes als schwerer Konstruktionsfehler der älteren ökonomischen Theorie erkannt worden. In der nach allen Seiten offenen österreichischen Volkswirtschaft ist es erst recht völlig von der Hand zu weisen. Man kann daher die so genannte Pensionssicherungsreform mit guten Gründen nicht bloß als sozialpolitische, sondern gleichermaßen als volkswirtschaftliche Schocktherapie bezeichnen, die in den nächsten Jahren fühlbare Beeinträchtigungen von Wachstum und Beschäftigung nach sich ziehen wird.

Neuorientierung der EU-Wirtschaftspolitik ist unerlässlich

Die wirtschaftliche Stagnation in Österreich in den letzten drei Jahren ist grundsätzlich natürlich eine Folge der europäischen Wachstumsschwäche. Eine durchgreifende Verbesserung der Entwicklung in Österreich setzt sicherlich einen nachhaltigen Konjunkturaufschwung der gesamten europäischen Wirtschaft voraus, auf den wir seit mehr als zehn Jahren vergeblich hoffen. Die Ursachen für diese Frustration zu untersuchen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Ein warnendes Beispiel dafür, was geschieht, wenn einmal alles schief läuft, ist die Entwicklung der japanischen Wirtschaft in den letzten zehn Jahren. Seit dem Absacken des BIP-Wachstums auf null oder nahezu null hat Japan bereits ein Jahrzehnt der Stagnation hinter sich, und trotz intensiver Bemühungen und Ausprobieren alternativer wirtschaftspolitischer Ansätze konnte sich das Land bisher nicht aus dieser Situation befreien.

Drei Jahre anhaltende Wachstumsschwäche sollten uns auch in der EU zu denken geben. Statt alle Hoffnungen auf einen Konjunkturaufschwung in den USA zu setzen, sollte sich die europäische Wirtschaftspolitik endlich auf die Mobilisierung der eigenen inneren Expansionskräfte orientieren. Dies setzt ein Umdenken sowohl in der Geldpolitik der EZB als auch in der Fiskalpolitik voraus. Eine Reform des Stabilitätspakts sollte gewährleisten, dass die Nachfrage bei schlechter Konjunktur nicht zusätzlich gedrosselt wird. Die 2004 wirksam werdende EU-Erweiterung wird einen neuen Wachstumsimpuls bringen, aber unter der Bedingung, dass den Beitrittsländern nicht von Anfang an von der Europäischen Kommission und der EZB restriktive Stabilitätskriterien aufgezwungen werden, die dort das Wachstum gleich wieder abwürgen.

Konjunktur muss Vorrang haben

In der Diskussion über die Revision des Stabilitätspaktes hat bisher als einziges Land Frankreich eine klare Haltung eingenommen, indem es der Europäischen Kommission deutlich machte, dass Maßnahmen zur Reduktion des über 3 Prozent des BIP liegenden Staatsdefizits erst in Frage kämen, wenn die Schwächephase der Konjunktur überwunden sei. Im Gegensatz dazu schwankt die deutsche Regierung zwischen Inkaufnahme eines konjunkturbedingt »übermäßigen« Defizits in den Jahren 2002 und 2003 und dem Demonstrieren eines Sparwillens, der gegenwärtig die Misere nur verschlimmert.

Österreich sollte hier seine Stimme in der EU in ganz anderer Weise geltend machen als in den letzten zweieinhalb Jahren. Die Bundesregierung hält es aber offenbar nicht für notwendig, in der europäischen Debatte über die grundlegende Ausrichtung der Wirtschaftspolitik in der Währungsunion, insbesondere über die Koordinierung der zentralisierten Geld- und Währungspolitik und der nationalstaatlichen Budgetpolitiken, Position zu beziehen. Auch wenn Österreich als kleines Land nur begrenzten Einfluss hat, können wir uns ein Abseitsstehen in dieser Diskussion nicht leisten. Sie wird mehr als alle Maßnahmen im verbliebenen nationalen Handlungsspielraum die künftige Wirtschaftsentwicklung im Euroraum bestimmen.

Die Hauptaussage des Regierungsprogramms ist ein allgemein gehaltenes Bekenntnis zur »Lissabon-Strategie«, die weitestgehend auf »Standortpolitik«, also auf angebotsseitige Maßnahmen abstellt. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt jedoch eindeutig, dass ohne eine expansivere Makropolitik (Geld- und Fiskalpolitik) die eigentlichen Ziele betreffend Wachstum und Beschäftigung nicht erreichbar sind. Ohne eine entsprechende Neuorientierung ist
die Lissabon-Strategie zum Scheitern verurteilt, wie auch ihre bisherige Erfolglosigkeit zeigt. Überhaupt ist die Lissabon-Strategie in ihren zentralen Kennzahlen nach der EU-Erweiterung nicht mehr anwendbar, da sich wesentliche Strukturindikatoren aus statistischen Gründen massiv verschlechtern werden.

Eigene Handlungsspielräume nutzen

Wenn von der nationalstaatlichen Wirtschaftspolitik auch keine Wunder erwartet werden dürfen, ist doch zu fordern, dass vorhandene Handlungsspielräume für expansive Impulse umfassend und umgehend genutzt werden, damit Österreich sich besser und nicht wie in den letzten Jahren schlechter als der EU-Durchschnitt entwickelt. Wichtigste Elemente einer solchen Politik:

  • Offensive in der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Das Recht auf Aus- und Weiterbildung und das Auffangnetz zur Jugendausbildung (ab Herbst) sowie die angekündigte Qualifikationsförderung für ältere Beschäftigte machen zusätzlich mindestens 250 Millionen Euro erforderlich.
  • Neue Grenzgängerabkommen mit den EU-Beitrittsländern erst nach effektiven Maßnahmen zur Entlastung des Arbeitsmarktes.
  • Eine Steuerreform, welche die Arbeitnehmer wirklich entlastet und für Arbeit sorgt. Geboten ist eine rasche steuerliche Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um zwei Milliarden Euro. Dies würde durch eine stärkere Inlandsnachfrage die Wirtschaft ankurbeln (Beschäftigungseffekt: 18.000 Arbeitsplätze).
  • Infrastrukturoffensive. Baureife Straßen- und Schienenprojekte müssen endlich auch wirklich gebaut, die Finanzierung der Schieneninfrastruktur und die jährlichen Investitionen in das Schienennetz (rund 300 Millionen Euro) müssen auf längere Sicht gesichert werden und zentrale Verkehrsprojekte für die EU-Erweiterung endlich angegangen werden (Beschäftigungseffekt jeder investierten Milliarde Euro: bis zu 18.000 Arbeitsplätze).

Diese kurzfristigen Maßnahmen müssen durch eine langfristige Strategie in den einzelnen Bereichen der Angebotspolitik ergänzt werden. Ohne eine möglichst umgehende Stimulierung der Nachfrage wird aber auch die beste Angebotspolitik, von der wir ohnehin weit entfernt sind, keine Wirkung haben.

RESÜMEE

Ein böses Erwachen droht

Wenn die Regierung glaubt, die wirtschaftliche Flaute und die Arbeitslosigkeit »aussitzen« zu können, wird es ein böses Erwachen geben. Die EU schränkt zwar die einzelstaatlichen Handlungsmöglichkeiten stark ein, doch Österreichs Regierung unternimmt derzeit keine Anstrengungen, um dafür zu sorgen, dass sich das Land besser statt, wie derzeit der Fall, schlechter als der EU-Durchschnitt entwickelt.

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Günther Chaloupek (Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Thu, 15 May 2003 00:00:00 +0200 1190322106798 Bruch des Generationenvertrags Frau M. wird nächstes Jahr 60 und will dann in Pension gehen. Sie hat 35 Jahre gearbeitet und Beiträge für die gesetzliche Pensionsversicherung bezahlt. Auf Basis des geltenden Rechts kann sie bei einem Durchschnittsverdienst von 1100 Euro in den besten 15 Erwerbsjahren mit 770 Euro Pension (brutto) rechnen. Wird der Pensionskürzungsplan der Regierung umgesetzt, muss Frau M. mit einer lebenslang wirkenden Pensionskürzung um 14 Prozent rechnen. Pensionshöhe nach geltendem Recht: 770 Euro pro Monat. Pensionshöhe nach Regierungsplan: 662 Euro pro Monat. Geplante Kürzung: 108 Euro pro Monat

Umgerechnet auf ein Jahr würde das für Frau M. eine Kürzung um mehr als 1500 Euro bedeuten - und das, obwohl sie erst zum so genannten Regelpensionsalter in Pension geht und schon nach geltendem Recht nur eine bescheidene Pension bekommen hätte!

»Viele sind entsetzt, andere können noch immer nicht glauben, dass so etwas ernsthaft auf sie zukommen soll«

Herr K. ist im Mai 1948 geboren und derzeit 55 Jahre alt. Er ist Angestellter, hat seit seinem 15. Lebensjahr durchgehend gearbeitet, hat mit seinem Bezug die Höchstbeitragsgrundlage erreicht und hofft, bis zur Pension weiter in seiner Firma bleiben zu können. Nach geltendem Recht könnte er 2008 (mit 60 Jahren) in Pension gehen und eine Bruttopension von 2480 Euro erwarten. Kommen die von der Regierung vorgeschlagenen Änderungen, muss er bis 61,5 Jahren arbeiten und bekommt dann auch noch um einiges weniger an Pension als bisher mit 60!

Dabei hat Herr K. noch Glück: Wäre er um zwei Monate später geboren, bekäme er erst ab 65 eine Pension, weil die Schutzbestimmung für Langzeitversicherte für Personen, die ab Juli 1948 (Männer) bzw. ab Juli 1953 (Frauen) geboren sind, ersatzlos gestrichen werden soll!

Beispiele wie diese waren nach der Veröffentlichung der Regierungspläne am 31. März in allen Medien. Eine Schockwelle geht seither durch das Land. Viele sind entsetzt, andere können noch immer nicht glauben, dass so etwas ernsthaft auf sie zukommen soll. Tatsache ist aber, dass es für viele sogar noch wesentlich größere Kürzungen geben soll, vor allem für die Jüngeren!

Setzt sich die Regierung durch, dann wird mit der Pensionsversicherung ein Kernbereich des österreichischen Sozialstaats mit Brachialgewalt demontiert. Was über Jahrzehnte aufgebaut wurde, soll nun mit brutalen Kürzungen und indem der öffentlichen Alterssicherung jede Vertrauensbasis entzogen wird, mit einem Schlag zerlegt werden. Wenn Menschen, die knapp vor der Pension stehen, vom Gesetzgeber mit derartig gravierenden Einschnitten konfrontiert werden, worauf soll man sich dann in Zukunft noch verlassen?

So nicht!

Besonders empörend ist auch, dass noch vor wenigen Monaten, vor den letzten Nationalratswahlen im Herbst 2002, alles ganz anders geklungen hat. Da war wohl auch von »Pensionsreform« die Rede, kein Politiker hat aber vergessen, die selbstverständliche Einhaltung des Vertrauensschutzes zu betonen. An größere Änderungen sei bestenfalls in mittel- bis langfristiger Perspektive gedacht. Und auch das mit Augenmaß. Wenige Monate später scheint das vergessen. Nun wird ganz im Gegenteil so getan, als ob schon übermorgen alles zusammenbrechen würde, wenn der Gesetzentwurf der Regierung nicht sofort umgesetzt wird!

Dabei belegt die Regierung selbst in den finanziellen Erläuterungen zu ihrem Gesetzentwurf, dass sich die Finanzlage der Pensionsversicherung in den kommenden Jahren keineswegs schlecht entwickeln wird - selbst wenn es bei einer unveränderten Weitergeltung des jetzigen Pensionsrechts bleiben würde. Die Antwort kann da nur lauten: So nicht!

  • Es ist völlig inakzeptabel, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet und Pensionsbeiträge gezahlt haben, knapp vor Erreichung der Pension mit drastischen Kürzungen ihrer Ansprüche konfrontiert werden!
  • Es ist völlig inakzeptabel, dass Jüngere Pensionskürzungen von 20 Prozent bis 50 Prozent hinnehmen sollen!
  • Es ist völlig inakzeptabel, dass zig-tausend Älteren auf Jahre hinaus der Zutritt zu einer Pension verweigert wird, obwohl klar ist, dass der Großteil von ihnen überhaupt keine Chance hat, plötzlich um einige Jahre länger zu arbeiten!!

Bei gegebener Arbeitsmarktlage bedeutet ein Anheben des Pensionsalters um insgesamt fünf Jahre, dass sehr viele gezielt in die Altersarbeitslosigkeit abgedrängt und auf den jahrelangen Bezug von Notstandshilfe verwiesen werden (sofern ihnen eine Geldleistung zusteht).

»Das ist eine Verhöhnung von Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet und Pensionsbeiträge gezahlt haben«

Hohn nach einem Leben voll Arbeit

Geradezu unglaublich ist, dass die Regierung eine derartige Gesetzesvorlage als »Pensionssicherungsreform« zu verkaufen versucht. Rudolf Nürnberger, der Vorsitzende der Gewerkschaft Metall - Textil, nannte das zu Recht »eine Verhöhnung von Menschen, die ihr Leben lang hart gearbeitet haben«.

In Wahrheit ist der geplante Pensionsraub kurzfristig gesehen eine gigantische Geldbeschaffungsaktion der Regierung unter rücksichtslosem Bruch des Vertrauensschutzes. Mittel- bis langfristig gesehen dürfte ein Zusammenstutzen der gesetzlichen Pensionsversicherung auf ein Minimalniveau das Ziel sein. Anders lassen sich die geradezu irrwitzigen Kürzungen überhaupt nicht erklären. In den Erläuterungen zum Gesetzentwurf wird der geplante Weg in der Alterssicherung skizziert. Vor allem die Jüngeren werden auf private Vorsorgeformen verwiesen. Im Klartext heißt das, dass sie von der Regierung gleich doppelt zur Kasse gebeten werden. Sie sollen die laufenden Pensionen aus dem gesetzlichen System finanzieren und zusätzlich einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens in private Altersvorsorge investieren. Dass viele von ihnen derzeit nicht einmal einen Ausbildungsplatz bzw. eine Arbeit finden, geschweige sich die »Privatvorsorge« leisten können, scheint die politisch Verantwortlichen herzlich wenig zu kümmern.

Auf welch wackligen Beinen manche private, kapitalgedeckte Altersvorsorge steht, erfahren derzeit viele leidvoll, die eine (massiv gekürzte) Pension aus einer privaten Pensionskasse erhalten. Sinken die Börsenkurse, wird Kapitaldeckung zum Bumerang!

Die finanzielle Situation der im Umlageverfahren finanzierten gesetzlichen Pensionsversicherung ist bei weitem besser, als es die Regierung darzustellen versucht. Erreicht wurde dies durch eine Vielzahl von Reformen seit Mitte der achtziger Jahre. Einige Beispiele dafür, was von 1985 bis 1999 alles geändert wurde:

  • Ausweitung des Bemessungszeitraums von ursprünglich fünf auf 15 Jahre
  • Streichung der Anrechnung von Schul- und Studienzeiten
  • Umstellung der Pensionsanpassung auf die »Nettoanpassung«
  • Erschwerung des Zuganges zur vorzeitigen Alterspension (Vorgabe einer höheren Zahl von Versicherungsmonaten)
  • Reduktion der Steigerungsprozente bei Inanspruchnahme einer vorzeitigen Alterspension
  • Pensionsabschläge bei Pensionsantritt vor Erreichung des 65. Lebensjahres (Männer) bzw. 60. Lebensjahres (Frauen)
  • Harmonisierung des Bemessungszeitraumes für Beamte und ASVG-Versicherte auf 18 Jahre (Übergangszeitraum 2003-2020).

Entwicklung der Ausgaben der gesetzlichen
Pensionsversicherung 1970-2002
Ausgaben der PV in Relation zum BIP Bundesbeitrag in Relation zum BIP Bundesbeitrag in Relation zum Pensionsaufwand Beitragssätze (Unselbständige)
1970 8,1% 2,0% 30,6% Arb. 17,5%
Ang. 17,0%
1975 9,2% 2,4% 33,3% 17,5%
1980 9,8% 1,7% 20,4% 20,5%
1985 10,8% 2,6% 27,8% 22,7%
1990 10,9% 2,4% 26,1% 22,8%
1995 10,6% 2,2% 23,8% 22,8%
2000 10,9% 2,0% 21,1% 22,8%
2002 11,1% 2,3% 23,4% 22,8%

Ausgabenwachstum gebremst

Etliche dieser Maßnahmen haben Härten mit sich gebracht - im Vergleich zu dem, was die Regierung jetzt vorhat, wirken diese Härten aber geradezu lächerlich.

Vereinzelt gab es in den neunziger Jahren auch Leistungsverbesserungen, wie etwa durch die 1993 eingeführte Anrechnung von vier Jahren Kindererziehungszeit.

In Summe haben die Maßnahmen den Ausgabenzuwachs jedenfalls massiv gedämpft.

Wie die Tabelle »Gesetzliche Pensionsversicherung 1970-2002« zeigt, sind die Ausgaben der gesetzlichen Pensionsversicherung bis 1985 massiv angestiegen, ab Mitte der achtziger Jahre konnte dann aber der Ausgabenzuwachs weitgehend gestoppt werden:

  • 2002 wurden 11,1 Prozent des BIP für die Pensionen aufgewendet, seit 1985 ist ein Zuwachs um nur 0,3 Prozent des BIP zu verzeichnen. Zwischen 1970 und 1985 stiegen im Vergleich dazu die Pensionsausgaben um 2,7 Prozent des BIP.
  • Der Bundesbeitrag liegt im Jahr 2002 mit 2,3 Prozent des BIP deutlich niedriger als Mitte der achtziger Jahre. Auch in Relation zu den Gesamtausgaben der Pensionsversicherung liegt der Bundesbeitrag auf einem Niveau, das in der Vergangenheit schon mehrfach deutlich überschritten wurde.
  • Der Beitragssatz bei den Unselbständigen ist seit langer Zeit stabil bei 22,8 Prozent (12,55 Prozent Arbeitgeberbeitrag, 10,25 Prozent Arbeitnehmerbeitrag), bis 1985 hatte es demgegenüber kräftige Erhöhungen des Beitragssatzes gegeben.

Bundesbeitrag zur gesetzlichen Pensionsversicherung
(in Prozent des Pensionsaufwandes)
1970-2002
insgesamt ASVG GSVG BSVG
1970 31% 26% 60% 85%
1985 28% 19% 72% 82%
2000 21% 13% 60% 81%
2002 23% 16% 56% 88%

ASVG am stärksten betroffen

Gerne verschwiegen wird von der Bundesregierung aber nicht nur, dass bereits von früheren Regierungen - unter Einbindung der Sozialpartner - Maßnahmen für die Sicherstellung einer soliden Finanzgebarung der Pensionsversicherung gesetzt worden sind.

Verschwiegen wird auch, dass die Zuzahlungen des Bundes bei ASVG-Versicherten, Gewerbetreibenden und Bauern extrem auseinander klaffen (siehe Tabelle: Bundesbeitrag zur gesetzlichen Pensionsversicherung).

Bei den Arbeitnehmern werden derzeit 16 Prozent des Pensionsaufwands über den Bundesbeitrag finanziert, bei den Gewerbetreibenden sind es 56 Prozent und bei den Bauern sogar 88 Prozent. Auch bei den Beamtenpensionen decken die Beitragseinnahmen (unter Berücksichtigung fiktiver Arbeitgeberbeiträge) einen viel geringeren Teil des Pensionsaufwands als im ASVG. Und wo plant die Regierung kurzfristig die schärfsten Einschnitte? Im ASVG! Zur Vollständigkeit bleibt anzumerken, dass sich zu den Eigenpensionen der Politiker in den vorgelegten Gesetzentwürfen kein Wort findet!

Die massiven Unterschiede bei der Eigenfinanzierung lassen sich bei weitem nicht nur durch unterschiedliche Versichertenstrukturen erklären. Eine der zentralen Ursachen ist, dass die Beitragssätze der Gewerbetreibenden und der Bauern wesentlich niedriger sind als bei den ASVG-Versicherten (bei den Beamten sind sie höher als im ASVG). Der politisch von allen Seiten vertretene Grundsatz, dass für gleiche Leistungen gleiche Beiträge abverlangt werden sollten, ist bei weitem nicht erfüllt. Hierzu findet sich im Regierungskonzept ebenso nichts wie zur seit vielen Jahren überfälligen Finanzierung der Ersatzzeiten aus den dafür zuständigen Budgettöpfen!

»Die finanzielle Situation der gesetzlichen Pensionsversicherung ist bei weitem besser, als es die Regierung darstellt«

Erlogene Finanzierungskrise

Zurück zur Finanzlage der Pensionsversicherung. Gravierende Einsparungen brachte zuletzt die »Pensionsreform 2000« mit ihrer überfallsartigen Anhebung des Pensionsalters, der Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, der Erhöhung der Pensionsabschläge und der Kürzung der Hinterbliebenenpensionen. Dieses Maßnahmenpaket wurde vor allem wegen völlig unzureichender bzw. gar nicht gegebener Übergangsfristen mit Recht sehr heftig kritisiert, führten aber naturgemäß zu einer weiteren deutlichen Ausgabendämpfung in der Pensionsversicherung.

In Summe bewirken die seit Mitte der achtziger Jahre gesetzten Maßnahmen, dass sowohl die Gesamtausgaben der gesetzlichen Pensionsversicherung als auch der Bundesbeitrag in den nächsten Jahren - in BIP-Anteilen gerechnet - deutlich sinken werden.

Die für die Finanzlage 2003-2007 verwendeten Zahlen sind den finanziellen Erläuterungen zum Gesetzentwurf der Regierung entnommen. Sie belegen klipp und klar, dass die von Regierungsseite behauptete dramatische Finanzkrise der Pensionsversicherung eine gezielte, verantwortungslose Irreführung der Öffentlichkeit ist.

Die Graphik »Entwicklung der Ausgaben der Pensionsversicherung« zeigt, dass selbst bei Beibehaltung des geltenden Rechts die Aufwendungen der Pensionsversicherung im Zeitraum 2003 bis 2007 von derzeit 11,1 Prozent des BIP auf dann 10,7 Prozent des BIP sinken würden!

Das ist aber den zuständigen Politikern offenbar nicht genug. Bei Umsetzung ihrer Pläne käme es sogar zu einem Rückgang auf 10,3 Prozent. Damit würden die Ausgaben der Pensionsversicherung plötzlich erheblich niedriger liegen als in den letzten 20 Jahren!

Eine völlig überzogene »Reform«

Bei den Bundesmitteln, die in die Pensionsversicherung fließen, haben wir ein ganz ähnliches Bild. Auch hier werden für die nächsten Jahre rückläufige Werte prognostiziert.

Bundesbeitrag und Ausgleichszulagenersatz sinken nach den von der Regierung selbst vorgelegten Zahlen bei unveränderter Fortführung des geltenden Rechts im Zeitraum 2003 bis 2007 demnach von 3,1 Prozent auf 2,9 BIP-Prozent. Wenn es der Regierung gelingt, ihre Kürzungspläne umzusetzen, wird sogar mit einem Rückgang auf 2,5 Prozent gerechnet.

Im ASVG ist den finanziellen Erläuterungen der Regierung zufolge nicht nur in BIP-Prozenten, sondern sogar in Absolutzahlen mit einem erheblichen Sinken der erforderlichen Bundesmittel zu rechnen:

Wie die Tabelle »BIP-Szenario und Bevölkerungsentwicklung« zeigt, würde der Bedarf an Bundesmitteln im ASVG nach 2003 selbst bei unveränderter Beibehaltung des geltenden Rechts deutlich sinken. Erst im Jahr 2007 würde ein Wert erreicht werden, der höher liegt als 2003. In BIP-Prozenten würde es im Zeitraum 2003 bis 2007 ohne Maßnahmen einen Rückgang von 2,0 Prozent auf 1,8 Prozent geben, mit den geplanten Einschnitten sogar einen Rückgang auf 1,4 Prozent.

Ab in die Altersarbeitslosigkeit?

Was kommt auf uns zu, wenn der Gesetzentwurf vom 31. März im Parlament beschlossen werden sollte? Der Pensionszutritt vor 65 (Männer) bzw. vor 60 (Frauen) würde unmöglich! Die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit soll ab dem Jahr 2004 und die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer zwischen 2004 und 2009 abgeschafft werden. Ein Pensionseintritt vor 65 bzw. vor 60 wäre dann nur noch bei Invalidität oder Berufsunfähigkeit möglich.

Zigtausende ältere Arbeitnehmer würden bei Realisierung dieses Programms in den nächsten Jahren in die Altersarbeitslosigkeit geraten. Die Chance, bis 65 bzw. bis 60 im Erwerbsleben zu verbleiben, sind bei den derzeitigen Gegebenheiten für sehr viele gleich null. Daran wird sich aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren leider kaum etwas ändern.

Nicht wenige Frauen finden derzeit bereits ab 45 nur noch sehr schwer eine Arbeit. Auf Hilfe der Regierung warten sie vergeblich. Im Gegenteil: Das einzige, was diese tut, ist, den frühestmöglichen Pensionseintritt um Jahre nach hinten zu verlagern.

Wie die Jahre zwischen dem (oft viel früher erzwungenen) Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und der Erreichung des 60. bzw. 65. Lebensjahres überbrückt werden sollen, beschäftigt die Regierung offenbar in keiner Weise.

Wird die Ankündigung wahr gemacht, in einer weiteren »Reform« die Notstandshilfe abzuschaffen, bliebe vielen wohl nur noch der Weg zur Sozialhilfe. Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet und an der Schaffung unseres Wohlstandes mitgewirkt haben, so zu behandeln, ist schlicht unfassbar!

Katastrophe auf dem Arbeitsmarkt

Auf dem Arbeitsmarkt könnte die rasche Hinaufsetzung des Pensionsalters um insgesamt fünf Jahre zu einer Katastrophe führen. Schon derzeit haben wir in Österreich seit Jahrzehnten nicht erreichte Höchstwerte bei den Arbeitslosenzahlen. In diesem Umfeld soll nun das »Arbeitskräfteangebot« im Bereich der Älteren in kurzer Zeit dramatisch erhöht werden. Der enorme Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in den letzten Jahren sollte eine Warnung dafür sein, was da auf uns zukommt.

In längerfristiger Perspektive soll, dem Regierungsprogramm zufolge, wieder ein genereller Pensionszugang ab 60 ermöglicht werden - »mit entsprechenden Abschlägen«. In einem ersten Schritt will die Regierung also alle vorzeitigen Alterspensionen abschaffen - in einer Zeit mit extrem schlechten Arbeitschancen für Ältere. Gleichzeitig kündigt sie an, dass in ferner Zukunft wieder Möglichkeiten eröffnet werden, ab 60 in Pension zu gehen - wenngleich wahrscheinlich nur mit einer Minimalpension. Eine solche »Pensionspolitik« ist europaweit einzigartig!

»In Summe haben die gesetzten Maßnahmen den Ausgabenzuwachs jedenfalls massiv gedämpft«

Vernichtete Lebensplanung

Die Neupensionen sollen bereits 2004 um durchschnittlich 13,5 Prozent gekürzt werden - in den Folgejahren sollen die Kürzungen noch viel weiter gehen! Die Steigerungsprozente pro Versicherungsjahr sollen in der gesetzlichen Pensionsversicherung von derzeit 2 Prozent auf 1,78 Prozent reduziert werden, rückwirkend für alle bisher erworbenen Versicherungsjahre! Zusätzlich soll der Pensionsabschlag für jedes Jahr des Pensionseintritts vor 65 (Männer) und 60 (Frauen) von derzeit 3 Prozent auf 4,2 Prozent erhöht werden. Beide Maßnahmen sollen nach dem von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf ohne Übergangsfrist und ohne Einschleifregelung ab dem 1. Jänner 2004 voll wirksam werden. Dazu kommt, dass die Neupensionen in Zukunft im ersten Jahr nach Zuerkennung nicht mehr wertangepasst werden sollen - was die Kürzungen weiter in die Höhe treibt. In den erläuternden Bemerkungen zum Gesetzentwurf heißt es zum Ausmaß der angepeilten Pensionskürzungen trocken:

»Im Jahr 2004 dürfte der kumulative Pensionsverlust bei durchschnittlich rund 13,5 Prozent liegen, im Jahr 2005 bei 14,5 Prozent und im Jahr 2006 bei rund 15,5 Prozent. Im Jahr 2007 wird die durchschnittliche Pensionsminderung bei 16,5 Prozent liegen.«

Klar ist, dass mit derart drastischen Eingriffen für viele Menschen, die knapp vor Erreichung des (ursprünglichen) Pensionsalters stehen, die bisherige Lebensplanung über den Haufen geworfen wird. Der Vertrauensgrundsatz wird mit Füßen getreten.

Wie soll sich jemand, der nur noch wenige Jahre (oder vielleicht sogar nur Monate) bis zur Pension vor sich hatte, auf völlig geänderte Gegebenheiten einstellen?

Glaubt die Regierung wirklich, dass Menschen, die bisher eintausend Euro Pension erwarten konnten (bei sehr vielen ist es sogar viel weniger), für den Rest ihres Lebens auf 15 Prozent oder mehr verzichten können?

Was die Umsetzung dieses Kürzungsprogramms bedeuten würde, zeigt ein Blick auf die Statistik: Die Hälfte aller neu zuerkannten Eigenpensionen von Frauen liegen derzeit unter 616 Euro brutto. Die Männerpensionen liegen mit einem Medianwert von 1397 Euro brutto durchschnittlich um einiges höher, aber auch von diesem Betrag wird niemand reich.

»Verschwiegen wird auch, dass die Zuzahlungen des Bundes bei den ASVG-Versicherten, Gewerbetreibenden und Bauern extrem auseinander klaffen«

Wer ist ein »Hackler«?

Selbst wer 45 (Männer) bzw. 40 (Frauen) Beitragsjahre hat, soll von den Kürzungen nicht verschont werden. Auch wer seit dem 14. oder 15. Lebensjahr durchgehend bis 60 (Männer) bzw. 55 (Frauen) gearbeitet hat, muss mit Pensionskürzungen um 10 Prozent und mehr rechnen.

Dazu kommt, dass es für Männer, die nach dem 1. Oktober 1945 geboren wurden (Frauen ab 1. Oktober 1950), die »Hackler-Pension« nur noch 1,5 (Männer) bzw. 56,5 (Frauen) geben soll. Wer ab Juli 1948 (Männer) bzw. ab Juli 1953 (Frauen) geboren ist, für den soll die Sonderregelung für Langzeitversicherte zur Gänze entfallen. Das würde bedeuten, dass Männer, die mit 15 Jahren zu arbeiten begonnen haben und seither ohne Unterbrechung im Erwerbsleben stehen, 50 Beitragsjahre sammeln müssen, bevor sie mit 65 in Pension gehen dürfen.

Was erwartet die Jüngeren?

Zur Klarstellung: Unter den »Hacklern«, für die noch ein paar Jahre eine Sonderregelung gelten soll, sind gerade jene Berufe nur in Ausnahmefällen zu finden, die man am ehesten mit dieser Bezeichnung verbinden würde. So fallen die Bauarbeiter in der Regel von vornherein heraus, weil sie als Saisonbeschäftigte auch Zeiten der Arbeitslosigkeit aufweisen. Der Bemessungszeitraum soll von 15 auf 40 Jahre erweitert werden - was eine weitere Pensionssenkung um durchschnittlich 25 Prozent bedeuten würde! Ab 2004 soll gemäß Regierungsplan der Bemessungszeitraum pro Jahr um ein Jahr erhöht werden, ausgehend von den bisher geltenden 15 Jahren. Im Jahr 2028 soll auf diese Weise eine Durchrechnung über 40 Jahre erreicht werden. Nach dem Gesetzentwurf soll diese Maßnahme ohne jeden Ausgleich und ohne faire Aufwertung weiter zurückliegender Verdienste erfolgen. Ergebnis wäre nicht selten eine Pensionskürzung im Ausmaß eines Drittels der Pension, in etlichen Fällen wären es sogar mehr als 40 Prozent. Besonders dramatisch betroffen wären vor allem Frauen mit einer Mischung von Vollzeit- und Teilzeitjahren.

Werden die von der Regierung geplanten Pensionskürzungen umgesetzt, kann von einer Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Pensionsversicherung in Zukunft nicht mehr die Rede sein. Das durchschnittliche Pensionsniveau würde dramatisch sinken und die Altersarmut bzw. die Zahl der Ausgleichszulagenempfänger ebenso dramatisch steigen.

Ein Bluff für die Mütter

Kindererziehungszeit soll in höherem Maß als bisher als Beitragszeit gewertet werden - den meisten Frauen bringt das keinen Euro! Die von Regierungsvertretern als enorme Verbesserung für Frauen mit Kindern »verkaufte« Berücksichtigung von 24 Monaten Kindererziehungszeit als Beitragszeit (bisher 18 Monate) erweist sich bei näherem Hinsehen als großer Bluff. Sie bringt für die meisten Frauen nicht den geringsten Ausgleich für die Pensionskürzungen - für die Pensionshöhe werden nämlich schon bisher vier Jahre Kindererziehungszeit angerechnet und daran soll sich nach dem Regierungsplan nichts ändern.

Dazu kommt, dass die Ausweitung von 18 auf 24 Monate nur für Zeiten des Bezugs von Kinderbetreuungsgeld und damit nur für Kindererziehungszeiten seit dem 1. Jänner 2002 vorgesehen ist. Für Frauen, die in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten in Pension gehen, bringt die bei jedem öffentlichen Auftritt eines Regierungsvertreters hervorgehobene »Verbesserung« schon allein aus diesem Grund im Normalfall überhaupt nichts. Und auch wenn jene Frauen in Pension gehen, die ab 2002 Kinder kriegen, werden nur ganz wenige einen Vorteil haben, nämlich wenn bis zum Pensionsalter z. B. nur 14,5 Beitragsjahre erreicht werden und somit genau ein halbes Beitragsjahr zur Erreichung eines Pensionsanspruchs fehlt.

Nachkauf vergeblich

Nachgekaufte Schul- und Studienzeiten sollen unter gewissen Umständen rückerstattet werden - nur wenige werden tatsächlich ihr Geld zurückbekommen.

Viele haben Schul- und Studienzeiten nachgekauft, um die nötigen Versicherungsjahre für den Eintritt in eine vorzeitige Alterspension zu erreichen. Die vorgesehenen Radikaländerungen im Pensionsrecht mit der Abschaffung aller vorzeitigen Alterspensionen machen den ursprünglichen Zweck des Nachkaufs unmöglich.

Eine Rückerstattung der gezahlten Beiträge soll es aber nur in jenen Fällen geben, in denen diese Beiträge weder anspruchs- noch leistungswirksam werden. Da eine gewisse Leistungswirksamkeit fast immer gegeben sein wird, ist die Ankündigung der Rückerstattung für die meisten bestenfalls von theoretischer Bedeutung.

Die Krankenversicherungsbeiträge für Pensionisten sollen um 1,1 Prozent erhöht werden - was eine entsprechende Kürzung der Pensionen bedeutet (auch der vielen Niedrigpensionen).

Schließlich sollen die Krankenversicherungsbeiträge der Pensionisten von derzeit 3,75 Prozent auf 4,75 Prozent erhöht werden, zusätzlich will man einen allgemeinen Beitrag für alle krankenversicherten Personen von 0,1 Prozent einführen. Die Nettopensionen würden damit pauschal gekürzt, was vor allem für die vielen Bezieher von Niedrigpensionen eine soziale Härte darstellt.

Es gibt auch andere Wege

Es ist kein Sachzwang, sondern eine politische Entscheidung, ob der Vertrauensschutz gewahrt wird oder nicht, ob man die Menschen fair behandelt oder ihre Rechte mit Füßen tritt. Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet und Beiträge zur Finanzierung der sozialen Sicherheit in unserem Land gezahlt haben, haben Anspruch auf die Achtung erworbener Rechte. Und die Jüngeren brauchen eine Zukunftsperspektive und nicht eine kaputtgesparte Pensionsversicherung und den Verweis auf private Vorsorge, die sie sich nicht leisten können. Eine zukunftsorientierte Alterssicherung, die diesen Namen verdient, verlangt:

  • Nationale Kraftanstrengung zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen der Älteren - Arbeit ermöglichen statt Abschieben in die Altersarbeitslosigkeit.
  • Mehr Gerechtigkeit und Fairness bei den Pensionen - gleiche Beiträge für gleiche Leistungen statt gegeneinander Ausspielen von verschiedenen Berufsgruppen.
  • Versicherungsfremde Leistungen abdecken - kostengerechte Finanzierung der Ersatzzeiten statt mutwilligem Schaffen von Budgetlöchern.
  • Eigenständige Alterssicherung der Frauen stärken - vorhandene Defizite im Pensionssystem beseitigen statt einem blindwütigen Kürzungsprogramm selbst für die Schwächsten.
  • Pensionsrecht mit Sachverstand und sozialer Verantwortung weiterentwickeln - Pensionskonvent unter Einbeziehung der Sozialpartner statt raschem Durchpeitschen eines reinen Pensionskürzungsprogramms.

Zukunftsorientierte Alterssicherung erfordert ein gezieltes Zusammenwirken von Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Welche Pensionen wir uns in Zukunft leisten können, hängt von der Wirtschaftskraft des Landes ab, von der Zahl der Beitragszahler (und damit der Beschäftigten) und keineswegs nur davon, dass die Pensionen gekürzt werden.

Welch zentrale Bedeutung die Beschäftigung hat, zeigt die Graphik »Erwerbsbeteiligung und Pensionsquote 1970-2030«, in der die Entwicklung der Pensionsquote (Zahl der Pensionen auf je 1000 Beitragszahler) von 1970 bis 2000 und Szenarien für die Entwicklung bis 2030 gezeigt werden.

Professor Rürup hat in seiner Pensionsstudie aus dem Jahr 1997 für das Jahr 2030 eine Pensionsquote in Höhe von 980 in Aussicht gestellt: Auf 1000 Beitragszahler kämen dann 980 Pensionisten. Dass dieses Negativ-Szenario sehr wahrscheinlich ist, wurde inzwischen durch Berechnungen des Wifo belegt, die im Auftrag der Arbeiterkammer Wien und im Auftrag des Hauptverbandes durchgeführt wurden.

Wird das vom Wifo gerechnete »Nordland-Szenario« Wirklichkeit, wonach in Österreich bis zum Jahr 2030 eine Erwerbsbeteiligung wie derzeit in Dänemark, Schweden und Norwegen erreicht wird, wird die Pensionsquote nur auf den Wert 716 steigen. Von 2000 bis 2030 hätten wir damit einen Anstieg um 16 Prozent, was wesentlich weniger wäre als in den letzten 30 Jahren mit einem 30-Prozent-Anstieg.

Wird das ebenfalls vom Wifo gerechnete »Status-quo-Szenario« Realität (die Erwerbsquote bleibt auf heutigem Niveau), ist mit einem Anstieg der Pensionsquote auf 864 zu rechnen.

Ein Szenario, das vom Wifo als extrem pessimistisch eingeschätzt wird, aber im Ergebnis noch immer deutlich unter dem Rürup-Wert liegt. Jeder kennt die Parole: »Im Jahr 2030 muss ein Aktiver eine Pension zahlen!« Die Wifo-Rechnungen zeigen, dass dies unwahrscheinlich ist und nicht notwendigerweise auf uns zukommt. Bei richtiger Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik, orientiert an den nordischen Staaten, kann der Pensionsquotenanstieg viel sanfter ausfallen.

Klar ist aber, dass die Sicherung unserer Pensionen angesichts eines stark steigenden Altenanteils etwa ab 2015 eine der großen Herausforderungen für die Sozialpolitik darstellt. Die Bewältigung dieser Herausforderung muss in einem breiten öffentlichen Diskurs unter zentraler Einbindung der Sozialpartner angegangen werden und nicht durch das Auf-den-Tisch-Knallen einer sozial verantwortungslosen Gesetzesvorlage. So nicht!

R E S Ü M E E

Dramatische Fehlentwicklung


Die drastischen Eingriffe der Regierung
in das gesetzliche Pensionssystem wirft die Lebensplanung von Generationen über den Haufen. Die dramatischen Auswirkungen auf die Arbeitslosigkeit und das Konsumverhalten dürften sich bald in aller Deutlichkeit zeigen. Für die Jungen wäre eine Zukunftsperspektive notwendig und nicht ein kaputtgespartes Pensionsversicherungssystem mit Verweis auf private Vorsorge, die sie sich nicht leisten können.

]]>Josef Wöss (Leiter der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien)http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1190322106762http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1190322106777http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1190322106784http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= Sun, 15 Jun 2003 00:00:00 +0200 1190322106730 Indien: Männer arbeitslos, Frauen erfinderisch Dem Trend zu neuen Beschäftigungsverhältnissen passen sich Europas Gewerkschaften bisher kaum an. In Indien, wo informelle Arbeitsverhältnisse fast die Regel sind, ist man da flexibler. Die SEWA erfüllt Aufgaben, die weit über die einer gängigen Gewerkschaft hinausgehen. Sie unterhält eine eigene Bank und Versicherung, stieg in die Gesundheitsversorgung ein und errichtete ein Ausbildungszentrum für Funktionärinnen. Der ethnisch-religiöse Konflikt, der aus dem benachbarten Kaschmir nach Gujarat hereinschwappt, wird aus der Arbeit herausgehalten. »Arbeit&Wirschaft« bat Namrata Bali, die Geschäftsführerin dieser bemerkenswerten Organisation, zum Interview.

A&W: SEWA ist mit 30 Jahren nicht nur die älteste, sondern auch die größte Organisation dieser Art weltweit. Was sind nun die Gründe für diese Erfolgsgeschichte von SEWA?
Namrata Bali: SEWA ist eine sehr indische Bewegung. Sie begann in der Stadt Ahmedabad im Bundesstaat Gujarat, damals ein Zentrum der Textilindustrie. Doch Ende der 70er-Jahre schlitterte diese Branche in eine schwere Krise. Von den etwa 40 Textilfabriken vor 30 Jahren sind heute nur mehr sechs in Betrieb. SEWA reagierte auf diese Entwicklung mit großer Einfühlsamkeit. Wir erkannten den Unterschied in der Situation der Arbeiter in den Unternehmen und jenen im informellen Sektor oder in der Heimarbeit. Und unsere Stärke war und ist es eben, diese Armen zu organisieren, sie hinter gemeinsamen Interessen zu vereinigen. Das ist wohl auch die Erklärung für unseren Erfolg.

A&W: SEWA arbeitet ja in vielen Sektoren und mit verschiedensten Bevölkerungskreisen, am Land und in der Stadt. War diese Vielfalt von Anfang an angelegt oder hat sich das im Lauf der Zeit entwickelt?
NB: Wir begannen im urbanen Raum, und dementsprechend war unsere Klientel: Straßenverkäuferinnen, Marktfrauen, Textilarbeiterinnen, Trägerinnen. In den späten 70er-Jahren erlebte Gujarat eine schwere Dürre und viele Menschen wanderten in die Städte ab. Sie erzählten uns von ihren Familienangehörigen, die in den Dörfern zurückgeblieben waren und baten uns, unsere Arbeit auf die ländlichen Regionen auszuweiten. Heute ist nur mehr ein Drittel unserer Mitgliedschaft städtisch, die anderen zwei Drittel leben auf dem Land. Viele unserer Mitglieder sind Heimarbeiterinnen, denn Fabriken und Industrien sperren zu, und die Arbeiterinnen arbeiten nun zu Hause weiter. Die Wohnung wird zum Arbeitsplatz. Für die Auftraggeber ist das ein großer Vorteil, denn sie ersparen sich alle Nebenkosten. Die von SEWA organisierten Heimarbeiterinnen üben 74 verschiedene Tätigkeiten aus.

A&W: Was ist der Grund für den Niedergang der Textilfabriken?
NB: Die Regierung begann, Baumwolle und Technologie für die Textilverarbeitung zu importieren. Dadurch stiegen die operativen Kosten in der Textilindustrie stark an und die Unternehmen konnten im internationalen Wettbewerb nicht mehr mithalten.

Trotzdem werden kaum weniger Textilien produziert, nur eben in viel kleineren Einheiten, also in Sweatshops oder in den Wohnungen. Von den männlichen Arbeitern sind die meisten arbeitslos geworden, während die Frauen sich im informellen Sektor als Putzerinnen, Straßenverkäuferinnen oder eben als Heimarbeiterinnen verdingen.

A&W: Eure Arbeit geht weit über die traditionelle Gewerkschaftsarbeit hinaus.
NB: Jede Gewerkschaft hat die Verantwortung, sich um die Sicherheit ihrer Mitglieder zu kümmern. In Indien haben wir kein allgemeines Sozialversicherungssystem, und so fällt es unter die Verantwortung der Gewerkschaft, für die soziale Sicherheit der Mitglieder zu sorgen. Und besonders, wenn die Mitglieder aus dem informellen Sektor stammen, die ja überhaupt keine Versicherung und staatliche Fürsorge genießen. So ist unser Ziel ganz klar: ein gewisses Maß sozialer Wohlfahrt für alle unsere Mitglieder. Das heißt, sie sollen das ganze Jahr hindurch Arbeit haben, ein Dach über dem Kopf, Kinderbetreuung, Gesundheitsversorgung und irgendwelche Produktionsmittel.

Ein anderes Ziel ist Vollbeschäftigung und Selbstvertrauen. Damit meinen wir nicht nur ökonomische Unabhängigkeit, sondern auch ein neues Selbstwertgefühl gegenüber der männlich dominierten Umwelt, sodass Frauen individuell und kollektiv Führungspositionen einnehmen können. Mit der fachlichen Ausbildung unserer Mitglieder fördern wir auch deren Selbstvertrauen und Selbstsicherheit.

A&W: Wie kam es zur Gründung der SEWA Bank?
NB: In den 70er-Jahren baten uns staatliche Banken, ihnen bei der Kreditvergabe an die Armen zu helfen. Sie hatten ja zu denen keinen Zugang. Bei einer Mitgliederversammlung, zu der 6000 Frauen kamen, hatte eine der Frauen die Idee, eine eigene Bank gründen. Doch dafür brauchte man 100.000 Rupien Startkapital, das war eine Riesensumme für uns. So begannen wir eine Sammelaktion, gingen von Tür zu Tür, und in sechs Monaten hatten wir das Geld beisammen. Doch als wir die Bank als Genossenschaft anmelden wollten, sagte man uns: Ihr könnt keine Bank gründen, ihr seid arm und Analphabeten. Wie wollt ihr in einer Bank arbeiten, wenn ihr nicht einmal lesen könnt? Ihr geht sofort bankrott. Aber schließlich gelang es uns, alle Schwierigkeiten zu überwinden, und wir wurden als Bank registriert. Heute haben wir über 300.000 Mitglieder, alles Frauen, die zur Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebenssituation bei der Bank einen Kredit aufnehmen können.

A&W: Erhalten Sie auch von staatlichen Stellen Unterstützung für Ihre Arbeit?
NB: Ja, für verschiedene Programme, zum Beispiel in der Wasserversorgung ländlicher Gebiete.

Das Wasserholen ist ja normalerweise ein Frauenjob, oft müssen die Frauen vier bis fünf Kilometer weit gehen, um einen Eimer Wasser zu holen. Wir ermutigen und befähigen sie nun, alte Techniken des Wassersammelns, auch des Regenwassers, wieder zu beleben. Im städtischen Raum arbeiten wir mit Gemeindeverwaltungen zusammen, um für die armen Familien in den Slums sieben Grundbedürfnisse zu erfüllen, darunter Wasserversorgung, Kanalisierung, Strom, WC. Wir erhalten für unsere Programme auch aus dem Ausland Unterstützung.

A&W: Gibt es SEWA nur im Bundesstaat Gujarat?
NB: Es gibt in Indien sechs SEWAs in verschiedenen Staaten, aber das sind alles unabhängige, autonome Organisationen. Unser verbindendes Element ist die gemeinsame Ideologie, die gleichen Prinzipien und das selbe Ziel: für die Frauen im informellen Sektor zu arbeiten. Wir haben eine Dachorganisation gebildet, die wir SEWA India nennen.

Wir breiten uns auch international aus. In Südafrika haben wir bereits eine Organisation für Heimarbeiterinnen gebildet, die SEWU, und nun wird gerade in Istanbul eine ähnliche Einrichtung aufgebaut. In unser Ausbildungszentrum, die SEWA-Akademie, kommen jährlich zahlreiche Gruppen aus anderen Ländern, um sich unsere Arbeit anzuschauen und Ideen für die eigenen Organisationen zu holen.

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R. Leonhard http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Jun 2003 00:00:00 +0200 1190322106724 ÖGB-Protest: Demo gegen Pensionsklau Die Demonstration der 200.000 Menschen am Heldenplatz in Wien war weder Anfang noch Ende der durch die Pensionskürzungspläne von Schwarz-Blau II provozierten Proteste quer durch Österreich. Bereits in den Wochen vor der Großdemonstration hatten sich an den von Betriebsräten und Personalvertretern aller Gewerkschaften organisierten Betriebsversammlungen, Kundgebungen und Streiks bei 10.000 Aktionen 500.000 Menschen aus allen Berufsgruppen und Bevölkerungsschichten beteiligt: Ein klares Zeichen der Solidarität, ein deutliches Signal an Arbeitgeber, Regierung und Parlamentsabgeordnete, so der einhellige Tenor aller Gewerkschaften.

Vorläufiger Höhepunkt war die Protestdemonstration gegen den Pensionsraub am 13. Mai mit 200.000 Teilnehmern. »Mit Schüssel, Haupt und Grasser gibt’s als Pension nur Wasser« war einer der - auch angesichts des sintflutartigen Regens und von Hagel und Sturm - treffenden Sprüche, die auf den Transparenten zu lesen waren.

»Lieber einmal nass werden als dauernd im Regen stehen«, brachte der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) und Vizepräsident des ÖGB, Fritz Neugebauer, die Stimmung auf den Punkt. Das Pensionssystem dürfe nicht zum »Spielball der Versicherungswirtschaft« werden. Auch für jetzt junge Österreicher müsse der Vertrauensschutz gewährleistet, ihre Pensionen gesichert werden, sagte der ÖGB-Vizepräsident. Ein heute 30-Jähriger verliere rund drei Millionen Schilling, wenn er einmal in Pension geht, rechnete Albert Maringer, Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend, vor.

»Schüssel soll in den Monaten Juli und August an einem Hochofen arbeiten, bevor er über das Schicksal von schwer arbeitenden Menschen entscheidet. Metallarbeiter müssen bis zu ihrem Tod schuften, weil sie das Pensionsalter nie erreichen«, kritisierte VOEST-Betriebsrat Helmut Oberchristl die Pläne der Regierung zur Anhebung des Pensionsalters. »Diese Regierung sagt von sich, sie sei die familienfreundlichste Regierung, die Österreich je hatte - und dann kassiert sie am meisten bei den Müttern ab«, empörte sich ÖGB-Frauenvorsitzende und Vizepräsidentin Renate Csörgits zu Recht.

Bei der Abschlusskundgebung ließ ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch keinen Zweifel: »Wir Gewerkschafter sind wetterfest und stellen uns der öffentlichen Diskussion. Wir brauchen keinen runden Tisch, bei dem man uns im Kreis schickt. Wir wollen verhandeln, vereinigen, verbessern.« Der Bundeskanzler solle den Abwehrstreik und die kraftvolle Demonstration als deutliches Zeichen sehen. »Regieren Sie mit dem Volk und nicht gegen das Volk«, forderte Verzetnitsch und warnte davor, dass man der Jugend die Illusionen raube, wenn man ihr in 30 Jahren ein Viertel ihrer Pension wegnähme oder auf Aktienspekulation setze. »Wir lassen es nicht zu, dass man Menschen im Alter die Würde raubt. Dazu sagen wir Gewerkschafter ein klares Nein«, so Verzetnitsch. Scharf zurückgewiesen wurde vom ÖGB-Päsidenten auch die Kritik Schüssels, wonach in einer Demokratie politische Streiks abzulehnen seien. Die Bevölkerung habe »keine andere Artikulationsmöglichkeit« als Streiks.

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W. Leisch http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
[startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1190322106718 Arbeit & Wirtschaft - Leserforum Verhöhnung
Sehr geehrte Mitglieder der Redaktion!

Die »Verhandlungsbereitschaft« der Regierung ist doch ein Witz. In jeder Wortmeldung wird sie beteuert - nur ist man nicht bereit, inhaltlich etwas nachzulassen.

»Also, liebe Leute, wir nehmen euch einen beträchtlichen Teil der Pension, die ihr euch für euren Lebensabend erwartet habt, weg - aber wir sind immer verhandlungsbereit.« Dabei bemühen sich diese Politiker um eine Stimmlage, die seriös, kompetent und vertrauenerweckend klingt. Im »Standpunkt« vom Mai spricht der Chefredakteur vom »Mann mit den dünnen Lippen«. Warum nennt er nicht den Namen? Warum sagt er nicht Wolfgang Schüssel?

Der Bundeskanzler und seine Riege sind gut gecoachte Showmaster, die ihre Leermeldungen mit dem tiefsten Brustton der Überzeugung herausbringen. Ist das nicht eine Verhöhnung aller Betroffenen! Ich jedenfalls empfinde das so!

Ferdinand Karl
(Internet)

Das Kapital . . .

Genug Geld für überflüssige Abfangjäger, aber zu wenig Geld für Pensionen und für die Gesundheit!:

Wir leben heute in einer Welt, in der das Kapital, vertreten durch die konservativen Parteien, mit aller Gewalt die sozialen Errungenschaften des vorigen Jahrhunderts wieder rückgängig machen möchte.

Die sozialen Einrichtungen werden von den konservativen Parteien ausgehungert, sie wollen alles in private Hände bekommen, um die Ausbeutung des Einzelnen weiter voranzutreiben. Es wird suggeriert, es gibt kein Geld für Pensionen und für die Kranken.

Natürlich gibt es kein Geld, weil das Geld nur noch in private Konzerne geht und die Staatskassen ausgehungert werden.

Liebe Leute, erkennt die Gefahr einer zu mächtigen Wirtschaftslobby. Stärkt die Gewerkschaften und wirklich soziale Parteien, sie sind die Vertreter der Normalverdiener.

Edmund Bauer
(Internet)

Äpfel und Birnen

Sie nennen die »Pensionssicherungsreform« eine »Abfangjägersicherungsreform«. Ich glaube, die Vermischung von Verteidigungsausgaben mit denen für Soziales ist unzulässig. Das sind doch Äpfel und Birnen.

Und wenn auch die Abfangjäger inklusive Folgekosten zwei Milliarden Euro kosten, so kann man das doch nicht mit der Pensionsreform aufrechnen.

Franz Mach
(Internet)

Anmerkung der Redaktion: Warum nicht?

Ein Achterl auf unseren HBP

Der Schüssel begreift noch immer nichts: Nach eigenen Worten »persönlich nicht angesprochen« fühlt sich Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) von Bundespräsident Thomas Klestil, der in der »Neuen Zürcher Zeitung« in Zusammenhang mit der Diskussion über die Pensionsreform die Möglichkeit der Abberufung des Kanzlers in den Raum gestellt hat.

Habe heute Vormittag ein Achterl auf das Wohl des Herrn Bundespräsidenten gehoben ... was ich ansonsten um diese Tageszeit nicht mache!

Auch wenn nun vom Büro des Bundespräsidenten abschwächende Dementis ausgesandt werden: Für Schüssel ist es ein wichtiger Denkzettel!
Ob der das wohl begreift?

E. Sackbauer
(Internet)

Antwort der Redaktion: Wie sich der Herr Bundeskanzler fühlt, wissen wir nicht - wohl aber können wir hören, was er sagt ...

Vergleich zur Pensionsreform

Wenn ich jahrelang eine Vollkaskoversicherung habe und auch bezahle und es tritt dann nach vielen Jahren ein Schaden auf, so erwarte ich mir, dass die Versicherung für dieses Ereignis aufkommt.

Die Versicherung kann ja dann auch nicht sagen, lieber Bürger, wir haben das Kapital verplant, die Kasse ist leer und somit können wir ihnen den entstandenen Schaden nicht begleichen.

Dies wäre eindeutig ein Vertragsbruch bzw. Betrug!

Ähnlich verhält es sich mit der Pensionsreform der Bundesregierung!

Das Beste wäre, wenn Bundespräsident Klestil den Bundeskanzler Schüssel nun wirklich »entlassen« würde ...

P. Guard
(Internet)

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Sun, 15 Jun 2003 00:00:00 +0200 1190322106712 Standpunkt | Mit 80 in den Sarg fallen? Was die von uns wollen, ist, dass wir bis 80 arbeiten und wenn wir dann in Pension sind, können wir uns gerade noch einmal umdrehen und dann in den Sarg fallen«, erklärte mir gestern ein guter Freund.

Bis vor kurzem hätte ich ihm noch geantwortet: »Mensch, du spinnst wohl!«

Aber jetzt bin ich eines Besseren belehrt. Schuld daran ist ein Professor, der vor Jahren schon in seiner unnachahmlich zynischen Art erklärt hatte: »Der regelmäßige Aderlass (an den Arbeitnehmern) wird zur lieben Gewohnheit werden.« Damals habe ich es nicht geglaubt und habe den Professor Streissler zum »Bader der Nation« ernannt. Inzwischen habe ich erkannt, dass dies eine exakte Analyse war, denn wie oft hat man uns Arbeitnehmer in den letzen Jahren nicht schon bluten lassen?

Jetzt hat sich der Herr Professor wieder zu Wort gemeldet: »Unsere Lebenserwartung steigt zum Glück stetig. Warum wird dann nicht auch das Pensionsantrittsalter dynamisch erhöht, etwa auf 80 Jahre?«

Also bitte. Hier eine Antwort: »Der kalte Schauer kann einem über den Rücken laufen, wenn eiskalt dozierend Erich Streissler in ›Die Presse‹ ein Pensionsantrittsalter von 80 Jahren fordert. Bei all seinen Ausführungen übersieht der - stattlich pensionierte - Herr Professor aber, dass für Arbeit bis 80 auch Arbeit vorhanden sein muss«, zeigt sich AK-Vizepräsident Alfred Dirnberger (ÖAAB-FCG-Fraktion) erstaunt über diese wirtschafts- und lebensfremde Position. Woher diese Arbeit kommen soll, darüber turnt sich Streissler in seinem Kommentar kunstvoll hinweg, lässt aber alle ihr polemisch-zynisches Fett abbekommen, die nicht in sein neoliberales Weltbild der Entsolidarisierung passen: Christlich-soziale Arbeitnehmervertreter, die Gewerkschaften, die Sozialdemokraten.

Soweit so unbedeutend, wenn ein emeritierter Volkswirtschaftler seine zum Teil recht krausen Ideen seitenweise in einem ansonsten sich gerne als Qualitätszeitung verkaufenden Medium publizieren darf. Bedenklich nur, dass Streissler der wirtschaftspolitische Chefideologe von Bundeskanzler Schüssel ist. Da wird man gleich wieder daran erinnert, woher in der aktuellen Pensions- und Gesundheitsdebatte der Wind weht. Und da nützen auch nicht Beschwichtigungsversuche des ehemaligen Klubobmannes Andreas Khol, der die Wandlung der ÖVP von einer christlich-sozialen zu einer neoliberalen Partei als »Schärfung des Profils« bezeichnet (Kurier).

Soweit der schwarze AK-Vizepräsident.

Der Zynismus des Professor Streissler wird aber noch übertroffen durch den von Wolfgang Schüssel und seinesgleichen. Er beruhigt uns: Statt mehr als einem Viertel oder einem Drittel will er uns nur mehr höchstens zehn Prozent unserer künftigen Pensionen wegnehmen. Nach Rechnung der Gewerkschaften erweitert sich das auf rund ein Achtel weniger Pension. Darf’s ein bisserl mehr sein?

Dabei konnte sich der Kanzler auf Einladung von Kardinal Schönborn vor den Hauptaltar des Stephansdomes stellen und seine Positionen zur »Pensionssicherungsreform« verteidigen. Das Bild von Schüssel, umrahmt von diversen Heiligen und von flügelschlagenden Engeln im Hintergrund hat sich mir intensiv eingeprägt.

Es gehe nicht um eine Kraftprobe zwischen Regierung, Opposition und Gewerkschaft, sondern um die Frage, »Was ist zumutbar« und »Wie schaut die Verteilung aus«, so Schüssel. Alles was man jetzt an sogenannten wohlerworbenen Rechten zu verteidigen glaube, müsse in fünf bis sechs Jahren von der jüngeren Generation bezahlt werden, erklärte Schüssel an dieser weihevollen Stätte.

Also, ich bin fassungslos und verstört und rufe meinen lieben Kollegen an, den Bundessekretär der Fraktion Christlicher Gewerkschafter Karl Klein. In seiner ruhigen Art erklärt er mir, dass es sich auch bei der letzten Adaption der Bundesregierung um ein Notpflaster für ein völlig falsches Modell handelt und dass die von Schüssel im Stephansdom getroffenen Aussagen nicht stimmen, weil das »Pensionskürzungsmodell« vor allem die Jungen in voller Härte treffen wird. »Die Vorschläge der Bundesregierung sind von der Grundlage und im Ansatz falsch und lassen sich so auch nicht verbessern. Das ist so, als ob man aus einem Kürbis ein Auto machen wollte ... Viel sinnvoller wäre es, wenn wir in Ruhe eine echte Reform ausarbeiten könnten ...«

»Wir Gewerkschafter«, erklärt er mir weiter, »müssen die Proteste der Bevölkerung artikulieren!«

Das müssen wir wirklich, meine ich!

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Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Jun 2003 00:00:00 +0200 1190322106702 Fortschritt mit Lücken Eine genaue Definition von »Corporate Social Responsibility« ist noch ausständig. Auch gibt es eine Vielzahl von Instrumenten und Initiativen, die unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen, je nach dem, welche Akteure dahinter stehen. Hier ein kurzer Überblick und Problemaufriss.

Unter dem Eindruck zahlreicher Berichte über Menschenrechtsverletzungen in Arbeitsverhältnissen und Ausbeutung der Naturressourcen haben Anfang der neunziger Jahre zunächst US-amerikanische Unternehmen unverbindliche ethische Absichtserklärungen abgegeben. Diese wurden aber oft kaum umgesetzt, sodass sie als durchschaubare Public-Relations-Versuche abzutun sind.

In den späten neunziger Jahren hat sich die Diskussion von der Idee der freiwillig getragenen unternehmerischen Selbstregulierung zum Teil weg bewegt. In Europa geht es jetzt mehr um eine öffentliche politische Auseinandersetzung und um Verhandlungen über einen Kodex sowie konkrete Umsetzung unternehmerischer Rechenschaftspflicht. Zu den an Kodex-Formulierung und Kontrolle beteiligten Akteuren zählen nicht mehr nur die Unternehmen, sondern vor allem die Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NRO’s).

Zusagen auf Papier bedeuten aber noch lange nicht, dass Unternehmen effektiv soziale Verantwortung übernehmen. Selbstverpflichtungen über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus, beispielsweise Frauen im Betrieb oder altersgerechte Arbeitsorganisation zu fördern oder im internationalen Handelsverkehr auf Einhaltung der Kernarbeitsnormen zu achten und dies auch von Zulieferern zu verlangen, sind gut und richtig. Die Unternehmen können hier wichtige Vorreiterrollen übernehmen. Doch können und dürfen diese aus gewerkschaftlicher Sicht kein Ersatz für regulative Maßnahmen sein. Nur Gesetze und deren Durchsetzung durch staatliche Behörden können den sozialen Fortschritt - national wie weltweit - sichern.

»Ausgegangen ist der Trend zu CSR von Unternehmen, die damit auf eine negative Publicity reagierten.«

Von entscheidender Bedeutung sind Verfahren und Prozesse zur Durchsetzung festgeschriebener Standards. Entscheidend für die Bewertung ist somit, ob es ein unabhängiges Monitoring und die notwendige Transparenz gibt und welche Akteure in welcher Form beteiligt sind.

Die EU-Initiative

Im Sommer 2001 legte die Europäische Kommission ein Grünbuch mit dem Titel »Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung von Unternehmen« vor. Beabsichtigt war, die Debatte über soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR) in Gang zu setzen. Die Reaktionen waren naturgemäß unterschiedlich. Während es den Unternehmen eher darum ging, den freiwilligen Charakter hervorzuheben, betonten Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft, dass freiwillige Initiativen nicht ausreichen. Klar wurde auch, dass unter CSR eine breite Palette von Themen verstanden werden kann, so etwa: Verhaltenskodizes, Sozial- und Umweltgütesiegel, Berichterstattung über soziale Verantwortung, sozial verantwortliches Investieren (Stichwort: Ethik-Fonds) und vieles mehr.

Jedenfalls ist die Diskussion auf europäischer Ebene dazu derzeit sehr virulent. Eingerichtet wurde mittlerweile auch eine Plattform (EU-Stakeholder-Forum über CSR) aus Vertretern von europaweiten Organisationen der Unternehmen, der Arbeitnehmer, der Verbraucher und der Zivilgesellschaft. Diese Plattform soll zu einem europaweiten Erfahrungsaustausch über CSR beitragen, ein EU-Konzept und einschlägige Leitsätze erarbeiten.

Verhaltensnormen auf Unternehmensebene

Betriebsräte und Arbeitnehmer werden immer öfter mit so genannten »Codes of Conduct«, »Business Conduct Guidelines«, »Ethical Conduct Commitments« oder »Corporate Governance« konfrontiert. In diesen Dokumenten stellen Unternehmen ihre Verhaltensregeln in den Bereichen »Human Resources«/Arbeitsbeziehungen, Produktsicherheit, Geschäftsbeziehungen, Datenschutz, Umwelt und gesellschaftliche Verantwortung (Corporate Citizienship) dar.

Ausgegangen ist der Trend zu Verhaltensnormen von den Unternehmen, die damit auf negative Publicity infolge von Berichten über gefährliche Arbeitsbedingungen, unmenschliche Arbeitszeiten, Kinderarbeit und Hungerlöhne bei der Produktion von Bekleidung, Schuhen, Spielwaren und anderen arbeitsintensiven Produkten reagierten.

Unüberprüfbare Angaben

Die Konzernzentralen kommunizieren ihre Verhaltenskodizes meist einseitig an ihre Stakeholder, Investoren, Konsumenten, Beschäftigte, Behörden, Nicht-Regierungsorganisationen. Form und Umfang sind sehr unterschiedlich, sie reichen von kurzen Darstellungen der Unternehmensphilosophie bis zu umfangreichen Abhandlungen über das Managementkonzept. Oft sind sie sehr vage abgefasst, mehrheitlich werden nationale und internationale Arbeitsnormen ignoriert. Kaum ein Unternehmen lässt eine externe Überprüfung und Verifizierung zu, Arbeitnehmervertreter werden nicht einbezogen. Untersuchungen haben ergeben, dass diese Kodizes keine wesentlichen Veränderungen erbracht haben. Übrig bleiben Hochglanzbroschüren als Marketinginstrument.

  • Oft verpflichten die Regelungen einseitig die Mitarbeiter und nicht auch das Unternehmen.
  • Disziplinarmaßnahmen bis hin zur Entlassung bei Nichteinhaltung der umfangreichen Vorschriften werden angedroht.
  • Sehr problematisch ist die häufig enthaltene Aufforderung zur gegenseitigen Bespitzelung von Kollegen und Kolleginnen, die möglicherweise die Normen nicht einhalten.
  • Im Zusammenhang mit Verhaltenskodizes werden zunehmend subjektive Verhaltensmerkmale in die Beurteilungssysteme integriert.
  • Häufig werden konzernweite Anweisungen zu Themen gegeben, die durch den Betriebsrat zustimmungspflichtig sind.
  • Es liegen uns Verhaltenskodizes vor, die zum Teil gesetzlichen Regelungen widersprechen.

Trotz dieser Risiken sollten Verhaltenskodizes nicht ignoriert werden, denn dieses Instrument wird in der Diskussion über Unternehmenspflichten im Zeitalter der Globalisierung immer wichtiger. Kodizes werden von zahlreichen NRO’s angestrebt (etwa im Fairen Handel) und ziehen das Interesse von Regierungen, internationalen Organisationen und Wissenschaftern auf sich. Viele Berater und Unternehmen spezialisieren sich darauf, den multinationalen Unternehmen bei der »sozialen Rechenschaftspflicht« zu helfen.

Verantwortung nicht etabliert

In Aussagen der Verhaltenskodizes zu Chancengleichheit, Datenschutz, ArbeitnehmerInnenschutz, und so fort liegen durchaus Chancen, zusätzliche Verbesserungen für die Arbeitnehmer zu erreichen. Selbstverpflichtungen können auch ein Hebel zur Förderung von internationaler Solidarität im Konzern werden und den Aufbau weltweiter Mitbestimmungsstrukturen unterstützen.

Dazu gilt es, Verhaltenskodizes in die gewerkschaftlichen und betriebsrätlichen Strategien der Interessendurchsetzung zu integrieren. Die traditionelle Berichterstattung der Unternehmen ist auf die finanzielle Dimension fokussiert. Im Mittelpunkt stehen vor allem die bekannten Geschäftsberichte, zusätzlich müssen börsennotierte Unternehmen Quartalsberichte veröffentlichen.

Berichtet werden muss dabei vor allem über die Ertragslage, die Vermögenssituation oder die Liquidität. Hauptadressat sind die Eigentümer (Shareholder), in Europa auch noch die Gläubiger. Sozialberichterstattung ist in den traditionellen Geschäftsberichten bestenfalls eine Nebensache. Meist wird über die Entwicklung von Beschäftigtenzahlen sowie vereinzelt über spezielle Personalentwicklungsprojekte oder die Einführung von Stock-Option-Modellen für das Management berichtet.

Die »Sozialberichterstattung« ist in der Regel nur dann im Geschäftsbericht zu finden, wenn sie positiver Imagebildung dient. Berichte über konkrete Arbeitsbedingungen oder die Einhaltung von Kernarbeitsnormen würde man vergeblich suchen. Die Diskussion über soziale Verantwortung von Firmen bringt es mit sich, dass einige beginnen, Nachhaltigkeitsberichte zu veröffentlichen. Beispiele: Credit Suisse und Baxter.

Diese Berichte wurden nach den Kriterien der Global Reporting Initiative (GRI) erstellt. Die Coalition for Environmentally Responsible Economies (CERES) und das United Nations Environment Programme (UNEP) haben das GRI initiiert, deren Ziel es ist, einen weltweit anwendbaren Leitfaden für Nachhaltigkeitsberichte zu entwickeln und zu verbreiten. Dieser soll es Organisationen ermöglichen, auf freiwilliger Basis über die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Ausmaße ihrer Aktivitäten, Produkte und Dienstleistungen zu berichten.

Social Accounting Standard

Der Social Accounting Standard SA 8000 verfolgt ein dem GRI entsprechendes Ziel, bezieht sich aber auf soziale Aspekte der Unternehmenstätigkeit. Firmen verpflichten sich, die Kernarbeitsnormen - Verzicht auf Kinderarbeit und Zwangsarbeit, Vereinigungsfreiheit, Abschaffung der Diskriminierung am Arbeitsplatz - einzuhalten und den Stakeholdern Bericht zu erstatten.

Der Weg zu einer effektiven Sozialberichterstattung ist noch weit, vor allem fehlt die Verankerung in den nationalen Gesetzen. Auch die Inhalte sind noch viel zu vage, sodass aus den Berichten kaum wirklich Problemfelder herausgelesen werden können.

Seit 1993 gibt es die inzwischen novellierte EU-Verordnung zum freiwilligen Umweltmanagementsystem EMAS. Man erhoffte sich, dass Unternehmen aus Eigeninitiative ständig ökologische Fortschritte jenseits des gesetzlich Vorgegebenen machen und das zu klareren Managementstrukturen, einer besseren Kommunikation in Umweltfragen nach außen, verlässlichen Umweltinformationen durch externe Zertifizierung und letztlich auch über notwendige Arbeitnehmerbeteiligung zu einem besseren Arbeitsklima führen würde.

Die Praxis hat aber gezeigt, dass die ökologischen Ziele mit anderen Umwelt-Managementsystemen genauso zu erreichen sind und dass von einer ständigen ökologischen Verbesserung über das Gesetz hinaus keine Rede sein kann. Der größte Nutzen für die Organisationen liegt im Innenbereich. Die bessere - lange nicht vollständige - Rechtserfüllung bedeutet geringeres Haftungsrisiko. MitarbeiterInnen-Beteiligung bringt bessere Ideen, mehr Motivation und damit ein besseres Arbeitsklima. Vor allem werden erhebliche Kosteneinsparungspotenziale entdeckt. Die Öffentlichkeit hingegen ist wenig interessiert.

Problembereiche sind die Rechtserfüllung und die externen Gutachter. Die Gutachter sollen für die Rechtserfüllung geradestehen, haben sich aber noch nicht zu wirklich unabhängigen Prüfern »gemausert«. Schuld daran ist, dass ihre Sorgfaltspflicht bei den Prüfungen nirgends rechtlich festgeschrieben ist und dass die geprüfte Organisation sie bezahlen muss, sie aber untereinander einem starken Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind.

Das führt dazu, dass sie die Rechtserfüllung (»legal compliance«) nicht in der wünschenswerten Tiefe prüfen. Außerdem haben sie noch keine ausreichende Rollenklarheit: oft wird die Organisation vorher beraten und dann geprüft. Das ist deshalb so kritisch zu sehen, weil es nicht nur um eine Auszeichnung nach außen geht, sondern weil die Gutachter bei den Verwaltungserleichterungen, die zur Belohnung der Betriebe geschaffen wurden, eine Garantenstellung einnehmen, die sie kaum ausfüllen können.

I N F O R M A T I O N

http://europa.eu.int/comm/employment_social/soc-dial/csr/csr_index.htm
http://www.ilo.org/public/english/employment/multi
http://www.oecd-leitsaetze.at/
http://www.codesofconduct.org/
http://www.icftu.org/displaydocument.asp?Index=991209513&Language=EN
http://www.fairtrade.at/
http://www.globalreporting.org/


R E S Ü M E E

Noch unbefriedigendes System

Corporate Social Responsibility (CSR) wurde von US-Firmen Anfang der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts initiiert, nachdem sie nach Berichten über Menschrechtsverletzungen bei Arbeitsverhältnissen und Ausbeutung von Naturressourcen unter Druck geraten waren. CSR beinhaltete aber nur unverbindliche ethische Absichtserklärungen. In Europa geht es statt um freiwillige Selbstregulierung um eine öffentlich-rechtliche Auseinandersetzung. Freiwillige Zusagen dürfen aus Gewerkschaftssicht kein Ersatz für gesetzliche Maßnahmen sein. Zwar wurde ein einheitlicher Standard (SA 8000) eingeführt, doch Problembereiche sind Rechtserfüllung und externe Gutachter, deren Aufgaben nirgends verbindlich festgelegt sind.

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Eva Angerler, Elisabeth Beer, Walter Gagawczuk, Heinz Leitsmüller, Cornelia Mittendorfer (MitarbeiterInnen der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Jun 2003 00:00:00 +0200 1190322106661 Auch Entpolitisierung ist Politik Soziale Forderungen verhallen angesichts des Standortarguments der Konzerne. Neue Arbeitsformen, steigende Anforderungen an die Flexibilität, die für die Betroffenen sehr oft einfach mehr Unsicherheit bedeuten, sowie immer mehr atypische Arbeitsverhältnisse erfordern eine Neuorientierung der Gewerkschaften. Auf den Organisationsgrad der sechziger und siebziger Jahre kann man nur mit Neid zurückblicken.

Effizienz, Konkurrenz, Rentabilität

Im ideologischen Bereich zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Die Politik der »Restrukturierung« bestimmt immer mehr das gesellschaftliche Denken. Die Imperative Effizienz, Konkurrenz, Rentabilität bestimmen das Geschehen. Hochdotierte Consulting-Agenturen helfen, trotz beschworener Neutralität zwischen den Interessengruppen, dieses Muster auch im Denken der Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmer zu verankern (siehe dazu auch die Beiträge des Verfassers in »A&W« 7/8-2002 und 10-2002).

»Übergeordnete politische Zusammenhänge werden immer mehr aus den Augen verloren.«

Das Gesellschaftsbild des neoliberalen Wettbewerbsstaates, der den keynesianischen Wohlfahrtsstaat ablöst, zielt auf das Individuum und dessen Funktion im wirtschaftlichen System ab. Übergeordnete politische Zusammenhänge werden immer mehr aus den Augen verloren. Die Suche nach Gegenöffentlichkeiten gestaltet sich mühsam. Diese zu schaffen ist notwendiger denn je.

Die Klagen klingen vertraut: Es ist immer schwieriger, für gesellschaftspolitische Themen Interesse zu wecken, zu politischem Engagement anzuregen. Individueller Lebensstil, Konsumkultur, Erfolg im Beruf, Persönlichkeitsentwicklung boomen. Die Individualisierung, die auch eine Abwendung des Einzelnen von gesellschaftlichen Fragen bedeuten kann, wird häufig als »Entpolitisierung bezeichnet«.

Doch was genau soll damit beschrieben werden? Und kann durch Politische Bildung eine »Re«-Politisierung erreicht werden? Welche Konsequenzen hätte dies für die gewerkschaftliche Bildungsarbeit? Darüber wird übrigens auch in Deutschland nachgedacht. Der Leiter des Bildungszentrums der deutschen IG Metall, Horst Matthes, hat dazu ein Buch herausgegeben (»Priorität Politische Bildung« Hamburg 2002). Es enthält zahlreiche Anregungen.

Der neoliberale Mainstream, also die Dominanz einer individualistischen, ökonomistischen und gegen den Sozialstaat gerichteten Ideologie, steht im Widerspruch zu alldem, was von einer aufgeklärten Linken traditionell als politisch und engagiert definiert wurde. Also etwa der Kampf um soziale Gerechtigkeit, Beseitigung von Ungleichheiten, Emanzipation in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, bisweilen auch ökologisches Engagement.

Der neue Konsens

Charakteristisch war das Eintreten für »gesamtgesellschaftliche Zielvorstellungen«, es ging um mehr als Eigeninteressen. Und politisches Handeln ist notwendig. Denn soziale Sicherheit, gerechte Entlohnung und Lebensqualität werden nicht automatisch vom Markt produziert oder hergestellt, weil alle Einsicht in ein übergeordnetes Gemeinwohl zeigen. Sie müssen erstritten, manchmal erkämpft werden.

Der neue gesellschaftliche Konsens hingegen (nicht nur in Österreich) besteht darin, widerstreitende Interessen zunehmend auf eine übergeordnete Rationalität zu reduzieren, der alle anderen untergeordnet werden. Die Imperative der Ökonomie, der Standort-Logik, der betriebswirtschaftlichen Rentabilität und allen voran die Logik des shareholder value bestimmen das gesellschaftliche Geschehen. Die unter Druck geratene Sozialdemokratie dringt auf ein Mindestmaß an sozialer Sicherheit gegenüber der neoliberalen Ökonomie, verzichtet dafür aber auf grundlegende Konflikte. Diese Politik akzeptiert, dass regelverändernde Restrukturierung von Wirtschaft und Gesellschaft zu immer weniger Schutz, zu weniger Sicherheit in der Arbeitswelt führt. Das mit ökonomischer Rationalität geführte Unternehmen wird zum Vorbild für Staat und Gesellschaft.

Die Krise der traditionellen Politik

Wir kennen diese Denkweisen, insbesondere in der Debatte um die Staatsverschuldung: Der Staat muss wie ein Unternehmen geführt werden. Nicht nur einzelne politische Repräsentanten, das gesellschaftliche Denken insgesamt ist heute davon erfasst. Das Fehlen von Vorstellungen, die gegen diese Politik gerichtet sind, ist eine der Ursachen der gegenwärtigen Entpolitisierung.

Entpolitisierung äußert sich aber auch im Bedeutungsverlust der traditionellen Akteure und in der Veränderung traditioneller Interessenpolitik. Die Mitgliederzahlen der politischen Parteien sinken, ihr Aktionsradius gegenüber international agierenden Wirtschaftskonzernen wird immer geringer.

»Der neoliberale Mainstream steht im Widerspruch zu alldem, was von einer aufgeklärten Linken traditionell als politisch und engagiert definiert wurde.«

Vor allem aber betrifft dieser Trend die Arbeitnehmervertretungen. Dieser Punkt wird bei der Debatte über den Relevanzverlust der Sozialpartnerschaft oft übersehen. Die Gewerkschaften verlieren Mitglieder, deren Organisationsgrad geht zurück, die Arbeiterkammer wurde immer wieder zum Gegenstand politischer Angriffe.

Die Verbände der Unternehmerseite sind davon weit weniger betroffen. Klassische Gewerkschaftspolitik basierte darauf, gegensätzliche Interessen (Arbeit und Kapital) zum Ausgleich zu bringen. Sie verliert an Bedeutung, wenn die Gegensätzlichkeit dieser Interessen in Frage gestellt wird.

Telepolitik

Politische Prozesse finden fast nur noch als massenmediale Events statt. Die Telepolitik setzt auf Personalisierung und Verknappung politischer Inhalte. Die mediale Form bestimmt die politischen Inhalte. Obwohl Politik medial allgegenwärtig und Information in hohem Ausmaß verfügbar ist, sprechen wir von Entpolitisierung. Vor den letzten Nationalratswahlen hätten so viele Menschen wie nie zuvor die Debatten der Spitzenkandidaten verfolgt, ließ der um Eigenwerbung nicht verlegene ORF verlauten. Auch Printmedien und Demoskopie standen im Banne der Konfrontationen. Doch gleichzeitig gab es so wenig grundsätzliche Themen wie selten zuvor. Es dominierte die Telepolitik der individuellen Politikerperformance, der rhetorischen Kniffe, einer ominösen »Wirkung« der jeweiligen Persönlichkeit.

Diese Prozesse haben Auswirkungen auf den Bildungsbegriff. Die politischen Subjekte selbst haben, etwa was ihr Konsumverhalten oder ihre kulturellen Wertvorstellungen betrifft, die vorherrschende Logik (Wettbewerb, individuelle Leistung) verinnerlicht, also zu ihrer eigenen gemacht. Wenn das Individuum vorrangig als ökonomischer Arbeitskraftunternehmer in Erscheinung tritt, ist die Dominanz eines solchen Bildungsbegriffs wenig überraschend. An Bildung wird die Anforderung gestellt, den individuellen Marktwert zu erhöhen. Die allgemeine Bildung, von der die Politische Bildung ein Teil ist, gerät unter Legitimationszwang. Entpolitisierung äußert sich also auch in einer Zurückdrängung politischer Bildungsprozesse.

Selbst Nichthandeln ist politisch

Wie jedes Schlagwort ist der Begriff Entpolitisierung ungenau und bis zu einem gewissen Grad sogar falsch. Es verschwindet ja nicht das Politische oder die Politik. Das Handeln der Menschen in der Gesellschaft ist mehr oder weniger immer politisch. Selbst Nichthandeln kann politisch sein. Handelt es sich also nicht um Entpolitisierung im engeren Sinn, sondern um die Dominanz eines neuen Politikmodells? Dabei wird freilich ein Politikbegriff deutlich, der dem Konzept der Politischen Bildung diametral entgegensteht. Auch Entpolitisierung ist Politik.

Unparteilichkeit ist künstlich

Es gibt enge und weite Begriffe von Politik, je nachdem, ob nur staatspolitisches Handeln und politische Institutionen oder gesellschaftliche Prozesse insgesamt gemeint sind. Manche Politikbegriffe stellen stärker auf Konsens, andere auf Konflikt ab. Aus der kritischen Tradition und Theorie kommende Konzepte basieren auf einem auf Konflikt zentrierten Begriff des Politischen. Es geht darum, Interessenkonflikte in einer Gesellschaft deutlich zu machen, in der Macht und Ressourcen ungleich verteilt sind. Konservative politische Bildungskonzepte stellen demgegenüber die politische Ordnung und ihre Erhaltung auf konsensualer Basis ins Zentrum. Rationalität und Funktionalität innerhalb des politischen Systems gewinnen hier an Bedeutung.

»Politisches Handeln ist notwendig, denn soziale Sicherheit, gerechte Entlohnung und Lebensqualität werden nicht automatisch vom Markt produziert.«

Bildung und Politik sind eng verbunden. Es gibt keine unpolitische Bildung. Keine Bildung ist wertneutral und unparteiisch. Die Unparteilichkeit sei »artifiziell«, also künstlich, schrieb der große Aufklärer Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799). Auch die Unparteilichkeit sei parteiisch: »Er war von der Partei der Unparteiischen«. Die Parteilichkeit der Politischen Bildung zeigt sich auch in ihrer Verbundenheit mit dem demokratischen System. Sie soll zum Funktionieren der Demokratie beitragen und zu demokratischem Handeln befähigen. Politische Bildung steht im Gegensatz zu Manipulation und Propaganda.

Daraus resultiert eine Minimaldefinition Politischer Bildung, mit der eigentlich alle übereinstimmen sollten: Politische Bildung ist die (möglichst dialogische) Auseinandersetzung mit politischen Akteuren, Prozessen und Strukturen mit dem Ziel, zu demokratischer Partizipation/Teilnahme zu befähigen.

Das »Rote Wien« gegen die »schwarzen« Länder

Historisch betrachtet war Politische Bildung in Österreich immer heiß umkämpft, also ein »Politikum« im wahrsten Sinne des Wortes. Eine Bestimmung ihres Stellenwertes hängt auch davon ab, welche »Orte« Politischer Bildung wir betrachten. Die wichtigsten sind die Schule, die außerschulische Jugendbildung, die Erwachsenenbildung, die Politischen Akademien der Parteien und natürlich die Massenmedien, unter denen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine besondere Aufgabe zukäme.

Auseinandersetzungen um Politische Bildung betrafen meist die Schule. Gerade sie war bereits in der Ersten Republik ein Ort der Auseinandersetzung um die Politische Bildung. Zwischen den Schulbehörden des »Roten Wien« und den »schwarzen« Bundesländern sowie dem konservativen Unterrichtsministerium kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Politische Bildung wurde dabei oft mit (unerlaubter) politischer Beeinflussung gleichgesetzt. Politische Bildung existierte deshalb hauptsächlich als parteipolitische Bildung, während die allgemeinen Einrichtungen der Erwachsenenbildung (zum Beispiel die Volkshochschulen) zumindest formell auf ein Neutralitätspostulat verpflichtet waren. In der Zweiten Republik ließen die Erfahrungen mit diktatorischen Regimes (Austrofaschismus, Nationalsozialismus) sofort den Propagandaverdacht aufkeimen, sobald von »offizieller« Stelle über Politik kommuniziert wurde.

Österreichs Ausreden

Während in Deutschland umfangreiche Bemühungen zur »Re-Education« und Demokratieerziehung stattfanden, war das in Österreich, das sich offiziell als NS-Opfer bzw. vom Nationalsozialismus befreites Land verstand, nicht der Fall. Da ja eine »fremde Macht« die Republik zerstört hatte, musste auch die Demokratie nicht neu erlernt werden. Ansätze Politischer Bildung entwickelten sich trotzdem.

»Es dominiert die Telepolitik der individuellen Politikerperformance, der rhetorischen Kniffe, einer ominösen »Wirkung« der Persönlichkeit.«

Lange Zeit war sie aber bloße Institutionenkunde, ein staatsbürgerlicher Unterricht, in dem gelehrt wurde, wie Gesetze gemacht werden oder Kompetenzen verteilt sind. Impulse in den sechziger Jahren zur Einrichtung eines eigenen Unterrichtsfachs an den Schulen scheiterten. Im April 1978 gab der sozialdemokratische Bundeskanzler Fred Sinowatz den »Grundsatzerlass zur Politischen Bildung« heraus.

Damit wurde sie als Unterrichtsprinzip an den AHS (Allgemeinbildenden Höheren Schulen) verankert. Aktivitäten folgten insbesondere im Bereich der Lehrerfortbildung. An diesem Zustand hat sich nicht viel geändert. Bis heute gibt es Bildungs- und Informationsangebote für Schüler/innen und Lehrer/innen, aber keine einzige Untersuchung über deren Effizienz. Eine seriöse Evaluierung fehlt.

Gewerkschaftliche Politische Bildung

Vereinzelte Untersuchungen kommen zu ernüchternden Ergebnissen. In der Lehrerschaft kennen wenige den Unterrichtserlass genau, immer ist zu wenig Zeit für die Behandlung politischer Inhalte im Unterricht und so fort. Ob sich die 2001 nach jahrzehntelanger Debatte recht abrupt erfolgte Umbenennung des Faches »Geschichte und Sozialkunde« in »Geschichte und Politische Bildung« (für die 7. und 8. Klasse der AHS) positiv auswirken wird, bleibt abzuwarten.

In der überparteilichen Erwachsenenbildung gibt es Politische Bildung im Rahmen der allgemeinen Angebote sowie kurzfristig themenorientierten Reihen (etwa im Vorfeld des österreichischen EU-Beitritts). Die Österreichische Gesellschaft für Politische Bildung fördert seit Beginn der neunziger Jahre Projekte der Erwachsenenbildung.

Wie steht es aber mit der gewerkschaftlichen Politischen Bildung? Im Gegensatz zur Geschichte der Politischen Bildung in Österreich hat die gewerkschaftliche Politische Bildung eine reiche Tradition. Sie ist mit Namen wie Richard Wagner verbunden, der freilich nicht mit dem berühmten Bayreuther Komponisten verwechselt werden darf. Als Gründer der Gewerkschaftsschule, die im November 1926 ihre Tätigkeit aufnahm und als Arbeiterbildner stand er in einer aufklärerischen Tradition.

»Bildung und Politik sind eng verbunden. Es gibt keine unpolitische Bildung.«

Im Rahmen eines Richard-Wagner-Kreises, an dem Mitglieder von ÖGB und Arbeiterkammer teilnehmen, wird beim VÖGB wieder versucht, an diese Tradition anzuknüpfen. Wagner ging es um drei Faktoren:

  • Wissensvermittlung;
  • geistiges Training und Entfaltung schöpferischer Kräfte;
  • demokratische Kooperation zwischen Lehrenden und Lernenden.

Die politischen Rahmenbedingungen haben sich seither grundlegend geändert. Sich an den Wagnerschen Grundlinien zu orientieren lohnt sich aber auch heute. In Anlehnung an Wagner können die Grundfunktionen einer gewerkschaftlichen Politischen Bildung folgendermaßen bestimmt werden:

Die Probleme liegen förmlich auf der Straße (Globalisierung, Integration, soziale Wohlfahrt, Ökologie). Sie in die politische Bildungsarbeit zu integrieren, bedeutet, sie zu strukturieren, transparent zu machen und auf Handlungsmöglichkeiten hin zu untersuchen. Ohne Zweifel gibt es die »neue Unübersichtlichkeit« (Jürgen Habermas), in der sich Problemebenen und klassische Konfliktlinien überschneiden und einfache Antworten immer schwieriger werden.

Veranschaulichung und Differenzierung

In dieser Konstellation kommt Politischer Bildung eine besondere Aufgabe zu. Paradoxerweise geht es um zwei widersprüchliche Strategien: Komplexitätsreduktion (modellhafte Veranschaulichung, etwa in der Ökonomie) und Differenzierung (gegen die Vereinfachungen der Populisten und des Boulevards).

Die Fülle an Wissen ist für den Einzelnen nicht überschaubar. Aufbereitung, Strukturierung ist notwendig. Es gibt in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften eine Fülle von Publikationen, die sich kritisch mit den ökonomischen und sozialen Entwicklungen auseinander setzen. Sie liefern ein kritisches Reservoir, das in Argumentationen, Handlungen und Strategien übersetzt werden kann. Damit sind neue Herausforderungen an die politische Bildungstätigkeit gegeben.

Keine halbierte Aufklärung

Wenn Politische Bildung im Sinne einer »Erziehung zur Mündigkeit« (Theodor W. Adorno) begriffen wird, dann bedeutet dies, dass die Kritikfähigkeit allgemein wächst. Eine halbierte Aufklärung, die sich in bestimmte Richtungen lenken lässt und vor anderen Halt macht, kann es dann nicht geben. Forcierte Politische Bildung wird sich daher auch auf die innerorganisatorische Kultur der Institutionen auswirken, die politische Bildungsarbeit betreiben und dort wertvolle Impulse setzen.

Erfahrungen in der Berufs- und Lebenswelt der Arbeitenden müssen in Bildungsprozesse einfließen, wie auch umgekehrt Politische Bildung Erfahrungen in einen größeren Zusammenhang stellen muss. Sie sollen in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang gestellt werden.

Die Erfahrung strukturiert also den Stoff (mit). Die Verzahnung beider Ebenen ermöglicht auch eine stärkere Orientierung an den Bedürfnissen.

Modische Kapitalismuskritik

Eine Gefahr der modischen Kapitalismuskritik, die den »Terror der Ökonomie« beklagt und ein mächtiges »Empire« beschwört, besteht darin, Ohnmachtsgefühle hervorzurufen. Je drastischer das Bild des neuen Kapitalismus gezeichnet wird, je übermächtiger dessen Wirkungen erscheinen, desto geringer wird die Bereitschaft zu politischem Handeln sein. Es geht folglich auch darum, konkrete Einflussmöglichkeiten zu diskutieren.

»Je drastischer das Bild des neuen Kapitalismus gezeichnet wird, je übermächtiger dessen Wirkungen erscheinen, desto geringer wird die Bereitschaft zu politischem Handeln.«

Damit ist nicht nur »Politische Bildung« im Internet gemeint (was ja nicht mehr allzu neu wäre), sondern ganz allgemein eine Bildungsarbeit, die sich der neuen Qualität der Probleme bewusst ist. Nicht mediale Umsetzung, sondern eine Politische Bildung, die den veränderten Formen der Politik gerecht wird, ist daher gefragt. Wer sind heute die politischen Akteure, wie und wo kann der Einzelne politisch aktiv handeln, was bedeutet Politik im gesamten Globalisierungsprozess und in der Informationsgesellschaft, das sind wesentliche Fragestellungen. Die »Verwissenschaftlichung« hat längst auch die Politische Bildung erfasst. Didaktische und inhaltliche Herausforderungen wachsen permanent. Statt allzu große Eintrittshürden aufzubauen, gilt es am beruflichen und politischen Alltag anzuknüpfen und Handlungsorientierungen zu vermitteln. Spielerisch, erfahrungsbezogen und anwendungsorientiert sollte die Politische Bildung daher sein.

Ausblick

Gerade weil den Arbeitnehmervertretungen der gesellschaftspolitische Wind ins Gesicht bläst, ist die Intensivierung politischer Bildungsarbeit sinnvoll. Die Rahmenbedingungen sind sicher nicht einfacher geworden, weil sie sich gegen einen Bildungsbegriff behaupten muss, dessen Plausibilität der Alltag scheinbar ständig bestätigt. Es sind die Imperative der Ökonomie, die zählen, die Zeiten Richard Wagners sind lange vorbei. Doch gewisse Grundprinzipien beanspruchen nach wie vor Gültigkeit.

Die Frage nach der Politischen Bildung in der Gewerkschaftsbewegung trifft also ins Zentrum einer Debatte, die alle Interessenvertretungen mehr oder weniger intensiv betrifft. Von der Österreichischen Hochschülerschaft bis zur Arbeiterkammer: Geht es nur mehr um Serviceorientierung, um effiziente Interessenvertretung im Rahmen dessen, was möglich ist? Wollen wir Legitimiation durch Dienstleistung oder Legitimitation durch Politik? Wir müssen zu den Grundfragen der Politik zurückkehren, um das Denken in Gegensätzen und das Denken in Alternativen wieder zu gewinnen.

R E S Ü M E E

Politische Bildung ist notwendig

Bildung ist nicht nur dazu da, den individuellen Marktwert zu erhöhen. Politische Bildung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, der Kritik am neoliberalen Zeitgeist die notwendige breitere Basis zu schaffen.

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Günther Sandner (Politologe und Lehrbeauftragter an der Universität Salzburg) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Jun 2003 00:00:00 +0200 1190322106645 »Irgendwie nutzlos« Von Arbeitslosigkeit betroffen sind Menschen in allen Branchen und Altersklassen. Egal, ob Hilfsarbeiter oder Akademiker, egal, ob in Wien oder Vorarlberg, der Druck auf dem Arbeitsmarkt belastet jeden, der unfreiwillig »freigesetzt« wird. Die Zeiten, wo der Gekündigte des Morgens mit der Aktentasche die Wohnung verließ, um den Tag bis zum Büroschluss im Park zu verbringen, sind aber vorbei. Die falsche Scham vor den Nachbarn ist realen Ängsten gewichen. Existenz- und Zukunftsängste prägen den Alltag der Menschen ohne Erwerbsarbeit.

»Am Anfang war es ganz schlimm«, erzählt Gerda Weber *, 52 Jahre und verwitwet. »Von einem Tag auf den anderen hat’s geheißen, wir sperren zu. Da sind schon Existenzängste da, denn Arbeit findest du keine. Überall heißt es: Zu alt, zu teuer, wir rufen zurück. Am Anfang habe ich viel geweint und konnte nicht schlafen. Jetzt habe ich mich ein bisschen abgefunden damit.«

»Überall heißt es: Zu alt, zu teuer, wir rufen zurück. Am Anfang habe ich viel geweint und konnte nicht schlafen.«

Insgesamt 35 Jahre war Frau Weber erwerbstätig. Das erste Mal war sie arbeitslos, als der Chef in Pension ging. Jetzt ging die Firma Pleite und sie »muss wieder von vorne anfangen«. Wenn es persönlich wird zieht Frau Weber »man« vor, das spricht sich leichter. »Man hat dort ja Jahre gearbeitet und gekämpft, schwere Kisten geschoben und gehoben. Es gab viel Staub und schmutzig war es auch. Aber irgendwie schön war es und es tut einem leid um die Arbeit.«

Viel hat sie nicht verdient in ihrem bisherigen Arbeitsleben. Hilfskräfte in den Vorarlberger Textilbetrieben können zwar schwere Kisten und Stoffballen heben, finanziell rentiert sich die Schufterei wenig. Das merkt Gerda Weber jetzt, wo sie arbeitslos ist. Knapp 700 Euro bekommt sie, und hätte sie keine Witwenpension, hätte sie »schon irgendwie aufgegeben«.

Es geht um die Existenz

Dazu, dass sie nicht aufgibt, trägt auch »Frau Renate« bei. Mit der Trainerin im »Verein zur Förderung von Arbeit und Bildung«, dem Maßnahmenträger des Arbeitsmarktservice AMS-Dornbirn, erstellt sie Bewerbungsunterlagen, meldet sich auf Zeitungsannoncen und geht zu Vorstellungsgesprächen. Seit vergangenem August bewirbt sie sich nun. In Krankenhäusern, Altersheimen, selbst als Zimmermädchen hat sie es schon versucht. »Ich muss das«, sagt sie, »denn es geht um meine Existenz.«

Bei Herbert Meusbrugger* geht es auch um die Gesundheit. Er ist zwar erst 23, ist aber »schon ziemlich bedient«. Im zweiten Jahr der Lehre als Steinmetz hat ihm der Arzt geraten, mit seinem »Traumjob« aufzuhören, weil sein Rücken rebellierte. Seine Geschichte ist ähnlich derer vieler Jugendlicher im »Ländle«, die heute auf Lehrstellensuche sind. Schnupperlehren ohne weitere Chance auf einen Lehrplatz, Vorstellen endet mit der vagen Verabschiedung »Wir melden uns«, Blindbewerbungen bleiben ohne Reaktion.

Vermitteln ist Knochenarbeit

»Als Kellner oder Koch ginge es vielleicht noch«, meint Herbert, »aber eigentlich möchte ich das trotzdem nicht. Vielleicht fang ich trotz allem wieder als Steinmetz an und arbeite zwei, drei Jahre in der Schweiz. Da verdiene ich gutes Geld, und dann, dann mache ich etwas anderes.«

»Es ist Knochenarbeit, die Leute unterzubringen«, berichtet Patrick Albinger, Koordinator des AMS-Vorarlberg für Bildungsmaßnahmen. »Die Jugendlichen haben große Probleme, da ist die Arbeitslosigkeit stark gestiegen, es gibt auch zu wenig Lehrstellen. Chancen bestehen noch im Tourismus, allerdings ist das saisonbedingt.« Um mehr als acht Prozent ist die Arbeitslosenrate bei Jugendlichen bis 19 Jahren im Vergleich zum Vorjahr in die Höhe geklettert. »Von unserem Vorhaben, 75 Prozent der Teilnehmer an den Maßnahmen zur Arbeitsaufnahme unterzubringen, müssen wir sicher abkommen«, meint Patrick Albinger. »Wenn wir 40, 50 Prozent schaffen, sind wir schon glücklich.« Zumindest eine Grundausbildung ist nötig, um auf dem Arbeitsmarkt überhaupt eine Chance zu haben.

Halil Baykal* hat keine Ausbildung, mit seinen 24 Jahren bereits eine beachtliche Reihe unterschiedlichster Tätigkeiten hinter sich und zusätzliche Probleme, die einer Arbeit im Weg stehen. Halil hat Schulden. »Viele Jugendliche haben Schulden«, sagt er, »wegen dem Handy oder manchmal machen wir einen Fehler. Raufhandel und so.« Er ist in Bregenz geboren, war aber »immer nur mit Türken zusammen«.

Patchwork-Biografie

Freizeit kann Stress sein, wenn sie dazu dient, sich behaupten zu müssen. Und sich in einer Gruppe von »Türken« in Vorarlberg zu behaupten, scheint vor allem über Materielles zu laufen. Geld war auch der Grund dafür, dass Halil gleich nach der Hauptschule auf den Bau ging. »Einfach so als Maurerhilfskraft, wegen dem Geld eben.« Von seinem letzten Arbeitgeber, einer Leasing-Firma, hat er sich verabschiedet. »Ohne Auftrag auch kein Geld. Jetzt habe ich begonnen zu denken, aber es ist zu spät. Keine Ausbildung, und jedes Monat ein paar hundert Euro Schulden zahlen. Da kann ich mir einen Job als Hilfsarbeiter gar nicht leisten.« Nun träumt er von einem Lkw-Führerschein und rasanten Fahrten durch Europa.

Auch Xaver Werner* war als ungelernter Maurer tätig. Die berufliche Biographie des 23-Jährigen ist ein Patch-work, in dem die Zeiten der Arbeitslosigkeit ein Grundmuster sind. Nach einem Berufsorientierungskurs des AMS war er - immerhin - zwei Jahre als Raumausstatter tätig. Bis die Firma in Konkurs und er aus Geldmangel wieder zurück zu den Eltern ging.

»Manche sind schon so tief unten, dass man ihnen helfen muss, nicht weiter ins schwarze Loch zu fallen.«

»Die sehen es nicht gern, wenn ich zu Hause sitze. Sie sehen aber nicht, dass ich schon so viel gearbeitet habe und jetzt einfach nichts finde«, meint Xaver. »Heute ist es schon brutal. Früher bin ich zu einer Firma gegangen und - zack - haben sie mich eingestellt. Früher habe ich als Hilfsarbeiter 1500 Euro verdient, heute sind es 900 oder 950 Euro. Da kann ich mir keine eigene Wohnung leisten.« Hilfsarbeiter will er nicht mehr sein, sondern eine Ausbildung machen. »Irgendwo im Wellnessbereich«, sagt er vage. »Friseur, Masseur ... oder so.«

»Die Jugendlichen, vor allem die Burschen, sind Träumer«, berichtet eine Trainerin. »Es geht nicht alleine darum, ihnen zu helfen, Arbeit zu finden. Man muss auch versuchen, sie auf den Boden herunterzuholen, einerseits. Andererseits: Manche sind schon so tief unten, dass man ihnen helfen muss, nicht weiter ins schwarze Loch zu fallen.«

Im tiefen Loch war Rosa Reinberger. »Man kommt sich so nichtsnutzig vor, wenn man nicht arbeitet. Obwohl mich niemand deswegen ›schneidet‹, weil ja alle wissen, dass es einen Grund hat.« Rosa ist 25, hat eine Tochter und ist derzeit in einer Maßnahme des AMS zum beruflichen Wiedereinstieg für Frauen in Dornbirn. Beruflich hat sie eine lange Reise hinter sich. Sie ist von Kärnten »herauf« gezogen, weil »es hieß«, hier gibt’s Lehrstellen.

»Als Näherin oder als Verkäuferin, da hab ich halt Näherin gemacht. Hauptsache der Lehrbrief. Das war früher gut, aber mittlerweile wandern in der Textilbranche alle ab. Einmal bin ich gekündigt worden, weil die nach Portugal oder irgendwohin in den Osten gegangen sind.

Kaputte Gesundheit

Dort sind die Leute billiger. Es sind immer die gekündigt worden, die noch nicht lange dabei waren und die, die alle Arbeiten gemacht haben.« Rosa war eine davon, die sich nicht spezialisiert hat. Akkordarbeiten konnte die 25-Jährige bald aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr durchführen. »Jetzt denke ich, Verkäuferin wäre nicht schlecht. Das Blöde ist: Wenn die beim Vorstellen »Näherin« hören, denken sie ich habe nichts im Kopf.«

Das Gefühl nichts im Kopf zu haben, macht allerdings auch vor Akademikern nicht halt. Petra Weißengruber ist eine davon. Philosophie und Rechtswissenschaften hat sie studiert und ist nebenbei als Kellnerin arbeiten gegangen. Daher bekam sie nach der Geburt ihres Sohnes auch Karenzgeld. Irgendwann ging dann auch noch ihre Beziehung in Brüche und auch ihr Traum, »wissenschaftlich zu arbeiten und zu publizieren« platzte.

»Als Verkäuferin verdient man sehr wenig. Ich möchte nicht dafür arbeiten, dass eine fremde Frau meine Kinder erzieht.«

»Die Welt zerfällt in Tatsachen«, zitiert sie Wittgenstein und lacht. Eine dieser Tatsachen heißt Sebastian und wird von ihr allein erzogen. Ihre Arbeit als Sekretärin in einer Rechtsanwaltskanzlei hat sie bereits vor einem Jahr verloren. Sie war einfach »nicht flexibel genug, was die Zeit betrifft, nicht die Arbeit an sich«. Die Arbeit »an sich«, als dreisprachige Sekretärin mit profunden juridischen Kenntnissen, hat sie »durchaus zufriedenstellend erledigt«, wie ihr Chef meint. Es täte ihm leid um sie, als Arbeitskraft.

Petra ist jetzt »in der Notstandshilfe« und ausgebildete Lebenskünstlerin mit Sinn für Verantwortung. »Für Sebastian ist Zeit wichtig, nicht Geld«, sagt sie. »Wenn ich manchmal denke, was ich alles gelesen habe und tun wollte, bin ich schon enttäuscht. Das war alles nur Theorie. Meine Praxis ist in diesem Moment: 650 Euro Notstandshilfe, abzüglich 500 Euro Fixkosten. Ich gebe privat Nachhilfe in Englisch und Französisch, davon leben wir eigentlich. Eine Arbeit, die mich wirklich geistig herausfordert, kann ich mir abschminken. Ich kann nur vormittags arbeiten oder freiberuflich. Aber dafür habe zu wenig Erfahrung und keine Kontakte. Manchmal glaube ich, dass ich nicht das Richtige im Kopf habe, für diese Zeit.«.

Diese Zeit, bis die Kinder größer sind, beschäftigt allerdings sehr viele Frauen. Bei Marieluise hat die Firma, wo sie drei Jahre war, zugesperrt. Sie konnte damals die »Arbeit nachhause mitnehmen. Das war super. Aber von einem Tag auf den anderen war es aus: Konkursverfahren«.

Ihre Kinder sind acht und zehn Jahre alt, und Marieluise ist jetzt auf der Suche und überzeugt, bald etwas zu finden. »Zweckoptimismus«, sagt sie, »weil im Prinzip weiß ich ja, dass ich gut bin, in meiner Arbeit. Es sind die Firmen, die nicht flexibel genug sind. Mir ist es wichtiger, dass meine Kinder Menschen werden. Da ist die bezahlte Arbeit zweitrangig.«

Marieluise ist geschieden, Buchhalterin von Beruf und teilt ihr Leben und das ihrer Kinder genau ein. »Ich arbeite gerne«, sagt sie, »aber wenn ich rechne, kommt es mich teurer, weil ich jemand bezahlen muss, der auf die Kinder aufpasst. Und ich bin nicht glücklich, wenn ich nicht weiß, wer das ist.«

Danuta, 28 Jahre, geht es ähnlich. »Ich möchte wirklich gerne arbeiten, aber ich bin einfach nicht flexibel genug. Als Verkäuferin verdient man sehr wenig. Ich möchte nicht dafür arbeiten, dass eine fremde Frau meine Kinder erzieht.Bei vielen Firmen brauche ich mich gar nicht einmal vorzustellen, weil ich ja aus Polen komme. Ich überlege, welchen anderen Beruf ich machen könnte, wenn meine Tochter im Kindergarten ist. Ich würde schon gerne als Verkäuferin arbeiten, aber da habe ich keine Chance, vormittags etwas zu finden. Jetzt habe ich bei den großen Ketten nachgefragt, im Lager, bei H&M oder so. Dort wollen sie mich auch nicht.«

Eigentlich ist Danuta gar nicht arbeitslos, denn sie besucht einen Kurs beim Arbeitsmarktservice. »Das Selbstbewusstseinstraining, das hätte ich gar nicht so nötig«, meint sie. »Davon habe ich genug, woran es mir fehlt, ist eine Arbeit. Eine, wo ich nachmittags bei meinem Kind sein kann und niemandem für die Erziehung bezahlen muss.«

Andere Probleme haben Männer, die sich über Erwerbsarbeit eher zu definieren scheinen. Vormals »tüchtige« Männer, die eben den Mann im Beruf gestanden haben und plötzlich dastehen, einfach so. Sie haben ihre private Beziehung aufs Spiel gesetzt, »für den Betrieb«, der ihr Leben war, weil dort waren »sie wer« und plötzlich scheinen sie »niemand mehr« zu sein.

»Die Stunden habe ich mir nie aufgeschrieben, die ich extra gearbeitet habe«, sagt Hermann Nemec, »ich dachte, wenn es dem Betrieb gut geht, geht es auch mir gut. Irgendwann gab es dann Probleme, es war ein Familienbetrieb. Alles, was wir mündlich vereinbart hatten, hat plötzlich nicht mehr gezählt. ›Sie brauchen morgen nicht mehr kommen‹, hat es geheißen und ich war arbeitslos. Ich habe zu denken begonnen: Die Zeit, die ich bei dieser Firma gearbeitet habe, die mir nicht bezahlt wurde, die gibt mir keiner zurück. Ich habe den Prozess gegen den Arbeitgeber verloren, weil ich gearbeitet habe, statt Stunden aufzuschreiben. Ich sollte alles schriftlich belegen, das geht aber nachträglich nicht.«

Hinderliche Würde

Hermann Nemec war Tischler in einem Familienbetrieb, wo Vertrauen zählte. Ohne Aufträge hilft aber auch kein Vertrauen. Jetzt ist Herr Nemec seit mehr als 14 Monaten arbeitslos und es tut ihm weh, wenn er zurückdenkt. »Wegen meiner persönlichen Würde habe ich den Prozess begonnen, denn ein vernünftiges Gespräch mit dem Chef war nicht mehr möglich.« Herr Nemec bekommt rund 300 Euro Notstandshilfe monatlich und eigentlich ist es seine Frau, die ihn erhält. Sie arbeitet als Putzfrau in einer Wiener Schule, bekommt etwas über 800 Euro monatlich und will nicht mehr, dass ihr Mann den Prozess weiter verfolgt. »Er soll arbeiten«, sagt sie »und das alles vergessen.« Herr Nemec ist 45 und sucht eine Arbeit als Tischler, die ihn auch zufrieden macht. »Irgend etwas finden könnte ich wahrscheinlich schon. Bei Ikea oder so einer Firma, wo man einfach nur Stücke zusammenbastelt. Dafür bin ich mir trotz allem zu schade.«

Zu schade war sich auch Hermine, die als Putzfrau und gute Seele bei einem Verein gearbeitet hat. Bei gleichem Lohn, hieß es plötzlich eines Tages, etwas mehr Arbeit. Nicht mit mir, sagte Hermine, und wischt viele Jahre Arbeit mit einer Träne weg. »Wenn man gekündigt hat, ist es schwer, wieder Arbeit zu finden. Die Firma ist mit den Stunden hinaufgegangen, die Bezahlung blieb gleich. Ich habe gesagt: Da mach ich nicht mit. Und so bin arbeitslos. Der Verein hat mir gesagt: Wir können den Lohn so lassen, vielleicht später, in ein paar Jahren passen wir an. Das hat mir wehgetan, das konnte ich einfach nicht akzeptieren.«

»Und wenn sie mir 700 Euro geben, ist mir das auch recht. Hauptsache, ich habe endlich meinen Traumjob.«

»Bis jetzt habe ich nie das gearbeitet, was mir gefallen hat«, sagt Selma.* »Aber ohne Arbeit ist es noch schlimmer.« Sie war im Gastgewerbe und war gekündigt worden. Den Grund weiß Selma bis heute nicht. Wahrscheinlich, so vermutet sie, »war ich zu unflexibel«. Neun und elf sind ihre beiden Kinder, die für sie das größte Problem sind, eine Arbeit zu finden.

Die Mutter, die vor mehr als 30 Jahren aus der Türkei gekommen ist, bezieht derzeit Notstandshilfe. Damit kann sie gerade Miete und Strom bezahlen. »Wenn sie auf die Kinder aufpasst und ich Arbeit hätte, könnte ich ihr etwas bezahlen«, sagt Selma. »Aber die Jobs die mir angeboten werden, sind so schlecht bezahlt, dass sich das nie ausgehen würde. Eigentlich wollte ich aus dem Gastgewerbe aussteigen. Man wird sehr müde. Aber jetzt werde ich trotzdem wieder dort arbeiten. Zumindest bis die Kinder größer sind.«

Selma will sich in einer Arbeit endlich »einmal wohlfühlen«. Sie hat in einer Elektrofirma Metallstücke zusammengelötet bis sie Rückenschmerzen bekam und kündigen musste. Jetzt bekommt sie 620 Euro Arbeitslose und will einen Beruf erlernen. Sie ist 24 und bereut es, einfach die Schule hingeschmissen zu haben. »In der Pubertät denkt man nicht. Obwohl meine Eltern wollten, dass ich etwas lerne, wollte ich das nicht. Wenn ich im Akkord 40 Stunden arbeite, habe ich höchstens 1000 Euro gehabt. Meine Schwester ist Lehrerin und hat das Doppelte in der halben Zeit und keine Rückenschmerzen.«

Auch Saime hat keine Ausbildung und war in einer Näherei, wo auch sie aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste. »Mein Traumjob ist Verkäuferin und irgendwann werde ich das auch tun. Jetzt bewerbe ich mich schon, aber wenn die Chefs sehen, dass ich Näherin war, sagen sie gleich ab.«

Selma besucht einen Kurs des Arbeitsmarktservice in Dornbirn, der arbeitslosen Frauen und Wiedereinsteigerinnen helfen soll, wieder Arbeit zu finden. »Seit diesem Kurs geht es mir beim Vorstellen schon viel besser. Hätte man mich früher gefragt, welche Fähigkeiten ich habe, hätte ich das Wort nicht einmal gekannt. Ich habe geglaubt, das heißt flexibel, oder so.«

Jetzt war sie in ihrem Traumladen, dem »Yorker«, und hat es immerhin geschafft, dass ihre Unterlagen bis zur Zentrale in Wien vorgedrungen sind. Auch Saimes Eltern sind aus der Türkei und sie fühlt sich »eigentlich schon eher als Ausländerin«. Das hat ihr diesmal beim Vorstellen geholfen. »Der Chef hat mich gefragt, warum ich gerade diesen Job haben will. Ich habe gesagt, dass ich selber alles in diesem Geschäft kaufe und noch nie einen Türken hier herinnen gesehen habe. Die trauen sich da nicht herein, aber wenn eine Türkin verkauft, kommen sie wahrscheinlich eher.«

Saime macht jetzt schon Reklame für den Laden. Was sie bezahlt bekommt, falls sie den Job bekommt, hat sie vergessen zu fragen. »Und wenn sie mir 700 Euro geben, ist mir das auch recht«, sagt sie. »Hauptsache, ich habe endlich meinen Traumjob.«

* Namen von der Redaktion geändert

I N F O R M A T I O N

Hinter jeder Ziffer ein Schicksal

Insgesamt 231.117 Österreicher waren im April 2003 beim Arbeitsmarktservice gemeldet. Immerhin ein (saisonbedingter) Rückgang von 6,9 auf 6,8 Prozent im Vergleich zum April des Vorjahres. Im Tourismus und in der Baubranche ist - wie jedes Jahr - wieder »leichte Erholung« zu verzeichnen. In allen anderen Dienstleistungsbereichen aber zeigt der Statistikpfeil nach oben.

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Gabriele Müller (Freie Journalistin in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Jun 2003 00:00:00 +0200 1190322106607 Pensionen: Fadenscheinige Begründung Die Regierung hat die Vorlage ihres drastischen Pensionskürzungskonzepts vor allem mit der Finanzlage der Pensionsversicherung begründet. Die Pensionen seien ohne sofortige tiefe Einschnitte nicht mehr finanzierbar, so die Behauptung. Eine Behauptung, die einer näheren Prüfung nicht standhält. In den Finanziellen Erläuterungen zum Gesetzesentwurf vom 31. 3. 2003 hat das Sozialministerium einen Überblick über die absehbare Entwicklung in den Jahren 2003-2007 gegeben. Die in den beiden folgenden Grafiken verwendeten Zahlen sind diesen offiziellen Erläuterungen entnommen. (Siehe Grafik: »Aufwendungen für Pensionsversicherung in % des BIP 2003- 2007«.)

Das Sozialministerium prognostiziert für die nächsten Jahre einen Rückgang der Ausgaben der Pensionsversicherung von 11,1% des BIP im Jahr 2003 auf 10,7% des BIP im Jahr 2007 - und das unter der Annahme, dass am geltenden Pensionsrecht nichts geändert wird! Bei Annahme einer 1:1 Umsetzung der ursprünglichen Regierungspläne wird mit einem Rückgang der Pensionsausgaben auf 10,3% des BIP gerechnet. Eine ähnliche Entwicklung wird für die Zuzahlungen zur Pensionsversicherung aus Bundesmitteln in Aussicht gestellt. (Siehe Grafik: »Bundesmittel für Pensionsversicherung in % des BIP. 2003-2007«.)

Ändert sich nichts am geltenden Recht, so wird die Zuzahlung aus Bundesmitteln (Bundesbeitrag plus Ersatzleistung für Ausgleichszulagen) von 3,1% des BIP im Jahr 2003 auf 2,9% im Jahr 2007 zurückgehen. Bei Umsetzung der ursprünglichen Pläne würde es einen Rückgang auf 2,5% des BIP geben.

Ausgabenrückgänge werden aber nicht nur relativ zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (in BIP-Prozenten) prognostiziert, sondern auch in Absolutwerten. Im ASVG würden die Zuzahlungen des Bundes bei Fortgeltung des bestehenden Rechts in den Jahren 2004, 2005 und 2006 niedriger liegen als der entsprechende Wert des Jahres 2003. Erst 2007 würde nach den Angaben des Sozialministeriums ein Wert erreicht werden, der nominell höher liegt!

Wie kommt es zu dieser relativ günstigen Entwicklung in den nächsten Jahren? Im wesentlichen deshalb, weil seit Jahren Änderungen im Pensionsrecht zur Dämpfung des Ausgabenzuwachses vorgenommen werden. Mit diesen Rechtsänderungen konnte erreicht werden, dass bereits im Zeitraum 1985 bis 2000 der BIP-Anteil der Pensionsausgaben nur mehr geringfügig angestiegen ist.

Unbestreitbar ist in Anbetracht der angeführten Zahlen, dass die Finanzlage der Pensionsversicherung von der Regierung in verantwortungsloser Weise überdramatisiert wird, um das beabsichtigte radikale Kürzungspaket in der Öffentlichkeit »begründen« zu können. Unbestreitbar ist auch, dass die gesetzliche Pensionsversicherung zur Bewältigung der neuen Herausforderungen (Anstieg des Altenanteils, »Individualisierung« der Lebensformen etc.) und zur Erhöhung der Gerechtigkeit und Transparenz (gleiche Beiträge für gleiche Leistungen, kostendeckende Finanzierung der Ersatzzeiten etc) weiterentwickelt werden muss. Strukturreformen, die auf diese Fragen eine Antwort geben, sucht man in dem am 29. April im Ministerrat beschlossenen Maßnahmenpaket allerdings vergeblich!

Die Ergebnisse des runden Tisches, zu dem sich die Regierung schließlich unter dem Druck des ÖGB doch noch bereitfand, waren bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt.

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J. Wöss http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1190322106595 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1190322106602 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Jun 2003 00:00:00 +0200 1190322106584 Sozialhilfe neu statt Notstandshilfe In ihrem Arbeitsübereinkommen hat sich die Bundesregierung auf eine Reform der Notstandshilfe festgelegt. Es soll »geprüft werden, die Notstandshilfe von der Zuständigkeit des AMS in die Sozialhilfe der Länder zu verlagern.

Wesentliche Voraussetzung dafür ist eine durch ein Sozialhilfe-Grundsatzgesetz oder eine Artikel 15-a-Vereinbarung harmonisierte Regelung der gesamten Sozialhilfe neu«.1) Mit dieser recht dürren Formulierung hat sich das Kabinett Schüssel II eines der umfassendsten Reformvorhaben bei der Existenzsicherung von Arbeit suchenden Menschen vorgenommen.

Unbestrittene Fakten

Dass das Recht der Notstandshilfe geändert werden sollte, ist für viele Sozialpolitiker, viele Arbeitsmarkt-Fachleute und Frauenpolitikerinnen unbestritten.

»Die Notstandshilfe ist einfach zu niedrig, um Armut bei Arbeitslosigkeit wirklich vermeiden zu können.«

Die Hauptursache dafür ist: Die Notstandshilfe wird einer ihrer zentralen Funktionen zunehmend nicht mehr gerecht, nämlich das Abgleiten in die Armut bei längerer oder häufiger Arbeitslosigkeit zu vermeiden.

Notstandshilfe ist eine Leistung, auf die - im Gegensatz zu den meisten Sozialhilfeleistungen - bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen (Arbeitslosigkeit, Arbeitswilligkeit, Arbeitsfähigkeit, ausgeschöpftes Arbeitslosengeld, Vorliegen von Notlage) ein Rechtsanspruch besteht. Der Bezug von Notstandshilfe ist zeitlich nicht beschränkt - dass sie alle 52 Wochen neu beantragt werden muss, hat eine reine Kontroll- und Disziplinierungsfunktion, ändert aber nichts an der grundsätzlichen zeitlichen Unbeschränktheit des Rechtes auf Notstandshilfe. Doch sie hat einen wichtigen Haken: Sie ist einfach zu niedrig, um Armut bei Arbeitslosigkeit wirklich vermeiden zu können.

Dazu zunächst ein paar Zahlen: Im Jahr 2002 betrug die Notstandshilfe für Frauen durchschnittlich 468,30 Euro für Männer 600,90 Euro monatlich. Der Ausgleichszulagenrichtsatz für Alleinstehende lag 2002 bei 630,92 Euro im Monat. Und der von der Armutsforschung als absolute Armutsgrenze definierte Betrag von 60 Prozent des so genannten Median-Einkommens, also der Einkommenshöhe, die von 50 Prozent der unselbständig Erwerbstätigen nicht erreicht wird, lag im Jahr 20002) bei 782 Euro monatlich.

Damit wird recht schnell verständlich, warum in der Armutsforschung längere und häufige Arbeitslosigkeit neben der Kinderanzahl in einem Haushalt als die Verarmungsursache Nummer eins gilt. Denn im Durchschnitt liegt die Notstandshilfe selbst bei den Männern deutlich unter den Werten, mit denen die Grenze zur Verarmung in Österreich üblicherweise markiert wird.

Kein Schutz vor Verarmung

Mit anderen Worten, der Bezug von Notstandshilfe schützt nicht mehr vor Verarmung. Das betrifft mittlerweile auch die Sozialhilfeleistungen der Bundesländer. Denn aufgrund der niedrigen Leistungshöhe sind immer mehr Notstandshilfebezieher mit unterdurchschnittlicher Höhe der Notstandshilfe genötigt, Ausgleichszahlungen auf den jeweiligen Sozialhilfe-Richtsatz im betreffenden Bundesland zu beantragen.

Für die Betroffenen ist das mühsam und vor allem in ländlichen Gebieten sozial diskriminierend. Für die Bundesländer bedeutet es, dass sie bereits jetzt als Kofinanziers bei der Bekämpfung von Armut aufgrund von Arbeitslosigkeit in Anspruch genommen werden. So berichtet etwa der oberösterreichische Sozialreferent, dass das Land Oberösterreich aktuell 6500 Notstandshilfebezieher aus Mitteln der Sozialhilfe zusätzlich unterstützen muss.

Damit ist eine der Stoßrichtungen einer Reform der Notstandshilfe wohl eindeutig: Es geht um die Anhebung der Leistungshöhe. Geschieht das nicht, wird die soziale Funktion der Notstandshilfe - die Vermeidung von Armut bei Langzeitarbeitslosigkeit - immer deutlicher verfehlt. Denn die Notstandshilfe liegt nicht nur im Schnitt unter den allgemein anerkannten Einkommensgrenzen für Verarmung. Die Entwicklung der Höhe der Notstandshilfe bleibt auch hinter der allgemeinen Einkommensentwicklung zurück.

»Wer über die Reform der Notstandshilfe spricht, redet über die Existenzsicherung von mehr als 80.000 Menschen.«

Die Notstandshilfe ist darüber hinaus kein Nischenprodukt für wenige Menschen, sie ist mit 82.850 (34.998 Frauen und 47.852 Männer)Bezieherinnen und Bezieher im Jahr 2002 neben dem Arbeitslosengeld die zweitwichtigste Leistung der Arbeitslosenversicherung. Dafür wurden rund 786 Millionen Euro aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung aufgewendet. Wer also über die Reform der Notstandshilfe spricht, redet über die Existenzsicherung von mehr als 80.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter in Österreich samt ihren Familienangehörigen.

Der nächste Punkt, an dem die sozial- und arbeitsmarktpolitische Kritik am der Notstandshilfe anknüpft, ist ihre diskriminierende Ausgestaltung zulasten von Frauen. Mit der Anspruchsvoraussetzung »Notlage« wird nämlich festgelegt, dass die Höhe der ausbezahlten Notstandshilfe nicht nur vom Einkommen der Arbeit suchenden Person vor der Arbeitslosigkeit abhängt, sondern insgesamt von den Einkommensverhältnissen des Haushaltes, in dem diese Person lebt. Es wird nach einem aufwendigen Verfahren das Einkommen von Ehepartnern oder Lebensgefährten auf die Höhe der Notstandshilfe angerechnet.

Dabei kommt es häufig zum völligen Wegfall des Anspruches auf Notstandshilfe. Dieses Risiko tritt vor allem dann auf, wenn hohe Einkommensunterschiede zwischen den Ehepartnern oder Lebensgefährten vor der Arbeitslosigkeit eines der beiden bestand. Von diesem Mechanismus der sogenannten »Anrechnungsbestimmungen« sind vor allem Frauen betroffen. In beinahe 90 Prozent der Fälle, in denen die Notstandshilfe aufgrund der Anrechnung des Partnereinkommens entweder gekürzt wird oder zur Gänze wegfällt, sind Frauen betroffen. Ob es sich um eine nach dem Recht der Europäischen Union rechtswidrige »mittelbare Diskriminierung« handelt, wird gerade vom Europäischen Gerichtshof geprüft. Hier liegt der nächste zentrale Ansatzpunkt für eine Reform - die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen in der Notstandshilfe.

Um es an dieser Stelle kurz zusammenzufassen: Die Notstandshilfe ist eine der zentralen Leistungen der Arbeitslosenversicherung mit der wichtigen Zielsetzung, Armut bei Langzeitarbeitslosen und Personen mit sehr häufiger Arbeitslosigkeit weitestgehend zu vermeiden. Dieser Funktion wird sie aufgrund einer Vielzahl von Ursachen tendenziell immer weniger gerecht. Die konkrete Ausgestaltung des Notstandshilfe-Rechtes führt zu einer massiven Diskriminierung von Frauen. Damit ist auch aus Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmersicht die Notwendigkeit einer Reform der Notstandshilfe gegeben.

Gravierende Unterschiede

Die Bundesregierung will nun, dass eine »Sozialhilfe neu« die Notstandshilfe ersetzen soll. Als einzige Bedingung dafür legt die Regierung eine Vereinheitlichung des Sozialhilfe-Rechtes fest. Das ist zunächst gut so, denn aufgrund der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung sind die Bundesländer für Fürsorgeleistungen und damit für die Sozialhilfe zuständig. Die Folge sind gravierende Unterschiede bei der Ausgestaltung der Sozialhilfe in den einzelnen Bundesländern, vor allem was die Höhe der sogenannten Sozialhilfe-Richtsätze, also der Geldleistungen für die reine Existenzsicherung, angebelangt.

Erforderliche Bundesmittel im ASVG
(Bundesbeitrag + Ausgleichszulagenersatz)
2003 bis 2007
Bei geltendem Recht Regierungspläne
2003 4.460 Mio. EUR 4.460 Mio. EUR
2004 4.191 Mio. EUR 4.092 Mio. EUR
2005 4.320 Mio. EUR 3.984 Mio. EUR
2006 4.435 Mio. EUR 3.838 Mio. EUR
2007 4.579 Mio. EUR 3.669 Mio. EUR
Sozialhilferichtsätze 2003 in Euro
Sozialhilfe-Richtsatz Bgld Ktn Sbg Stmk Tirol Vbg Wien
Alleinunterstützter 400 398 467,3 506,4 394 472 398,9 447,9 390,3
Hauptunterstützter 331 328 410,3 460 355 431 341,3 375,8 380,6
Mitunterstützter ohne Familienbeihilfe 241,5 240 213,7 273,8 227 288 237,4 239,7 195.5
Mitunterstützter mit Familienbeihilfe 118,5 119 126,7 140,8 106 146 132,7 146 117
Paar mit 10-jährigem Kind* 691 687 750,7 874,6 688 865 711,4 761,5 693,1
Alleinerzieherin mit 10-jährigem Kind ** 449,5 447 537 600,8 461 577 474 521,8 497,6
*Der Sozialhilferichtsatz setzt sich zusammen aus: Richtsatz für eine hauptunterstützte Person, eine mitunterstützte Person ohne sowie eine mitunterstützte Person mit Anspruch auf Familienbeihilfe. ** Der Sozialhilferichtsatz setzt sich zusammen aus: Richtsatz für eine hauptunterstützte Person und eine mitunterstützte Person mit Anspruch auf Familienbeihilfe

Trotz aller Unterschiede bei den Sozialhilferichtsätzen folgen die Sozialhilfegesetze der Bundesländer einigen gemeinsamen Prinzipien bei der Ausgestaltung der Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Sozialhilfeleistungen:

  • Sozialhilfe ist nach wie vor mehr Gnade (Fürsorgeleistung) als Recht (Versicherungsleistung). Es gibt keinen durchgängigen Rechtsanspruch auf Geldleistungen aus der Sozialhilfe.
  • Bevor jemand Sozialhilfe erhält, wird von ihr oder ihm erwartet, vorher allfälliges Vermögen zu verwerten. Wer also ein Auto oder ein Eigenheim hat, muss es verkaufen und vom Erlös leben, bevor Sozialhilfe zugestanden wird.
  • Es wird jedes Einkommen, das aus Erwerbstätigkeit erzielt wird, auf die Sozialhilfe angerechnet. Bei der Notstandshilfe ist nach den allgemeinen Regeln der Arbeitslosenversicherung wenigstens ein Zuverdienst aufgrund geringfügiger Beschäftigung ohne Kürzung der Notstandshilfe möglich.
  • Und schließlich kann sich der Sozialhilfeträger an den nächsten Verwandten der leistungsbeziehenden Person schadlos halten. Eltern müssen die von den Kindern bezogene Sozialhilfe den Ländern rückerstatten und umgekehrt. Das sagen die sogenannten Regressbestimmungen, die sich in unterschiedlicher Schärfe in allen Sozialhilfegesetzen der Länder finden.

Es wundert nicht, dass die österreichische Sozialhilfe im internationalen Vergleich ziemlich schlecht abschneidet. So lag die österreichische Sozialhilfe in den neunziger Jahren mit rund 500 Euro bei einer allein erziehenden Person mit zwei Kindern an letzter Stelle im Vergleich mit Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden, den Niederlanden und der Schweiz.3)

»Die österreichische Sozialhilfe lag in den neunziger Jahren mit rund 500 Euro im Europavergleich an letzter Stelle.«

Vor diesem Hintergrund bekommen die knappen Festlegungen zur Überführung der Notstandshilfe in die Zuständigkeit der Länder und ihre Umwandlung in eine »Sozialhilfe neu« ein neues, böses Gesicht. Denn eines ist klar - eine Verbesserung der Existenzsicherung von Personen und Familien bei langer und häufiger Arbeitslosigkeit wird mit dieser Maßnahme nicht erreicht werden.

Das Gegenteil ist mehr als wahrscheinlich. Denn es ist nicht zu erwarten, dass die Bundesländer angesichts ihrer Finanznöte im Zusammenhang mit einer Sozialhilfe neu die Sozialhilferichtsätze auf ein tatsächlich armutsvermeidendes Niveau von rund 770 Euro monatlich4) für eine Einzelperson erhöhen und gleichzeitig auf die oben erwähnten kostenreduzierenden Rahmenbedingungen verzichten werden.

Es ist hoch wahrscheinlich, dass dieses »Reformvorhaben« der schwarz-blauen Bundesregierung wie so manch andere nicht zu weniger sondern zu mehr Armut in Österreich führen wird, zu mehr Armut in der drittreichsten Volkswirtschaft im europäischen Binnenmarkt!

»Das sozialpolitische Urteil über dieses Reformvorhaben fällt ebenso negativ aus wie die arbeitsmarktpolitische Beurteilung.«

Damit fällt das sozialpolitische Urteil über dieses Reformvorhaben negativ aus. Und das gilt auch für die arbeitsmarktpolitisch Beurteilung. Denn die Formulierung »Überführung vom AMS in die Zuständigkeit der Länder« lässt darauf schließen, dass nicht nur die Verantwortung für die Auszahlung der Geldbeträge an die Länder übertragen werden soll. Das dürfte auch für die Betreuung, Beratung, Qualifizierung und Vermittlung von Langzeitarbeitslosen, also die gesamte Palette der arbeitsmarktpolitischen Dienstleistungen für länger oder häufiger Arbeit suchende Menschen gelten.

Abgesehen davon, dass es höchst fraglich erscheint, ob die Bundesländer personell und von ihren Infrastrukturen her überhaupt dazu in der Lage wären, würden damit neue Schnittstellen zwischen arbeitsmarktpolitischen Interventionen des AMS und den dann von den Ländern wahrzunehmenden Aktivitäten in der Arbeitsmarktpolitik entstehen. Die EU-weit anerkannte Leistungsfähigkeit des österreichischen AMS rührt nicht unwesentlich daher, dass es für alle Arbeit Suchenden sämtliche arbeitsmarktpolitischen Dienstleistungen erfüllen kann - die Auszahlung der Versicherungsleistungen zur Existenzsicherung, die Vermittlung, Beratung, Betreuung und Qualifizierung.

Das ginge mit dem Modell »Sozialhilfe neu« verloren. Die Folge wären, um es technisch auszudrücken, deutliche Effizienz- und Effektivitätsnachteile in der Arbeitsmarktpolitik.

Mit anderen Worten: Arbeitslosigkeit würde in vielen Fällen länger dauern als notwendig, mit all den nachteiligen Folgen für die Betroffenen. Die Kosten der Arbeitsmarktpolitik würden im Vergleich zu ihrem Nutzen steigen.

Eine solche Reform ist der eindeutig falsche Weg. Wer sich Sorgen um eine ihren Problemen angemessene Betreuung von schwer vermittelbaren Personen durch das AMS macht, ist falsch beraten, wenn er dazu auf die sozialen Dienste der Länder setzt und mit einer Überführung der Notstandshilfe in deren Zuständigkeit gleichsam das Kind mit dem Bade ausschüttet. Was Not tut, ist eine Reform der Notstandshilfe mit folgenden Kernelementen:

  • Erhöhung der Notstandshilfe auf ein Niveau, mit dem Armut weitestgehend vermieden werden kann. Hier könnte der Ausgleichzulagenrichtsatz oder die oben schon genannte Messgrösse aus der Armutsforschung einen Maßstab darstellen.
  • Beseitigung der insbesondere Frauen diskriminierenden Regelungen im derzeitigen Notstandshilferecht. Das ginge am einfachsten durch einen Wegfall der Anrechnungsbestimmungen.
  • Beides würde zusätzlich eine finanzielle Beteiligung des Bundes an der Finanzierung arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen bedingen. Das ist auch gerechtfertigt, denn Vollbeschäftigung und gut qualifizierte Arbeitkräfte in Österreich sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und nicht nur Angelegenheit der Beitragszahler in der Arbeitslosenversicherung.
  • Eine klar geregelte und den sozialen Problemen angemessene Beteiligung der Länder an den »sozialarbeiterischen« Maßnahmen des AMS, die schwer vermittelbare Personen in die Lage versetzen sollen, den Anforderungen auf dem österreichischen Arbeitsmarkt entsprechen zu können. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Kompetenzlage sollten die Länder auch zur Finanzierung der Kosten für die Notstandshilfe beitragen.
  • Eine deutlich bessere personelle und finanzielle Ausstattung des AMS, damit dieses seine Aufgaben tatsächlich umfassend und mit guter Qualität erfüllen kann.

1) Regierungsprogramm der österreichischen Bundesregierung für die XXII. Gesetzgebungsperiode, Seite 16
2) Quelle: Wirtschafts- und Sozialstatistisches Taschenbuch der AK Wien 2002
3) Wörister, Schmied: Sozialstaatliche Mindestsicherung im europäischen Vergleich, Studie im Auftrag des BMfASuG, Wien, Jänner 2000
4) vgl. Talos et al, Bedarfsorientierte Grundsicherung, Wien 2003, S 222

R E S Ü M E E

Auf dem falschen Weg

Eine Reform der Notstandshilfe ist notwendig, um eine angemessene Absicherung aller länger oder häufiger mit Arbeitslosigkeit konfrontierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor massiver Verarmung zu schützen. Der von der Bundesregierung geplante Weg ist dabei aber der eindeutig falsche - er würde nicht zu weniger, sondern zu mehr Armut bei Arbeitslosigkeit führen.

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Gernot Mitter (Mitarbeiter der Abteilung Arbeitsmarkt in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Jun 2003 00:00:00 +0200 1190322106568 Arbeit & Wirtschaft - Interview | Wilfried Leisch spricht mit Dr. Otto Farny: Eine Luftblase, die sich immer mehr aufbläht Arbeit&Wirtschaft: Obwohl die private Pensionsvorsorge mit Hilfe des Kapitaldeckungsverfahrens ihre Versprechungen nicht halten kann und den Versicherten Verluste beschert, gilt in der heutigen Politik dieses System als zukunftsträchtig und wird entsprechend beworben. Warum?
Otto Farny: Die Wissenschaft nennt zwei Gründe für eine kapitalgedeckte Pensionsvorsorge: Erstens, dass es dadurch zu einer Belebung des Kapitalmarktes kommt. Zweitens: Wenn das Kapitaldeckungsverfahren lange genug angewandt wurde, dann spielt die Verzinsung des Kapitals in der Finanzierung eine entscheidende Rolle. Auf einen langen Zeitraum gesehen übernimmt der Zins etwa ein Drittel der Finanzierung. À la longe kann der Zins das Niveau der Beiträge senken, das man braucht, um die Altersvorsorge zu finanzieren.

»Das Kapitaldeckungsverfahren birgt einige große Risiken. Das hat zu Pensionskürzungen bis zu 20 Prozent geführt.«

A&W: Soweit die Theorie. Wie schaut die Praxis aus?
Farny: Da werden viele Illusionen erzeugt. Eine davon ist, dass das Kapitaldeckungsverfahren das so genannte demographische Problem, dass in Zukunft immer mehr Menschen in Pension sein werden, lösen könne. Das ist nicht der Fall. Das Problem trifft das private Kapitaldeckungsverfahren genauso wie das derzeitige staatliche Umlagesystem. Gerade bei den privaten Pensionskassen zeigt sich, dass infolge der Umstellung der Sterbetafeln aufgrund der steigenden Lebenserwartung die durchschnittliche Pension, die aus diesem System kommt, geringer wird.

A&W: Wie steht es um die Wertbeständigkeit der Privatvorsorge?
Farny: Zusätzlich birgt das Kapitaldeckungsystem einige große Risiken. Erstens ist die Bemessungsgrundlage dieses Verfahrens immer der Wert des angesparten Kapitals. Doch dieser kann extrem schwanken. So ist etwa der Wert der deutschen Aktien in den letzten drei Jahren um mehr als 50 Prozent gefallen! Das hat in Einzelfällen zu Kürzungen der laufenden Pension von bis zu 20 Prozent geführt. Die zweite große Gefahr ist die Hyperinflation, wie wir sie z. B. in Österreich Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts hatten. Auch dadurch wird der Wert des Kapitals vernichtet. Hätten wir damals ein kapitalgedecktes Pensionssystem gehabt, wäre es zur Gänze vernichtet worden.

A&W: Kann das im Umlagesystem auch passieren?
Farny: Nein, praktisch können dort solche Schwankungen nicht auftreten, weil die Bemessungsgrundlage die Lohnsumme ist. Diese schwankt erfahrungsgemäß auch in Krisenzeiten nicht um 20 Prozent. Es gibt zumindest im ganzen 20. Jahrhundert kein Beispiel, wo die staatlichen Pensionen in diesem Ausmaß gekürzt wurden. Allerdings bekommen wir auch im Umlageverfahren in Zukunft das angesprochene demographische Problem. Man kommt auch in diesem System nicht umhin, die Beiträge zu erhöhen. Aber im Umlageverfahren ist der Werterhalt weitestgehend gesichert. Was sich aber in den letzten 20 Jahren abzeichnet ist, dass sich die Bemessungsgrundlage des Umlagesystems - die Lohnsumme - durch Sinken der Lohnquote verringert (siehe Grafik 1). Da könnte eine Wertschöpfungsbesteuerung eine Verbesserung bringen, indem man neben der Lohnsumme auch die Faktoren Gewinn, Abschreibungen und Fremdkapitalzinsen in die Berechnungsbasis einbezieht. Das wäre die korrektere und gerechtere Basis. Etwaige Beitragserhöhungen würden dann geringer ausfallen.

A&W: Wenn die Nachteile auf der Hand liegen, warum forciert die Politik dann das Kapitaldeckungsverfahren?
Farny: International forcieren die USA, Großbritannien usw. mit allen Mitteln dieses Verfahren deshalb, weil sie damit bereits große Probleme haben. Denn immer wenn das Kapitaldeckungsverfahren in eine Reifephase kommt, also Auszahlungen anstehen, droht die Nachfrage nach immer neuen Aktien zu erlahmen. In dieser Situation sind die USA jetzt. Das heißt, man muss immer mehr Nachfrage erzeugen. Deshalb versuchen sie kapitalgedeckte Pensionsfonds in der ganzen Welt als Standardsysteme zu etablieren. Damit soll die Nachfrage nach eigenen Aktien gestützt werden. Im Endeffekt ist das eine große Luftblase, die sich so immer mehr aufbläst. Wenn die Nachfrage nicht da ist, und so schaut es derzeit aus, dann kommen diese Systeme in geradezu existenzbedrohende Probleme, weil sich eine Unterdeckung des erforderlichen Anspruchsvolumens ergibt.

A&W: Und bei uns?
Farny: Da gibt es offensichtlich ein paar Gruppen, die mit so einer privaten Veranlagung viel Geld verdienen können: das sind die Banken und Versicherungen. Deshalb sind diese Lobbys auch bei uns sehr daran interessiert gute Stimmung für das Kapitaldeckungsverfahren zu machen.

A&W: Woher kommt das Geld dafür?
Farny: Von den Versicherten. Der Verdienst für die Banken und Versicherungen liegt darin, dass diese privaten kapitalgedeckten Systeme durchwegs teurer sind als die staatliche, umlagefinanzierte Pensionsversicherung. So wird in diesen Systemen viel Werbung betrieben, um das Geschäft überhaupt ankurbeln zu können. Die Veranlagung in Aktien ist wesentlich aufwendiger und daher teurer als die bloße Pensionsauszahlung über ein Umlagesystem und überdies eben extrem risikoreich.

Deckungsrate der Gesamtaufwendungen
der Pensionsversicherung durch Bundesmittel
gesamte
Pensionsversicherung
davon
ASVG GSVG BSVG
FSVG
1970 31,27% 26,85% 64,99% 76,50%
1971 31,16% 25,86% 69,07% 66,03%
1972 30,82% 24,01% 71,54% 74,35%
1973 29,81% 22,78% 68,73% 74,89%
1974 31,22% 23,57% 71,01% 78,03%
1975 33,86% 26,30% 72,08% 79,78%
1976 32,31% 24,29% 74,12% 81,54%
1977 34,04% 25,55% 74,08% 81,14%
1978 25,57% 15,85% 68,65% 79,32%
1979 25,85% 16,15% 66,51% 80,07%
1980 22,27% 12,33% 66,86% 74,57%
1981 22,26% 11,70% 71,65% 76,14%
1982 26,15% 16,25% 73,06% 78,10%
1983 29,60% 20,38% 73,86% 78,87%
1984 28,87% 20,55% 68,57% 75,10%
1985 27,70% 19,47% 66,63% 74,58%
1986 27,86% 20,29% 60,42% 75,22%
1987 30,20% 22,22% 68,85% 75,42%
1988 29,79% 21,98% 68,46% 73,82%
1989 28,88% 20,91% 68,21% 74,53%
1990 25,92% 16,99% 69,53% 76,22%
1991 26,39% 17,39% 69,84% 77,22%
1992 24,98% 15,91% 67,25% 77,39%
1993 24,73% 15,44% 68,26% 77,08%
1994 23,92% 14,39% 67,72% 76,99%
1995 25,09% 15,96% 67,02% 76,73%
1996 24,42% 15,75% 64,03% 75,56%
1997 24,23% 16,35% 58,12% 74,39%
1998 24,06% 16,49% 56,39% 73,44%
1999 24,48% 17,15% 55,49% 73,74%
2000 21,93% 14,11% 55,97% 74,30%
2001 21,45% 15,03% 40,80% 74,03%
2002 24,18% 17,09% 52,83% 75,03%
2003 27,53% 21,15% 52,87% 74,54%
2004 25,86% 19,25% 52,02% 75,11%
2005 25,70% 18,99% 52,80% 75,36%
2006 25,58% 18,87% 52,95% 75,58%
2007 25,53% 18,82% 53,15% 75,85%

A&W: Warum steigt dann überhaupt jemand auf diese private, kapitalgedeckte Pensionsvorsorge ein?
Farny: Einerseits aus der Angst heraus, weil das jetzige staatliche Pensionssystem andauernd schlecht gemacht und außerdem als unfinanzierbar hingestellt wird. Andererseits, weil bei der Bewerbung der privaten Vorsorge mit dem Trick der Geldillusion gearbeitet wird. So wird gesagt, wenn du jetzt 1000 Euro einzahlst, dann bekommst du in zwanzig Jahren eine bestimmte Rente. Die Leute sehen das und sagen dazu super. Dass das aber nur ein Betrag zum heutigen Wert ist, der mir erst in zwanzig Jahren zur Verfügung steht, dann aber wesentlich weniger Kaufkraft besitzt, nicht vergleichbar ist mit einer heutigen Pension oder einem heutigen Einkommen, wird nicht dazu gesagt.

A&W: Geht uns das Geld für das staatliche Pensionsystem aus?
Farny: Es gibt derzeit kein wirkliches aktuelles Finanzierungsproblem der ASVG-Pensionen, die ja 90 Prozent der Pensionen ausmachen. Die im ASVG
(§ 79a, Anmerkung der Redaktion) vorgesehene Ausfallshaftung des Bundes bis zu 30 Prozent, sollte es zu Finanzierungsproblemen in der Pensionsversicherung kommen, ist bei den ASVG-Pensionisten nie erreicht worden. Und 2002 betrug der Bundesbeitrag bloß 17 Prozent (siehe Grafik 2). Bei Gewerbetreibenden und Bauern hingegen ist der Bundesbeitrag erheblich höher und lag 2002 bei fast 55 Prozent bzw. 75 Prozent. In Wirklichkeit werden hier Budgetmittel, also Steuergelder, die zu 80 Prozent von den Arbeitnehmern stammen, zu den Selbständigen umverteilt. Aber: Wegen der Pensionen gibt es kein Budgetproblem, es sei denn, man will umverteilen. So hat ja Finanzminister Grasser bereits angekündigt, dass er bei der zweiten Etappe der Steuerreform die Körperschaftssteuer um mindestens 3 Prozentpunkte senken will. Das kostet ca. 1 Milliarde Euro, die einer Lohnsteuersenkung für die Arbeitnehmer so entzogen werden. Um diese und andere Maßnahmen für die Unternehmer zu finanzieren, macht die Regierung Sofortmaßnahmen im ASVG-Bereich, um sich das Geld zu besorgen und nicht deswegen, weil die Pensionen unfinanzierbar sind. Bezeichnend ist, dass immer von »Entlastungsbudget« geredet wird. Leider wird nie nachgefragt: Entlastung für wen? Die erste Etappe der Steuerreform, das kann man klar nachweisen, ist eine Entlastung ausschließlich für eine kleine Gruppe von Unternehmern gewesen. Für alle anderen war diese »Entlastung« eine Belastung.

I N F O R M A T I O N

Abkürzungen:
PV = Pensionsversicherung (allg.)
ASVG = Angestellte
GSVG/FSVG = Gewerbetreibende/Selbständige/neue Selbständige
BSVG = Bauern

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Wilfried Leisch (Freier Journalist in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1190322106558 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Sun, 15 Jun 2003 00:00:00 +0200 1190322106532 Vor dem nächsten Aderlass In der politischen Diskussion wird ständig unterstellt, dass das Niveau der ASVG-Pensionen nicht haltbar ist und deshalb die zweite und dritte Säule der Altersvorsorge, die Betriebs- und die Privatpension mit steuerlicher Förderung, ausgebaut werden müsse. Durch die Schwäche der Kapitalmärkte kommt aber gerade dieses System der privaten Pensionsvorsorge unter Druck. Viele Kunden von Pensionsinvestmentfonds haben bereits jetzt einen erheblichen Teil ihrer Altersvorsorge verspielt, viele Leistungsberechtigte von Pensionskassen erleben nun schon das zweite Jahr dramatische Pensionskürzungen.

»Viele Leistungsbezieher von Pensionskassen erleben nun schon das zweite Jahr in Folge dramatische Pensionskürzungen.«

Die zur Sicherung der Betriebspensionen im Pensionskassengesetz verankerte Mindestverzinsung kann zwar Pensionskürzungen nicht verhindern, aber zumindest deren Ausmaß beschränken. »Diesen Rettungsanker will die Regierung jetzt ausschalten«, erklärt AK-Direktor Werner Muhm. Damit werden die Interessen der Versicherten den Interessen der Pensionskassen und deren Eigentümer - meist große Banken und Versicherungen geopfert.

Nach dem bestehenden Pensionskassenrecht gibt es eine gesetzlich garantierte Mindestverzinsung. Demnach ist im Schnitt von fünf Jahren eine jährliche Verzinsung von derzeit etwa 1,5 Prozent zu realisieren. Wenn nicht eine entscheidende Trendwende am Kapitalmarkt eintritt, wird diese Sicherung demnächst in vielen Fällen greifen müssen.

Berechnungen der Pensionskassen zufolge wären bis 2006 bis zu 400 Millionen Euro aus dem Eigenkapital den Pensionskonten gutzuschreiben. Bei anhaltend schlechter Kapitalmarktentwicklung kann dieser Betrag noch wesentlich größer ausfallen. Die geschätzte Summe, die für die Mindestverzinsung aufgebracht werden muss, übersteigt weit das Eigenkapital der Pensionskassen von derzeit rund 60 Millionen Euro. Sie müsste von den Eigentümern zugeschossen werden. Gesetzliche Verpflichtung dafür gibt es derzeit aber keine.

Versicherte zahlen drauf

Statt eines Nachschusses von Kapital in die Kassen durch die Eigentümer wollen die Pensionskassen deshalb, dass die Mindestzinsgarantie geändert wird. Geplant ist: Für rund die Hälfte der etwa 40.000 Pensionisten die bereits Leistungen der Pensionskassen beziehen wird beginnend mit 1. Jänner 1997 der Durchrechenzeitraum von fünf auf sieben Jahre ausgedehnt.

Einschneidende Kürzungen

Für die rund 310.000 künftigen Betriebskassen-Pensionisten wird die bestehende Regelung für 2003 und die Folgejahre außer Kraft gesetzt. Statt dessen wird für die Zeit bis zum Pensionsantritt, also oft erst in zwanzig oder dreißig Jahren, folgende Regelung angepeilt: Die Mindestverzinsung nach bisheriger Formel ist vom Beginn des Geschäftjahres, das nach dem Beginn der Veranlagung liegt (frühestens ab 1. Jänner 1997), bis zum Ende des Geschäftsjahres, das vor Pensionsantritt liegt, zu berechnen.

Das bedeutet: Für Pensionisten, die für 2003 mit einem Nachschuss auf ihre Deckungskonten rechnen konnten, fällt dieser zunächst aus. Für rund 20.000 Leistungsbezieher wird es 2003 zu Pensionskürzungen im Ausmaß von fünf bis zehn Prozent kommen. Im Einzelfall wurden bereits Kürzungen von bis zu 18 Prozent bekannt.

Erstmalig kann es Anfang 2004 zu einer Gutschrift kommen, doch durch das Einbeziehen des guten Jahres 1997 wird diese, anders als nach der alten Regelung, im Normalfall nicht zu leisten sein. Generell bewirkt das Strecken des Durchrechenzeitraumes von fünf auf sieben Jahre geringere bis gar keine Gutschriften. Für Anwartschaftsberechtigte soll es überhaupt erst beim Pensionsantritt eventuell zu einer Gutschrift kommen. Für alle, die nicht in nächster Zeit in Pension gehen, fällt also die auf Basis des jetzigen Rechts erwartete Gutschrift aus.

Da die Durchrechenzeiträume immer länger werden, je ferner der Pensionsantritt liegt, wird es immer unwahrscheinlicher, dass es überhaupt zu Gutschriften kommt. Generell werden in Zukunft Pensionskürzungen durch Mindestverzinsungsregelungen kaum mehr abgefedert werden.

Nicht einlösbare Illusionen

90 Prozent aller Geschäftsfälle der Anfang der neunziger Jahre gegründeten Pensionskassen waren Übertragungen von bestehenden Betriebspensionszusagen. Dabei wurde im Regelfall ein Wechsel von leistungsorientierten zu beitragsorientierten Zusagen vollzogen, meist im Wege einer sogenannten »Zielübertragung«, wodurch die Risiken des Kapitalmarkts auf die Arbeitnehmer abgewälzt wurden.

Die AK hat anläßlich der Schaffung des Pensionskassenrechts 1989/1990 für die Veranlagung durch die Kassen einen maximalen Aktienanteil von 30 Prozent sowie ein weitgehendes Verbot für derivative Produkte gefordert. Darüber hinaus hat sich die AK für das bereits damals konzipierte Mindestverzinsungsgebot eingesetzt.

Um für die Trägerunternehmen diese Zielübertragungen kostengünstig zu machen, wurde versucht, möglichst hohe künftige Renditen zu veranschlagen. Das Ergebnis war, dass die von den Arbeitgebern zu leistenden Übertragungsbeträge relativ gering ausfielen, die in Aussicht gestellten Zielpensionen aber ohne Garantie waren.

»Es ist zu befürchten, dass die Regierung vor den Versicherungen und deren Eigentümern in die Knie geht.«

Die wichtigsten Kennzahlen waren dafür der so genannte Rechnungszins und der rechnungsmäßige Überschuss. Je höher der Ertrag der Veranlagung angenommen wird, desto höher kann die zu erwartende Pension dargestellt werden. »Zusammen mit hohen Rechnungszinsen - bis zu 6,5 Prozent wurden von der Finanzmarktaufsicht genehmigt - lässt sich mit wenig Kapital viel Illusion erzeugen. Statt auf der sicheren Seite zu bleiben, wurde mit Illusionen gehandelt«, erklärt Josef Wöss, Leiter der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien.

Derivate gefährden Betriebspensionen

Gegen die Einwände der AK wurden überdies schrittweise die Veranlagungsgrenzen für Aktien auf 50 Prozent hinaufgeschraubt und eine Beimischung von riskanten Anlagepapieren - so genannten Derivaten - im Ausmaß von zehn Prozent zugelassen. »Die gesetzliche Mindestzinsgarantie und ihre möglichen Folgen wurden dabei bewusst außer Acht gelassen«, kritisiert Otto Farny, Leiter der Abteilung Steuerpolitik der AK Wien. Aber nicht genug damit: Durch die Zustimmung zur EU-Pensionsfonds-Richtlinie wird in Zukunft eine Veranlagung in Aktien von bis zu 70 Prozent möglich.

»Wenn Rechtssicherheit nichts mehr wert ist und eine vorgesehene gesetzliche Mindestverzinsungsgarantie beim ersten Windstoß außer Kraft gesetzt wird, kann sich jeder selber ausmalen, was das für Folgewirkungen haben kann«, sagt Muhm. In der letzten Zeit wurden weitere kapitalgedeckte Altersvorsorgeprodukte aufgelegt (Mitarbeitervorsorgekassen für die Abfertigungen, Zukunftsvorsorgesparen), die mit unterschiedlichen Kapitalgarantien versehen sind.

Muhm: »Es ist zu befürchten, dass im Fall des Falles die Regierung auch hier vor den Versicherungen und deren Eigentümern in die Knie geht.« Die AK wird eine derartige Anlassgesetzgebung jedenfalls bekämpfen und nötigenfalls den Verfassungsgerichtshof anrufen, sind doch durch die gesetzlichen Bestimmungen privatrechtliche Ansprüche bereits entstanden. Das Grundrecht auf Eigentumsfreiheit gilt auch für Arbeitnehmer.

Wird für Ende 2003 der Mindestertrag nach der alten Regelung gerechnet, ergibt sich für die letzten fünf Jahre ein durchschnittlicher Verlust von 2,8 Prozent jährlich. Es ist dann ein Mindestertrag durch die Pensionskasse von 1,5 Prozent jährlich über die Periode herzustellen.

Für 2003 hat demnach eine relativ kräftige Gutschrift zu erfolgen. Mit der Neuregelung wird diese Verpflichtung für 2003 ausgesetzt. Durch die Ausdehnung der Berechungsbasis auf sieben Jahre kommt es zur Einbeziehung des guten Jahres 1997 und es entsteht ein durchschnittlicher jährlicher Ertrag über die ganze Periode von knapp über 1,5 Prozent. Es erfolgt also wieder keine Gutschrift.

I N F O R M A T I O N

AK-Forderungen


  • Rücknahme des Entwurfs.
  • Gesetzliche Deckelung des Rechnungszinssatzes auf maximal vier Prozent bei valorisierten Pensionen für Neuabschlüsse.
  • Gesetzliche Deckelung des in den Angeboten und Planrechnungen verwendeten rechnungsmäßigen Überschusses auf sechs Prozent.
  • Änderungen von Bewertungsbestimmungen bei grundsätzlichem Festhalten am Tageswertprinzip (z. B. Bewertung erstklassiger Anleihen bei kurzer Laufzeit mit dem Rücknahmewert, Gutschrift nur eines Teils nichtrealisierter Kursgewinne bei Aktien, der Rest käme in eine Bewertungsreserve).
  • Aufstockung des haftenden Eigenkapitals (kommende EU-Richtlinie sieht vier Prozent des Deckungskapitals vor).
  • Transparenz über Gebarung und Veranlagung der Versichertenbeiträge.
  • Neugestaltung der Veranlagungsrichtlinien.
  • Nachschussverpflichtung auch der Eigentümer der Pensionskassen, wenn eine bestimmte Mindestverzinsung nicht erreicht wird.
  • Sollte die Regierung ihr Vorhaben umsetzen, muss es eine steuerbegünstigte Ausstiegsmöglichkeit aus den Pensionskassen bei einer allfälligen Weiterveranlagung als Lebensversicherung geben.

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Wilfried Leisch (Freier Journalist in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jul 2003 00:00:00 +0200 1189007908928 Daseinsvorsorge: Wird Überlebensfrage für Gemeinden Gemeinden nehmen in Österreichs föderalistischem Staatssystem eine besondere Rolle ein. Sie garantieren zum einen die Nähe zu den BürgerInnen, womit ein Ausgleich zu den Entscheidungen angestrebt wird, die auf zentralstaatlicher und in zunehmendem Maße auf gesamteuropäischer Ebene getroffen werden. Zum anderen sind sie von den rechtlichen Rahmenbedingungen und von den Grundlagen der Finanzierung, die vom Bund, teils auch von den Bundesländern geschaffen werden, stark abhängig.

Die über 2300 österreichischen Gemeinden einschließlich ihrer Unternehmungen und der Gemeindeverbände erbringen verschiedene Sicherheits-, Ordnungs- und Dienstleistungsaufgaben und sorgen für große Teile der öffentlichen Infrastruktur. Dazu zählen vor allem Einrichtungen zur Betreuung von Kindern, Behinderten und älteren Menschen, weiters für Pflichtschulen, für öffentliche Verkehrswege (in den großen Städten betreiben sie auch die öffentlichen Verkehrsmittel), die Wasserver- sowie die Abwasser- und Müllentsorgung.

Gemeinden - vor allem die großen Städte - sind auch von wirtschaftspolitischer Bedeutung, denn mit ihren Investitionen tragen sie zur Entfaltung der Wirtschaft bei und bieten zahlreiche Arbeitsplätze. Der beispiellose Aufstieg Österreichs in den vergangen Jahrzehnten zu einem hochentwickelten Land, das seit 1995 auch seinen Platz in der Europäischen Union einnehmen konnte, ist so dem Wirken der Gemeinden im Sinn einer immer umfassenderen »Daseinsvorsorge« zu verdanken. Sie ist nach Art und Umfang und was den Mitteleinsatz betrifft in allen Gemeinden - in den Städten aber ganz besonders - stark gewachsen. Dies ergibt sich aus den gestiegenen Anforderungen von BürgerInnen, Wirtschaft und anderen Bereichen, wie Ökologie und Umweltgesetzgebung so wie der Informations- und Kommunikationstechnologien.

Noch haben die Gemeinden die Abschaffung der nicht EU-konformen Getränkesteuer und der Reduzierung der Werbesteuer Ende die Neunzigerjahre nicht voll verkraftet, da ist ihnen ein neues Finanzproblem erwachsen. Denn die seit wenigen Jahren forcierte Konsolidierung des Bundeshaushaltes, teils auch jene der Länder, hat zu einem spürbar gesunkenen Anteil der Gemeinden am gesamten Abgabenaufkommen in der Republik geführt.

Finanzierungsprobleme nehmen zu

Der Bund holte sich mit den verschiedenen steuerlichen Maßnahmen der letzten Zeit nicht nur von den BürgerInnen, sondern auch von den Gemeinden zusätzliches Geld. Und die Bundesländer haben einen Teil ihrer Förderungen an die Gemeinden reduziert, teils auch Umlagen und Beiträge, die sie von den Gemeinden - vor allem von den finanzkräftigeren - erheben, erhöht.

Erstmals seit den Sechzigerjahren ist so der Anteil aller Gemeinden (einschl. Wiens) am gesamten Steueraufkommen um fast 1,5 Prozentpunkte gesunken. Das macht rund 700 Millionen Euro jährlich aus.

Nicht zu vergessen ist, dass die Ausgabenkürzungen und Privatisierungen des Bundes, was bekanntlich u. a. zum Schließen von Bahnhöfen, Kasernen, Postämtern, zum Aufschieben von Erneuerungsinvestitionen (z. B. bei den Bundesschulen), zum Ausfall von Kultursubventionen und von Mitteln für die Krankenanstalten führte, die Gemeinden mehr als bisher belastet. Außerdem hat der Bund größeren Städten neue Aufgaben aufgebürdet, in dem etwa Aufgaben der Bundespolizeibehörden ohne finanzielle Abgeltung an die (städtischen) Bezirksverwaltungsbehörden übertragen worden sind.

In nächster Zeit droht ein weiterer Anschlag des Bundes auf die Gemeindekassen. Sollte nämlich die Kommunalsteuer (früher Lohnsummensteuer) als ein Teil der wirtschaftspolitisch so beklagten »Lohnnebenkosten« gekürzt werden, würde dies die Gemeinden - primär die größeren - stark betreffen. Neben der verhältnismäßig wenig ergiebigen Grundsteuer ist die Kommunalsteuer schließlich die einzig bedeutende eigene Steuer der Gemeinden, die bundesgesetzlich geregelt ist.

In der Regierungserklärung des Kabinetts Schüssel II wird zwar die Senkung der Lohnnebenkosten als wichtig genannt, von einer Schonung der Gemeindekassen ist aber nicht die Rede.

Den Gemeinden wird zum Ausgleich für diese Steuerausfälle empfohlen, Gebühren und Tarife für ihre Dienste und Einrichtungen zu erhöhen. Dies ist ohnehin der einzige einnahmenrelevante Bereich, in dem die Kommunalpolitik eigene Handlungsspielräume besitzt. Dies wird allerdings ungern getan, da sozial Schwächere von solchen Erhöhungen stärker betroffen sind als Wohlstandsbürger.

Der Finanzausgleich als zentrales Instrument der Aufteilung der Abgabenerträge auf Bund, Länder und Gemeinden muss bis Herbst 2004 neu geregelt werden, da das gültige Finanzausgleichsgesetz 2001 abläuft. Hier zeichnet sich - ein bisher in dieser Schärfe nicht bekannter - Konflikt zwischen den Gemeinden, konkreter zwischen kleinen Gemeinden (vertreten durch den Österreichischen Gemeindebund) und größeren Städten (vertreten durch den Österreichischen Städtebund) ab. Beide machen sich für einen besser »aufgabenorientierten« Finanzausgleich stark, wenngleich mit unterschiedlicher Gestaltung.

Hinter der Aufgabenorientierung steht eine partiell an den unterschiedlichen faktischen Aufgaben der Gemeinden ausgerichtete Mittelverteilung des Steuerverbundes (Ertragsanteile der Gemeinden an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben) anstelle der jetzt in höherem Maße einwohnerorientierten Verteilung. Allerdings stellt der Steuerverbund nur ein wichtiges Element des gesamten Finanzausgleichssystems dar.

Die derzeitige Verteilung der Gemeindeanteile am Steuerverbund erfolgt in hohem Maße nach einem Schlüssel, der sich stark an der Einwohnerzahl der jeweiligen Gemeinde orientiert (abgestufter Bevölkerungsschlüssel). Demzufolge werden in Gemeinden zwischen 10.001 und 20.000 Einwohnern um rund 12,5 Prozent höhere Pro-Kopf-Mittel zugewiesen als in den Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern. Eine weitere Abstufung betrifft die Gemeinden mit 20.001 bis 50.000 sowie Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohner. Letztere erhalten pro Einwohner um 75 Prozent höhere Mittel als die Kleingemeinden. Dieses schon seit Jahrzehnten im österreichischen Finanzausgleich verwendete und im Lauf der Zeit deutlich abgeschwächte Verteilungskriterium fußt vor allem auf der Vorstellung, dass mit steigender Gemeindegröße mehr Aufgaben (z. B. städtischer Nahverkehr, zentralörtliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Theater, Betreuungseinrichtungen für Randgruppen) wahrgenommen werden und ein guter Teil der Aufgaben teurer zu erledigen ist als in Kleingemeinden.

Vertreter der Kleingemeinden wiederum weisen - nicht zu unrecht - daraufhin, dass einige Aufgaben, wie etwa Straßen- und Kanalnetze, in dünn besiedelten Kleingemeinden höhere Kosten pro Einwohner erfordern als in dichter bebauten und meist größeren Gemeinden.

Verteilungsstreit

Leider überschattet dieser Streit zwischen den Gemeinden den oben beschriebenen Umstand, wonach trotz gewisser zusätzlicher Aufgaben auf der Gemeindeebene der Bund sich höhere Anteile am »Steuerkuchen« reserviert. Es wäre besser, wenn sich alle Gemeinden gegen die Aushöhlung ihrer Finanzbasis durch den Bund wehrten.

Überschattet werden von diesem Streit aber auch die Reformperspektiven: So steht im Bundesstaat eine tief greifende Reform der Aufgabenverteilung an. Und auch auf Gemeindeebene ist seit vielen Jahren eine Reform der Gemeindestrukturen überfällig.

Während viele Industrieländer längst durch intensive Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden (vor allem in den dicht besiedelten Zonen der großen Städte) und teils auch durch Schaffen von Großgemeinden - so zählt etwa Schweden mit etwas mehr Einwohnern und einer deutlich größeren Fläche als Österreich nur 400 Gemeinden! -, während es allein im Bundesland Steiermark rund 250 Kleinstgemeinden mit weniger als 1000 Einwohnern gibt) eine gute Basis für effektives und effizientes Wirtschaften der Gemeinden geschaffen haben, gibt es dies in Österreich viel zu wenig.

Nicht in allen Infrastrukturbereichen und schon gar nicht in der örtlichen Raumplanung, in der Verkehrsplanung, im Verwaltungsbereich besteht eine weit reichende und Kosten sparende Zusammenarbeit der österreichischen Gemeinden. So manche Umlandgemeinde siedelt dagegen große Supermärkte zum Schaden der Kernstädte bzw. der Stadtzentren an. Auch um neue Betriebe kämpfen die Gemeinden untereinander mit »Dumpingpreisen« für aufgeschlossene Industriegrundstücke, statt die gesamten Lasten und Vorteile gemeinsam zu tragen.

Ein guter Teil dieser Konkurrenzkämpfe zwischen den Gemeinden wird auch auf dem Rücken der Bewohner ausgetragen, wenn die Qualität der Aufgabenerfüllung (z. B. Öffnungszeiten der Kindergärten) nicht stimmt oder wenn teure Einrichtungen, wie Veranstaltungszentren, Hallenbäder, Sportstadien wegen mangelnder Zusammenarbeit nicht gut ausgelastet und damit defizitär sind.

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Helfried Bauer (KDZ-Zentrum für Verwaltungsforschung in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jul 2003 00:00:00 +0200 1189007908915 Armutskonferenz: Die Armut bleibt weiblich Claudia F. ist armutsgefährdet. Die 38-jährige allein erziehende Mutter zweier Kinder arbeitet als Reinigungskraft in Teilzeit durchschnittlich sechs Monate im Jahr. Die restlichen sechs Monate bekommt sie schwer eine andere Arbeit, weil sie keine abgeschlossene Ausbildung hat. Da Arbeitslosengeld und Notstandshilfe von ihrem niederem Einkommen bemessen werden, sind sie so gering, dass sie davon nicht leben kann. Die langen Zeiträume ohne Arbeit wirken sich nicht nur auf ihre Stimmung, sondern vor allem auf ihre Pension negativ aus. Geschieht kein Wunder, wird sie im Alter arm sein. Das befürchtet auch ÖGB-Frauenvorsitzende Renate Csörgits: »2001 erhielt mehr als die Hälfte der Frauen, die in Pension gingen, eine Leistung von weniger als 700 Euro brutto im Monat. Schneidet man da noch einmal - wie in der Pensionsreform der Regierung geplant - zehn Prozent weg, rutschen noch mehr Frauen im Alter in die Armut ab.«

310.000 sind arm

880.000 Menschen in Österreich sind armutsgefährdet. 310.00 sind arm. Was aber heißt Armut im dritten Jahrtausend? Arm laut Statistik ist, wer über nicht mehr als 780 Euro Haushaltseinkommen verfügt und z. B. in einer Substandardwohnung lebt. Oder wer gröbere Rückstände bei Zahlungen von Miete, Betriebskosten und Krediten hat. Arm ist, wer nicht genug Geld hat, um die Wohnung zu heizen oder Kleidung und Lebensmittel zu kaufen.

Die Armutskonferenz

Arm ist man auch, wenn es für einen Haushalt finanziell nicht möglich ist, zumindest einmal im Monat nach Hause zum Essen einzuladen. Denn arm ist, wer aus finanziellen Gründen am Alltagsleben nicht mehr teilnehmen kann. »Zur Armut führen viele Straßen« sagt ein altes Sprichwort. Die österreichische Armutskonferenz - »die Lobby derer, die keine Lobby haben« - weiß von vier Faktoren, die das Armutsrisiko von vornherein steigern: Keine oder vielfach atypische Erwerbstätigkeit, Geschlecht, Familiensituation und Staatsbürgerschaft. Nicht nur soziale Randgruppen - wie Haftentlassene, Wohnungslose und Suchtkranke - tappen in die Armutsfalle, sondern auch Langzeitarbeitslose, stark Überschuldete, Haushalte von Behinderten und Migranten-Haushalte. Und nach wie vor ist die Armut vor allem weiblich. 13 Prozent der Frauen sind armutsgefährdet, 9 Prozent der Männer. 200.000 Frauen und 110.000 Männer sind arm. Armut trifft besonders häufig Alleinerzieherinnen und mehr denn je arbeitende Menschen.

Immer mehr »Working Poor«

Atypische Beschäftigungsformen führen immer öfter zur Verarmung. Auch bei uns gibt es die »Working Poor«, wie man in den USA jene Menschen nennt, die seit Ende des 20. Jahrhunderts trotz mehrerer »McJobs« zu wenig zum Leben haben. Ihre Zahl nimmt auch in Österreich stetig zu, diagnostizieren Karin Heitzmann und Michael Förster im aktuellen Sozialbericht des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen. »Arbeit schützt vor Armut nicht«, warnt die Armutskonferenz und weist auf 57.000 arbeitende Menschen hin, die arm sind, hin: »Ein niedriges Erwerbseinkommen schlägt sich auch in nicht existenzsichernden Sozialleistungen bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und in der Pension nieder.«

NAP 2003 bis 2005

»Den Interessen nachzugeben, die einen Niedriglohnsektor mit Arbeit um jeden Preis forcieren, bedeutet eine gesellschaftspolitische Zeitbombe auf den Weg zu bringen.« Die Armutskonferenz entstand 1995 in Salzburg. Dort formierte sich ein breites und buntes Bündel von zivilgesellschaftlichen Kräften - Wohlfahrtsverbänden, Dachverbänden von Sozialinitiativen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Organisationen, wie den ÖGB-Frauen, Bildungs- und Forschungseinrichtungen und Zusammenschlüssen von Armutsgefährdeten wie Alleinerziehenden und Arbeitslosen. Das »Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung« hat es sich zur Aufgabe gemacht für soziale Grundrechte der Betroffenen einzutreten. In ihrem Newsletter Nummer 7 vom Mai 2003 legt die Armutskonferenz ihren Nationalen Aktionsplan für 2003 bis 2005 vor.

Geeignetes Forum fehlt

Beim Gipfel von Nizza im Dezember 2000 hat der Europäische Rat nämlich beschlossen, dass die EU-Mitgliedsstaaten alle zwei Jahre Nationale Aktionspläne zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung (NAP) ausarbeiten und an die Europäische Kommission übermitteln sollen. Die war vom letzten österreichischen NAP 2000 bis 2002 nicht gerade begeistert und kritisierte, dass er vor allem bestehende Maßnahmen aufliste, aber konkrete Zielvorgaben und Vorschläge fehlen würden. Auch würden keine finanziellen Ressourcen für die Umsetzung des NAP veranschlagt und bereitgestellt. Und von der Einbeziehung aller relevanten AkteurInnen könne keine Rede sein. Diese Ansicht vertritt auch Gabriele Schmid, Sozialpolitikerin der Bundesarbeitskammer, die die ArbeitnehmerInneninteressenvertretung in der Bundesplattform »Nationaler Aktionsplan für soziale Eingliederung« vertritt: »Soll ein ernsthafter Prozess zur Auseinandersetzung mit Armut und sozialer Ausgrenzung in Österreich eingeleitet werden, so braucht es unserer Ansicht nach geeignete Strukturen und Foren oder Plattformen, die den Prozess vorantreiben können. Ein solches Forum, das die wesentlichen Akteure Länder, NGOs, Sozialpartner, Regierungsvertreter umfasst, fehlt bislang.«

Wenig Interesse am Dialog

»Unser soziales Netz ist dicht geknüpft, und wir wollen im Verbund mit der Europäischen Union alles dazu beitragen, dass dies auch so bleiben kann. Denn damit wir unser ausgezeichnetes Sozialsystem erhalten, dürfen wir uns vor demografischen und sozialen Entwicklungen nicht verschließen, sondern müssen dieser Herausforderung aktiv begegnen« So weit Vizekanzler und Sozialminister Herbert Haupt in einer Presseaussendung am Vormittag des 16. April dieses Jahres.

Anlass für diese schönen Worte war die Tagung eben dieser Bundesplattform »Nationaler Aktionsplan für soziale Eingliederung«. Haupt dazu: »Gerade bei diesem entscheidenden Thema ist es sehr wichtig, dass alle Beteiligten ihre Maßnahmen aufeinander abstimmen, damit unter Bündelung aller Kräfte gemeinsam auf dieses Ziel hingearbeitet werden kann.«

Gabriele Schmid von der Abteilung Sozialpolitik der AK-Wien erinnert sich noch gut an den 16. April: »Am Nachmittag gab es eine Podiumsdiskussion, zu der aber weder Minister Haupt noch Staatssekretärin Ursula Haubner kamen. Das Podium kam daher einhellig zum Schluss, dass die politisch Verantwortlichen wohl wenig Interesse am Dialog haben.« Dabei hätte es viel zu besprechen gegeben, meint Gabriele Schmid: »Es tut mir leid, sagen zu müssen, eine Fortentwicklung, Anstrengungen, Bemühungen, das Thema Armutsbekämpfung und Armutsvermeidung aktiv anzugehen, kann ich seitens der Regierung keine erkennen.«

Armutsfalle geht weiter auf

Denn nach wie vor würden dringend erforderliche Aktivitäten für armutsgefährdete und arme Bevölkerungsgruppen im NAP fehlen. Die Regierungspläne das Pensions- und Gesundheitswesen betreffend, würden noch mehr Menschen als bisher in die Armut treiben. »Die geplanten Selbstbehalte in der Krankenversicherung treffen insbesondere Arme, chronisch und schwer Kranke«, erklärt die Expertin und: »Die geplante Verlagerung der Notstandshilfe in die Sozialhilfe grenzt Langzeitarbeitslose weiter aus und verschärft deren ökonomische Situation.«

Maßnahmen, von denen auch Claudia F. betroffen sein wird. Ihr kleines Budget wird noch mehr schrumpfen, damit das große Budget weiter glänzen kann. Dass die Regierung an einem Nationalen Aktionsplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung arbeitet, wird relativ spurlos an ihr vorüber gehen. Wenn sie ein paar Euro übrig hat wird sie wieder einmal Lotto spielen, vielleicht hat sie ja Glück. Wie sagt ein Schweizer Sprichwort: »Hinter jedem Reichen steht ein Teufel, und hinter jedem Armen - zwei.« Hinter jeder armen Frau sind es vermutlich noch ein paar mehr.

Armutsgefährdungsschwellen für unterschiedliche Haushaltstypen, 1999
Haushaltszusammensetzung Jahreswerte, öS Jahreswerte, EUR
Einpersonenhaushalt 128.900 9.370
Ein Erwachsener + 1 Kind 167.600 12.180
Zwei Erwachsene 193.400 14.050
Zwei Erwachsene + 1 Kind 232.000 16.860
Zwei Erwachsene + 2 Kinder 270.700 19.680
Zwei Erwachsene + 3 Kinder 309.400 22.490

Quelle: IFS (2002), Europäisches Haushaltspanel (ECHP/PDB), 6. Welle, eigene Berechnungen
Bemerkung: Armutsgefährdungsschwellen in Netto-Jahreswerten. Zahlen auf 100er-Stellen (öS) bzw. 10er-Stellen (EUR) gerundet.

Von akuter Armut wird gesprochen, wenn zu den oben beschriebenen beschränkten finanziellen Verhältnissen auch Einschränkungen zur Abdeckung grundlegender Lebensbedürfnisse treten. Dies wird dann angenommen, wenn - zusätzlich zu geringem Einkommen - eine der fünf folgenden Situationen auftritt:

  1. Substandardwohnung;
  2. Rückstände bei Zahlungen von Mieten und Krediten;
  3. Probleme beim Beheizen der Wohnung;
  4. Unmöglichkeit, abgenutzte Kleidung durch neue Kleider zu ersetzen;
  5. Unmöglichkeit, zumindest einmal im Monat nach Hause zum Essen einzuladen.

Akute Armut umfasst also die am meisten gefährdete Untergruppe innerhalb der armutsgefährdeten Bevölkerung.


Armutsgefährdung im europäischen Vergleich:
Armutsgefährdungsrate (%)
Dänemark 8
Finnland 9
Schweden 12
Österreich 13
Niederlande 13
Deutschland 14
Belgien 15
Frankreich 17
Italien 19
Spanien 19
Irland 20
Vereinigtes Königreich 22
Griechenland 22
Portugal 23
Quelle: Europäisches Haushaltspanel

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Tue, 15 Jul 2003 00:00:00 +0200 1189007908894 Halber Steuersatz für Unternehmer: 600-Millionen-Euro-Steuergeschenk Nach Protesten aus AK und Gewerkschaft gegen den Plan der Regierung den Steuersatz auf nicht entnommene Gewinne zu halbieren, hat die Regierung Änderungen angekündigt.

Doch alle Abänderungsankündigungen der Regierung ändern nichts: Der halbe Steuersatz für nicht entnommene Gewinne ist für AK-Direktor Werner Muhm »ein 600-Millionen-Euro-Steuergeschenk an Unternehmer und Freiberufler«, bringt wirtschaftspolitisch nichts und schafft keine zusätzlichen Arbeitsplätze.

Dass jetzt angeblich der 20-prozentige Mindeststeuersatz fällt und auch so genannte kleine Gewerbetreibende davon profitieren sollen, bezeichnet Muhm als »reine Augenauswischerei«. »Kleinunternehmer können gar keinen Gewinn im Unternehmen stehen lassen - sie müssen ja von etwas leben«, sagt Muhm. Bei dieser Steuerreform würden ohnehin nur gut verdienende Unternehmer und Freiberufler gewinnen. Für sie genügt es, den Gewinn auf einem Firmenkonto zu parken - sie müssen keinen einzigen Euro tatsächlich ins Unternehmen investieren. Auch wenn diese Unternehmen den so erzielten Gewinn, dem Vernehmen nach, erst nach sieben, statt wie ursprünglich vorgesehen, schon nach fünf Jahren steuerfrei entnehmen können, bleibt der halbe Steuersatz damit ein Super-Prämiensparmodell für Unternehmer. Statt wirtschaftspolitisch sinnloser Steuergeschenke verlangt die AK eine wirkliche Investitionsförderung für Unternehmen. Allein im vergangenen Jahr sind die Unternehmensinvestitionen um 4,8 Prozent zurückgegangen. »Aber nur wenn Unternehmen tatsächlich investieren, belebt das die seit drei Jahren stagnierende Wirtschaft, sichert und schafft Beschäftigung«, sagt AK-Direktor Muhm.

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W. L. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jul 2003 00:00:00 +0200 1189007908879 Kommentar | Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges 1)]]> Sind sie doch die wesentlichsten Voraussetzungen, um die Position nicht nur der Gewerkschaften, sondern aller Gegner einer Änderung des Pensionssystems in Österreich verstehen zu können und um gleichzeitig all jene zu warnen, die sich von den geplanten Opfern der Bundesregierung eine Besserung der Situation erwarten.

1. Die Pensionen sind finanzierbar.

Nicht nur das, Österreich hat eines der besten und leistungsfähigsten Pensionssysteme der Welt. Jeder Mensch in Österreich, der sich mit den wirtschaftlichen Daten beschäftigt, weiß dies. Der staatliche Zuschuss zu den Pensionen gemessen am BIP sinkt sogar! Gefragt ist vielmehr eine Anhebung der unteren Pensionen! Alle aber, die für eine Kürzung der Pensionen eintreten, müssen ehrlicherweise sagen: wir wollen uns dieses Pensionssystem nicht mehr leisten.

2.Die Finanzierbarkeit der Pensionen hängt am wenigsten von der demographischen Entwicklung ab.

Auf dieses Killerargument fallen erstaunlicherweise fast alle herein, - vor allem auch JournalistInnen.

Nach diesem Dogma würden etwa in Nigeria derzeit die PensionistInnen am besten leben, da dieses Land eine der jüngsten Bevölkerungen hat. Ob Pensionen finanzierbar sind und bleiben, hängt in erster Linie von der Produktivität der Wirtschaft ab. Ein Vergleich mit der Landwirtschaft macht da sicher. Um es mit Norbert Blüm, dem ehemaligen Sozialminister der CDU, auszudrücken: »Eigentlich müssten wir nach der Kopfzahltheorie verhungert sein, weil 1900 ein Bauer drei Konsumenten ernährt hat, heute aber auf einen Landwirt über achtzig Verbraucher kommen.« Gemessen an der Zeit nach dem 2. Weltkrieg sind wir heute um so vieles reicher und leistungsfähiger, dass Pensionssicherung (wie alle anderen sozialen Errungenschaften auch) heute nur eine Frage der Verteilung und des Verteilungswillens ist. Bei einem jährlichen Wachstum der Produktivität von 2% stellt jeder Werktätige in 50 Jahren pro Stunde um knapp 170% mehr her als heute!

3. So lange es keine Besteuerung nach Wertschöpfung gibt, hängt unser Sozialsystem in zweiter Linie von der Anzahl der Arbeitsplätze und dem Grad der Beschäftigung ab.

Oder, um es mit anderen Worten auszudrücken: hätten wir uns in den sechziger und siebziger Jahren auch den Luxus von 300.000 Arbeitslosen (oder wie in Deutschland fünf Millionen) geleistet, wären damals schon in unseren Pensionskassen größere Löcher entstanden.

4. »Wir« haben also auch nicht

- wie es immer als Argument kommt - über unsere Verhältnisse gelebt, sondern die Politik der letzten 20 Jahre hat Einkünfte aus Gewinnen und Vermögen über unsere Verhältnisse entlastet. Diese Milliarden gehen uns immer mehr ab.

Und es soll ja noch schlimmer kommen: Viele Politiker drohen uns mit einer weiteren Senkung der Abgabenquote. Hier beginnt wohl das schäbigste Spiel neoliberaler Politiker à la Bartenstein und Grasser. Wenn sie von Steuersenkungen und Entlastungen sprechen, verbinden die DurchschnittsösterreicherInnen damit die Vorstellung, dass damit ihre Steuern und Abgaben gemeint wären. Weit gefehlt. Bartenstein im O-Ton: Idealziel 25% Körperschaftssteuer!2)

Solche Aussagen sind eine generelle Kriegserklärung an den Sozialstaat: Man hungert den Staatssäckel aus, schafft damit das Diktat der leeren Kassen und kann somit weitere Steuererleichterung für Unternehmungen fordern: Umverteilung von unten nach oben unter schamloser Benützung des viel geschmähten Staates.

5. Die Frage der Finanzierbarkeit der Pensionen ist also

- wen wundert’s? - eine Verteilungsfrage. Auch in dieser Frage weiß an sich jeder Experte, dass der Anteil der Lohnsteuer am Gesamtsteueraufkommen sich ständig erhöht und der Anteil der Gewinn- und Vermögenssteuern verringert hat, wobei die Einkommen aus Gewinnen und Vermögen sich im Vergleich zu den Löhnen und Gehältern um das Vielfache erhöht haben.

6.Frühpensionierungen sind nicht ein Ziel an sich, aber ein gutes Medikament bei Versagen einer guten Arbeitszeitpolitik.

Wenn Produktivitätssteigerung nicht in einem ausreichenden Maße an Konsumenten und Arbeitnehmer weitergegeben wird, bestraft sich die Wirtschaft selbst.
Das Geheimnis der Aufschwungphase nach dem Krieg war, dass dies zumindest in gewissem Ausmaß in Form von Reallohnsteigerungen und Arbeitszeitverkürzungen für die Beschäftigten geschah. Seit dem Beginn der Achtziger- jahre ist es damit vorbei. Die in Österreich nun so verketzerten Frühpensionierungen sind eigentlich ein Grund für unser langsameres Bremsen der Konjunktur, weil de facto damit die nicht weitergeführte wöchentliche Arbeitszeitreduktion auf diesem Wege teilkompensiert wurde. Ansonsten wäre die Arbeitslosenrate etwa gleich hoch wie im EU-Durchschnitt. Und Arbeitslosigkeit ist bekanntlich die teuerste Form der Arbeitszeitverkürzung.

7. Wie man bei fallenden Börsenkursen, rundum crashenden Pensionsfonds und ständigen Leistungskürzungen bei Privatpensionen kapitalgedeckte Pensionen als Alternative anpreisen kann, ist ein Meisterstück gelungener Manipulation unserer Zeit.

Aktuell müssen die Schweizerischen Pensionskassen zugeben, dass sie mit 50 Milliarden Franken (!) in der Kreide sind, und ihre Kunden damit zu beruhigen versuchen, dass sie beteuern, nicht insolvent zu sein, sondern nur ihren vertraglichen Leistungen nicht mehr nachkommen zu können.3)

8. Wird dieser Umstieg noch dazu vom Staat steuerlich gefördert, kommt dieses System teurer als das alte:

Das britische Pensionssystem - übrigens nach einer Umstellung im Schüsselschen Sinn eines der schlechtesten der EU - kommt dadurch dem Staat um ein Drittel teurer: Österreich verwendet 2% des Budgets für Pensionszuschüsse, Großbritannien verwendet 3% für Steuererleichterungen, die natürlich wiederum den Wohlhabenderen mehr nützen. Ein Drittel der PenionistInnen ist in Großbritannien seitdem verarmt.

9. In Wahrheit geht es dieser Regierung darum, ein System einzuführen, welches bei einer Grundpension mit einer ca. 50%igen Nettoersatzrate landet.

Die FPÖ hat das seit dem Jahr 2000 in ihrem Programm, und »Experte« Dr. Matzal gib es auch unumwunden zu: Alle unter-35-Jährigen, die nicht monatlich mindest 200 Euro für ihre Pension verwenden, werden im Alter nicht viel haben4). Die großen Verlierer werden also die Jungen sein. Damit wird das Inserat des Herrn Bundeskanzler mit einem Zitat des »Experten« Tomandl zur blanken Lüge: »Gewinner sind die Jüngeren5)

10. Die Armut in Österreich wird nach »Reformen« wie die vorliegende steigen, die Wirtschaft noch mehr lahmen.

Man rechnet mit einem Rückgang des BIP um bis zu vier Prozentpunkten. Es soll sich daher niemand wundern, wenn von einer Regierung, die diese grundlegenden Zusammenhänge ignoriert, in ein paar Jahren die nächste »Reform« ausgerufen wird, weil es der Wirtschaft noch schlechter geht, die Staatseinnahmen weiter sinken, das Budgetloch noch größer geworden ist. Eine Reform wie diese schüttet Öl ins Feuer und fährt Wirtschaft und Sozialstaat vorsätzlich an die Wand.

1) Dieser Beitrag ist in gekürzter Form in der Tageszeitung »DER STANDARD« erschienen
2) Der STANDARD, 16./17. November 2003
3) ORF, Ö1 Morgenjournal, 28. Mai 2003
4) ORF Ö 1 Abendjournal, 27. Mai 2003
5) Z. B. Der STANDARD, 28./29. Mai 2003, Seite 3

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Sepp Wall-Strasser (Bildungssekretär des ÖGB Oberösterreich) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jul 2003 00:00:00 +0200 1189007908854 Standpunkt | Information oder Propaganda? Angesichts der Massen auf dem Heldenplatz urteilten ausländische Beobachter: »Dies ist keine übliche Gewerkschaftsdemonstration, sondern eine Volkserhebung.« Die rund eine Million Teilnehmer an den verschiedenen Streikaktionen sprechen eine überdeutliche Sprache. Die Sorge und die Empörung der Menschen angesichts all dieser geballten sozialen Ungerechtigkeiten hat Ausdruck gefunden.

Wie geht es weiter? Wichtig ist eine permanente Aufklärung angesichts der Verschleierungstaktik der Regierung:

Steuerreform?

Die für 2004 geplante Steuerreform für niedrigere Einkommen wird nach Berechnungen der AK die Verluste aus der Pensionsreform nicht kompensieren. »Die typische Pensionskürzung von rund zwölf Prozent, die viele betreffen wird, wird die Gewinne aus der Steuerreform deutlich übersteigen«, betonte Christoph Klein, Leiter des Sozialbereichs der AK Wien. Und auch die zuletzt von der Regierung in Aussicht gestellten Maßnahmen für niedrige Einkommen - Härtefonds und Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes - hätten nur minimale Wirkung.

Der Härtefonds, in der Öffentlichkeit als effiziente Abmilderung von Härtefällen verkauft, erweist sich bei genauerer Untersuchung als Attrappe, als Verpackungsschwindel, wo was anderes drin ist als draufsteht.

Härtefonds?

»Empört und verblüfft« reagiert man in der Arbeiterkammer, dass nach all den »vollmundigen, großspurigen Ankündigungen der FPÖ, was man für die Hackler und Schwerarbeiter alles tun werde, praktisch nichts« übrig geblieben sei. »Lächerlich« nennt Christoph Klein, Leiter des Sozialbereichs der AK Wien, die vorliegenden Ergebnisse. Nur ein Teil der Bezieher niedriger Pensionen verfügten über ausreichend Beitragsjahre, um aus dem Härtefonds überhaupt Mittel zu bekommen. Und wenn, dann gehe es um die »Einmalsumme von sage und schreibe ca. 285 Euro«. Weiters haben nur etwa vier Prozent der Bauarbeiter und ca. fünf bis acht Prozent in den Industriebranchen ausreichend Beitragsjahre, um als Hackler zu gelten.

Bestehende Pensionen unangetastet?

»Für den Härtefonds, bei dem die Kleinstpensionisten ab nächstem Jahr um eine milde Gabe betteln dürfen, gibt es für das Jahr 2004 nur 10 Millionen Euro«, sagt der Vorsitzende der ÖGB-PensionistInnen Johann Schmölz. Zusätzlich sei im verabschiedeten Entschließungsantrag »betreffend einheitliches Pensionsrecht für alle Erwerbstätigen« vorgesehen, die älteren Menschen im Rahmen der jährlichen Pensionsanpassung auch längerfristig mit Einmalzahlungen abzuspeisen. »Die Regierung bricht damit ihr Versprechen, eine Anpassungsformel zu erarbeiten, die den Älteren den Wert ihrer Pension sichert. Wir werden dieses Vorhaben nicht kampflos hinnehmen.«

Trotz des Versprechens der Regierung, es werde keine Eingriffe in bestehende Pensionen geben, hat auch das Budgetbegleitgesetz eine Kürzung des Einkommens der Pensionisten zur Folge. Der Krankenversicherungsbeitrag der Pensionisten wurde mit dem Gesetz um ein Prozent erhöht, ein Freizeitunfallversicherungsbeitrag von 0,1 Prozent wurde eingeführt. Dazu kommt, dass die Anpassung im ersten Kalenderjahr nach Pensionsantritt in Hinkunft ausfällt. Bezieher einer Pension von mehr als ca. 660 Euro monatlich erhalten 2004 und 2005 anstelle einer prozentuellen Anpassung ihrer Pension zudem nur einen sehr niedrigen Fixbetrag. »Die Kaufkraft der älteren Menschen sinkt laufend. Die Regierung aber verprasst Millionen Euro, um die Bevölkerung mit Desinformation und Propaganda über ihre unsoziale Politik zu belästigen«, sagt Schmölz.

Ein nahezu lächerlicher Vorwurf ist uns vor kurzem zu Ohren gekommen. Wir hätten angeblich die Dinge »einseitig« dargestellt. Hier geht es aber nicht um Parteipolitik. Es geht um die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, ganz gleich welcher politischen Gruppierung sie sich zugehörig fühlen. Zum Beispiel im Bundesvorstand des ÖGB sind die Beschlüsse fast immer einstimmig, obwohl dort alle Parteien bzw. Fraktionen vertreten sind. Im Prinzip bringen wir Sachinformationen, Meinungen sind, zumindest in diesem Heft, extra gekennzeichnet.

Wir lassen uns durch derartige Kritik nicht irre machen und werden weiterhin die Dinge beim Namen nennen.

Siegfried Sorz

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Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jul 2003 00:00:00 +0200 1189007908820 Freie Bahn - für wen? Eine Aufgliederung der ÖBB in »operative Einheiten« unter einer neuen Holding und letztlich die Suche nach einem »strategischen Partner« seien dazu erforderlich, meint die Regierung. Wird die Bahn nur von altem Ballast frei gemacht, um im Wettbewerb besser bestehen zu können, oder soll nicht doch eine freie Bahn geschlagen werden für die Konkurrenz der ausländischen Eisenbahnen und vor allem für die Lobby der Straßenfrächter?

Die ÖBB - so wieder einmal der Vorwurf der Regierung - hätten zu viele Beschäftigte, die zu teuer arbeiten und zu früh in Pension gingen, was zu Schulden der Bahn führe, die der Staat dann mit Zuschüssen auffangen müsse. Doch die Realität sieht anders aus.

Finanzierungsbedarf und Schulden

Wie kam und kommt es zu den Schulden der Bahn? Seit 1983 gibt es laut Gesetz für die ÖBB die so genannte Trennungsrechnung. Es wurde der kaufmännische vom gemeinwirtschaftlichen Bereich getrennt. Der erste machte und macht Gewinne. Die nicht kostendeckenden Leistungen aus dem gemeinwirtschaftlichen Sektor, die aber gesetzlich zu erbringen sind (Sozialtarife für Schüler, Senioren, Lehrlinge, Pendler usw.) werden vom Staat bezahlt, in der Öffentlichkeit aber als Defizit hingestellt.

Schon mit dem Konzept »Neue Bahn« der großen SPÖ-ÖVP-Koalition 1986 entledigte sich der Bund als Eigentümer eines Teils der Bahnfinanzierung. So wurden ab damals die ÖBB gezwungen - ähnlich der Konzepte für Verstaatliche Industrie und Post - den Investitionsaufwand für den Bahnausbau durch Fremdkapital bei den Banken und nicht mehr aus dem Budget zu finanzieren.

Finanzielle Aushungerung

Der nächste Schritt war die Ausgliederung der ÖBB aus dem Bundesbudget mittels Bundesbahngesetz (BBG) 1992 ab dem Jahr 1994. Damit wurden die ÖBB entsprechend den EU-Vorgaben für den EU-Beitritt Österreichs ab 1995 hergerichtet. Letztendlich bedeutete das eine weitere finanzielle Aushungerung der Bahn. So zahlten die ÖBB ab diesem Zeitpunkt jährlich ein eigenes Schienenbenutzungsentgelt, das sich derzeit auf ca. 280 Millionen Euro im Jahr beläuft. Hinzu kommen für die neue ÖBB-AG bisher nicht gekannte Belastungen wie Mineralöl-, Kommunal- oder Körperschaftssteuer usw.

Anstatt das nötige Geld direkt vom Bund zu erhalten, wurde die Schieneninfrastrukturgesellschaft (»SCHIG alt«) im direkten Besitz des Bundes geschaffen, über die die Gelder an die ÖBB, die Hochleistungsstrecken-AG (HL-AG), die Brennereisenbahn-Gesellschaft und allfällige Privatbahnen laufen. Über die SCHIG soll der Bund die nötigen Investitionen tätigen oder initiieren, welche die ÖBB allerdings zu einem erheblichen Teil durch teure Kreditaufnahmen bei den Banken finanzieren musste und muss. Dadurch entstehen Zinsendienste, so dass sich im Jahr 2003 bei der SCHIG mittlerweile an die 9 Milliarden Euro Schulden angehäuft haben. Die Zahlungen des Bundes welche die ÖBB belaufen sich derzeit für Betrieb, Investitionen, Zinsen, gemeinwirtschaftliche Leistungen - vor allem für den öffentlichen Personennahverkehr, Rückvergütung für die Mineralölsteuer und Pensionszahlungen - auf rund 4,21 Milliarden Euro (siehe Tabelle: »Zahlungen an die ÖBB«).

Zahlungen des Bundes
an die ÖBB
(In Millionen Euro)
Vom Bund
INFRASTRUKTUR
Betrieb 1.359
Investitionen 726
Zinsen 145
Gemeinwirtschaftliche Leistungen 603
MÖST-Rückvergütung 11
Pensionszahlungen 1.365
Zwischensumme 4.209
ANDERE
Familienlastenausgleichsfonds 54
Verkehrsverbünde 146
Verkehrsverträge mit Ländern und Gemeinden 28
Gesamt 4.437
Quelle: BMVIT

»Österreich ist das einzige Land in Europa, das Investitionsmittel und gemeinwirtschaftliche Bestellungen, in diesem Falle bei den ÖBB, nicht als Bezahlung für Aufträge, die sie im Namen von Bund, Ländern und Gemeinden erfüllt, sondern als Zuschüsse oder gar Defizite deklariert. Auch werden keinem anderen Unternehmen in Österreich Pensionszahlungen an seine ehemaligen Beschäftigten vorgehalten, den ÖBB schon«, so der Vorsitzende der Gewerkschaft der Eisenbahner (GdE) Wilhelm Haberzettl.

ÖBB-Pensionen: Vorwand für Kürzungen

Auch die Pensionszahlungen des Eigentümers Staat und das frühe Pensionsantrittsalter für die Bahnmitarbeiter werden bewusst als für das ÖBB-Defizit verantwortlich hochgespielt. Aber die Eisenbahner gehen nicht in Frühpension, sondern sie erwerben die Anwartschaft auf ihre Pension. Bis dato kann jeder Eisenbahner, der mindestens 35 Versicherungsjahre im Unternehmen ÖBB nachweisen kann, in den Ruhestand gehen. Unter Mitwirkung der GdE wurde das Dienstrecht für alle ab 1. 1. 1995 neu eingetretenen Eisenbahner geändert, sie unterliegen dem Angestelltengesetz und dem ASVG. Das heißt, das Thema ÖBB-Pensionen ist ein Auslaufmodell. Die Eisenbahner im alten Dienstrecht - sowohl die Aktiven als auch die Pensionisten - bezahlen überdies in Form eines Pensionssicherungsbeitrages um rund 5 Prozent mehr Beiträge als andere Versicherte. Ein Eisenbahner bezahlt im Jahr rund 900 Euro mehr Pensionsbeiträge als jeder ASVG-Versicherte. Aus diesem Titel ist beim Bund inzwischen eine Summe von rund 870 Millionen Euro gelandet.

»Hinter dieser Strategie steckt das Aushungern der ÖBB zugunsten der Konkurrenz, insbesondere gegenüber dem Straßengüterverkehr«

ÖBB-Holding: Vorwand für Privatisierung und Ausverkauf

»Natürlich öffnet sich die Schere zwischen Beitragsdeckung und Aufwendungen, weil ja in das alte System keine Beiträge mehr fließen. Aber die Neuversicherten bei den ÖBB bezahlen dafür jetzt 40 Jahre in die ASVG ein, ohne in dieser Zeit Leistungsansprüche zu stellen. Man sollte hier einmal gegenrechnen«, so Haberzettl. Nach dem Konzept der Bundesregierung sollen die ÖBB massiv umgebaut werden. Güter- und Personenverkehr sollen stärker getrennt, das Streckennetz verkleinert, weiteres Personal (7000 Arbeitsplätze bis 2006) eingespart, die Bundeszahlungen jährlich um rund 500 Millionen Euro reduziert und Private mehr eingebunden werden. Das für die ÖBB zuständige Verkehrsministerium will mit den ÖBB längerfristige Verträge schließen, um die Höhe der Bundeszahlungen festzuschreiben, d. h. zu deckeln und damit zu reduzieren. Vorgesehen ist im Rahmen so genannter Public-Private-Partnership-Modelle (PPP) private Firmen im Bahnbereich verstärkt einzubinden, etwa bei Güter-Terminals ober bei bestimmten Trassen wie der Pyhrn-Achse.

Gleichzeitig sollen die ÖBB eine neue Struktur erhalten, an die ÖIAG (Österreichische Industrieholding AG) angegliedert und letztlich Teilbereiche - vor allem der Güterverkehr der Bahn - privatisiert werden. Als weiterer wichtiger Grund für diese Veränderungen wird von der Regierung die mit 15. März 2003 wirksam gewordene EU-Bahnliberalisierung genannt. Und so sieht der Plan im Detail aus:

ÖBB-Neu

Unter einer zunächst zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes befindlichen »ÖBB-Holding« werden die ÖBB in fünf Teile und darunter in weitere selbständige und eigenverantwortliche Teilgesellschaften zerlegt (siehe Grafik »ÖBB-Holding laut Gesetzesentwurf«).

Getrennt von der Holding, direkt unter den Fittichen des Bundes, bleiben nur zwei Gesellschaften. Erstens die Brenner-Eisenbahn GmbH (BEG), die Kern einer internationalen Brenner-Infrastrukturgesellschaft werden soll. Zweitens die neu zu errichtende Schieneninfrastruktur-Vermittlungs GmbH (»SCHIG neu«), in der die Trassenvergabe, die Festsetzung und Einhebung des Schienenbenutzungsentgelts, die Finanzierungsgestaltung und die technologische Weiterentwicklung angesiedelt wird.

Nach dieser Reorganisation, die 2004 abgeschlossen sein soll, sieht die Regierung die »strategische Ausrichtung« der darunter liegenden Gesellschaften vor. Ende der Legislaturperiode 2007 soll die Holding mit autonomen Subgesellschaften operativ tätig sein. In weiterer Folge werde, so Staatsekretär Kukacka, die Privatisierung von Teilbereichen angepeilt.

Die finanziellen Auswirkungen dieser Regierungspläne bringen die ÖBB in noch größere Schwierigkeiten. Die Schulden der »SCHIG alt« in Höhe von ca. 9 Milliarden Euro mit einem Haftungsrahmen von bis zu 14,5 Milliarden Euro sollen durch Eingliederung der »SCHIG alt« und praktisch des gesamten Anlagevermögens der ÖBB samt Immobilien in den neuen ÖBB-Teilbereich »Bau/Planung« als - wie es nach diesem Konzept heißt - »Gegenfinanzierung« für die »SCHIG neu« den ÖBB umgehängt werden. Damit wird sich der schon bestehende Zinsendienst der ÖBB von derzeit 591 Millionen Euro weiter erhöhen und deren Handlungsspielraum noch mehr einschränken. Um die so »entstandenen« neuen Schulden zu reduzieren, sollen die ÖBB laut Regierungsvorhaben jährlich 500 Millionen Euro selbst aufbringen, unter anderem durch den Verkauf von Immobilien. Zusätzlich soll für die ÖBB das Schienenbenutzungsentgelt von derzeit knapp 280 auf über 550 Millionen Euro verdoppelt werden. Ein Todesstoß- statt einem Ausbauprogramm.

Gleichzeitig wird die vom Bund geplante »SCHIG neu« als eine in der beschriebenen Weise von den »Altlasten« befreite Gesellschaft errichtet. Diese erhält künftig die für die Bahn vorgesehenen Bundesgelder und finanziert damit den Neuausbau und die Trassenvergabe, wobei verstärkt Private einbezogen werden sollen. Bundesgeld, das für die ÖBB angeblich nicht da ist, wird über die »SCHIG neu« an den ÖBB vorbei zu privaten Firmen umgeleitet. So wird die Privatisierung und der Ausverkauf der österreichischen Bahn - möglichst unbemerkt vor der Öffentlichkeit - eingeleitet und forciert.

Dabei stehen die ÖBB keineswegs schlecht da. Der Umsatz war 2002 mit 2,11 Milliarden Euro gleich hoch wie 2001, der Gewinn stieg um 3 Millionen auf 125 Millionen Euro, der Personenverkehr auf fast 279 Millionen beförderter Personen, der Gütertransport auf fast 88 Millionen Tonnen, was den achten Tonnage-Rekord in Folge seit 1994 bedeutet. Die Produktivität stieg weiter auf über eine Million Einheitskilometer je Beschäftigten. Lediglich der ÖBB-Personalstand wurde weiter reduziert - auf 47.000 Beschäftigte im Jahr 2002.

Nach Ansicht der AK ist es Ziel der Regierung, die ÖBB als integriertes und erfolgreiches staatliches Eisenbahnunternehmen in Europa zu schwächen. AK-Verkehrsexpertin Sylvia Sarreschtehdari-Leodolter: »Die ÖBB liegen international im Spitzenfeld«. Bei der gewinnträchtigen Güterbeförderung ist die ÖBB fünftgrößter Player in Europa. Trotz des massiven Lkw-Verkehrs werden in Österreich 35% der Güter auf der Schiene transportiert. Der EU-Durchschnitt liegt nur bei 14%. Aus einer Studie der ÖBB geht hervor, dass den ÖBB durch eine Aufgliederung und allein durch den Wegfall der damit verbundenen Synergieeffekte jährlich Mehrkosten in Höhe von 109 Millionen Euro erwachsen.1)

»Da es derzeit nur bedingt europäische Rahmenbedingungen bzw. österreichische Regelungen dafür gibt, müssen sich weder ausländische noch inländische Privatbahnen an Sicherheits-, Ausbildungs- und Arbeitsrechtsstandards halten«

Weniger Geld des Bundes für die von den ÖBB erbrachten Leistungen bedeutet aber weniger Geld für Investitionen, Instandhaltung und Schienenausbau. Im Endeffekt führt das aber zu weniger Sicherheit, weniger Nahverkehr und insgesamt zur Verschlechterung des Bahnangebots. Damit werden die Kunden ausbleiben und es findet eine indirekte Bevorzugung des Individualverkehrs und des Güterverkehrs auf der Straße statt.

Liberalisierung - weitere Benachteiligung der Bahn

Marktmäßig liegen die ÖBB als integriertes staatliches Unternehmen in Bezug auf die EU-Liberalisierung schon jetzt im guten europäischen Mittelfeld.2) Durch die mutwillige Schwächung der erfolgreichen ÖBB wird eine Wettbewerbssituation zu privaten Anbietern erst künstlich erzeugt. Die Bundesregierung erweist sich damit als Musterschüler mit vorauseilendem Gehorsam. Denn der geplante ÖBB-Umbau, der einen wesentlichen Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, die Bahndienstleistung, der Privatisierung zuführt, stellt einen Vorgriff auf das GATS-Abkommen (General Agreement on Trade and Services) der Welthandelsorganisation (WTO) dar.

Dieses strebt die volle Liberalisierung und Privatisierung von Dienstleistungen an. Allerdings hat die Bundesregierung auf die aus der bereits existierenden EU-Liberalisierung und aus den noch viel weiter reichenden GATS-Plänen resultierenden Veränderungen für die ÖBB in den Bereichen Sicherheit, Arbeitszeit- und Ausbildungsregelung immer noch nicht reagiert.

»Hier sind die Versäumnisse besonders groß«, kritisiert der Verkehrsexperte der AK Wien Gregor Lahounik die Situation. Und weiter: »Derzeit gelten für die angesprochenen Bereiche in Österreich die internen Vorschriften und Richtlinien der ÖBB.

Dies ging so lange gut, als es in Österreich nur die ÖBB und einige österreichische Privatbahnen gab, die die ÖBB-Vorschriften übernahmen. Mit der Liberalisierung fahren auch ausländische Bahnen im grenzüberschreitenden Verkehr auf Österreichs Schienen. Da es derzeit nur bedingt europäische Rahmenbedingungen bzw. österreichische Regelungen dafür gibt, müssen sich weder ausländische noch inländische Privatbahnen an Sicherheits-, Ausbildungs- und Arbeitsrechtsstandards halten. Es herrscht ein gesetzliches Vakuum. Überdies gibt es weder technische Vorkehrungen (wie Tachographen), noch Instanzen und Personal, um Verstöße - ähnlich wie im Straßenverkehr - zu kontrollieren«.3)

Anstatt hier schnell Abhilfe zu schaffen, zum Beispiel die Eisenbahnbehörde personell besser auszustatten und ihr mehr Kompetenz mit klaren gesetzlichen Grundlagen für alle Eisenbahnunternehmen zu übertragen, ist durch die so genannte Verwaltungsreform (Deregulierungsgesetzes 2001) eine gegenteilige Entwicklung eingetreten: Es fand eine Regionalisierung der Prüfung und Überwachung eisenbahnrelevanter Betriebs-, Sicherheits- und Baubestimmungen auf 94 regionale Eisenbahnbehörden (Bezirkshauptmannschaften) für die Anschlussbahnen, sowie neun weiterer Behörden für die Nebenbahnen statt. Dementsprechend herrscht auf diesem Gebiet ein völliges Chaos. Überdies haben in den letzten Jahren die Kürzungen der Budgetmittel im Erhaltungsbereich um 220 Millionen Euro zu einem Raubbau an der Substanz der ÖBB geführt.4)

Wohin die Liberalisierung führen kann, zeigen ausländische Beispiele. Höhere und unübersichtliche Fahrpreise, mehr Bahnunfälle, mehr Verspätungen, geringeren Komfort, Ausdünnung des Angebots und eine Verschlechterung der Qualität besonders im ländlichen Raum. »In Dänemark zum Beispiel entfallen Züge, weil die Privatbetreiber zu ihren Konditionen keine Beschäftigten mehr bekommen. In Großbritannien, dem Musterland der Privatisierung, musste nach dem Zusammenbruch des liberalisierten Eisenbahnmarktes wieder der Staat in die Bresche springen. Der Nachholbedarf lag bei 5 Milliarden Euro«, skizziert der oberste ÖBB-Personalvertreter Haberzettl die Nachteile für Steuerzahler und Bahnkunden.

1) Vergleiche Gregor Lahounik, Karl Delfs, Christine Kainz, Sylvia Sarreschtehdari-Ledodolter, Ernst Spuller, Harald Voitl: Endstation Trennung. Ein Memorandum der AK und der GdE zur Trennungsdiskussion bei den ÖBB, Wien 2001
2) Das ergibt eine Studie der IBM Business Consulting Services in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Dr. Christian Kirchner von der Humboldt-Universität Berlin zur Liberalisierung der europäischen Eisenbahnverkehrsmärkte, Brüssel Dezember 2002
3) Vergleiche auch: Christine Kainz/Ernst Spuller/Harald Voitl; GdE/AK: Eisenbahnsystem in Österreich, Defizite/Herausforderungen, Wien 2002
4) Vergleiche Memorandum der GdE an eine künftige Bundesregierung über notwendige verkehrspolitische Schwerpunkte, 5.12.2002

Arbeit & Wirtschaft - Interview
Wilfried Leisch spricht mit Wilhelm Haberzettl

Das bedeutet das Ende der ÖBB

A&W: Warum sind die Regierungspläne zur ÖBB so gefährlich?
Wilhelm Haberzettl:
Weil man das einheitliche Unternehmen ÖBB mutwillig auseinanderreißt. Das hat gravierende Folgen für die Geschäftstätigkeit, die Beschäftigten und die Bahnkunden.

Zum Beispiel der geplante Teilbereich Absatz: Da wird es sofort zur Trennung in Personen- und Güterverkehr kommen. Der Güterverkehr wird, weil der Finanzministers dafür nichts mehr bezahlen will, gezwungen werden, sich entweder Partner zu suchen, oder an die Börse zu gehen. Der Personenverkehr wird noch weiter regionalisiert werden.

Derzeit ist es noch so, dass der lukrativere Güterverkehr den nicht profitabel zu führenden öffentlichen Personennahverkehr, der letztlich 80 Prozent des gesamten Personenverkehrs ausmacht, indirekt mitfinanziert.

Bei einer Trennung der beiden Bereiche, wird der Gewinn aus dem Güterverkehr mit anderen - höchstwahrscheinlich privaten Partnern - geteilt, und es ist sicher nicht mehr möglich, Geldflüsse zum Personenverkehr herzustellen.

Das heißt, entweder hat die öffentliche Hand Mehrausgaben zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Personennahverkehrs zu leisten, oder es kommt zu eklatanten Fahrpreiserhöhungen oder zu einer Angebotskürzung (Fahrplanreduktion) oder zu einem Mix aus allen dreien.

A&W: Sie sprechen sich auch vehement gegen eine eigene Personalfirma aus.
Wilhelm Haberzettl:
Ja. Damit sollen jene Beschäftigten, die Manager als »gute« definieren, herausgenommen werden und der »Rest« bleibt bei den ÖBB. Erstens weiß keiner, wer den »Rest« bezahlen soll. Zweitens werden das dann diejenigen sein, die etwas »schwächer« sind, die etwa eine bestimmte Anzahl an Krankenständen oder einen schlechteren Ausbildungsstand haben, die älter sind, die nach Meinung der Manager zu teuer sind. Das ist ein schlichtweg menschenverachtendes Vorgehen und hat System. Verkehrsstaatsekretär Kukacka hat ja schon angedroht, notfalls das ÖBB-Dienstrecht »per Gesetz« zu ändern, um einen »flexibleren Einsatz« der Eisenbahner zu erreichen. Ich befürchte, dass es zu eklatanten Verschlechterungen in Arbeitsrecht und Einkommen für die Eisenbahner kommt.

Aber es genügt schon das Vorhaben der Regierung, bei den ÖBB jährlich 500 Millionen Euro einzusparen. Das würde bedeuten, dass sich die ÖBB massiv zurückziehen. So groß können die Angriffe auf die Arbeitnehmerrechte gar nicht sein, dass man 500 Millionen Euro einsparen kann. Da ist kein Betrieb aufrecht zu erhalten. Daher bekämpfen wir das.

A&W: Was steckt hinter dieser Strategie?
Wilhelm Haberzettl:
Das Aushungern der ÖBB zugunsten der Konkurrenz, insbesondere gegenüber dem Straßengüterverkehr.

Wenn man sieht, dass die Zahlungen des Bundes für die Frächter via die Asfinag (Autobahn- und Schnellstraßenfinanzierungsgesellschaft) ständig steigen und die Steuerzahler den Straßenausbau für die Frächterlobby finanzieren müssen, dann wird das hingenommen und kaum thematisiert. Bei der Bahn wird immer mehr gekürzt, jedoch von Belastungen des Steuerzahlers gesprochen. Da wir doch absichtlich mit zweierlei Maß gemessen.


Arbeit & Wirtschaft - Interview
Mit S. Sarreschtehdari-Leodolter und G. Lahounik, AK Wien

Sicherheitsloch durch Liberalisierung

A&W: Mit 15. März 2003 trat die EU-Liberalisierung in Kraft. Was bedeutet das für die ÖBB?
Sylvia Sarreschtehdari-Leodolter: Die ÖBB sind gut darauf vorbereitet, sie hatten ja hohe Sicherheits- Ausbildungs- und arbeitsrechtliche Standards. Jetzt können aber auch ausländische Bahnunternehmen in Österreich fahren und für die gibt es keine Bestimmungen.

Das verzerrt nicht nur den Wettbewerb für die ÖBB, sondern führt auch zu einem Sicherheitsloch: Niemand weiß genau und kontrolliert, wer mit welcher Ausbildung und welchem Lok- und Wagenmaterial, mit oder ohne Streckenkenntnis auf Österreichs Schienen unterwegs ist. Hier ist die Regierung säumig, zum Schaden des Unternehmens ÖBB, der dort Beschäftigten und der Fahrgäste.

A&W: Was fordert die AK von der Regierung?
Gregor Lahounik: Zwar müssen ausländische Bahnbetreiber eine Sicherheitsbescheinigung, eine nationale Konzession, die Trassenzuweisung und eine ausreichende Haftpflichtversicherung vorweisen. Es fehlen aber die detaillierten gesetzlichen Bestimmungen dazu, insbesondere über die Ausbildung der Eisenbahner für den europaweiten Personaleinsatz, über den Nachweis dieser Ausbildung (»Lokführerschein«), über Lenk- und Ruhezeiten im grenzüberschreitenden Personaleinsatz, über Bauart, Genehmigung und Sicherheitsvorschriften der Waggons und Loks, über Kontroll- und Sanktionsbestimmungen bei Verstößen und über klare Rahmenbedingungen für die Neuerteilung von Konzessionen auf der Schiene in Österreich.


R E S Ü M E E

Abwehrmaßnahmen

Eisenbahngewerkschaft und AK fordern daher von der Regierung, die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen in den Bereichen Sicherheit, Ausbildung und Arbeitsrecht für den liberalisierten Markt zu schaffen, die Wettbewerbsverzerrungen zum Straßengüterverkehr zu beseitigen, die ÖBB mit den nötigen Finanzmitteln auszustatten und von einer für die Allgemeinheit teureren Aufsplitterung und Veräußerung ertragreicher Bereiche der ÖBB abzusehen.
Haberzettl kämpferisch: »In dem Augenblick, wo es zu den ersten konkreten Schritten zur Holdingbildung mit der Trennung in Teilbereiche kommt, bedeutet das für uns eine Kampfansage. Da brauchen wir noch gar nicht von Streik reden. Dann machen wir Dienst nach Vorschrift. Denn wenn in den ÖBB keine Überstunden mehr gemacht werden, steht binnen dreier Wochen das gesamte Unternehmen. Schon jetzt haben wir bei den ÖBB rund 6000 Leute zu wenig.«

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Wilfried Leisch (Freier Journalist in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jul 2003 00:00:00 +0200 1189007908778 Die schärfste Waffe Von 1732 bis 1870 galten in Österreich - von Südtirol bis Galizien - die gewerkschaftliche Organisation und der Streik von Gesellen und Fabrikarbeitern als Verbrechen. Lange Zeit drohte dafür die Todesstrafe, selbst 1867 im neuen »Verfassungsstaat« noch der Kerker.

1870: Straffreiheit für Streik und Aussperrung

Auch das schärfste Kampfinstrument der Unternehmer, die Aussperrung, also die Verweigerung des Zutritts zum Arbeitsplatz ohne Kündigung, war strafbar. Es wurde deshalb aber kein einziger Arbeitgeber belangt, die volle Härte des Gesetzes traf nur die Arbeiter.

»ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch: »Die Gewerkschaft ist immer eine Kampforganisation; nur spielt sich der Kampf in unterschiedlichen Formen ab.«

Erst 1870 wurden Streik und Aussperrung nach einer großen Arbeiterdemonstration in Wien und mit Befürwortung der Handelskammer entkriminalisiert. Trotzdem fanden die Behörden auch danach immer wieder Gründe, um Gewerkschaften wegen der Organisation von Arbeitsniederlegungen aufzulösen.

So erging es zum Beispiel 1872 dem Fachverein der Brauereigehilfen. Der Streik der Wiener Tramwaykutscher war 1889 ein Medienereignis, weil er den Verkehr in der Hauptstadt des Kaiserreiches lahm legte.

Solidarität und Organisation

Die meisten frühen Streiks waren schlecht organisiert. Viele von ihnen konnten nur durch die Solidarität der Arbeiter anderer Betriebe und Berufe durchgehalten werden. Schon der erste Kongress der Freien Gewerkschaften beschloss deshalb ein Streikregulativ. Später wurde auch ein zentraler Solidaritätsfonds eingerichtet.
Von 1901 bis 1910 nahm der Anteil an überbetrieblichen Streiks mit Rückendeckung der Gewerkschaften deutlich zu.

Streikfreiheit - ein Markenzeichen der Demokratie

Während des Ersten Weltkriegs wurden die erkämpften Arbeitnehmerrechte außer Kraft gesetzt. Aber gegen Kriegsende ließen sich Lohnkämpfe selbst in der Rüstungsindustrie nicht mehr unterdrücken. Zu Beginn der Ersten Republik waren Streiks zwar wieder straffrei, wegen der hohen Arbeitslosigkeit so gut wie aussichtslos. In der ersten Hälfte der Zwanzigerjahre kam es dagegen wegen der zunehmenden Schere zwischen Preisen und Löhnen immer häufiger zu Arbeitsniederlegungen. Von 1929 auf 1930 nahm die Streikhäufigkeit durch die Weltwirtschaftskrise drastisch ab. Das autoritäre Dollfuß-Regime stellte 1933 Streiks wieder unter Strafe. Die Nationalsozialisten machten Arbeitsniederlegungen dann neuerlich zum Schwerverbrechen. Erst als 1945 die Demokratie zurückkehrte, bestand wieder Streikfreiheit.

Österreichs ungewöhnliche Streikstatistik

In der Zweiten Republik ist das Recht auf Gewerkschaftsfreiheit durch die Europäische Menschenrechtskonvention ein von der österreichischen Verfassung garantiertes Grundrecht geworden. In den Nachkriegsjahren kam es noch häufiger zu Streiks. Der Ausbau des Sozialstaates und die Sozialpartnerschaft als Konfliktregelungsmechanismus durch Verhandeln ließen sie dann in Österreich zur Ausnahmeerscheinung werden. EUROSTAT, das statistische Amt der Europäischen Union, errechnete zum Beispiel, dass Österreich, gemessen an der Zahl der jährlich pro tausend Arbeitnehmer verlorenen Arbeitstage, zwischen 1983 und 1992 zusammen mit Luxemburg im gesamten EU-Raum am wenigsten von Streiks betroffen war und von 1988 bis 1992 überhaupt den niedrigsten Verlust an Arbeitstagen aufwies. Bis 2002 gab es in fünf Länderngar keine Arbeitsniederlegung, in den anderen blieben sie Einzelerscheinungen. Auch noch zu den »streikarmen« Ländern zählten nach EUROSTAT 1988 bis 1992 die Niederlande und Deutschland, das aber immerhin mehr als das Dreifache an Zeitausfall durch Streiks zu verzeichnen hatte (siehe Grafik: »Streikstastistik 1945-2002«).

Bisher nur anderswo: Streik, damit verhandelt wird

Auch am Verhandlungstisch wird - sehr hart - um Arbeitnehmerrechte gekämpft, aber man muss dort erst sitzen und Kontrahenten finden, die ein faires Ergebnis wollen und akzeptieren. In Österreich konnte die Gewerkschaft über viele Jahre im Regelfall damit rechnen - bei UnternehmervertreterInnen und Regierungen.

Am europäischen Aktionstag der Eisenbahner 1998 kam es in sechs Ländern zu streikähnlichen Maßnahmen, in Österreich wurden Flugzettel verteilt. Wilhelm Haberzettel, damals stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Eisenbahner, erklärte den Unterschied: »Grundsätzlich kann man sagen, dass es in allen Ländern, wo Kampfmaßnahmen ergriffen wurden, den klassischen sozialen Dialog wie er in Österreich Usus ist nicht gibt. Die Franzosen und Belgier müssen streiken, damit sie erst einmal an den Verhandlungstisch kommen. Und Metaller-Chef Rudolf Nürnberger stellte etwa zu dieser Zeit fest: »Bei den Kollektivvertragsverhandlungen waren in Österreich gleichwertige, teilweise sogar bessere Ergebnisse möglich als in Deutschland, wo die Metallarbeiter seit Jahren auf die Straße gehen müssen, um einen Abschluss zu bekommen.«

Der Kampf hat viele Gesichter

ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch betonte immer wieder, in der Priorität für die Verhandlungsstrategie liege kein Widerspruch zur Kampfbereitschaft:

»Die Gewerkschaft ist immer eine Kampforganisation; nur spielt sich der Kampf in unterschiedlichen Formen ab.« Das gelte nicht nur für die Alternative »Verhandeln oder Streik«, sondern im Computerzeitalter auch für die Mittel, mit denen ein Streik durchgeführt wird.

Verzetnitsch: »Die alte Liedstrophe ›Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will‹, müsste heute heißen: ›Die Computer stehen still, wenn dein flinkes Hirn es will‹.«

Warum kein gesetzliches Streikrecht?

Ob Verhandlung, Kampagne, Aktion, Demonstration oder Streik - der ÖGB vertritt wie beim Zustandekommen von Kollektivvertragsabschlüssen den Standpunkt, dass die Entscheidung darüber, welches »Instrument der Interessenvertretung« wann, wie und wie lange eingesetzt wird, alleiniges Recht der Gewerkschaftsbewegung zu sein hat. Die Möglichkeit, im Rahmen der Spielregeln des demokratischen Staates alle geeigneten Mittel bis hin zum Streik zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen anzuwenden, wird als Freiheitsrecht, nicht als Schutzrecht verstanden. Deshalb gibt es in Österreich zum Unterschied von vielen anderen europäischen Ländern auch kein »positives Streikrecht«, also eine Gesetzesbestimmung, die Streiks ausdrücklich »erlaubt«, wohl aber nach wie vor den Grundsatz, dass Arbeitsniederlegungen nicht strafbar sind. Das entspricht dem - mittlerweile oft durchlöcherten, aber noch immer gültigen - Grundprinzip der österreichischen Verfassung von 1921, das besagt: Der Staat muss zwar die Spielregeln vorgeben, die ein humanes und demokratisches Austragen von gesellschaftlichen Konflikten sichern, er hat selbst aber nicht die Aufgabe, das Ergebnis dieser Auseinandersetzungen zu bestimmen.

Gerade deshalb lehnte es der ÖGB auch immer ab, sich auf die so genannten gewerkschaftlichen Kernaufgaben zu beschränken und mischt sich bewusst in den politischen Entscheidungsprozess ein, um die Arbeitnehmerinteressen zu wahren. Welche Situation eintreten kann, wenn ein Staat, auch ein demokratischer, arbeitnehmerfeindliche Rahmenbedingungen setzt, zeigte das Beispiel Großbritannien, wo sich nach 1980 manche Gewerkschaften unter dem Druck der neoliberalen Politik gezwungen sahen, Streikverzichtsklauseln in ihren Kollektivverträgen zu akzeptieren.

Die Gewerkschaft muss sich einmischen

Man hört immer wieder die Behauptung, die Gewerkschaft soll sich nicht in die Politik einmischen, sie soll sich darauf beschränken, Kollektivverträge zu verhandeln - und wenn sie schon unbedingt streiken wolle, dann nur in diesem Zusammenhang. Solche »Argumente« sprechen der Gewerkschaft das Recht ab, die Arbeitnehmerinteressen mit allen Mitteln zu schützen, die die Demokratie bietet. Allein um dieses Recht zu verteidigen ist die Einmischung in die Politik notwendig, wie ein noch gar nicht so altes Beispiel aus der EU zeigt. Es sei zum Schluss noch dargestellt:

Veranlasst durch eine illegale Aktion französischer Bauern, die 1995 aus Protest gegen die Öffnung der Grenzen für ausländische Agrarprodukte Ladungen spanischer Lkw-Fahrer vernichtet hatten, und ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, legte die EU-Kommission einen Verordnungsentwurf zum Schutz des freien Warenverkehrs vor, der auch die volle Streik- und Demonstrationsfreiheit in Frage stellte.

Widerstand von EGB und EU-Parlament

Der Vorstoß scheiterte am Widerstand des Europäischen Gewerkschaftsbundes und des EU-Parlaments. Der EGB verlangte die Garantie für den gesamten EU-Bereich, »dass das Streikrecht umfassend ist und nicht durch die Freizügigkeit des Warenverkehrs ausgehebelt werden kann«.

Unter führender Beteiligung des österreichischen Gewerkschafters Harald Ettl blockierte der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten des EU-Parlamentes den Kommissionsentwurf und setzte nach Verhandlungen zwischen den EU-Gremien und dem EGB eine Regelung durch, die Streik- und Demonstrationsfreiheit als nationale Rechte unangetastet ließ.

Kampf- und Protestaktionen der österreichischen Gewerkschaftsbewegung in der Zweiten Republik

1. Streiks und Kampagnen zur Durchsetzung von besseren Lohn- und Arbeitsbedingungen

1948
3. März bis 3. Mai
Österreichweiter Streik von 4760 Arbeiterinnen und Arbeitern der Schuhindustrie

Dauer: 62 Tage
Ergebnis: Einer der besten Kollektivverträge Österreichs und befristete Einführung der 44-Stunden-Woche

1950
Zweithöchste Zahl an Streikstunden in der Zweiten Republik
1. Halbjahr
Streik- und Protestwelle gegen den Bruch des 3. Preis- und Lohnabkommens:
durch die Arbeitgeber (zum größten Teils mit Anerkennung durch den ÖGB), - davon die längsten Streikbewegungen
9. Jänner bis 9. Februar
Streik der Bühnenarbeiter der Bundestheater
Dauer:
über 1 Monat
Ergebnis: Lohnangleichung
Juni
Streik der Sägewerksarbeiter in Salzburg
Dauer:
mehr als 5 Wochen
Ergebnis: Anerkennung des Kollektivvertrags
ab 20. Juni
Streik der Maler und Anstreicher in Kärnten und Oberösterreich
Dauer:
Mit Unterbrechung mehr als 4 Wochen
Ergebnis: Erhöhung der zurückgebliebenen Löhne
26. September bis 6. Oktober
Proteste gegen das 4. Preis- und Lohnabkommen
26. und 27. September
Beteiligung von insgesamt 120.000 ArbeitnehmerInnen
in Wien, Linz, Steyr und Graz an Protest- und Streikaktionen
3. bis 6. Oktober
Zweite Streikwelle - in Wien sind 145 Betriebe beteiligt, in Niederösterreich 153, in der Steiermark und in Oberösterreich wesentliche Betriebe der verstaatlichten Großindustrie
ab 10. Oktober
Österreichweiter Streik von 20.000 Forstarbeitern
Dauer:
dreieinhalb Wochen
Ergebnis: Kollektivvertrag für die Staatsforstarbeiter und Schichtlohnerhöhung

1956
Sechsthöchste Zahl an Streikstunden in der Zweiten Republik (Auslöser u. a.: wirtschaftliche Probleme durch Suez-Krise)
Größte überbetriebliche Kampfmaßnahme:
1. bis 5. Oktober
Österreichweiter Streik der Bäckereiarbeiter
Dauer:
4 Tage (plus 1 Tag Warnstreik im September)
Ergebnis: Besserer Lohnabschluss
Größte betriebliche Kampfmaßnahme:
8. bis 18. Oktober
Streik von 3800 Arbeitern der Walzwerke, der Werkstätten und der Werksbahn des Werkes Donawitz der Alpinen Montangesellschaft größter Lohnstreik in Donawitz seit 1925
Dauer:
12 Tage
Ergebnis: Erhöhung der Stundenlöhne der Arbeiter in den Donawitzer Kaltbetrieben um 30 Groschen

1962
Höchste Zahl an Streikstunden in der Zweiten Republik
9. Mai bis 12. Mai
Österreichweiter Streik von 200.000 Beschäftigten der Metallindustrie und des Metallgewerbes
- größter Streik in der Zweiten Republik
Dauer: 4 Tage
Ergebnis: Ist-Lohn-Erhöhung und Abschaffung der Frauenlohngruppen sowie arbeitsrechtliche Verbesserungen
28. Juli bis 13. August
Streik der Exekutive
- größter Streik der öffentlich Bediensteten in der Zweiten Republik
Dauer: 18 Tage
Ergebnis: Bessere Zulagenregelung
25. März
Warnstreik der Eisenbahner und Postbediensteten - ausgenommen sind die Zustellung lebender Fracht und auf Wunsch von Bundespräsident Jonas Milchtransporte für Krankenanstalten.
Dauer: 1 Tag
Ergebnis: 7%ige Gehaltserhöhung, Erhöhung des Kindergeldes

1970
13. bis 25. November
Streik von 1800 Arbeitern und Angestellten des Bauknecht-Werkes in Rottenmann

Dauer: 12 Tage
Ergebnis: Einigung über Mitarbeiterprämien und Fahrgeldvergütung

1972
Streik von 104 AUA-Piloten (im Zusammenwirken mit den Piloten fast aller Fluglinien)
Dauer: 1 Tag
Ergebnis: bessere Sicherheitsmaßnahmen gegen Terror

1973
23. und 24. Mai
Österreichweiter Streik von 63.747 LehrerInnen.
Dauer:
2 Tage
Ergebnis: Kompromiss bei den Gehaltsforderungen
25. Juni bis 11. Juli
Streik von 1200 Arbeitern bei den Ybbstalwerken (Böhlerwerk, Gerstlwerk, Werk Bruckbach).
Dauer:
je nach Abteilung 3 bis 14 Tage
Ergebnis: Kompromiss bei Lohnforderungen

1978
17. April bis 11. Mai
Streik von 478 Arbeitern der Reifenwicklerei des Semperit-Werkes Traiskirchen

Dauer: 4 Wochen
Ergebnis: Qualifikationszulage wird durchgesetzt

1990
22. bis 26. Jänner
Streik von 812 Arbeitern bei Steyr-Daimler-Puch
Dauer:
1 Woche
Ergebnis: die Kündigungen von 167 Arbeitern werden zurückgenommen
3. bis 7. Mai
Mehrere Bundesländer erfassender Streik von 1567 Beschäftigten der Steirerbrau-AG
Dauer:
5 Tage
Ergebnis: die Unternehmensleitung nimmt die Ausgliederung des Fuhrparks zurück, weiter Verhandlungen

1991
5 Österreichweite Warnstreiks von insgesamt 92.456 Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (Beschäftigte der Arbeitsämter, PflichtschullehrerInnen, BerufsschullehrerInnen, LehrerInnen an berufsbildenden Schulen)
Dauer: jeweils 1 Tag
Ergebnis: Kompromiss bei Gehaltsforderungen
11. Juni
Demonstration von rund 16.000 Exekutivbeamten
auf der Ringstraße und am Ballhausplatz in Wien
Forderungen: u. a. Einbeziehung der Exekutivbeamten in das Nachtschicht-Schwerarbeitsgesetz
Anfang der Neunzigerjahre
Österreichweite Kampagne der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst (HGPD) »Na servus in Österreich«
Ergebnis:
Fünftagewoche

1996
20. November
Demonstration der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie vor der Wirtschaftskammer Österreich
mit ca. 6000 Teilnehmern aus mehreren Bundesländern
Ergebnis: Wiederaufnahme der vom Arbeitgeber abgebrochenen Verhandlungen und Kollektivvertragsabschluss

1997/98
HGPD-Kampagne »Mindestkonsumation für Mindestlohn« in mehreren Bundesländern
Ergebnis:
Der Abschluss von Kollektivverträgen wird in mehreren Bundesländern durchgesetzt

2001
11. Oktober
Betriebsversammlung bei der Postbus-AG - 700 Postbusse bleiben bis acht Uhr in der Garage.
Ziel:
Verhindern des Abbaus von 360 MitarbeiterInnen.

2. Forderungs- und Abwehraktionen zur politischen Entwicklung

1951
30. Oktober
Österreichweite Protestaktion des ÖGB gegen das Verschleppen des Staatsvertrags
- Aufruf zu einer österreichweiten Arbeitsruhe von 5 Minuten in den Betrieben.

1966
August bis November
Arbeitsniederlegungen und Protest des ÖGB gegen die Einreise Otto Habsburgs nach Österreich,
- da bisher noch keine Verzichtserklärung der Habsburger auf den Herrschaftsanspruch in Österreich vorliegt

1968
21. August
Sympathiekundgebung des ÖGB »für die Bestrebungen des tschecho-slowakischen Volkes nach Freiheit und Souveränität«
- Aufruf zu einer österreichweiten Arbeitsruhe von 5 Minuten in den Betrieben

1986
16. Jänner
Rund 40.000 TeilnehmerInnen bei einer Protestdemonstration »Solidarität mit der Verstaatlichten«in Linz

1993
»Bedenkminute gegen Gewalt« - Aufruf des ÖGB mit allen Sozialpartnern
Anlass:
Mord an Roma in Oberwart

1997
27./28. Mai
Europäischer Aktionstag für Beschäftigung des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB): ÖGB-Demonstration in Wien und »Tag der Bundesländer«
- Aktionen in ganz Österreich,

2000
28. Juni
Österreichweiter Aktionstag gegen die »soziale Schieflage« bei den Regierungsplänen - 500 Betriebsversammlungen - einstündiger Warnstreik der Gewerkschaft der Eisenbahner

Umfrageergebnis: 55 Prozent der Bevölkerung halten Aktionen für gerechtfertigt - besonders hohe Zustimmung bei Jüngeren, ArbeiterInnen und direkt Betroffenen.
5. Dezember
Menschenkette um die Bannmeile des Parlaments.
Demonstration von rund 10.000 AktivistInnen aus dem gesamten Gewerkschaftsbereich gegen die an diesem Tag zur Beschlussfassung vorliegenden Regierungsmaßnahmen im Sozialbereich

2001
5. Juli
Über 50.000 TeilnehmerInnen aus ganz Österreich bei einer Protestdemonstration des ÖGB
gegen die Einschränkung der Arbeitnehmermitbestimmung in der Sozialversicherung und Aushöhlung des österreichischen Systems der sozialen Sicherheit.
24. September bis 15. Oktober
Urabstimmung unter den rund 1,43 Millionen Mitgliedern des Österreichischen Gewerkschaftsbundes »Stimme für soziale Gerechtigkeit«.

Bei hoher Beteiligung (56,5 Prozent, das sind 807.192 ArbeitnehmerInnen) fanden die Gewerkschaftsforderungen sehr hohe Unterstützung.
Gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen, um die Forderungen durchzusetzen, wurden von 88 Prozent der ÖGB-Mitglieder befürwortet.

2003
6. Mai
Abwehrkampf gegen harte Pensionspläne der Regierung. Rund 500.000 Menschen protestieren in 10.000 Veranstaltungen (Streiks, Betriebsversammlungen, Demonstrationen)
13. Mai
Großkundgebung des ÖGB in Wien. Fast 200.000 Menschen nehmen trotz einem »Jahrzehnteunwetters« teil.
3. Juni
Mehr als 1 Million Menschen in 18.000 Betrieben beteiligen sich an dem Abwehrstreik zu dem der ÖGB aufgerufen hat.

Österreichische
Streikstatistik 1945 bis 1998
Jahr Beteiligte Streikstunden
1945* 300 7.600
1946* 4.360 54.880
1947* 9.175 294.200
1948* 5.120 2,440.320
1949* 25.157 691.064
1950* 28.093 4,042.368
1951 31.555 677.461
1952 116.991 1,283.150
1953 12.695 304.817
1954 21.140 410.508
1955 26.011 464.167
1956 43.249 1,227.292
1957 19.555 364.841
1958 28.745 349.811
1959 47.007 404.290
1960 30.645 550.582
1961 38.338 911.025
1962 207.459 5,181.762
1963 16.501 272.134
1964 49.843 283.588
1965 146.009 3,387.787
1966 120.922 570.846
1967 7.496 131.285
1968 3.129 53.365
1969 17.449 140.139
1970 7.547 212.928
1971 2.437 29.614
1972 7.096 120.832
1973 78.251 794.119
1974 7.295 57.948
1975 3.783 44.098
1976 2.352 4.711
1977 43 86
1978 699 81.779
1979 786 6.1 11
1980 24.181 135.684
1981 17.115 32.188
1982 91 2.755
1983 208 4.155
1984 268 4.349
1985 35.531 182.019
1986 3.222 26.023
1987 7.203 38.575
1988 24.252 68.335
1989 3.715 23.887
1990 5.274 70.962
1991 92.708 466.731
1992 18.039 181.502
1993 7.512 131.363
1994 - -
1995 60 894
1996 - -
1997 25.800 153.000
1998 - -
199 - -
2000 19.439 23.579
2001 - -
2002 6.305 74.445
* Der ÖGB führt erst seit 1951 eine Streikstatistik, die auch vom ÖGB nicht anerkannte Streiks erfasst. Daher sind insbesondere
für 1950 die Angaben zu niedrig.

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Brigitte Pellar (Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jul 2003 00:00:00 +0200 1189007908653 Wir brauchen echte Zukunftslösungen! Der Abwehrstreik gegen die sogenannte Pensionsreform war mit rund einer Million Teilnehmern die größte derartige Aktion seit Jahrzehnten. Können wir die Abmilderungen der ursprünglich noch krasseren Kürzungspläne als Erfolg der organisierten Arbeitnehmer bezeichnen?
Das so genannte Pensionssicherungsgesetz wurde im Nationalrat mit den Stimmen der ÖVP/FPÖ-Mehrheit beschlossen. Ich bin aber dennoch überzeugt davon, dass unsere gemeinsamen Aktionen der Gewerkschaften und des ÖGB - ob auf Bundes-, Landes-,- oder Bezirksebene - erfolgreich waren. Wir haben damit, wie viele Meinungsumfragen und persönliche Kontakte zeigen, Bewusstsein geschaffen, um was es geht und haben sicher die Mehrheit der Bevölkerung vertreten.

Die Abwehrstreiks am 3. Juni waren ein weiterer Beweis für unsere gemeinsame Organisationskraft. Mit rund einer Million Teilnehmerinnen fand der größte Streik seit Jahrzehnten statt. Nur durch diese gemeinsame Beharrlichkeit ist es gelungen, die Regierung zum Handeln zu bringen.

Wer hätte anfangs dieses Jahres gedacht, dass wir innerhalb kurzer Zeit eine Bewegung gegen Pläne der Regierung - nicht gegen die Regierung an sich - erfolgreich durchführen, wie sie in ihrer Dimension seit Jahrzehnten in Österreich nicht mehr stattgefunden hat. Ich bin beeindruckt und stolz, mit welchem Einsatz Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen, weit über ihr eigenes Aufgabengebiet hinaus, unermüdlich im Verfolgen unserer Ziele waren.

Erwähnen möchte ich auch noch das Verhalten, das von der FPÖ angewandt wurde: Da legt der Vizekanzler (FPÖ) einen Regierungsentwurf vor und anschließend rühmen sich die Abgeordneten der selben Partei, dass sie die von ihrer Partei selbst vorgelegten Entwürfe in harten Verhandlungen - (mit wem?) - abgeschwächt hätten. Das ist etwa so, als ob wir ein Programm beschließen und dann mit uns selbst verhandeln, um dieses Programm wieder abzuändern.

Die Unternehmer beschweren sich und sagen, sie seien nur unschuldige Opfer der Streikaktionen, da sie mit den Beschlüssen der Regierung nichts zu tun hätten? Kann man nicht davon ausgehen, dass sie doch einen wesentlichen Einfluss auf die Regierungsparteien haben?
Zum Vorwurf, dass wir die Falschen bestreiken, halte ich fest, dass die Arbeitnehmer die Beiträge in den Betrieben und Dienststellen erwirtschaften und es daher auch den Unternehmern nicht egal sein kann, was mit den Beiträgen passiert.

Was ist zu dem von der Presse so bezeichneten »Umfaller«von Fritz Neugebauer zu sagen?
Vizepräsident Fritz Neugebauer hat als Abgeordneter der ÖVP, entgegen seiner Haltung im ÖGB und in der Öffentlichkeit, für die Regierungsvorlage der ÖVP/FPÖ Koalition gestimmt.

Ich habe mehrmals darauf hingewiesen, dass jeder Mandatar, und insbesonders ein Abgeordneter, der eine Gewerkschaftsfunktionen inne hat, mit sich selbst ins Reine kommen muss, wem er sich mehr verpflichtet fühlt: den Mitgliedern, Funktionären und Beschlüssen in den eigenen Gremien oder nur der politischen Funktion als Abgeordneter im Nationalrat.

Maßstab unseres Handelns als Gewerkschaftsfunktionäre müssen, so wir unsere Funktion im ÖGB ernst nehmen wollen, auch die Beschlüsse unserer Organisation sein.

Und wie geht es nun weiter? Was bringt der Bundeskongress?
Wir machen weiter und werden bis zum Bundeskongress im Oktober, wie angekündigt, gemeinsam mit allen Gewerkschaften und der AK ein umfassendes mittel- und langfristiges Pensionsreformkonzept vorlegen, das den Namen auch verdient. Wir wollen damit unseren bisherigen Weg fortsetzen.

Nicht nur die organisatorischen Erfolge, sondern unsere Ziele haben uns große Anerkennung in der Bevölkerung gebracht - und ich bin stolz auf den Ideenreichtum der Kolleginnen und Kollegen, wenn es ums Organisieren geht und um das Aufzeigen von Ungerechtigkeiten. Lassen wir uns nicht durch den Beschluss im Parlament entmutigen! Als Demokraten müssen wir diesen Beschluss zwar zur Kenntnis nehmen, müssen aber das Ergebnis nicht anerkennen.

Wir werden unsere Kritik weiterhin aufrecht erhalten, an besseren Lösungen arbeiten und dafür kämpfen. Denn wer kämpft, kann verlieren, wer aber das Kämpfen aufgibt, hat bereits verloren.

Auf einem ÖGB-Plakat heißt es: »Der höchste Grad von Ungerechtigkeit ist geheuchelte Gerechtigkeit.«Gilt die soziale Gerechtigkeit in unserem Land nichts mehr?
Das Kräfteverhältnis in unserer Gesellschaft ist zur Zeit so, dass nach neoliberalem Modell der Profit über alles gestellt wird. Wir haben uns nicht nur statutengemäß zum unentwegten Kampf zur Hebung des Lebensstandards der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Österreichs verpflichtet.

Aus den Gewerkschaften ist es mehrfach angeklungen, dass man bei den kommenden Kollektivvertragsverhandlungen noch mehr auf eine Verteilungsgerechtigkeit achten wird. Stehen uns damit künftig auch schärfere Lohnkämpfe bevor?
Die Gewerkschaften innerhalb des ÖGB sind autonom und entscheiden eigenständig, wie sie die Lohnverhandlungen für ihre Mitglieder anlegen. Allerdings kann ich mir durchaus vorstellen, dass Gewerkschaften sich jetzt nicht einer besonders vornehmen Zurückhaltung befleißen werden. Die Unterstützung des ÖGB ist ihnen gewiss.

Was ist zur Informationskampagne der Bundesregierung zu sagen?
Ich bin davon überzeugt, dass die Bevölkerung uns zustimmen wird, wenn ich sage, nicht überall, wo Reform draufsteht, ist tatsächlich eine Zukunftsreform drinnen. Wir brauchen keine Verpackungskünstler. Was wir brauchen, sind Zukunftslösungen. Der Informationsgehalt der Inserate der Bundesregierung ist wirklich stark in Zweifel zu ziehen. Wir werben nicht mit berstenden Staumauern um die Zukunft der Pensionen, wie sie das in Fernsehspots macht. Wir halten Fakten und Daten noch immer für das bessere Argument. Faktum ist, das die Pensionen künftig um 12 Prozent gekürzt werden sollen.

Und wie geht es jetzt konkret weiter?
Was steht als nächstes auf dem Programm? Der EU-Konvent zur Soziale Gerechtigkeit und Verantwortung müssen in unserer Gesellschaft wieder eine größere Rolle spielen. Deswegen sollte im Rahmen des Österreich-Konvents, der in den kommenden eineinhalb Jahren eine Aktualisierung der österreichischen Verfassung erarbeiten soll, die Verankerung der sozialen Grundrechte und des Sozialversicherungsprinzips in der österreichischen Bundesverfassung erfolgen. Der Sozialstaat muss weiterentwickelt werden und zwar nach den Grundsätzen der Solidarität, der Würde und sozialen Gerechtigkeit. Der Österreich-Konvent ist eine Chance, diesbezügliche Lücken und Mängel auszugleichen.

Österreich hat in diesen Punkten Aufholbedarf. Neben Großbritannien ist es das einzige EU-Land, in dem die soziale Verantwortung des Staates nicht in der Verfassung verankert ist. Obwohl Österreich eines der reichsten Länder der Welt ist, wird der Sozialstaat unter dem Vorwand wirtschaftlicher Zwänge systematisch ausgehöhlt. Jüngstes Beispiel sind die unsozialen Pensionskürzungen. Wird dieser Trend nicht gestoppt, so wird vom Sozialstaat nicht viel mehr als eine leere Worthülse übrigbleiben. Der Mensch muss mehr zählen als Aktienkurse und Profite.

Angesichts der jüngsten sozialpolitischen Entwicklungen ist es notwendig, ein deutliches Zeichen zu setzen, in welche Richtung die Zukunft gehen soll. Die Anliegen des Sozialstaates betreffen jeden von uns. Daher ist es recht und billig, dass der Gesetzgeber - also das Parlament - Systemänderungen nur mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen kann. Immerhin ist diese auch bei jeder noch so kleinen Reform im Schulbereich notwendig. Und genau das wäre das Ergebnis, wenn das Prinzip des Sozialstaats in die Bundesverfassung aufgenommen wird. Immerhin haben sich bereits bei der ÖGB-Urabstimmung im Oktober 2001 96,4 Prozent der Stimmberechtigten für diese Kernforderungen ausgesprochen.

Der Sozialstaat ist die Basis für den Zusammenhalt einer Gesellschaft.

Wir Gewerkschafter bleiben dabei: Der Mensch muss mehr zählen als Aktienkurse und Profite.

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Tue, 15 Jul 2003 00:00:00 +0200 1189007908582 Budgetentwürfe 2003 und 2004 Warum also - fragt man sich - wurde dann am Tag vor der Budgetrede gestreikt, wenn ohnehin alles zum Besten steht?Die Antwort ist einfach: Die Ausgangslage ist eben nicht hervorragend, die Zukunftsorientierung der Budgets ist nicht erkennbar und von Entlastungen ist keine Spur. Im Gegenteil, massive Belastungen durch Abgabenerhöhungen und Pensionskürzungen waren Auslöser für heftige Debatten, Streiks und runde Tische.

1. Wirtschaftliche Ausgangslage und Basisdaten

Die Budgetentwürfe werden in einer Zeit unsicherer Wachstumserwartungen erstellt, und die wirtschaftliche Ausgangslage ist keineswegs hervorragend. Österreich hat sich in den letzten Jahren im Konjunkturabschwung nicht so gut gehalten wie behauptet wird. Die Wirtschaftspolitik hat vielmehr die Krise in unserem Land verschärft. Das zeigt sich vor allem bei der Arbeitsmarktentwicklung. Die Zahl der aktiv Beschäftigten (ohne BezieherInnen von Kinderbetreuungsgeld) ist bis März 2003 ständig gesunken und war 2002 durchschnittlich um 14.500 niedriger als 2001.

»Die Wirtschaftspolitik hat die Krise in unserem Land verschärft.«

Die beiden Budgetentwürfe legen die wirtschaftlichen Eckdaten der WIFO-Prognose zugrunde. Die März-Prognose geht davon aus, dass das Wirtschaftswachstum heuer und 2004 gering bleiben wird. Ein Konjunkturaufschwung ist nur zu erwarten, wenn die weltweiten Unsicherheiten wegfallen, die Rohstoffpreise merklich fallen und sich die Exportchancen Europas durch den sinkenden Dollar nicht weiter verschlechtern (siehe Tabelle 1: »Die wichtigsten Kennzahlen der Budgetentwicklung«).

Tabelle 1:
Die wichtigsten Kennzahlen der Budgetentwicklung
Allgemeiner Haushalt auf administrativer Basis
Erfolg 2001 2002 Erfolg BVA-E 2003 BVA-E 2004
in Millionen Euro
Ausgaben 60.409 61.803 61.459 62.570
Einnahmen 58.994 59.413 57.518 59.140
Defizit (administrativ) 1.415 2.390 3.941 3.430
Defizit in % des BIP 0,7 1,1 1,8 1,5
Zinsenaufwand netto 6.560 6.577 6.317 6.565
Zinsenaufwand in % der Steuereinnahmen (netto) 17,3 17,9 17,8 17,0
Bruttoinlandsprodukt 211.860 216.830 222.070 229.770
in % des BIP
Defizit des Staates nach Maastricht 0,3 -0,6 -1,3 -0,7
Bundessektor -0,5 -1,0 -1,8 -1,4
Länder, Gemeinden, SV-Träger 0,8 0,4 0,5 0,7
Maastricht-Verschuldung
(in Milliarden EUR)
142.660 146.550 149.100 152.700
in % des BIP 67,3 67,6 67,1 66,5
Abgabenquote in % des BIP 45,6 44,6 44,3 44,0
Quelle: Bundesministerium für Finanzen, eigene Berechnungen
BVA-E=Entwurf des Bundesvoranschlags
Annahmen für die Budgeterstellung laut WIFO
Prognose vom März 2003 2003 2004
Wirtschaftswachstum nominell 2,4% 3,5%
Wirtschaftswachstum real 1,1% 1,7%
unselbständig Beschäftigte -0,1% 0,3%
Verbraucherpreise 1,9% 1,4%
Arbeitslosenquote nach Abgrenzung EU 4,2% 4,2%
Bruttoverdienste je Arbeitnehmer 2,0% 2,4%

Der Entwurf des Bundeshaushalts 2003 sieht Ausgaben in der Höhe von 61,5 Milliarden Euro und Einnahmen von 57,6 Milliarden Euro vor. Damit ergibt sich ein Nettoabgang auf administrativer Basis in der Höhe von 3,9 Milliarden Euro oder 1,8% des BIP. Gegenüber dem Erfolg 2002 erhöht sich das administrative Defizit um 1,55 Milliarden Euro. Die Ausgaben sinken zwar geringfügig (-0,3%), da aber die Einnahmen stärker zurückgehen (-3,2%), steigt das Defizit an. Das Maastricht-Defizit des Bundes wird ebenfalls bei 3,9 Milliarden Euro (1,8% des BIP) liegen. Das gesamtstaatliche Maastricht-Defizit wird mit 1,3% des BIP angenommen. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Länder und Gemeinden einen Überschuss von 0,5% des BIP erbringen.

Der Entwurf des Bundesvoranschlags 2004 sieht auf administrativer Basis ein Defizit von 3,4 Milliarden Euro oder 1,5% des BIP vor. Auf Maastricht-Basis liegt das Defizit mit 1,4% des BIP geringfügig darunter. Bei angenommenen Überschüssen der Länder und Gemeinden in Höhe von 0,7% des BIP wird das gesamtstaatliche Maastricht-Defizit deutlich unter jenem von 2003 liegen. Ob die Länder die geforderten Überschüsse erreichen können, kann erst beurteilt werden, wenn sie ihre Voranschläge für 2004 vorlegen.

Die öffentliche Verschuldung sinkt von 2002 bis 2004 um etwa einen BIP-Prozentpunkt.

Bundesregierung verlässt 2003 und 2004 »Nulldefizit-Kurs«
Durch diesen Anstieg der Budgetdefizite verlässt die Regierung den strikten Kurs des »Nulldefizits um jeden Preis« und strebt einen über den Konjunkturzyklus ausgeglichenen Haushalt an. Die Europäische Kommission - die stets »Scharfmacherin« in Sachen Budgetpolitik ist - hat diesen neuen Budgetpfad in ihrer jüngsten Stellungnahme kritisiert.

2.Maßnahmen des Budgetbegleitgesetzes 2003 prägen das Budget 2004

Nach ihrem Regierungsprogramm beabsichtigt die Regierung bis Ende 2006 Sparmaßnahmen in der Höhe von 1,5 Milliarden Euro umzusetzen. Erste substanzielle Schritte werden mit dem Budgetbegleitgesetz 2003 gesetzt. Der Budgetentwurf 2003 löst das Budgetprovisorium ab und wird im Gegensatz zum Budget 2004 durch die Maßnahmen kaum beeinflusst (Ausnahme Personaleinsparungen). Kernstücke sind die erste Etappe der Steuerreform, Abgabenerhöhungen in der Krankenversicherung, die Einführung eines Kostenbeitrags für ärztliche Leistungen (über deren Höhe die Krankenkassen erst entscheiden sollen) und die so genannte »Pensionssicherungsreform«1). Dazu kommen als Begleitmaßnahme zur Pensionsreform die Entlastung der Lohnnebenkosten für ältere ArbeitnehmerInnen.

Die Herangehensweise an die Pensionsreform kann als radikal bezeichnet werden, sie setzt sich mit bisher nicht gekannter Brutalität über Verteilungsgrundsätze, die Generationengerechtigkeit und den Vertrauensschutz hinweg. Dementsprechend scharf war die Kritik der Öffentlichkeit sowie der Arbeiterkammer und Gewerkschaft. Das forsche Herangehen an die Pensionsreform kann auch damit erklärt werden, dass die Regierung das Sparpotential benötigt, um ihr Hauptziel, die Senkung der Abgabenquote auf 43% bis zu Jahr 2006 zu erreichen.

In den Hintergrund getreten sind die volkswirtschaftlichen Auswirkungen auf Wachstum und Beschäftigung in den nächsten Jahren. Es ist davon auszugehen, dass die ArbeitnehmerInnen zum Ausgleich des späteren Einkommensabfalls bei Pensionsantritt ihr Vorsorgesparen erhöhen werden und so die laufenden Konsumausgaben einschränken - wenig wünschenswert beim derzeitigen labilen Zustand der Konjunktur. Es ist plausibel, dass die Auswirkung der Reaktionen auf den gesamten privaten Konsum bei 0,5% liegen können. Das ist bei den gegenwärtig niedrigen Wachstumsraten gar nicht wenig. Die Ankündigung der »größten Steuerreform aller Zeiten« ist auf großes öffentliches Interesse gestoßen, weil zu erwarten war, dass es auch für die ArbeitnehmerInnen eine substanzielle steuerliche Entlastung geben werde.

Die erste Etappe dieser Steuerreform mit Wirksamkeit 2004 beginnt bereits mit einer beachtlichen Belastung der ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen. Der Entlastung der Bruttojahreseinkommen bis 14.500 Euro stehen erhebliche Abgabenlastungen (Energiesteuern, Krankenversicherungsbeiträge) gegenüber. Die Entlastung der Lohnsteuer im Ausmaß von 380 Millionen Euro wirkt vor allem in einem Einkommensband von 1000 bis 1400 Euro Bruttomonatsbezug. Bei Monatsverdiensten über 1400 Euro beginnt die Steuersenkung unter die Merklichkeitsschwelle zu fallen und wird jedenfalls von den sonstigen Abgabenbelastungen überkompensiert. Tatsache ist auch, dass Arbeitnehmer, die weniger als 900 Euro brutto monatlich verdienen, keine Entlastungswirkung haben werden, weil eine Erhöhung der Negativsteuer nicht vorgesehen ist.

Die 1. Etappe der ankündigten größten Steuerreform aller Zeiten beginnt 2004 mit einer beachtlichen Belastung der Arbeitnehmer und Pensionisten.«

Die für Unternehmer und Selbständige vorgesehenen Maßnahmen, die Einführung des halben Steuersatzes von nicht entnommenen Gewinnen für Personengesellschaften und Einzelunternehmer, führen zu einer Entlastung von 400 Millionen Euro jährlich. Nach Berechnungen der Arbeiterkammer wird der Steuerausfall aus dieser Maßnahme auf bis zu 600 Millionen Euro geschätzt. Zur Gegenfinanzierung dieser Steuersenkungen werden die Energieabgaben um 400 Millionen Euro erhöht. Die flächendeckende Erhöhung der Energieabgaben (Mineralölsteuererhöhungen auf Benzin, Diesel und Heizöl bzw. Energieabgaben auf Erdgas und Kohle) hat nur wenig mit einer Ökologisierung des Steuersystems zu tun, sondern ist eine sozial undifferenzierte Abschöpfungsmaßnahme der Lohnsteuersenkung. Die ökologisch wünschenswerte Einführung von schwefelarmem Benzin und Dieselkraftstoff ist auch ohne diese Abschöpfungsmaßnahmen durchführbar. Dabei werden die Haushalte rund die Hälfte dieser Energiesteuerbelastung zu tragen haben (siehe Tabelle 2: »Be-/Entlastungen durch die Maßnahmen des Budgetbegleitgesetzes 2003«).

Tabelle 2:
Be- und Entlastungen durch die Maßnahmen des Budgetbegleitgesetzes 2003
in Millionen Euro*)
Arbeitnehmer/Pensionisten Unternehmen und Selbständige
2004 2005 2006 2004 2005 2006
Steuerliche Maßnahmen
Lohnsteuer/Einkommensteuer
Steuerfreigrenze 14.500 Euro -290 -350 -350 0 -30 -30
Nicht entnommener Gewinn 0 -200 -400
Absetzbarkeit Studienbeiträge 0 -2 -2 0 -1 -1
Förderung Internetbreitbandtechnologie -3 -6 0 -1 -2 0
Gleichbehandlung ausländ. Kapitaleinkünfte -5 -10 -10
Erhöhung Mineralölsteuer (Benzin, Diesel, Heizöl) und der Energieabgabe (Erdgas, Kohle) inkl. Umsatzsteuer 208 223 223 168 179 179
Entfall Straßenbenützungsabgabe
(wird kompensiert durch Road Pricing)**)
-75 -90 -90
Gesamt -85 -136 -129 162 -64 -262
Abgaben in der Krankenversicherung
einheitl. Beitragssatz Arbeiter/Angestellte (7,3%) 45 45 45 49 49 49
Erhöhung KV-Beiträge Pensionisten
um je 0,5% 2004 und 2005
107 214 214 12 20 20
Ergänzungsbeitrag für Freizeitunfälle 97 97 97 8 8 8
Gesamt 249 356 356 69 77 77
Senkung von Dienstgeber-/Dienstnehmerbeiträgen
Entfall Unfallversicherungsbeitrag für ArbeitnehmerInnen über 60 J. -9 -9 -9
Entfall Dienstgeberbeitrag zum FLAF über 60 J. -39 -39 -39
Entfall Dienstgeberbeitrag zum IESG über 60 J. -5 -5 -5
Entfall der Beiträge ALV für ältere Arbeitnehmer 56/58 -50 -50 -50 -50 -50 -50
Gesamt -50 -50 -50 -103 -103 -103
Summe Abgabenbelastung und -entlastung 114 170 176 127 -89 -288
Sonstige Maßnahmen Krankenversicherung
Entfall Ambulanzgebühr -2 -2 -2
Entfall Krankenscheingebühr -44 -44 -44 -2 -2 -2
Kostenbeitrag für ärtzliche Hilfe***) - - - - - -
Gesamt -46 -46 -46 -2 -2 -2
Pensionsversicherung 63 239 459 6 21 48
Beamtenpensionen (inkl. ÖBB und Bundestheater) 72 96 118
Gesamtentlastung und -belastung 203 459 707 131 -70 -242
*) - Entlastung, + Belastung; Rundungsdifferenzen
**) wird kompensiert durch das LKW Road Pricing und ist daher in der Summenbildung nicht enthalten
***) Höhe der Belastungen noch offen
Quelle: Budgetbegleitgesetz 2003 (Regierungsvorlage), eigene Berechnungen

Umverteilungseffekte zu Lasten der Arbeitnehmer

In Tabelle 2 sind alle Maßnahmen des Budgetbegleitgesetzes zusammengefasst und auf Unselbständige bzw. Unternehmen aufgeteilt. Folgende Aussagen lassen sich machen:

  • Während die ArbeitnehmerInnen durch die Maßnahmen bei den Steuern und Beiträgen nur belastet werden, dreht sich die anfängliche Belastung der Unternehmen im Jahr 2004 in eine deutliche Entlastung im Jahr 2006.
  • Nimmt man die Auswirkungen der Pensionsreform dazu, dann steigen in Summe gesehen die Belastungen der ArbeitnehmerInnen deutlich an. Die Unternehmen bleiben anfänglich belastet, werden jedoch 2006 deutlich entlastet. Die Belastung der ArbeitnehmerInnen wird durch die Selbstbehalte noch höher ausfallen. Das bedeutet, dass beachtliche Umverteilungseffekte zu Lasten der ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen stattfinden.

»Die Pensionsreform setzt sich mit unglaublicher Brutalität über Verteilungsgrundsätze, Generationengerechtigkeit und Vertrauensschutz hinweg.«

Was die »größte Steuerreform« der zweiten Republik in der zweiten Etappe bringen wird, sind bisher lediglich Versprechen. Wie viel von den 2,5 Milliarden Euro als Entlastung für die ArbeitnehmerInnen und damit für die Stärkung der Kaufkraft vorgesehen ist, ist noch völlig unklar. Wird die klientelorientierte Politik fortgesetzt, dann werden die ArbeitnehmerInnen wohl zu den Verlierern der Steuerreform gehören.

3. Die Entwicklung der Ausgaben

Tabelle 3 zeigt die Entwicklung wichtiger Einnahmen und Ausgaben in ökonomischer Gliederung (siehe Tabelle 3: »Einnahmen und Ausgaben in ökonomischer Gliederung«).

Tabelle 3:
Einnahmen und Ausgaben in ökonomischer Gliederung
Allgemeiner Haushalt auf administrativer Basis, in Milliarden Euro
2002 vorl. Erfolg 2003 BVA-E 2004 BVA-E Zuwachs 2002/03 in % Zuwachs 2003/04 in %
Einnahmen 59.413 57.518 59.140 -3,2 2,8
öffentliche Abgaben brutto 54.951 53.758 57.618 -2,2 7,2
Lohnsteuer 16.219 16.800 17.300 3,6 3,0
veranlagte Einkommensteuer 3.126 2.950 3.000 -5,6 1,7
Körperschaftsteuer 4.559 4.100 4.300 -10,1 4,9
Umsatzsteuer 17.639 16.300 19.000 -7,6 16,6
abzgl Überweisungen an Länder, Gemeinden, Fonds u. a. 16.176 16.210 16.598 0,2 2,4
abzgl Überweisungen EU
2.108
2.100 2.400 -0,4 14,3
öffentliche Abgaben netto 36.666 35.448 38.620 -3,3 8,9
steuerähnliche Einnahmen *) 7.345 7.732 7.952 5,3 2,8
sonstige Einnahmen (bis 1999 inkl. Bundesbetriebe) 13.908 12.819 10.880 -7,8 -15,1
Ausgaben 61.803 61.459 62.570 -0,6 1,8
Aktivitätsaufwand inkl. Landeslehrer 10.614 10.742 10.430 1,2 -2,9
Pensionen inkl Landeslehrer 3.406 3.527 3.608 3,6 2,3
laufender Sachaufwand 4.729 5.231 4.851 10,6 -7,3
Bruttoinvestitionen 377 271 163 -28,1 -39,9
Transferausgaben 30.181 31.756 34.018 5,2 7,1
familienpolitische Maßnahmen 4.453 4.821 4.956 8,3 2,8
Arbeitsmarktpolitik 2.832 3.061 3.194 8,1 4,3
gesetzliche Sozialversicherung 8.481 8.779 8.497 3,5 -3,2
Zinsaufwand 8.486 8.716 8.329 2,7 -4,4
sonstige Ausgaben 4.010 1.216 1.171 -69,7 -3,7
administrativer Nettoabgang 2.390 3.941 3.430
in % des BIP 1,1% 1,8% 1,5%
*) vor allem Beiträge zum FLAF und Arbeitslosenversicherung
Quelle: BMF, Budgetbericht 2002/2003

Personalabbau geht weiter

Der Personalabbau beim Bund soll fortgesetzt werden. Ziel ist die Einsparung von 10.000 Dienstposten bis 2006 durch den »natürlichen Abgang«, das sind mehr als 5 Prozent der Bundesbediensteten. Allein im heurigen Jahr werden ca. 3700 Planstellen abgebaut, 2004 werden es 2220 sein. Zusätzliche Einsparungen sind bei Bahn und Post vorgesehen. Auch die Überstunden sollen reduziert werden. Im Bildungsbereich kommt es ab September 2003 zu einer Reduktion der Unterrichtsstunden. Damit verbunden ist ein Verlust an Lehrerarbeitsplätzen. Bei den Landeslehrern werden die Personalausgaben aug dem Niveau des Jahres 2002 eingefroren. Daraus resultiert ein Einsparungseffekt von rund 100 Millionen Euro. Aufgrund der extrem knappen Dotierung des Personalaufwands in den beiden Budgets kann von einer Unterbudgetierung ausgegangen werden. Aus beschäftigungspolitischer Sicht ist der Personalabbau abzulehnen, weil er die Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft. Das umso mehr, als von den Ländern und Gemeinden ein Abbau von 20.000 Dienstposten - das sind rund 9 Prozent ihrer Bediensteten - erwartet wird. Wenn die Regierung diesen Abbau als Maßnahme zur Verwaltungsreform darstellt, verwechselt sie simple Budgeteinsparung mit echter Verwaltungsmodernisierung.

»Was die ›größte Steuerreform‹ der Zweiten Republik in der zweiten Etappe bringen wird, sind bisher lediglich Versprechen.«

Bildung, Forschung und Wissenschaft als Schwerpunkte?

Die Ausgaben für Pensionen der Beamten (inklusive Bahn und Post) und der Landeslehrer wurden mit Jahresbeginn um 0,5% erhöht, dazu kam ein Wertausgleich in Höhe von 1,5% für die Empfänger niedriger Pensionen. Bei den Pensionsausgaben 2004 wirkt sich bereits die geplante Pensionsreform aus, so dass sie 2004 mit 2,3% deutlich schwächer wachsen als 2003 (3,6%).
Die Ansage gut dotierter Bildungsbudgets kann in den Voranschlagsentwürfen nicht nachvollzogen werden. Im Bereich der Schulen werden zwar die Gesamtausgaben leicht erhöht, sie reichen aber nicht einmal zur Inflationsabgeltung aus. Real stehen also für die Schulen weniger Mittel zur Verfügung. Die budgetären Mittel für die Universitäten werden heuer um mehr als 100 Millionen Euro unter dem Vorjahr liegen. Mit der Ausgliederung der Universitäten im Jahr 2004 werden die Mittel nach Angaben des Finanzministeriums um knapp 130 Millionen Euro höher sein. Diese Erhöhung ist niedriger als die Einnahmen aus den Studiengebühren (2003: 151 Millionen Euro), die ab 2004 den Universitäten zur Verfügung stehen werden. Damit entspricht die Finanzmittelausstattung der Universitäten nicht der von Spitzenuniversitäten. Die Finanzmittel des Bundes für die Fachhochschulen reichen nicht aus, um den Bedarf an Studienplätzen finanzieren zu können. Die Ausgaben für die Erwachsenenbildung wurden von einem beschämend niedrigen Niveau in den Voranschlagsentwürfen um 25 Prozent gekürzt. Diese Kürzung kommt einem Rückzug der Regierung aus der Erwachsenenbildung gleich.

Im Rahmen des Offensivprogramms II sollen für Forschung und Entwicklung in den Jahren 2004 bis 2006 600 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden. Im ersten Programm 2001 bis 2003 waren es 509 Millionen. Budgetiert sind für das Jahr 2004 zunächst nur 180 Millionen Euro. Der Anstieg der Mittel für F&E wird bei weitem nicht ausreichen, um bis 2006 die Forschungsquote auf 2,5% des BIP zu erhöhen.

Vorrang für Infrastrukturinvestitionen nicht nachvollziehbar

Tabelle 3 zeigt, dass die Investitionen des Bundes von geringer Bedeutung sind. 2003 und 2004 werden sie weiter an Bedeutung verlieren, weil die Betreuung der Bundesstraßen B an die Länder übertragen wurde. Der Bedeutungsverlust hängt mit der Ausgliederung der Infrastruktur- und Hochbauinvestitionen zusammen (ASFINAG, SCHIG, BIG). Die Investitionstätigkeit ist seither schwer nachvollziehbar. Das gilt auch für die in der Budgetrede genannten Zahlen, wonach die Infrastrukturinvestitionen im Bereich Schiene und Straße angehoben werden. Es handelt sich dabei lediglich um Pläne, über deren Realisierung wenig bekannt ist. Vor dem Hintergrund der schwachen Konjunkturlage wären verstärkte Investitionen im Infrastrukturbereich erforderlich, weil sie einerseits die Qualität des Wirtschaftsstandortes verbessern und andererseits positive Wachstums- und Beschäftigungseffekte haben.

»Real stehen für die Schulen weniger Mittel zur Verfügung. Die budgetären Mittel für die Universitäten werden heuer um mehr als 100 Millionen Euro unter dem Vorjahr liegen.«

Eile für Pensionsreform nicht notwendig

Die Transferausgaben steigen in den Voranschlagsentwürfen deutlich an (2003: 5,2%, 2004: 7,1%), im Einzelnen ist die Entwicklung jedoch sehr unterschiedlich.

Die Transferausgaben für familienpolitische Leistungen werden 2003 stark ausgeweitet. Das Kinderbetreuungsgeld verursacht 2003 Mehrausgaben von 216 Millionen Euro und die Erhöhung der Familienbeihilfe per 1. 1. 2003 von 129 Millionen Euro. Die starke Ausweitung der Leistungen hält nicht mit der Einnahmenentwicklung Schritt, weshalb der Familienlastenausgleichsfonds bereits heuer wieder defizitär abschließen wird. Die Abgänge werden nach jüngsten Schätzungen bis 2006 auf 580 Millionen Euro ansteigen. Die Mittelausstattung im Bereich der Arbeitsmarktpolitik hält mit den Problemen am Arbeitsmarkt bei weitem nicht Schritt. Damit wird die Politik des Mangels an personellen und finanziellen Ressourcen in der Arbeitsmarktpolitik fortgesetzt. Aus dem Arbeitsmarktbudget wird kein Beitrag zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung geleistet. Der Anstieg dieser Transfers ist vor allem eine Folge steigender Arbeitslosigkeit.

Die Transfers an die gesetzliche Sozialversicherung enthalten vor allem den Bundesbeitrag zur Pensionsversicherung. Es zeigt sich, dass der Bundesbeitrag der unselbständig Erwerbstätigen weitaus am niedrigsten von allen Berufsgruppen ist. »Aus dem Ruder« laufen hingegen die Bundesbeiträge bei den Gewerbetreibenden und bei den Bauern. Das bedeutet aber, dass für eine Pensionsreform weder aus demographischen noch aus budgetpolitischen Gründen eine solche Eile und solche Einschnitte notwendig sind, wie sie von der Regierung mit dem »Pensionssicherungsgesetz« geplant werden.

»Entgegen den Behauptungen der Regierung ist die wirtschaftliche Ausgangslage keineswegs hervorragend.«

Der Zinsenaufwand netto wird 2003 trotz steigender Verschuldung sinken. Dazu tragen die derzeit sehr niedrigen Zinsen sowie die Umschuldung alter Schulden mit hohen Zinssätzen bei. 2004 wird wieder mit höheren Zinssätzen gerechnet, so dass der Nettozinsenaufwand wieder ansteigen dürfte. Die Schulden des Bundes werden in beiden Jahren weiter ansteigen, in Prozent des BIP sinken sie jedoch.

Zukunftsprogramme nicht erkennbar

Durchsucht man die einzelnen Budgetkapitel auf mögliche Schwerpunkte, so lässt sich zusammenfassend zweierlei erkennen: Erstens sind die Ausgabenzuwächse generell sehr bescheiden. Zweitens ist ein Zukunftsprogramm Bildung, F&E sowie Infrastruktur aus den Budgetzahlen nicht ablesbar.

Die eigentlichen Schwerpunkte liegen in der Ausweitung der Familienleistungen, in der überdurchschnittlichen Dotierung des Heeresbudgets im Jahr 2003 sowie im Beschluss des Ankaufs von Abfangjägern (Ankaufspreis 1337 Millionen Euro plus zusätzliche Systemkosten in der Höhe von bis zu 632 Millionen Euro). Der Ankauf wird die Budgets aber erst ab dem Jahr 2007 belasten. Dazu kommen noch erhebliche Aufwändungen für den Betrieb der Eurofighter. Durch diese Entscheidung werden zukünftige Budgets erheblich vorbelastet.

4. Die Entwicklung der Einnahmen

Bei den Einnahmen dominieren die öffentlichen Abgaben, auf sie entfallen etwa 58% der Gesamteinnahmen. Das Absinken der Steuereinnahmen 2003 lässt sich vor allem durch die Abschaffung der 13. Umsatzsteuervorauszahlung (1700 Millionen Euro), durch das Zurückbleiben einzelner Steuern (Körperschaftssteuer, veranlagte Einkommensteuer) und aus der Umstellung der Einhebung der Einfuhrumsatzsteuer erklären.

Bedenkt man aber, dass der Entfall der 13. Umsatzsteuervorauszahlung nur zu einer Verschiebung des Aufkommens ins nächste Jahr führt, dann steigen auch 2003 die Steuereinnahmen. Deutlich stärker hingegen steigen sie trotz der ersten Etappe der Steuerreform im Jahr 2004. Den Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer stehen - wie bereits beschrieben - Belastungen durch die Anhebung der Energiesteuern gegenüber.

Die Entwicklung der Nettosteuereinnahmen - d. h. nach Abzug der Überweisungen an Länder, Gemeinden und Fonds sowie des EU-Beitrags - ist ähnlich wie jene der Bruttoeinnahmen. Länder und Gemeinden müssen die Steuerreform 2004 mitfinanzieren. Das trifft insbesondere die größeren Gemeinden und Städte hart, weil sich deren Finanzsituation in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert hat.

Dynamische Lohnsteuerentwicklung trotz Steuersenkung

Zu den Steuerschätzungen lässt sich festhalten, dass sie von wenigen Ausnahmen abgesehen gut abgesichert sind. Schwer zu beurteilen ist das Aufkommen an veranlagter Einkommensteuer. Die Begünstigung bei den nicht entnommenen Gewinnen wird sich erst im Budget 2005 niederschlagen. Das Umsatzsteueraufkommen scheint jedoch deutlich überschätzt zu sein. Offensichtlich erwartet sich das Finanzministerium aus den Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung, vor allem in der Bauwirtschaft, erhebliche Mittel.

»Die Masseneinkommen werden belastet, weil den Steuersenkungen Abgabenerhöhungen gegenüberstehen. Den Budgets fehlen Impulse, die angesichts der Lage am Arbeitsmarkt dringend notwendig wären.«

Zu niedrig hingegen dürften die Einnahmen bei der Mineralölsteuer angenommen sein. Das Lohnsteueraufkommen steigt von 16,2 Milliarden Euro auf 16,8 (2003) und auf 17,3 Milliarden Euro 2004. Das ist plausibel geschätzt. Der Anteil der Lohnsteuer am BIP sinkt trotz Lohnsteuersenkung vom sehr hohen Wert 2003 (7,57%) lediglich auf 7,53% (2004).

Zu den steuerähnlichen Einnahmen gehören vor allem die Dienstgeberbeiträge zum FLAF und zur Arbeitslosenversicherung. Auf sie entfallen ca. 13 Prozent der Gesamteinnahmen.

Die Entwicklung der Einnahmen im FLAF ist sehr vorsichtig geschätzt. Dies gilt selbst dann, wenn man den Wegfall der Dienstgeberbeiträge für ältere ArbeitnehmerInnen berücksichtigt. Deutlich überschätzt sind hingegen die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Der daraus resultierende Abgang in der Arbeitslosenversicherung (2002: rund 220 Millionen Euro, 2004: rund 320 Millionen Euro) soll nach Aussagen des Finanzministeriums aus veranschlagten Mitteln der Pauschalvorsorge gedeckt werden.

Die sonstigen Einnahmen, auf die etwa 22 Prozent der Einnahmen entfallen, sind eine sehr heterogene Größe. Von Bedeutung sind die Einnahmen aus Veräußerungserlösen, die OeNB-Gewinnabfuhr, die Rückflüsse aus der EU, Einnahmen aus Haftungen im Rahmen der Exportförderung und Einnahmen aus Pensionsbeiträgen (ÖBB, Telekom etc.).

Einmalmaßnahmen spielen bedeutende Rolle

Von besonderem Interesse sind die Einnahmen mit Einmaleffekt, weil sie nur zu einer vorübergehenden Budgetentlastung beitragen. Sie spielen auch diesmal eine bedeutende Rolle. Sowohl im Budget 2003 als auch 2004 sind Zahlungen von der ÖIAG (jeweils 150 Millionen Euro) und von der BIG (2003: 177 Millionen Euro, 2004: 267 Millionen Euro) vorgesehen. Darüber hinaus sind Eingänge aus der Übertragung der Liegenschaften an die BIG budgetiert (4. Tranche: 342 Millionen Euro) sowie Einnahmen aus dem Verkauf weiterer Liegenschaften (67 bzw. 55 Millionen Euro).

»Die Maßnahmen des Budgetbegleitgesetzes 2003 belasten die Arbeitnehmer, während die Unternehmen bis 2006 entlastet werden. Es finden bedeutende Umverteilungseffekte zu Lasten der Arbeitnehmer statt.«

5.Fehlende Impulse für Wachstum und Beschäftigung

Gesamtwirtschaftlich gesehen dürften vom Budgetentwurf 2003 expansive Effekte ausgehen. Sie reichen jedoch nicht aus, um die schwache inländische Nachfrage so zu stimulieren, dass davon substanzielle Effekte auf Wachstum und Beschäftigung ausgehen. Die Pensionsreform dürfte ein Vorsorgesparen zum Ausgleich der Einkommensverluste bei Pensionsantritt auslösen, das sich dämpfend auf den privaten Konsum auswirken wird. Setzt dieses Vorsorgesparen bereits heuer ein, dann werden dadurch die expansiven Effekte des Budgets 2003 überkompensiert.
Vom Budgetentwurf 2004 gehen trotz einer Steuersenkung eindeutig restriktive Effekte aus, da die Belastungen die Entlastungen bei weitem kompensieren.

Dazu kommen extrem restriktive Budgetansätze auf der Ausgabenseite. Das gilt insbesondere für den Personalaufwand. Von der Steuersenkung werden kaum expansive Effekte ausgehen, weil ihr Abgabenerhöhungen gegenüberstehen, die die Masseneinkommen belasten. Zusätzlich ist ab 2004 in Rechnung zu stellen, dass die Bundesregierung Sparmaßnahmen in der Höhe von 1 Milliarde Euro bei den Ländern, Städten und Gemeinden erwartet.

Der stärkste Impuls zur Stimulierung der Wirtschaft ist nach dem Regierungsprogramm erst für das Jahr 2005 - ein Aufschwungsjahr - geplant. Zur Stärkung der Konsum- und Investitionsnachfrage wären jedoch so rasch wie möglich, spätestens jedoch 2004, derartige Impulse zu setzen.

6. Zusammenfassung

Mit den Budgetentwürfen 2003 und 2004 verlässt die Regierung den strikten Kurs des »Nulldefizits um jeden Preis«.

Die beiden Budgetentwürfe wurden in einer Phase unsicherer Wachstumserwartungen erstellt. Entgegen den Behauptungen der Regierung ist die wirtschaftliche Ausgangslage keineswegs hervorragend. Vom Budget 2003 werden zwar konjunkturbelebende Effekte ausgehen, sie greifen aber zu kurz. Das Budget 2004 ist eindeutig auf Sparen ausgerichtet, so dass es trotz der ersten Etappe der Steuerreform keine nachfragebelebenden Effekte auslösen wird. Die Masseneinkommen werden belastet, weil den Steuersenkungen Abgabenerhöhungen gegenüberstehen. Den Budgets fehlen daher Impulse für das Wirtschaftswachstum, die angesichts der Lage am Arbeitsmarkt dringend notwendig wären.

Die für 2005 geplante große Steuersenkung kommt aus konjunktureller Sicht zu spät und fällt überdies in ein Aufschwungsjahr.

Die Schwerpunkte der beiden Budgets liegen vor allem bei den Ausgaben für Familien und die Landesverteidigung. Die von der Regierung behaupteten zukunftsorientierten Schwerpunkte Bildung, Forschung und Entwicklung und Arbeitsmarkt spiegeln sich in den Budgets nicht wider.

Die Maßnahmen des Budgetbegleitgesetzes 2003 belasten die ArbeitnehmerInnen, während die Unternehmen bis 2006 entlastet werden. Es finden also bedeutende Umverteilungseffekte zu Lasten der ArbeitnehmerInnen statt.

Setzt sich der Trend einer Belastungspolitik zu Lasten der ArbeitnehmerInnen fort, dann ist bei fehlenden Reformkonzepten für die zentralen Fragen Arbeit, Wachstum und Sicherung der Sozialsysteme zu befürchten, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen weiter auseinanderdriften werden. Das gefährdet den sozialen Zusammenhalt.

1) Durch den massiven Druck auf dieses Reformvorhaben ist die Regierung von den ursprünglichen Plänen bereits deutlich abgewichen. Bei Abschluss dieses Beitrags war die Debatte noch im Gang.

F A Z I T

Statt Entlastung mehr Belastung

Arbeitnehmer werden belastet, Unternehmer entlastet: eine bedeutende Umverteilung zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen verschlechtern sich weiter.

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Bruno Rossmann (Mitarbeiter in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Tue, 15 Jul 2003 00:00:00 +0200 1189007908510 Pensionsreform: Geldbeschaffung statt Pensionssicherung Allein auf die entschlossenen Aktionen des ÖGB ist es zurückzuführen, dass die Bundesregierung am »runden Tisch« mit einem Angebot reagierte, das die Abschaffung der vorzeitigen Alterspensionen über einen längeren Zeitraum erstreckte und die Wirkung der meisten Kürzungsmaßnahmen mit 10% einschränkte.

Freilich, die Pensionsreform, die nunmehr vorliegt, ist und bleibt sozial ungerecht.

ÖGB-Vorstellungen für eine umfassende Pensionsreform

Der ÖGB hat in den letzten Wochen und Monaten immer wieder seine Eckpunkte für eine umfassende, gerechte und nachhaltige Pensionsreform vorgestellt, die nunmehr - wie immer angekündigt - von einer eigenen ÖGB-Arbeitsgruppe bis zum Herbst ausgearbeitet werden. Voraussetzungen für eine umfassende Pensionsreform sind nach Ansicht des ÖGB:

  • ein künftig einheitliches Pensionssystem für alle Berufsgruppen (»gleicher Beitrag - gleiche Leistung«, 65-45-80),
  • ein flexibler Pensionszugang (Wahlfreiheit) statt Abschaffung der vorzeitigen Alterspensionen,
  • ein leistungsorientiertes Pensionskonto (mit dem Leistungsziel: Lebensstandardsicherung); bei einem beitragsorientierten Pensionskonto wird vor allem für Junge die zukünftige Alterssicherung ungewiss,
  • die rasche und zeitgleiche Umsetzung der vorgenannten Eckpunkte,
  • ein dem Vertrauensschutz entsprechender Übergang in das neue System,
  • eine Verbesserung der eigenständigen Alterssicherung der Frauen und eine generelle Dotierung der Ersatzzeiten nach dem Verursacherprinzip,
  • eine bessere Gesundheitsvorsorge (Prävention) und
  • Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsmarktlage insbesondere für ältere ArbeitnehmerInnen.

Auf dieser Grundlage war und ist der ÖGB immer bereit, an einer Pensionsreform für die Zukunft mitzuwirken. Diese Vorstellungen werden aber von der nun vorliegenden »Pensionsreform der Bundesregierung« keinesfalls erfüllt.
Beschlossene »Pensionsreform« ist und bleibt sozial ungerecht

So sieht die im Budgetbegleitgesetz 2003 enthaltene Pensionsreform 2003 samt »Abmilderungen« im Einzelnen aus:

»Freilich, die Pensionsreform, die nunmehr vorliegt, ist und bleibt sozial ungerecht.«

Abschaffung der vorzeitigen Alterspensionen: Die »Pensionsreform 2003« sieht zunächst eine vollkommene Beseitigung der Möglichkeit, vor 65/60 in Pension zu gehen, innerhalb weniger Jahre vor. Ausnahmen davon sind nur mehr die Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspensionen, für die der Arbeitsminister allerdings auch schon weitere Verschlechterungen für die Zukunft angekündigt hat. Damit wird den Menschen jede Wahlmöglichkeit beim Pensionsantritt genommen.

Die ohnehin sehr schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt wird durch das zwangsweise Hinausschieben des Pensionsantrittsalter weiter verschärft.

Abschaffung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer: Im Jahr 2004 - beginnend mit 1. 7. 2004 - wird das Antrittsalter (derzeit Männer 61,5 Jahre, Frauen 56,5 Jahre) um zwei Monate pro Quartal und in den Jahren 2005 bis Juni 2014 um einen Monat pro Quartal angehoben.

Das bedeutet zum Beispiel, dass ein heute 55-jähriger Versicherter durch die Pensionsreform 2000 eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters um 1,5 Jahre (auf 61,5) erfahren hat, durch die Pensionsreform 2003 weitere zusätzliche Jahre später, also erst mit 63,5, erst im Herbst 2011 in Pension gehen kann. Diese »doppelte« Betroffenheit innerhalb von weniger als drei Jahren um 3,5 Jahre stellt sozialpolitisch einen massiven Eingriff in die Lebensplanung der ArbeitnehmerInnen dar, der für viele mit längerer Arbeitslosigkeit einhergeht.

Abschaffung der vorzeitigen: Alterspension wegen Arbeitslosigkeit: Die Abschaffung dieser Pensionsart erfolgt übergangslos schon mit 1. 1. 2004. ArbeitnehmerInnen, die die Anspruchsvoraussetzungen für diese Pensionsart erfüllen (vereinfacht: Vorangegangene 12-monatige Arbeitslosigkeit, 20 Beitragsjahre in den letzten 30 Jahren) und das Anfallsalter von 61,5 (56,5) in den Jahren 2004 bis 2006 erreichen (Befristung), erhalten ein so genanntes »Übergangsgeld«. Das so genannte Übergangsgeld ist ein um 25 Prozent erhöhtes Arbeitslosengeld.

Für viele ArbeitnehmerInnen bedeutet das Übergangsgeld, verglichen mit dem Bezug der vorzeitigen Alterspension nach jetzigem Recht Leistungskürzungen (drastisch vor allem bei Frauen, die aus Teilzeit heraus arbeitslos werden).

Die derzeit noch mögliche vorzeitige Alterspension wegen Arbeitslosigkeit wird von Frauen besonders stark in Anspruch genommen, da hier neben der vorangehenden einjährigen Arbeitslosigkeit weniger Versicherungszeiten erforderlich sind als bei der vorzeitigen Alterspension wegen langer Versicherungsdauer.

Massive Pensionskürzungen

Bei der Pensionsreform 2003 geht es aber nicht nur um die Abschaffung der Möglichkeiten, vor 65/60 in Pension zu gehen. Es kommen massive Pensionskürzungen hinzu. Die Devise der Bundesregierung für die ArbeitnehmerInnen heißt also:

Erstens: Ihr geht später in Pension, zweitens: Die Arbeitsplätze haben wir für euch nicht und drittens: Wenn ihr später in Pension geht, dann mit deutlich weniger Geld.

Zu beachten ist darüber hinaus, dass die Verschlechterungen im Leistungsrecht auch die Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspension betreffen, was sich insbesondere aus der Neuordnung der Steigerungsprozentsätze und der Durchrechnung ergibt.

Senkung des Steigerungsbetrages von 2% auf 1,78% bis 2009: Die so genannten »Steigerungsbeträge« (jener Prozentsatz, um den pro Versicherungsjahr der Pensionsanspruch steigt) werden in den kommenden fünf Jahren von 2 auf 1,78% reduziert1). Der Steigerungsbetrag beträgt im Jahr 2004
1,96%, im Jahr 2005 1,92%, im Jahr 2006 1,88%, im Jahr 2007 1,84%, im Jahr 2008 1,80% und ab dem Jahr 2009 1,78 %. Die Neuregelung hat zur Folge, dass im Endausbau die Höchstpension - 80 % der Höchstbemessungsgrundlage - erst nach 45 Jahren erreicht wird. Bisher hatte man den Wert schon nach 40 Jahren erreicht. Die Absenkung des Steigerungsprozentsatzes bedeutet im Endausbaustadium für alle, die weniger als 40 Versicherungsjahre haben, einen Pensionsverlust von 11% (der bis auf weiteres durch die sogenannte »Deckelung« nur mit 10% durchschlägt). Da Frauen - auch in Zusammenhang mit dem niedrigeren Regelpensionsalter (60) vor allen Dingen aber aufgrund von Berufsunterbrechungen wegen Kindererziehungs und Pflege - typischerweise kürzere Versicherungszeiten haben, werden sie von der Senkung des Steigerungsbetrages häufiger und stärker betroffen als Männer.

»Die ohnehin sehr schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt wird durch das zwangsweise Hinausschieben des Pensionsantrittsalter weiter verschärft.«

Erhöhung der Abschläge: Die Abschläge werden von drei Prozentpunkten der Bemessungsgrundlage pro Jahr, das der/die Versicherte vor 65/60 in Pension geht, auf 4,2% der Bruttopension pro Jahr des früheren Pensionsantrittsalters erhöht. Dabei darf die Bruttopension vor Abzug höchstens 80% der Bemessungsgrundlage betragen. Ab dem Jahr 2009 (bei Erreichen des Steigerungsbetrages von 1,78%) darf die Bruttopension vor Abschlag bei mehr als 45 Versicherungsjahren auch über 80% liegen (Bonus für lange Versicherungszeit).

Die Abschläge werden demnach von umgerechnet 3,75% auf 4,2% der Bruttopension erhöht. Aufgrund der Umstellung der Berechnungsmethode sind vor allem Menschen mit langer Versicherungszeit und die so genannten »Hackler« besonders hart von den neuen Abschlägen betroffen.

Ausdehnung des Durchrechnungszeitraumes: Der Durchrechnungszeitraum (der angibt, aus welchen Beitragsjahren die Pensionsbemessungsgrundlage gebildet wird) wird ab 1. 1. 2004 um ein Jahr pro Kalenderjahr von derzeit 15 auf 40 Beitragsjahre ausgedehnt. Pro Kind verringert sich der Durchrechnungszeitraum um drei Jahre. Die Maßnahme bedeutet natürlich, dass zu den bisher besten 15 Einkommensjahren schwächere Einkommenszeiten (z. B. Teilzeit) bei Frauen zur Pensionsbemessung dazukommen.2) Pro zusätzlichem Jahr des verlängerten Durchrechnungszeitraumes ist mit einer durchschnittlichen Pensionskürzung von einem Prozent zu rechnen, wobei auch hier bis auf weiteres die Gesamtdeckelung zum Tragen kommt.

Deckelung der Gesamtverluste in Höhe von 10% gegenüber der Pensionsberechnung nach geltendem Recht: Die Pensionskürzungen durch niedrigere Steigerungsbeträge und höhere Abschläge (vor allem aber auch durch die Ausdehnung der Durchrechnung) ohne adäquate Erhöhung der Aufwertungsfaktoren hätten ursprünglich - gerade für die jüngere Generation - 40% und mehr betragen.

Die letztlich eingeführte 10 Prozent-Deckelung für die Gesamtverluste verhindert zwar mittelfristig diese ursprünglichen Extremverluste - kurzfristige Verluste von 10% für Männer mit langen Versicherungszeiten treten aber bereits ab 2004 ein. Ab 2009 haben fast alle Männer und Frauen diesen 10 %igen Verlust in Kauf zu nehmen.

Technisch funktioniert die Verlustdeckelung so: Bei Pensionen mit Stichtagen nach dem 31. 12. 2003 ist eine Vergleichsberechnung vorzunehmen. Ist die nach der Pensionsreform errechnete Neupension um mehr als 10% niedriger als die Vergleichspension nach altem Recht, gebührt dem/der Pensionisten/in 90% der Vergleichspension. Der Gesamtdeckel umfasst allerdings nicht jene in der Pensionsreform 2003 vorgesehenen Verluste, die aus der Nichtanpassung im ersten Jahr nach der Zuerkennung der Pension entstehen. Außerdem besteht die politische Gefahr, dass der Deckel bald aufgehoben wird und dann alle »Verluste« durch die Pensionsreform 2003 voll auf die Menschen durchschlagen.

Aussetzen der Pensionsanpassung im ersten Jahr: Die angekündigte Anpassung der Pensionen mit der Inflationsrate wird in den Jahren 2004 und 2005 abgesagt.

Ein weiterer Kern der Pensionsreform 2003 ist, dass alle Pensionsneuzugänge im ersten Jahr nach Pensionsantritt keine Pensionserhöhung erhalten. Dieser »Aussetzer« bedeutet für alle PensionistInnen eine weitere Reduktion von durchschnittlich 2% auf Lebenszeit, wodurch sich die Verluste (10 Prozent-Deckel und Nichtanpassung im ersten Jahr) auf 12% erhöhen. Das sind insgesamt eineinhalb Monatspensionen. Darüber hinaus ist die angekündigte Anpassung der Pensionen mit der Inflationsrate in den Jahren 2004 und 2005 von den Regierungsparteien abgesagt worden. Wertgesichert werden nur Pensionen bis zur Höhe der Durchschnittspension (Medianwert 660,00 Euro). Damit werden für die Hälfte der PensionistInnen die Pensionen real gekürzt. Die PensionistInnen verlieren allein in den nächsten zwei Jahren mehr als 200 Millionen Euro. Die Ankündigung, dass in bestehende Pensionen nicht eingegriffen wird, ist somit unwahr.

»Hacklerregelung«: Jahrgänge bis 46/51 dürfen bei Vorliegen von 45/40 Beitragsjahren weiter mit 60/55 in Pension gehen. Die Abschläge, von denen auch »Hackler« betroffen sind, betragen 4,2% der Bruttopension pro Jahr, das der/die Versicherte vor dem für seinen/ihren Jahrgang geltenden Antrittsalter für die vorzeitige Alterspension in Pension geht. Die Abschläge werden von der Bruttopension berechnet. Versicherte, die vor dem 1. 7. 1948 bzw. vor dem 1. 7. 1953 geboren sind, können die sogenannte »Hacklerregelung« unter obigen Voraussetzungen mit 61,5/56,5 Jahren in Anspruch nehmen.

Beitragsjahre sind nur jene Jahre, in denen tatsächlich ein Arbeitsverhältnis bestand. Für die sogenannte »Hacklerregelung« werden auch Kindererziehungszeiten und Präsenzdienstzeiten angerechnet. Arbeitslosigkeit und sonstige Ersatzzeiten bleiben unberücksichtigt. Daher kann die sogenannte »Hacklerregelung« nur von wenigen Personen in Anspruch genommen werden. Jemand, der zwar 45 oder mehr Versicherungsjahre aufweisen kann, in denen aber Ersatzzeiten wegen Arbeitslosigkeit oder längere Krankenstände enthalten sind, kann nicht mehr vorzeitig in Pension gehen.

Da der Abschlag nicht mehr, wie in der Regierungsvorlage, vom Regelpensionsalter, sondern nunmehr vom Antrittsalter für die vorzeitige Alterspension gerechnet wird, vermindern sich die Verluste der so genannten »männlichen Hackler«, bleiben aber dennoch spürbar. 3)

Schwerarbeitsregelung: Ein Pensionsantritt mit 60/55 soll nur dann weiter möglich sein, wenn der (die) Betreffende unter eine vom Sozialminister durch Verordnung zu erlassende SchwerarbeiterInnenregelung fällt. Diese SchwerarbeiterInnenregelung ist und bleibt eine Augenauswischerei, da die erst zu definierenden SchwerarbeiterInnen nur dann mit 60/55 in Pension gehen können, wenn sie die übrigen Voraussetzungen für die sogenannte »Hacklerregelung« (insbesondere 45 Beitragsjahre) erfüllen.

Pensionsreform schlägt auch bei kleinen Pensionen zu: Auch die letzten ÖVP-FPÖ-Verhandlungsrunden brachten keine nennenswerten Verbesserungen für BezieherInnen niederer Pensionen.

Die Schaffung eines Härteausgleichsfonds (errichtet im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen, Ansuchen beim Bundessozialamt, kein Rechtsanspruch, einmalige Zuwendung nach Maßgabe der Fondsmittel) degradiert PensionistInnen zu »Bittstellern« beim Bundessozialamt. Außerdem ist der Härteausgleichsfonds finanziell nur für drei Jahre dotiert4), die Pensionskürzungen für die Menschen wirken aber lebenslang.

Die geringfügige Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Ehepaare von 965 Euro auf 1000 Euro betrifft ca. 37.000 jetzt in Pension befindliche Personen. Für die von Kürzungen betroffenen Neuzugänge von jährlich weniger als 500 Personen ist die Maßnahme als Kompensation für Pensionskürzungen nahezu irrelevant.

Sonstige Maßnahmen:

Verlängerung der Altersteilzeit: Für jene Personen, die sich am 31. 3. 2003 in Altersteilzeit befunden haben, gilt noch der Zeitpunkt für den Pensionsantritt nach derzeitigem Recht. Die Pensionsverluste (insbesondere Abschlagsverluste) nach dem neuen Recht treffen sie jedoch voll. Für jene, deren Altersteilzeit zwischen dem 1. 4. 2003 und 31. 12. 2003 wirksam geworden ist, kann Altersteilzeit bis zum jeweils geltenden Pensionszeitpunkt verlängert werden. Altersteilzeit nach dem
1. 1. 2004 wird allerdings stark eingeschränkt. Die Laufzeit beträgt nur mehr fünf Jahre - eine Blockung der Altersteilzeit und voller Lohnzuschuss für den Arbeitgeber sind nur mehr bei einer Ersatzkraftstellung möglich, was eine weitgehende Entwertung der Möglichkeit zu Altersteilzeit bedeutet.

Rückerstattung nachgekaufter Schul- und Studienzeiten:

Wer Schul- und/oder Studienzeiten nachgekauft hat, um damit die Versicherungsjahre für den vorzeitigen Pensionsantritt wegen langer Versicherungsdauer zu erreichen, wird wegen der schrittweisen Verunmöglichung des früheren Antritts herb enttäuscht. Es sollen zwar jene Zeiten rückerstattet werden, die weder anspruchs- noch leistungswirksam (im Sinne einer erhöhten Pension) werden.

Die nachgekauften Schul- und Studienzeiten werden aber in den meisten Fällen leistungswirksam: Sie erhöhen die Pension, wenn auch in einem geringeren Ausmaß als im Zeitpunkt des Einkaufes erwartet. Selbst wenn es sich hierbei nur um eine geringfügige Erhöhung handelt, kommt es daher zu keiner Rückerstattung. Die Rückerstattung wird deshalb kaum jemals gefordert werden können. In Hinkunft können 12 statt nur 8 Monate pro Jahr nachgekauft werden.

1) Ursprünglich war diese Senkung schon für die nächsten drei Jahre geplant.
2) Die von den Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen vehement verlangten Aufwertungen zurückliegender Verdienstzeiten mit der Lohnentwicklung sind nicht verwirklicht.
3) Für so genannte »weibliche Hackler« bedeuten diese neuen Regelungen in fast allen Fällen Verbesserungen gegenüber dem geltenden Recht.
4) 2004 10 Millionen Euro, 2005 16 Millionen Euro und 2006 18 Millionen Euro

R E S Ü M E E

Pensionsreform unakzeptabel

Obwohl es aufgrund der entschlossenenAktionen des ÖGB zweifellos zu wichtigen Änderungen der ursprünglichen Regierungsvorschläge gekommen ist, bleibt die Pensionsreform für die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen unakzeptabel.

Die vorgesehenen Kürzungen sind überfallsartig und massiv: Für viele sofort, für die meisten in wenigen Jahren 12%. Das sind eineinhalb Monatspensionen.

Auch Menschen, die ein ganzes Leben gearbeitet haben, sind von diesen Verlusten betroffen und verlieren massiv.

Das gilt auch für Menschen mit 45 Beitragsjahren - die vollmundige Ankündigung der kleineren Regierungspartei, dass so genannte »Hackler« ohne Abschläge in Pension gehen können, blieb bloße Wunschvorstellung.

Die Pensionsreform schlägt auch bei kleinen Pensionen mit voller Härte zu, Frauen bleiben ohne eigenständige Alterssicherung, das Pensionsalter wird erhöht, ohne dass es für die ArbeitnehmerInnen Wahlmöglichkeiten gibt.

Vor allem aber auch das Hinausschieben der Harmonisierung der Pensionssysteme macht deutlich: Die Pensionsreform 2003 ist Geldbeschaffung statt Pensionssicherung.

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Richard Leutner (Leitender Sekretär des ÖGB) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899743 Spam: Kampf dem Werbe-E-Mail-Müll Der zuständige EU-Kommissar Erkki Liikanen kündigte weitere Maßnahmen an, mit denen der Mailmüll, auch »Spam« (benannt nach dem Dosenfleisch »Spiced Pork and Ham« - Schweinefleisch und Schinken), aus den elektronischen Briefkästen herausgehalten werden soll.

Liikanen will im Oktober Experten zu einem Workshop einladen, um über eine bessere Verbraucheraufklärung, eine bessere weltweite Zusammenarbeit und neue Software-Entwicklungen gegen Spam zu diskutieren. Da ein Großteil des Werbemülls in Asien und Amerika abgeschickt wird, hofft Liikanen, im Rahmen der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine weltweite Anstrengung gegen Spam mobilisieren zu können.

Selbsthilfe

Um der Flut von Werbemüll zu begegnen, prüfen Konzerne und Universitäten alle ankommenden E-Mails automatisch auf Spam- Verdächtigkeit. Dazu wird die Software SPAMASSASSIN (http://spamassassin.org) eingesetzt. Sie ermittelt einen Plausibilitätswert, ob es sich bei einer Mail um Spam handelt und ergänzt den Mail-Header um einen entsprechenden Hinweis.

Der Inhalt der Mail wird nicht verändert. Der Nutzer hat die Wahl, ob er die Mail lesen oder löschen will. Das eigene Mailprogramm kann so konfiguriert werden, dass spamverdächtige Mails automatisch in eine eigene Ablage verschoben werden. Bei einigen Anbietern von Mail-Services wie gmx geschieht dies bereits automatisch.

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S. B. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899737 Wie Schweden das Lebenslange Lernen fördert: Bildungsausgaben, die sich lohnen Selma Lagerlöf (1858-1940), Nobelpreisträgerin für Literatur aus der schwedischen Provinz Värmland, schrieb ein Geographielehrbuch für die Schulen. Wir wissen, was daraus geworden ist: »Nils Holgerssons wunderbare Reise mit den Wildgänsen«. Kann man Kindern die Geographie besser vermitteln? Das Buch erschien 1906, brachte ihr das Ehrendoktorat der Universität Uppsala und wurde in 30 Sprachen übersetzt.

Schweden hatte eben immer schon einen »kreativen touch« in Bildungsfragen, und so romantisch wie die Reise von Nils Holgersson von Schonen bis Lappland wirkte auf viele auch der Vortrag von Robert Modlitba in der AK Wien über das LLL in Schweden1). LLL steht für Lebens Langes Lernen.

Nach genau 38 Jahren kommt Robert Modlitba zurück nach Wien, von wo er 1965 aufgebrochen ist, um Urlaub zu machen; eigentlich wollte er nach Südfrankreich, seine Freunde zog es aber in den hohen Norden, also ging er mit ihnen, und er blieb gleich dort. Eine gute Entscheidung, sagt er, er habe ja auch selbst von der schwedischen Bildungspolitik profitiert und dort ein Studium absolviert. Jetzt ist er stellvertretender Ministerialdirigent (was etwa dem stellvertretenden österreichischen Sektionschef entspricht) im Bildungsministerium in Stockholm und verwaltet ein Jahresbudget von drei Milliarden Euro.

Zwei Bildungsminister

Im Schnitt einmal pro Woche hat er einen Termin bei Ministerin Lena Hallengren, zuständig für Vorschule und Erwachsenenbildung. Schweden hat zwei Minister, die für Bildung zuständig sind, Thomas Östros ist es für Schulen und Universitäten. Das erinnert an einen Vortrag des schwedischen Ministerpräsidenten Göran Persson im Februar 2002 in Wien mit seinem Bekenntnis zu noch mehr Investitionen in Bildung: »It is not possible to over-invest in education« (»in Bildung kann man nie zu viel investieren«). Besonders hervorgehoben hat er damals die Bedeutung der Vorschule und der Erwachsenenbildung. Nach seiner Wiederwahl im Herbst 2002 hat er dann gleich Taten folgen lassen.

Modlitba ist für die »formalisierte« Erwachsenenbildung zuständig, das, was in Österreich als Zweiter Bildungsweg bezeichnet wird. Dieser hat allerdings in Schweden eine ganz andere Dimension und damit auch eine andere Qualität:

Erwachsene haben nämlich ein Recht auf Ausbildung. Ein Grundsatz des schwedischen Bildungssystems besteht darin, jedem Menschen jederzeit zu ermöglichen, in das Bildungssystem zurückzukehren.

So kann ein Erwachsener tagsüber mit staatlicher Unterstützung (also ohne daneben arbeiten zu müssen) den Pflichtschulabschluss und das Gymnasium nachholen und anschließend studieren. Dafür hat er 11 Jahre Zeit!

Zurück auf die Schulbank

Eine schwedische Schulabbrecherin und angelernte Arbeiterin könnte also mit 23 den Grundschulabschluss nachholen, das dauert zwei Jahre, dann das Gymnasium machen, weitere drei Jahre. Wenn sie will, arbeitet sie nachher wieder, und mit beginnt 33 ein Studium der Betriebswirtschaft (oder was immer), dafür hat sie sechs Jahre Zeit. Im »Zweiten Bildungsweg« (Grundschule und Gymnasium) befinden sich zur Zeit 200.000 Erwachsene. Schweden lässt sich das Programm 1,27 Milliarden Euro kosten, die Stipendien und Kredite für den Lebensunterhalt der »SchülerInnen« kommen noch einmal auf jährlich 550 Millionen Euro. Die monatliche Unterstützung beträgt 680 Euro (830 für besonders Benachteiligte), ein Teil wird als Stipendium ausbezahlt, ein Teil als Kredit, der nach dem Studium innerhalb von 20 Jahren zurückzuzahlen ist. Wer schon berufstätig war und ein Einkommen hatte, kann einen höheren Kredit beantragen. Es gibt keine Gebühren für das Studium, keine für den Zweiten Bildungsweg. (In Österreich zahlt man bei manchen Anbietern für die Vorbereitung auf die Berufsreifeprüfung bis zu 4000 und für das Nachholen des Hauptschulabschlusses über 700 Euro. Das Selbsterhalter-Stipendium gibt es bis 35, das Studienabschluss-Stipendium bis 38 Jahre.

Auf die Frage, warum es dieses Angebot denn nicht auch berufsbegleitend, also am Abend gibt, antwortet Modlitba: »Wann haben dann die Leute Zeit für ihre Familie?« Es wäre interessant zu untersuchen, wie viele derer, die in Österreich Schulen für Berufstätige am Abend besuchen, die Matura schaffen, und welche das sind: eher Kinderlose unter 30?

LLL beginnt in Schweden sehr früh. Die Gemeinden müssen für alle Kinder zwischen ein und sechs Jahren vorschulische Angebote bereitstellen (sofern die Eltern berufstätig sind oder studieren). Der maximale Unkostenbeitrag für die Eltern beträgt - sozial gestaffelt - 100 Euro. Der Staat wendet allein dafür vier Milliarden Euro auf!

Nach der Vorschule gibt es eine gemeinsame Grundschule für alle sieben- bis 16-Jährigen. Lernmittel, Mahlzeiten, Transport sind gratis. Wie Finnland ist auch Schweden ganz vorne in der PISA-Studie, wie in Finnland gibt es eine Ganztagsschule und keine differenzierten Schulformen bis zur Vollendung der Schulpflicht. Die hohe Qualität der schwedischen Grundschulen zeigt sich auch daran, dass 97% anschließend das dreijährige Gymnasium besuchen, das 17 Zweige aufweist (15 berufsvorbereitende und zwei allgemeinbildende).

Bildung bis ins Alter

Eine wichtige Zielsetzung der Regierung ist es, dass 50% aller SchwedInnen unter 25 ein Studium aufnehmen. Die Unterhaltspflicht der Eltern endet mit 18 Jahren, der Staat unterstützt StudentInnen mit 680 Euro pro Monat, 240 als Stipendium, 440 Euro als Kredit (auch hier ist ein höherer Kredit möglich, wenn man schon berufstätig war). Diese finanzielle Unterstützung - für die der Staat jährlich 560 Millionen Euro aufwendet - gibt es bis zum Alter von 50! Daneben dürfen noch 9300 Euro im Jahr dazuverdient werden.

Die Universitäten nehmen nur so viele StudentInnen auf, wie dem Finanzierungsschlüssel entspricht. Jedenfalls mehr als in Österreich: bei rund acht Millionen EinwohnerInnen immerhin 280.000 im Jahr 2002.

Berufliche Weiterbildung wird traditionellerweise von den Unternehmen finanziert (das betrifft vor allem die Kurskosten). Unselbständig Erwerbstätige haben Anspruch auf bis zu 240 Stunden Freistellung pro Jahr für Weiterbildung. Daneben wirkt die Forderung der AK nach zumindest 35 Stunden Weiterbildung pro Jahr bescheiden. In Österreich gibt es in einigen wenigen Kollektivverträgen Bestimmungen über bezahlte Bildungsfreistellung von einer Woche pro Jahr oder ein oder zwei Wochen unbezahlte Freistellung. Die Bildungskarenz dauert drei bis 12 Monate. Oft stimmt der Arbeitgeber nicht zu, da er sonst eine Arbeitskraft ersetzen müsste. Pro Stunde gibt es einen Lohnersatz von acht Euro, dieser ist steuerfinanziert.

Auf die Frage, ob Schwedens Modell des LLL auch einen Nachteil habe, meint Modlitba nach kurzem Nachdenken: »Nein. Vielleicht dass es teuer ist.« Es ist eine politische Entscheidung, wieviel ein Staat in Bildung investiert. Göran Persson hat jedenfalls die Linie vorgegeben.

Robert Modlitba hat seinen Kurzaufenthalt in Wien mit einem Besuch im Schweizerhaus abgeschlossen. So eine Stelze vermisse er schon in Schweden...

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Michael Tölle http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899728 GO heißt ab sofort: Gewerkschaft Online Die neue Website hört auf den Namen GO wie »Gewerkschaften Online«. Wer sich bis 20. Oktober 2003 auf dieser Website erstregistriert, nimmt an der Verlosung teil und kann eine Flugreise nach Ägypten mit einwöchigem Aufenthalt in Shams Safaga für zwei Personen oder einen einwöchigen Aufenthalt in einem Appartement für zwei Erwachsene und zwei Kinder in Lignano oder dasselbe (eine Woche für zwei Erwachsene und zwei Kinder) im Feriendorf Maltschacher See oder das selbe am Ossiacher See gewinnen.

Die ÖGB-Website (www.oegb.at) setzt neue Maßstäbe in der digitalen Vernetzung der Gewerkschaftsbewegung der Mitglieder und FunktionärInnen. Webmail, Instant Messenger, GO-Groups oder Netzwerke: Alles, was man von einem solchen elektronischen Instrument heute erwarten darf, ist da. Persönliche Profile und Interessen können gespeichert, E-Mail-Adressen aktiviert werden. Nach der Erstanmeldung mit der Mitgliedsnummer und dem Geburtsdatum steht der interaktiven Nutzung der neuen Angebote nichts mehr im Wege.

Über die verschiedenen GO-Groups wird man zu Diskussionen eingeladen, aber man kann auch selbst in Netzwerken aktiv werden. Umfragen und Foren sind nichts Neues, die Gewerkschaften bieten sie nunmehr zielgruppenspezifisch für Mitglieder, FunktionärInnen, Interessierte. Fragen der Arbeitswelt können nun besser und direkter auf allen Ebenen diskutiert werden. Online-Umfragen sollen die Meinung der Mitglieder und FunktionärInnen besser und schneller zur Geltung bringen.

Das Serviceangebot umfasst aber auch Rechtsberatung und Publikationen, Produkte von A bis Z zu Schnäppchenpreisen, ermäßigte Eintrittskarten bei Sport- und Kulturevents bis hin zu günstigen Urlaubsangeboten. Das alles und viel mehr erschließt sich mit der Eingabe der Mitgliedsnummer. Zu den Ausbauplänen zählt unter anderem der Zugang zu Rechtstexten und Kollektivverträgen.

Die Entscheidung für die neue Website fiel dem ÖGB nicht schwer. Gewerkschaften setzen seit jeher auf Aus- und Weiterbildung. In Zeiten politischer Veränderungen sind Aufklärung und Information entscheidende Erfolgskriterien. Für den Einzelnen ebenso wie für die Gewerkschaftsbewegung. Die neue Technik macht völlig neue Dimensionen der Information und Interaktion möglich: Binnen Sekunden können alle Mitglieder und FunktionärInnen informiert werden.

Der ÖGB will damit die Zusammenarbeit zwischen betrieblicher und überbetrieblicher Interessenvertretung, zwischen Mitgliedern, BetriebsrätInnen und GO stärken. Gewerkschaften Online wird auch auf europäischer Ebene ein Vorzeige-Projekt sein.

Damit unterstreicht der ÖGB seine Bemühungen um ein soziales Europa und eine solidarische Gesellschaft, in der Mitbestimmung und Mitverantwortung nicht nur Schlagworte sind.

Registrieren:

Der Benutzername bei der erstmaligen Registrierung ist die Mitgliedsnummer ohne die vorangehenden Nullen. Das Passwort ist das Geburtsdatum (TT.MM.JJJJ). Klicken Sie auf Registrieren. Danach können Sie Ihre Daten ändern, Ihr persönliches Profil speichern, Ihre E-Mail-Adresse aktivieren.

Informieren:

Als Mitglied oder FunktionärIn erhalten Sie Informationen aus erster Hand. Ob Rechtsthemen oder Hintergrundberichte - alle Informationen erkennen Sie im eingeloggten Zustand auf »Ihrer Website« an den entsprechenden Symbolen. Die brandaktuellen News erhalten Sie auf Wunsch per E-Mail oder SMS.

Kommunizieren:

Gemeinsamkeit ist die Stärke der Gewerkschaftsbewegung. Ob bei Aktionen auf der Straße oder heute auch im Internet. Webmail, Instant Messenger, GO-Groups und Netzwerke ermöglichen Mitgliedern und FunktionärIn in Zukunft schnelle und reibungslose Kommunikation rund um die Uhr.

Service:

Die Gewerkschaften vertreten nicht nur die Interessen der Mitglieder. Aufgrund der großen Zahl von Mitgliedern erhalten sie auch Ermäßigungen bei den verschiedensten Freizeit- und sonstigen Veranstaltungen, Bildungs- und Urlaubsangeboten für ihre Mitglieder. Das gesamte Angebot steht diesen, und selbstverständlich nur ihnen, jetzt auch im Internet zur Verfügung.

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[startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1189007899722 Kommentar | Investitionen anstatt Steuergeschenke an Unternehmer Den im Juni von den Regierungsparteien beschlossenen massiven Sparmaßnahmen sollten im Jahr 2005 Entlastungen durch eine »große« Steuerreform folgen. Die weiterhin flaue Konjunktur gab in den letzten Wochen Anlass für eine Diskussion über ein mögliches Vorziehen der Reform zur Belebung der Konjunktur. Insbesondere die Oppositionsparteien und Teile der FPÖ sprachen sich dafür aus. Die ÖVP hingegen bleibt bei einem klaren Nein. Sie feilt indes an den Plänen für den großen Wurf. Erste Vorstellungen sind in den letzten Tagen angekündigt worden. Unter anderem soll der Körperschaftsteuersatz von derzeit 34% auf 31% - im ÖVP-Programm ist von 30% die Rede - gesenkt werden. Helmut Frisch, der Vorsitzende des Staatsschuldenausschusses, und andere haben jüngst sogar eine Senkung auf 25% gefordert.

Österreich am letzten Platz

Die Senkung des Körperschaftsteuertarifs auf 31% brächte den Kapitalgesellschaften eine Steuerentlastung von rund 400 Millionen Euro. Angesichts der ohnehin niedrigen Gewinnsteuerbelastung in Österreich im Vergleich der OECD-Staaten ist das ganz ordentlich: Gemessen am Gesamtsteueraufkommen, das die Unternehmen abliefern, liegt Österreich in den Statistiken der OECD am letzten Platz und gemessen am BIP an drittletzter Stelle.

Äpfel und Birnen

Zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes Österreich und damit der Arbeitsplätze seien die Körperschaftsteuersätze in Österreich zu hoch, heißt es. In den Begründungen scheut man sich nicht, die Steuersätze Österreichs mit jenen der Beitrittsländer wie Tschechien oder der Slowakei zu vergleichen - wohl wissend, dass die nominalen Steuertarife nur eine Seite der Medaille sind und die Standortqualität durch verschiedene andere Faktoren mindestens so stark geprägt wird wie von der Körperschaftsteuer.

Der Tarif der Körperschaftsteuer in Österreich ist zwar höher als jener der benachbarten Beitrittsländer und als im EU-Durchschnitt (31,7%). Unter Einrechnung der Unternehmenssteuern der Länder und Gemeinden liegt er jedoch unter dem EU-Durchschnitt (35%).

Zudem deuten niedrige Tarife nicht notwendigerweise auf eine niedrige Steuerbelastung hin. Die Effektivbesteuerung der Unternehmen ist die andere, wohl entscheidende Seite der Medaille. Die Steuerbemessungsgrundlage hat nämlich neben dem Tarif bedeutenden Einfluss auf die tatsächliche Steuerbelastung. Diesbezüglich kommt eine Studie der Europäischen Kommission von G. Nicodème aus dem Jahr 2001 zu dem Ergebnis, dass Österreich und Schweden eindeutig zu jenen Staaten gehören, in denen die steuerliche Belastung der Unternehmen sehr niedrig ist.

Hoch besteuert werden sie hingegen in Deutschland, Italien, Dänemark und den Niederlanden. Auch in Japan und in den USA ist die Belastung wesentlich höher.

Wachstum und Entwicklung hängen nicht vom Körperschaftsteuersatz ab

Internationale Untersuchungen über die Bestimmungsgrößen des Wirtschaftswachstums zeigen, dass das Wachstumstempo eines Landes von Investitionen, Forschung und Ausbildung abhängt. Forschung, Humankapital und die Nutzung neuer Technologien nehmen für hochentwickelte Wirtschaften einen zunehmend höheren Stellenwert ein. Nur selten basieren Investitionsentscheidungen auf kurzfristigen Gewinnmaximierungskalkülen, sie werden vielmehr von Marktchancen, Technologien und Innovationen bestimmt. Der Einfluss der Besteuerung auf die Investitionstätigkeit lässt sich nicht immer nachweisen und ist - wenn gesichert - eher gering, weil Steuern nur einen Teil der Kostenfaktoren darstellen. Bedeutsam sind Faktoren wie Existenz und Qualität der Infrastruktur, Angebot an qualifizierten Arbeitskräften, Umweltstandards, Transportkosten, räumliche Zugangsmöglichkeiten zu den Märkten, Lohnniveau, soziale Sicherungssysteme etc.

Standortsicherung durch Humankapital und Infrastruktur

Anstelle einer Senkung der Körperschaftsteuer, die auch bei Ländern und Städten zu spürbaren Steuerausfällen führen würde, sollten die 400 Millionen Euro für ein gezieltes, zwischen Bund, den Ländern und Gemeinden abgestimmtes Dreijahresprogramm zur Verbesserung der Standortqualität eingesetzt werden.

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit

Ein solches Programm soll der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Forschung, Ökologie, öffentliche Infrastruktur und Kultur gelten.

Zu nennen wären:

  • eine spezifische Forschungsinitiative (Umwelttechnologien, Ausbau des Austausches von Forschern in Mittel- und Osteuropa mit österreichischen Universitäten und sonstigen Forschungsstellen, Ausweiten der erfolgreichen Fachhochschul-Studiengänge durch Öffnen zu den Nachbarländern);
  • eine Ausbildungsinitiative für die Sprachen unserer östlichen Nachbarländer und von Jugendaustauschprogrammen mit diesen Staaten;
  • Mittel für spezifische infrastrukturelle und immaterielle Standortverbesserungen durch die Kernstädte der Grenzregionen wie Linz, Graz, St. Pölten, Eisenstadt, Klagenfurt sowie für die zentralen Orte im ländlichen Raum;
  • Mittel für den sozialen Fortschritt und zur Sicherung der Lebensqualität in den Grenzregionen.

Soziales Klima und Bedingungen der Nachbarschaft ergeben Standortqualität

Nicht nur die wirtschaftlichen und bildungsmäßigen Rahmenbedingungen sind es, die zu einer hohen Wettbewerbsfähigkeit einer Region beitragen, auch auf die sozialen Bedingungen kommt es an. Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie der Universität Pennsylvania, einer Art »Welt-Sozial-Report«, gehört Österreich zu jenen Ländern, in denen es sich besonders gut leben lässt: Armut und Kriminalität sind niedrig und es existiert ein funktionierendes Gesundheits,- Bildungs- und Sozialsystem. Unter den 163 untersuchten Ländern liegt Österreich nach Deutschland an hervorragender siebenter Stelle. Die vorderen Ränge belegen die skandinavischen Länder Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland. Die USA folgen erst an 27. Stelle.

Den Bürgern dienen

Anstelle des Sozialabbaues und der Einsparungen, die die Bundesregierung für innere Sicherheit, die Bekämpfung der Kriminalität, den Asyl Suchenden und Arbeitslosen vornimmt, sollte sie einen Teil der Mittel der geplanten Körperschaftsteuersenkung in die soziale Sicherheit sowie in die Europaregion Wien-Brno, Bratislava, Trnava, Györ, Sopron, Eisenstadt und St. Pölten investieren.

Für diesen Ballungsraum mit rund fünf Millionen Einwohnern könnte eine beispielgebende Integration von Wirtschaftsdynamik und sozialer Sicherheit eingeleitet werden.

Damit wäre der Wirtschaft und den BürgerInnen mehr gedient als mit Steuergeschenken an die Unternehmer.

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Helfried Bauer (Leiter des KDZ - Zentrum für Verwaltungsforschung in Wien); Bruno Rossmann (Mitarbeiter in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899711 Standpunkt | Valium für die Bevölkerung? Valium ist ein starkes und weithin gebräuchliches Beruhigungsmittel. Fritz Verzetnitsch bezeichnete die Vorgänge rund um die Voest-Privatisierung, vor allem die geplante Ausgabe von sogenannte »Wandelanleihen« als Aktion, die wie die Ausgabe von Valium an die Bevölkerung zu werten sei, eine reine Beruhigungsmaßnahme, um die Entrüstung zu dämpfen, weil ein gut funktionierender Betrieb zerstört und viele Hunderte Arbeitsplätze gefährdet werden.

Oder glauben Sie, liebe Leserin, lieber Leser, dass ein bisschen schwanger auch geht? Ein bisschen privatisieren, aber alles nicht so schlimm?
Wenn ich an meine Pension denke, möchte ich auch am liebsten Valium haben. Ein paar Jährchen länger arbeiten, dafür aber rund ein Achtel weniger Geld.

Aber wen immer ich drauf anspreche, vielleicht ein bisserl provokativ, indem ich sage: »Dir habe ich es zu verdanken, dass ich jetzt länger arbeiten darf, um dann weniger Geld als vorher rauszukriegen. Warum hat du sie gewählt, diese Regierung?« - Wann immer ich diese Frage stelle, kriege ich die Antwort: »Also bitte, ich war’s doch nicht, ich habe sie nicht gewählt.«

Ich hab noch keinen oder keine getroffen, der oder die mir geantwortet hatte: »Ja, ich habe sie gewählt. Aber jetzt weiß ich, dass es ein Fehler war, jetzt bin ich klüger. Noch einmal passiert mir das nicht.« Keiner will’s gewesen sein. So weit sind wir jetzt. Wie ist diese Regierung ins Amt gekommen? Rätselhaft, nicht wahr?

Mit den Zähnen knirschen und die Fäuste ballen? Das sind Gesten der Ohnmacht, des stillen Zorns.

Albträume

  • Wenn ich an die hohen Arbeitslosenzahlen in unserem Land denke, dann möchte ich beruhigt werden.
  • Wenn mir der in dieser Zeitschrift oft berichtete Rückgang der Lohnquote bei gleichzeitiger Steigerung der Sozialabgaben und Steuern einfällt, dann möchte ich Valium.
  • Vor allem aber wenn ich an die anhaltende Begünstigung der Unternehmereinkommen, Vermögenserträge und höheren Arbeitseinkommen denke, die durch die Ausgestaltung des Steuersystems noch verschärft wird, dann will ich gleich eine noch höhere Dosis an Beruhigung.
  • Und nun gar die Kürzung der Sozialeinkommen der Arbeitslosen, Kranken und Pensionisten. Der Begriff »soziale Gerechtigkeit« ist in unserem Land zu einer reinen Worthülse verkommen. Wie soll ich mich beruhigen?

Mit den Zähnen knirschen und die Fäuste ballen? Das sind Gesten der Ohnmacht, des stillen Zorns.

Worauf es aber ankommt, ist - zumindest auch nach den Erklärungen unseres Kollegen von den Eisenbahnern, Wilhelm Haberzettl (siehe Seite 16 dieses Hefts), dass wir uns entscheiden müssen, ob wir die anstehenden Konflikte austragen, oder ob wir weiterhin nur die Fäuste im Hosensack ballen wollen.

Das letzte Hemd

Der Sozialabbau, die Umschichtungen bei den Einkommen und Steuern, die zusätzlichen Belastungen für Kranke, Arbeitslose und Pensionisten werden solange weitergehen, bis wir uns entscheiden: »Es ist genug. Jetzt reichts!«

Abgesehen davon, gelingt der Appell an den Neid-Komplex immer noch bestens und ohne wesentlichen Widerspruch. Immer noch gibt es viel zu viele, die nicht glauben wollen, dass alles, was einem anderen Arbeitnehmer weggenommen wird, letzten Endes auch zu ihren Lasten geht, über kurz oder lang auch sie selber betreffen wird. Wer immer von uns Arbeitnehmern gerade Prügelknabe der Medien oder der medialen Öffentlichkeit ist, seien es nun die Eisenbahner, die Lehrer, die Beamten, die Flugkapitäne, oder etwa die Arbeitslosen und die oder jene ...

Augen schließen und Ohren zuhalten?

Die werden solange weitermachen, wie wir uns nicht nachdrücklich wehren. Und wenn wir nicht sagen: »Jetzt reichts aber endgültig!«, dann ziehen die uns noch das letzte Hemd aus.

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Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899705 Mobbing Psychoterror am Arbeitsplatz hat es zu jeder Zeit gegeben«, ist die Leiterin der ÖGB-Beratungsstelle, Anna Musger-Krieger, überzeugt. »Zur Sprache gekommen ist das Thema seit den Achtzigerjahren, als die Arbeitsplätze knapp wurden. Oft ist es einfach ein klassischer Verteilungskonflikt.«

Der verstorbene Psychologe, Heinz Leymann1) hat den Begriff »Mobbing« in den Achtzigerjahren geprägt, um seelische Gewalt am Arbeitsplatz zu beschreiben. Der Ursprung des Wortes aus dem Englischen (»Mob«: Horde, Schar, Pöbel; »to mob«: sich stürzen auf, belagern) zeigt, dass es sich um ein Gruppenphänomen handelt. Leymann verstand darunter »häufig wiederholte, feindselige Handlungen, die systematisch gegen ein und dieselbe Person gerichtet sind«.

Wiederholungsdelikt

Ein Wiederholungsdelikt also, das sich in Haltungen, Worten und Gesten äußert, die jede einzeln für sich betrachtet vielleicht harmlos erscheinen. Leymann listete 45 dieser Handlungen auf und behauptete, dass sich diese ein oder mehrere Male, mindestens einmal pro Woche oder über ein halbes Jahr hindurch wiederholen müssten, um von Mobbing sprechen zu können.

Eine Grenze, die der französischen Psychoanalytikerin Marie-France Hirigoyen2) etwas zu weit geht. Denn schließlich, so die studierte Viktimologin (die Viktimologie beschäftigt sich mit den Verbrechensopfern), hängt seelische Gewalt nicht nur von der Dauer, sondern auch von der Heftigkeit der Attacken ab. Wichtig sei es auch, seelische Gewalt am Arbeitsplatz von gewöhnlichen Konflikten abzugrenzen.

Eine Meinung, die auch die Expertin der ÖGB-Beratungsstelle teilt. »Ein Streit unter Kollegen, eine Schikane des Vorgesetzten wird oft gleich als Mobbing bezeichnet«, heißt es auch in der ÖGB-Broschüre zum Thema (siehe Kasten). »Kein Wunder, dass tatsächlich Betroffene oft kein Gehör finden.«

Egal, welcher Definition man sich bedient: Seelische Gewalt am Arbeitsplatz ist eine Gewalt der kleinen Treffer. »Der Phantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt«, berichtet die ausgebildete Supervisorin Musger-Krieger (siehe Interview). Einer kürzlich von der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin veröffentlichten Studie zufolge können pro Gemobbten und Jahr Unkosten bis zu 73.000 Euro entstehen. Das Leid, das die Opfer bis zum Selbstmord oder lebenslanger Arbeitsunfähigkeit treiben kann, ist kaum zu beziffern.

I N F O R M A T I O N

Aktiv gegen Mobbing

Die ÖGB-Beratungsstelle
»Mobbing macht krank. Es zerstört das Selbstbewusstsein und führt häufig zu Krankheit und Kündigung«, so Anna Musger-Krieger, Mobbing-Beraterin des ÖGB. Die am 1. April 2001 eingerichtete Stelle verzeichnet immer mehr Zustrom. Bereits im ersten Jahr hat die ausgebildete Supervisorin rund 1200 persönliche und telefonische Beratungen durchgeführt. Gegen Terminvereinbarung (01/534 44/344) gibt es kostenlose Beratung. Gewerkschaftsmitglieder erhalten finanziellen Zuschuss für weiterführende Supervision.

Mehr Infos zum Thema bieten ein Folder und die neue Mobbing-Broschüre, die gratis unter der obiger Nummer oder E-Mail unter anni.musger-krieger@oegb.at bestellt werden können.

Betroffenheit in Zahlen

Im Durchschnitt sei jeder neunte Erwerbstätige irgendwann einmal von Mobbing betroffen, heißt es in besagter Studie. Von etwa 300.000 Betroffenen in Österreich spricht Musger-Krieger. Laut einer Studie der steirischen Arbeiterkammer, an der sich im Vorjahr rund 1000 Lehrlinge beteiligten, fühlt sich jeder Dritte bereits während der Lehrzeit gemobbt. Der Psychoterror läuft meist dort, wo Kosten entstehen, berichteten die AK-Fachleute. So gab es Lehrlinge, mit denen in der Firma nicht geredet werden durfte, weil sie im Krankenstand gewesen waren. Von Beleidigungen, Beschimpfungen oder Strafarbeiten ganz zu schweigen. »Manchmal schlicht mit dem Ziel, den Jugendlichen soweit zu bringen, selbst das Handtuch zu schmeißen, weil man ihn sonst nicht los wird«, mutmaßte der Lehrlingsexperte der steirischen AK, Michael Paier.

Die subtilen Vorgänge, mit denen Menschen am Arbeitsplatz einander blockieren, erinnern an kafkaeske Beschreibungen. Beliebt ist zum Beispiel das Vorenthalten von Informationen, berichtet Musger-Krieger aus ihrer reichhaltigen Sammlung von Fallgeschichten. »Oder ein Mitarbeiter hebt das Telefon ab und sagt: ›Der ist schon zwei Stunden weg, keine Ahnung wo. Aber ich werd’s ausrichten.‹ Was er dann nicht tut.« Zur Taktik der kleinen Treffer zählt auch, den Kaffeetratsch abrupt zu unterbrechen, wenn das Opfer auftaucht. Eine Stufe höher in der Skala fiesen Verhaltens sind Manipulationen an Betriebsmitteln.

Die Frau, im Bürobereich tätig, die sich an die ÖGB-Beratungsstelle wandte, war mit den Nerven am Ende. Dass sie von den Kollegen - aus ihr nicht bekannten Gründen - »geschnitten« wurde, hatte sie noch ertragen. Dass nach einem Urlaubstag die von ihr geschriebenen Rechnungen statt mit 20 mit 0,2 Prozent Mehrwertsteuer hinausgingen, gab ihr den Rest. Den Beweis zu erbringen, wer an ihrem Computer die Kommastelle verändert hatte, war unmöglich. Die tragische Geschichte fand dennoch ein gutes Ende. Musger-Krieger: »Diese Dame hatte öfters einen Tag frei gebraucht, um ihren schwer kranken Sohn zur Therapie zu bringen. Nur der Vorgesetzte hat davon gewusst, die Kollegen waren einfach sauer, weil sie ihre Arbeit machen mussten.« Nach einem klärenden Gespräch konnte sich die Gemobbte »vor Hilfsangeboten kaum mehr retten«. Das heißt: »Auch Betroffene haben die Pflicht, zu reagieren und Konflikte anzusprechen. Ein offener Konflikt ist immer leichter zu bearbeiten als ein verdeckter.«

Altes Phänomen mit vielen Namen

Seelische Gewalt am Arbeitsplatz hat es immer schon gegeben.

Aus dem angelsächsischen Raum sind die »whistleblowers« bekannt. Personen, die Alarm schlagen, um auf Missstände aufmerksam zu machen und dadurch selbst Opfer von Repressalien werden.

In den USA wurde der Begriff »Mobbing« erst 1990 durch einen Artikel von Leymann eingeführt. Das Phänomen war schon 1976 vom US-amerikanischen Psychiater Carrol Brodsky in seinem Buch »The harrassed worker«, der gepeinigte Arbeiter, beschrieben worden.

Ein sehr altes Phänomen sind seelische Schikanen auf japanischen Arbeitsplätzen. Durch »Ijime« (Gewalt) wird versucht, Neuankömmlinge »zurechtzustutzen« oder »störende Elemente« zu zermürben. Anfang der Siebzigerjahre, so berichtet Marie-France Hirigoyen über die unterschiedlichen Ausprägungen seelischer Gewalt in verschiedenen Kulturkreisen, tauchte das Wort in diesem Sinn erstmals auf. Seit der Rezession der Neunzigerjahre wünschen die Konzerne flexiblere Kräfte, die bereit sind, gegebenenfalls in neue Rollen zu schlüpfen. Man gibt sich nicht mehr damit zufrieden, alt und unnütz gewordene Arbeitnehmer »kaltzustellen«, sondern geht über zu brutalster seelischer Gewalt, für die es im Japanischen noch keinen Begriff gibt. Das Phänomen bringt es aber immer öfter zu Schlagzeilen in den japanischen Medien. Bekannt wurde die Geschichte eines leitenden Angestellten der Firma Sega, den die Direktion zur Kündigung bewegen wollte. Sie verbannte ihn zu diesem Zweck in ein fensterloses Büro ohne Telefon.

Phänomen ohne Grenzen

Für Beispiele dieser und ähnlicher Art muss man nicht über die Grenzen schauen. Das zeigt der Fall der Angestellten eines Dornbirner Büromöbelhändlers, der im August letzten Jahres publik wurde. Erst liefen Informationen an ihr vorbei, später wurden ihr Schreibtisch und Telefon entzogen, dann das Dienstauto. Nach aggressiver sexueller Belästigung wurde sie gekündigt. Zwar wurde ihr Ex-Vorgesetzter zu einem pauschalen Schadenersatz nach dem Gleichbehandlungsgesetz verurteilt. Genugtuung für das seelische Leid gab es keine.

In Frankreich gibt es seit zwei Jahren ein Anti-Mobbing-Gesetz, das Täter mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft. In Österreich bleibt Mobbing - zumindest juristisch - schwer fassbar. Angelpunkt für Mobbingopfer ist daher die gesetzlich vorgeschriebene »allgemeine Fürsorgepflicht des Dienstgebers«. Das bedeutet, dass dieser verpflichtet ist, Mobbing abzustellen.

Gewalt durch Vorgesetzte

Laut deutschem »Mobbing-Report« gehen 38 Prozent der seelischen Gewalt aber ausschließlich von Vorgesetzten aus und Erfahrungen der Mobbing-Beratungsstellen zeigen, dass die Fäden im Psychokrieg noch öfter in den höheren Etagen gezogen werden. Etwa, indem gezielte »Personalpolitik« durch Mobbing, in diesem Fall »Bossing« genannt, betrieben wird.

»Bestimmte Rituale können aber auch der Machtdemonstration oder der klaren Positionszuweisung dienen«, schrieb die Kommunikationswissenschafterin Nicole Scholz in einer Ausgabe der Österreichischen Krankenpflege-Zeitschrift bereits 1998. Neue Mitarbeiter werden durch entwürdigende Einstiegsarbeiten »sozialisiert«. Die nicht gemobbten Mitarbeiter lernen wiederum, welche Verhaltensweisen erwünscht sind und welche nicht.

Mobbing kostet mehr als die Nerven der Betroffenen. Am schlechten Arbeitsklima erkranken nicht nur die Mitarbeiter, auch die Leistung sinkt. Zu Betriebsvereinbarungen, wie sie es seit 1996 bei der Volkswagen AG in Wolfsburg gibt, konnte sich bislang in Österreich kein Unternehmen durchringen.

1) »Mobbing, Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann«, Leymann Heinz, Rowohlt-Taschenbuch.
2) »Wenn der Job zur Hölle wird - Seelische Gewalt am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehrt.« Marie-France Hirigoyen; Verlag C.H. Beck.

Arbeit & Wirtschaft - Interview
Gabriele Müller spricht mit Anna Musger-Krieger

Perverses Psychospiel


Seit Mobbing-Opfer auch in Talk-Shows auftreten, zweifelt niemand mehr am Vorhandensein des Phänomens. Viele suchen die Schuld am Psychoterror bei sich. Mit Betriebsvereinbarungen gegen Mobbing könnte dem ein Riegel vorgeschoben werden.

Wie mobbt man jemanden aus einem Betrieb?
Der Phantasie der Mobber sind keine Grenzen gesetzt. Der beste Nährboden sind strukturelle und organisatorische Probleme im Betrieb. 80 Prozent der Betroffenen klagen darüber. Eine weitere Ursache ist die Angst um den Arbeitsplatz. Bei Fusionen, Ausgliederungen oder Privatisierungen zum Beispiel. Bei einer kleineren Gruppe ist Mobbing durch die Person bedingt. Etwa wegen gegenseitiger Antipathie oder eines autoritären Führungsstils, der keine eigene Meinung zulässt. Unter Mitarbeitern geschieht Mobbing oft bei Führungsschwäche des Vorgesetzten.

Wie beweist man Mobbing?
Ich rate immer, ein detailliertes Mobbing-Tagebuch zu führen. Erstens, um die Struktur des Prozesses und die Hintergründe zu erkennen. Zweitens, um die Ursachen zu beheben. Denn die Leute wollen weder zu Gericht gehen noch den Arbeitsplatz verlieren. Sie wollen in Ruhe ihre Arbeit tun.

Dazu muss sicher auch das Umfeld verändert werden ...
Das ist klar. Aber erst müssen die Betroffenen gestärkt werden. Oft sind sie in ihrem Selbstwertgefühl schon so geschädigt, dass sie sich selbst die Schuld daran geben, gemobbt zu werden. Man muss sie daher erst einmal aufbauen und dann gemeinsam Strategien überlegen. Meist gibt es einen Täter und viele Zuschauer oder Helfer. Wir versuchen, den Kreis einzuengen und die Ursachen herauszufinden. Das ist oft Detektivarbeit. Häufig wissen die Leute instinktiv, wann es begonnen hat. »Da ist ein neuer Chef gekommen, seither mache ich nichts mehr richtig«, zum Beispiel. Wir versuchen zu klären, wie stark der Betroffene noch ist. Denn die Hauptarbeit muss der Betroffene selbst machen. Wichtig zu wissen ist: Mobbing hört nicht auf, indem man sich ruhig verhält und hofft, dass es vorbeigeht. Je früher die Betroffenen zur Mobbing-Beratungsstelle gehen, umso besser.

In Deutschland gibt es Betriebsvereinbarungen gegen Mobbing. Und in Österreich?
In Deutschland geht man den Weg von Betriebsvereinbarungen unter dem Titel »Partnerschaftliches Verhalten am Arbeitsplatz«. Erste waren 1996 die VW-Werke in Wolfsburg mit ihren 30.000 Arbeitnehmern aus 18 Nationen. Bekanntlich ist Papier geduldig. Aber es bewirkt eines: Dass sich die Leute des Phänomens bewusst werden und wissen, dass die Leitung etwas dagegen tun will und es Sanktionen gibt - von der Verwarnung bis zur Versetzung und fristlosen Entlassung. Dieser Weg ist auch in Österreich gangbar. Eine Mustervereinbarung gegen Mobbing ist auch in unserer Broschüre enthalten. Demnächst wird der erste Betrieb in Österreich eine solche Vereinbarung unterzeichnen. Wir hoffen, dass viele diesem Beispiel folgen. Denn es gibt keinen Gewinner bei Mobbing.
Alle sind Verlierer.

Wir danken für das Gespräch!


R E S Ü M E E

Mehr als es zugeben sind von Mobbing betroffen. Still vor sich hin zu leiden ist jedoch kein Ausweg. Betroffene sollten rasch reagieren. Arbeitgeber haben die Pflicht, für ein gutes Klima im Betrieb zu sorgen und den Psychospielen einen Riegel vorzuschieben. Das ist leichter gesagt als getan. Denn die Strategien des Terrors am Arbeitsplatz sind äußerst umfassend und gefinkelt. Vieles, was wie Mobbing aussieht, sind ganz normale Schwierigkeiten im täglichen
Arbeitsalltag. Dennoch gilt es, den Terror am Arbeitsplatz frühestmöglich zu unterbinden. Wobei es schwierig ist, Mobbing überhaupt zu beweisen. Experten raten Betroffenen, ein Tagebuch anzulegen und ehestmöglich Rat zu suchen.

Ein Streifzug durch den Dschungel moderner seelischer Gewalt am Arbeitsplatz und welche Auswege es gibt.

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Gabriele Müller (Freie Journalistin in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899698 Verdienen an Flüchtlingen Die Massenschlägerei in Traiskirchen, bei der ein Tschetschene ums Leben kam, war Folge des Zusammenpferchens von 800 Menschen verschiedenster Nationalitäten. Seit die Firma European Homecare die Leitung des Lagers übernahm, wird das Essen für die Flüchtlinge tiefgekühlt aus Deutschland angeliefert und der Traiskirchner Fleischhauer verlor seinen wichtigsten Abnehmer. Der Unmut in Traiskirchen wurde dadurch nicht geringer.

Kleine Gemeinden und Landkreise in Deutschland bringen die ihnen zugeteilten Flüchtlinge meist in Pensionen und Gaststätten unter. Expandiert hat dieser Wirtschaftszweig aber erst so richtig seit der Wende. In der DDR gab es Flüchtlingseinrichtungen nur in sehr begrenztem Umfang. Ein neuer Markt entstand. Findige Geschäftemacher, darunter Konsortien aus ehemaligen Nutzern von Kasernen oder Einrichtungen der Stasi (»Staatssicherheit«), boten ihre Dienste an. 1993 schätzte der Journalist Karl-Friedrich Kassel das Marktpotential der Unterbringung und Versorgung von Asylwerbern auf acht Milliarden DM, also rund vier Milliarden Euro. Entgegen der weit verbreiteten Annahme, so Kassel damals, dass Asylsuchende nur auf der Tasche der Steuerzahlenden liegen, seien sie Anlass für massive versteckte Konjunkturförderung. Eine ganze Liste von Wirtschaftszweigen verdient an der Betreuung von Flüchtlingen: Anwälte, Übersetzer, Bauunternehmer, Sozialarbeiter, Verkehrsunternehmen, Wachdienste, Hoteliers, Hauseigentümer, Supermarktketten, Fertigmenüdienste, Restaurantbesitzer. Die Liste ist teilweise nach wie vor aktuell. Die Privatisierung hat sich jedoch seither »verfeinert«. Wie in so vielen Wirtschaftszweigen, hat auch hier die Spezialisierung und grenzüberschreitende Expansion eingesetzt. Immer mehr Privatfirmen bieten soziale Dienstleistungen.

Da in der ehemaligen DDR die Wohlfahrtsverbände wie Rotes Kreuz oder Diakonie nicht über dieselbe Hausmacht wie im Westen verfügten, hat man dort schon früh Privatfirmen mit der Leitung von Flüchtlingseinrichtungen betraut. Eine dieser Firmen, die dort von Anfang an tätig war, ist European Homecare aus Essen. Diese Firma hat seit kurzem den europäischen Markt entdeckt.

Nur 20 wollten heimkehren

Im Oktober letzten Jahres gab es großen Aufruhr in der österreichischen NGO-Szene (NGO´s: Non Governmental Organisations, Nichtregierungsorganisationen). Ohne vorherige Ausschreibung betrat das österreichische Innenministerium wirtschaftspolitisches Neuland. Die neu geschaffene Rückkehrberatung wurde European Homecare anvertraut. Innerhalb einer Woche nach ihrer Ankunft sollten Flüchtlinge über eine mögliche Rückkehr beraten werden. Das war dem Innenministerium 55.000 Euro pro Monat wert. Der Vertrag lief zunächst von Oktober 2002 bis Ende Jänner 2003. Dass etwas so Heikles wie die Rückkehrberatung einer Privatfirma übertragen wurde, löste große Empörung aus. Der Erfolg blieb denn auch weitgehend aus. In vier Monaten ließen sich lediglich etwa 20 Asylsuchende zur Rückkehr überreden. Das, obwohl das Ministerium die Firma in einer internen Weisung wissen ließ: »Es würde nicht schaden, wenn bei den Beratenen der Eindruck eines zügig abgewickelten Asylverfahrens entstünde, an dessen (baldigem) Ende (erwartungsgemäß rechtskräftige Antragsabweisung) die entsprechenden fremdenrechtlichen Verfügungen bzw. Zwangsmaßnahmen stehen.«

Der für Österreich zuständige European Homecare-Mitarbeiter Eckart Wilcke bestritt, jemals eine solche Weisung erhalten zu haben. Kontrovers war vor allem die Tatsache, dass European Homecare zwar über ausreichend Erfahrung in der Leitung von Flüchtlingseinrichtungen verfügte, jedoch nicht in der Rückkehrberatung - auch wenn das Firmenvertreter anders sahen. »Wir sollen einfach nur präsent sein und durch umfangreiche Beratung in Form von vielen Sprachen und Sozialarbeit den Leuten ein angenehmes Umfeld ermöglichen«, so Sascha Korte, Juniorchef der Firma in einem Gespräch mit dem Österreichischen Rundfunk. Entgegen andersartigen Beteuerungen verfügte European Homecare also nicht über ausreichende spezifische Beratungserfahrung.

Vom Schlüsseldienst ins Flüchtlingsgeschäft

Gründer und Senior-Chef von European Homecare ist Rudolf Korte, ein Essener Kaufmann. Die Familie Korte ist seit vier Generationen in Essen ansässig. Bevor er soziale Dienstleistungen anbot, betrieb er die Firma »Paul Noel - Baubeschläge und Schlüsseldienst«. Wie so viele Geschäftsleute aus dem Westen entdeckte auch Rudolf Korte durch die Wende einen neuen Markt: die Flüchtlingshilfe.

Der mit der Auftragsvergabe an die Privatfirmen befasste Referent Uhlenbruch vom Flüchtlingsamt Unna in Nordrhein-Westfalen (das deutsche Bundesland hat im Sommer 2001 European Homecare mit der Leitung von drei Einrichtungen betraut) betont, dass sich die Aufgabe auf die Betreuung und Versorgung der Flüchtlinge beschränkt, die Firma jedoch »keinerlei Rückkehrberatung« durchführe.

Der Vertrag für die Rückkehrberatung wurde als Übergangsregelung bis zur Verabschiedung des neuen Asylgesetzes für die Hälfte des ursprünglichen Betrages bis Ende Juni verlängert. Im Februar 2003 erhielt European Homecare jedoch einen viel wichtigeren Auftrag: die Leitung der vier größten österreichischen Flüchtlingslager ab 1. Juli. Diesmal hatte es eine Ausschreibung gegeben. Neben European Homecare bewarben sich ein Gastwirt und ein Konsortium von vier NGO´s, Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz und Volkshilfe (Arbeiterwohlfahrt).

Bestrafte Unbotmäßigkeit

Die NGO´s werteten die Entscheidung des Innenministeriums als Strafe für ihre kritische Haltung. Kritik gibt es von seiten der NGO´s auch an European Homecare: keinerlei Bemühungen, mit ihnen Kontakt zu suchen und ihre Erfahrung in Anspruch zu nehmen. Bislang mied man auch, wo irgend möglich, den Kontakt zur österreichischen Presse. Journalisten wurden stets an das Innenministerium verwiesen. In Essen wusste oder wollte man uns wenig zur Situation in Österreich sagen. Die Entschlossenheit, in andere europäische Länder zu expandieren, wurde aber bestätigt. In Spanien waren erste Versuche fehlgeschlagen, im Moment versucht man auf dem englischen Markt Fuß zu fassen. Dort mischen jedoch ganz anders geartete Firmen in der Flüchtlingsbetreuung mit: Group 4 Falck, der weltweit zweitgrößte Sicherheitskonzern (Leitung von Gefängnissen, Wachdienste) betreibt auch sechs der großen gefängnisartigen Immigration Detention Centres.

»In vier Monaten ließen sich lediglich etwa 20 Asylsuchende zur Rückkehr überreden.«

Am Tor Asyl schreien?

Der für Österreich zuständige European Homecare-Mitarbeiter Eckart Wilcke erklärte uns, wie das mit den Asylsuchenden funktioniert: Die Asylwerber kämen an und würden am Tor Asyl schreien. Bald erfahren sie, dass sie keinen Anspruch auf Bundesbetreuung haben, aber sie können an der Rückkehrberatung teilnehmen. Dort befrage man sie um ihre Asylgründe, erkläre ihnen, wie die Situation im Heimatland aussieht. Mit jedem zu Betreuenden würden stundenlange Gespräche geführt.

Wilcke nimmt seine Aufgabe ernst, man ist sich wohl bewusst, genau beobachtet zu werden. Das mangelhafte Verhältnis zu österreichischen NGO´s und Journalisten begründet er mit der Feindseligkeit, die ihnen schon von Anfang an entgegenschlug. Dafür, dass die NGO´s wiederholt das Innenministerium kritisierten, hat er kein Verständnis. Als Auftragnehmer stehe es ihm nicht zu, Kritik am Auftraggeber zu üben. Keine Hinterfragung also der Vorgaben oder der aktuellen Asylpolitik. Man erledigt einfach seine Arbeit. Besonderes soziales Engagement sei dafür, so Wilcke, nicht unbedingt notwendig. Das gehe auch so. Die Mehrzahl der Asylsuchenden würde ja tatsächlich verfolgt, diese seien freundlich und hilfsbereit, leider gebe es auch etliche Kriminelle darunter. Ein klares Weltbild also.

Vorgaben werden nicht hinterfragt

Die bisherigen Mitarbeiter in Traiskirchen sind verunsichert. European Homecare hat zwar die Bereitschaft zugesagt, sie zu übernehmen, eine Verpflichtung besteht aber nicht. Wie in Deutschland ist auch in Österreich die private Flüchtlingsbetreuung nichts Neues, die Mehrzahl der Asylsuchenden in Bundesbetreuung (nur ein Drittel aller Asylsuchenden, der Rest ist de facto obdachlos) sind in kleinen privaten Herbergsbetrieben untergebracht. Übernahme der Flüchtlingslager wird auch von den NGO´s nicht mit so großer Sorge gesehen, wie die Übernahme der Rückkehrberatung im Herbst 2002. European Homecare bot mit Euro 12,90 den niedrigsten Tagessatz an, eine Beratung ist darin nicht enthalten. Das Konsortium der vier größten österreichischen NGO´s - Caritas, Volkshilfe, Diakonie und Rotes Kreuz - konnte nicht mithalten, deren Tagessatz betrug E 15,- und schon dabei sei man laut Christoph Riedl von der Diakonie ordentlich ins Schwitzen gekommen. Laut Christoph Riedl sind hier oft nicht einmal die elementarsten Dinge geregelt.

Die Aufregung über die Privatisierung ist mittlerweile verebbt, denn im Moment steht in Österreich die Verabschiedung eines neuen Asylgesetzes bevor. Unter anderem sieht dieses Gesetz vor, dass ein Flüchtling, der weniger als zehn Kilometer von der Grenze entfernt aufgegriffen wird, gleich wieder abgeschoben werden kann. Neben den NGO´s und UNHCR, der Flüchtlingssorganisation der UNO, haben auch das Außenministerium und der Verfassungsdienst das Gesetz scharf kritisiert. Der Vertrag mit European Homecare ist unbefristet, und das wird wohl auch so bleiben. Eine Privatfirma versucht ja lediglich, eine »ordentliche Arbeit« zu leisten. Die Vorgaben des Auftraggebers werden von ihr nicht hinterfragt.

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Angela Huemer (Journalistin und Filmemacherin in Köln) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899677 GATS gefährdet uns alle Bis 1. Jänner 2005 soll eine weitgehende Liberalisierung und Privatisierung von Dienstleistungen erreicht werden. Regierungen und Industrievertreter begrüßen eine schnelle Liberalisierung. Dagegen formiert sich eine immer breitere Front von Kritikern im Rahmen der STOPP GATS-Kampagne. Sie zeigt die Gefahren und Nachteile für Arbeitnehmer, Konsumenten, Bevölkerung und Entwicklungsländer auf. Federführend dabei sind die Gewerkschaften (siehe Kasten: »Forderungen des ÖGB«).

Forderungen des ÖGB

Der ÖGB fordert den sofortigen Stopp der laufenden GATS-Verhandlungen und die Evaluierung der Auswirkungen der bisher im Rahmen der WTO erfolgten Liberalisierungsschritte. Außerdem muss im Rahmen der WTO sicher gestellt werden, dass mit elementaren öffentlichen Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheitswesen, Wasser, kommunalen Dienstleistungen, öffentlichem Wohnbau oder Verkehr auch in Zukunft kein Handel getrieben wird. Von Wirtschaftsminister Bartenstein verlangt der ÖGB die umgehende Veröffentlichung der Liberalisierungsabsichten der österreichischen Bundesregierung und der EU sowie die Veröffentlichung der Liberalisierungsforderungen anderer WTO-Staaten an die EU bzw. an Österreich. Zudem verlangt der ÖGB, dass der Wirtschaftsminister nicht ohne Auftrag des österreichischen Nationalrates verhandeln darf.

Gerade in den letzten Wochen und Monaten sind die österreichischen Medien voll mit Berichten über Zerschlagungs- und Verkaufsabsichten im Bereich von öffentlichen Dienstleistungen. Auch wird dauernd darüber gejammert, dass ein öffentliches Bildungs- und Gesundheitssystem, eine soziale Kranken- und Pensionssicherung staatlich nicht mehr leistbar seien.

»Die WTO ist die völkerrechtlich verbindliche Grundlage für den internationalen Handel.«

Dahinter steht die von der EU und der Welthandelorganisation WTO vorangetriebene Deregulierung und Privatisierung aller Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche.

Schlagworte

Exekutiert wird dies von einer Regierung, die ihr programmatisches Privatisierungsdogma ideologisch bestätigt sieht, wobei sich ein Stil breit macht, der milde gesagt an Klüngel- und Vetternwirtschaft erinnert. Schlagworte wie »weniger Staat, mehr privat« oder »der Staat hat kein Geld«, die Behauptung, er biete Leistungen zu teuer, langsam und in zu schlechter Qualität an, weil die in diesen Sektoren Beschäftigten »Privilegien« hätten, werden breitgetreten.

So wird eine Neidgesellschaft erzeugt und der Blick auf die wesentlichen Vorgänge dahinter, auf die Auswirkungen der geplanten weitgehenden Liberalisierungen, insbesondere von öffentlichen Diensten, verstellt.

Die 1995 gegründete WTO ist die völkerrechtlich verbindliche Grundlage für den internationalen Handel mit Waren, Dienstleistungen und Patentrechten. Sie hat 146 Mitglieder und hat es sich zum Ziel gesetzt, den Handel in allen Bereichen weltweit zu liberalisieren, sozusagen einen »Weltbinnenmarkt« zu schaffen. Verbindliche Sozial- und Umweltstandards fehlen in der WTO gänzlich.

Formal hat jedes Land eine Stimme, oberstes Entscheidungsorgan ist die WTO-Ministerkonferenz. Die Mitgliedsländer werden durch je ein Regierungsmitglied, meist den Wirtschaftsminister, vertreten. Die Verhandlungen finden geheim statt.

Besondere Bedeutung kommt derzeit dem GATS, dem 1995 als eine der zentralen Säulen der WTO gegründeten Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services), zu. Die kommende Verhandlungsrunde wird bei der 5. WTO-Ministerkonferenz in Mexiko vom 10. bis 14. September eingeleitet. Grundlage bilden die vorliegenden Liberalisierungsforderungen sowie die noch einzubringenden Liberalisierungsangebote der Mitgliedsstaaten.

Ein gewaltiger Kuchen

Der Kuchen, um den es geht, ist gewaltig. Der Dienstleistungshandel macht bereits rund ein Fünftel des gesamten Welthandels aus. Er trägt in den OECD-Ländern zwischen 60 und 70 % zum Bruttoinlandsprodukt bei und beschäftigt knapp zwei Drittel aller Dienstnehmer. Die EU ist mit 24 % der weltweiten Dienstleistungen der größte Importeur und Exporteur von Dienstleistungen und hat bereits die USA überholt.

Der Dienstleistungssektor weist die höchsten Wachstumsraten auf, doch sind viele Dienstleistungen in den Industrieländern noch in staatlicher bzw. kommunaler Hand, also dem Zugriff der Unternehmen verschlossen.

Massives Lobbying

Betreiber und Hauptgewinner des GATS-Abkommens sind die großen internationalen Dienstleistungsanbieter. In Europa sind sie im European Services Forum (ESF) zusammengeschlossen und betreiben bei der EU-Kommission massives Lobbying. Sie erwarten sich einen Zugang zu bisher nicht geöffneten Märkten. Einerseits in den Entwicklungsländern, wo der Dienstleistungssektor noch unterentwickelt ist, andererseits in den bisher der öffentlichen Hand vorbehaltenen Bereichen.

Nach Schätzungen der Weltbank beläuft sich der Weltmarkt für Wasserversorgung auf jährlich rund 800 Milliarden Dollar, für Bildung auf 2000 und für Gesundheitsdienstleistungen auf rund 3500 Milliarden Dollar.

Angriff auf Arbeitnehmerrechte und Daseinsvorsorge

Nach GATS sollen Dienstleistungen auf vier Arten erbracht werden können:

  1. Grenzüberschreitender Handel: Anbieter und Konsument bleiben im jeweiligen Land (z. B. Lieferung elektronischer Nachrichten).
  2. Konsum im Ausland: Der Konsument geht zeitweilig in das Land des Anbieters (z. B. Tourismus).
  3. Kommerzielle Präsenz: Die Dienstleistung wird vom Anbieter im Land des Konsumenten erbracht (z. B. Direktinvestitionen im Ausland, Tochtergesellschaften etc.)
  4. Grenzüberschreitender Verkehr natürlicher Personen: Die Dienstleister kommen zeitweise ins betreffende Land und erbringen die Dienstleistung vor Ort (z. B. Baufirmen, Transportfirmen, Pflegepersonal, Computerfachleute)1)

Bei der Öffnung des Arbeitsmarktes können sich besonders bei kurzfristigen Beschäftigungsaufnahmen enorme Probleme ergeben. Die Arbeitnehmer halten sich nur kurz auf. Ob sie entsprechend entlohnt und gleich behandelt werden wie österreichische Arbeitnehmer, ist fast nicht kontrollierbar. Schon jetzt zeigt sich, dass gerade bei Entsendung im Rahmen der Dienstleistungserbringung schwerwiegende Missbräuche fast schon die Regel sind. Man denke nur an die Missbräuche beim Einsatz von tausenden Lkw-Fahrern zu einem Hungerlohn oder an Missbräuche im Zusammenhang mit den Praktikantenabkommen. Noch dazu gibt es seitens vieler Unternehmen die Forderung, sich nicht mehr an die Lohnbestimmungen und das Arbeitsrecht Österreichs halten zu müssen, sondern generell die Bestimmungen des Herkunftslandes des Unternehmens anzuwenden.

»Die Betreiber und wirklichen Gewinner sind die großen internationalen Dienstleistungsanbieter.«

Das Arbeitsrecht wird unterlaufen

Genau das will GATS erreichen. Was »Mode 4« bedeuten kann, verdeutlicht Thomas Kattnig, Referent für Internationale Verbindungen und Humanisierung in der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten, an einem Beispiel:

»In Diskussion steht, Krankenschwestern mit Diplom als Schlüsselarbeitskräfte zu klassifizieren. Damit fallen sie in Österreich nicht mehr unter die Quote für ausländische Arbeitskräfte. Werden sie im Bereich der Mobilen Altenbetreuung beschäftigt, wo kein Kollektivvertrag und kein Mindestlohntarif besteht, können z. B. ungarische Krankenschwestern temporär völlig legal zu ungarischen Löhnen beschäftigt werden«.

Aus Sicht des ÖGB geht es bei GATS und WTO nur darum, die Unternehmen beim Geschäftemachen zu unterstützen. »Das ist ja auch ihre Eigendefinition«, so ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch: »Uns geht es um den Stopp der laufenden GATS-Verhandlungen, die in völlig undemokratischer Weise ablaufen. Dadurch sind Arbeits- und Lebensbedingungen sowie die Grundversorgung auf vielfältige Weise bedroht.2)

»So beläuft sich der Weltmarkt für die Wasserversorgung auf jährlich rund 800 Milliarden Dollar.«

Rechtlich einbetoniert

GATS verpflichtet die Mitgliedsländer zur Offenlegung ihrer Gesetze und Vorschriften, die den Dienstleistungshandel behindern könnten, fordert von ihnen die Gleichbehandlung ausländischer sowie der ausländischen und inländischen Anbieter sowie freien Marktzugang. Öffentliche Dienstleistungen sollen nur dann von der Liberalisierung ausgenommen sein, wenn sie weder im Wettbewerb mit anderen Anbietern noch auf kommerzieller Basis erbracht werden. Wer sich nicht daran hält, bekommt ein Problem, weil GATS fast einen völkerrechtlichen Status bekommt. Drei Jahre lang gibt es keine Möglichkeit der Rücknahme, danach nur im Tausch gegen einen anderen, ebenso pofitablen Sektor, mit dem alle anderen WTO-Handelspartner einverstanden sein müssen, oder es gibt hohe Strafzölle, die sich ein armes Land kaum wird leisten können.

Damit steht die öffentliche Daseinsvorsorge auf dem Speisezettel der internationalen Dienstleistungskonzerne. In Österreich geht es um einen erheblichen Teil der Volkswirtschaft und Kernbereiche der sozialen Absicherung.

Widerstand formiert sich

Dies ist der Grund, warum die STOPP GATS-Kampagne schnell so große Resonanz in der Bevölkerung fand. »Allerdings«, so Norbert Bacher, AK-Vizepräsident und Zentralsekretär der Gewerkschaft der Eisenbahner (GdE) und Claus Faber, GATS- und Verkehrsexperte der GdE, die das STOPP GATS-Kampagnebüro zur Verfügung stellt, »mussten wir beim Start der Kampagne den österreichischen Parlamentariern GATS noch buchstabieren. Das ist heute anders«.
Offiziell gestartet wurde die österreichische STOPP GATS-Kampagne, die in der Tradition von vielen europäischen Anti-GATS-Bewegungen steht, im September 2002 von insgesamt fünf Trägerorganisationen: Armutskonferenz, ATTAC-Österreich, Greenpeace, ÖGB und Österreichische Hochschülerschaft (ÖH). Diese Organisationen tragen auch finanziell und organisatorisch die Initiative. Koordinator der Kampagne ist Willi Merny vom ÖGB, die Infrastruktur, also ein Büro, stellt die Eisenbahnergewerkschaft zur Verfügung. Über 50 weitere Organisationen unterstützen die Kampagne, darunter die Fachgewerkschaften der Eisenbahner, Chemiearbeiter, Privatangestellten, oder die Gewerkschaft Metall-Textil sowie die Arbeiterkammern Wien und Oberösterreich. Überdies haben bereits 250 Gemeinden Österreichs auf Initiative der STOPP GATS-Kampagne per Gemeinderatsresolutionen den Stopp der GATS-Verhandlungen gefordert.

Breiteste Basis

Neu und spannend für Österreich ist der übergreifende Charakter der Kampagne: So arbeiten die Arbeitnehmerseite, Studentenorganisationen sowie Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) aus dem kirchlichen, umwelt- sozial-, entwicklungspolitischen Bereich zusammen, um einen Stopp des GATS zu erreichen. Das hat damit zu tun, dass GATS auch übergreifend in alle Bereiche des menschlichen Lebens massiv eingreift.

»Erstes Ziel war es«, so Claus Faber, GATS-Experte der GdE, »sowohl bei den gesetzlichen Vertretern, als auch in der breiten Öffentlichkeit eine Sensibilisierung für das GATS-Thema, einen Stopp der Verhandlungen oder zumindest Schritte in diese Richtung zu erreichen.« Ein guter Teil der Kampagnenarbeit bestand zunächst darin, die über verschiedene Kanäle durchgesickerten Dokumente und Vorhaben von GATS an die Öffentlichkeit zu bringen. Dadurch erst wurde z. B. bekannt, dass die EU an die Entwicklungsländer weitreichende Forderungen bezüglich der Öffnung wirklich sensibler Bereiche stellt (z. B. Versicherungswesen, öffentliche Dienste und anderes). Dies führte zu massiven Gegenforderungen, meist von anderen Industriestaaten. So sollen etwa die USA die Liberalisierung des Bildungswesens verlangt haben. Laut EU soll auch im Verkehrsbereich eine totale Liberalisierung als Gegenforderung im Raum gestanden sein. Als diese Vorhaben bekannt wurden, gab es große Unruhe und öffentliche Diskussionen. Aus diesem Grund hat sich die EU-Kommission um die Jahreswende 2002/2003 bereit erklärt, eine öffentliche Konsultation zu veranstalten, bei der alle Bürger und Institutionen ihre Meinung bei der Kommission kundtun konnten. Womit die Kommission nicht gerechnet hatte war, dass sie tausende Zuschriften erhielt. 60% davon kamen allein aus Österreich.

»Aus Sicht des ÖGB geht es bei GATS und WTO nur darum, die Unternehmen beim Geschäftemachen zu unterstützen.«

Klammheimlich hineinschwindeln?

Im Frühjahr 2003 führte die österreichische Bundesregierung nach monatelangem Druck durch die STOPP GATS-Kampagne eine Enquete durch. »Dazu musste sie extra den Vizedirektor der WTO und den Direktor der EU-Generaldirektion Handel nach Wien einfliegen, weil sich diese einmal dieses abstruse Alpenvolk ansehen wollten, das da so auf die Barrikaden steigt«, fasst Claus Faber, der auch ATTAC-Mitarbeiter ist, die Entwicklung zusammen.

Bei dieser Enquete hat sich dann der Direktor der EU-Generaldirektion Handel als eine Folge der EU-Konsultation und des europaweiten Sturms der Empörung bezüglich GATS mit der Aussage festgelegt, dass die EU die vier Sektoren Wasser, Gesundheit, Bildung, audiovisuelle Medien von der Liberalisierung ausnehmen wird.

Die Gefahr ist aber keineswegs gebannt, denn verbindliche Zusage ist das keine. Im Gegenteil: Die EU-Kommission versucht nun, die großen Widerstände in Europa gegen die Liberalisierung durch eine Umwegstrategie zu bewältigen: »Stück für Stück«, so Faber, »soll ein öffentlicher Sektor nach dem anderen aufgeknackt werden, indem versucht wird, diese Bereiche klammheimlich ins GATS zu schwindeln. Das heißt, die EU probiert über GATS den europäischen Widerstand gegen die Liberalisierung auszuhebeln.« Die Interessen sind klar: Weil die Liberalisierung schon da ist, will die EU nicht ihre eigenen Unternehmen behindern, während sie die internationalen Unternehmen in den EU-Markt lassen soll.3)

Da passt es auch ins Bild, dass im Frühjahr die Wirtschaftskammer eine geheime Werbekampagne PRO-GATS auf die Beine gestellt hat. »Wir haben das Ergebnis in den Medien beobachten können. Die Wirtschaftskammer hat geheim ein PRO-GATS-Werbekonzept erstellt. Das Wirtschaftsministerium hat das Papier geheim angefordert und diese inoffizielle Kampagne mit seinem
PR-Apparat geheim unterstützt«, weiß Claus Faber.

Objekt der Begierde: Öffentlicher Verkehr

Die aktuelle Hauptfrage ist: Wo wird die EU-Kommission - die für Österreich verhandelt - bei der kommenden GATS-Runde nachgeben? Da der zuständige Wirtschaftsminister Bartenstein weiter auf Geheimhaltung pocht4), kann man nur Vermutungen anstellen. Claus Faber: »Nach unserer Analyse werden das die Sektoren sein, um die es jetzt besonders still ist. Das sind eben alle Bereiche des Mode 4 und der Verkehr. Da haben wir die Situation, dass es im öffentlichen Verkehr - und hier wieder vor allem bei der Schiene - eine massive Unterregulierung gibt. Die fehlenden internationalen Regelungen über Arbeits- und Lenkzeiten sowie fehlende Regelungen für einen Lokführerschein machen es den auf den Markt drägenden neuen privaten Unternehmern leicht. Denn was nicht reguliert ist, ist frei. Die jetzige Debatte um die ÖBB hat auch das zum Hintergrund. Zwar gibt es viele nationale Regelungen, aber die gelten oft nur für die ehemaligen staatlichen Bahnen und nicht für neue Eisenbahnbetreiber. Europas Bahnen droht eine Situation, die schlimmer als im Straßenverkehr ist«, so GdE-Verkehrsexperte Faber.5)

Zweiklassengesellschaft

Die Kritiker des GATS-Abkommens befürchten also zu Recht fatale Folgen durch die Liberalisierung der öffentlichen Dienste: Steigende Preise, Versorgungsengpässe, abnehmende Qualität und Sicherheit, eine Zwei-Klassen-Gesellschaft mit Gutverdienenden auf der einen und Grund- und Armutsversorgung auf der anderen Seite sowie den Abbau nicht profitabler Bereiche der öffentlichen Dienste. Es kommt zu einer Überversorgung im gewinnträchtigen Bereich und zu einer Unterversorgung bei Älteren, Menschen mit höherem Krankheitsrisiko und niedrigerem Einkommen. Private Dienstleistungsanbieter, die Gewinnmaximierung als oberstes Geschäftsziel haben, werden sich wohl nur die Rosinen herauspicken und alles, was Kosten verursacht und für sie nicht profitabel ist, auf Kosten der Allgemeinheit dem Staat überlassen oder eben nicht bereitstellen.

Negative Beispiele gibt es dazu leider mittlerweile zu Hauf, z. B. in Großbritannien (Bus- und Bahnverkehr, Wasser, Energie, Gesundheit), Kalifornien (Strom), oder in Schweden und Dänemark (Busverkehr), um nur einige zu nennen (siehe Kasten: »Liberalisierter Verkehr und die Folgen«).

Liberalisierter Verkehr und die Folgen

Großbritannien: Wo der innerstädtische Busverkehr liberalisiert wurde, wurden die Preise im Schnitt um ein Drittel erhöht. Die Folge: Seit 1986 haben die deregulierten Buslinien 44% ihrer Fahrgäste verloren. Die eingesparten Kosten gingen zu 80% auf Kosten der Arbeitnehmer. Die Privatisierung der britischen Bahn war ein riesiger Flop: Teilweise hatten bis zu 80% der Züge Verspätung. Durch mangelhafte Schulung, fehlende technische Ausstattung und schlechte Organisation sind spektakuläre und schwere Unfälle an der Tagesordnung. Der private Betreiber des Infrastrukturnetzes (Railtrack) ging vor wenigen Jahren pleite und hinterließ dem Staat ein völlig desolates Netz, das nun mit Steuermitteln wieder teuer aufgebaut werden muss.

Schweden: In Brüssel musste um die Genehmigung einer Finanzspritze von fünf Milliarden Euro angesucht werden, um das Bahnnetz nach der Liberalisierung vor dem Bankrott zu retten. Der private Betreiber des öffentlichen Verkehrs in Stockholm konnte die Qualität nicht halten, nun sind die öffentlichen Zuschüsse an die privaten Betreiber höher als zuvor an die öffentlichen.

Dänemark: Hier trieb der Streit um Busrouten hunderte private Fuhrunternehmer in die Pleite. Der Konkurs der dänischen Combus konnte nur durch eine staatliche 100-Millionen-Euro-Finanzspritze abgewendet werden.

1) Siehe: Werner Raza: GATS: Auswirkungen der Liberalisierung des Handels mit Dienstleistungen auf Gesundheits- und soziale Dienste, stoppgats.at; GATS und Gesundheit; sowie Werner Raza: Europäische Integrationsprozesse und lokale Ebene: Weitreichende Konsequenzen für die Kommunen; in WISO, Band 24, Nr. 2/2001
2) ÖGB-Präsident Verzetnitsch bei der Auftaktveranstaltung des ÖGB zur STOPP GATS-Kampagne vor Betriebsräten in Wien am 12. Februar 2003
3) Siehe: Werner Raza: Die GATS 2000 Verhandlungen. Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen durch die Hintertür?, in Arbeit&Wirtschaft Nr. 11/2002
4) EU-Unterausschuss des Nationalrates anlässlich eines Berichtes über den Stand der GATS-Verhandlungen, www.parlament.gv.at
5) Zu den Auswirkungen der Liberalisierung auf die ÖBB siehe:
Wilfried Leisch: »Freie Bahn - für wen« in Arbeit&Wirtschaft
Nr. 7-8/2003

I N F O R M A T I O N

www.stoppgats.at
www.oegb.or.at
www.greenpeace.at
www.oeh.ac.at/oeh/gats
www.armutskonferenz.at
www.attac-austria.org

Public Services International
www.world-psi.org/psi.nsf?
www.gatswatch.org
www.canadians.org

Public Citizen
www.citizen.org/california/water/

Third World Network

www.twn.org

www.wto.org

United Nations
www.undp.org/mainundp/propoor/index.html

Internationaler Währungsfonds
www.imf.org

European Commission´s Info-Point
World Trade in Services
gats-info.eu.int/index.html


R E S Ü M E E

Die Nutznießer von GATS betreiben ein langfristiges und subtiles Lobbying. Die Industriellenvereinigung spricht im Zusammenhang mit GATS gerne davon, dass man dem Markt doch vertrauen sollte, statt ihn zu verteufeln, und von »weniger Leistungsstaat und mehr Gewährleistungsstaat«. Wollen wir unsere Interessen wahren, dürfen wir die Industriekonzerne eben nicht frei gewähren lassen, sondern müssen uns selbst für unsere Interessen und die Aufrechterhaltung des Sozialstaates einschalten und mitwirken.

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Wilfried Leisch (Freier Journalist in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899473 Wird aus der EU eine Sozialunion? Die letzten fünfzehn Jahre der Europäischen Union waren von einer beispiellosen Dynamik. Mit der im Oktober 2003 beginnenden Regierungskonferenz1), die endgültig über den Verfassungsentwurf entscheiden wird, stehen wir nach Maastricht 1990/91, Amsterdam 1997 und Nizza 2000 vor der vierten großen Revision der europäischen Verträge. Diese Dynamik hängt eng mit den veränderten weltpolitischen und ökonomischen Rahmenbedingungen zusammen. Orientierungspunkte sind das Ende des Kalten Krieges, die deutsche Wiedervereinigung und - vor allem - die größte Erweiterungsrunde der Union. Die fünfte Erweiterung wurde 1993 vom Europäischen Rat in Kopenhagen mit der Festlegung politischer und wirtschaftlicher Beitrittskriterien eingeleitet und wird im Mai 2004 durch den Beitritt von vorerst zehn mittel- und osteuropäischen Staaten abgeschlossen sein. Damit wird die Union 25 Mitgliedstaaten umfassen. Die Bedeutung dieser Zäsur für die EU-Institutionen ist noch nicht abzuschätzen. Die wachsende Reformagenda der EU ist auf den letzten Regierungskonferenzen nur stückweise abgearbeitet worden, obwohl mit der Einführung einer gemeinsamen Währung und eines eigenen Beschäftigungskapitels im Vertrag große Fortschritte gelangen. Folgerichtig wird in den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Nizza bereits auf die nächste Regierungskonferenz verwiesen. Die letzte Konferenz fand im Dezember 2000 in Nizza statt und hatte das Mandat, die offenen institutionellen Fragen vor der Erweiterung zu klären.

»Der im Februar 2003 in Kraft getretene Vertrag von Nizza ist heute schon fast wieder Geschichte.«

Nizza

Der Vertrag von Nizza ist fast schon Geschichte. Von einer großen Reform kann keine Rede sein, in Zukunft wird die Entscheidungsfindung noch komplizierter. Vor allem bringt Nizza keine Fortschritte im Sinne einer Beschäftigungs- und Sozialunion. Die letzte Regierungskonferenz hat die Frage einer verbesserten Koordination der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik nicht einmal geprüft. Noch immer gibt es ein unakzeptables Ungleichgewicht zwischen diesen für die Bürger zentralen Politikbereichen. Mit der Festlegung auf den »Post-Nizza-Prozess« und die nächste Regierungskonferenz hat Nizza allerdings den Weg geöffnet für eine Zukunftsdebatte, die Europa in den nächsten Jahren verändern wird. Die in Nizza verabschiedete »Erklärung für die Schlussakte der Konferenz zur Zukunft der Union« enthält mehrere entscheidende Punkte:

  • Aufforderung an die Mitgliedstaaten zu einer breit angelegten Diskussion über die künftige Entwicklung der Union.
  • Sie nennt die Zukunftsfragen (Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der EU und den Mitgliedstaaten, endgültiger Status der in Nizza proklamierten Charta der Grundrechte der EU, Vereinfachung der Verträge, Rolle der nationalen Parlamente in der Architektur Europas).
  • Sie fixiert den Termin für die nächste Regierungskonferenz (2004).
  • Sie verpflichtet den Europäischen Rat, bis Dezember 2001 die weitere Vorgangsweise festzulegen.

Laeken

Nizza hat einmal mehr mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass die bisherige Methode zur Änderung der Verträge an ihre Grenzen gestoßen ist und es zusätzlicher innovativer politischer Gestaltungsprozesse bedarf. Europa kann nicht weiter nur von oben verordnet werden. Nicht nur aus grundsätzlichen demokratiepolitischen Überlegungen, sondern auch aus Gründen der Effizienz und Transparenz haben wir uns entschieden dafür ausgesprochen, die nächste Regierungskonferenz durch einen Konvent vorzubereiten, dessen Einsetzung schließlich vom Europäischen Rat von Laeken im Dezember 2001 beschlossen wurde. Struktur und Zusammensetzung des Konvents wurden in der »Erklärung von Laeken« festgelegt, ebenso das Mandat, das in einer Art Fragenkatalog zahlreiche Politikbereiche anspricht, so auch die verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, die Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission und die Effizienz der Beschlussfassung. Generell müsse die Union »demokratischer, transparenter und effizienter« werden. In der Erklärung der konstituierenden Sitzung unter dem Vorsitzenden Giscard d’Estaing am 28. Februar 2002 wird angedeutet, dass die Arbeit des Konvents in einen Verfassungstext münden könnte. Zu diesem Zeitpunkt war die Frage, ob Europa eine Verfassung brauche, noch umstritten.

Ein Europa mit Vollbeschäftigung

Die globale Forderung der Bundesarbeitskammer (BAK)2) für die nächste Regierungskonferenz lautet: Die EU muss eine Beschäftigungs- und Sozialunion werden, die dem Ziel der Vollbeschäftigung höchste Priorität einräumt. Das Ziel wird von vielen geteilt, der Weg ist umstritten. Die Sozialunion - so Klaus Hänsch, Leiter der Arbeitsgruppe »Ordnungspolitik« und Mitglied des Präsidiums des Konvents - werde durch die Politik geschaffen. Die Verfassung lege nur die Grundlage dafür, dass es eine soziale europäische Politik geben könne. Aber was ist, wenn die Grundlage nicht geeignet ist, um eine Politik für Wachstum, Vollbeschäftigung und sozialen Zusammenhalt umzusetzen? Diese Frage wird von der europäischen Politik seit Jahren ignoriert.

Das Beschäftigungsniveau ist primär Ergebnis der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und damit eine zentrale Aufgabe für Wirtschafts-, Geld- und Budgetpolitik. Wir Arbeitnehmer-Vertreter meinen daher, dass eine nachhaltige Verbesserung der Wachstums- und Beschäftigungssituation der europäischen Wirtschaft in erster Linie makroökonomische Maßnahmen erfordert. Wer eine Sozialunion will, wer Vollbeschäftigung in Europa will, darf die makroökonomische Grundausrichtung der EU nicht unverändert lassen, die für die mangelnde Flexibilität der EU-Wirtschaftspolitik verantwortlich ist. Diese ist wiederum das Ergebnis einer politisch gewollten institutionellen Ausgestaltung bzw. Machtverteilung zwischen den Institutionen und mangelnder Abstimmung zwischen den Akteuren: Die Geldpolitik ist durch den EU-Vertrag primär auf das Ziel der Preisstabilität festgelegt. Die Europäische Zentralbank (EZB) selbst hat dieses Ziel noch dazu sehr eng definiert (Anstieg des Preisniveaus von unter 2% p. a.). Sie kann also gar nicht anders, als der Inflationsbekämpfung Vorrang vor der Wachstumsstimulierung zu geben.

Dazu kommt ihr demokratiepolitisches Defizit. Die Budgetpolitik befindet sich im Korsett des Stabilitäts- und Wachstumspakts, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre Budgetpolitik am vereinbarten Ziel (»close to balance or surplus«) auszurichten. Aus diesem Grund kann die Verantwortung für die Wachstumsentwicklung nicht ausreichend wahrgenommen werden. Mehr noch: Die EU verlangt neuerdings von jenen Länder, die dieses Ziel nicht erreichen, eine jährliche Verbesserung des strukturellen Defizits um 0,5% des BIP, was de facto eine Verschärfung des Stabilitätspakts bedeutet und in den betroffenen Mitgliedstaaten zu den Abschwung verstärkenden Sparpaketen führen wird. Die Beschäftigungspolitik muss mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik im Einklang stehen, ist also primär auf weitere Flexibilisierung der Arbeitsmärte ausgerichtet.

»Es ist erstaunlich, dass die Akteure selbst in der jetzigen Situation nicht zum Umdenken bereit sind.«

Die wahren Defizite der EU

Hier liegen die wahren Defizite der EU: Aufgrund dieser in den Verträgen festgelegten makroökonomischen Grundausrichtung wird es kaum möglich sein, die Lissabonner Beschäftigungsziele zu erreichen bzw. Vollbeschäftigung herzustellen.

Es ist erstaunlich, dass die politischen Akteure auf europäischer Ebene selbst in der gegenwärtigen angespannten Situation nicht zum Umdenken bereit sind. Während das Wirtschaftswachstum von 1996 bis 2000 durchschnittlich fast 2,7% pro Jahr betrug, erreichte es 2002 nur mehr 1,1%. Für 2003 sind 1,3% Wachstum im EU-Raum prognostiziert. Als Folge steigt auch die Arbeitslosigkeit wieder deutlich an. Eine Politik für Vollbeschäftigung und Wachstum fordert Änderungen im EU-Vertrag, die der Konvent vorschlagen muss. Es geht darum, das Ziel der Vollbeschäftigung im Vertrag zu verankern und Wirtschafts- und Währungspolitik vertraglich darauf auszurichten. Nachstehend die wichtigsten Forderungen der Bundesarbeitskammer an den Konvent:

  • Weiterentwicklung der Union zu einer »Beschäftigungs- und Sozialunion« durch primärrechtliche Verankerung des Ziels der Vollbeschäftigung und institutionelle Verschränkung von Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik; Verankerung der Kernelemente des europäischen Sozialmodells;
  • Gleichgewichtung der wirtschaftspolitischen Ziele: Im Primärrecht ist festzulegen, dass die Wirtschaftspolitik das Ziel der Vollbeschäftigung verfolgt und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank auch dem Wachstums- und Vollbeschäftigungsziel Rechnung zu tragen hat.
  • Reinterpretation des Stabilitäts- und Wachstumspaktes in Richtung Erweiterung der budgetpolitischen Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten. Er sollte so ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten wichtige Zukunftsinvestitionen vornehmen können. Dabei geht es nicht um Integration des Paktes in den Verfassungsvertrag, sondern um ein politisches Signal des Konvents an die Staats- und Regierungschefs der EU.
  • Vertragliche Absicherung der Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten und ihrer Gebietskörperschaften bei Definition und Ausgestaltung der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (Daseinsvorsorge).
  • Etablierung EU-weiter Mindestnormen zu allen wesentlichen Steuern, um zu vermeiden, dass der Sozialstaat selbst zum Gegenstand des Wettbewerbs wird. Notwendige Voraussetzung: Übergang zu qualifizierten Mehrheiten.
  • Stärkere Einbindung des Europäischen Parlaments und der Sozialpartner in die europäische Politikgestaltung.
  • Aufnahme der Grundrechtecharta in den Vertrag.
  • Bekenntnis zu einem dynamischen Integrationsverständnis und Aufnahme der Methode der offenen Koordinierung in den Vertrag.
  • Vollbeschäftigung verankern!

    Vor diesem Hintergrund haben wir schon in unserem ersten Positionspapier »Europa neu gestalten« vom Mai 2002 die Einsetzung einer eigenen Arbeitsgruppe gefordert, die sich mit sozialen Fragen und einer »Beschäftigungs- und Sozialunion« befassen sollte. Erst allmählich wurde diese Idee aufgegriffen, so auch von Caspar Einem und Maria Berger, die als Mitglieder des Konvents einen wichtigen Diskussionsbeitrag einbrachten.

    Auch die europäischen Gewerkschaften, die von Anfang an hohe Erwartungen an den Konvent gerichtet haben, fordern in ihren Stellungnahmen sichtbare Fortschritte in Richtung Sozialunion. Exemplarisch sei hier auf die Stellungnahme des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) vom Oktober 2002 (»Ein Verfassungsvertrag für ein soziales Europa der Bürger«) und die Empfehlungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) vom September 2002 verwiesen. »Das heutige Ziel« - so der EGB - »ist die Schaffung einer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Union, in der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und soziale Ziele direkt und auf Grundlage gemeinsamer Politiken, die sich auf das europäische Sozialmodell und seine Werte stützen, als Ziele der EU-Zusammenarbeit gefördert werden.« Der DGB fordert eine Änderung der Haushaltsregeln des Vertrags (Art. 101 bis 104 EG-V) damit zukünftig kreditfinanzierte öffentliche Infrastrukturinvestitionen nicht der Drei-Prozent-Defizitregel unterliegen (Aufnahme der »Goldenen Defizitregel« in den EG-Vertrag) und die im Steuer- und Sozialsystem eingebauten so genannten automatischen Stabilisatoren ungehindert wirken können.

    Verfassungsentwurf des Konvents: Zwischenschritt zur Sozialunion

    Nach Monaten intensiver Beratungen und hunderten Änderungsvorschlägen seitens der Konventsmitglieder hat Giscard d’Estaing im Juni 2003 dem Europäischen Rat von Thessaloniki den Verfassungsentwurf präsentiert. Die Staats- und Regierungschefs zeigten sich erfreut und begrüßten den Entwurf als »gute Ausgangsbasis« für die kommende Regierungskonferenz.

    In der Tat bedeuten die Konventsergebnisse einen signifikanten Schritt nach vorn: Die neue Verfassung tritt an die Stelle der bisherigen Gründungsverträge und sieht erstmals auch eine Austrittsklausel vor. Die Säulenstruktur wird aufgelöst, die Europäische Union erhält eine eigene Rechtspersönlichkeit, was ihr einen Sitz im Europarat oder im UNO-Sicherheitsrat ermöglichen könnte. Die Zahl der Entscheidungsverfahren wird von fünfzehn auf sechs (Gesetz, Rahmengesetz, Verordnung, Beschluss, Empfehlung, Stellungnahme) reduziert. Erstmals werden die Zuständigkeiten der Union in einem eigenen Kompetenzkapitel zusammengeführt. Insgesamt wird die Union demokratischer (Aufwertung des Europäischen Parlaments, Festlegung der qualifizierten Mehrheit im Rat und des Mitentscheidungsverfahrens als Regelverfahren, öffentliche Ratsitzungen, Bürgerbegehren3).

    In Zusammenhang mit unseren Forderungen hinterlässt der Entwurf jedoch gemischte Gefühle. Als positiv sind folgende Aspekte hervorzuheben:

    • Die Grundrechtecharta wird rechtsverbindlich in die Verfassung aufgenommen.
    • Vollbeschäftigung und sozialer Fortschritt gehören nunmehr zu den Zielen der Union, die u. a. auch eine »soziale Marktwirtschaft« anstrebt.

    Jedoch enthält der Zielekatalog nicht alle Vorschläge der Arbeitsgruppe »Soziales Europa«. »Nachhaltige Entwicklung«, »Vollbeschäftigung« und »soziale Marktwirtschaft« sind angeführt, es fehlen jedoch vor allem die Ziele »Qualität der Arbeit« sowie »effiziente und hochwertige Sozialdienste und Leistungen der Daseinsvorsorge«. Im Beschäftigungskapitel ist weiterhin lediglich von einem »hohen Beschäftigungsniveau« die Rede.

    »Die neue Verfassung tritt an die Stelle der bisherigen Gründungsverträge und sieht erstmals auch eine Austrittsklausel vor.«

    Was offen bleibt

    Offen bleibt, wie das Bekenntnis zur »Sozialen Marktwirtschaft« mit dem »Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« (der im Wirtschaftskapitel weiterhin angeführt wird), in Einklang gebracht werden kann.

    • Die Rechte des Europäischen Parlaments werden substantiell gestärkt: Die Zahl der Bereiche, in denen das Parlament gemeinsam mit dem Rat entscheidet, wird von 34 auf 70 mehr als verdoppelt. Da beim EU-Budget die Unterscheidung zwischen obligatorischen und nicht-obligatorischen Ausgaben fällt, kann das Parlament seine Mitentscheidungsbefugnisse über den gesamten Haushalt ausdehnen - insbesondere im Agrarbereich. Es wählt den Präsidenten der Europäischen Kommission. In Zukunft muss die Kommission begründen, wenn sie einer Aufforderung des Parlaments zur Ausarbeitung eines Rechtsakts nicht nachkommt.
    • Jedoch weiterhin mangelhafte Einbindung bei der Gestaltung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik.
    • Die Rolle der Sozialpartner wird in der Verfassung verankert, ebenso der Soziale Dialog.
    • Art III-101 (ex-Art 139 EG-V) führt den quasi-gesetzgeberischen Einfluss der Sozialpartner auf. Im Unterschied zu früher sollen die Vereinbarungen der Sozialpartner jedoch nun in eine Europäische Verordnung oder einen Beschluss münden, beides Rechtsakte ohne Gesetzescharakter (Auswirkung?). Das Europäische Parlament muss darüber zumindest informiert werden.
    • Verschränkung von Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik.
    • Art I-14 des Verfassungsentwurfs ermächtigt die EU zur Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik, auch kann die Union Initiativen zur Koordinierung der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten ergreifen. Damit ist ein erster Einstieg zur institutionellen Verschränkung bzw. Gleichrangigkeit getan. Allerdings ändert dies kaum etwas an der derzeitigen wirtschaftspolitischen Grundausrichtung. Die EZB bleibt vorrangig der Preisstabilität verpflichtet. Nach wie vor müssen die beschäftigungspolitischen Leitlinien mit den Grundzügen der Wirtschaftspolitik im Einklang stehen (und nicht umgekehrt, wie vom EGB gefordert). Weiterhin sind das Europäische Parlament und die Sozialpartner in diesen wesentlichen Politikbereichen schwach eingebunden.
    • Eine Flexibilitätsklausel sichert, dass die Union auch dann tätig werden kann, wenn die erforderlichen Befugnisse in der Verfassung nicht vorgesehen sind (durch einstimmigen Beschluss des Rates und Zustimmung des Europäischen Parlaments).
    • Die Methode der »offenen Koordinierung« wird indirekt verankert, indem in einzelnen Politikbereichen darauf verwiesen wird.

    »Die Wahl eines Präsidenten des Europäischen Rates würde verhindern, dass Regierungschefs wie Silvio Berlusconi die EU nach außen vertreten könnten.«

    Europäische Zentralbank

    Nicht durchgesetzt haben sich die Forderungen in Bezug auf die Europäische Zentralbank (Änderung des Mandats, mehr Transparenz) und die Korrektur des engen Rahmens der Budgetpolitik, die Ausweitung der qualifizierten Mehrheit im Steuerbereich und die eindeutige Absicherung der Handlungsspielräume der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Leistungen der Daseinsvorsorge. Zwar sieht die Verfassung vor, dass durch europäische Gesetze die Grundsätze und Bedingungen - insbesondere in finanzieller und wirtschaftlicher Hinsicht - definiert werden sollen, nach denen die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ihren Aufgaben nachkommen können (vgl. Art III-3). Damit wird allerdings die Verantwortung nur auf die Sekundärgesetzgebung weitergereicht.

    Auch in der gemeinsamen Handelspolitik wird es weit reichende Änderungen geben, die aus Arbeitnehmersicht kritisch zu bewerten sind. So sollen Mehrheitsentscheidungen im EU-Ministerrat künftig für Abkommen über Dienstleistungen, Handelsaspekte des geistigen Eigentums und ausländische Direktinvestitionen eingeführt werden. Damit entfällt das Vetorecht einzelner Mitglieder, nicht zuletzt bei Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen im Bereich Bildung, Gesundheitswesen und Soziales. Einstimmig beschließt der Rat weiterhin, wenn Handelsverträge im Bereich des Dienstleistungsverkehrs mit der Entsendung von Personen verbunden sind oder den Handel mit kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen betreffen, »wenn diese die kulturelle und sprachliche Vielfalt in der Union beeinträchtigen können«.

    Die institutionellen Bestimmungen des Entwurfs sind bereits heftig umstritten. Vor allem die Wahl eines Präsidenten des Europäischen Rates stößt bei einigen Mitgliedstaaten auf Ablehnung, obwohl diese Idee durchaus Charme hat. Sie würde verhindern, dass derart umstrittene amtierende Regierungschefs wie Silvio Berlusconi die EU nach außen vertreten können, zumal der EU-Präsident nach der Verfassung kein einzelstaatliches Amt innehaben darf. Auch stellt sich die Frage nach Effizienz und Zumutbarkeit, wenn in der erweiterten Union ein amtierender Regierungschef während des halbjährigen Vorsitzes bis zu zweimal durch 25 Hauptstädte reisen soll, um den Europäischen Rat vorzubereiten. (Die wichtigsten institutionellen Ergebnisse sind im nebenstehenden Kasten »Der Verfassungsentwurf« zusammengefasst.)

    1) Wie bekannt, sind Regierungskonferenzen Verhandlungen der Regierungen der Mitgliedstaaten über eine Modifikation der EU-Verträge. Solche Verhandlungen haben für die europäische Integration besondere Bedeutung. Wesentliche Änderungen des Inhalts und der institutionellen Struktur der Union sind stets aus derartigen Konferenzen hervorgegangen.
    2) Siehe Positionspapier der Bundesarbeitskammer »Europa neu gestalten«, Mai 2002
    3) Art I-46 Abs. 4: »Mindestens eine Million Bürger aus einer erheblichen Anzahl von Mitgliedstaaten können die Kommission auffordern, geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht der Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um diese Verfassung umzusetzen.«

    Der Verfassungsentwurf des Konvents

    Europäischer Rat
    Wird Organ der EU; Schaffung der Funktion eines Präsidenten, der von den Mitgliedern des Europäischen Rates für zweieinhalb Jahre gewählt wird und einmal wiedergewählt werden kann. Der Präsident führt den Vorsitz und leitet die Beratungen des Europäischen Rates. Er vertritt (unbeschadet der Kompetenzen des Präsidenten der Kommission und des Außenministers) die Union nach außen. Somit wird das Rotationsprinzip auf Ebene der Präsidentschaft beendet und Kontinuität eingeführt.

    Ministerrat
    Nur mehr zwei Ratsformationen: der Rat »Angelegenheiten und Gesetzgebung« und der Rat »Auswärtige Angelegenheiten«, dessen Vorsitz der Außenminister der EU innehat. Allerdings kann der Europäische Rat weitere Ratsformationen beschließen.

    Der einheitliche halbjährige Vorsitz fällt weg. Der Vorsitz einer Ratsformation wird für die Dauer von mindestens einem Jahr nach dem Prinzip der gleichberechtigten Rotation von den Mitgliedsländern wahrgenommen, der Auswärtige Rat wird konstant vom Außenminister geleitet.

    Wenn der Rat Gesetzgebungsvorschläge berät oder beschließt, tagt er öffentlich. Soweit in der Verfassung nichts anderes festgelegt ist, beschließt der Rat mit qualifizierter Mehrheit.

    Qualifizierte Mehrheit
    Ab 1. 11. 2009 gilt doppelte Mehrheit: Mehrheit der Mitgliedstaaten, die mindestens 60% der Bevölkerung der Union repräsentieren bzw. zwei Drittel der Mitgliedstaaten und 60% der Bevölkerung.

    Europäische Kommission
    Besteht ab 2009 aus einem Präsidenten, dem Außenminister/Vizepräsidenten und 13 Europäischen Kommissaren (insgesamt 15 stimmberechtigte Mitglieder), die nach einem System der gleichberechtigten Rotation zwischen den Mitgliedsländern ausgewählt werden.

    Der Präsident der Kommission kann zusätzlich Kommissare ohne Stimmrecht ernennen. Zukünftig wählt das Parlament den Kommissionspräsidenten auf Vorschlag des Europäischen Rates. Lehnt es den Vorschlag ab, muss der Rat einen neuen Vorschlag machen.

    Außenminister
    Wird vom Europäischen Rat mit qualifizierter Mehrheit mit Zustimmung des Präsidenten der Kommission ernannt und ist gleichzeitig Mitglied und Vizepräsident der Kommission. Er leitet die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.

    Beratende Organe: AdR; WSA
    Beide Organe dürfen höchstens je 350 Mitglieder haben.
    Konkrete Zusammensetzung erfolgt durch den Rat (Europäisches Gesetz).


    R E S Ü M E E

    Impulse, aber kein wirklicher Durchbruch

    Mit dem Verfassungsentwurf setzt der Konvent wichtige Impulse zur Schaffung einer Sozialunion. Ein wirklicher Durchbruch ist auch diesmal nicht gelungen. Es kann nur von einem weiteren Zwischenschritt in Richtung Sozialunion gesprochen werden. Die Forderung nach einer gemeinsamen makroökonomischen Politik mit dem Ziel der Vollbeschäftigung und einer Korrektur des engen Rahmens der Budgetpolitik und einer Neufestlegung der EZB-Ziele bleibt aktuell, ebenso die Forderung nach einer klaren Rechtsgrundlage zur Absicherung der Leistungen der Daseinsvorsorge. Es ist zu hoffen, dass die Regierungskonferenz, die nach den Vorstellungen der italienischen Präsidentschaft am 4. Oktober 2003 eröffnet und im ersten Halbjahr 2004 abgeschlossen werden soll, diese Themen nochmals aufgreift.

    ]]> Norbert Templ (Referent der Abteilung EU und Internationales in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899455 Konflikte sind auch auszutragen A&W: Kollege Haberzettl, die Eisenbahner sind jetzt in aller Munde. Und ich glaube, du bist der Gewerkschafter, dem in letzter Zeit sehr oft nahegelegt wurde, dass er zurücktreten solle ...
    Wilhelm Haberzetel:
    Das ist an und für sich für einen Gewerkschafter ein gutes Zeichen. Damit muss er entweder seine Arbeit sehr gut machen oder zumindest für den politischen Gegner ein eher unangenehmer Zeitgenosse sein. So gesehen sind die Angriffe eigentlich ein gutes Zeichen. Aber die Frage ist immer, warum wir eigentlich diese Konfliktsituation haben. Wir erleben im Augenblick in Österreich einen neoliberalen Angriff auf Arbeitnehmervertretungen, der wirklich sagenhaft ist. Und man versucht jetzt all jene Bereiche bewusst zu zerstören, wo das Arbeitsrecht und die Sozialleistungen so gut sind, dass auch die damit verbundene Solidarität der Arbeitnehmer sehr ausgeprägt ist. Darum orientiert sich die Regierung an alten neoliberalen Verhaltensmustern, die aber in Wirklichkeit ein Frontalangriff sind. Da passen der AUA-Bereich und die Eisenbahner ganz elegant hinein.

    »Wir erleben im Augenblick in Österreich einen neoliberalen Angriff auf Arbeitnehmervertretungen, der wirklich sagenhaft ist.«

    Ich finde das sowieso gigantisch, denn ich glaube, speziell unsere Leser wissen, was eine Änderungskündigung ist. Während dem Großteil der Öffentlichkeit vorgegaukelt wird, es geht um Strukturbereinigungen oder um die Beseitigung von Privilegien.
    In Wirklichkeit fährt die Regierung zwei Strategieschienen. Die eine Schiene ist unter dem Titel Neustrukturierung der ÖBB eine Zerschlagung des Unternehmens mit einer Weichenstellung für Finanzströme, wo wir schon wissen, dass der Personenverkehr und der Güterverkehr in Wirklichkeit in den Konkurs geführt werden sollen. Das ist zwar unglaublich und unvorstellbar, aber es ist so. Und auf der anderen Seite führt man eine Privilegiendiskussion, wie sie überhaupt noch nie da war in Österreich. Ein Beispiel: Man wirft den Eisenbahnern als Privileg die Mitsprache bei der Erstellung von Dienstplänen vor. Das ist eine der ursächlichen Aufgaben des Betriebsrats, nämlich die Arbeitszeitregelung in seinem Unternehmen. Nur bei uns heißt das halt Dienstplan, während es in anderen Unternehmen nach dem § 97 der Arbeitsverfassung vollkommen logisch ist, dass der Arbeitsbeginn, das Arbeitsende und die Pausenregelung mit dem Betriebsrat abgesprochen werden. Das ist auf einmal ein Privileg der Eisenbahner. Das ist eine Diskussion nach neoliberalem Muster.

    Ich glaube, die Leute begreifen halt schwer, dass die Eisenbahner ein bisschen früher in Pension gehen und dass sie sich das aber erkauft haben dadurch, dass sie nicht so gut bezahlt werden und durch andere Dinge.
    Durch mehrere Aderlasse auf finanzieller Seite: Erstens zahlen die Eisenbahner um 47% mehr Pensionsbeitrag als der ASVG-Versicherte, und zwar im Monat um 47% mehr. Auch die Lebensverdienstsumme hat einen anderen Verlauf als anderswo. Aber was ganz wichtig ist und in der Zwischenzeit ein massiver Wettbewerbsfaktor wird: Auch das Unternehmen ÖBB bezahlt um 5,4% höhere Dienstgeberbeiträge als jedes andere Unternehmen in der Republik. Und diskutiert wird immer unter dem Deckmäntelchen, na für die Pensionierungen müsst halt ihr auch was zahlen. In der Zwischenzeit ist per Gesetz das Pensionsalter der Eisenbahner auf 63 Jahre angehoben. Nur den finanziellen Aderlass, den baut man sogar noch weiter aus. Weil die Pensionisten, nicht mehr wie bis jetzt 4,8%, sondern 5,8% Pensionssicherungsbeitrag bezahlen. Also ich würde einmal sagen, die Eisenbahner sind in der Zwischenzeit die Melkkuh für den Finanzminister geworden. Nämlich das angehobene Pensionseintrittsalter hat auf der anderen Seite die finanziellen Leistungen nicht reduziert, sondern man hat sie gleich hoch belassen wie früher.

    »Ich bin zum Beispiel ein Anhänger einer nationalen Verkehrsgewerkschaft, weil es einfach Schwachsinn ist, dass vier Gewerkschaften zum Thema Verkehr unterwegs sind.«

    Aber die argumentieren doch immer, dass der Durchschnitt mit 52 Jahren in Pension geht.
    Das ist eine recht liebe Diskussion in Wirklichkeit. Das wird so argumentiert auf der Privilegienschiene, als ob wir als Gewerkschafter pensionieren würden. Wenn einer mit dem Alter in Pension gehen kann, dann ausschließlich auf dem Wege der ärztlichen Begutachtung. Das heißt also, der Rechnungshof kritisiert zwar sehr viel, aber eines stellt er auch fest: Unrechtmäßig ist bei den Pensionierungen der Eisenbahnern nichts geschehen.

    Das heißt, da hat es ordentliche ärztliche Gutachten gegeben, ordentliche Verfahren und ordentliche Entscheidungen. Unterm Strich ist aber eines wahr und das begreift der Gesetzgeber jetzt. Er hat die letzten drei Pensionsreformen ohne unsere Mitwirkung beschlossen. Das heißt, die Eisenbahner wurden weder kontaktiert noch überhaupt in einen Diskussionsprozess einbezogen. Und wir haben damals schon erkannt, dass da sehr viel schief läuft, weil man versucht hat, das Eisenbahnerpensionsrecht bei den Änderungen dem der Beamten gleich zu halten. Jetzt haben sie das Problem, dass zwar Pensionsbestimmungen gemacht wurden, die ähnlich denen der Beamten sind, aber völlig fern der Praxis. Das bedeutet, wir haben zwar ein quasi fiktives und gesetzliches Pensionsantrittsalter von 63 Jahren, in der Praxis gehst mit 52.

    Die Faktoren sind wie in der Wirtschaft auch: Auf der einen Seite werden die Leute hinaus gemobbt, weil man sie nicht mehr will. Ältere Arbeitnehmer sind zu teuer oder gar zu viel krank. Und auf der anderen Seite hat man die Situation, dass durch Rationalisierungen und auch im Bereich der Investitionen, die ja Rationalisierungsinvestitionen sind, Arbeitsplätze vernichtet werden und jeder froh ist, wenn irgendwie eine Möglichkeit der Pensionierung besteht.

    Den Staatssekretär Kukacka habe ich im Fernsehen gehört, da hat er sich versprochen, wie man sagt, ein Freudscher Versprecher, er hat irgendwie gesagt, er muss 5000 Eisenbahner umbrin... umstrukturieren.
    Jeder Versprecher zeigt irgendwas von der Wahrheit der Gefühle. Und ich bin überzeugt, genau das ist das Gefühl von Kukacka. Der hat ja Schaum vorm Mund beim Thema Eisenbahner. In Wirklichkeit eine untragbare Situation, mit so einem Menschen eine Reform auszuverhandeln. Auf der einen Seite kein Wissen über die Sache selbst und auf der anderen Seite so einen derartigen Hass gegen diejenigen, die betroffen sind von der Reform. Das ist eine derart gefährliche Mischung, schlichtweg untragbar.

    Es kommt also jetzt auf das heraus, ein Teil soll in Pension oder in den natürlichen Abgang, sagt man?
    So ist es.

    Von diesen 12.000?
    7000. Aber in der Zwischenzeit hat sich das Blatt schon sehr gewendet. Es ist im Augenblick eine miese Stimmung im Unternehmen. Viele Beschäftigte sind quasi in der inneren Emigration. Wir erleben heuer bereits einen starken Schwung an freiwilligen Austritten oder Selbstkündigungen. Wir haben heuer bereits an die 500 Leute über das Einsparungsziel eingespart, weil die Leute von selber gehen. Auch so genannte ÖBB-Beamte sind bereit zu kündigen, wenn sie einen besseren Job finden. Und den finden sie gleich einmal wo.

    »Dem Dialog wollen wir einfach noch eine Chance geben, im Gespräch mit dem Bundesminister.«

    Das ist interessant. Für mich ist die Strategie klar. Man will Arbeitnehmer gegeneinander ausspielen. Im Moment sind es die Eisenbahner. Aber ich glaube, gerade unsere Leser werden sicher schon kapiert haben, worum es da eigentlich geht. Teile und herrsche: die Beamten, die Lehrer, die Eisenbahner …
    Den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern muss eines bewusst werden. Auch Riess-Passer hat bereits so die Diskussion geführt. In Wirklichkeit sucht man sich eine vermeintlich privilegierte Gruppe heraus, schafft deren Privilegien ab. Da bleibt aber wieder eine Gruppe über, die irgendet was besser hat als ein anderer und damit ist die dann die Privilegierte, man schafft diese vorgeblichen Privilegien ab und dann kommt wieder die Nächste. Also das ist eine Spirale nach unten, bei der ich mir denke, na ja, irgendwann wird sogar die Existenz der Arbeiter ein Privileg sein, wenn es so weiter geht. Und da, glaube ich, kann man nicht früh genug dagegen Stellung beziehen und die Eisenbahner tun es im Augenblick.

    Nachdem ihr jetzt bei eurer Personalvertreter-Konferenz gesagt habt, ihr werdet keine Kampfmaßnahmen setzen ...?
    So haben wir das nicht gesagt. Wir haben klar definiert, und zwar aufgrund der Signale, die wir aus Alpbach empfangen haben. Wir wollen dem Dialog eine Chance geben, im Gespräch mit dem Bundesminister. Von dem werden wir unser weiteres Verhalten abhängig machen. Wenn weiterhin Kukacka verhandelt, dann haben wir den Konflikt. Und zwar blitzartig. Es gibt aber auch andere Signale, und wenn die sich bestätigen, dann könnte es sein, dass der Herr Bundesminister doch vernünftiger unterwegs ist als der Herr Staatssekretär. Damit könnte man vielleicht auch vernünftige Lösungen finden. Und dem Dialog wollen wir einfach noch eine Chance geben.

    Ich halte euch die Daumen, und wenn »Arbeit&Wirtschaft« erscheint, werden die Leser eh schon wissen, was herausgekommen ist. Ich glaube, andererseits ist es ja doch so, dass die Eisenbahner einer der am besten durchorganisierten gewerkschaftlichen Bereiche sind.
    Das ist auch der Grund, warum der Angriff auf die Eisenbahner erfolgt. Genau das ist der Grund. Wir sind eine äußerst kompakte »Betriebsgewerkschaft«. Was würden sie tun als konservativer, aggressiver Regierungspartner? Logischer Weise würden sie gerade diese Gewerkschaft aufs Korn nehmen, weil damit die gesamte Gewerkschaftsbewegung mit Sicherheit geschwächt werden würde. Die Engländer unter Thatcher haben es genauso gemacht. Die Bergarbeiter waren die kompakteste Gewerkschaft, die hat man angegriffen, und die Eisenbahner hat man angegriffen. Damit war das Problem der Gewerkschaften in Wirklichkeit erledigt in England.

    »Es gibt fast kein Thema in Österreich, wo nicht zwei, drei oder vier Gewerkschaften irgendwo hingehen müssen. Miteinander.«

    Aber jeder bewusste Gewerkschafter in Österreich weiß, was immer einem anderen Arbeitnehmer weggenommen wird, trifft ihn letzten Endes auch selber.
    Ob das alle schon wissen, bin ich mir nicht so sicher. Aber es wäre höchst an der Zeit, das zu begreifen.

    Ich möchte dich noch fragen zur Infra - da bist ja du der Sprecher dieser Gruppe - und dann noch zum ÖGB-Kongress.
    Ich glaube, dass sich die Infra in den nächsten vier Jahren schon sehr deutlich weiterentwickeln muss. Die Infra hat eine ungeheuer große Chance, weil sie in sich selbst einen Strukturprozess einleiten könnte, der dem Präsidentenvorschlag entspricht. Nämlich ähnliche Strukturen wie die Wirtschaft aufzubauen. Das bedeutet aber einen sehr dichten Diskussionsprozess. Und ich sehe mich da eher in der Rolle eines Mediators oder eines Moderators. Es wird aber sicherlich schwierig genug werden.

    Man hat ja über zehn Jahre über irgendwelche Reformgeschichten diskutiert und plötzlich ist man von der Wirklichkeit überholt worden. Das war so bei den Metallern, bei der GPA, den G5.
    Das ist aber nicht die wirkliche Wirklichkeit. Das ist nur die Scheinwirklichkeit. Das ist das Problem. Die Diskussion hat man, glaube ich, im ÖGB nie zu Ende geführt: Wie strukturiert sich die Wirtschaft? Welche nützliche Struktur können die Gewerkschaften finden? Gleichzeitig mit dem Gedanken, einem ständigen Veränderungsprozess ausgesetzt zu sein. Und das sollte man miteinander diskutieren und in den Griff kriegen. Wenn sie so wollen, dem Verwendungsprinzip folgend. Ich bin zum Beispiel ein Anhänger einer nationalen Verkehrsgewerkschaft, weil es einfach Schwachsinn ist, dass vier Gewerkschaften zum Thema Verkehr unterwegs sind. Ich denke mir auch, es gibt fast kein Thema in Österreich, wo nicht zwei, drei oder vier Gewerkschaften irgendwo hingehen müssen. Miteinander.

    Ist das jetzt das Industriegruppenprinzip?
    Ich würde es gar nicht ganz so bezeichnen, aber es ist sehr ähnlich dem Industriegruppenprinzip. Und zwar deswegen, wenn ich mir denke, die Verhandlungspartner in der Wirtschaftskammer drüben, die haben sich schon so strukturiert in Wirklichkeit. Das soll aber nicht das Vorbild sein, aber es ist die zweckmäßigste Struktur. Weil nämlich gerade mit so einer Struktur die effizienteste Mitteleinsatz schlechthin möglich ist, aber auch der effizienteste Personaleinsatz.

    Das, denke ich, macht Sinn in der jetzigen Struktur. Und ich betrachte die jetzige Struktur mit dem so genannten Block eins, Block zwei, Block drei als eine Zwischenlösung bei der Neustrukturierung des ÖGB. Mit Sicherheit ist sie die teuerste Zwischenlösung. Das muss uns allen miteinander klar sein. Aber trotzdem sehe ich eine Chance, dass die Infra in sich selbst einen Veränderungsprozess beginnt. Es wird schwer genug sein, und da, glaube ich, wird meine Aufgabe sein, das zu moderieren und da und dort immer wieder Inputs zu bringen, dass sich was bewegt.

    »Ich betrachte die jetzige Struktur mit dem so genannten Block eins, Block zwei, Block drei als eine Zwischenlösung bei der Neustrukturierung des ÖGB. Mit Sicherheit ist sie die teuerste Zwischenlösung. Das muss uns allen miteinander klar sein.«

    Für unseren kommenden ÖGB-Bundeskongress wird sich das, was du da sagst, auch schon auswirken?
    Ich glaube nicht wirklich. Ich denke mir eher, der Bundeskongress hat einen ganz anderen Schwerpunkt, der doch eher in Richtung Europa geht. Und nämlich nicht ins alte Europa, sondern in das erweiterte Europa. Und da, glaube ich, wird es genug Herausforderungen geben und genug Beschlussnotwendigkeiten für den Kongress. Ich glaube nur, dass die Zeit noch nicht reif ist für diesen internen Veränderungsprozess. Beschlussfähig ist er nicht beim Kongress, von keinem Block her. Aber ich möchte fast sagen es wird sicherlich da oder dort Themen geben, die natürlich in einen Veränderungsprozess hineinspielen.

    Du bist doch einer der Gewerkschaftschefs, die jetzt in einer schwierigen Verhandlungsposition und einer Kampfposition sind. Was sind deine Prognosen, was sagst du? Wie schaut die Zukunft aus?
    Wenn es in Österreich so weitergeht, politisch, dann glaube ich, dass es wirklich einmal schwere Konflikte wird geben müssen, weil die Regierung eigentlich permanent ausreizt, wie weit sie gehen kann. Und ich denke, die gesamte Pensionsproblematik war ja auch nicht ohne. Und ich denke mir, die nächste Herausforderung wird das Thema Harmonisierung sein. Das wird die Regierung alleine nie lösen können.

    Also da kommt noch einiges auf uns zu?
    Da bin ich mir ganz sicher. Und da rede ich noch gar nicht von den gesamten Privatisierungen, die noch anstehen. Das nächste Opfer wird wohl die Post sein und das übernächste Opfer ist bei der Regierung die Eisenbahn.

    Und was ist jetzt das Positive, das wir den Leuten sagen können?
    Ich glaube, positiv ist eines, dazu sollten sich eigentlich alle durchringen. Es gibt bestimmte Situationen, wo man erkennen muss, da ist Konfliktpotential drinnen. Und dann muss sich jeder entscheiden, ob er den Konflikt austragen will oder nicht. Ich würde aus meiner Sicht den Funktionären raten, dass ein Konflikt auszutragen ist. Es ist so. Die Regierung hat uns oft genug bewiesen, das sie uns benützt, wenn sie was erreichen will, aber dass nicht wirklich irgendwas weiter geht, in dem Sinne, wie wir es als Arbeitnehmervertreter verstehen.

    Danke für das Gespräch.

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    Siegfried Sorz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899439 Elf Arbeit Suchende auf eine offene Stelle: das schreit nach Maßnahmen »Arbeit&Wirtschaft«: Kollege Leutner, du bist der Mann, der als Leitender Sekretär zuständig ist für die Arbeitskreise, in denen Inhalte für den kommenden ÖGB-Kongress im Oktober vorbereitet wurden. Kannst du uns über diese Arbeitskreise etwas verraten?
    Richard Leutner: Die Arbeitskreisarbeiten haben auf den Zukunftskonferenzen des ÖGB aufgebaut. Hier ist eine Liste zu dieser Konferenzserie zur Übersicht (Anmerkung der Redaktion: siehe Kästen, in »Arbeit&Wirtschaft« wurde über diese Konferenzen berichtet). Die Arbeitskreise behandeln die maßgeblichen Grundanliegen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Zukunft.

    Das ist einmal die Frage der Sicherheit der Arbeitsplätze. Das sind zum Zweiten ganz sicher die Einkommensverhältnisse, die ja für die Arbeitnehmer und ihre Familien von zentraler Bedeutung sind. Schließlich das Gesundheitssystem. Das Gesundheitsversorgungssystem wird jetzt intensiv diskutiert. Das ist ja von besonderer Bedeutung, weil der ÖGB ja für einen gleichen Zugang für alle Menschen im Gesundheitssystem eintritt. Unabhängig davon, wie viel Einkommen und welchen sozialen Status man hat. Und natürlich ist im Zusammenhang mit den Zukunftskonferenzen und auch mit dem Bundeskongress die Alterssicherung ein zentrales Thema.

    »Die Arbeitskreise behandeln die maßgeblichen Grundanliegen der ArbeitnehmerInnen in der Zukunft.«

    »Arbeit&Wirtschaft«: Diese Grundsatzpapiere sind sehr umfangreich und auch die Kurzfassungen sind keine leichte Kost. Kann man zu den einzelnen Bereichen noch ein paar Stichworte sagen?
    Richard Leutner: Wir können schon auf einiges genauer eingehen.

    In der Einkommenspolitik sehe ich zwei wichtige Punkte. Wir glauben, dass der Kollektivvertrag weiter ein zentrales Instrument der Einkommens- und Arbeitsbedingungen sein muss. Da gibt es immer wieder Versuche, Lohnverhandlungen ausschließlich der Betriebsebene zuzuweisen. Wir aber wissen: Gerade eine solidarische Lohnpolitik, die sich für die kleineren Einkommen einsetzt, würde in einem solchen Fall unmöglich. Gerechte Lohnpolitik für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchzusetzen, braucht gewerkschaftliche Verhandlungen und gewerkschaftliche Macht. Der Kollektivvertrag muss weiterhin zentrales Instrument der Arbeitnehmerpolitik bleiben.

    Das Zweite, was dieses Papier diskutiert, ist die Entlastung der kleineren und mittleren Einkommen, die derzeit dringend notwendig ist. Der ÖGB hat schon im vergangenen Jahr Vorschläge für eine Steuerreform gemacht: Senkung der Lohnsteuer der kleineren und mittleren Einkommen. Zumindest einmal geht es um ein Volumen von zwei Milliarden Euro. Das ist ein zentraler Punkt bei der Verbesserung der Einkommenspolitik.

    Beim Gesundheitssystem habe ich schon gesagt, dass man unabhängig vom sozialen Status und unabhängig vom persönlichen Einkommen Zugang zum System haben muss. Es darf nicht entscheidend werden, was für eine Brieftasche man hat oder was man in der Brieftasche drin hat, wenn man Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen muss. Und dort, in diesem Papier wird die gesundheitliche Versorgung der Menschen intensiv behandelt. Vor allem, was auch die Zusammenarbeit von Spitälern und niedergelassenem Bereich betrifft. Es werden da durchaus auch Strukturfragen diskutiert.

    K O N F E R E N Z E N

    Konferenz 1:
    Zukunft der sozialen Sicherheit
    Mit der ersten Konferenz fiel am 21. September 2001 in Villach (Kärnten) der Startschuss zu den ÖGB-Konferenzen zur Zukunft der Arbeitswelt.

    Konferenz 2:
    EU-Erweiterung
    25. Oktober 2001 im niederösterreichischen Laa an der Thaya.

    Konferenz 3:
    Qualifikation für die Zukunft
    29. November 2001 in Salzburg.

    Konferenz 4:
    Einkommens-, Kollektivvertrags- und Lohnpolitik
    1. März 2002 in Wattens (Tirol).

    Konferenz 5:
    Sicherung des Wirtschaftsstandorts
    22. März 2002 in Stoob (Burgenland).

    Konferenz 6:
    Mitbestimmung - Mitgestaltung
    26. April 2002 in Leoben (Steiermark).

    Konferenz 7:
    Arbeitszeit - Lebenszeit
    24. Mai 2002 in Laakirchen (Oberösterreich).

    Konferenz 8:
    Abschlusskonferenz
    Mit der 8. Konferenz wurde die ÖGB-Veranstaltungsserie »Zukunft der Arbeitswelt« am 4. Oktober 2002 abgeschlossen. Jede der sieben vorangegangenen Konferenzen war einem Thema gewidmet. Die dabei ausgearbeiteten Positionen wurden bei der Abschlusskonferenz in Wien präsentiert.

    »Arbeit&Wirtschaft«: Niedergelassener Bereich sind die praktischen Ärzte.
    Richard Leutner: Es gibt einige Strukturmängel im Gesundheitssystem. Vor allem in der Abstimmung zwischen niedergelassenem Bereich und Spitalswesen: Doppelbefundungen, Mehrfachdiagnosen und Ähnliches. Diese Fragen müssen auch behandelt werden.

    Wichtig für uns ist, dass der medizinische Fortschritt auch in Zukunft allen Menschen zugänglich bleibt und auch die Selbstverwaltung in Zukunft in der Gesundheitspolitik eine zentrale Stellung hat. Dass wir natürlich in dem Papier Kritik üben an der Regierungspolitik - die Selbstverwaltung im Hauptverband wurde beseitigt - ist in diesem Zusammenhang klar.

    Bei den Pensionen liegt die adäquate Antwort, wie man Pensionen finanziert, in der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung. Vor allem auch in den höheren Altersstufen.

    »Es darf nicht entscheidend werden, was für eine Brieftasche man hat oder was man in der Brieftasche drin hat, wenn man Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen muss.«

    »Arbeit&Wirtschaft«: Was heißt das? Dass man noch länger arbeitet?
    Richard Leutner: Das heißt, auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Chancen zu schaffen, länger in Erwerbstätigkeit zu bleiben. Die Menschen sollten aus der Erwerbstätigkeit in Pension gehen und nicht aus der Arbeitslosigkeit, so wie es jetzt leider vielfach der Fall ist.

    Die Erwerbsbeteiligung muss in Österreich gesteigert werden. In allen Altersstufen, nicht nur bei den älteren Arbeitnehmern. Bei Frauen und Jugendlichen und in allen anderen Bereichen. Das heißt aber auch, Chancen dazu zu schaffen. Die Schlüssel für diese Chancen liegen in der Gesundheitspolitik, in der Bildungspolitik und letztendlich auch in Verbesserungen des Kündigungsschutzes. Im Papier steht: Wenn wir Erwerbsbeteiligungsquoten haben wie in Skandinavien üblich, sind die Finanzierungsherausforderungen bis 2030 zu zwei Dritteln gelöst.

    Und dann sagen wir auch dazu, dass wir glauben, dass die Umstellung der Arbeitgeberbeiträge zum Sozialsystem auf wertschöpfungsbezogene Komponenten eine Zukunftsaufgabe ist.

    »Arbeit&Wirtschaft«: Das ist plausibel.
    Richard Leutner: Arbeitsplätze: Da ist jetzt ganz wichtig, dass die Konjunktur belebt werden muss. Das wird aber nicht von selbst kommen. Da wird man was tun müssen dafür.

    Aus diesen Gründen brauchen wir unmittelbar eine Lohnsteuersenkung, durch die die Kaufkraft der Arbeitnehmer wieder erhöht und dadurch wiederum die Konjunktur belebt wird. Die Steigerung der Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer belebt die Konjunktur. Ich glaube, dass Beschäftigung auch sehr viel zusammen- hängt mit Weiterbildungsmaßnahmen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist, glaube ich, ganz entscheidend. Da müssen wir auch mit der Arbeitgeberseite intensiv - ausgehend vom Bundeskongress - darüber reden, wie man es mit Modellen schaffen kann, in der konkreten betrieblichen Praxis Arbeit mit Weiterbildung zu verbinden. Es ist inakzeptabel für eine Gewerkschaftsbewegung, dass auf eine offene Stelle elf Arbeit Suchende kommen. Das schreit direkt nach Maßnahmen. Da ist auch die europäische Politik noch gefordert. Die Lösungen in der Wirtschaftspolitik brauchen sehr oft auch einen Gleichklang, der erst gefunden werden muss, wie bei dringend notwendigen Investitionen in die Infrastruktur, wie zum Beispiel bei Bahn und Post.

    Ganz wichtig ist, - und ich wiederhole es: Der Schlüssel zu einer Pensionsfinanzierung liegt in einer Erhöhung der Erwerbsbeteiligung und Vollbeschäftigung. Und da muss man aber auch die Chancen dafür schaffen. Durch eine höhere Erwerbsbeteiligung kann man zwei Drittel dieses zukünftigen Finanzierungsaufwandes für die Pensionen schon abfangen. Den Rest zu finanzieren, gelingt dann auch durch eine zu erwartende Steigerung des Volkseinkommens in der Zukunft.

    A R B E I T S K R E I S E

    1. Zukunft der sozialen Sicherheit
    2. Erweiterung und Globalisierung
    3. Qualifikation für die Zukunft
    4. Gerechte Einkommen für die Zukunft
    5. Sicherung des Wirtschaftsstandorts
    6. Mitbestimmung - Mitgestaltung
    7. Arbeitszeit - Lebenszeit
    8. Globale Vernetzung - globale Aktion

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    Siegfried Sorz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Sep 2003 00:00:00 +0200 1189007899407 Gewinnmaximierung ohne soziale Verantwortung hat keine Zukunft A&W: Kollegin Bachner, das bedeutendste gewerkschaftliche Ereignis wird im Oktober der Bundeskongress des ÖGB sein. Dieser Kongress findet alle vier Jahre statt. Was hast du als Leitende Sekretärin, die vor allem auch mit organisatorischen Aufgaben betraut ist, zum Kongress zu sagen?
    Roswitha Bachner: Dieses wichtige Ereignis findet alle vier Jahre statt. Natürlich wird bei jedem Kongress Rückschau gehalten: Was haben wir in den letzten vier Jahren in unserer Bewegung geleistet? Was konnten wir verändern? Was konnten wir nicht verändern? Die Hauptaufgabe des Kongresses ist die weitere Vorgangsweise. Die künftige Arbeit ist für die nächsten vier Jahre festzulegen. Das betrifft sowohl die politische Arbeit, die Schwerpunktthemen, und natürlich auch die organisatorische Ausrichtung der österreichischen Gewerkschaftsbewegung.

    »Wichtiger den je ist eine Organisation, die auf die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schaut.«

    A&W: Organisatorische Ausrichtung: Ist damit auch die Organisationsreform gemeint?
    Bachner: Natürlich ist auch die Organisationsreform gemeint. Wobei man fairer Weise dazusagen muss, hauptverantwortlich für den Organisationsausschuss war der Kollege Weninger. Der hat ihn als Vorsitzender geleitet. Mittlerweile ist aber der Organisationsausschuss nicht mehr aktiv. Der wurde praktisch ruhend gestellt. Aber sehr wohl wurde der Auftrag an das Präsidium erteilt, organisatorische Veränderungen durchzuführen. Es hat sich da in den letzten Jahren einiges bewegt. Wir wissen alle, das es Beschlussfassungen in einzelnen Bereichen gab, wie zum Beispiel der Beschluss der so genannten G5, wo sich fünf Gewerkschaften das Ziel gesetzt haben, gemeinsam eine neue Gewerkschaft zu bilden. Und der Beschluss der Gruppe der Infra lautet auf intensive Kooperation der sieben Gewerkschaften in allen Bereichen. Die GÖD bleibt in ihrer derzeitigen Struktur. Sie ist in keine dieser beiden Gruppen eingegliedert. Und wichtigste Aufgabe wird natürlich auch sein, Organisatorisches zu klären. Wie werden in Hinkunft die Aufgaben verteilt? Damit es keine Doppelgleisigkeiten, keine Überschneidungen gibt, damit effizienter gearbeitet werden kann. Welche Aufgaben übernehmen in Zukunft die Gewerkschaften und welche Aufgaben übernimmt der ÖGB mit seinen Strukturen, sowohl in der Zentrale wie auch in den Ländern bis hin zu den Regionen?

    A&W: Darf ich noch einmal zurück- kommen auf die Rückschau. Ist es nicht so, dass manche Anträge einfach immer wieder gestellt werden, obwohl nichts passiert. Zum Beispiel die 35-Stunden-Woche? Wie sollen das unsere Mitglieder sehen?
    Bachner: Sicherlich gibt es auch viele Anträge, die bei solchen Kongressen beschlossen werden, wo die Umsetzung dann eigentlich nicht so stattfindet und in der Schnelligkeit, wie es eigentlich dem Wunsch oder der Forderung der Beschlüsse entspricht. Das muss man aber auch relativ sehen, weil natürlich auch das politische Umfeld, das Umfeld des Arbeitslebens maßgebliche Rollen dabei spielen. Das ist nicht alleine, dass wir sagen, O.K., wir würden es als Gewerkschaftsbewegung als sinnvoll erachten, die Arbeitszeit auf 35 Stunden zu reduzieren. Auch angesichts der steigenden Zahl der Arbeitslosen. Bei jedem neuerlichen Bericht, bei jeder neuerlichen Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen sehen wir diesen Trend. Es wäre nach wie vor aus unserer Sicht sinnvoll, darüber nachzudenken, ob man nicht Arbeit auch besser verteilen könnte durch Arbeitszeitverkürzung. Aber natürlich ist dazu auch der politische Wille der Regierung notwendig. Dort, wo es um Gesetze geht. Und auf der Ebene der Kollektivverträge müssen sich die Gewerkschaften mit den Arbeitgebern einigen.

    A&W: Wobei wir gleich bei der politischen Situation sind. Manche beschreiben das so, dass wir quasi mit dem Rücken zur Wand stehen und nur verteidigen, was unsere Vorgänger erreicht haben, und trotzdem wird stückweise abgebaut. Die Rückschritte im Sozialbereich, zuletzt die Sache mit den Pensionen, die ja alle wirklich schmerzt. Und viele sagen jetzt: Was tut der ÖGB? Warum geschieht da nichts? Vielleicht sollte man da auch einmal sagen, wie wir das werten sollen?
    Bachner: Ich bin nicht der Meinung, dass der Eindruck generell besteht, dass wir mit dem Rücken zur Wand stehen. Das wird von manchen medial ganz gern so dargestellt. Der schlafende Riese ÖGB. In Wahrheit erfülle er nicht mehr seine Funktion. Ich bin der Meinung, dass das absolut nicht stimmt. Wir haben immer, aber besonders in der letzten Zeit, eigentlich seit Bestehen dieser Regierung, seit es diese massiven Einschnitte in den sozialen Bereichen gibt, als Gewerkschaftsbewegung bewiesen, dass wir sehr viel Kraft haben. Das haben wir auch gezeigt mit unseren Aktionen. Wir können ja nur aufzeigen, dagegen auftreten, die Menschen sensibilisieren, was passiert da eigentlich? Aber Beschlüsse werden dann letztendlich im Parlament gefasst und da gibt es parlamentarische Mehrheiten, die auch wir als ÖGB, als demokratische Organisation, zur Kenntnis zu nehmen haben. Ich glaube aber trotzdem, dass wir mit unseren Aktionen gerade im heurigen Jahr bewiesen haben, und viele Umfragen haben uns das ja bestätigt: Die Meinung über die österreichische Gewerkschaftsbewegung hat sich sehr positiv entwickelt. Wir stehen als Gewerkschaftsbewegung gut da. Vieles, das von der Regierung angedacht wurde oder geplant war, speziell bei den Pensionen und auch bei anderen Fragen - wenn wir uns daran erinnern, wie die Programme ursprünglich ausgeschaut haben: ja dann waren die noch viel grausamer, als sie dann letztendlich beschlossen wurden. Wobei die natürlich noch immer grausam genug sind. Vor allem sind sie unsozial. Trotzdem, wir als Gewerkschaftsbewegung haben demonstrativ und mächtig gezeigt, wie wichtig es ist, dass es eine Organisation gibt. Wichtiger den je ist eine Organisation, die auf die Rechte der Arbeiterinnen und Arbeiter schaut.

    »Die Kolleginnen und Kollegen kommen nicht mit irgendwelchen Flausen dorthin, die wissen aus der Praxis, die haben die Wahrnehmung aus den Betrieben.«

    A&W: Rechte der Arbeitnehmer: Offensichtlich gibt es nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa einen Sozialabbau, der zentral angesagt ist. Es scheint, dass das geeinte Europa auch das im Programm drinnen hat. Wir treten natürlich auch international massiv dagegen auf, aber …
    Bachner: Ja, das sind ja unsere Forderungen, generell auch der Gewerkschaftsbewegung europaweit. Wir besprechen das ja auch im Europäischen Gewerkschaftsbund. Der Trend ist europaweit erkennbar. Für mich wäre es wichtiger, und das sind ja unsere generellen Forderungen, dass in einem vereinten Europa nicht eine einheitliche Währung, einheitliche Vorgangsweisen im Bereich der Wirtschaft usw. wichtig sind, sondern dass ganz wesentlich auch die soziale Komponente in einem vereinten Europa ein Grundrecht sein muss. Die kommt aus meiner Sicht derzeit noch zu kurz. Da spießt es sich. In diesem Europa haben sich fast alle Länder, kann man sagen, mit wenigen Ausnahmen, darauf verständigt, eine einheitliche Währung einzuführen, den Euro. Das ist gelungen. Auch die Umstellung ist hervorragend gelungen. Wenn es darum geht, soziale Standards in einem vereinten Europa als Grundsicherung oder als Absicherung für die Leute festzulegen, dann gibt es sehr viele Wenn und Aber. Das ist für mich nicht verständlich.

    Wir haben Europa als eines der größten Friedensprojekte gesehen und sehen es nach wie vor so. Für mich gehört aber zum Frieden nicht nur die Sicherheit und das Fehlen von Kriegen. Der soziale Frieden ist für mich ausschlaggebend. Denn wenn die Menschen Arbeit haben, die Menschen ihre Grundbedürfnisse abdecken können, ohne Angst um ihre Existenz haben zu müssen, dann ist das ein wesentlicher Beitrag zu einem Frieden in Europa. Man kann sagen: Ich brauche Militär, ich muss aufrüsten mit Abfangjägern und ich muss dies machen und das machen. Wenn aber die Menschen keine Arbeit haben, wenn die Menschen ihre ureigensten Bedürfnisse, die ja meist nicht einmal überhöht sind, sondern wirklich nur Grundbedürfnisse darstellen, wenn sie die einmal nicht mehr absichern können, dann wird uns die andere Sicherheit nach außen nichts mehr nützen. Darum ist das eine immens wichtige Komponente, auf die man unbedingt schauen muss.

    A&W: Noch eine allgemeine Frage, bevor wir zum Kongress zurückkommen: Die Geschichte mit dem Sozialabbau und dem Beschneiden der sozialen Rechte. Es scheint halt, dass das Kapital im Vergleich zur Arbeit letzten Endes besser organisiert und mächtiger ist. Ist es nicht so?
    Bachner: Aus meiner Sicht wird die Politik schon längst nur von der Wirtschaft gelenkt. Ich glaube, dass Politiker die Entscheidungen unter dem Druck der Wirtschaftsimperien treffen. Und da ist natürlich Gewinnmaximierung angesagt. Die interessieren soziale Komponenten nicht. Ich denke mir, dass da die Politik Einhalt gebieten sollte. Da müssen wir als Gewerkschaft auch unseren Beitrag leisten, indem wir das immer wieder aufzeigen. Wirtschaft ist wichtig. Auch wir stehen dazu als Gewerkschaftsbewegung. Wachsende Wirtschaft bedeutet auch Sicherheit für die Leute, bedeutet Arbeitsplätze. Derzeit geht es aber hauptsächlich um Gewinnmaximierung, wie schon erwähnt. Und es kann nicht so sein, dass dies immer unter Abbau von Arbeitsplätzen und unter Abbau von Sozialleistungen passiert. Gewinnmaximierung ohne soziale Verantwortung hat keine Zukunft.

    A&W: Wie soll man jetzt erklären, was eigentlich auf dem ÖGB-Kongress geschieht?
    Bachner: Für mich ist der Kongress das Zusammentreffen von Betriebsrätinnen und Betriebsräten, Kolleginnen und Kollegen aus den Gewerkschaften und dem ÖGB, aus den Betrieben, die gemeinsam die künftige Arbeit der Gewerkschaftsbewegung festlegen. Dies geschieht durch Beschlussfassung der Anträge. Die Kolleginnen und Kollegen kommen ja nicht mit irgendwelchen Flausen dorthin, die wissen aus der Praxis, die haben die Wahrnehmung aus den Betrieben: Welche Bedürfnisse und Anliegen haben die Menschen. Diese Wahrnehmungen bringen die Betriebsrätinnen und Betriebsräte in den Kongress mit ein und eben aufgrund dieser Wahrnehmungen wird unsere zukünftige Arbeit ausgerichtet. Darum stimmt es ja auch nicht, dass wir immer nur am Althergebrachten festhalten, dass wir die so genannten Betonierer sind. Wir reagieren sehr wohl auf die Veränderungen in der Arbeitswelt. Nur wenn die Anderen immer wieder glauben, Veränderungen könnten nur durch Abbau durchgeführt werden, durch Abbau von Stellen und von sozialen Rechten, dann müssen wir natürlich dagegen auftreten. Wirkliche Veränderungen in der Gesellschaft gehen nur mit sozialer Fairness und Gerechtigkeit.

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    Siegfried Sorz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Wed, 15 Oct 2003 00:00:00 +0200 1189007895709 Wien/Genf | Ratifiziert ILO-Arbeitsschutz-Doktrin! Der ÖGB fordert die Ratifizierung des Übereinkommens 155 der ILO (International Labour Organisation) über »Arbeitsschutz und Arbeitsumwelt«. »Dieses Übereinkommen wurde von Ländern wie Schweden, Finnland und Dänemark unterzeichnet, unverständlicherweise aber nicht von Österreich, obwohl der Inhalt des Übereinkommens durch das ArbeitnehmerInnenschutzrecht in Österreich praktisch umgesetzt ist«, so Richard Leutner, Leitender Sekretär des ÖGB. Das Protokoll zu diesem Übereinkommen sieht unter anderem eine Aufzeichnung des Arbeitgebers über Berufskrankheiten und Verdachtsfälle auf Berufskrankheiten vor.

    Nach derzeitiger österreichischer Rechtslage müssen vom Arbeitgeber aber nur Arbeitsunfälle und Beinaheunfälle aufgezeichnet werden.

    Leutner: »Eine systematische Aufzeichnung von Berufskrankheiten würde für Arbeitnehmer eine deutliche Verbesserung bringen.«

    Dies würde auch die Tätigkeit der Arbeitsmediziner und Sicherheitsfachkräfte im Betrieb erleichtern und effektiver machen, da für gefährdete Beschäftigtengruppen zeitgerecht geeignete präventive Maßnahmen vorgesehen werden könnten. Daher wäre das Protokoll der ILO eine sinnvolle und notwendige Ergänzung zum ArbeitnehmerInnenschutzrecht in Österreich.

    Der ÖGB verlangt weiters eine Erweiterung der Liste der Berufskrankheiten, entsprechend der ILO-Empfehlung 194, die eine Berücksichtigung von berufsbedingten Muskel- und Skeletterkrankungen vorsieht. In den vergangenen Jahren ist es gelungen, die Anzahl der Arbeitsunfälle in Österreich signifikant zu verringern. Anders hingegen zeigt sich die Situation bei arbeitsbedingten Erkrankungen. »Europaweit haben besonders berufsbedingte Muskel- und Skeletterkrankungen in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen«, so Leutner: Es sei höchste Zeit, dass Österreich sich dieses Problems annimmt.

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    S. B. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Wed, 15 Oct 2003 00:00:00 +0200 1189007895696 Wohnkredite | Besserer Kostenvergleich Bankkunden erhalten im Erstgespräch eine allgemeine Info-Broschüre und ein neues Musteroffert, das den Angebotsvergleich erleichtern soll. Ein AK-Test über Hypothekarkredite zeigt, dass sich ein Kostenvergleich jedenfalls lohnt.

    Ein Wohnungskauf kostet viel Geld. Zum Kaufpreis der Immobilie fallen Nebenkosten wie Bankspesen, Grundbuchgebühren und Steuern an, die im Schnitt zehn bis 15 Prozent ausmachen. Scharfes Kalkulieren ist notwendig. Und wer kein prall gefülltes Geldbörsel hat, braucht einen Kredit.

    Die Zinsen für hypothekarisch besicherte Kredite sind zwar derzeit niedrig, aber allein die Nebenspesen des Kredites betragen rund fünf Prozent. Deshalb ist es wichtig, dass alle Spesen (wie etwa Bearbeitungs-, Kontoführungs-, Grundbuchsgebühren) vor Vertragsabschluß klar ersichtlich sind.

    Standardisiertes Merkblatt

    Für mehr Kosten- und Spesentransparenz soll das Europäische Standardisierte Merkblatt sorgen, das einheitliche Informationen zu Kreditverträgen für Wohnkredite enthält. Mit diesem Musteroffert können die Kunden künftig die Kreditkonditionen besser vergleichen. Es enthält - von der Adresse der Bankfiliale bis zum Zinssatz für einen gewünschten Kreditbetrag - 15 wichtige Punkte. Es listet nicht nur die genaue Kredit- und Ratenhöhe, die Laufzeit und den Nominalzinssatz auf, sondern auch einmalig bei Vertragsabschluß anfallende und während der Laufzeit verrechnete Spesen sowie die Konditionen bei einer vorzeitigen Tilgung.

    Zusätzlich erhält der Bankkunde, der sich für einen Wohnkredit interessiert, im Erstgespräch eine Broschüre, die Wohnkredite allgemein erläutert. Diese und das Europäische Standardisierte Merkblatt sind Bestandteile eines freiwilligen europäischen Verhaltenskodex, dem sich im September 2002 in Österreich über 500 Kreditinstitute (und europaweit 3600 Banken) angeschlossen haben. Eine Liste dieser Kreditinstitute findet man unter:

    europa.eu.int/comm/internal_market/de/finances/lending.

    Unabhängig davon steht Kreditwerbern das gesetzliche Recht zu, vor Vertragsabschluss ein Vertragsmuster zu verlangen, in dem u. a. der Effektivzinssatz, die Gesamtbelastung (Summe aller Zahlungen an die Bank) sowie die Bedingungen der Zinsanpassung (Zinsgleitklausel) enthalten sein müssen.

    Bis 11.000 Euro Unterschied

    Ein AK-Test von Hypothekarkrediten bei 15 heimischen Banken hat ergeben, dass die Zins- und Spesenunterschiede bei einem Hypothekarkredit von 73.000 Euro über die Laufzeit von 20 Jahren bis zu 11.000 Euro ausmachen können. Beträchtliche Unterschiede gibt es bei den Bearbeitungsgebühren, den Prämien für die Kreditrestschuldversicherung und den Kosten der Kontoführung.

    Zwei Beispiele für Kosten, bei denen geschickt verhandelnde Kreditnehmer Geld sparen können: Die Bandbreite der Prämienhöhe für die Kreditrestschuldversicherung betrug im AK-Test 12 bis 36 Euro pro Monat für eine 30 Jahre alte Kreditnehmerin bei einer Versicherungssumme von 73.000 Euro. Das ergibt auf 20 Jahre hochgerechnet im Effekt einen großen Unterschied.

    Ein wesentlicher Kostenfaktor ist die Bearbeitungsgebühr. Laut AK-Test betrug sie im Schnitt ein Prozent der Kreditsumme oder 730 Euro bis zwei Prozent oder 1460 Euro. Eine Bank verzichtete sogar gänzlich auf diesen Spesensatz, der - ebenso wie der verrechnete Zinssatz - nicht zuletzt von der Bonität und vom Verhandlungsgeschick des Kunden abhängt.

    Vorsicht vor "Schnäppchen«

    Bei verlockend niedrigen Zinssätzen ist Vorsicht angebracht. Denn die Zinssätze (»3,375 Prozent«) gelten nur für eine kurze Fixzins-Periode (zum Beispiel ein Jahr). Danach drohen kräftige Zinssprünge, wenn der Fixzinssatz automatisch auf einen variablen Zinssatz umgestellt wird.

    Wer nicht vor Vertragsabschluß konkret die Höhe des variablen Zinssatzes verhandelt hat, riskiert eine unerwartete Verteuerung des Kredites. Denn in manchen Kreditverträgen steht etwa, dass bei Umstellung von fix auf variabel ein Zinssatz »gemäß Schalteraushang« verrechnet wird. Eine böse Überraschung, wenn der verrechnete Zinssatz plötzlich von beispielsweise 3,375 (fix) auf 5,375 Prozent (variabel) springt!

    Verwirrende Vielfalt

    Kreditnehmer sollten vor Vertragsabschluß nicht nur die Höhe des Zinssatzes verhandeln, sondern auch die Bedingungen prüfen oder prüfen lassen, unter denen Zinsänderungen während der Laufzeit erfolgen.

    Das gilt insbesondere für Zinsen, die an einen (oder mehrere) Indikator(en) des Geld- und Kapitalmarktes gebunden sind. Bank A bindet zum Beispiel im Kreditoffert den variablen Zins an die Durchschnittsverzinsung für Anleihen (»Sekundärmarktrendite«) und addiert zu diesem Leitzins einen Gewinnaufschlag von 0,75 Prozent.

    Bank B errechnet den Zins, indem zum Zinssatz für Zwischenbankkredite (»Euribor 3 Monate«) ein Aufschlag von 1,25 Prozent hinzugerechnet wird. Bank C hingegen ermittelt aus dem Euribor-3-Monate mit dem Euro-Zinsswap-Satz (5 Jahre) das arithmetische Mittel und fügt 1,5 Prozent als Gewinnaufschlag hinzu. Was bedeutet dies konkret für die Zinshöhe?

    Der Vorteil des "Zinsdeckels«

    Dazu ein Web-Tipp: Auf der Homepage der Nationalbank (www.oenb.co.at) sind Vergangenheitswerte dieser Leitzinsen abrufbar. Die historischen Zinssätze für Zwischenbankkredite (Euribor) finden sich unter dem Hauptmenüpunkt »Statistik«. Von dort gelangt man zum Punkt »Tabellenteil«, in dem beispielsweise die Zinsen für Zwischenbankkredite (Euribor) oder für die Sekundärmarktrendite (SMR) in Tabellen aufgelistet sind. Aus dem AK-Test geht hervor, dass Bauspardarlehen gegenüber Hypothekarkrediten von Banken vor allem den langfristigen Vorteil haben, dass der Zinssatz auch in Hochzinsphasen nicht über sechs Prozent steigen kann (»Zinsdeckelung«). Aber auch vor Abschluss eines Bauspardarlehens gilt es, die Bedingungen in der Zinsgleitklausel zu überprüfen. Denn die Darlehenszinsen sind nicht über die gesamte Laufzeit fix, sondern - ähnlich wie Bankkredite - an die Leitzinsen des Geld- und Kapitalmarktes geknüpft. Auch die fünf österreichischen Bausparkassen haben sich zum freiwilligen europäischen Verhaltenskodex für Wohnkredite bekannt. Für Verbraucher bedeutet dies, dass auch die Bausparkassen bei Erstofferten das Europäische Standardisierte Merkblatt sowie eine allgemeine Broschüre über Wohnkredite übergeben.

    Weitere Tipps zu Wohnkrediten unter www.akwien.at/geld.html.

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    Christian Prantner (AK-Wien, Konsumentenpolitik) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Wed, 15 Oct 2003 00:00:00 +0200 1189007895640 Kinderarbeit | Nicht immer ein Skandal Kinderarbeit sei immer und überall ein Skandal: Dieser weit verbreiteten Meinung war auch eine Berliner Journalistin, als im Mai 1998 auf Einladung der Kinderhilfsorganisation terre des hommes einige arbeitende Kinder aus Nicaragua Deutschland besuchten. Sie reagierte ratlos, als ihr eine Zwölfjährige auf die Suggestivfrage, sie würde doch wohl nicht mehr arbeiten, wenn ihre Mutter allein genug Geld heimbrächte, antwortete: »Wieso denn nicht? Selbst etwas zu verdienen macht mich stolz. Ich lerne mit Geld umzugehen. Es bringt mir Unabhängigkeit.« Übereinstimmend erklärten die Kinder aus Nicaragua, sie wollten sehr wohl arbeiten, aber eine menschenwürdige, respektierte Arbeit.

    Recht auf Kinderarbeit?

    Manfred Liebel erwähnt die Geschichte von der deutschen Journalistin in der Einleitung seines Buches »Kindheit und Arbeit - Wege zum besseren Verständnis arbeitender Kinder in verschiedenen Kulturen und Kontinenten«. Er lehrt an der Berliner Technischen Universität Soziologie mit dem Schwerpunkt Kindheits- und Jugendforschung. Nach sieben Jahren Erfahrung mit arbeitenden und auf der Straße lebenden Kindern in Lateinamerika und auch einigen Erfahrungen in Afrika stellt er die üblichen Ansichten über Kinderarbeit auf den Kopf. Oder, wie er selber meint: Vom Kopf auf die Füße.

    Die Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú berichtet in ihrer Autobiografie, dass sie schon mit fünf Jahren in den Plantagen half, wo ihre Eltern in der Erntezeit arbeiteten, und dass sie sich in Zeiten, in denen sie für ihre Mutter nichts tun konnte, als ihr Brüderchen zu hüten, nutzlos fühlte: »In dieser Zeit ist mein Bewusstsein erwacht. Ich wollte richtig arbeiten und Geld verdienen, um ihr eine größere Hilfe zu sein.« Mit acht Jahren verdiente die spätere Trägerin des Friedensnobelpreises in den Plantagen ihr erstes Geld. Obwohl sie sich »wie Vieh behandelt« fühlte, war sie stolz, dass sie jetzt "merklich zum Lebensunterhalt der Familie beisteuern" konnte, und fühlte sich "wie ein erwachsener Mensch.«

    Praxis - die beste Schule

    Liebels Botschaften lassen sich auf folgenden Nenner bringen: In vielen bäuerlichen Kulturen und bei vielen Hirtenvölkern wachsen die Kinder früh in ihre künftigen Tätigkeiten hinein. Die Praxis ist ihre beste Schule. Das entscheidende Prinzip dieser Erziehung ist Lernen durch Zuschauen und Nachmachen. Nicht Drohung und Strafe, sondern Lob und Bestätigung bilden den Ansporn. Viele Konflikte mit der »modernen« Schule sind auf die Missachtung dieses nonverbalen Wissenserwerbs zurückzuführen.

    In den kapitalistisch durchökonomisierten Gesellschaften des Südens hingegen lernen die Kinder ebenso früh, dass selbst die Grundbedürfnisse ihren Preis haben. Lateinamerikanische Kinder in Interviews: »Wenn wir kein Geld verdienen, können wir unsere Zähne nicht in Ordnung halten und die Schule können wir auch vergessen.« Oder: »Wenn wir nicht arbeiten würden, blieben wir Analphabeten, müssten im Elend verkommen und vor Hunger sterben.«

    Arbeit an sich ist für sie eine Selbstverständlichkeit und wird nicht als quälend oder entwürdigend empfunden. Ein richtig verstandenes Engagement für die Kinder des Südens tritt daher nicht für die unterschiedslose Abschaffung der Kinderarbeit ein, sondern für die Rechte arbeitender Kinder und gegen ihre Ausbeutung. Gefragt ist Unterstützung für die seit den Achtzigerjahren entstandenen Bewegungen und Organisationen arbeitender Kinder, in denen diese beweisen, dass sie in der Lage sind, sich zu artikulieren und ihre Interessen selbst zu vertreten.

    Kinder organisieren sich

    Alle diese Organisationen stimmen, so Liebel, darin überein, dass den arbeitenden Kindern nicht die Arbeit zu schaffen macht, sondern die Bedingungen, unter denen sie arbeiten müssen. Kaum ein arbeitendes Kind wolle sich »zurückversetzen lassen in ein arbeitsfernes Kindheitsreservat, in dem es nichts zählt und auf Gedeih und Verderb den Erwachsenen ausgeliefert ist.« Kaum ein arbeitendes Kind halte ein Verbot der Kinderarbeit für hilfreich. Wenn sie etwas von Gesetzen erwarten, dann besseren Schutz und mehr Mitsprache. Kinderorganisationen, denen vor allem Kinder von 12 bis 16 Jahren angehören, entstanden vor allem in Lateinamerika, Afrika und Indien, wobei die Initiative häufig von Erwachsenen ausging und humanitäre Organisationen Hilfestellung leisteten.

    12 Rechte des Kindes

    Diese Kinder, die ihre Angelegenheiten selbst in die Hand genommen haben, berufen sich auf die UN-Konvention über die Rechte des Kindes aus dem Jahr 1989, die aber im Hinblick auf die eigene Situation umformuliert und auch fallweise ergänzt werden. 1994 erarbeiteten die afrikanischen Kinderorganisationen gemeinsam die 12 Rechte des Kindes: Einen Beruf zu lernen, im Dorf zu bleiben, in vollkommener Sicherheit zu arbeiten, sich zu vergnügen und zu spielen, angehört zu werden, lesen und schreiben zu lernen, sich zu organisieren und eine Meinung zu äußern sowie das Recht auf eine faire Justiz, auf leichte und begrenzte Arbeit, auf Respekt sowie auf Gesundheitspflege und Krankenurlaub. In einer Erklärung der arbeitenden Kinder von Madagaskar aus dem Jahr 1996 werden drei Rechte gefordert: Frei zu arbeiten, ohne gejagt oder Opfer von Gewalt zu werden; frei zu leben und sich frei bewegen zu können; wie jeder andere Mensch behandelt zu werden.

    Die lateinamerikanischen Kinderorganisationen legen besonderes Gewicht auf die Rechte, die ihre Partizipation an der Gesellschaft betreffen. Bei einem Treffen der Delegierten von Kinderorganisationen aus 14 lateinamerikanischen Ländern in Lima wurde 1997 betont, dass die Partizipationsrechte der Kinder in der Kinderrechtskonvention der UNO nicht genügen, weil sie in der Praxis nicht respektiert werden. In Lateinamerika und Afrika wird auch immer wieder ein Recht eingefordert, das in der UN-Konvention gar nicht vorkommt: Das Recht des Kindes, zu arbeiten.

    Verbote nützen wenig

    Die sich organisierenden arbeitenden Kinder verstehen sich mit größter Selbstverständlichkeit als juristische Subjekte, die ein Recht auf Erfüllung ihrer Ansprüche haben und dieses nicht dem Wohlwollen der Erwachsenen überlassen wollen, sondern die Verantwortung für ihre Angelegenheiten selbst übernehmen. Im »Abolitionismus«, der Forderung nach Verbot der Kinderarbeit, sehen sie dieses ihr eigenes Subjekt-Sein und ihre Menschenwürde verletzt. In einer Erklärung des Ersten Welttreffens der arbeitenden Kinder, das 1996 in Kundapur in Indien stattfand, hieß es: »Wir wollen Respekt und Sicherheit für uns und die Arbeit, die wir leisten«.

    Manfred Liebel stellt das Problem der Kinderarbeit auf eine Weise dar, die nur Menschen unserer Breiten schockiert, die von den Ländern des Südens keine Ahnung und über die Siutation der Kinder der Dritten Welt nicht viel nachgedacht haben. Dabei ist auch in Europa und den USA eine massenhafte Wiederkehr der Kinderarbeit zu beobachten - die ebenfalls in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Mit Verboten ist ihr keinesfalls beizukommen. Bevor man die damit verbundenen Probleme löst, muss sie überhaupt erst einmal zur Kenntnis genommen, muss ihre ökonomische Bedeutung, aber auch ihre Bedeutung für die Entwicklung der Kinder verstanden werden.

    In den Gesellschaften des Südens ist Kinderarbeit notwendig - für die Kinder selbst, aber auch für ihre Familien, die sonst oft nicht überleben könnten. In den meisten Ländern mit verbreiteter Kinderarbeit heißt die Alternative zur Arbeit als Schuhputzer, Lastenträger, Hirte oder Bote nicht daheim bleiben und lernen, sondern Kinderprostitution.

    Daher wird die Arbeit nicht als Fron, sondern als Recht gesehen, jedoch als eine Sache, die gesetzlicher Regelungen bedarf, die auch eingehalten werden. Dies können die Kinder nur erreichen, wenn sie sich organisieren.

    Das Kind ist kein Objekt

    Manfred Liebel sieht die Arbeit der Kinder aber nicht nur als ökonomische Notwendigkeit, sondern untersucht das Phänomen auch theoretisch und interpretiert die Kinderarbeit als für die Länder des Südens charakteristische neue Formen der Resubjektivierung des Kindseins.

    Im letzten Kapitel seines Buches untersucht er die Entstehung des Subjektbegriffes im Vorfeld der europäischen Aufklärung, der das Kind zum Objekt degradierte und auch philosophisch in eine Nischenexistenz verbannte. Im bürgerlichen Kindheitsprojekt sei das Kind »zum Entwicklungs-Objekt stilisiert« worden: »Aus kleinen Menschen, die offenkundig auf Zuneigung, Fürsorge und Versorgung angewiesen sind, werden ›unreife‹ Wesen, die erst für voll genommen werden, wenn sie ›entwickelt‹ sind« und bis dahin als Gegenstände ohne Rechte behandelt werden.

    Wer Kinder als soziale Subjekte verstehen will, komme aber »um die Frage nach der Arbeit der Kinder und den Erfahrungen und Bedeutungen, die für die Kinder mit Arbeit verbunden sind, nicht herum.« Liebel zitiert die britischen Soziologen Allison James, Chris Jenks und Alan Prout, die Kritik daran üben, dass solche Fragen bisher kaum gestellt werden und darin einen »Teil der Unsichtbarmachung der Arbeit der Kinder - oder ihrer Sichtbarmachung nur als Problem« erblicken.

    Langsames Hineinwachsen

    Besonders wichtig und auch für jedermann interessant und lesenswert sind die Abschnitte über die frühe Einbeziehung der Kinder in die Arbeitsprozesse in vielen Gesellschaften. Darüber liegen mittlerweile zahllose Forschungen vor, die auch für die »modernen« Gesellschaften wertvoll sein könnten, aber viel zu wenig beachtet werden. Dabei fällt auf, in welch starkem Ausmaß das langsame Hineinwachsen in den Arbeitsprozess in vielen Dorfgesellschaften (beispielsweise indianischen) die Kreativität der Kinder fördert, die bei der in den westlichen Schulsystemen noch immer vorherrschenden passiven Aufnahme von Wissen oft auf der Strecke bleibt.

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    H. Butterweck http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Wed, 15 Oct 2003 00:00:00 +0200 1189007895508 Arbeit & Wirtschaft | Leserforum Fakten statt Menschenhatz

    Diese Zusendung erreichte uns kurz vor Drucklegung. Weil in der Öffentlichkeit so viel Unsinn über die Eisenbahner verbreitet wird, hier zur Erinnerung ein paar Fakten, zusammengestellt von Rudolf Lehner (AK OÖ):

    Bei den ÖBB gilt seit 1. 1. 1995 ein neues Dienstrecht. In der aktuellen Kampagne gegen die Eisenbahner wird das meist verschwiegen. Seit diesem Zeitpunkt gilt für neu Eintretende das Angestelltengesetz und das ASVG.

    Die so genannten ÖBB-Beamten, also Mitarbeiter, die vor 1995 bei den ÖBB begonnen haben, unterliegen ebenfalls dem neuen Dienstrecht. Natürlich gibt es, wie auch in anderen Bereichen durchaus üblich, Übergangsbestimmungen.

    Kündigung: ÖBB-Angestellte mit Eintrittsdatum ab 1. 1. 95 sind wie alle anderen Angestellten kündbar. Es gelten die gleichen Fristen.

    Entgeltfortzahlung: ÖBB-Beamte erhalten im Krankheitsfall eine Entgeltfortzahlung bis zu einem Jahr, danach Versetzung in den zeitlichen oder dauernden Ruhestand. Die einjährige Entgeltfortzahlung gilt nicht nur bei den ÖBB, sondern für praktisch alle Beamten.

    Zynismus pur

    Oft wird kritisiert, dass die Eisenbahner vor Antritt ihrer Pension ein Jahr lang »krankfeiern«. Das ist eine menschenfeindliche Verdrehung der Zusammenhänge: Sie feiern nicht vorher krank, sondern es wurde durch Mehrfachzuständigkeiten (auch der Finanzminister!) das Pensionierungsverfahren so verkompliziert, dass es durchschnittlich mehr als 100 Tage dauert. Für ÖBB-Angestellte (also seit 1. 1. 1995) gelten die gleichen Bestimmungen wie für alle anderen Angestellten! Vom Dienstgeber wird ein Krankengeldzuschuss gewährt, um 95% des Monatsnettogehalts zu erreichen.

    Urlaub: ÖBB-Bedienstete haben genau so viel Urlaubsanspruch wie alle anderen ArbeitnehmerInnen in Österreich. Nur Turnusbedienstete haben acht zusätzliche Urlaubstage pro Jahr.

    Abfertigung: ÖBB-Beamte haben keinen Abfertigungsanspruch.

    Arbeitszeit, Verdienst: Die Normalarbeitszeit ist je nach Dienstplanzugehörigkeit zwischen 39 und 44 Wochenstunden, die maximal zulässige tägliche Höchstarbeitszeit beträgt mit bis zu 16 Stunden wesentlich mehr als für alle ArbeitnehmerInnen! Dass die Einkommen der Eisenbahner niedrig sind, ist allgemein bekannt.

    Pensionen: Eisenbahner zahlen höhere Beiträge zur Sozialversicherung (15,05% statt 10,25%). Auch pensionierte Eisenbahner zahlen einen Pensionssicherungsbeitrag in Höhe von 4,8%, ab 2004 5,8 Prozent des Bruttoeinkommens. ASVG-Pensionisten zahlen keinen solchen Beitrag.

    Egon Matzner verstorben

    Der langjährige Mitarbeiter von »Arbeit&Wirtschaft« Egon Matzner (Jahrgang 1938) ist am 16. September überraschend verstorben.

    Matzner war unter Bundeskanzler Bruno Kreisky wirtschaftspolitischer Vordenker sowie Koordinator des SPÖ-Programms 1978, der allerdings 1994 aus Protest gegen die Besetzung von EU-Spitzenpositionen mit »braven Parteigängern« seine Parteimitgliedschaft stilllegte.

    Der gebürtige Klagenfurter Egon Matzner war 26 Jahre als Professor an der TU-Wien tätig. Zwischen 1984 und 1989 war er Direktor am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin, zwischen 1992 und 1998 Leiter der Forschungsstelle für Sozioökonomie in der Akademie der Wissenschaften.

    Matzner war Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien von ihm »Die vergeudete Republik«, wo er den Verlust von politischem, sozialem und kulturellem Kapital beklagte.

    Die Gesprächssituation in den politischen Lagern sei seit der Zeit des Ständestaates nicht mehr so schlecht gewesen wie jetzt, lautete Matzners These, die Sie in Heft 7-8/2001 von »Arbeit&Wirtschaft« nachlesen können (www.arbeit-wirtschaft.at/ aw_07_08_2001/index.html).

    Wir werden unserem Kollegen und Freund Egon Matzner stets ein ehrendes Andenken bewahren.

    Siegfried Sorz

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    http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Wed, 15 Oct 2003 00:00:00 +0200 1189007895395 Standpunkt | Absolute Ungerechtigkeit Stellen Sie sich vor, Sie wachen eines Tages auf und hören im Radio einen Minister, der verkündet: »Weihnachtsgeld ist nicht mehr zeitgemäß und wird abgeschafft. Rechtlich wird das wasserdicht, wir haben nämlich die besten juristischen Experten.«

    Und wenn Sie dann, noch ganz verschlafen, murmeln: »Aber das geht doch nicht, das können die mit mir nicht machen!« - dann wird es vielleicht eine andere (innere) Stimme geben, die antwortet: »Aber wieso denn nicht? Mit den Beamten haben sie es doch auch gemacht, und mit den Lehrern und mit den Eisenbahnern und mit ...« Und dieselbe innere Stimme wird fragen: »Und was hast du damals gemacht? Nichts? Siehst du, wer soll dir jetzt helfen ...?«

    Sehen Sie, und genau das ist der Punkt. Es gibt heute viele Menschen, die glauben, Solidarität sei eine ethisch-moralische Kategorie, auf die »vergessen« worden sei, oder so ähnlich.

    Bertolt Brecht hat es 1932 am Besten formuliert, worum es geht:

    »Vorwärts und nicht vergessen
    Worin unsre Stärke besteht!
    Beim Hungern und beim Essen
    Vorwärts, nie vergessen
    Die Solidarität!«

    Dies ist die simple Wahrheit: Solidarität ist das Füreinander-Einstehen, ist das Prinzip »Und was du ihm tust, das tust du auch mir« und das wiederum macht die Kampfkraft der arbeitenden Menschen aus. Sobald aber einer sagt: »Aber bitte sehr, die haben doch Privilegien, die haben zu viel Urlaub und die verdienen zu viel und die haben das und die anderen jenes« - sobald dieses Denken aufkommt, sobald es den anderen gelingt, uns arbeitende Menschen gegeneinander auszuspielen, da haben sie auch schon gewonnen. Ist doch einleuchtend. Oder?

    Und glauben Sie bitte nicht, das obige Zitat aus Ministermund sei völlig frei erfunden. Sie müssen für Weihnachtsgeld nur Dienstrecht der Eisenbahner einsetzen, denn so war es wörtlich von Infrastrukturminister Hubert Gorbach zu hören. »Solche Leute brauchen wir nicht!« erklärte die nunmehrige Ex-FPÖ-Chefin und Ex-Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer über Hauptverbandspräsident Hans Sallmutter bei der Neujahrskonferenz der FPÖ am 21. Jänner 2001.

    Damit war unter Gejohle und jubelndem Beifall das Halali auf Sallmutter eröffnet. Am 30. Jänner 2001 hat Sozialminister Herbert Haupt den Präsidenten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger abgesetzt. Sallmutter wehrt sich und erweist sich, wie man im Volksmund sagt, als harter Steher. Im Juli 2001 beschließt der Nationalrat eine Reform des Hauptverbandes.

    Die Arbeitgeberkurie wird aufgewertet, wodurch Schwarz-Blau im Verwaltungs-(=Aufsichts-)Rat eine 9:5-Mehrheit erhält. Durch eine Unvereinbarkeitsregelung, die gegen Leute wie Sallmutter geradezu maßgeschneidert ist, werden Spitzenfunktionäre aus Gewerkschaften und Kammern ausgeschlossen. Sallmutter als GPA-Chef muss damit aus dem Verwaltungsrat des Hauptverbandes weichen. Auch Eisenbahner-Chef Wilhelm Haberzettl wird wegen der Unvereinbarkeitsregeln nicht zugelassen und erhält einen entsprechenden Bescheid des Sozialministeriums. Er erhebt Einspruch beim Verfassungsgericht (VfGH).

    Am 10. Oktober dieses Jahres ergeht der Spruch des VfGH. Sowohl Unvereinbarkeitsregeln als auch Strukturreform sind verfassungswidrig. Die »Reparaturfrist« wird sehr großzügig bemessen: Bis 31. Dezember 2004 ist Zeit zur Umgestaltung des Hauptverbandes. Der Kläger Wilhelm Haberzettl darf trotz dieses Urteils aus juristischen Gründen nicht in den Hauptverband einziehen. Als völlige Blamage der schwarz-blauen Regierung und Beseitigung einer »himmelschreienden Ungerechtigkeit« hat Wilhelm Haberzettl die Aufhebung der Hauptverbandsreform durch den Verfassungsgerichtshof bezeichnet. »Mein Glaube in den Rechtsstaat ist wieder gefestigt«, erklärte er den Medien. Die Regierung habe jetzt den Auftrag »und es wird ihr ja nicht viel übrig bleiben, als zu den alten bewährten Strukturen der Selbstverwaltung zurück zu kehren«.

    Die alten Strukturen seien »nicht nur billiger gewesen, sondern haben auch mit Sicherheit mehr Effizienz gehabt als die jetzigen«. Die Sachkompetenz sei unter der jetzt aufgehobenen Hauptverbandsreform zurückgegangen.

    Die absolute Ungerechtigkeit sei nun aufgehoben, »demokratisch gewählte Funktionäre aus der Selbstverwaltung auszuschließen«.

    Liebe Betroffene: Wenn Sie die Augen schließen, können Sie vielleicht noch das Echo des Gejohles hören, als verkündet wurde: »Den brauchen wir nicht!«

    Wir Lohnabhängigen wissen aber, wen wir brauchen und wen nicht.

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    Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Wed, 15 Oct 2003 00:00:00 +0200 1189007895307 Volkskrankheit Stress Stress ist heute eines der meist verwendeten Wörter in der Arbeitswelt. »Stress als solcher ist nicht fühlbar«, schreibt Arbeits- und Betriebspsychologe Michael Lenert in seiner Broschüre »Stress in der Arbeitswelt: Entstehung, Ursachen und Abhilfen«, die von der AK Wien herausgegeben wurde (siehe Kasten): »Was wir erleben, sind bereits die Auswirkungen, wie Angst oder hoher Blutdruck.« Stress ist auch ein Prozess, der wieder rückgängig gemacht werden kann. Aber je länger die Stressfaktoren eingewirkt haben, umso länger auch der Aufwand, die Stress-Symptomatik zu lindern. In vielen Fällen können die stressbedingten Beeinträchtigungen der Gesundheit allerdings von Dauer sein, warnt Experte Lenert. Und: »Stress beruht immer auf einer Wechselwirkung zwischen äußeren Bedingungen und den persönlichen Fähigkeiten, damit umzugehen.« Stress entsteht , wenn die Anforderungen auf Dauer zu hoch sind und die Ressourcen zur Bewältigung dieser Anforderungen nicht ausreichen. Mit Unterstützung des Umfeldes können Stress verursachende Arbeitsbedingungen verändert werden. Viele Arbeitnehmer sehen aber nur mehr den Rückzug als Ausweg.

    Sinnentleertes Laufrad

    Seit Monaten kommt Elke Hartl*) mit »der Arbeit nicht nach«. Sie ist Krankenschwester an der geriatrischen Abteilung eines Landeskrankenhauses. Ihre Arbeit ist auf den ersten Blick die gleiche wie früher, nur mit zwei Kolleginnen weniger an der Station. »Mit den älteren Leuten reden, ihnen zuzuhören und sie ein bisschen aufzumuntern, das geht heute einfach nicht mehr«, sagt sie. »Das Wichtigste ist heute, dass sie ihre Medikamente bekommen, gewaschen sind und die Protokolle ordentlich ausgefüllt werden.« Elke hat das Gefühl, als liefe sie »wie ein Hamster im Laufrad«. Früher hat ihr die schwere Arbeit, die Patienten aus dem Bett zu heben, sie zu waschen und auch die »Drecksarbeit« zu erledigen, nichts ausgemacht. »Es hat immer Zeiten gegeben, wo ich das Gefühl hatte, dass meine Arbeit Sinn macht. Wenn eine alte Dame, die so apathisch war, dass sie sich füttern ließ, wieder selbst zu essen anfing, zum Beispiel. Heute bin ich so gestresst, dass ich kaum noch Geduld habe und aufpassen muss, die alten Leute nicht spüren zu lassen, dass sie mich nerven.« Vorerst hat Elke innerlich gekündigt und »macht die Arbeit mit den Patienten nur mechanisch. Vorgesetzte und Kollegen sind genauso im Stress, mehr Personal bekommen wir nicht. Wenn aus der neuen Stelle in einem Altersheim etwas wird, wo vielleicht noch das Gespräch zählt, bin ich hier weg.«

    »Stress ist eine Fehlbeanspruchung«, schreibt die Arbeitspsychologin Martina Molnar in der (von ÖGB, BKA und der Wirtschaftskammer Österreich) herausgegebenen Broschüre »IMPULS: Betriebliche Analyse der Arbeitsbedingungen« (siehe Kasten). »Stress bedeutet, dass wir unter starkem psychischen Druck stehen, weil schwer zu erbringende Leistungen oder Verhaltensweisen von uns gefordert werden und wir dies nicht vermeiden können. Das beeinträchtigt auf Dauer unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit.«

    Positiver Stress

    Früher - als körperliche Arbeit im Vordergrund stand - galt Stress als Vorbereitung des Körpers auf Kampf oder Flucht, wenn Bedrohung anstand. Den Bildschirm mit Füßen zu treten, wenn der PC das Dokument schluckt, auf das der Chef wartet, wird zwar kurzfristig die bereitgestellte Energie freisetzen. Wahrscheinlich aber auch den Betroffenen aus dem Arbeitsverhältnis. René Möseler*), einer von vielen, den die EDV-Plage unserer Tage in dieser Art heimsuchte, stand zwar zwei Tage unter Stress, ist aber wieder guter Dinge und für weitere Herausforderungen gewappnet. Erst sprach er mit den Kollegen, dann mit dem Chef. In Überstunden wurde das Dokument neu erstellt. Von akutem Stress spricht hier die Medizin, wo das Hormon Adrenalin das Herz schneller schlagen lässt, der Puls steigt und die Zunahme roter Blutkörperchen den Sauerstoff im Blut erhöht. Eine positive Aktivierung, die aufhört, wenn »die Gefahr« vorüber ist.

    Krankmachender Stress

    Anders war der Fall bei Renate Weninger*), die sich durch die Umstellung der EDV überfordert fühlte, es sich aber nicht zu sagen traute. Unheimlich war es ihr, nicht genau zu wissen, was da am Bildschirm vor sich ging, während die Kollegen fröhlich hineinzutippen schienen. Die Produktion an Gedanken und Gefühlen in Renate war bei weitem größer als ihre Produktion von Statistiken und Tabellen. »Ich bin dumm«, war etwa ein Gedanke. »Das schaffe ich nie.« Vor der nächsten Teamsitzung wurde sie plötzlich krank. So erfuhr sie erst später, dass auch die Kollegen Probleme mit dem neuen System hatten. Renate Weninger litt an unbestimmten Ängsten, die zu Herzbeschwerden führten. Nach längerer Behandlung sitzt sie nun wieder - mit Medikamenten zur Lösung von Spannungs- und Angstzuständen versorgt - auf ihrem Arbeitsplatz. Das neue EDV-System beherrscht sie zwar, aber der Stress ist immer noch da. Von chronischem Stress spricht hier die Medizin, die den Organismus in Dauerspannung und ständiger Kampfbereitschaft hält. Dafür sorgt das Stresshormon Cortisol, das mit der Zeit Befinden und Gesundheit erheblich stört.

    »Die häufigsten Stressoren sind Zeitdruck, zu viel Arbeit, zu wenig Handlungsspielraum, unbefriedigende Arbeitsaufgaben, häufige Arbeitsunterbrechungen, schlechte Zusammenarbeit mit Kollegen und Vorgesetzten oder geringe Möglichkeiten der Weiterentwicklung«, zählt die Arbeitspsychologin Martina Molnar einige der zahlreichen Stressfaktoren auf.

    Stress hat kein Mascherl, betriebliche Faktoren mischen sich häufig mit privaten Problemen. Hans Maly*) ist Fernfahrer aus Leidenschaft. Er liebt das »Gefühl der Freiheit auf der Straße« und dass er sein »eigener Herr ist«. Beruf und Familie ließen sich bisher vereinbaren. Seit einiger Zeit fährt er aber nachts. »Mit dem Straßenverkehr am Tag wären sonst die Termine nicht einzuhalten. Meine Frau und die zwei Kinder sehe ich daher kaum und bin auch meistens zu müde, um etwas mit ihnen zu unternehmen.« Davon, dass er »sein eigener Herr ist«, spürt er zunehmend weniger. Dafür hat er Magenschmerzen, schläft schlecht und träumt, dass er nach rasanter Fahrt quer durch Österreich zu spät mit seiner Fracht ankommt.

    Beziehungsfallen

    Hermann Seyfried*), früher beliebter Kumpel in der Firma, mit dem man sich auch gerne in der Freizeit traf, gilt heute als Miesepeter. Er ist im Einkauf eines mittelständischen Betriebes tätig und seit kurzem ist sein Arbeitsplatz mit gelben Spickzetteln übersät. »Ich vergesse plötzlich alles«, klagt er. »Früher habe ich den Terminkalender fast im Kopf gehabt, heute weiß ich oft nicht, wo ich ihn wieder liegengelassen habe.« »Der Alzheimer hat wieder zugeschlagen«, necken ihn die Kollegen. Es sind aber keine Altererscheinungen, die den 52-Jährigen belasten. Vor einigen Monaten kam ein neuer Vorgesetzter, jung und dynamisch, der den Mitarbeitern die Aufgabe zu mehr Selbständigkeit und Hermann Seyfried die Pflicht zu detailliertester Berichterstattung auferlegte. Das Gedächtnis des Einkäufers wurde allmählich bedenklich träge. »Stressfolge: Burn-out«, kommentiert Michael Lenert, Experte der AK-Abteilung für Arbeitnehmerschutz und Arbeitsgestaltung, die Folge des etwas bizarren Arbeitsauftrages. »Es gibt Arbeitsaufträge, die nicht zu erfüllen sind. Viele Betroffene merken dies nicht oder zu spät.« Unmöglich zu bewältigen sind für Lenert die so genannten Beziehungsfallen in Aufgabenstellungen. Etwa das Paradox, einerseits mehr Selbständigkeit bei der Arbeit, andererseits genaueste Rechenschaft vor jedem Schritt zu verlangen. Das macht Stress.

    Stress ist aber auch, freundlich sein zu müssen, wenn dies zum Kraftakt wird. Gerda Stiegel*) ist Kassiererin in einem jener Supermärkte, die seit neuestem mit einer großen Tafel Kunden mit mehreren Vorteilen locken. Punkt Eins: »Hier werden sie immer mit einem Lächeln bedient.« Die Dame am Foto lächelt entspannt den glücklich strahlenden Kunden an. Für bezahlte Fotomodelle wahrscheinlich kein Problem, Gerda hinter der Kassa grinst so gequält, dass es die Wartenden ans Herz rühren müsste. Starres Dauerlächeln. Wer weiß, ob dieser lästige Kunde, der auf die langsame Bedienung schimpft, nicht ein betriebsinternes Lächelkontrollorgan ist? »Der Stress an der Kassa war bisher auch kein Honiglecken«, sagt Gerda später am Nachhauseweg. »Wenn ich aber das Schild mit der Lächel-Pflicht sehe, komme ich mir verschaukelt vor. Zu Stoßzeiten habe ich oft solche Wut. Das Lachen ist mir auch in der Freizeit schon vergangen.« Gerda Stiegel hat zu rauchen begonnen und zur Entspannung nimmt sie sich »ab und zu ein paar Dosen Bier nach Hause«. Keine geeignete Methode jedenfalls, Ressourcen zu mobilisieren, um Stress zu bekämpfen.

    Ressourcen gegen Stress

    »Ressourcen sind die verfügbaren Möglichkeiten oder Hilfsmittel eines Menschen, Stressfaktoren zu verhindern, zu verändern, zu mildern oder auszugleichen«, heißt es in der erwähnten IMPULS-Broschüre. Mit der Broschüre automatisch mitgeliefert wird auch der IMPULS-Test, der zum Erkennen von Stressoren und Optimieren von Ressourcen im Betrieb beitragen soll. Auf jeden Fall, so wird geraten, ist vor der Durchführung des Tests im Betrieb das Einverständnis von Geschäftsleitung und die Unterstützung des Betriebsrates zu suchen. »Denn Stress ist ein sensibles Thema. Das Management befürchtet, dass sich daraus Vorwürfe gegen ihre Entscheidungen oder unerwünschte Veränderungen ableiten lassen. Die Beschäftigten haben Sorge, dass ihre Beurteilung gegen sie verwendet werden könnte«, schreiben die Verfasser. Sicherzustellen sei auf jeden Fall die Anonymität des Tests. Klar muss auch sein, dass der Test allein noch keine Vorgabe für Veränderungen ist. Die gilt es gemeinsam zu erarbeiten.

    Denn Stress ist kein Einzelschicksal. »Mehr als 41 Millionen Arbeitnehmer in der EU sind von arbeitsbedingtem Stress betroffen, mehr als ein Viertel der österreichischen Werktätigen kämpft mit diesem Problem«, berichtet Arbeitspsychologin Martina Molnar. Stress betrifft weder allein Leute mit schwachen Nerven noch können Betroffene alleine etwas dagegen tun, zählt die Psychologin aus einer Liste der »verbreiteten Irrtümer über Stress« auf. »Arbeitsbedingter Stress entsteht aus den Arbeitsbedingungen. Er kann daher nicht verändert werden, indem man die Menschen, sondern indem man die Arbeitsbedingungen verändert.« Fernfahrer Hans Maly fühlt sich jetzt auf der Strasse und bei der Familie wieder etwas mehr daheim. Er weiß jetzt, dass nicht nur er unter Druck steht, die meisten seiner Kollegen leiden unter ähnlichen Beschwerden. Chef und Betriebsrat haben ein Anti-Stress-Programm vereinbart. Zuerst gab es Ratschläge vom Arbeitsmediziner, wie Nachtfahrer zu besserem Schlaf und gesünderem Essen kommen. Jetzt will der Chef sich selbst beraten lassen, wie die Fahrtzeiten der Mitarbeiter stressfreier gestaltet werden können.

    *) Sämtliche Namen der Betroffenen wurden von der Redaktion geändert

    I N F O R M A T I O N

    Bestellung ohne Stress

    Der direkte Weg zur IMPULS-Broschüre
    und zum IMPULS-TEST:
    bestellservice@akwien.at
    Tel.: 01/310 00 1-406
    Renate.Czeskleba@oegb.or.at
    Tel.: 534 44-443
    Der direkte Weg zur Broschüre
    »Stress in der Arbeitswelt: Entstehung, Ursachen, Abhilfen« von Michael Lenert:
    bestellservice@akwien.at
    Tel: 310 00 10-323

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    Gabriele Müller (Freie Journalistin in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Wed, 15 Oct 2003 00:00:00 +0200 1189007895300 »Fair-Teilung« Wer diese Reformpläne kritisiert, wird als realitätsfremd abgestempelt oder es wird ihm vorgeworfen, keine Alternativen bereitzuhalten und lediglich Besitzstandswahrung zu betreiben. Beide Vorwürfe sollen hiermit zurückgewiesen werden.

    Ein anderer Reformbedarf

    Wesentliche Teile eines tatsächlichen, allerdings völlig anders gelagerten Reformbedarfs werden totgeschwiegen: Es bedarf einer Renaissance makroökonomischen Denkens und, damit dies nicht zu einem wenig hilfreichen »Weg zurück in die Siebzigerjahre« wird, einer Weiterentwicklung alter keynesianischer Konzepte, die die Fehler der Vergangenheit vermeidet und die Veränderungen der Rahmenbedingungen in Rechnung stellt.

    Der Keynesianismus der Siebzigerjahre ist nicht etwa, wie insbesondere in sozialdemokratischen Kreisen häufig kolportiert wird, daran gescheitert, dass seine gesamtwirtschaftliche Ausrichtung - die »Globalsteuerung« - zu wenig Rücksicht auf die strukturellen Probleme einer Volkswirtschaft nahm, sondern wesentlich an seiner Ignoranz gegenüber den Problemen der Inflation und der Verschuldung des Staates. In den Achtzigerjahren wurde deshalb fast zwangsläufig die monetaristische Doktrin der Preisstabilität dominant, in den Neunzigerjahren schließlich setzte sich die angebotspolitische Heilslehre der »Konsolidierungs- bzw. Sparpolitik« durch - ohne geld- und finanzpolitische Instrumente aber schien der Keynesianismus tot.

    Tatsächlich verweist die Vernachlässigung von inflationären Potenzialen und der zunehmenden Verschuldung der öffentlichen Haushalte jedoch nur darauf, dass der Keynesianismus der Siebzigerjahre zu wenig Augenmerk auf die Interaktion der verschiedenen Politikträger gelegt hatte.

    Blockade überwinden

    Neuere Forschungsarbeiten wie auch die wirtschaftspolitische Realität in den beschäftigungspolitisch erfolgreichen Ländern haben deutlich gemacht, dass eine keynesianische Finanz- und Geldpolitik auch heute noch wirkungsvoll sein kann - gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass eine nachhaltige Verbesserung der Wachstums- und Beschäftigungsbedingungen nur zu erreichen sein wird, wenn entweder rein zufällig eine Konstellation entsteht, die die potenzielle Blockade zwischen den autonomen Politikträgern überwinden hilft (wie in den USA) oder aber spezielle Institutionen geschaffen werden, die Anreize für eine Verhaltensabstimmung setzen. Es gilt also, einen Makro-Dialog anzuregen. Nur wenn die Akteure der Geld-, Finanz- und Tarifpolitik miteinander kooperieren, kann ein inflationsfreies, die öffentlichen Haushalte schonendes Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum angeregt werden, wie es sowohl von den Akteuren selbst gewünscht wird, wie es aber auch dem Gemeinwohl förderlich wäre.

    Ohne entsprechende Institutionen aber, z. B. einen »neutralen« Sachverständigenrat und einen Sozioökonomischen Rat nach holländischem oder der Sozialpartnerschaft nach österreichischem Vorbild, würden die Politikträger in der so genannten »Kooperationsfalle« stecken bleiben. Die Gefahr nämlich, seinen Beitrag zum Gelingen der Kooperation zu erbringen, während die anderen Partner sich verweigern und somit den kooperationsbereiten Akteur »ausbeuten«, ist so groß, dass ohne einen festgelegten Ort der Kommunikation und Absprache keiner der Akteure seinen Beitrag bringen wird. Dieses scheinbar paradoxe Verhalten, das dazu führt, dass alle schlechter dastehen als im Falle der Kooperation, ist als »Gefangenen-Dilemma« in den Sozialwissenschaften nur zu gut bekannt und durch tausendfache Experimente bestätigt.

    Damit das Ergebnis eines Makro-Dialogs sich nicht nur in »Leerformeln« erschöpft, bedarf es deshalb einer wahrhaftigen Reformanstrengung für eine integrative Wirtschaftspolitik, deren Zentrum kooperationswillige und kooperationsfördernde Regierungen bilden. Damit könnte endlich auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass moderne Wirtschaftspolitik nicht länger für sich in Anspruch nehmen kann, nach simpler Zweckrationalität absolute Steuerungsfähigkeit zu besitzen, sondern vielmehr Initiator gesellschaftlicher Kooperationen zu sein hat, die konsequenterweise nur die Rahmenbedingungen für gewünschte gesellschaftliche Konstellationen schaffen können.

    Neue Wege der europäischen Integration

    Die Steuerungsfähigkeit nationaler Wirtschaftspolitik wird natürlich auch durch zunehmende globale Integrationsprozesse und, ganz konkret, die europäische Einigung beschränkt. Seit 1999 haben die teilnehmenden Nationalstaaten ihre Hoheitsrechte auf Ausgabe einer eigenen Währung und damit das Betreiben einer eigenständigen Geldpolitik aufgegeben und einer supra-nationalen Behörde (EZB) übergeben. Der notwendige Makro-Dialog kann deshalb nicht mehr allein auf nationaler, also z. B. auf deutscher oder österreichischer Ebene eingerichtet werden, weil die EZB ihre Geldpolitik nicht nur mit Blick auf einzelne EU-Mitglieder, sondern mit Blick auf die Inflationsentwicklung in der gesamten EWU betreibt. Die richtige Ebene für einen Makro-Dialog wäre deshalb die EU-Ebene. Und tatsächlich wurde im Jahr 1999, auf Initiative der deutschen und österreichischen Regierungen im Rahmen der EU-Beschäftigungspolitik der so genannte »Kölner Prozess« auf den Weg gebracht, der exakt jenes Ziel verfolgte, das ich eben beschrieben habe: eine Verhaltensabstimmung zwischen der Geld-, der Finanz- und der Tarifpolitik - der EU-Makrodialog.

    Die Tatsache, dass der »Kölner Prozess« weder im politischen Alltagsgeschäft noch in wissenschaftlichen Abhandlungen oder Zukunftsvisionen der EU irgendeine Rolle spielt, zeigt allerdings, dass irgendetwas schief gegangen sein muss: Einerseits hat man aus den deutschen Erfahrungen mit der »Konzertierten Aktion« nichts gelernt. Wieder fehlt es dem EU-Makrodialog an einer adäquaten institutionellen Struktur, die nicht nur die unumgängliche Kommunikation zwischen den Akteuren sicherstellt, sondern auch die Ausformung von akzeptierten Politikregeln und, besonders wichtig, deren Kontrolle ermöglicht. Außerdem passt der EU-Makrodialog, der ja eine Abstimmung der Politikbereiche voranbringen soll, nicht zu den starren Politikregeln des »Stabilitäts- und Wachstumspaktes«, der genau genommen ja ein Restriktions- und Austeritätspakt ist. Ganz offensichtlich kollidieren an dieser Stelle die wirtschaftspolitischen Vorstellungen einer abgestimmten Interaktion des »Kölner Prozesses« aus dem Jahre 1999 mit den Verfahrensvorstellungen zur Finanzpolitik nach dem »Stabilitäts- und Wachstumspakt« aus dem Jahre 1997, als noch der ehemalige deutsche Finanzminister Theo Waigel die Richtlinien europäischer Wirtschaftspolitik bestimmte.

    Nicht so recht angekommen

    Die europäische Integration ist ein politisches Großprojekt, das bei den Menschen in Europa bislang nicht so recht angekommen ist. Die Zustimmung zur Europäischen Währungsunion war in allen Teilnehmerländer eher dürftig, der Prozess der Schaffung eines einheitlichen Binnenmarktes wird häufig auf die Flut von Brüsseler Verordnungen reduziert. Nachdem in den Achtzigerjahren die europäische Integration auf gutem Wege schien und deutlich an Zustimmung bei den Menschen gewann, müssen die Neunzigerjahre - trotz oder gerade wegen der Einführung einer gemeinsamen Währung - als Rückfall in den Euroskeptizismus verstanden werden: Die regelmäßige Befragung der Europäer zeigt jedenfalls eine wieder zunehmende Distanz zur Europäischen Union. (Siehe Tabelle: »Zustimmung und Bewertung der EU-Mitgliedschaft«.)

    Zustimmung und Bewertung der EU-Mitgliedschaft
    1983 1990 1996 2000 2001
    EU-Mitgliedschaft ist eine »gute Sache«
    54 72 47 50 48
    EU-Mitgliedschaft ist vorteilhaft für mein Land 52 59 44 47 45
    Quelle: Eurobarometer

    Populistische Führer

    Wenn es nicht gelingt, den europäischen Integrationsprozess mit spürbar positiven Auswirkungen auf individueller oder gesamtwirtschaftlicher Ebene in Verbindung zu bringen, wird es früher oder später zu einem Rückschlag kommen, der nicht nur die weitere Integration in Frage stellen könnte, sondern sogar zu
    renationalisierenden Bestrebungen zu führen droht. Tendenzen dazu sind überall in Europa durch die Wahlerfolge nationalistischer Parteien und populistischer Führer und EU-Kritiker bereits heute zu erkennen. Hier nun könnte eine konstruktive Nutzung des EU-Makrodialogs endlich einmal einen positiven Zündfunken von der europäischen Integration und Institutionenbildung zur nationalen Entwicklung auslösen, der die Europäische Union mit der wohlklingenden Konnotation eines tatsächlichen Wachstumsschubes verbände. Statt wie bisher von der europäischen Bühne aus eine neoliberale Infiltration der Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung zu inszenieren, könnte der EU-Makrodialog als Vorbild für vergleichbare Kooperationsforen auf nationaler Ebene dienen, auf der auch in absehbarer Zukunft noch die Akteure der Tarif- und Finanzpolitik handeln werden.

    Moderner Staat = aktiver Staat

    Das neoliberale Dogma des zunehmend handlungsunfähigen Staates ist ein ziemlich geschicktes Täuschungsmanöver. Einerseits soll damit die interventionistische Kraft eines defizitären Haushalts zugunsten einer »soliden« Sparpolitik bestritten werden, andererseits wird aber auch verschleiert, dass auch die neoliberale Angebots- bzw. Standortpolitik einen äußerst handlungsfähigen und steuerungsmächtigen Staat voraussetzt. Allerdings soll die staatliche Selbstbeschneidung mit dem Ziel der Umverteilung zugunsten der Leistungselite nicht als aktives Handeln erkannt werden, sondern als notwendige Anpassung an die sich verändernden Rahmenbedingungen erscheinen. Auch das sozialdemokratische »Dritter-Weg-Konzept« eines »aktivierenden Staates« hat sich dieser Logik untergeordnet, hofft aber auf die Selbstorganisationskraft der Menschen, die der Staat durch finanzielle Anreize allenfalls fördern könne. Gerhard Schröder und Tony Blair haben in ihrem vieldiskutierten Strategiepapier zur Zukunft sozialdemokratischer Politikvorstellungen das schöne Bild geprägt: »Der Staat soll nicht mehr selber rudern, sondern nur mehr steuern.«

    Dieses Ideal geht aber von der grundsätzlichen Selbstregulierungskraft der Märkte aus, die der neoliberalen Sichtweise entspricht, von der Realität allerdings täglich aufs Neue widerlegt wird. Der Steuerungs- und Interventionsbedarf in modernen Volkswirtschaften ist viel größer als es der gegenwärtige Zeitgeist wahr haben will, die Steuerungsfähigkeit von Nationalstaaten, vor allem aber eines Staatenverbundes wie der Europäischen Union ist auch heute noch viel größer als es die Globalismus-Theoretiker behaupten. Der moderne Staat muss heute viel mehr leisten als in den glorreichen Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts - dem so genannten »goldenen Zeitalter«. Er muss nicht nur durch finanz-, regional- oder strukturpolitische Maßnahmen in die Abläufe der Volkswirtschaft eingreifen, er muss darüber hinaus Kooperationen organisieren: Kooperationen auf supra-nationaler Ebene, um die Handlungsfähigkeit auf europäischer Ebene zu erhalten oder wiederherzustellen, Kooperationen auf nationaler Ebene, um die gegenseitige Blockade der verschiedenen Politikbereiche zu verhindern und Kooperationen auf regionaler Ebene, um die in der Standortkonkurrenz entscheidenden Branchen-Cluster - ein Netzwerk aus Zulieferern und Abnehmern, spezifischen Qualifikationsangeboten der Arbeitnehmer und Erfordernissen dynamischer Unternehmen - zu gewährleisten.

    Milchmädchen

    Im Rahmen einer integrativen Wirtschaftspolitik, wie sie oben beschrieben wurde, muss die öffentliche Hand ihre Finanzpolitik an den Kriterien »Nachhaltigkeit, Beschäftigung und Wachstum« ausrichten. Das bedeutet einerseits, dass einem simplen »deficit spending« - also einer defizitfinanzierten Nachfrageerhöhung - nicht mehr das Wort geredet werden kann, andererseits aber auch ein ausgeglichener Haushalt nicht als dauerhafte Finanzregel akzeptiert werden muss. Vielmehr muss eine Umstrukturierung zugunsten der öffentlichen Investition stattfinden, die in den letzten drei Jahrzehnten kontinuierlich zurückgefahren wurde und mittlerweile zu einem eigenständigen Teil des deutschen und europäischen Wirtschaftsproblems geworden ist. Diese Entwicklung hat nachteilige Konsequenzen: Sie korrespondiert in fataler Weise mit der ohnehin rückläufigen privaten Investitionstätigkeit und verstärkt damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrageschwäche, statt ihr entgegen zu wirken. Der Versuch jedenfalls, mittels einer Kürzung der Investitionen eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte einleiten zu wollen, dürfte etwa so schlau sein, wie das berühmte Milchmädchen.

    Kooperationsbereitschaft fördern

    Eine andere Reformpolitik stellt also nicht die bewährten Strukturen des »deutschen und europäischen Modells« in Frage, sondern versucht diese vielmehr durch ein neues Verständnis von staatlichem Handeln zu ergänzen. Der moderne Staat kann nicht als Steuerungsinstanz verstanden werden, der Zielvorstellungen durch effizienten Instrumenteneinsatz in gewünschte politische Ziele transformiert, damit wäre er angesichts der Handlungsautonomie anderer Politikträger vollständig überfordert. Der moderne Staat muss in erster Linie die Kooperationsbereitschaft verschiedener Akteure - der Tarifparteien, der Notenbank, der Unternehmen und der betrieblichen Sozialpartner - auf allen Ebenen fördern und in diesem Rahmen natürlich auch einen eigenen Beitrag zum Gelingen demokratisch bestimmter Ziele beitragen. Er kann, mit anderen Worten, nur versuchen, die Rahmenbedingungen für ein inflationsfreies Wachstum und eine bessere Beschäftigungsentwicklung zu schaffen. Dazu muss er aber auch selbst von der finanzpolitischen Bremse gehen. Und er muss die europäische Zusammenarbeit auf wirtschafts-, steuer- und sozialpolitischem Gebiet suchen, denn der Nationalstaat verliert seine eigenständige Steuerungskompetenz mit fortschreitender Integration zusehends. Erst eine solcherart reformierte Staatlichkeit ist überhaupt in der Lage, die ebenfalls notwendige Reform der sozialen Systeme und deren Finanzierung in einer Weise zu betreiben, die nicht als interessenpolitisch motivierte Reformpolitik verstanden werden muss. Erst sie schafft gewissermaßen Verhandlungsmöglichkeiten »auf gleicher Augenhöhe«.

    Kulturelle und gesellschaftliche Voraussetzungen

    Reformpolitische Alternativen sind also denkbar. Niemand sollte deshalb zusammenzucken, wenn in der Diskussion von den neoliberalen Dogmatikern argumentiert wird: There Is No Alternative - Es gibt keine Alternative. Hier werden Sachzwänge konstruiert, um argumentative Schwächen und empirische Falsifikationen zu überdecken.

    Reformpolitische Alternativen sind notwendige Bedingungen für die Rückkehr zu einer vernünftigen Wirtschaftspolitik und den Erhalt des »europäischen Modells«, sie sind keineswegs eine hinreichende Bedingung. Die Legitimation der Institutionen des europäischen Arbeits- und Tarifvertragssystems wird wohl so lange in Zweifel gezogen werden, wie anhaltend hohe Arbeitslosigkeit besteht - oder anders: Die Rückkehr vom Dogma des neoliberalen Wettbewerbsstaates zum solidarischen, konsensorientierten Wohlfahrtsstaat ist ohne eine vollbeschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik nicht vorstellbar. So wie der Keynesianismus der Siebziger- jahre die Basis der westlichen Wohlfahrtsstaaten im so genannten »goldenen Zeitalter« war, so ist ein reformierter Keynesianismus die Grundlage des
    reformierten Wohlfahrtsstaates des 21. Jahrhunderts. Allerdings können keynesianische Politikversatzstücke auch gewissermaßen nachsorgend eingesetzt werden, um einen im Sinne der Leistungseliten deregulierten, liberalisierten Wettbewerbsstaat zu stabilisieren - dies zeigen die Beispiele Großbritanniens und der USA unter den Thatcher- bzw. Reagan-Administrationen nur allzu deutlich. Also ist auch nicht keynesianischer Instrumenteneinsatz per se, sondern eine vorsorgende und umfassende wirtschaftspolitische Konzeption vonnöten, die die integrative Wirtschaftspolitik zum Ausgangspunkt nimmt.

    Wenn unsere Analyse ansatzweise stimmig ist, dann erfordert die (externe) Legitimation einer solchen Politik allerdings eine radikalen Wandel des herrschenden gesellschaftlichen Meinungsklimas. Solange ein überbordender Individualismus, ein ganz allgemeiner, intuitiver Staatsskeptizismus und Sozialneid herrschen und die »öffentliche Meinung« prägen, gelingt es der Leistungselite leicht, ihre Verteilungsinteressen zum Interesse des Allgemeinwohls zu stilisieren. Unter diesen Bedingungen ist die Aufkündigung des »historischen Kompromisses« aus der Zeit der Systemkonfrontation nur zwangsläufig oder anders ausgedrückt: Die Herstellung eines solchen Weltbildes war die notwendige Voraussetzung dafür, dass die Leistungselite ohne gesellschaftlichen Imageverlust einen zu den Errungenschaften der Nachkriegszeit zählenden Verteilungskompromiss aufkündigen konnte. Dass sie dies mittlerweile ohne Rücksicht auf das Allgemeinwohl tut, darf nicht länger verborgen bleiben und könnte zu einem Meinungswandel führen.

    R E S Ü M E E

    Ein reformierter Keynesianismus ist nach wie vor Grundlage des reformierten Wohlfahrtsstaates. Allerdings nur, wenn die »Leistungselite« nicht mehr ihre Verteilungsinteressen zum Interesse des Allgemeinwohls hochstilisiert. Man muss aufdecken, dass der Verteilungskompromiss ohne Rücksicht aufgekündigt wurde.

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    Arne Heise (Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Wed, 15 Oct 2003 00:00:00 +0200 1189007895209 So würgt man die Konjunktur ab Diese Argumente, die häufig von Vertretern der Unternehmen vorgebracht werden, sind den Beschäftigten vertraut. Die Fakten und die allgemeine wirtschaftliche Situation lassen aber an solchen Aussagen zweifeln. Die Geschichte der industriellen Entwicklung zeigt, dass immer wieder Beschäftigte aus dem Produktionsprozess gedrängt wurden, obwohl Sachinvestitionen in hohem Ausmaß getätigt wurden. Der Rationalisierungscharakter dieser Investitionen war vorherrschend.

    »Die Unternehmen haben die Sachinvestitionen um 9,1% verringert, die Finanzinvestitionen aber um 7,6% erhöht.«

    Die jüngere industrielle Entwicklung wurde aber um eine Facette bereichert: Beschäftigte werden aus dem Produktionsprozess gedrängt, nicht nur weil der Rationalisierungscharakter der Sachinvestitionen vorherrscht, sondern weil die Industrieunternehmen - überspitzt formuliert - fast einen bankähnlichen Charakter annehmen. Statt Realinvestitionen zu tätigen, wird lieber in Beteiligungen investiert.

    Eine aktuelle Studie der AK Wien1) hat die Investitionspolitik der österreichischen Industrieunternehmungen im Zeitraum 1992 bis 2001 anhand der veröffentlichten Jahresabschlüsse untersucht. Es wurden 143 große und mittelgroße Kapitalgesellschaften analysiert, wobei sich die Untersuchung auf die wirtschaftliche Entwicklung der operativen Unternehmungen, also ohne Holdinggesellschaften, beschränkt. Aufgenommen wurden Kapitalgesellschaften, die durchgängig ihre Jahresabschlüsse veröffentlicht haben und die kein Rumpfwirtschaftsjahr aufwiesen. Unberücksichtigt blieben Kapitalgesellschaften, deren Vergleichbarkeit im gesamten Zeitraum infolge von bedeutsamen Umstrukturierungen (Abspaltungen, Fusionen usw.) erschwert wurde.

    Die Studie erfasst ungefähr ein Drittel aller österreichischen Industrieinvestitionen. Der Beschäftigtenanteil liegt bei knapp einem Viertel aller Industriebeschäftigten. Die Industrieunternehmungen wurden in zehn Industriesparten aufgegliedert, um überprüfen zu können, in welchem Ausmaß die Industrie von den Entwicklungstendenzen betroffen war.

    Von Sach- zu Finanzinvestitionen

    Die Unternehmen haben die Sachinvestitionen, also zum Beispiel Maschinen, Büroausstattung, Kraftfahrzeuge, Gebäude usw., zwischen 1992 und 2001 um 9,1 Prozent verringert, gleichzeitig die Finanzinvestitionen aber um 7,6 Prozent erhöht. Zu den Finanzinvestitionen werden im Wesentlichen Beteiligungen an anderen Unternehmungen sowie langfristige Wertpapiere des Anlagevermögens gezählt. Die vergleichsweise niedrigen Immateriellen Investitionen, also Markenrechte, EDV-Software usw., wuchsen um 69,2 Prozent.

    Werden alle österreichischen Industrieinvestitionen mit den gesamten österreichischen Bruttoanlageninvestitionen verglichen, fällt jedenfalls im angegebenen Zeitraum ein unterdurchschnittlicher Investitionszuwachs der Gesamtindustrie auf.

    Wenn die Investitionen in Beziehung zur Betriebsleistung (im Wesentlichen der Umsatz) gesetzt werden, können die Investitionsquoten errechnet werden. Diese geben Auskunft über das Ausmaß und die Veränderung der Investitionen unabhängig vom Einfluss einzelner Großfirmen. Auch hier zeigt sich ein deutlicher Rückgang der Sachinvestitionsquote im Zehnjahreszeitraum von 2,8 Prozentpunkten, während der Rückgang der Finanzinvestitionsquote mäßig ausfällt (minus 0,7 Prozentpunkte; überdies verzerrt durch ein unterdurchschnittliches Niveau im Jahr 2001).

    Es lässt sich daher eine nachlassende Bedeutung der Sachinvestitionen und eine relativ wachsende Bedeutung der Finanzinvestitionen (sowie der niedrigen Immateriellen Investitionen) ableiten.

    Mehr Beteiligungen - weniger Wertpapiere

    Unter den Finanzinvestitionen nehmen die Beteiligungen tendenziell zu, die Investitionen in Wertpapiere des Anlagevermögens gehen zurück. Letztere sanken im Zehnjahreszeitraum um 87,6 Prozent. Da die langfristigen Wertpapiere des Anlagevermögens zu einem wesentlichen Teil im Zusammenhang mit den Abfertigungs- und Pensionsrückstellungen stehen (gesetzlich vorgeschriebene Deckung), dürfte dieser Rückgang sowohl mit der Auslagerung von Pensionsrückstellungen in Pensionskassen als auch mit dem Beschäftigtenabbau zusammenhängen.

    Einerseits müssen bei einem niedrigeren Beschäftigtenstand weniger Abfertigungs- und Pensionsrückstellungen gebildet werden. Andererseits erfolgt eine Verlagerung von Pensionsrückstellungen (in Zukunft auch von Abfertigungsrückstellungen) in Pensions- und Mitarbeitervorsorgekassen. Die Unternehmungen investieren daher nicht wie früher in die zur Deckung dieser Abfertigungs- und Pensionsrückstellungen dienenden Wertpapiere. Diese Teile des Finanzanlagevermögens werden daher in andere Wirtschaftssektoren, wie Pensions-, Mitarbeitervorsorgekassen bzw. zum Bankensektor, mit entsprechendem Einfluss auf den Kapitalmarkt, verlagert.

    Wenn die Finanzinvestitionen dennoch wachsende Bedeutung erlangen, geht dies auf die Beteiligungsinvestitionen zurück. Seit 1995 beispielsweise nahmen die Beteiligungsinvestitionen der untersuchten Unternehmungen um 37,6 Prozent zu, während die Investitionen in Wertpapiere des Anlagevermögens im gleichen Zeitraum um 88,9 Prozent sanken.

    Rückgang der Sachanlagen

    Das Sachanlagevermögen in Prozent der Bilanzsumme sank von 1992 bis 2001 um 8,3 Prozentpunkte, während das Finanzanlagevermögen um 6,8 Prozentpunkte stieg. Werden die absoluten Werte betrachtet, dann errechnet sich ein Rückgang des Sachanlagevermögens im angegebenen Zeitraum von minus 2,1 Prozent bzw. ein Zuwachs des Finanzanlagevermögens im Ausmaß von 90,3 Prozent (siehe Grafik 1: »Anlagenintensität«).

    Ausgliederungen

    Einige Unternehmungen dürften Sachanlagen in Beteiligungen ausgegliedert haben. Bestätigt wird dieser Sachverhalt durch den Rückgang der Wertschöpfungsquote (also des Anteils der Wertschöpfung an der Betriebsleistung) im Ausmaß von sechs Prozentpunkten im Zehnjahreszeitraum. Ein Teil der Unternehmungen geht offenbar dazu über, Teile der bisher in den Unternehmungen selbst erzeugten Wertschöpfungsbestandteile in zunehmendem Maße von anderen - beteiligten - Unternehmungen als Vorleistungen zuzukaufen. Die dahinter stehende Konzern-bzw. Unternehmenspolitik beschränkt die unter dem Motto »schlanke Unternehmungen« ausgegliederten Beteiligungen auf Teile der Wertschöpfungskette. In weiterer Folge könnten Verkäufe dieser Beteiligungsunternehmungen an konzernfremde Kapitalgesellschaften vorbereitet werden. Würde auf der anderen Seite sofort ein Verkauf dieser ausgelagerten Unternehmungen an konzernfremde Gesellschaften erfolgen, müsste damit gerechnet werden, dass die Abhängigkeit von der Unternehmenspolitik dieser nunmehr als Zulieferer fungierenden Gesellschaften wächst.

    Schwächung des Standbeins

    Ein weiterer Teil der analysierten Unternehmungen hat den Zuwachs der Beteiligungsinvestitionen möglicherweise durch eine geänderte Unternehmenspolitik herbeigeführt. Investitionen der operativen Unternehmungen verloren tendenziell an Bedeutung zu Gunsten des Aufbaus von Beteiligungen. In diesem Fall werden relativ höhere Gewinne in Form von Beteiligungserträgen erwartet, als durch Stärkung der Wertschöpfung in den eigenen Unternehmungen. Dies kommt de facto einem Schrumpfungsprozess der betroffenen Industrieunternehmungen gleich, da das eigene Standbein reduziert, aber gleichzeitig ein Zufluss von Beteiligungserträgen erwartet wird.

    Bei operativ tätigen Industrieunternehmungen erreicht diese Beteiligungspolitik eine neue Dimension, womit fast ein bankähnlicher Charakter sichtbar wird.

    Anlagenleasing

    Ein weiterer Teil der Unternehmungen nahm verstärkt Anlagenleasing in Anspruch. Die Leasing- und Mietaufwendungen der untersuchten Gesellschaften haben sich im Zehnjahreszeitraum mehr als verdoppelt (plus 132 Prozent). Dies könnte zum Teil dadurch verursacht worden sein, dass durch Verkäufe von Sachanlagen an andere Konzernunternehmungen mit entsprechender Aufwertung der Buchwerte und gleichzeitigem »Zurückleasen« dieser Vermögensgegenstände ein höheres Konzerneigenkapital erreicht werden sollte. Weiters könnten manche Unternehmungen Leasing eingesetzt haben, um eine zu lange Bindung von Vermögensgegenständen zu verhindern. Im Falle von Konjunktureinbrüchen sollten diese Vermögensgegenstände leichter abgebaut werden können.

    Nicht zuletzt könnten auch international unterschiedliche Steuersätze internationale Leasinggeschäfte ausgedehnt haben. Das Ziel ist dann die Ausnützung einer unterschiedlichen Aufwandshöhe (Mietaufwendungen auf der einen Seite, Abschreibungen auf der anderen Seite).

    Wachsendes Alter der Sachanlagen

    Es verwundert kaum, dass diese zurückhaltende (Sach-)Investitionspolitik zu einem Anstieg des Alters der Sachanlagen (Abnutzungsgrad) im Ausmaß von 4,6 Prozentpunkten führt. Dieser wachsende Anlagenabnutzungsgrad steht mit einer relativ bescheidenen durchschnittlichen Investitionsneigung im Ausmaß von 115,2 Prozent im Zusammenhang. Dies bedeutet, dass die Unternehmungen im Zehnjahresdurchschnitt geringfügig über die Abschreibungen hinaus Sachinvestitionen getätigt haben. Im Vergleich zu 1992 sinkt diese Investitionsneigung aber um 13,5 Prozentpunkte. Mit einer Ausnahme steigt das »Alter« der Sachanlagen in allen Industriesparten.

    »Wenn von einer ›notwendigen Strukturbereinigung‹ gesprochen wird, die einen Personalabbau zu Gunsten von ›absatzsichernden‹ Investitionen erfordert, kann dies nur als Zynismus aufgefasst werden.«

    Steigende Beteiligungserträge

    Die Umschichtung zu den Finanzinvestitionen bzw. zu den Beteiligungen erhöhte das Beteiligungsergebnis gemessen an der Betriebsleistung um 1,3 Prozentpunkte bzw. 347,5 Millionen Euro. Während die Beteiligungsaufwendungen im Verhältnis zur Betriebsleistung um 0,1 Prozentpunkte gesunken sind, wuchsen die Beteiligungserträge um 1,2 Prozentpunkte.

    Der Zuwachs der absoluten Beteiligungserträge erreicht das Ausmaß von 284,8 Prozent. Aus diesem Blickwinkel betrachtet erhellt sich die Investitionspolitik der analysierten Industrieunternehmungen (siehe Grafik 2: »Beteiligungsergebnis«).

    Selbstfinanzierung der Investitionen

    Die Gesamtinvestitionen konnten in diesen zehn Jahren zu 85,5 Prozent aus dem sogenannten betrieblichen Cashflow (= Selbstfinanzierungskraft bzw. Nettogeldmittelfluss) finanziert werden. Werden auch die Beteiligungsergebnisse einbezogen, errechnet sich der Gesamt-Cashflow. Dieser deckte die Investitionen im Durchschnitt nahezu zur Gänze (98,4 Prozent). Wenn die Selbstfinanzierungskraft ausreicht, um die Gesamtinvestitionen zu finanzieren, werden die Industrieunternehmungen immer weniger von der Kreditaufnahme mit entsprechender Zinsbelastung abhängig. In sechs Einzeljahren gingen die Verbindlichkeiten immer dann zurück, wenn der Investitionsfinanzierungsgrad stieg und umgekehrt.

    In weiterer Folge verringerten sich die Zinsaufwendungen im Verhältnis zur Betriebsleistung im Beobachtungszeitraum um 0,8 Prozentpunkte.

    Teilweise hängt diese Selbstfinanzierungskraft der Industrieunternehmungen, die auch vom WIFO für die gesamte Sachgütererzeugung festgestellt wird2), mit dem gesunkenen Investitionsniveau zusammen. Das Ausmaß der Selbstfinanzierung der Unternehmungen macht sie allerdings tendenziell unabhängiger vom Kapitalmarkt. Unmittelbar positive Auswirkungen einer Entlastung bei Zinsaufwendungen auf die Investitionsbereitschaft der Industrieunternehmungen werden sich wohl dann zeigen, wenn die Sachinvestitionen einen deutlich kapazitätserweiternden Effekt aufweisen und die Selbstfinanzierung nicht mehr ausreicht.

    Einsparungen bei den Beschäftigten

    Wie steht es nun mit den oft behaupteten positiven Effekten einer vorgenommen Investition auf die Beschäftigungslage und die Einkommen der Beschäftigten? Es ist kaum erstaunlich, wenn Beschäftigte aufgrund dieser Investitionspolitik mit negativen Effekten konfrontiert wurden.

    Der Beschäftigtenstand der analysierten Unternehmungen ging im Zeitraum 1992 bis 2001 um 18,6 Prozent zurück, jener der gesamten österreichischen Industrie wurde um 21,7 Prozent verringert. Knapp 70 Prozent der analysierten Industrieunternehmungen haben den Beschäftigtenstand reduziert.

    Gleichzeitig ging der ordentliche Personalaufwand im gleichen Zeitraum im Verhältnis zur Betriebsleistung um 5,1 Prozentpunkte zurück. Für diesen Rückgang waren drei Viertel der untersuchten Unternehmungen bzw. neun Industriesparten verantwortlich. Die Lohnquote der Sachgütererzeugung (gemessen als Anteil der Arbeitnehmerentgelte an der gesamten Bruttowertschöpfung) sank im Zeitraum 1992 bis 2000 relativ stark (minus 10,4 Prozentpunkte). Die gesamte bereinigte Lohnquote Österreichs sank bis 2001 um 2,1 Prozentpunkte (siehe Grafik 3: »Ordentlicher Personalaufwand«).

    Die Einsparungen bei den Beschäftigten gehen über den Sektor der Industrie bzw. der Sachgütererzeugung hinaus. Die Beschäftigten der Industrie waren jedoch in relativ stärkerem Ausmaß vom Rückgang des Personalaufwands im Verhältnis zur Betriebsleistung betroffen.

    »Die ohnehin sehr schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt wird durch das zwangsweise Hinausschieben des Pensionsantrittsalter weiter verschärft.«

    Rückgang der Lohnstückkosten

    Wenn also regelmäßig von einer »notwendigen Strukturbereinigung« in der Industrie gesprochen wird, die einen Personalabbau zu Gunsten von »absatzsichernden« Investitionen erfordert, kann dies nur als Zynismus aufgefasst werden. Im angegebenen Zeitraum haben viele Beschäftigte den Arbeitsplatz verloren. Der Zuwachs des Personalaufwands, den die in der Industrie Beschäftigten erreichen konnten, lag deutlich unter dem der Produktivität, was zu einem Rückgang der Lohnstückkosten führte.

    Mit relativ weniger Einkommen sollen die Beschäftigten über ihre Nachfrage zu Wirtschaftswachstum und weiteren Investitionen beitragen. Dass dies nicht funktioniert, erkennt man - auch international - an der flauen Konjunktur und dem schlechten Konsumklima. Wenn die Unternehmungen ihre Sachinvestitionen drosseln und in Beteiligungen investieren, ist es kaum überraschend, wenn eine Stagnation oder eine rezessive Phase eingeleitet wird.

    Wenn überdies der Staat keine Initiativen setzt, um eine bessere Konjunktur zu ermöglichen und sogar weite Teile der Beschäftigten mit Belastungen konfrontiert, wird dieser negative Effekt sogar noch verstärkt. Die Steuerbelastung der Unternehmungen ging im Analysezeitraum trotz Einschränkungen mancher Investitionsbegünstigungen zurück.

    Die Ertragslage, die Ausschüttungspolitik sowie die Entwicklung der Eigenkapitalausstattung bestätigen, dass die Unternehmungen keineswegs steuerlich benachteiligt wurden.

    Anstieg der Gewinnausschüttungen

    Im angegebenen Zeitraum haben die betroffenen Industrieunternehmungen genügend Gewinn erwirtschaften können. Der Jahresüberschuss stieg in diesen zehn Jahren im Verhältnis zur Betriebsleistung von 2,1 Prozent (1992) um drei Prozentpunkte auf den Wert von fünf Prozent (2001). Das Wachstum des absoluten Jahresüberschusses erreicht plus 258,9 Prozent.

    Die Gewinnausschüttungen haben sich im Verhältnis zur Betriebsleistung von 2,3 Prozent (1992) auf 4,5 Prozent (2001) nahezu verdoppelt (plus 2,2 Prozentpunkte). Der Zuwachs der absoluten Gewinnausschüttungen erreicht das nominelle Ausmaß von 183,8 Prozent (plus 756 Millionen Euro).

    Investitionen - wozu?

    Die zurückhaltende (Sach-)Investitionspolitik mit ihren deutlichen Einsparungen bei den Beschäftigten, die offenbar nicht auf Österreich beschränkt sind, rufen längerfristig einen entsprechenden Druck auf den privaten Konsum und das Wirtschaftswachstum hervor. Wenn sich die Beschäftigten verhältnismäßig immer weniger leisten können, wirkt dies aber auf die Industrieunternehmungen zurück. Teilweise kommt den analysierten Unternehmungen fast ein investmentbankähnlicher Charakter zu: Umschichtung von Sach- zu Finanzanlagevermögen; steigende Beteiligungserträge; tendenzielle Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt infolge Selbstfinanzierung der - niedrigen - Sachinvestitionen.

    Die Mittel, die infolge der weitgehend selbstfinanzierten Investitionspolitik übrig bleiben, erhöhen zwar in etwas besseren konjunkturellen Zeiten die Gewinne und über die Gewinnausschüttungen die Einkommen der Eigentümer und Eigentümerinnen. Diese werden offenbar weniger für den privaten Konsum als vielmehr für private Wertpapiertransaktionen verwendet. Schließlich setzt der bekannte Kreislauf ein: weniger Nachfrage - Rückgang des Absatzes - Rücknahme der ohnehin niedrigen Sachinvestitionen - Erhöhung des Rationalisierungscharakters bei den bestehenden Investitionen - Abbau von Beschäftigten.

    Wenn die operativen Kapitalgesellschaften weniger Gewinne selbst erzielen, sollen die Beteiligungen zu höheren Gewinnen beitragen. Dies ist aber ein Trugschluss, wie die jüngste Vergangenheit zeigt. Die Industrieunternehmungen sind nunmehr mit Absatzproblemen konfrontiert und werden in dieser Phase kaum Sachinvestitionen mit deutlicher Kapazitätserweiterung tätigen, wenn sie diese in konjunkturell besseren Zeiten vernachlässigt haben. Auf welches Niveau müssen dann die Masseneinkommen, der Beschäftigtenstand und die Investitionen fallen, damit der Markt auf niedrigem Niveau wieder von vorne beginnt?

    1) Kraus, A.: Investitionspolitik der Industrie. Mehr Beteiligungen - weniger Sachinvestitionen - weniger Personal; AK-Wien; April 2003

    2)»Im Mittel der Jahre 1996 bis 2000 betrug das Volumen der Innenfinanzierung 92 Prozent der gesamten Sachkapitalinvestitionen,...« in: Hahn. F.: »The Politics of Financial Development. The Case of Austria.«; WIFO Working Papers; Wien 2002; S. 187; in: Peneder, M./Pfaffermayr, M.: Mäßige Ertragsentwicklung im Jahr 2002. Cashflow und Eigenkapital der österreichischen Sachgütererzeugung; in: WIFO-Monatsberichte 3/2002; S. 179

    R E S Ü M E E

    Die Behauptung, dass Investitionen Arbeitsplätze schaffen, stimmt höchstens zur Hälfte. Sachinvestitionen dienen oft der Rationalisierung und sparen Arbeitsplätze ein. Vor allem aber wird immer weniger in Anlagen und immer mehr in Beteiligungen investiert. Doch während die Unternehmen immer mehr verdienen, stagnieren die Masseneinkommen und damit die Konjunktur.

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    Alfred Kraus (Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1189007895155 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1189007895170 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1189007895177 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Wed, 15 Oct 2003 00:00:00 +0200 1189007895063 Neue Probleme, neue Chancen Annemarie Kramser: Anlass dieses Gesprächs ist der Bundeskongress, bei dem die Weichen für die kommenden vier Jahre gestellt werden.

    Siegfried Sorz: Dieser »Runde Tisch« soll Anstöße von außen und Korrektive bringen, kritische Anmerkungen, Anregungen. Professor Ferdinand Karlhofer ist unter anderem Mitarbeiter von A&W. 1997 stellte er in unserer Zeitung die Frage: »Abschied von der großen Zahl?« Er beschäftigte sich mit der Steigerung des Beschäftigtenstandes und dem Sinken der Mitgliederzahlen der Gewerkschaften, womit man, wie er meinte, rechnen muss. Wie schaut das nun sieben Jahre später aus?

    Ferdinand Karlhofer: In der Tendenz habe ich recht behalten. Wobei diese prognostische Leistung nicht besonders beeindruckend war. Die Gewerkschaft hat als Massenorganisation, wie man sie in der Vergangenheit kannte, heute nicht mehr diese Anziehungskraft und bindet nicht mehr sozusagen automatisch Mitglieder. Das ist ein Trend. Doch die Gewerkschaften werden schon seit 20 Jahren totgesagt und haben es überlebt. Auch in Österreich hat sich irgendwann eine Schere geöffnet zwischen Beschäftigtenentwicklung und gewerkschaftlicher Mitgliederzahl. Den Hauptmechanismus kann man im grundlegenden Wandel der Arbeitsgesellschaft sehen. Man könnte sagen, dass das atypische Beschäftigungsverhältnis beinahe schon zum Standard wird. Etwa im Gastgewerbe oder in einer ganzen Reihe anderer Branchen. Dazu kommt eine gewisse Organisationsskepsis, wie wir sie ja aus der Meinungsforschung kennen. Gerade junge Menschen sind weniger leicht zu einer Bindung über dauerhafte Mitgliedschaft zu bewegen. Das bedeutet eine Distanz, die durchaus von Sympathie unterlegt sein kann, vor allem sporadischer oder punktueller Sympathie für gewisse gewerkschaftliche Aktionen und Themen. Sie ist aber nicht automatisch mit einer Beitrittsbereitschaft verbunden. Dies bedeutet aber nicht, dass die Gewerkschaft sukzessive ihrem Untergang entgegen geht. Es wird so sein, dass sie unterschiedliche Klientelen vertritt, also bestimmte Schichten, die Altkerngruppe der Gewerkschaft wird bleiben. Dazu kommt ein fluktuierendes Segment, das den Organisationsverantwortlichen besonderes Kopfzerbrechen bereitet. Aber die Aktionen im Juli dieses Jahres, die Protestaktionen gegen die Regierung zeigen, dass eine Mobilisierungsbereitschaft oder ein Aktivierungspotential über die Mitgliederschaft hinaus vorhanden ist. Sie muss Bündnisse eingehen. Die Gewerkschaft muss Gruppen erschließen, die nach Aktionen, selbst wenn sie ein Erfolg sind, nicht unbedingt alle bleiben, aber offen sind für die gewerkschaftlichen Anliegen.

    Sorz: Günther Ogris von SORA hat als Meinungsforscher ein Ohr für unsere Probleme, weil er für uns direkt gearbeitet hat, auch in den Betrieben und bei den Betriebsräten, und weil er auch die Veränderungen in der Gesellschaft und den veränderten Stellenwert der Sozialpartnerschaft kennt.

    Günther Ogris: Die Sozialpartnerschaft war ziemlich unter Kritik, sie hatte in der Bevölkerung oft negative Imagebilder. Jetzt gibt es einen Gegentrend. Einen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung. Die Beschäftigten haben das Gefühl, das ist eine einseitige Regierung zugunsten der Unternehmer. Sie haben auf einmal das Gefühl, ja, es braucht eine starke Gewerkschaft, es braucht starke Arbeiterkammern, um ein Gegengewicht zu etablieren. Die Gewerkschaft hat sehr viel Sympathie gewonnen. Die Frage ist: Kann sie damit etwas anfangen? Es geht ja vor allem um die jüngeren Arbeitnehmer, die nicht traditionell Mitglied wurden.

    Es sind vor allem die kleinen Betriebe mit den jüngeren Mitarbeitern, die gewerkschaftlich schwächer organisiert sind. Wenn man in Wien 50 Prozent der Arbeitnehmer über die Betriebe erreichen will, braucht man nicht mehr eintausend, sondern 1500 Betriebe. Gleichzeitig gibt es den Anstieg der Frauenbeschäftigtenquote, und es gibt eine starke Fluktuation zwischen den Branchen. Die Beschäftigungsverhältnisse werden kürzer. Eine andere Frage ist die Betreuung höher qualifizierter Beschäftigter. Die Ansprüche an die Qualität der Beratung steigen. Es kann leicht passieren, dass jemand austritt, weil er zu lange warten muss. Auch die Tatsache, dass die Betriebsräte immer stärker über Namenslisten geführt werden, erfordert neue Formen der Kooperation. Die meisten Betriebsräte sympathisieren vielleicht mit einer Fraktion, deklarieren sich aber nicht, haben nicht denselben Vorteil, wenn sie Mitglieder rekrutieren, weil es für ihre Karrierewege nicht so wichtig ist. Aber der Vormarsch des Kapitalismus und die Liberalisierung lassen das Gefühl, zu kurz zu kommen, immer stärker werden. Es gibt das Problem der raschen Dequalifizierung auf allen Qualifikationsstufen. Wir haben extrem viele Menschen mit Facharbeiterausbildung, die als Hilfsarbeiter arbeiten und sehr viele Akademiker, die in Nichtakademikerjobs arbeiten. Und wir haben in vielen akademischen Berufen so etwas wie eine Proletarisierung durch Standardisierung. In der Medizin zum Beispiel. Die Selbstständigen im Handel werden immer weniger. Die großen Ketten schaffen sozusagen Proletariat. Und schließlich gibt es die Prognose, dass ab 2010 etwa der Arbeitsmarkt entspannt wird, weil nicht so viele junge Leute nachwachsen und die Alten in Pension gehen. Wenn die Arbeitslosigkeit zurückgeht, müssen die Firmen ihre Mitarbeiter halten. Dann wird es für die Gewerkschaft wieder leichter, etwas für die Mitarbeiter zu erreichen.

    Sorz: Nun zu Rudi Kaske, dem Vorsitzenden einer Gewerkschaft mit besonders vielen atypischen Verhältnissen, die für ihre überraschenden Aktionen bekannt ist. Wenn man sich in Innsbruck einfach in Lokale hineinsetzt, ist das ja auch eine Art Streik. Zwei Diskutanten haben den Strukturwandel aufgezeigt. Du bist einer, der darauf reagieren muss. Deine Gewerkschaft war eine der ersten, die einen Zusammenschluss vollzogen hat, mit dem persönlichen Dienst, und die auch jetzt in einer dieser drei Gruppen drinnen ist.

    Kaske: Auch ich glaube, dass wir zwar nicht Abschied von der großen Zahl, aber zur Kenntnis nehmen müssen, dass sich die Arbeitswelt dramatisch verändert hat. Wir leben im Denken einer Industriegesellschaft und in Wahrheit sind wir schon lange eine Dienstleistungsgesellschaft. Ich war als Mitglied des Verwaltungsrates des AMS selber erstaunt, dass das durchschnittliche Arbeitsverhältnis knapp 600 Tage dauert. Was heißt das für die Gewerkschaften? Man sieht, wie mobil die Menschen geworden sind, beziehungsweise wie mobil die Betriebe sie gemacht haben. Das muss man dazu sagen. Die Bindungsfähigkeit ist natürlich in Großbetrieben eine ganz andere. Aber wo haben atypische Arbeitsverhältnisse oder neue Selbstständige ihre Heimat? In der Gewerkschaftsbewegung? Oder sind sie Unternehmer? Natürlich haben sie eher ihre Heimat in der Gewerkschaftsbewegung. Wenn man über den Tag hinaus denkt, sehe ich die Klein- und Kleinstunternehmer eher bei uns angesiedelt als auf der Arbeitgeberseite und in der Wirtschaftskammer.

    Ogris: Der Kleinunternehmer ist ja kein Arbeitgeber.

    »Der Vormarsch des Kapitalismus und die Liberalisierung lassen das Gefühl, zu kurz zu kommen, immer stärker werden.«

    Kaske: Eben. Wie schaffen wie es, dass diese arbeitenden Menschen »ein Stück des Weges mit dieser Organisation gehen« und mit der Gewerkschaft Projekte zu verwirklichen suchen. Wobei ich die Zusammenarbeit mit den NGOs hier ansprechen möchte, oder auch mit anderen Organisationen. Auf der einen Seite ist es wichtig, den Besitzstand zu wahren, auf der anderen Seite die Entwicklung mitzugestalten. Regierungen kommen und gehen, Gewerkschaften gibt es seit mehr als hundert Jahren. Ich glaube, dass das 21. Jahrhundert ein starkes gewerkschaftliches zweites Jahrhundert sein wird, wenn auch die Voraussetzungen andere sein werden. Wir müssen bei der Organisationsreform weitere Schritte setzen, wobei wir jetzt bei der ersten Stufe stehen. Das sind die so genannten Gewerkschaftszusammenschlüsse, aber auch die losen Interessengemeinschaften, wenn man so will. Zusammenschlüsse, die in der Wirtschaft quasi auf Knopfdruck geschehen, sind auch nicht immer die besten. Bei uns bedarf es manchmal langer Diskussionen, aber dann ist alles wohl überlegt und geht in die gewollte Richtung.

    Zweiter Schritt: Ich halte es für sinnvoll, wenn wir einen weiteren Schritt setzen im Hinblick auf die Vertretungsfähigkeit in den einzelnen Bereichen, wo wir uns ja widerspiegeln mit der Wirtschaft. Stichwort Industrie, Dienstleistung, Verkehr, wo auch immer. Dann müssen wir noch einen dritten Schritt draufsetzen und zu europäischen Gesamtkonzepten kommen. Stichwort Kollektivverträge. Die Unternehmer sind seit Jahren und Jahrzehnten weltweit organisiert. Dieser Schritt steht auch für die Gewerkschaften an.

    Sorz: Nach diesen Einleitungsstatements folgt die Frage, was die Anderen dazu sagen. Was davon können Sie so akzeptieren, wo gibt es Widerspruch?

    Karlhofer: Ein paar kleine Dinge. Organisationsreform des ÖGB. Gut durchdacht, lang überlegt, was lange währt, wird endlich gut. Ganz so war es aber nicht. Wie man weiß, gibt es in Organisationen das Gesetz der Beharrung. Bestehende Organisationen leisten Widerstand, auch wenn es sinnvoll wäre, sich irgendwo anzugliedern und neue Strukturen zu schaffen. Das hat es auch beim ÖGB gegeben. Es war auch der Grund, warum seit 1994 lange Zeit nicht wirklich etwas weitergegangen ist. Der Ausschuss für Organisationsreform kam einfach zum Stillstand. Dann ging es zurück, dann kam das Dreisäulenmodell, das eigentlich vom DGB entlehnt war, und jetzt haben wir ein Dreigruppen- oder Dreiblöckemodell. Was tun also die Chemiearbeiter bei diesem Block, wo sie ursprünglich mit den Metallarbeitern hätten fusionieren sollen. Wir wissen, es gab persönliche Animositäten, die das verhindert haben. Dann hat der Paukenschlag von GPA und Metallergewerkschaft Bewegung reingebracht und die Kleinen mussten auch rasch reagieren, um nicht unter die Räder zu kommen. Es sind nicht unbedingt organisch gewachsene, logisch zusammenhängende Cluster oder Blöcke, die da entstanden sind oder im Entstehen sind. Viel ist eben auch zu erklären mit diesen organisatorischen Eigeninteressen. Dann gibt es immer noch das Problem des öffentlichen Dienstes. Gemeindearbeiter, öffentlicher Dienst, das ist einfach aus fraktionellen und damit politischen Gründen nicht realisierbar. Was aber nicht heißen muss, dass am Ende nicht doch sehr wohl etwas herauskommt, das durchaus arbeitsfähig ist.

    Sorz: Kollege Haberzettl sagte mir, jedes Mal, wenn in Österreich über Verkehr geredet wird, müssen vier Gewerkschaften hingehen. Sein Wunsch und das dringende Bedürfnis heißen Zusammenschluss.

    Karlhofer: Mit den drei Blöcken werden neue Stärkefelder im ÖGB entstehen. Eine Organisation von, sagen wir, selber 500.000 bis 600.000 Mitgliedern ist nicht wirklich auf die integrative Kraft des Dachverbandes angewiesen. Sie wird bestrebt sein, vieles selbst zu regeln. Es wird also ein Autonomisierungsschub stattfinden, der auf Kosten des Dachverbands geht. Das war jetzt, würde ich sagen, gerade eben noch überlagert durch die Aktualität der Protestmaßnahmen gegen die Regierung, wobei das Dach sehr stark aufgewertet und vieles an Autoritätsverlust zumindest vorübergehend kompensiert wurde.

    Aber ich gehe davon aus, dass sich am Ende bei allen die Gesamtgewerkschaft betreffenden Fragen die drei Präsidenten oder vielleicht auch Präsidentinnen leicht koordinieren können und nicht unbedingt den Gesamtverband brauchen. Eine Art »DGBisierung«, wie ich es nennen würde. In ÖGB-Ohren ungewohnt, aber ich glaube, dass auch jeder spürt, in diese Richtung wird es irgendwie gehen.

    Kaske: Ein paar Schlaglichter. Als einer, der selbst manchmal zu seinem eigenem Leid ungeduldig ist. Nicht nur in der Frage der Organisationsreform weiß ich, wie schwierig es oft ist, Geduld zu bewahren. Wir waren ja die erste Gewerkschaft der Zweiten Republik, die sich fusioniert hat, mit Gastgewerbe und persönlichem Dienst. Daher weiß ich auch, dass die Ungeduld auf der einen Seite zwar angebracht ist, aber auf der anderen Seite wir es nicht mit Maschinen, sondern mit Menschen zu tun haben und es daher eine Generation gebraucht hat, so zusammenzuwachsen. Ich glaube aber, und das unterscheidet uns von einem Betrieb, dass diejenigen, welche die Arbeitnehmerinteressen vertreten, nicht das Gefühl haben dürfen, über den Tisch gezogen zu werden. Entscheidend ist, was am Ende rauskommt.

    Die Gründungsväter des ÖGB haben sich schon sehr viel überlegt, wie sie gesagt haben, wir wollen nicht ein Modell Deutschland, nicht ein Modell Italien oder Frankreich, nicht starke Einzelgewerkschaften und schwache Gesamtorganisation, sondern eine Organisation mit damals 16 Gewerkschaften, jetzt 13 und in Zukunft weniger. Ich glaube, dass wir dieses Erfolgsmodell fortsetzen sollten, nach außen mit einer Zunge zu sprechen. Starke Gruppenpräsidenten mögen wichtig sein für die innere Organisation. Das ist völlig in Ordnung. Aber nach außen hat die Interessen des ÖGB, wie in der Vergangenheit so auch in der Zukunft, der Präsident oder die Präsidentin des ÖGB zu vertreten. Ich warne davor, die Gruppeninteressen vor Gesamtinteressen zu stellen, wenn es um die Gesamtinteressen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen dieses Landes geht.

    Kramser: Eine Frage an den Kollegen Ogris, die indirekt auch mit der Organisationsreform zu tun hat. Sie haben gesagt, ab 2010 erwarte man wieder eine Verknappung der Arbeitskräfte und haben gemeint, dann wäre es wieder leichter, etwas zu erreichen. Ob das tatsächlich so einfach geht? Es hat doch eine generelle Veränderung der Einstellung gegeben. Ich denke an die »Ich-AG«, überall dieses ich, ich, ich. Jeder denkt nur an sich selbst. Spielt das nicht auch eine Rolle bei der Bereitschaft, sich zu organisieren, sich für andere zu engagieren?

    »Margret Thatcher hatte keinen Fritz Neugebauer, auf den sie Rücksicht nehmen musste.«

    Ogris: Eine wesentliche Rolle. Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass wir gerade bei den jüngeren, höher qualifizierten Frauen einen schlechten Organisationsgrad haben. Aber das Verständnis dafür, dass gemeinsame Lösungen effizienter sind, wächst. Weil die Karriere sowieso den Männern leichter fällt als den Frauen. Frauen haben auch ein stärkeres soziales Bewusstsein, was das Gesundheitswesen und die Pensionsversicherung betrifft. Die Gewerkschaft ist aber traditionell eine Männerorganisation und vermittelt als Organisationsimage nicht den Eindruck nach außen, dass es hier für junge, engagierte Frauen leicht ist, integriert zu werden. Dies ist eines der zentralen Probleme, mit dem Anstieg der Frauenbeschäftigung vor allem in Berufen mit viel Sozialkontakt. Also in der Medizin, in den sozial aktiven Berufen. Hier ist ein großes Potential für jede Form von gewerkschaftlicher Organisationstätigkeit. Man sieht das in den Städten. Das Wort Präsidentin fällt immer öfter. Tatsache ist ja, dass der öffentliche Dienst den höchsten Organisationsgrad hat, den größten Anteil an höher qualifizierten Frauen.

    Wenn Österreich den Weg eines Billiglohnlandes geht, kommt es zu einer noch viel stärkeren politischen Krise. Der richtige Weg kann nur zu mehr und besserer Ausbildung, höherer Qualifikation und damit auch stabileren Arbeitsverhältnissen führen. Wenn Österreich diesen Weg geht, gibt es natürlich auch zahlreiche Funktionen für betriebsrätliche Tätigkeit, dann macht es Sinn, sich zu organisieren. Ich glaube, dass da auch noch der politische Umschwung kommt.

    Kramser: Das heißt, wir müssten der Konterpart zu dieser Ich-Gesellschaft sein.

    Ogris: Die Ich-Gesellschaft ist sowieso eine Illusion in einer Gesellschaft, die immer arbeitsteiliger wird.

    Sorz: Viele Menschen sind gar nicht mehr lang genug in einer Firma, um überhaupt eine Betriebsratsperiode auszufüllen.

    Kramser: Von bestimmten ideologischen Kräften wird gepredigt: Jeder schafft alles selbst, braucht keine Unterstützung. Bei den Beziehern mittlerer und höherer Einkommen wird auch ganz gezielt das Gefühl geschürt: Warum soll ich für andere mitzahlen? Auf der anderen Seite kommt man immer mit der Bürgergesellschaft und redet von Subsidiarität.

    Ogris: Der Traum vom schnellen Reichwerden bei den Besserverdienern ist zusammengebrochen. Das heißt: Auch für diese hoch individualisierte Zielgruppe gilt es plötzlich politische Angebote, die interessant sind. Das muss man verständlich machen.

    Sorz: Wir gehen zur Schlussrunde über.

    Karlhofer: Ich möchte ganz kurz auf den Thatcherismus in Österreich kommen. Er wird zu einem neuen Rollenverständnis der Gewerkschaft als zumindest phasenweise konfliktbereiter oder zum Konflikt gezwungener Akteur führen.

    Sorz: Was Margaret Thatcher mit dem Bergbau und den Eisenbahnen gemacht hat, das geschieht ja jetzt auch hier. Die Eisenbahner sind jetzt dran. Das Muster ist, glaube ich, ziemlich klar. Kollege Haberzettl hat sich darüber im letzten Heft dezidiert geäußert. Das Gefühl dafür, dass ein Konflikt da ist, den man austragen muss, fehlt aber noch.

    Karlhofer: Was gerade in Österreich die Gewerkschaft immer wieder eingefordert hat, das angemessene Stück vom Kuchen, vom Produktivitätszuwachs, ist kein Thema mehr, nicht einmal in der Gewerkschaft. Wo kann heute Umverteilung ansetzen? Die Gewerkschaft hat ja zwei Hebel. Der eine ist die klassische Lohnpolitik, der Hauptmechanismus für organische Solidarität oder für eine Wir-Gemeinschaft. Der zweite Hebel waren die in Österreich besonders ausgeprägten Transferleistungen oder Transfereinkommen. Gerade unter Bruno Kreisky. Der Aufbau des Sozialstaats. Der Sozialminister war immer ein Gewerkschafter, bis zur politischen Wende. Heute sind Lohnerhöhungen viel schwieriger zu erreichen. Der Rückbau des Sozialstaates zwingt die Gewerkschaft in eine defensive Rolle. Nehmen wir die geringfügig Beschäftigten in den Supermärkten. Die sind im Regelfall nicht in der Gewerkschaft. Wie könnte die Gewerkschaft sie betreuen? Sie repräsentieren ja auch am wenigsten Einkommen, somit Finanzkraft. Man ist in einem strategischen Dilemma. Kerngruppe bleiben jene, die gar nicht schlecht verdienen. Noch vor zwei oder drei Jahren hätte ich mich dem Wort vom Thatcherismus nicht so ohne weiteres angeschlossen. Mittlerweile glaube ich, dass wir es tatsächlich mit einem Thatcherismus zu tun haben, doch der austriakische Thatcherismus ist ein unvollständiger, verschämter Thatcherismus. Offizielles Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft, in beiden Regierungsprogrammen, zugleich aber implizit oder versteckt alles, was eine thatcherische Politik ausmacht. Vollständige Privatisierung, Umbau der Sozialversicherungsträger, das Thema Arbeiterkammer, wer genau liest, der sieht, wenn es die Chance gibt, wird sie wegradiert. Doch Margret Thatcher hatte keinen Fritz Neugebauer, auf den sie Rücksicht nehmen musste. Bei der ÖVP ist da so etwas wie ein Bremsmechanismus eingebaut, der immer wieder Ambitionen etwas abfedert oder den Weg für die Regierung etwas länger macht. Aber am Ende tut sie, was sie vorhatte. Die überfallsartige Voest-Privatisierung. Einiges andere überfallsartig. Die Vorgangsweise im Parlament. Verkürzte Fristenläufe ersetzen Begutachtungsverfahren. Initiativanträge ersparen das gesamte Verfahren. Die Grundüberlegung, was auf jeden Fall das Ergebnis sein soll, ist, den Einfluss der Gewerkschaft zu reduzieren. Wo es nicht gelingt, baut man einfach um und schafft eine Institution ab. Daher nenne ich es einen verschämten Thatcherismus, der nicht zu offen auftreten kann, nicht mit der offenen Kampfansage, sondern durch gezielte Provokationen zum selben Ergebnis kommen will.

    Dadurch wird die Gewerkschaft in ein neues Rollenverständnis gezwungen. Der ÖGB hat in der Vergangenheit im Zweifel stets das sozialpartnerschaftliche Element in den Vordergrund gerückt. Er hat sich vergleichsweise schwer getan mit dem Rollenschwenk. Es wurde ihm der Stuhl vor die Tür gesetzt. Die Mitgliederbefragung 2001 war ein Signal: Mit 500.000 wären wir heilfroh gewesen, 800.000 waren die absolute Überraschung - und als Mandat zu begreifen. Es bedurfte etwas später einer neuen Provokation, der Pensionsreform, die wieder abrupt ohne lange Vorbereitung ins Parlament kam. Ich denke, dass der ÖGB heute nicht mehr nur Sozialpartner ist, sondern auch Konfliktgegner, wobei er die Vorteile des Verhandlungsweges, des Grünen Tisches, nicht vergisst. Man kann aber gelegentlich Konflikte austragen, ohne dass gleich die Sozialpartnerschaft als solche gefährdet ist. Das scheint mir die passende Balance für die neue Rolle des ÖGB zu sein.

    Sorz: Was sagt der Meinungsforscher dazu?

    Ogris: Der Konflikt ist wichtig für die Profilierung in der Öffentlichkeit. Um verständlich zu machen, was die Ziele, wer die Gegner, was die Ziele der anderen sind. Das wird von den vielen organisatorisch nicht Eingebundenen nur wahrgenommen, wenn der Konflikt auch mit einer gewissen Emotionalisierung einhergeht. Der Konflikt ist eines der wichtigsten Mittel zur Profilierung und zur Erklärung der Wichtigkeit und der Funktion der Gewerkschaft. Wir haben auch die Tendenz, dass die jungen Leute in den Städten mit der höheren Qualifikation, den besseren Ausbildungschancen sich politisch mehr engagieren. Diesem sich politisierenden Milieu der jungen Städter müssen auch die Rolle und die Funktion der Gewerkschaften verständlich gemacht werden. Hier sind für uns große Chancen.

    »Nach außen hat die Interessen des ÖGB auch in der Zukunft der Präsident oder die Präsidentin zu vertreten.«

    Kaske: Zur vorhin erwähnten angeblichen Männerorganisation sage ich, das stimmt und stimmt nicht. Das spiegelt natürlich die Wirtschaftsbereiche wider. Aber wenn ich an meinen Bereich denke, sind wir eine Frauenorganisation und ich in der Minderheit. Wir haben 73 Prozent Frauenanteil und müssen engagierte Frauen verstärkt fördern. Frauen in Funktionen! Im ÖGB und den Gewerkschaften! Ich sage es mit dem Schlagwort »Galionsfiguren«, im besten Sinn gemeint. Dabei meine ich natürlich Männer wie Frauen, Menschen »zum Angreifen«, Menschen, die für Inhalte stehen, die emotional sind. Dieser Menschen bedarf es auch in Zukunft. Sie machen eine Organisation wie den ÖGB erlebbar. Die anonyme große Organisation, da werden vor allem jüngere Leute sich überhaupt nicht angesprochen fühlen. Die brauchen einfach Menschen, die für Ideen, für Inhalte, für Dinge stehen.

    Ich höre immer wieder Leute, die mir sagen: »Wieso werde ich jetzt schon zum siebenten Mal gefragt, ob ich der Gewerkschaft beitreten will?« Dass das eine andere Gewerkschaft ist, weil jemand jetzt in einem anderen Betrieb ist, interessiert in Wahrheit die Leute nicht. Hier sind neue Techniken zu nützen, von der Onlinemitgliedschaft bis Schnuppermitgliedschaften und solche Dinge. Das sind ja nicht Erfindungen von mir, das praktizieren ja andere Organisationen schon seit längerer Zeit.

    Das Tarifsystem funktioniert noch, aber in manchen Bereichen immer weniger. Deswegen sind wir aufgerufen und gefordert. Ich denke hier in Kategorien von zehn, 15 und 20 Jahren. Da geht es nicht nur ums Geld, sondern um Mantel-Tarifverträge, weil es unterschiedliche rechtliche Ausformungen gibt. Es wird uns nicht erspart bleiben, und das ist halt ein Schicksal, dass wir, weil wir Gott sei Dank, sag ich gleich dazu, auch eine Großorganisation sind, unterschiedlichste Einzelgruppeninteressen haben. Die werden wir auch in Zukunft haben. Von der Putzfrau bis zum Richter, vom Gendarmeriebeamten bis zum Koch. Die alle unter einen Hut zu bringen, ist nicht erst heute ein schwieriges Unterfangen. Letzter Punkt: Sozialpartnerschaft. Man soll auch nicht alten Zeiten nachweinen, wenn die Namen Sallinger und Benya fallen. Da drücken einige gleich die Tränen und sagen, wie toll das damals war. Wir haben eine ganz andere politische Situation und ich sehe auch die Sozialpartnerschaft als etwas, wo man durchaus auch eine gewisse Streitkultur haben kann und muss, um seinen Mitgliedern sichtbar zu machen, wofür man denn eigentlich steht. Wobei man aber auch den Punkt wieder findet. Das unterscheidet uns von anderen europäischen Ländern. Stichwort Italien, Frankreich, Deutschland. Wir sagen O. K., bis daher, aber weiter hat es keinen Sinn, diese Streikbewegung zu schüren, weil eben nun andere in diesem demokratischen System am Wort sind. Sprich das Parlament. Wir Gewerkschafter tun unsere Arbeit, egal, welche Regierung am Werk ist in unserem Land.

    Sorz: Danke für dieses Gespräch!

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    Wed, 15 Oct 2003 00:00:00 +0200 1189007895028 Da haben die Gewerkschaften andere Ideen ... A&W: Der ÖGB-Bundeskongress bedeutet Weichenstellung der Gewerkschaftspolitik für die nächsten vier Jahre. Wie steht es um die Organisationsreform des ÖGB?
    Fritz Verzetnitsch: Bei der Organisationsreform haben wir den richtigen Weg beschritten. Nach einer längeren Diskussion innerhalb der Gewerkschaftsbewegung haben wir den Weg gefunden, dass fünf Gewerkschaften gemeinsam in einer neu zu gründenden Gewerkschaft arbeiten, wodurch eine sehr intensive Zusammenarbeit ermöglicht wird. Weitere sieben Gewerkschaften haben beschlossen, ihre Zusammenarbeit unter dem Titel »gewerkschaftliche Allianz« zu verbessern. Logischerweise geht die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst aufgrund ihrer besonderen Lage mit dem Dienstgeber Bund nach wie vor den eigenen Weg. Das heißt aber nicht, dass sie nicht an Aktivitäten des ÖGB insgesamt teilnimmt. Wenn man die vergangenen vier Jahre Revue passieren lässt, beginnend bei der Urabstimmung, Abfertigung, Pensionsdebatte bis jetzt zur Frage der Harmonisierung, so hat es immer eine sehr gute Zusammenarbeit gegeben. Nach diesem Bundeskongress geht es nicht darum, in einer neuen Organisationskommission weiter zu arbeiten, sondern um die praktische Umsetzung dessen, was bereits in den letzten vier Jahren beschlossen wurde. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten vier Jahren die fünf Gewerkschaften eine neue Gewerkschaft gründen, dass die sieben Gewerkschaften wirklich intensiver zusammenarbeiten und dass die Gewerkschaft Öffentlicher Dienst nicht außen vor bleibt.

    A&W: In der vorigen Ausgabe von »Arbeit&Wirtschaft« sagt Kollege Haberzettl, die jetzige Lösung sei mit Sicherheit die teuerste. Weil es ja auch um Effizienz und um Angleichung an Strukturen der Wirtschaft ginge.
    Verzetnitsch: Ja, um genau das geht es letztendlich. Man darf nicht vergessen, dass ich vor mehr als zwei Jahren einen Vorschlag gemacht habe, sich nach Wirtschaftskörpern zu organisieren. Kollege Haberzettl hat in diesem Interview sehr deutlich gemacht, dass es Sinn machen würde, etwa eine sogenannte Verkehrsgewerkschaft zu gründen. Das schließt aber die Vorgangsweise in der Allianz nicht aus, weil dort die Gewerkschaft Handel, Transport und Verkehr und die Gewerkschaft der Eisenbahner intensiv zusammenarbeiten.

    A&W: In unserer Diskussion am »Runden Tisch« in diesem Heft, sagt z. B. Günther Ogris von der SORA: »Wenn wir es nur schaffen, die Mitgliederfluktuation in den Griff zu kriegen, indem wir die Leute weiterbetreuen, haben wir mit einem Schlag eine Viertel- million mehr …«
    Verzetnitsch: Das ist sicherlich richtig. In Wirklichkeit geht es um drei Dinge: Etwa eine Million Arbeitsverhältnisse werden pro Jahr verändert. Das heißt, Menschen, die in gewerkschaftlich gut organisierten Betrieben tätig sind, sind durch Ausgliederungen, durch Betriebsschließungen, durch Veränderungen im Wirtschaftsbereich betroffen. Die Frage ist, schaffen wir das, z. B. in einem konkreten Projekt bei Semperit Reifenherstellung, wo es darum geht, dass die dort gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch in Zukunft eine gewerkschaftliche Betreuung vorfinden. Dazu muss man aber auch klar und deutlich sagen, dass fast die Hälfte dieser Mitarbeiter noch immer keinen Job hat. Also die Mitgliedschaft ist zwar aufrecht, aber in Wirklichkeit sind sie nicht wieder in einer Vollzeitbeschäftigung. Auch bei der Organisationsreform wurde bekräftigt, dass keine Gewerkschaft sagen kann: Es ist schade, wir haben diese Menschen nicht mehr in unserem Organisationsbereich, weil die nicht mehr unserer Berufsgruppe angehören. Und eine andere Gewerkschaft bemüht sich mit großen Anstrengungen, sie als neue Mitglieder zu werben. Obwohl sie doch schon Gewerkschaftsmitglieder waren. Ich glaube daher, dass z. B. Projekte wie »GO« oder die Mitgliederverwaltung sehr dazu beitragen können, dass es nicht zu diesem Verlust von Mitgliedschaften kommt, die so gar nicht im persönlichen Interesse der einzelnen Menschen sind. Aber Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, Menschen, die mit Veränderungen in ihrer Arbeitswelt konfrontiert sind, haben natürlich auch andere Sorgen, als darauf zu achten, ob ihre Mitgliedschaft weiter besteht. Wenn sie dann aber Hilfe brauchen, ist es doch sehr wichtig, dass diese aufrecht ist und da müssen wir als Organisation die entsprechende Unterstützung geben, dass eine Mitgliedschaft aufrecht bleibt.

    A&W: Von unseren Mitgliedern und Funktionären, aber auch allgemein kommt in Zusammenhang mit der Umstrukturierung der Gesellschaft die Frage: »Wo bleibt die Verteilungsgerechtigkeit?« bzw. »Was ist mit dem Schlagwort Umverteilung? Was geschieht da jetzt?«
    Verzetnitsch: Ich glaube, dass auch hier gewerkschaftliche Antworten notwendig sind. Mir scheint diese Frage wesentlich wichtiger im Denken und in der täglichen Arbeit der Funktionärinnen und Funktionäre. Das notwendige organisationspolitische Rückgrat, die Organisationsreform, ist für mich ein Werkzeug, aber das Entscheidende ist, dass ich Gewerkschaftsarbeit nicht darmit definieren kann, wer mit wem wie zusammenarbeitet, sondern die Frage ist: Wie kann man effektiv Mitgliederinteressen vertreten? Dazu zwei Beispiele, von denen ich glaube, dass sie gerade in diese Verteilungsfrage sehr gut hineinpassen. Das ist einerseits der im Jahr 2001 abgeschlossene Kollektivvertrag der Leih- oder ZeitarbeiterInnen und LeiharbeitnehmerInnen, der jener wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung trägt, dass viele Unternehmen ihre Stammbelegschaften »entsorgen« und dann über Leiharbeitskräfte versuchen, ihre laufenden Aufträge und Auftragsspitzen zu erledigen. Auch hier gilt mein Grundsatz, dass man keine gewerkschaftlichen weißen Flecken zurücklassen darf.

    Auf der anderen Seite haben wir auch nicht erst seit gestern, sondern schon seit einiger Zeit eine Entwicklung unter dem Titel der sogenannten atypischen Arbeitsverhältnisse. Nehmen wir z. B. Fahrradboten, kurzfristige Kinobilleteure oder verschiedene andere Tätigkeitsbereiche. Diese wirtschaftliche Entwicklung führt zu einer totalen Veränderung der Arbeitswelt. Unsere Zielsetzung ist, Sicherheit im Wandel zu bieten. Ein Anlass, nachzudenken, wie man die Rahmenbedingungen der zukünftigen Arbeitswelt den Bedürfnissen der Lohnabhängigen anpassen kann. Es kann doch nicht so sein, dass wir zur Kenntnis nehmen, das es eine in den Rahmenbedingungen abgesicherte Stammbelegschaft gibt, die immer kleiner wird und ein immer größerer Teil in Wirklichkeit dem freien Spiel des wilden Westens oder des wilden Kapitalismus untergeordnet wird. Dann heißt es: Du brauchst kein Arbeitsrecht! Für dich gilt das alles nicht! In Wirklichkeit wird aber fünf Minuten später von den gleichen Menschen, die in der Wirtschaft das Sagen haben, beteuert: Wir brauchen Stabilität! Wir brauchen Einschätzbarkeit! Wir brauchen Weiterentwicklung! Scheinbar gilt das aber nur für diese Menschen, aber nie für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist eine Binsenweisheit in jedem wirtschaftspolitischen Lexikon, dass immer dort, wo im Wirtschaftsleben kooperative Modelle, das heißt auch Kompromisse und Sicherheiten für Arbeitnehmer und Arbeitgeber geboten werden, die beste wirtschaftliche Performance zu erzielen ist. Jetzt aber herrschen Konfliktstrategien und »Hire and Fire«, oder das ausschließliche Schielen auf den nächsten Bilanzstichtag vor. Im Wirtschaftsleben wird aber nicht von einem Quartalsbericht zum anderen gearbeitet, sondern in Wirklichkeit müssen längerfristige Überlegungen im Vordergrund stehen. Das muss die Zielsetzung sein. Man sieht sehr deutlich: das Modell einer Wirtschaftspolitik, die auf längerfristigen Konsens und vernünftige Weiterentwicklung ohne Stillstand aufgebaut wird, ist wesentlich erfolgreicher als dieses »Hire and Fire« und das Schielen nach Aktienkursen …

    »Man sieht sehr deutlich: das Modell einer Wirtschaftspolitik, die auf längerfristigen Konsens und vernünftige Weiterentwicklung ohne Stillstand aufgebaut wird, ist wesentlich erfolgreicher als dieses »Hire and Fire« und das Schielen nach Aktienkursen …«

    A&W: Aber genau das ist die Haltung gegenüber den Gewerkschaften, die ja von Amerika übernommen wird. Union-Bashing heißt es dort, das Gewerkschaftenprügeln, eine Art Volkssport der Gegner. Und die Gewerkschafter werden als die Neinsager hingestellt oder als die Dinosaurier und Betonierer. Jetzt ist es so, bei Themen wie der Pensionsreform und auch bei den Privatisierungen haben wir versucht, uns dagegen zu stemmen und haben den berechtigten Ängsten der Leute auch Ausdruck gegeben. Aber letzten Endes ist es doch so gekommen, wie es die Regierung wollte …
    Verzetnitsch: Ja. Aber würde man dem logisch folgen, hieße das, dass man sich überhaupt nicht mehr rührt und nur jene das Sagen haben, die Macht besitzen, sei es durch demokratische Legitimation oder durch wirtschaftliche Stärke. Gewerkschaften sind ja ein gesellschaftliches Korrektiv und keine Neinsager per se. Aber es ist doch zu hinterfragen, ob man eine Politik, die da lautet: »Hauptsache ist, wir privatisieren«, ohne auf die wirtschaftliche Folgen zu achten, still und leise zur Kenntnis nimmt oder ob man sagt: »Es gibt auch andere Wege.« Ich halte es für eine alte Politik, die da lautet: »Nur privat ist gut.«

    Genauso wäre es völlig falsch, den Gewerkschaften zuzuschreiben, dass sie beim konkreten Anlassfall Voest oder auch bei anderen Beispielen nur der Verstaatlichung das Wort reden. Gerade die Voest ist das Beispiel, wenn man die letzten sieben Jahre Revue passieren lässt, dass durch den vernünftigen Mix privater und Mitarbeiterbeteiligung und staatlichem Eigentum ohne dirigistischen Einfluss auf die einzelnen Maßnahmen durch die Politik, das Unternehmen arbeiten kann. Arbeiten mit der Sicherheit im Hintergrund, dass es da auch einen Kernaktionär gibt, der zum Unternehmen steht. Und nicht, dass es - wie gesagt - heißt: »Hauptsache ist, das nächste Quartal wird mit einer hohen Dividende belohnt.« Es muss auch heißen: Welche langfristigen Konzeptionen sind da? Welche Auswirkungen hat das auf die Forschung und Entwicklung? Und, auch wieder konkret die Frage bei der Voest, wie weit ist ein Unternehmen in der Lage, z. B. die zukünftige Entwicklung der gesamten Gesellschaft - Alterskurve - aktiv und positiv aufzunehmen? Die Voest hat eigene Programme, damit ältere Mitarbeiter stärker integriert werden. Dort geht man von der völlig richtigen Überlegung aus: Wenn wir die zukünftige Altersentwicklung in Österreich anschauen, dann haben wir weniger Junge und mehr Alte und wir müssen die Alten mit ihren Erfahrungswerten im Unternehmen halten. Wenn diese Politik, die sich auch im Aktienkurs positiv niederschlägt, richtig ist und dann so Altideologen daher kommen und sagen »Privatisierung, das muss man tun«, ist das in Wirklichkeit eine alte Politik, die nur dazu dient, möglichst kurzfristig Geld zu machen, die aber nie eine längerfristige Entwicklung mit einschließt. Und da haben Gewerkschaften andere Ideen.

    A&W: Ja, so ist das mit den Profiten. Aber jetzt scheint es so, dass unser ganzer Sozialstaat in den Grundlagen privatisiert werden soll. Die Pensionen sollen auf private Basis gestellt werden. Es wird beabsichtigt, die Gesundheitsvorsorge weiter zu privatisieren. Und das ziemlich vehement …
    Verzetnitsch: Es geht in Wirklichkeit darum, den Menschen bewusst zu machen, was in ihrem Interesse liegt. Ich versuche das immer mit einem logischen Beispiel zu argumentieren: Das Umlageverfahren ist nachweislich das sicherste und längerfristig beste System einer Solidargemeinschaft, wenn es darum geht, Lasten einigermaßen zu verteilen und die Lebensexistenz in ihren Grundlagen zu sichern. Ob das jetzt die Pension, das Gesundheitswesen oder aber auch die Bildung ist. Wenn wir eine faire und gleiche gesellschaftliche Entwicklung haben wollen, dann kann sie nicht allein auf der eigenen wirtschaftlichen Existenzkraft des Individuums aufgebaut sein, dann muss auch ein solidarischer Gedanke für unsere Gesellschaft vorhanden sein.
    Die Alternative wäre, das ist jetzt sehr verkürzt gesagt, wir investieren mehr in Polizei, in Stacheldrahtzäune, in Sicherheitseinrichtungen wie Videoüberwachung, anstatt in Bildung, in soziale Sicherheit und in die wirtschaftliche Entwicklung unserer Gesellschaft. Vor diesen Alternativen steht man. Und wenn da jetzt gerade bei der Pension, aber auch bei der Gesundheit, gesagt wird: »Mehr Privat weniger Staat, wir können uns das Gesundheits- und das Pensionssystem nicht mehr leisten, wir müssen privat vorsorgen«, dann bitte ich doch jeden einmal, seinen eigenen Gehaltstreifen oder Bezügezettel herzunehmen. Und da wird er unter dem Titel Sozialversicherung die Abzüge sehen. Diese Abzüge leistet er als private Vorsorge an die Gemeinschaft. Und jetzt kommen die Altpolitiker daher und sagen: »Mehr Privat, weniger Staat. Wir können uns das nicht mehr leisten.« Haben sie zwei Geldbörsen, zwei Girokonten? Einmal für die staatlichen Abgaben, und zum anderen für die privaten Abgaben? Es ist letztendlich immer das eigene Konto, das hier herangezogen wird! Daher ist das eine völlig falsche Strategie, der man nur entgegentreten kann. Denn die Konsequenz ist, dass das Umlageverfahren und daneben auch noch eine private Vorsorge mit Werbeausgaben, mit einer neuen Verwaltungsstruktur, die wesentlich höhere Kosten verursacht, finanziert wird. Ganz entscheidend ist, dass das umlagefinanzierte Sozialsystem erhalten wird. Es ist ja auch schizophren, wenn gesagt wird, dass wir mehr Leute in der Pflege brauchen, und gleichzeitig aber, das Gesundheitssystem sei zu teuer. Wie funktioniert das? Glaubt man, dass diese Leute umsonst arbeiten, dass sie ohne irgendwelche wirtschaftlichen Ansprüche ihre Arbeit erledigen? Oder dass die reine Nachbarschaftshilfe das alles erledigen wird? Ich glaube, wir müssen uns auch bewusst werden, dass die gesellschaftlichen Veränderungen dazu führen, dass wir auch die finanzielle Sicherheit im Gesundheitswesen sicherstellen müssen. Das heißt nicht, dass es ineffizient sein muss. Das muss effizient gemacht werden. Aber zu glauben, das funktioniert unter dem Titel »Mehr Privat, weniger Staat«, wäre genauso falsch wie wenn man sagen würde »Alles über den Staat und die Steuern haben keinerlei Auswirkungen«.

    »Diese wirtschaftliche Entwicklung führt zu einer totalen Veränderung der Arbeitswelt. Unsere Zielsetzung ist, Sicherheit im Wandel zu bieten. Ein Anlass, nachzudenken, wie man die Rahmenbedingungen der zukünftigen Arbeitswelt den Bedürfnissen der Lohnabhängigen anpassen kann.«

    A&W: Kollege Sallmutter hat kürzlich hier darauf hingewiesen: Im Grunde geht es um die Profite, gerade auch beim Gesundheitswesen. Es geht da wirklich um gigantische Milliardenumsätze, in Euro, wohlgemerkt.
    Verzetnitsch: Das ist sicherlich richtig. Wenn man weiß, dass die Menschen in dieser Gesellschaft auf der einen Seite durch Fortschritte in der Medizin länger leben, gesünder leben, setzt das automatisch voraus, dass es neue Aspekte in dieser Richtung geben wird. Und es ist schon seltsam: Wir sind bereit, für jede Weiterentwicklung beim Auto mehr Geld in die Hand zu nehmen, und wenn es um die eigene Gesundheit geht, sagt man: »Das ist nicht finanzierbar.«

    A&W: Abschließend etwas zur Strategie, und zwar diesmal der Gegner. Wir organisieren die Lohnabhängigen, und man versucht uns gegeneinander auszuspielen. Es werden Einzelne herausgestellt, die Eisenbahner, die Beamten, die Lehrer …
    Verzetnitsch: … die Journalisten, die Handelsangestellten, die Gewerkschafter, die Personalvertreter.

    A&W: Diese Rechnung scheint immer wieder aufzugehen. Ich glaube, diese Erkenntnis, dass wir nur gemeinsam stark sind, die ist noch nicht genug verankert.
    Verzetnitsch: Dieses Karussell dreht sich aber immer schneller und es fallen immer mehr heraus. Die stehen dann auf der Seite und sagen: »Man müsste eigentlich bremsen, hier läuft eine falsche Geschwindigkeit«. Das Entscheidende ist, dass man sich als Gewerkschafter immer wieder vor Augen führt: Die Welt verändert sich, dennoch ist der Mensch unsere Stärke, der Mensch, der Bedürfnisse, der Anliegen hat. Sei es das Gesundheitssystem von der Geburt bis zum Ende seiner Tage, sei es das das Bildungssystem, das möglichst allen zur Verfügung steht und Chancen bietet, die jeder ergreifen kann, sei es die Arbeitswelt, die sich nicht dahin entwickeln kann, zu sagen: »Hauptsache ist, du hast irgend eine Arbeit.« Es muss eine Arbeit sein, mit der die eigene Existenz gut möglich ist, die auch Befriedigung schafft, die gesund zu erledigen ist.

    Die Arbeit, die einen Wert für den Menschen in seiner Existenz an und für sich darstellt, darf nicht auf Teilzeit und geringfügig Beschäftigte reduziert oder degeneriert werden. Die Menschen sollen auch die Möglichkeit haben, durch Vollzeitarbeit ihre Existenz zu sichern und auszubauen. Es geht darum, dass wir in der Freizeit den Erholungswert, den Zusammenhalt der Gesellschaft auch gestalten können. Das spricht für mich gegen eine Rund-um-die-Uhr-Arbeit in allen Bereichen. Es muss genug Zeit, geben für ein Familienleben, es muss auch Zeit da sein, sich gesellschaftlich zu engagieren. Es muss Zeit da sein, sich mit Freunden zu treffen. Es muss Zeit sein, um gemeinsam kulturelle Erlebnisse zu genießen. Für diese Rahmenbedingungen muss die Gewerkschaftsbewegung sorgen. Denn Menschen sind unsere Stärke.

    A&W: Wir danken für das Gespräch.

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    Siegfried Sorz http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Sat, 15 Nov 2003 00:00:00 +0100 1188829135982 Zerteilung der ÖBB | Arbeitnehmerschutz auf Abstellgleis Das größte Verkehrsunternehmen Österreichs soll aufgesplittert werden (Stand 9/ 2003). Nämlich in:
    ÖBB Holding AG,
    ÖBB Personenverkehr AG,
    ÖBB Rail Cargo Austria
    (Güterverkehr) AG,
    ÖBB Infrastruktur AG,
    ÖBB Traktion GmbH,
    ÖBB Technische Services GmbH,
    ÖBB Personalmanagement GmbH
    und die
    ÖBB Immobilienmanagement GmbH.

    Wo vorher eine Führungsebene am Werk war, werden es künftig acht verschiedene Aufsichtsräte, acht verschiedene Managementebenen und acht verschiedene Organisationen sein.

    Neben einer Reihe anderer negativer Auswirkungen - wie beispielsweise, dass die Verwaltung erfahrungsgemäß insgesamt teurer werden wird - wird diese Zerstückelung auch Nachteile für die derzeit bestehenden Arbeitnehmerschutzstandards mit sich bringen.

    Arbeitnehmerschutz für Eisenbahner

    Derzeit ist der Arbeitnehmerschutz für die etwa 48.000 Bediensteten der ÖBB in einer Organisation zusammengefasst. Die Beratung des Unternehmens in Sicherheits- und Gesundheitsfragen durch ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheitsfachkräfte wird zentral organisiert. Und man bemüht sich, dass in allen Dienststellen, in jedem Gleisbereich, auf jeder Baustelle, in allen Loks und auf jedem Bahnhof für die Einhaltung der Sicherheits- und Gesundheitsstandards gesorgt ist.

    Die Verantwortung für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen für das Gesamtunternehmen trägt der Dienstgeber, das sind der Vorstand und seine Geschäftsbereichsleiter.

    Derzeit werden die Schutzmaßnahmen für die unterschiedlichen Bedienstetengruppen - wie Verschieber, Lokführer, Fahrdienstleiter, Zugbegleiter, Wagenmeister - innerhalb des Unternehmens aufeinander abgestimmt und durch die Unternehmensleitung koordiniert. Probleme werden für den gesamten Unternehmensbereich österreichweit gelöst. Sicherheitsstandards können zentral für alle Dienstnehmer angehoben werden.

    Stressfaktoren

    Verschieber sind die Kollegen mit den gelben Jacken, die ständig auf den Gleisen im Einsatz sind und Züge und Waggons kuppeln, entkuppeln und verschieben. Verantwortung für reibungslose Abläufe auf völlig andere Weise hat der Fahrdienstleiter, der stressresistent und logistisch befähigt sein muss, soll es zu keinen Zwischenfällen kommen.

    Über Lokführer wurden schon Bücher geschrieben. Trotzdem ist kaum bekannt, dass die Angst vor dem Unfall oder dem Selbstmörder, dem man nicht ausweichen kann, zu den größten Stressfaktoren für sie gehört. Wer hat schon einen Wagenmeister bei der Arbeit begleitet? Er führt die Reparaturen an den Fahrzeugen durch. Zeitdruck und Arbeit bei jedem Wetter sind für ihn wie den Verschieber tägliches Brot.

    Bei der Errichtung und Erhaltung der Betriebsanlagen sind spezialisierte Bauarbeiter am Werk. Der Arbeitnehmerschutz wird auch hier für alle Bedienstetengruppen österreichweit koordiniert. Sicherheitsabstände etwa zwischen Gleisen, Sicherheitsräume in Tunnels, Zugänge zu Gleisen und anderen Betriebsanlagen, gesicherte Verkehrswege und Verschieberbahnsteige sind auch hier nicht nur für die betroffenen Arbeitnehmer von höchster Bedeutung, sondern für alle Kunden der ÖBB. Sie kommen in den Genuss sicherer Fahrten, wenn die Bahnbediensteten ohne unnötigen Stress unter menschenwürdigen Bedingungen dafür sorgen können.

    Arbeitnehmerschutz nach ÖBB-Teilung

    Mit der Aufsplitterung in acht oder mehr Unternehmen mit unterschiedlichen Aufgaben geht das einheitliche Schutzkonzept im Arbeitnehmerschutz weitgehend verloren. Die neuen Unternehmensleitungen haben dann jedenfalls konkurrierende Interessen. Gleichzeitig wird jedes der neuen Unternehmen separat den Schutz der Bediensteten und damit die Sicherheit im Zugverkehr organisieren und beeinflussen.

    Die unterschiedlichen Bedienstetengruppen - die Verschieber und Fahrdienstleiter bei der ÖBB Infrastruktur AG, die Lokführer bei der ÖBB Traktion GmbH, die Zugbegleiter bei der ÖBB Personenverkehr AG, die Wagenmeister bei der ÖBB Technische Services GmbH usw. - müssen nach wie vor zusammenarbeiten. Sie werden allerdings auf völlig unterschiedliche Unternehmen verteilt sein.

    Dass die notwendigen Sicherheits- und Gesundheitsstandards aufeinander abgestimmt werden, wird so zum frommen Wunsch. Denn alle Erfahrungen zeigen, dass betriebsübergreifender Sicherheits- und Gesundheitsschutz wesentlich ineffizienter ist als einheitliche betriebsinterne Regelungen. Die Reibungsverluste zu Lasten der bestehenden Sicherheitsstandards und damit zu Lasten der Sicherheit der Arbeitnehmer sind so vorprogrammiert.

    Verdrängte Probleme

    Ein besonderes Problem stellt die zukünftige Organisation der Errichtung und Erhaltung der Betriebsanlagen dar. Denn das Unternehmen »ÖBB Infrastruktur AG« wird versuchen müssen, Anlagen so billig wie möglich zu errichten und zu erhalten. Gleichzeitig werden die Trassen und Fahrgenehmigungen darauf so teuer wie möglich verkauft werden. Dass der Schutz der eigenen Arbeitnehmer, aber auch die Bedürfnisse der Arbeitnehmer der nunmehr »fremden« Unternehmen »ÖBB Personenverkehr AG«, »ÖBB Rail Cargo Austria (Güterverkehr AG)« oder »ÖBB Traktion GmbH« kein zentrales Anliegen mehr sein werden, ist leider absehbar.

    Dass auch dies relativ bald zu Lasten der bestehenden Sicherheitsstandards für die ÖBB-Kunden gehen wird, verdrängen die Verantwortlichen mit Schweigen und einer Gelassenheit, die aus der Sicht der Arbeitnehmer schwer nachvollziehbar ist.

    Im eigenen Unternehmen hin und her geschoben?

    Nach dem Konzept der Bundesregierung werden die ÖBB Infrastruktur AG, ÖBB Personenverkehr AG, ÖBB Rail Cargo Austria (Güterverkehr) AG, ÖBB Traktion GmbH und ÖBB Technische Services GmbH nur mehr einen Teil ihrer bisherigen Mitarbeiter in die neuen Unternehmen »mitnehmen«. Mehrere tausend derzeitiger ÖBB-Bedienstete sollen in die »ÖBB Personalmanagement GmbH« abgeschoben werden. Denn Ziel ist es, den Personalaufwand in den Bilanzen der neuen Unternehmen niedrig zu halten. Gleichzeitig sollen Mitarbeiter aus der »ÖBB Personalmanagement GmbH« vermehrt angemietet werden.

    Für die betroffenen Arbeitnehmer kommt es so zu einer dramatischen Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen und des Arbeitsumfeldes: Die an die Nachfolgegesellschaften der ÖBB vermieteten Arbeitnehmer stehen unter dem ständigen Druck einer drohenden Rückgabe an die »ÖBB Personalmanagement GmbH«. Sie können an andere Unternehmen als die neuen ÖBB-Unternehmen vermietet werden und üben dann völlig andere Tätigkeiten als bisher aus. Erfahrungswerte - beispielsweise aus den Umstrukturierungen der Post - lassen beträchtliche psychische Belastungen der betroffenen Mitarbeiter erwarten.

    Schade eigentlich - wenn man bedenkt, das gesunde Mitarbeiter die wichtigste Voraussetzung für gesunde und profitable Unternehmen sind.

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    Renate Czeskleba http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Sat, 15 Nov 2003 00:00:00 +0100 1188829135956 Mietrecht | Mehr Kosten, weniger Mieterschutz Justizminister Böhmdorfer plant eine Kostenersatzpflicht für die Rechtsvertretung des Prozessgegners im Mietrechtsgesetz, wenn ein Verfahren nicht 100prozentig gewonnen wird. Das Kostenrisiko für Mieter und Wohnungseigentümer würde enorm steigen. Derzeit bezahlt im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren jede Partei ihre Rechtsvertretung selbst. Mieter, die wegen verbotener Ablösen, zu hoher Betriebskosten oder Mieten zu Gericht gehen, haben derzeit ein geringes, abschätzbares Kostenrisiko, da sie meist durch Mietervereinigungen vertreten werden. Künftig werden sich viele nicht mehr trauen, zu Gericht zu gehen. »Es ist zu befürchten, dass viele Vermieter und Verwalter dies ausnützen und sich weniger um die Vorschriften des Mietrechtsgesetzes kümmern,« warnt die AK.

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    W. L. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Sat, 15 Nov 2003 00:00:00 +0100 1188829135947 Standpunkt | Erfolg für alle Beschäftigten Hier wurden nicht nur massive Verschlechterungen für Bahnkunden und Beschäftigte vorerst abgewehrt. Was die Regierung mit den Eisenbahnern vorhatte, war ein Angriff auf die Rechte aller Lohnabhängigen.

    Angriff auf die Löhne abgewehrt

    »Es ging aber darum - und in diesem Punkt hatte die Gewerkschaft der Eisenbahner die Unterstützung aller Gewerkschaften im ÖGB hinter sich - Angriffe auf die Löhne abzuwehren. Denn wenn die gesetzlichen Eingriffe ins Eisenbahnerdienstrecht Wirklichkeit geworden wären, so wären sie Kollektivverträge aller Beschäftigten in Österreich in Gefahr gewesen«, lautet die Warnung von Rudolf Nürnberger, Vorsitzender der Gewerkschaft Metall - Textil.

    Mit dem vorläufigen Ende des Arbeitskampfes gibt es jetzt viele »Sieger«, die sich selber auf die Schulter klopfen und erklären »Wenn ich mich nicht so für die Eisenbahner eingesetzt hätte ...«

    Jedenfalls war es ein mehr als peinliches Versehen für Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, als er am Freitag, den 14. November, um 16 Uhr das Ende des Eisenbahnerstreiks verkündete und dies als sein »Verdienst« hinstellte, während das Streikkomitee der Eisenbahner erst zwei Stunden später den Streik aufhob.

    ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch hatte herbe Kritik an der vorzeitigen Verkündung des Streikendes durch Bundeskanzler Wolfgang Schüssel geübt. »Diejenigen, die die Flamme vorzeitig in die Höhe gehalten haben, haben in Wirklichkeit dazu beigetragen, dass das Ganze fast noch einmal geplatzt wäre. Der Bundeskanzler ist nicht das Streikkomitee«, sagte Verzetnitsch laut APA zu Vizekanzler Hubert Gorbach, der einräumte, »dass dies nicht im Sinne des Ergebnisses gewesen wäre«.

    Die Leute aus der Regierungsmannschaft hatten vorher ja noch wiederholt und großspurig erklärt, die (Eisenbahner) können streiken, so lange sie wollen ... (bis sie schwarz werden?).

    Dies waren alles nur Verhandlungstricks, erklärt Vizekanzler Hubert Gorbach jetzt Augen zwinkernd seine Verhandlungsstrategien und gibt sich alemannisch bauernschlau.

    Dabei hätte man sich das alles sparen können, - vor allem auch die volkswirtschaftlichen Kosten des Streiks -, wenn die Regierung wirklich in ernsthafte Verhandlungen mit den Eisenbahnern getreten wäre. »Wir sind jederzeit verhandlungsbereit ...«, hatte es geheißen, um dann im Satz fortzufahren »... aber an den Eckpunkten unserer Position darf nicht gerüttelt werden.« Übersetzt heißt das: Wir tun zwar nach außen hin so, als ob wir verhandeln wollen, aber wir bewegen uns keinen Zentimeter. Unsere Position wollen wir auf Biegen oder Brechen durchdrücken.

    14 (in Worten vierzehn) ergebnislose Verhandlungsrunden hatten die Eisenbahner hinter sich, als sie sich zu Streik entschlossen hatten.

    Diese starre Haltung gegenüber einer gewerkschaftlich sehr gut organisierten Gruppe von Arbeitnehmern lässt an das Vorbild von Margaret Thatcher denken, der es in England ja gelungen war, die Eisenbahnergewerkschaft zu zerschlagen. Die jetzt mit dem höchsten Orden der Republik Österreich, dem Großen Goldenen Ehrenzeichens am Bande ausgezeichnete frühere Vizekanzlerin Riess-Passer hatte es sich zum Beispiel nicht nehmen lassen, der »eisernen Lady«persönlich zum Geburtstag zu gratulieren. In der jetzigen Regierung hat auf Thatcher offensichtlich einen Fanklub. Daran ändert auch nichts, dass die Privatisierung der Bahn gerade in England massiv gescheitert ist und jetzt rückgängig gemacht wird. Von der Vervielfachung der Kosten für die Bahnkunden nicht zu reden. Außer Spesen nichts gewesen?

    Besitzstandbewahrer? Es gibt in unserem Lande, wie Prof. Emmerich Talos kürzlich anführte, gewisse »Besitzstandmehrer«, die vor allem von den Privatisierungen der Verstaatlichung außerordentlich profitiert haben. Ich kann mit vorstellen, dass die ÖBB da auch ein schöner Brocken wäre, um den man sich balgen könnte ...

    Die einseitige Aufkündigung der Tarifautonomie der Sozialpartner durch diese Regierung ist jedenfalls gescheitert. Die Gewerkschaften haben nicht »gewonnen«.

    »Klar ist nur«, so sagt es Prof. Ferdinand Karlhofer, »dass sie verloren hätten, wenn sie sich nicht auf diesen Arbeitskampf eingelassen hätten.«

    Wir Gewerkschafter können uns jetzt keineswegs zurücklehnen und in Harmonie schwelgen. Die nächsten Konflikte sind schon programmiert, obwohl einige Beteiligte öffentlich beteuert haben, dass sie dazugelernt hätten.
    Wir werden sehen.

    Siegfried Sorz

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    Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Sat, 15 Nov 2003 00:00:00 +0100 1188829135938 Bruchbude WTO Es war die zweite Ministerkonferenz, die in den letzten vier Jahren gescheitert ist. »Noch mehr Niederlagen kann sich die WTO nicht leisten, ohne in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden«, sagte ein Delegierter nach dem vorzeitigen Ende. Bereits in Seattle 1999 scheiterte die Einleitung der umfassenden Welthandelsrunde. In Doha vor zwei Jahren zeigten der 11. September und die Losung »Wirken wir dem Terror mit Handel entgegen« sowie ein im Jahr 2001 um ein Prozent schrumpfender Welthandel ihre Wirkung. Trotz offener Ablehnung durch viele Entwicklungsländer konnte die Konferenz durch finanzielle Zusagen und die Ankündigung einer Entwicklungsrunde gestartet werden.

    Nicht konsensfähig

    Nach langem Festhalten aller WTO-Mitglieder an bekannten Positionen wurde die Arbeitsgrundlage (Entwurf der Ministererklärung) bereits nach einem Tag als nicht konsensfähig verworfen. Danach wurden fünf Arbeitsgruppen für die wichtigsten Themen eingerichtet: Landwirtschaft, Marktzugang für nichtlandwirtschaftliche Güter, Singapur-Themen (Investitionen, Wettbewerb, Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen und Handelserleichterungen). Erst am vierten Tag wurde der neue Entwurf der Ministererklärung verteilt. Gescheitert sind die Verhandlungen bereits am nächsten Nachmittag, bevor die Kernthemen Landwirtschaft und nichtlandwirtschaftliche Güter verhandelt werden konnten.

    Gründe für das Scheitern

    Neu war das geschlossene Auftreten der Entwicklungsländer. Die ursprünglich von einigen schwergewichtigen Agrarexporteuren wie Australien und Brasilien ins Leben gerufene Gruppe der G20+1) war gemischt zusammengesetzt, sie konnte nämlich allmählich auch Schwellenländer wie China, Indien und Südafrika für ihre Forderung nach Abbau der internen Stützungen interessieren. Sie sind für die Eliminierung der Blue-Box-Maßnahmen (abzubauende Subventionen in der Landwirtschaft, die nach rein quantitativen Maßstäben gewährt werden und daher äußerst wettbewerbsverzerrend wirken) und für die genaue Eingrenzung der Green-Box-Maßnahmen (z. B. finanzielle Mittel zur Förderung der ländlichen Entwicklung und umweltgerechten Produktion). So soll verhindert werden, dass USA und EU ihre internen Stützungen aus der Blue Box klammheimlich in die erlaubte Green- Box umschichten.

    Später Rettungsversuch

    Die größte Ablehnungsfront galt den Singapur-Themen. Hier schlossen sich 90 Entwicklungsländer2) zusammen und hielten dem Druck der EU und anderer Befürworter (osteuropäische Länder, Japan, Korea) stand, Investitionen dem WTO-Regime zu unterwerfen. Sie fühlten sich überfordert und konnten für sich auch keine Vorteile aus einem multilateralen Investitionsabkommen erkennen. Die Verquickung von Investitionen und Landwirtschaft sowie industriellen Gütern im neuen Entwurf der Ministererklärung und der gleichzeitige Verhandlungsbeginn hatten das Klima zusätzlich belastet. Das Signal war deutlich: Verhandlungen in der Landwirtschaft werden dann gestartet, wenn sie auch bei Investitionen gestartet werden. Die EU entschied sich mit der Trennung von ihrem Lieblingsthema - den Investitionen - zu spät zur Rettung der Runde. Ein weiterer wichtiger Grund für das Scheitern war das Fehlen des »Motors« USA. Sie hielten mit ihrem Desinteresse an multilateralen Handelsverhandlungen nicht hinterm Berg: »Wir machen es so (in der WTO) oder auf einem anderen Weg«, so ihr Verhandlungsführer Zoellik.

    Unglückliche Umstände oder abgekartetes Spiel? Das Scheitern hat den USA einiges erspart. Der vorgesehene Stützungsabbau bei Baumwolle und die leidigen US-Exportkredite in der Landwirtschaft sowie der kurz vor der Ministerkonferenz mühsam vereinbarte erleichterte Medikamentenzugang für Entwicklungsländer bei Malaria, Aids und Tbc scheinen vorläufig vom Tisch. Auf der Liste der Gründe für das Scheitern darf aber auch die Verhandlungsführung des Vorsitzenden und Gastgebers Dérbez nicht fehlen. Die wirklich wichtigen Kernbereiche Landwirtschaft und Industrieprodukte hätten durchaus noch angegangen werden können.

    Konsequenzen

    Was sind die Konsequenzen? Die Grundsatzentscheidung, ob der multilaterale Weg weiterverfolgt werden soll, steht an. Neben USA und EU, die es nicht ganz so offen tut, überdenken auch andere ihre multilateralen Interessen. Die Afrikanische Union hat Bedenken, in einer Organisation zu bleiben, die ihr keine erkennbaren Vorteile bringt. Diese Entscheidungsfreiheit - soweit sie nicht bloß rhetorisch ist - haben Entwicklungsländer selten, und wenn, dann vor allem im Verbund. Für die am wenigsten entwickelten Länder gilt weiterhin, dass sie für die großen Industrie- und Schwellenländer bilateral uninteressant bleiben. Die USA werden wie die EU und Japan auch in Zukunft bilaterale und regionale Abkommen schließen, die USA zum Beispiel mit Singapur, regional mit der zentralamerikanischen Freihandelszone, die EU mit Chile, MERCOSUR und regional mit den AKP-Ländern.

    Wenn man sich ansieht, welche Folgen das Nicht-Abarbeiten der Doha-Agenda für einzelne Länder bzw. Ländergruppen hat, kommt man zu folgendem Bild: Die Reform des Agrarabkommens zugunsten der Entwicklungsländer blieb aus. Der Zollabbau, das Auslaufen der stark handelsverzerrenden Inlandssubventionen und Exportförderungen in der Landwirtschaft wurde ebenso wenig festgelegt, wie die Umsetzungsprobleme bei bestehenden WTO-Abkommen gelöst werden konnten. Die Baumwoll-Initiative (Wegfall von Zoll, internen Subventionen und Exportförderung) von Burkina Faso, Mali, Bhutan und Tschad ist vom Tisch. Die USA haben vom Scheitern Vorteile. Die EU ist mit ihrem Angebot, wenigstens einen Teil der in der WTO ohnehin abzubauenden internen Agrarsubventionen zu senken, zwischen die Stühle gefallen: Was für Entwicklungsländer zu wenig ist, ist für EU-Mitglieder zu viel. Um ein Haar wären die erst jüngst in der Gemeinsamen Agrarpolitik beschlossenen Reformen nach dem Scheitern wieder zurückgenommen worden.

    Grundsätzlich wird am Verhandlungsabschluss 31. Dezember 2004 für die in Doha eingeleitete Handelsrunde festgehalten. Am 15. Dezember soll in Genf auf höchster Ebene entschieden werden, wie man dieses unrealistische Ziel erreichen will. Bis dahin überlegt man emsig, ob und welche Reformen die WTO braucht. Ein erster Schritt wäre die ernsthafte Umsetzung der entwicklungsrelevanten Agenden von Doha und ein Ernstnehmen der Entwicklungsländer mit ihren Forderungen nach einem gerechteren Welthandel.

    Gewerkschaften und das Scheitern

    Für die Gewerkschaften gibt es keinen Grund, über das Scheitern traurig zu sein. Schon in den Vorbereitungen war klar, dass die Interessen der ArbeitnehmerInnen ignoriert werden. Das Platzen der Ministerkonferenz verdeutlicht aber, dass Sand in das neoliberale Getriebe der WTO gekommen ist. Eine internationale Handelspolitik, die nur die völlige Liberalisierung des Waren- und Dienstleistungshandels ungeachtet sozialer und ökologischer Konsequenzen kennt, findet immer weniger Akzeptanz.

    Dabei verspricht die WTO für die Öffnung der Märkte Wohlstandsgewinne und nachhaltige Entwicklung. Auch der besondere Status der ärmsten Länder und Entwicklungsländer wird von ihr anerkannt. Es muss also einiges in der WTO schief laufen. Das zeigt auch der Umstand, dass die Ministerkonferenzen gegen die Demonstrationen der Globalisierungskritiker abgeriegelt werden müssen. Ein Badeort, künstlich auf einer Sandbank errichtet und nur über zwei Straßen erreichbar, wurde zur Sperrzone. Hohe Gitter riegelten den Konferenzort ab. Polizei und Militär waren an jeder Ecke. Auch der Zugang vom Meer wurde gesichert.

    Die Kluft wächst

    Dass die WTO schlechte Arbeit leistet, wird durch die Entwicklung deutlich: steigende Ungleichheit der Einkommen, immer mehr Menschen unter der Armutsgrenze, steigendes Ungleichgewicht der Chancen und Einkommen von Männern und Frauen. Dabei hat sich die Situation der Entwicklungsländer dramatisch verschlechtert. Mittlerweile sind aber auch große Teile der Industrienationen von negativen Auswirkungen des freien Handels betroffen. Auch in den »reichen« Ländern nimmt die Kluft zwischen Arm und Reich zu, verloren zahlreiche Menschen ihre Arbeitsplätze.

    Den Entwicklungsländern brachten die neuen Niederlassungen der Konzerne oft keine Verbesserung oder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. In den für die Exporte in westliche Länder eingerichteten Freien Exportzonen (»Maquiladores«) in asiatischen und lateinamerikanischen Ländern wurden in der Regel die Arbeitnehmerrechte eingeschränkt oder ausgeschaltet. Daher werden grundlegende Korrekturen der WTO gefordert. Es bedarf der Arbeitsrechte für mehr als 27 Millionen ArbeitnehmerInnen - meist Frauen -, die unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten, des Rechts auf Bildung für 130 Millionen Kinder, die keine Schule besuchen, des Rechtes auf Behandlung für 25 Millionen AIDS-Opfer oder über 35.000 Kinder, die täglich an heilbaren Krankheiten sterben.

    Not ist keine Basis

    Dazu muss die Aufnahme von Menschenrechten und Arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in das Regelwerk der WTO erfolgen (siehe Kasten: »Forderungen aus Arbeitnehmersicht«).


    I N F O R M A T I O N

    Forderungen aus Arbeitnehmersicht

    • Verbindliche Aufnahme der Kernarbeitsnormen der ILO in das WTO-Regelwerk einschließlich Sanktionsmechanismus. Die Auslegung der ILO-Standards obliegt der ILO. Dies erfordert in letzter Konsequenz eine Unterstellung der WTO unter die UNO.
    • Aufnahme der Kernarbeitsnormen in Handels- und Kooperationsabkommen.
    • Stärkeres finanzielles Engagement in der Entwicklungshilfe (Anhebung auf OECD-Durchschnitt).
    • Besteuerung von Spekulationskapital als Beitrag zur Finanzierung der Systeme sozialer Sicherheit.
    • Stopp-GATS (um die Auswirkungen der bisherigen Liberalisierungsschritte zu untersuchen).
    • Herausnahme von öffentlichen Dienstleistungen (Sozialversicherung, Gesundheitswesen, soziale und gemeinnützige Dienstleistungen, Bildung, Bahn- und öffentlicher Nahverkehr, Wasserversorgung und andere kommunale Dienstleistungen etc.).
    • Keine Ausweitung von Verpflichtungen beim grenzüberschreitenden Einsatz von Arbeitskräften.
    • Kein Investitionsschutzabkommen in der WTO unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen.
    • Keine Patentierungsverpflichtung von pflanzengenetischen Ressourcen im TRIPS.
    • Verbot der Patentierung von traditionellem Wissen.
    • Verbindlicher Ausschluss von Patenten auf Leben im TRIPS-Abkommen.
    • Parteistellung der Gewerkschaften und NGOs im Streitbeilegungsverfahren.
    • Mehr Tranzparen und Demokratie in den Verhandlungen.

    Freihandel, Investitions- und Patentschutz dürfen nicht länger über Menschenleben dominieren. Das Verbot von Vereinigungen und Kollektivvertragsverhandlungen bringt Men-schen um bessere Arbeitsbedingungen und gerechtere Löhne. Die Armut in vielen Entwicklungsländern kann erst beseitigt werden, wenn die Löhne den Lebensunterhalt sicheren, sodass die Kinder statt zur Arbeit in die Schule gehen können. Ausbildung ist eine wichtige Voraussetzung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Das Argument, erst wirtschaftliche Entwicklung mache Mindestarbeitsbedingungen in Entwicklungsländern leistbar, das von den Regierungen ins Treffen geführt wird, führt nur zur Blockade. Zwangs- und Kinderarbeit behindern Entwicklung, weil sie Arbeit und Kapital in rückständigen Wirtschaftszweigen festhalten und nicht nachhaltig sind. Kinderarbeit mag das Überleben von Familien sichern, aber zum Preis verkürzter Lebenserwartung, mangelhafter oder fehlender Schulbildung und stark verringerter Chancen im ganzen Leben. Oft ist Kinderarbeit nur Vorwand für den Ersatz erwachsener Arbeitskräfte durch billigere und leichter ausbeutbare Kinder (siehe Kasten: »Der Kern sozialer Rechte«).


    I N F O R M A T I O N

    Der Kern sozialer Rechte

    Zum Kernbereich der sozialen Rechte im Arbeitsleben zählen folgende Konventionen der ILO (International Labour Organization).

    Vereinigungsfreiheit und Tarifautonomie:
    Nr. 87: Übereinkommen über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts (1948)
    Nr. 98: Übereinkommen über die Anwendung des Grundsatzes des Vereinigungsrechts und des Rechts zu Kollektivvertragsverhandlungen (1949)

    Freiheit von Zwangsarbeit:
    Nr. 29: Übereinkommen zur Zwangsarbeit (1930)
    Nr. 105: Übereinkommen über die Abschaffung der Zwangsarbeit (1957)

    Freiheit von Diskriminierung
    in Beschäftigung und Beruf, die aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, des Glaubensbekenntnisses, der politischen Meinung, der nationalen Abstammung oder der sozialen Herkunft auftritt:
    Nr. 100: Übereinkommen über die gleiche Entlohnung (1951)
    Nr. 111: Übereinkommen über die Nichtdiskriminierung am Arbeitsplatz (1958)

    Verbot der Kinderarbeit:
    Nr. 138: Übereinkommen über das Mindestalter der Zulassung zur Beschäftigung (1973)
    Nr. 182: Beseitigung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (1999)

    Eine andere WTO

    Eine Reform der WTO muss auch vielen weiteren Anliegen gerecht werden. Hier ist besonders an mehr Transparenz und Demokratie zu denken. Die Parlamente dürfen nicht länger von den Handelsgesprächen ausgeschlossen werden. Sie müssen über Liberalisierungsabsichten entscheiden. Auch der Verhandlungsablauf muss gerechter und transparenter werden. So muss vor allem auch auf die so genannten »Green-Room-Verhandlungen«, wo nur die wichtigsten Delegationen zusammenkommen, verzichtet werden, damit die Entwicklungsländer gleichwertige Partner werden.

    Wichtig für die Gewerkschaften ist eine Herausnahme der öffentlichen Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheitswesen, Sozialversicherung, Wasser, kommunale Dienstleistungen, öffentlicher Wohnbau, öffentlicher Verkehr sowie des gesamte Kunst- und Kulturbereiches aus dem GATS, dem Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen in der WTO. Fast alle Erfahrungen mit der Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen zeigen, dass hier der falsche Weg gewählt wurde. Die Preise stiegen, die Qualität nahm ab, Arbeitsplätze gingen verloren, Einkommen und Arbeitsbedingungen wurden verschlechtert. Hier ist etwa an die negativen Erfahrungen mit der Bahnliberalisierung in Großbritannien oder der Liberalisierung der Wasserversorgung in Frankreich oder Großbritannien sowie an die Versorgungsprobleme nach der Stromliberalisierung in Kalifornien, Schweden oder Norwegen zu denken. Insgesamt gefährdet die Marktöffnung die Finanzierbarkeit und Qualität des öffentlichen Gemeinwesens. Private picken sich das gute Geschäft heraus und machen große Gewinne, für die Einkommensschwachen werden Gesundheit, Bildung oder Wasser fast nicht mehr leistbar.

    Keine Alternative zur WTO

    Ein gerechtes Handelssystem ist aber kaum durch Zerschlagung der WTO zu erreichen. Bilaterale Abkommen, wie die der USA oder der EU, haben genauso wenig eine soziale oder ökologische Ausgestaltung. Dabei haben die Entwicklungsländer eine noch schwächere Position. Die Lösung liegt in einer grundlegenden Reform des internationalen Handelssystems, wobei die WTO auf soziale und ökologische Ziele verpflichtet werden muss. Dafür braucht es aber noch mehr Druck auf die Regierungen seitens der Gewerkschaften und NGOs.

    In vielen Ländern, so Deutschland, setzten Protestaktivitäten erste Schritte. Auch in Österreich ist der ÖGB, neben der HochschülerInnenschaft, Greenpeace, der Armutskonferenz und Attac, als Trägerorganisation der Stopp-GATS-Kampagne mit Unterstützung der Arbeiterkammer und vieler NGOs aktiv. Dies ist sicher nur als Anfang zu sehen. Damit eine Reform tatsächlich auf die Tagesordnung kommt, müssen die nationalen Kampagnen und die Protestaktionen der Gewerkschaften auf internationaler Ebene verstärkt werden.

    1) CAIRNS-Länder sind eine Gruppe von großen Agrarexporteuren: Argentinien, Australien, Bolivien, Brasilien, Chile, Costa Rica, Fidschi, Guatemala, Indonesien, Kanada, Kolumbien, Malaysia, Neuseeland, Paraguay, die Philippinen, Südafrika, Thailand und Uruguay.
    2) Bangladesch (für die am wenigsten entwickelten Länder, LDCs), Ägypten, Botswana, China, Kuba, Indien, Indonesien, Jamaica (für die Karibische Gemeinschaft), Kenya, Malaysia, Nigeria, Philippinen, Tanzania, Venezuela, Zambia und Zimbabwe.


    R E S Ü M E E

    WTO bleibt unverzichtbar

    Das Scheitern der WTO-Konferenz in Cancun ist in ihren Konsequenzen zwiespältig zu bewerten. Einerseits hat es für die USA bedeutende Vorteile, andererseits wurden die Fehlentwicklungen der WTO unübersehbar deutlich. Sie ist unverzichtbar, aber äußerst reformbedürftig.

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    Angela Pfister (volkswirtschaftlichen Referats im ÖGB) Eva Dessewffy (Abteilung EU und Internationales in der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Sat, 15 Nov 2003 00:00:00 +0100 1188829135891 Die EU folgt dem falschen Leitbild 12. Juni 1994, Volksabstimmung über den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft: 66,5 Prozent Zustimmung bei 81 Prozent Wahlbeteiligung. Ein wahrhaft historischer Tag für Österreich; ein großer politischer Erfolg, an dem viele mitgewirkt haben, vor allem auch die Arbeiterkammern und der ÖGB. Ich bedauere, dass dieses überwältigende Votum heute einer gewissen Reserviertheit und Skepsis in großen Teilen der Bevölkerung gewichen ist, was sich besonders gegenüber dem Euro und der Erweiterung manifestiert. Aber ich verstehe es auch: Das Tempo der Reformen und die Sparpakete der letzten Jahre stehen in krassem Widerspruch zu den Versprechungen gegenüber den Arbeitnehmern für die Zeit nach dem EU-Beitritt.

    Ich halte diese wachsende Skepsis in vielen EU-Staaten für gefährlich, weil wir gerade jetzt die Zustimmung der Menschen für das europäische Projekt brauchen. Es gibt keine sinnvolle Alternative zur Einigung Europas, aber erheblichen Handlungsbedarf, wenn Europa im globalen Systemwettbewerb bestehen will.

    Europa Weltmacht Nummer Eins?

    Der Historiker Paul Kennedy veröffentlichte 1993 ein Buch mit dem Titel »In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert.« Im Kapitel »Europa und die Zukunft« zitiert er den US-Professor Samuel Huntington: »Sollte die Europäische Gemeinschaft sich politisch zusammenschließen, hätte sie die Bevölkerung, die Ressourcen, den ökonomischen Wohlstand, die Technologie und die potentielle militärische Stärke, die herausragendste Macht des 21. Jahrhunderts zu werden. Japan, die USA und die Sowjetunion sind hochspezialisierte Länder: Japan in der Investition, die Vereinigten Staaten im Konsum und die Sowjetunion in der Bewaffnung. In Europa sind diese drei Elemente ausbalanciert. Es investiert weniger seines Bruttosozialprodukts als Japan, aber mehr als die Vereinigten Staaten und sehr wahrscheinlich viel mehr als die Sowjetunion. Es konsumiert weniger seines BSPs als die Vereinigten Staaten, aber mehr als Japan und die Sowjetunion. Es rüstet weniger als die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion, aber mehr als Japan. Man kann sich auch eine europäische ideologische Ausstrahlung vorstellen, welche der amerikanischen vergleichbar wäre. In der ganzen Welt stehen Menschen vor den Türen amerikanischer Konsulate Schlange, die um Einwanderungsvisa nachsuchen. In Brüssel stehen ganze Länder Schlange, die der Europäischen Gemeinschaft beitreten wollen. Eine Union von demokratischen, wohlhabenden, sozial unterschiedlichen Gesellschaften mit gemischten Wirtschaften, wäre eine mächtige Kraft auf der Weltbühne. Wenn das nächste Jahrhundert kein amerikanisches mehr sein sollte, dann wahrscheinlich ein europäisches.«

    Amerikas Konkurrenzvorteile

    Ist diese These zehn Jahre später noch aufrecht zu erhalten? Nicht im Sinne einer unilateralen Weltsicht nach dem Motto »Der Starke ist am mächtigsten allein«, sondern im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Gesellschaftsmodells? Auch wenn der Historiker Todd kürzlich ein Buch mit dem Titel »Weltmacht USA. Ein Nachruf« veröffentlichte, hatten in der nahen Vergangenheit unbestritten die USA die bessere Performance.

    Zentral für diese Entwicklung scheint mir die US-amerikanische Technologieführerschaft, aber auch die intelligentere und konsistentere Makropolitik. Ich möchte aber betonen, dass der Performance-Unterschied nicht so groß ist, wie die BIP-Daten suggerieren. Das BIP pro Kopf (in Kaufkraftparität) ist in den USA im Vergleich zu Österreich um ein Drittel höher, das BIP pro Arbeitsstunde liegt in Österreich jedoch bei etwa 95 Prozent des amerikanischen, weil die Arbeitszeiten um 17 Prozent kürzer sind und Österreich eine um sechs Prozent geringere Erwerbsquote hat. Für mich ist das eine klare Aussage: Europa hat einen anderen Mix zwischen Freizeit und Arbeit. Die Europäer wollen nicht auf Kosten der Freizeit wettbewerbsfähiger sein! Und ich halte das für richtig.

    Amerikas Schwachpunkte

    Aber: Die US-Performance muss vor dem Hintergrund der großen ungelösten Probleme des Landes bewertet werden! Dazu gehören:

    • ein gewaltiges Leistungsbilanzdefizit,
    • eine niedrigere Sparquote,
    • eine große Abhängigkeit vom Zufluss von Finanzmitteln,
    • ein neuerdings erhebliches Haushaltsdefizit,
    • gewaltige Ungleichgewichte im Einkommen, aber auch im Gesundheitsbereich (13 Prozent des BIP fließen in das Gesundheitssystem, aber nur 75 Prozent der Amerikaner sind krankenversichert),
    • große Mängel in der Infrastruktur (Stichwort: Stromausfälle).


    Dies kann und darf nicht der europäische Weg sein! Ziel der Europäischen Union muss die Sicherung des äußeren Friedens zwischen den Völkern Europas durch Zusammenarbeit und die Sicherung des inneren Friedens zwischen den Bürgern durch wirtschaftlichen Wohlstand mit sozialer Integration sein.

    Hier sehe ich klare Vorteile gegenüber den USA: Europa mit seinen Regionen und kulturellen Traditionen hat zumindest vier gemeinsame Elemente, die es vom US-System unterscheiden - ich spitze durch Verkürzung natürlich zu:

    1. Das Privateigentum als Basis-Institution jeder Gesellschaft ist in Europa verbunden mit sozialer Verantwortung - sowohl in der christlich-sozialen Philosophie als auch im sozialdemokratischen Gedankengut. In den USA ist es Fundament für individuelle Autonomie ohne Begrenzung.
    2. In Europa gibt es einen Sozialkontrakt, der alle Bürger umfasst, und eine lange Tradition der Solidarität mit den Armen und Schwachen. In den USA verstößt Umverteilung von Einkommen gegen amerikanische Werte - hier herrscht die Idee der freiwilligen Wohltätigkeit.
    3. Der öffentliche Sektor - die res publica - ist in seiner Ausprägung in allen europäischen Staaten mehr oder minder ähnlich. Er hat in den USA eine signifikant geringere Bedeutung (außer in der Zeit von Präsident Roosevelts »New Deal« in den Dreißigerjahren).
    4. Große Unterschiede gibt es auch bei der Rolle des Staates: In der US-Wahrnehmung ist der Staat Widersacher des Bürgers, in Europa steht seine unterstützende Funktion im Vordergrund

    Konsens als Trumpf

    Sie sehen: Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen dem Beziehungsgeflecht »Privat-Öffentlich-Markt-Staat-Zivilgesellschaft« im Vergleich USA - Europa. Die Frage ist: Kann sich das europäische Modell im globalen Wettbewerb behaupten? Ich bin - mit Blick auf Dänemark, Schweden, Finnland und die Niederlande, die wirtschaftlich erfolgreichsten Staaten in der EU in den letzten Jahren - optimistisch. Das Gemeinsame all dieser Länder war:

    • Eine Reform des Sozialstaates, ohne ihn abzubauen;
    • die Forcierung der Technologie- und Innovationspolitik;
    • ein relativ hohes Steuerniveau;
    • eine relativ egalitäre Einkommensverteilung und
    • ihre politische Ausprägung als Konsensgesellschaften.

    Ich habe eingangs von erheblichem Handlungsbedarf gesprochen, wenn Europa im globalen Systemwettbewerb bestehen will. Tatsache ist, dass die gesamteuropäische Dynamik seit Jahren zu schwach ist. Europa braucht Wachstum und Beschäftigung, sonst droht uns ein Teufelskreis, der Europa zerreißen könnte. Ich denke an die Finanzierungsprobleme des Wohlfahrtsstaates, hohe Arbeitslosigkeit, Verschärfung der innereuropäischen und innerstaatlichen Verteilungskämpfe, begrenzte Aufholchancen Osteuropas, beschleunigte Wanderungsprobleme, xenophobe Tendenzen.

    Wer kennt sich da noch aus?

    Die Europäische Union hat darauf eine richtige strategische Antwort entwickelt - die Strategie oder den Prozess von Lissabon, der darauf abzielt, die Union zum wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Doch er ist gerade dabei, zu scheitern - im Spannungsfeld zwischen Makroökonomie und Strukturpolitik und im Wirrwarr der rund hundert Indikatoren, die wahllos Ziel- und Instrumentenvariablen aneinanderreihen. Und im Spannungsfeld der anderen Prozesse. Wer außer uns hier kann denn noch den Überblick über die verschiedenen Prozesse bewahren, die auf europäischer Ebene laufen, Luxemburg-, Cardiff-, Köln- und Lissabon-Prozess?

    Selbst wenn man den Pessimismus des Scheiterns nicht teilt, sind manche Teilziele in den Bereich der europapolitischen Wunschvorstellungen einzuordnen, etwa die Erhöhung der Forschungsquote auf drei Prozent bis 2010. Auch wenn die Dynamik durch die neuen Mitglieder hoffentlich zunimmt, trägt die EU-Erweiterung dazu bei, dass sich die Gemeinschaft von den angestrebten Kennzahlen entfernt. Um so entscheidender ist daher die Zukunftsdebatte auf europäischer Ebene und die in einigen Tagen beginnende Regierungskonferenz, auf der der Verfassungsentwurf des Konvents behandelt wird. Dieser setzt mit der Verankerung der Grundrechtscharta, dem Ziel der Vollbeschäftigung, dem Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, der Anerkennung der Rolle der Sozialpartner und des sozialen Dialogs wichtige Impulse zur Absicherung des Europäischen Gesellschaftsmodells.

    Widersprüchige Signale

    Aber die Signale und der Befund sind für mich sehr widersprüchlich, wie sich am Beispiel des Grünbuchs zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zeigt. Der Begriff ist eine Neuschöpfung, zuvor sprachen wir von öffentlichen Dienstleistungen und Gütern. Jetzt suggeriert der Begriff eine Gleichwertigkeit von privat und öffentlich. Es ist zwar ein nicht marktwirtschaftliches Angebot erlaubt, aber der Markt setzt den Standard.

    Was bedeutet das? Der Trend zur Ökonomisierung aller Lebensbereiche setzt sich fort. In Österreich drückt das wachsende Nützlichkeitsdenken an den Universitäten die Geisteswissenschaften an den Rand.

    Der falsche Schwenk

    Es gibt doch im menschlichen Leben Dinge außerhalb von Angebot und Nachfrage. Im 20. Jahrhundert haben entfesselte Nationalstaaten Europa ins Unglück gestürzt. Im 21. Jahrhundert könnten die entfesselten Märkte nicht nur Europa, sondern die ganze Welt ins Unglück stürzen!

    Der globale Ideologiewettkampf unter der Marke »Modernisierung - Globalisierung« lässt die EU auf einen Weg einschwenken, der völlig im Gegensatz zu den Proklamationen steht. Nämlich Unterschiedlichkeit und Vielfalt in Europa zu erlauben und zu fördern. Wahrscheinlichstes Ergebnis ist das, was man den Washington-Konsens nennt. Diese Konzeption schlägt sich konsequent in den wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Kommission nieder. Gerade sie führen zur Schwächung des europäischen Gesellschaftsmodells, weil sie nicht Wachstum generieren.

    Die Europäische Union hat jene zusätzlichen Freiheitsgrade, die ihr der Euro und die Wirtschafts- und Währungsunion zur Stärkung von Wachstum und Beschäftigung eröffnet haben, nicht ausreichend genutzt.

    Positiv ist sicher, dass die Bedeutung des Euro als Weltreservewährung kontinuierlich gestiegen ist, auch seine Bedeutung als Transaktionswährung. Aber eine Politik für Wachstum und Beschäftigung erfordert mehr als Preisstabilität und Strukturpolitik, bei der meist die Liberalisierung und Flexibilisierung des Arbeitsmarkts im Vordergrund steht. Denken Sie an das Phänomen der »working poor« in den USA und Großbritannien.

    Die Defizite der EU

    Eine Lohnspreizung von 1:5 wie in den USA hat sicher auch Beschäftigungseffekte. Aber sind solche Einkommensunterschiede auf Dauer mit europäischen Vorstellungen vereinbar, wo die Spreizung derzeit im Durchschnitt 1:2,5 beträgt?
    Lassen Sie mich die wahren Defizite der Europäischen Union aufzählen:

    • Wir haben keinen Konsens über den zweiten Teil des Stabilitäts- und Wachstumspakts, nämlich den Wachstumspakt. Der Pakt muss generell mit Flexibilität gehandhabt werden. Das heißt nicht, dass ich für überbordende Budgetdefizite eintrete, es ist aber nicht entscheidend, ob man das Kriterium bei 3 oder 3,5 Prozent ansetzt. Ich bin auch dafür, Investitionen für Forschung und Entwicklung aus dem Pakt auszunehmen.
    • Wir haben keinen Konsens auf europäischer Ebene, was unter einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik zu verstehen ist. Gerade die Lohnhöhe ist neben den Investitionen ein wesentliches Element bei der Steigerung der Binnennachfrage.
    • Es ist nicht gelungen, das Einstimmigkeitsprinzip bei den Steuern zu kippen. Damit zeichnet sich nach der Erweiterung ein neuer Steuerwettlauf ab, der das europäische Sozialmodell unter Druck setzen wird. Das europäische Sozialstaatsmodell ist mit einem Niedrigsteuerstaat nicht leistbar.
    • Wir haben kürzlich die Technologieführerschaft beim Mobilfunk durch eigenes Verschulden an Japan verloren.
    • Die öffentlichen Infrastrukturinvestitionen sind auf einem Tiefstand.
    • Auf dem Faktor Arbeit liegt fast die gesamte Last der sozialen Sicherheit.
    • Wir übernehmen relativ widerstandslos US corporate governance (Basel II, amerikanische Bilanzierungsvorschriften und ähnliches).
    • Vor allem fehlt neben der notwendigen Strukturpolitik auch eine konsistente Makropolitik unter Einbeziehung der EZB und der Sozialpartner.

    Die berühmte Historikerin Barbara Tuchman definiert in ihrem Buch »Die Torheit der Regierenden« politische Torheit als gegeben, wenn drei Kriterien erfüllt sind. Torheit herrscht, wenn eine Politik zu ihrer Zeit und nicht erst im nachhinein als kontraproduktiv erkannt wurde, wenn es eine praktikable Alternative gab und wenn die Politik von einer Gruppe und nicht einem einzelnen Regierenden betrieben wurde und über die politische Laufbahn eines einzelnen hinaus Bestand hatte. Alle Kriterien der Torheit treffen auf die gegenwärtige Wirtschaftspolitik der EU zu und es ist höchste Zeit, gegenzusteuern. Die Schwachstellen der europäischen Politik beschränken sich leider nicht auf die Wirtschaftspolitik:

    • Wir sind - siehe englische und polnische Truppen im Irak und äußerst bescheidene Erfolge am Balkan - mit einem enormen Glaubwürdigkeitsdefizit in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik konfrontiert.
    • Wir haben eine gescheiterte WTO-Runde hinter uns.
    • Die jüngste Euroabstimmung in Schweden zeigt die Kluft zwischen den Bürgern und den Eliten.
    • Wir wissen nicht, wie es mit dem EU-Budget und der Agrarpolitik 2006 weitergeht.

    Die missbrauchte Erweiterung

    Und dies alles angesichts der bevorstehenden Erweiterung. Sie war und ist ein zentrales Thema der Arbeitnehmervertretungen in Österreich. Wir begrüßen die Erweiterung als zentralen Schritt bei der Einigung Europas und anerkennen, dass gerade Österreich von der Ostöffnung profitiert und erhebliche Wachstumsimpulse erzielt. Aber jetzt liegen die Mühen der Ebene vor uns. Es sind vor allem zwei Kritikpunkte, die wir an der Position der Europäischen Kommission zur Erweiterung auszusetzen haben:

    • Wir kritisieren, dass die Erweiterung als ein Instrument zur Flexibilisierung der Arbeitsmärkte in den Mitgliedsstaaten missbraucht wird.
    • Und wir werden das Gefühl nicht los, dass den EU-Beamten und Experten hier vor Ort sehr bewusst ist, dass tausende Seiten Regeln im Vertragswerk in den neuen Beitrittsländern wirklich nur auf dem Papier bestehen.

    Außerdem haben wir die Sorge, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung (wobei in den Beitrittsländern viel vom US-System, etwa im Pensionssystem, übernommen wurde) und der Erfolg der Erweiterung ein Prozess mit offenem Ausgang ist, wenn diese Länder in die Stabilitätsziele bei Preisen und Budget eingebunden werden. Gerade Länder im Aufholprozess brauchen höhere Inflationsraten und Budgetdefizite.

    Negativbeispiel Österreich

    Das Gelingen der Erweiterung ist in hohem Ausmaß auch von der Akzeptanz der Bevölkerung in den alten und neuen Mitgliedsländern abhängig. Unsere Hauptkritik richtet sich daher gegen die österreichische Bundesregierung und die mangelhafte innerösterreichische Vorbereitung, die viele ArbeitnehmerInnen mit ihren Problemen im Regen stehen lässt. Das zeigt sich beim notwendigen Ausbau der Infrastruktur, bei Aus- und Weiterbildung, bei der sozialen Absicherung (Erweiterungsverlierer, sozial Schwächere) und vor allem beim Thema Wanderung und Pendlerbewegung.

    Bratislava liegt 66 km von Wien entfernt, der durchschnittliche Monatslohn am Bau beträgt dort 324 Euro, der durchschnittliche Monatslohn in Wien 1.953 Euro. Während 160 km östlich von Wien, in der Slowakei, der Durchschnittlohn auf dem Bau 211 Euro beträgt, beläuft er sich im angrenzenden Burgenland auf 1628 Euro. Die höchsten Einkommen werden in Bratislava im Kreditwesen bezahlt, 620 Euro. Bankbedienstete in Wien verdienen über 2.367 Euro. Die durchschnittlichen Löhne und Gehälter liegen in Budapest bei 390 Euro, in Györ bei 280 Euro, in der Region um Brünn bei 300 Euro und in Prag bei 450 Euro (zu Wechselkursen). Wobei ausschließlich die Hauptstadtregionen Löhne über dem Gesamtlandesdurchschnitt aufweisen.

    Vertiefung und Erweiterung

    Zusammenfassend stellt sich für mich die Frage: Mutet sich Europa nicht zuviel zu? Wo hört die Erweiterung auf, bei der Türkei, der Ukraine und so weiter? Ist eine Politik der gleichzeitigen Vertiefung und Erweiterung der Union glaubwürdig? Sollten wir nicht in realistischen Schritten an die nächsten Etappen der Erweiterung herangehen? Schon Kant sagte: »Doch wer zuviel will, will nichts.«

    Ich bin trotz der Vielfalt der Herausforderungen optimistisch im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit des europäischen Gesellschaftsmodells. Allerdings hängt alles davon ab, welche Schritte wir setzen und welches Zukunftsbild wir vor Augen haben. Die Gruppe für prospektive Analysen der EU hat für 2010 fünf Szenarien entworfen: »Triumph der Märkte« oder »Die Dominanz des amerikanischen Marktwirtschaftsmodells.« Zweitens: »Hundert Blumen oder die Zersplitterung in die Vielfalt.« Drittens: »Verantwortungsgemeinschaft oder das europäische (ökosoziale) Marktwirtschaftsmodell.« Viertens: »Die kreative Gesellschaft oder die Gegenbewegung zum wirtschaftlichen Rationalismus.« Fünftens: »Chaos vor der Haustür oder Festung Europa.«

    Wir bewegen uns klar in Richtung Szenario 1 und 2. Ich meine aber, dass Europa nur dann eine globale Ausstrahlung erreichen kann, wenn es den Weg zu einer Verantwortungsgemeinschaft schafft. Die Verantwortungsgemeinschaft muss europäisches Leitbild bleiben und in der realen Politik Umsetzung finden!


    R E S Ü M E E
    Entfesselte Märkte zügeln
    Nach der überwältigenden Zustimmung zum EU-Beitritt am 12. Juni 1994 macht sich auch in Österreich immer mehr EU-Skepsis breit - so wie in vielen anderen Ländern. Dies ist gefährlich, denn es gibt keine Alternative zur EU. Europa hat sehr gute Chancen im globalen Wettbewerb der Systeme, aber auch erheblichen Handlungsbedarf, um seine Defizite zu beseitigen. Europa muss vor allem die entfesselten Märkte zügeln und die soziale Sicherheit festigen. Es muss sich aber auch fragen, ob Vertiefung und weitere Erweiterung zugleich möglich sind. Die EU muss eine Verantwortungsgemeinschaft bleiben.

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    Werner Muhm (Direktor der Arbeiterkammer Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Sat, 15 Nov 2003 00:00:00 +0100 1188829135871 Privatisiert und freigegeben Auch »totalprivatisierte« Konzerne wie die voestalpine oder Böhler, der vor einem Verkauf steht, könnten in Zukunft zu den Opfern von Übernahmen durch ausländische Konzerne gehören.

    Feindliche Übernahmen geschehen ohne Einbindung des Vorstandes jenes Unternehmens, das aufgekauft werden soll. Der Kaufinteressent setzt auf den Überraschungseffekt, ein gutes finanzielles Angebot soll die Aktionäre dazu bringen, ihre Anteile zu veräußern und dem Käufer eine solide Mehrheit sichern, die eine Kontrolle des Unternehmens erlaubt. Friedliche Fusionen werden von den Vorständen der am Zusammenschluss interessierten Unternehmen einvernehmlich vereinbart. Anschließend erteilen die Aufsichtsräte und Hauptversammlungen beider Unternehmen dem erarbeiteten Fusionskonzept ihre Zustimmung. Organisatorisch wird eine Fusion über Aktientausch abgewickelt.

    Ob friedlich oder feindlich, den Gewinnern auf der Kapitalseite stehen zahllose Verlierer unter den Beschäftigten des neuformierten Konzerns gegenüber.

    Banken verdienen dreifach

    Zu den eindeutigen Gewinnern zählen die Investmentbanken, die häufig auf Zusammenschlüsse drängen. An Übernahmen und Fusionen verdienen sie gleich dreifach: Erstens erhalten sie ein üppiges Honorar für Beraterleistungen, zweitens eine ansehnliche Prämie, wenn die Übernahmen, erfolgreich verläuft, und drittens stellen sie Kredite bereit, um die Übernahme zu finanzieren. Eine deutsche Großbank hätte Provisionen von rund 200 Millionen DM lukriert, wäre dem Krupp Konzern 1997 der Kauf seines Rivalen Thyssen gelungen.

    Die Übernahme, werden von langer Hand geplant und meist im kleinen Kreis zwischen Vorstand und beratenden Investmentbankern ausgeheckt. Unter einem klingenden Decknamen erarbeiten die Kaufinteressenten eine Strategie, die alle Details von der Finanzierung des Kaufpreises bis zur Veräußerung von Teilen des übernommenen Rivalen auflistet. Als Opfer werden meist Konzerne gewählt, die ideale Übernahmekandidaten sind, weil sie zu einem günstigen Preis erworben werden können, großes Eigenkapital besitzen und in bestimmten Segmenten ideal zum Käufer passen. Bevorzugt werden Aktiengesellschaften mit hohem Streubesitz, denen - etwa nach einer Privatisierung - ein klassischer, stabiler Kernaktionär mit entsprechendem Einfluss fehlt. Über die Börse werden solange »geräuschlos« Aktien erworben, bis eine solide Mehrheit die Kontrolle ermöglicht.

    Beispiel Mannesmann

    Bei der Finanzierung des Kaufpreises wird nach einem Muster vorgegangen, das sich bei amerikanischen Übernahmen bewährt hat. Durch Bankkredite vorfinanziert, soll sich der Kaufpreis durch Dividenden des erworbenen Unternehmens, Synergien und den Verkauf von Töchtern selbst finanzieren. Für die Konzernbeschäftigten laufen diese Planungen auf eine Zerschlagung oder auf eine erhebliche Änderung der Konzernstrukturen hinaus. Die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone hatte eine Aufteilung des Konzerns zur Folge: Der traditionelle deutsche Industrie- und Dienstleistungskonzern hörte in seiner bisherigen Form zu existieren auf, die nicht zum Vodafone-Kerngeschäft rechnenden Sparten wurden an Interessenten abgegeben.

    Der engagierte Widerstand der Beschäftigten gegen feindliche Übernahmeversuche besonders in Mitteleuropa ist verständlich, da »takeovers« dem traditionellen europäischen Wirtschaftsmodell völlig zuwiderlaufen. Kritiker aus dem Lager der Gewerkschaften orten einen massiven Wandel und fürchten die endgültige Durchsetzung neuer Spielregeln, die zu einer Abkehr vom klassischen »rheinischen Kapitalismus« führen. Während bisher, wenn auch in unterschiedlichem Maß, auf die Anliegen aller Beteiligten geachtet wurde, drohen nun die Interessen der Beschäftigten auf der Strecke zu bleiben. Als Vorbild dienen US-Firmen, die in den 1980er Jahren Konkurrenten billig aufkauften, Bereiche des Kerngeschäfts behielten und abstießen. Großer Druck kam von den Anlegern, die sich mit den bisherigen Renditen nicht zufrieden gaben und alles andere auf Expansion drängten, um von Wertsteigerungen zu profitieren.

    Die »Perlen« behält man

    Hinter Übernahmen stehen aber auch Fonds, denen als vermeintlich harmlosen Finanzinvestoren häufig strategische Interessen abgesprochen werden. Ein privater Beteiligungsfonds erwarb im Jahr 2000 über ein Kaufangebot von privaten Aktionären rund 82 Prozent des traditionsreichen deutschen Klöckner-Konzerns. Der Wechsel führte zu einer Umbesetzung des Aufsichtsrates und zu einer neuen Konzernstrategie. Die ursprüngliche Strategie zielte darauf ab, den Bereich Verpackungstechnik zu veräußern, um im zukunftsträchtigen Foliengeschäft zu expandieren. Die Fondsmanager leiteten dagegen nach der Übernahme eine Trennung vom Foliengeschäft ein, das als einzige Perle des Konzerns galt und entsprechende Erträge erwirtschaftete. Die Erlöse wurden vom Fonds abgeschöpft und sollten die Basis für weitere Beteiligungen und mehrheitliche Übernahmen bilden. Ende 2001 vermuteten Beobachter, der Fonds könnte weitere Mehrheitsbeteiligungen beabsichtigen und ähnlich vorgehen wie bei Klöckner.

    Private Kernaktionäre gegen Übernahme

    Im Sommer 2000 wurde der Continental Konzern Gegenstand von Übernahmespekulationen. Es hieß, die Großaktionäre würden mit einem Interessenten aus der Industrie über den Verkauf ihrer Anteile verhandeln. Banken und Versicherungen hielten rund 20 Prozent der Aktien, die restlichen Anteile lagen bei einer Vielzahl privater Kleinanleger. Während Banken und Versicherungen eine Neuordnung ihrer Industriebeteiligungen überlegten, waren die Kleinaktionäre mit der Kursentwicklung unzufrieden und warteten auf ein lukratives Übernahmeangebot. Großbanken und Versicherungen überlegten wiederholt einen Verkauf ihrer Aktienpakete am Nutzfahrzeugproduzenten MAN und einem Großkonzern der Strom- und Chemiebranche. Solche Planspiele belegen eindringlich, dass Banken und Versicherungen als Großaktionäre keine stabilen Eigentumsverhältnisse garantieren können.

    Die Beschäftigten sind die Verlierer

    Bei Übernahmen, ob friedlich oder feindlich, bei Fusionen sehen sich die Beschäftigten in aller Regel mit zwei zentralen Herausforderungen konfrontiert. Zum einen sind sie von Verkaufsplänen für Tochtergesellschaften oder ganze Konzernsparten betroffen, zum anderen drohen drastische Restrukturierungen, die zu erhöhtem Leistungsdruck und Arbeitsplatzeinbußen bis hin zur Aufgabe von Standorten führen1).

    Bei der Wahl der Käufer für Töchter oder ganze Sparten kommt selten das »best-owner«-Prinzip zur Anwendung, das Interessenten bevorzugt, die ein Konzept zur langfristigen Weiterführung des erworbenen Unternehmens vorweisen können. In aller Regel zählt der höchste Preis, während auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit beruhende Überlegungen keine ernstzunehmende Rolle spielen. Für die Beschäftigten ist völlig unklar, ob beim neuen Eigentümer eine realistische Überlebenschance besteht. Häufig dienen Standortgarantien nur als Beruhigungspillen, sie gelten befristet und werden nicht immer eingehalten.

    Bei einer solchen kurzfristig orientierten Verkaufspolitik droht unwiderruflich ein Verlust von Kompetenzen, der sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit des Gesamtunternehmens auswirkt. Zudem sind die Arbeitnehmer massiv von Restrukturierungen betroffen, die zum Verlust zahlreicher Arbeitsplätze und erheblichen regionalwirtschaftlichen Nachteilen führen. Häufig sind die Einsparungspotentiale bereits erschöpft, so dass erst Konzernbildungen die Voraussetzung für neue, oft grenzüberschreitende Rationalisierungen schaffen. Wenn eine Übernahme Restrukturierungen nach sich zieht, wird die Last fast immer dem aufgekauften Unternehmen aufgebürdet. Wichtige Großinvestitionen werden am Sitz der Konzernzentrale oder an jenen Standorten getätigt, die in der Konzernstrategie einen festen Platz einnehmen. Während ein Teil der Belegschaft auf der Gewinnerseite steht, sehen sich die übrigen Beschäftigten bei den Verlierern ohne Zukunftsperspektive im Konzerngefüge. Bei produzierenden Unternehmen werden veraltete Anlagen stillgelegt, die Overheadkosten drastisch gekürzt und die nötigen Mindestgrößen für die Einführung arbeitssparender Techniken erreicht.

    Solche Tendenzen lassen sich jüngst auch auf internationaler Ebene beobachten. Im 2002 durch Fusion neugegründeten Stahlkonzern Arcelor - seine Vorgängerunternehmen waren teilverstaatlicht - verfolgt die Konzernleitung gegenwärtig einen scharfen Restrukturierungskurs, der zahlreiche Arbeitsplätze in mehreren EU-Ländern aufs Spiel setzt.

    Ganze Standorte werden gekappt

    Schon zum Zeitpunkt der Fusion bestanden keine Zweifel, dass die künftige Konzernstrategie auf eine drastische Erhöhung der Renditen und eine spürbare Senkung der Kosten hinauslief. Das vorgelegte Konzept bestätigte die Befürchtungen von Belegschaften und Gewerkschaftern: Neuinvestitionen sollen nur noch an den rentabelsten Standorten erfolgen und Kapazitäten sowie Arbeitsplätze an den weniger kostengünstigen Standorten abgebaut werden. Wieder stehen die Gewerkschaften vor einem Dilemma: Da sie über keine Handhabe verfügen, das zu verhindern, sind sie in erster Linie bemüht, die Konsequenzen für die Arbeitnehmer möglichst zu entschärfen. In den betroffenen Ländern werden Vereinbarungen angestrebt, die einen »sozialverträglichen« Abbau von Beschäftigten vorsehen und den Konzern zu entsprechenden finanziellen Leistungen verpflichten2).

    Beispiel Krupp gegen Thyssen

    Ähnliche Fälle gibt es in der Automobil-der Chemie- und Elektrobranche. Nach außen wird die Notwendigkeit betont, die Konkurrenzfähigkeit zu erhalten, tatsächlich können sich die Aktionäre kurzfristig über eine Dividendenerhöhung freuen. Besonders in traditionellen Industriebranchen steht längst nicht mehr nur die Sicherung der Existenz oder die Vermeidung von Verlusten im Vordergrund. Siehe das Programm »Olympia« bei General Motors oder die Debatte um die Schließung des Werkes Luton im selben Konzern.

    Hinter den Restrukturierungen stehen überall handfeste Interessen der Eigentümer, die nach höheren Renditen und einer Wertsteigerung ihres Investments drängen. Über den Aufsichtsrat nehmen sie Einfluss auf den künftigen Kurs des Konzerns. Vorstände, die vorgegebene Ziele in einem überschaubaren Zeitrahmen nicht erreichen, müssen mit der Abberufung rechnen.

    Ein plastisches Beispiel war die versuchte feindliche Übernahme von Thyssen durch seinen Erzrivalen Krupp. Thyssen stand zu fast 80 Prozent im Eigentum von Kleinaktionären. Anders als der mit hohen Schulden belastete Krupp-Konzern verfügte Thyssen über eine gute Eigenkapitalausstattung und erzielte sogar im kritischen zyklischen Stahlgeschäft ansehnliche Erträge. Dagegen hatte die Stahlsparte bei Krupp ein negatives Ergebnis erwirtschaftet und galt als Schwachstelle des Konzerns. Krupps Stahlwerke waren veraltet, produzierten zu hohen Kosten und warfen nur in guten Stahljahren bescheidenen Gewinn ab. Thyssen hatte eine Kooperation abgelehnt, um nicht mit den Problemen des Konkurrenten belastet zu werden.

    Um an die finanziellen Ressourcen von Thyssen zu kommen und seine Stahlprobleme zu lösen, bot Krupp den Aktionären für ihre Papiere einen Preis, der um rund 40 Prozent höher war als der Kurs des Jahres 1996. In den Monaten vor Bekanntwerden der Übernahmeabsichten war die Thyssen-Aktie kontinuierlich gestiegen, da Krupp laufend Aktien aus dem Streubesitz erworben hatte. Nach Einschätzung eines Experten hatte Krupp bereits eine Beteiligung, deutlich über der Sperrminorität.

    Um den Kaufpreis zu finanzieren, plante Krupp die Veräußerung von 22 Gesellschaften und Beteiligungen. Die Kredite sollten in rund zwei Jahren aus eigenem Kapital getilgt werden.

    Erfolgreicher Widerstand

    Die Übernahme scheiterte durch eine gezielte Information, noch ehe das Kaufangebot publiziert wurde. Politiker, Betriebsräte und Gewerkschafter organisierten breiten Widerstand gegen die Planungen des Krupp-Konzerns. Die IG Metall forderte die Politik unmissverständlich auf, »Einfluss auf Krupp zu nehmen und für den Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze einzutreten«. Andernfalls drohten die Gewerkschafter mit groß angelegten Protestaktionen. Auf besonderen Widerspruch stieß die zweifelhafte Rolle der Banken, die Krupp intensiv berieten und zugleich im Aufsichtsrat des Übernahmekandidaten vertreten waren. Sogar Beobachter, die dem Finanzkapital nahe standen, orteten massive Unvereinbarkeiten.

    Der Krupp-Vorstand zog sein Übernahmekonzept zurück und einigte sich mit Thyssen, lediglich Verhandlungen über eine Fusion der Stahlsparten zu führen. Beobachter vermuteten, dass Krupp mit einer feindlichen Übernahme drohte. Binnen kurzem verständigten sich beide Seiten auf ein industrielles Konzept, das die »kleine Stahlfusion« im allen Einzelheiten regelte.

    Und doch verschmolzen

    Einige Monate später verständigten sich die Vorstände beider Konzerne auf eine Verschmelzung der übrigen Konzernbereiche, die ein weiteres Wachstum in wichtigen Geschäftsfeldern und zusätzliche Synergien ermöglichen sollte. Die Konsequenzen waren gravierend. Die Konzentration der Stahlproduktion auf die kostengünstigsten und modernsten Anlagen am Hauptstandort führte dazu, dass in Dortmund Stilllegungen erfolgten und mehrere tausend Arbeitsplätze verloren gingen. Da verheerende Auswirkungen auf die regionale Wirtschaft im Raum standen, verpflichtete sich der Konzern zur Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen. Die Arbeitnehmervertreter erreichten einen Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen, da die Beschäftigten an mehreren Standorten ihre Arbeit niederlegten, bis die Konzernseite Kündigungen definitiv ausschloss. Zur Abwicklung des Personalabbaus kamen »stahltypische« Regelungen wie Frühverrentungen, konzerninterne Versetzungen oder der Wechsel in eine Qualifizierungsgesellschaft zur Anwendung. Die Stahlarbeitsplätze gingen unwiderruflich verloren.

    Verlorene Arbeitsplätze

    Der Konzern hielt die eingegangenen Verpflichtungen zwar ein, doch bereitete die Schaffung der Ersatzarbeitsplätze größere Probleme als erwartet. Es entstand nur ein Teil der zugesagten Arbeitsplätze, geplante Investitionen wurden mangels Rentabilität nicht oder am Hauptstandort durchgeführt. Dazu kommen die Arbeitsplatzeinbußen bei Zulieferern und Dienstleistungsunternehmen. Die Integration der Konkurrenten mit ihren unterschiedlichen Firmenkulturen verlief schwieriger als erwartet. Die Überlegung, selbst den erfolgreichen gemeinsamen Stahlbereich an die Börse zu bringen oder mit einem europäischen Konkurrenten zu »verkooperieren«, stieß auf Widerstand bei den Belegschaftsvertretern, die eine Verlagerung der Entscheidungskompetenzen ins Ausland befürchteten. Letztlich wurde dieser Börsegang verschoben und der Stahlbereich wieder zu den Kernaktivitäten des neuen Konzerns gerechnet. Differenzen über die strategische Gesamtausrichtung führten zu Spannungen zwischen den Vorständen und ließen zeitweilig den Eindruck von Planlosigkeit und Unsicherheit entstehen. Weitere Verkaufspläne für Tochtergesellschaften und Beteiligungen und eine neuerliche Änderung der Konzernstrategie belegen eindringlich, wie schwierig sich die Führung eines schwer überschaubaren, in zahlreichen Bereichen aktiven Großkonzerns gestaltet.

    Mit dem Rücken zur Wand?

    Zusammenschlüsse im nationalen Rahmen sowie die wachsende Zahl länderübergreifender Konzernbildungen bedeuten neue Anforderungen an die Belegschaftsvertreter. In praktisch allen Fällen wächst die Konkurrenz zwischen den Arbeitnehmern einzelner Standorte, die um Investitionen und neue Produktionen konkurrieren und von der Konzernzentrale oft gegeneinander ausgespielt werden. Auf nationaler Ebene werden Konzernbetriebsräte errichtet, um den Beschäftigten bei der Konzernleitung mehr Gewicht zu verschaffen. Die Arbeitnehmervertreter in den Konzernaufsichtsräten befinden sich gegenüber den Kapitalvertretern in einer schwächeren Position.

    Da in internationalen Konzernen nationale Gremien nicht mehr ausreichen, sind die Arbeitnehmervertreter gezwungen, sich länderübergreifend zu organisieren. Daher erfolgt die Gründung von Europäischen Betriebsräten (EBRs). Diese verfügen jedoch nur über eingeschränkte Mitwirkungsrechte und können im Regelfall die Politik der Konzernleitungen nicht maßgeblich beeinflussen. Sie haben keine rechtliche Handhabe gegen Konzernpläne und werden als zahnlose Tiger eingestuft. Einige Beispiele aus der Autobranche zeigen, dass EBRs bei Restrukturierungen eine wesentliche Rolle spielen können, führen aber auch vor Augen, dass ihre Rechte (besonders bei Restrukturierungen) unbedingt erweitert werden müssen. Daher drängt die europäische Gewerkschaftsbewegung auf eine Stärkung des EBR und eine rasche Novellierung der geltenden EU-Richtlinie zum EBR3).

    Auch die Mitbestimmung in Aufsichtsräten gerät bei der Bildung internationaler Konzerne in ernste Gefahr: Sobald die Konzernzentrale im Ausland liegt, haben die inländischen Belegschaftsvertreter keine Chance auf Positionen im Aufsichtsgremium des Konzerns. Die Gründung europäischer Aktiengesellschaften könnte dieses Problem zumindest für jene Konzerne entschärfen, deren Zentrale in einem EU-Land liegt. Im Aufsichtsrat des Chemieriesen Aventis - er ging aus einer Fusion hervor - sitzen Arbeitnehmervertreter verschiedener EU-Länder, befinden sich aber gegenüber den Kapitalvertretern eindeutig in der Minderheit.

    Die Arbeitnehmervertreter in übernommenen Firmen müssen sich schnell auf völlig veränderte Bedingungen einstellen. Während sie vorher gute Kontakte zum Vorstand hatten und viele Probleme einvernehmlich lösen konnten, verlieren sie im neuen Konzern massiv an Einfluss. Der eigene Vorstand gibt Kompetenzen an die neue Konzernleitung ab und eignet sich nur noch in wenigen Bereichen als Ansprechpartner für den Betriebsrat. Die Arbeitnehmervertreter im EBR sind nur eine Länderdelegation unter vielen und müssen die Kollegen aus anderen Ländern erst von ihren Positionen überzeugen. Da die Einflussmöglichkeiten des EBR vergleichsweise schwach sind, nehmen die Gestaltungschancen für die inländischen Betriebsräte rapid ab.

    Aus diesem Blickwinkel wird der Widerstand der inländischen Belegschaftsvertreter, des ÖGB und der Arbeiterkammern gegen einen Ausverkauf heimischer Grossunternehmen nur zu verständlich. Übernahmen sind trotz aller Beteuerungen nie auszuschließen und drohen die Qualität der Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit zu beeinträchtigen.

    1) Vgl. H. Hirsch-Kreinsen, Neue Rationalisierungskonzepte - Grenzen und Chancen für die Betriebsratspolitik, in: R. Widowitsch u. a. (Hg.), Zukunftsmodell Betriebsrat, ÖGB-Verlag, Wien 2003, 51-72, 55 f.

    2) Vgl. »Arcelor-Dialogue« (Sommer 2003), 1 ff; »IG Metall extra« Juli/August 2003; September 2003.

    3) vgl. W. Greif, Mitbestimmungsdefizite aufzeigen - Mitwirkungsrechte erweitern, in: WISO 25 (2002), Nr. 4., 97-115, 105 ff.

    R E S Ü M E E

    Die Kleinen zahlen drauf
    Ob »feindliche« oder »freundliche« Übernahme: Das Fressen und Gefressenwerden in der Welt der Konzerne erhöht den Druck auf die Beschäftigten und geht vor allen zu Lasten der Arbeitsplätze. Auch die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten gerät in Gefahr.

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    Harald Stöger (Mitarbeiter an wissenschaftlichen Forschungsprojekten; Universitäten Linz und Salzburg) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Sat, 15 Nov 2003 00:00:00 +0100 1188829135798 Zugeschanzt? Warum wurde die voestalpine AG weit unter ihrem Wert im Schnellverfahren total privatisiert? Das Argument, dass der Staat ein schlechter Unternehmer sei, kann es nicht gewesen sein. Die Geschäftszahlen der voestalpine AG (früher: Voest Alpine Stahl AG) stellen die meisten privaten europäischen Stahlerzeuger in den Schatten. Sie ist der zweitbeste Stahlerzeuger Europas und im Bereich der Eisenbahnsysteme (über die VAE, die zu über 90 Prozent zur voestalpine AG gehört) Weltmarktführer im Weichenbau. Ihr Betriebserfolg (EBIT) stieg in kürzester Zeit um 63,5 auf 223 Millionen Euro. Diese Entwicklung ging trotz eines konjunkturell schwierigen Umfeldes im ersten Quartal des neuen Geschäftsjahres 2003/04 ungebrochen weiter. Gegenüber dem ersten Quartal des Vorjahres wurde der Periodenüberschuss nahezu verfünffacht und der Gewinn pro Aktie von 0,27 auf 1,29 Euro gesteigert.1)

    Wirtschaftsfaktor

    Die Bedeutung der voestalpine AG für Staat und Allgemeinheit ist gewaltig: Der Stahlerzeuger tätigt 623 Millionen Euro Investitionen im Jahr, erzeugt in Österreich ein Einkaufsvolumen von 1300 Millionen Euro, zahlt jährlich rund 170 Millionen Euro Steuern und schüttete im letzten Jahr 62,5 Millionen an Dividenden aus. Mehr als ein Drittel davon ging an die Österreichische Industrieholding AG (ÖIAG). Seit 1995 machten die Dividendenzahlungen der voestalpine insgesamt 350 Millionen Euro aus.

    Vorwand und Ziel

    Von den rund 22.000 Mitarbeitern sind 15.000 in Österreich, davon 9500 in Linz, 5500 in Niederösterreich (Krems, Traisen) und in der Steiermark (Donawitz, Kindberg, Zeltweg etc.) tätig. Allein in Oberösterreich machen die Löhne der voest-Beschäftigten rund 260 Millionen Euro Kaufkraft aus. In den rund 1200 Zulieferfirmen sind zusätzlich 15.000 bis 20.000 Beschäftigte vom Stahlunternehmen abhängig. Die Wertschöpfung der voestalpine macht in Oberösterreich in Höhe von 950 Millionen Euro fast genauso viel aus wie die der gesamten oberösterreichischen Land- und Forstwirtschaft von 960 Millionen Euro.

    Ein weiteres für die Privatisierung genanntes Argument war die angebliche Notwendigkeit des Schuldenabbaus. Doch bei genauerem Hinsehen war weder das »Schuldenmachen« in dieser Art und Weise notwendig, noch wurden in letzter Zeit die gesamten Privatisierungserlöse zum Schuldenabbau verwendet.

    Als die schwarz-blaue Regierung 2000 ins Amt kam, beschloss sie das ÖIAG-Gesetz 2000. Erklärtes Ziel war es, durch die Privatisierung von ÖIAG-Betrieben die in diesem Bereich aufgelaufenen Schulden abzubauen. Wobei diese Schulden vor allem deswegen zustande kamen, weil in der Stahlkrise die Bundesregierungen als Eigentümervertreter der Republik die österreichische Stahlindustrie mit nur 4,36 Euro pro Tonne nicht so förderten wie andere EU-Staaten, die ihre nationalen Stahlindustrien durchschnittlich mit 54,5 Euro pro Tonne Stahl förderten. Stattdessen wurden die verstaatlichten Betriebe verpflichtet, Bankkredite aufzunehmen.2) Genau dies führte zu den Schulden und zur Debatte über die »schlechte Verstaatlichte« und leitete die Zerstückelung verstaatlichter Unternehmen und den Abbau von zehntausenden Arbeitsplätzen ein. Das Märchen »Private wirtschaften besser« wurde erfunden und die griffige Parole »mehr privat, weniger Staat« ausgegeben. In Wirklichkeit waren die Schulden der Verstaatlichten aber die Zinsgewinne der kreditgebenden Banken.

    Die Regierung Schüssel II hat praktisch die Totalprivatisierung aller restlichen ÖIAG-Betriebe (ausgenommen die AUA) und letztlich die Auflösung der ÖIAG in ihrem Programm. Außerdem legte sie im Mai 2003 in einer Novelle zum ÖIAG-Gesetz fest, dass die ÖIAG aus ihren Dividendeneinnahmen einen Beitrag zur Budgetsanierung leisten muss. Die Tilgung der Schulden war also nicht mehr oberstes Ziel.3)

    Sichtbar wurden die Hintergründe der Privatisierungsabsichten, als im vergangenen Sommer der Geheimplan »Minerva« aufflog. Dieser sah einen Verkauf der voestalpine an den Magna-Konzern von Frank Stronach vor. Dies hätte die sichere Zerstückelung bedeutet, weil Magna nur an bestimmten Sparten interessiert ist.

    Aufgrund der öffentlichen Entrüstung und des Widerstandes der voestalpine-Belegschaften musste Finanzminister Grasser von diesem Plan abrücken und der ÖIAG einen »nachgebesserten« Privatisierungsauftrag erteilen. Um die Öffentlichkeit - auch im Hinblick auf die bevorstehenden Landtagswahlgänge in Tirol und Oberösterreich - zu beruhigen, wurde lange Zeit davon geredet, dass ein österreichischer Kernaktionär Voraussetzung für die Privatisierung sei. Herausgekommen ist eine Privatisierung des gesamten 34,7 Prozent-Anteils der ÖIAG an der voestalpine über die Börse. Zur Legitimation dieser Vorgangsweise hatte man ein »kostenloses Rechtsgutachten« der EU-Kommission eingeholt, das eine Bevorzugung bestimmter Investoren als gemeinschaftswidrig bezeichnete.

    Die neuen »Voesterreicher«

    Bei den oberösterreichischen Landtagswahlen wurde die Rechnung präsentiert. Der Börsengang brachte aber das von den Kaufinteressenten gewünschte Ergebnis - zum Schaden ganz Österreichs, wie sich zeigt. Die erste VP-FP-Regierung hat ab 2000 die ÖIAG-Spitze angeblich »entpolitisiert«. Das heißt, dass Vertreter des in- und ausländischen Privatkapitals über die Geschicke der von den österreichischen Arbeitern und Angestellten aufgebauten Betriebe entscheiden. So kommt etwa der erste stellvertretende ÖIAG-Aufsichtsratsvorsitzende, Jürgen Hubbert, von der DaimlerChrysler AG oder Veit Schalle von Rewe, die bekanntlich Billa aufkaufte. Besetzt sind Vorstands- und Aufsichtsratsposten überdies mit Vertrauten aus dem Prinzhorn-Stronach-Grasser-Clan. Zudem sitzen in den Aufsichtsräten von ÖIAG oder voestalpine nicht zuletzt Personen, denen ein massives Interesse an der voestalpine nachgesagt wird: Zum Beispiel Magna-Europa-Chef Siegfried Wolf, Cornelius Grupp oder Generaldirektor Ludwig Scharinger von der ÖVP-nahen Raiffeisenbank Oberösterreich.

    Worte und Werbekampagnen - wie »Voesterreicher« - verraten oft mehr über die wahren Absichten ihrer Erfinder, als diesen lieb sein kann. Reicher wurde weder die voestalpine noch Österreich. Vielmehr konnten sich ein paar Privatkonzerne und Privatkapitalisten noch mehr als schon bisher an der Voest, am Volksvermögen der Österreicher, bereichern. Die Voest machte und macht sie reicher - »voest(er)reicher« eben. Das zeigt sowohl der Verkaufserlös der Totalprivatisierung als auch die neue Eigentümerstruktur.

    Vom ÖIAG-Aktienpaket, das direkt oder über eine Umtauschanleihe an neue Eigentümer übertragen wurde (34,7% aller 39,600.000 voestalpine-Aktien), gingen 5,7% an österreichische institutionelle Anleger, 3,3% an Kleinanleger, 3,8% zur voestalpine-Mitarbeiterstiftung und der größte Brocken, 21,9%, an ausländische Groß- bzw. Finanzinvestoren. Somit wurden mehr als drei Viertel des jetzt verkauften ÖIAG-Anteils an ausländische Investoren vergeben. Betrug der Anteil des Auslandes am Konzern vor dem 28. September 2003 noch 28,7%, kletterte er mit den Verkäufen (inklusive der Umtauschanleihe) auf 50,6%. Die voestalpine AG ist mehrheitlich nicht mehr österreichisch (siehe nebenstehende Grafik und Tabelle »Neue Eigentümerstruktur«).

    Neue Eigentümerstruktur der voestalpine AG
    Angaben in %
    Inländische Investoren und Kleinaktionäre
    Oberbank 7,29
    RLB+Raika-Gruppe 13,74
    Landes-Hypo-Bank 1,26
    OÖ Versicherung 0,57
    VKB 0,30
    Generali 0,51
    Sonstiger inländischer Streubesitz 15,43
    Mitarbeiterbeteiligung 10,30
    Ausländische Investoren
    Ausländische institutionelle Investoren 35,60
    ÖIAG Umtauschanleihe 1) 15,00
    1) Recht auf eine Eigentumsübertragung zu einem späteren Zeitpunkt. Die Stimmrechte der Aktien, welche der Anleihe zu Grunde liegen, werden bis zum endgültigen Umtausch in Aktien von der ÖIAG weiterhin ausgeübt.
    Quelle: voestalpine AG, AK OÖ


    Enormer Privatisierungsverlust

    Dass die Aktie überzeichnet war, was die Privatisierer stolz zu Protokoll gaben und als ihren Erfolg bezeichneten, ist nicht verwunderlich, jedoch entlarvend. Die voestalpine war eben so günstig wie noch nie zu haben, weil sie weit unter ihrem Wert auf den Markt geschmissen wurde. Bekanntlich wurde der ÖIAG-Anteil an der voestalpine um 32,5 Euro je Aktie verkauft, nachdem in den Wochen vor dem Verkauf noch ein Preis von bis zu 37 Euro genannt worden war. Der Buchwert des Unternehmens beträgt jedoch 1786 Millionen Euro, das entspricht einem Kurs von 45,10 Euro je Aktie. Der eigentliche Unternehmenswert kann laut AK Wien auf etwa 2580 Millionen Euro geschätzt werden, was 65,15 Euro pro Aktie entspricht. Dieser Berechnung liegt der in der Praxis durchaus üblichen Schätzwert des fünffachen EBITDA (Betriebserfolg vor Abschreibungen und Amortisation) zugrunde4).

    Der »Erfolg« der Privatisierung bestand also darin, dass man die voestalpine um zwei Drittel ihres Buchwertes oder gar zum halben Unternehmenswert abverkaufen konnte! Diese Ungeheuerlichkeit löst auch noch eine andere offizielle Begründung für den Börsengang in Luft auf: dass privatisiert werden müsse, weil man die Erlöse zur Abdeckung des Budgetdefizits benötige. Die Privatisierung der voestalpine zu ihrem Buchwert hätte dem Staat 618,8 Millionen Euro, zum tatsächlichen Unternehmenswert 893,9 Millionen eingebracht. Tatsächlich machen die Verkaufserlöse bloß 492,2 Millionen aus. Das entspricht einem Privatisierungsverlust zwischen 126,6 und 401,7 Millionen Euro. Nicht vergessen darf man den Entfall der Dividendenzahlungen. Der Regierungsauftrag an die ÖIAG zur Privatisierung entpuppt sich als Auftrag zur Bevorzugung vor allem des ausländischen Privatkapitals zum Schaden des österreichischen Staates und seiner Menschen. Als Ende Juli die Absicht bekannt wurde, die voestalpine an den Magna-Konzern von Frank Stronach zu verkaufen, standen die Zeichen auf Sturm. Die befürchtete Filetierung des Konzerns führte dazu, dass Belegschaftsteile »einen Streik, wie ihn Österreich noch nie erlebt hat«, nicht mehr ausschließen wollten: »Wenn an Magna verkauft wird, dann steht die Voest.« Ein direkter Verkauf an Magna kam aufgrund der empörten Proteste zwar nicht zustande. Trotzdem: »Schlimmer hätte es gar nicht kommen können«, ist Erich Gumplmaier, Landessekretär des ÖGB Oberösterreich, entsetzt, »jetzt ist die Katze aus dem Sack. Die Tür für Spekulanten und Finanzhaie ist sperrangelweit offen.«

    Welche Gefahren mit dem Ausverkauf verbunden sind, liegt auf der Hand: Private Investoren haben in erster Linie die Gewinnentwicklung und nicht die Arbeitsplätze und die regionale Wirtschaft im Sinn. Am Beispiel des Reifenproduzenten Semperit, welcher der deutschen Continental AG gehört, hat man gesehen, welche Interessen ausländische Eigentümer verfolgen. Die Verlegung der Konzernzentrale ins Ausland hat den mit Gewinn produzierenden österreichischen Standort vernichtet. So einer Gefahr ist nun auch die voestalpine AG ausgesetzt. Denn, so Helmut Oberchristl, Zentralbetriebsratsvorsitzender der voestalpine AG: »Verkauft ist verkauft - da haben wir keinen Einfluss mehr auf die Entscheidungen der Aktienbesitzer.«

    Demonstrationen

    Beschäftigte und Belegschaftsvertreter der voestalpine AG sind in den letzten Monaten durch zahlreiche Betriebsversammlungen, Demonstrationen und Flugblattaktionen vehement gegen den Ausverkauf aufgetreten. Neben der voestalpine bezogen sie auch die anderen vom Privatisierungswahn der Regierung betroffenen Bereiche wie Post, Postbus, Telekom, Bahn, Energie, Wasser, Bildung und Gesundheit ein und erhielten dabei sehr viel Unterstützung und Solidarität aus der Bevölkerung. Genannt seien hier nur die einwöchige Mahnwache in Linz, Demonstrationen vor der ÖIAG-Zentrale in Wien oder die Blockade der Linzer Donaubrücken. Letztere Aktion wurde als Zeichen dafür gesetzt, dass die Regierung mit ihrer Politik die Brücken zu den arbeitenden Menschen abgebrochen hat. Höhepunkt bildete aber die Demonstration von 15.000 Personen gegen den Ausverkauf Österreichs in Linz. Die bislang größte Menschenkette Österreichs war sieben Kilometer lang und reichte vom Voest-Werksgelände bis vor den Sitz der Oberösterreichischen Landesregierung.

    Natürlich drängt sich auch eine demokratiepolitische Frage auf: Zählt Unternehmerlobbying mehr als 3,2 Millionen Arbeiter und Angestellte, die ihre Arbeitskraft geben, damit überhaupt die Wirtschaft in Gang gehalten werden kann? Zählt Unternehmerlobbying mehr als 5,8 Millionen Wähler, die laut Umfragen in überwältigendem Ausmaß Privatisierungen und Ausverkauf ablehnen?

    Dabei wäre es so einfach gewesen: »Wer wirklich eine österreichische Lösung will, der soll die Voest-Anteile einfach bei der ÖIAG belassen. Alles andere ist eine Nebelwerfertaktik der Regierung«, so ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch auf der Demonstration gegen den Ausverkauf Österreichs in Linz.

    1) www.voestalpine.at Geschäftsbericht 2002/2003
    2) Zur Schuldenproblematik siehe: W. Leisch: »ÖIAG: Rausverkauf - der letzte Akt?«, in: A&W, Nr. 9/2000, Seite 24
    3) www.oiag.at: ÖIAG-Gesetz 2000; Novelle 2003; Privatisierungsauftrag der Bundesregierung vom 1. 4. 2003
    4) www.oiag.at: ÖIAG-Portfolio


    Arbeit & Wirtschaft - Interview

    A&W-Gespräch mit Helmut Oberchristl

    Kredite bis auf zwei Milliarden abgebaut

    Helmut Oberchristl, Vorsitzender des Konzernbetriebsrates der voestalpine AG, Sprecher der ARGE der ÖIAG-Betriebsräte über die Situation nach der Privatisierung.

    A&W: Was bedeutet die Totalprivatisierung der voestalpine?

    Helmut Oberchristl: Wir waren immer dafür, dass die öffentliche Hand eine Kernaktionärsrolle behält, zumindest aber 25 Prozent und eine Aktie. Das hat sich bewährt. In der Krise sperrten andere zu. Der öffentliche Eigentümer hatte eine langfristige Strategie. So konnte sich die voestalpine Dank des Einsatzes der Beschäftigten, die eine Perspektive hatten, zu einem europäischen Erfolgsbetrieb erster Güte entwickeln.

    A&W: Und jetzt? Den versprochenen neuen heimischen Kernaktionär gibt es nicht. Die neuen Einzelaktionäre sind nicht miteinander verschränkt und können mit ihren Aktien machen, was sie wollen. Der größte Teil der Aktien ist im Ausland. Jetzt gehen wir in eine ungewisse Zukunft.

    Oberchristl: Die Regierung sagt, der Staat sei ein schlechter Unternehmer und führt die Schulden als Beweis an. Das ist nur ein Vorwand für den Ausverkauf. Die ÖIAG-Betriebe haben über Verkäufe und Dividenden die ursprünglichen Kredite aus eigener Kraft bis auf zwei Milliarden Euro abgebaut. Wenn Geld vernichtet wird, dann in anderen Bereichen - zum Beispiel in der Landwirtschaft. Die bekommt von Bund, Ländern und EU in einem Jahr fast soviel an nicht rückzahlbaren Förderungen wie die Restschulden der ÖIAG ausmachen. Und während die vormals verstaatlichten Betriebe blühen, wurden allein zwischen 2000 und 2002 volle 9,6 Milliarden Euro durch Insolvenzen in der Privatwirtschaft vernichtet.

    A&W: Was kann der Betriebsrat noch tun?

    Oberchristl: Wird die Regierung nicht eingebremst, bleibt die voestalpine nicht das letzte Ausverkaufsobjekt. Wir versuchen gemeinsam mit anderen Betroffenen Bewusstsein und Solidarität herzustellen: Nur der Sozialstaat schafft Wohlstand und verhindert Armut.

    A&W: Was würde erreicht?

    Oberchristl: Die Solidarität tausender Menschen hat uns viel Mut gegeben. Ich brauche ja nur an die Menschenkette zu erinnern. Durch die Aufstockung der Mitarbeiterbeteiligung auf 10,3 Prozent haben wir erreicht, dass es wenigstens keine hundertprozentige Übernahme ohne unsere Zustimmung geben kann, denn die Stimmrechte der Mitarbeiteraktien sind in einer Stiftung gebündelt was bleibt ist ein gewaltiger Schaden für Österreich.


    R E S Ü M E E

    Alle Argumente für die »Notwendigkeit« der Voestalpine-Privatisierung erweisen sich bei näherem Hinsehen als windig. Sie hat nur den Interessen des Privatkapitals gedient. Die Hoffnung, das Schicksal des Unternehmens nach der Privatisierung noch beeinflussen zu können, ist eine Illusion.

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    Wilfried Leisch (Freier Journalist in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1188829135748 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Sat, 15 Nov 2003 00:00:00 +0100 1188829135657 Nicht Hemmschuh, sondern Gewissen Herr Bundeskanzler,
    Mitglieder der Bundesregierung,
    Herren Präsidenten des Nationalrats,
    Herr Bürgermeister,
    Herr Präsident des ÖGB,
    meine Damen und Herren!
    Liebe Kolleginnen und Kollegen!

    Sehr gerne habe ich die Einladung angenommen, auch an diesem 15. ÖGB-Bundeskongress wieder teilzunehmen - ist diese Großveranstaltung doch zum einen ein Beweis für die Bedeutung des ÖGB im öffentlichen Leben unseres Landes - und findet sie zum anderen in einer politisch hoch bewegten Zeit statt.

    Als ich heute hierher zu Ihnen gefahren bin, habe ich daran gedacht, wie dieser Stadtteil Wiens in meiner Jugendzeit ausgesehen hat. Da gab es keine Donauinsel als einzigartiges Erholungsgebiet; da gab es keine Platte, unter der eine der wichtigsten Verkehrsadern Wiens, ja übrigens des Donauraumes, hindurchführt. Und wo wir jetzt sind - nämlich im Austria Center neben der UNO-City und in Nähe der modernsten Bürotürme - befanden sich seinerzeit ungepflegte Wiesen, heruntergekommene Kleinwerkstätten, ja sogar auch Mülldeponien. Ich erinnere mich auch, dass nicht weit von hier das traditionsreiche Gemeindebad »Gänsehäufel« liegt - und dass wir es damals als bemerkenswerte urbane Leistung angesehen haben, wie der Stadtteil »Kaisermühlen« errichtet wurde.

    Aufbauarbeit

    Wenn wir uns heute den Kontrast zwischen der dynamischen Donaucity hier - und dem beschaulichen Gänsehäufel dort - bewusst machen, dann wird uns aber auch die ungeheure soziale, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung bewusst, die hinter uns liegt. Keine Stadtregion in Österreich scheint mir so eindrucksvoll ein Symbol für die enormen Veränderungen zu sein wie gerade diese Quadratkilometer rundum. Keine Zone ist auch so dafür geeignet, über die grandiose Aufbauarbeit zweier Generationen Auskunft zu geben: Jener, die 1945 mit ungeheurem Optimismus gemeinschaftlich ans Werk ging, um die Trümmer des Zweiten Weltkriegs wegzuräumen - und jener, die durch Fleiß, Klugheit - sowie den Willen zur Zusammenarbeit - Österreich auf die wirtschaftliche Überholspur gebracht und in das zusammenwachsende Europa geführt hat.

    Deutlich gesagt

    Unvergessen und unverzichtbar war und ist dabei der Beitrag der österreichischen Gewerkschaftsbewegung. Denn diese ist längst auch ein unverzichtbarer Teil unserer modernen Demokratie.

    Wobei ein modernes Land, das seinen Gewerkschaften keinen Handlungsspielraum zubilligt, eines von beiden nicht mehr ist: entweder nicht modern oder keine Demokratie.

    Ich sage das so deutlich, weil manchmal der Eindruck vermittelt wird, die Gewerkschaften wollten ihre Interessen gegen den Willen der Mehrheit der Gesellschaft durchsetzen; oder es wird behauptet, einzelne Arbeitnehmergruppen würden eine Politik auf dem Rücken der so genannten Allgemeinheit betreiben - jedenfalls aber immer zu Lasten der Wirtschaft.

    Damit wird meines Erachtens der Grundgedanke einer modernen Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Arbeitnehmern verkannt. Nein - die Behauptung ist schlicht unzulässig, die so genannte »Öffentlichkeit« würde auf der einen Seite, die Gewerkschaften auf der anderen Seite stehen.

    Ganz im Gegenteil war und ist gerade die überparteiliche Gewerkschaftsbewegung immer ein staatstragendes Element der Zweiten Republik und ein unverzichtbarer Faktor im Zusammenleben der Menschen Österreichs gewesen.

    Das gute Recht des ÖGB

    Das war so und ich meine: Es ist auch heute so.

    So ist es auch das gute Recht des ÖGB, gesellschaftspolitische Vorstellungen jener Lebensbereiche zu entwickeln, die erst auf den zweiten Blick mit der Welt der Arbeit zu tun haben.

    • Oder hängen Fragen der Kindererziehung, der Schul- und Erwachsenenbildung - aber auch der Freizeitgestaltung - nicht mit der Arbeitswelt zusammen?
    • Ist Gesundheits- und Umweltpolitik nicht eng mit der Leistungsfähigkeit und Lebensqualität der arbeitenden Menschen verbunden?
    • Und sollten Pensionssicherung, Generationenvertrag, Lebensarbeitszeit etwa keine zentralen Anliegen für eine moderne Interessenvertretung sein?

    Ich danke Ihnen daher auch für die ÖGB-eigene Zukunftsdiskussion, deren Ergebnisse diesem Kongress vorliegen.

    In den Berichtsbroschüren findet sich ja eine Unzahl von höchst eindrucksvollen und innovativen Vorschlägen, die öffentliche Diskussion verdienen - aber beweisen, wie ernsthaft der Gewerkschaftsbund seine staatspolitische Verantwortung wahrnimmt.

    Ausmaß und Tempo der Veränderungen in unserer Zeit führen in gewisser Hinsicht zu einer nachhaltigen Verunsicherung. Viele Menschen - und hier nicht nur ältere - bekommen mehr und mehr den Eindruck, von den globalen Entwicklungen ausgeschlossen zu sein. Viele fürchten, sich nicht mehr selbst helfen, geschweige denn in den Gang der Dinge irgendwie eingreifen zu können.

    Mit ihren Sorgen wenden sich viele Menschen auch an den Bundespräsidenten. Wobei es vor allem zwei Themen sind, die in der letzten Zeit an mich herangetragen wurden.

    Da ist erstens die Frage der EU-Erweiterung. Werden nicht Arbeitsplätze verloren gehen, wird es nicht zu einer bedrohlichen Wanderungsbewegung kommen - und wie steht es um die Kriminalität im Fall von offenen Grenzen?

    Nun habe ich im Ergebnisbericht Ihres Zukunfts-Arbeitskreises »Erweiterung und Globalisierung« gelesen, dass auch Sie die EU-Erweiterung als eine ganz große historische Chance sehen, um die Spaltung Europas endgültig zu überwinden. Mittel- und langfristig besteht auch kein Zweifel daran, dass gerade Österreich enormen wirtschaftlichen Vorteil aus der Erweiterung ziehen wird. Und es ist richtig, dass Maßnahmen ergriffen werden müssen, um Arbeitslosigkeit und Lohndumping in gewissen Sparten und Regionen Österreichs zu verhindern.

    Ich gehe aber davon aus, dass Regierung und Parlament hier entsprechende gesetzliche Maßnahmen treffen werden und bitte Sie, dass der ÖGB hiezu seine Vorschläge einbringt. Ich rufe Sie aber gleichzeitig auf, mit gestärktem Vertrauen und positivem Elan die einzigartige Chance der Erweiterung zu unterstützen. Geht es doch vor allem darum, dass das Europa der 25 eine große und starke Friedensgemeinschaft ist - und dass wir durch das Hinausschieben der Außengrenzen der EU ganz wesentlich an Sicherheit gewinnen; ebenso wie durch die zu erwartende Wohlstandmehrung bei unseren Nachbarn. Niemals - ich betone: niemals seit dem Frühmittelalter - hat es hierzulande und rund um uns 58 Jahre ununterbrochenen Frieden gegeben. Vielmehr wurde immer das mühsam Geschaffene einer Generation von den anderen zerstört.

    Globalisierung

    Der zweite - vermehrt an mich herangetragene - Fragenbereich betrifft die Sorge vieler, dass die öffentliche Verpflichtung zur Grundversorgung der Menschen an Gewinn, orientierte Unternehmen im In- und Ausland abgegeben wird - das heißt abverkauft werden könnte. Nun ist die so genannte Globalisierung ein weltweiter Prozess, der von einem kleinen Industriestaat allein nur schwer beeinflusst werden kann. Aber das, was man mit Recht »nationalen Schatz« nennen kann, das sollten wir Österreicher gerade in der derzeitigen weltwirtschaftlichen Situation keinesfalls abgeben. Wobei nicht nur das Wasser und andere Naturschätze zu diesem nationalen Schatz gehören. Auch Einrichtungen der Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen im Sozial- und Gesundheitsbereich sowie gewinnbringende Branchen in unserer Wirtschaft dürfen nicht zum Schaden der Bevölkerung abgegeben werden. Bedauerlicherweise werden derzeit im Rahmen der Welthandelsorganisation Vorstellungen für ein allgemeines Abkommen über Handel und Dienstleistungen entwickelt. Und dieses zielt auf die Privatisierung und Liberalisierung sämtlicher öffentlicher Dienstleistungen ab.

    Privatisierung

    Tatsächlich sind aber die bisherigen Beispiele aus dem Ausland alles andere als ermutigend. Ich warne daher eindringlich davor, Vermögenswerte und Einrichtungen, die unsere Vorfahren mühsam geschaffen haben, aufzugeben - weil wir sie damit jenen entziehen, die darauf angewiesen sind. Und weil wir auch für die Zukunft außer Streit stellen sollten, dass die wirtschaftspolitischen Leitmotive Österreichs auf eine Vermehrung - und nicht Verringerung - von Volksvermögen gerichtet sind.

    Dass der ÖGB in diesem und anderem Zusammenhang als Mahner auftritt, verstehe ich als Sorge um das Land und seine Menschen; und ich habe großen Respekt vor dieser Einstellung. Ich sehe nicht, dass es irgendwo eine »Lust am Verhindern« gibt. Die Gewerkschaftsbewegung ist nicht der Hemmschuh einer modernen Wirtschafts- und Sozialpolitik, sie ist deren Gewissen.

    Denn weder über die Köpfe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hinweg, noch gegen ihren Willen, kann eine nachhaltige Entwicklung zum Wohle unseres Landes stattfinden.

    Seit dem ersten Bundeskongress des ÖGB vor nunmehr 55 Jahren haben Sie, der Österreichische Gewerkschaftsbund, unser Land wesentlich mitgestaltet: einmal mehr im Rampenlicht, ein andermal eher im Hintergrund. Immer aber wussten die Österreicherinnen und Österreicher, dass eine große Organisation in unserem Staat - neben der Gerichtsbarkeit und einer wachsamen öffentlichen Meinung - Kontrolle bewirkt. Kontrolle ist dabei nicht etwas, was auf Misstrauen gründen muss. Kontrolle ist ein Regulativ, das sicherstellen möchte, dass alle Bemühungen und Anstrengungen auch zu einem guten Ende gebracht werden.

    Sozialpartnerschaft

    Insofern sehe ich auch in der bewährten österreichischen Sozialpartnerschaft weder eine Neben- oder gar Gegenregierung noch ein politisches Auslaufmodell. Sie wissen, dass ich mich immer für diese so erfolgreiche Einrichtung ausgesprochen habe.

    Es entspricht durchaus dem Geist unserer Zeit, dass auf allen Ebenen der Gesellschaft möglichst effektiv zusammengearbeitet wird. Sozialpartner sind daher für mich nicht nur füreinander Partner, sondern auch Partner der Regierung. Das anzuerkennen bedeutet, einander zu stärken, nicht zu behindern. Und das ist eine wichtige und sicherlich lohnende Aufgabe - auch der kommenden Jahre.

    So danke ich Herrn Präsidenten Fritz Verzetnitsch und seinem Team für die lange erfolgreiche Tätigkeit im ÖGB - und wünsche allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern am 15. Bundeskongress des ÖGB erfolgreiche Beratungen.

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    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1188829132105 Ungarn | Undankbare Aufgabe für Gewerkschaft Sie gaben ihrer auch für ungarische Verhältnises soliden Forderung - eine Nettogehaltserhöhung von 12.000 Forint (48 Euro) - mit einem Sitzstreik vor dem Parlament Nachdruck.

    Der Protest der Beamten in Uniform ist nur ein, wenn auch schillernder Farbfleck auf dem ungarischen Arbeitsmarkt. Das Hauptproblem der Arbeitnehmer ist neben dem schnellen Wandel der Wirtschaft der häufige Regierungswechsel. Seit dem Ende des Kommunismus wählen die Ungarn, aus welchen Gründen auch immer, jedes Mal eine neue Regierung. Sie geben ihre Stimme stets den jeweiligen Oppositionsparteien. Daher kann keine Regierung nachhaltige Reformschritte setzen. Diese Aufgabe, soweit sie die Interessen der Arbeitnehmer, aber darüber hinaus auch die Probleme der allgemeinen Sozialpolitik betrifft, bleibt den Gewerkschaften übrig.

    Kritik vom IBFG

    Die Gewerkschaften haben in Ungarn keine leichte Position. Mangels einer demokratischen Tradition - in den KP-Zeiten durften sie nur leere Worthülsen von sich geben - atomisierten sich die Gewerkschaften, fanden sich in mehreren kleineren und nur wenigen größeren »Föderationen« zusammen. Da sie selten mit einer Stimme sprechen, werden sie von der Arbeitgeberseite nicht immer ernst genommen.

    Diesen Mangel an gewerkschaftlichem Einfluss kritisierte kürzlich der Bund Freier Gewerkschaften (IBFG). Er stellte fest, dass nicht wenige Arbeitgeber ihre Lohn- und Gehaltsabschlüsse außerhalb der Kollektivverträge anbieten. Auch die Tätigkeit gewählter Betriebsräte und Personalvertreter im öffentlichen Dienst wird von den Unternehmen oft behindert.

    Selbst Direktoren der ungarischen Bundesbahnen (MÁV) bemühen sich, Personalvertreter nicht zuzulassen. Die gröbsten Verstöße gegen das Arbeitsgesetz stellten die IBFG-Experten bei den ungarischen Niederlassungen von ausländischen Firmen fest. In diesen Unternehmen werden bei Kündigungen die einschlägigen Bestimmungen selten befolgt und auch das Arbeitszeitgesetz kommt kaum zur Anwendung.

    Auszug aus Ungarn

    Obwohl viele ausländische Unternehmen leichtes Spiel mit den gewerkschaftlichen und Arbeitnehmerschutzbestimmungen haben, drohen nicht wenige multinationale Firmen mit einem Auszug aus Ungarn. Vor allem Großinvestoren der Textil-, aber auch der Stahl- und Elektroindustrie denken daran, ihre Betriebe »gen Osten«, wo es noch billigere Arbeitskräfte gibt, auszulagern.

    Die ersten Großunternehmen haben Ungarn bereits verlassen. In der Folge stieg die Arbeitslosigkeit, im vergangenen Winter erreichte sie die gefürchtete Sieben-Prozent-Marke. Jeder fünfte Arbeitslose ist unter 25 Jahre alt.

    Um dem drohenden Auszug der ausländischen Unternehmen aus Ungarn entgegenzuwirken, wollte im Frühjahr der damalige Arbeitsminister Péter Kiss die Tele- und Heimarbeitsplätze besonders fördern. Hinter dieser Idee steht die gefürchtete Zahl von 400.000 Arbeitslosen. Während das Statistische Zentralamt von rund 270.000 Arbeitslosen spricht, wächst die Zahl der Menschen ohne geregelte Arbeit rapid. Ausdruck der statistischen Schönfärberei ist die Tatsache, dass Ungarns Statistiker Arbeitnehmer, die nur eine bezahlte Stunde in der Woche arbeiten, nicht als Arbeitslose führen.

    Bei einer Gesamtbevölkerung von zehn Millionen gibt es knapp unter vier Millionen Beschäftigte. Seit einigen Jahren unterliegt auch der ungarische Arbeitsmarkt größeren Schwankungen. Wer den wachsenden Anforderungen nicht entspricht, der bleibt unweigerlich auf der Strecke und wird arbeitslos - unabhängig vom Alter. Auch die jetzige sozial-liberale Regierung ist - vor allem um die EU-Eintrittskarte nicht zu verlieren - kaum in der Lage, grundlegende sozialökonomische Maßnahmen zu setzen. Diese Aufgabe bleibt den Gewerkschaften, die allerdings immer noch um ihr einheitliches Bild kämpfen. Aber Kampfpositionen sind auch für ungarische Gewerkschaften nichts Unbekanntes.

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    P. Stiegnitz, Budapest http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1188829132037 Nachmittagsbetreuung: 100.000 Plätze nötig »Ministerin Gehrer kündigt im Aktionsplan für Bildung, Ausbildung und für die Jugend zwar vollmundig den Ausbau der Nachmittagsbetreuung an, die von ihr angebotenen 10.000 Plätze bis zum Jahr 2006 entsprechen aber keineswegs dem von den Eltern angegebenen Bedarf«, zieht AK-Präsident Herbert Tumpel die Folgerungen aus einer von der AK in Auftrag gegebenen Studie. Demnach geben nämlich 55 Prozent der Eltern mit einem Kind im Pflichtschulalter an, dass sie sich eine ganztägige Schulform für ihr Kind wünschen. Derzeit gibt es aber nur für knapp sechs Prozent aller Kinder im Alter zwischen sechs und 14 Jahren ein ganztägiges Betreuungsangebot.

    Die AK begrüßt, dass sich die vom Bildungsministerium eingesetzte Zukunftskommission für einen gesetzlichen Anspruch der Eltern auf einen Nachmittagsbetreuungsplatz für ihre Kinder ausspricht. Damit wird endlich eine langjährige Forderung der AK aufgegriffen. Allerdings müssen der Erkenntnis Taten folgen: Denn um dem erhobenen Bedarf gerecht zu werden, müssen laut Berechnungen der AK in den nächsten zehn Jahren die Ganztagsbetreuungsplätze auf 100.000 aufgestockt werden. Da die Nachfrage vor allem in größeren Städten herrscht, fordert die AK, solche Schulen schwerpunktmäßig in den Bezirkshauptstädten einzurichten.

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    W. L. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1188829131966 Arbeit& Wirtschaft - Leserforum Beeindruckender Lernprozess

    Liebe Arbeit&Wirtschaft!
    Ich muss Euch gestehen, dass mich die Titelgeschichte im Novemberheft überaus gefreut hat. Es ist nämlich wirklich nicht so, dass mir unser Bundespräsident Klestil von Anfang an sympathisch gewesen wäre.

    Ich hatte auch am Anfang nicht das Gefühl, dass er gerade meine Anliegen als arbeitender Mensch besonders vertreten hätte. Aber wie dieser Bundespräsident offenbar seine Lernprozesse absolviert hat, das ist schon wirklich beeindruckend. Man hat manchmal das Gefühl er ist in diesem schrecklich schwierigen Amt ein anderer Mensch geworden. Und Hand aufs Herz, genau jetzt ist ja auch die Situation in der es auf das ankommt, was er offensichtlich immer besser verstanden hat.

    Ich habe das Gefühl, er ist wirklich zu einem Bundespräsidenten für alle Österreicher herangewachsen, damit meine ich nicht die »Großkopferten« sondern uns, die Masse derer, denen es jetzt an die Substanz geht. Schade nur, dass er jetzt abtreten muss, aber ich bin guten Vertrauens, dass er einen sehr guten Nachfolger haben wird (ohne Binnen-I) woraus ihr sehen könnt, wen ich im Auge habe. Als alter Arbeiter brauche ich ja aus meinem Herzen keine Mördergrube zu machen.

    Oswald Huber
    Wien 16

    In einem Aufwaschen

    Sehr geehrte Redaktion!
    Ich gestehe Euch, dass ich vom Ausgang des Eisenbahnerstreiks zunächst etwas enttäuscht war. Oder sagen wir lieber stark enttäuscht. Eine so mächtige Kampfmassnahme, Stillstand der wichtigsten Infrastruktur des Landes - »nur«, um den Eingriff in die Dienstverträge zu verhindern? Natürlich war das ein legitimer Streikgrund. Aber wäre die geplante Strukturreform der ÖBB etwa eine kleinere Katastrophe? Konnte die nicht gleich auch in einem Aufwaschen verhindert werden? Das dachte ich mir.

    Natürlich verstehe ich, warum sich der ÖGB peinlich genau an seine klassische Aufgabe gehalten hat. Enttäuschung blieb aber doch. Jetzt heißt es aber plötzlich, dass offiziell der Verzicht auf die spätere Privatisierung ausgesprochen wurde. Damit ist freilich viel erreicht, sogar das wichtigste. Nur zu leicht hätte die sogenannte Strukturreform, die Zerschlagung der ÖBB in neun Gesellschaften, Vorstufe der Privatisierung werden können. Oder sollen. Damit kann man heute schon zufrieden sein.

    Beste Grüße
    Anton Schmid
    Wien 23

    Anmerkung der Redaktion:

    Lieber Kollege Schmid!
    Die Anwort auf deine Fragen findest du auf in diesem Heft auf Seite 18.
    Dort steht ein Interview mit Norbert Bacher, dem geschäftsführenden Zentralsekretär der Gewerkschaft der Eisenbahner.

    Appetit und unbezahlbar

    Als nicht freigestellter Betriebsrat bekomme ich eine Reihe gewerkschaftlicher Zusendungen.

    Oft fehlt die Zeit, die Sachen zu lesen, man überfliegt sie und archiviert sie, bestenfalls werden interessante Artikel gekennzeichnet.

    Heute räume ich wieder einmal meinen Schreibtisch auf und stoße auf A&W Nr. 10 und blättere sie durch, bevor sie in den Kasten kommt.

    Ich sehe das Foto von Karl Marx’ Grab (ein guter »Eye-Catcher«), das ich selbst 1988 besucht habe, und stelle fest, dass der von mir geschätzte Hugo Pepper einen Artikel über »Marx lesen« verfasst hat.

    Noch zu DDR-Zeiten habe ich mir die Marx-Engels-Werke zugelegt, aber wie oftreingeschaut?

    Na jedenfalls, der Artikel von Kollege Pepper macht (wieder) Appetit und wird vielleicht die eine oder den anderen dazu bringen, (wieder) Marx und Engels zur Hand zu nehmen und das ist gut so.

    Artikel wie dieser sind unbezahlbar!

    Macht weiter so!
    Gerald Netzl
    BRV, 1080 Wien

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    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1188829131884 Mehr, mehr, und noch viel mehr ... Ein Standpunkt sollte nicht nur das sein, worauf man ständig stehen bleibt. Andrerseits tritt man anderen nie so auf die Füße, wie wenn man den eigenen Standpunkt vertritt.

    Ist eine eigene Meinung heutzutage ein Luxus?

    Eine Gesinnung ist noch mehr. Sie ist eine Haltung, die jemand einem anderen oder einer Sache gegenüber grundsätzlich einnimmt, also die geistige und sittliche Grundeinstellung eines Menschen.

    In unserer Gesellschaft ist das heutzutage eher verpönt. Wenn es um Werte geht, dann werden diese Werte in Dollar und Cent oder in Euro und Cent gemessen.

    Scrootch McDuck

    Das heutige Ideal: eine Comic-Figur wie Dagobert Duck, der im Geld schwimmt. Wenn man ihm - sein eigentlicher amerikanischer Name ist Scrootch McDuck - also wenn man diesem Ententier in die Augen schaut, sieht man dort das Dollarzeichen funkeln.

    Ausspruch eines Börsengurus: »Wenn’s um Geld geht, gibt’s nur ein Schlagwort: ,Mehr!’«

    Was ist heute die größte Sünde? Nicht profitabel zu sein. Das Einzige, was zählt, sind Kosten und Nutzen und das Kalkül darüber, und wer dem nicht entspricht, der findet sich in einer Statistik wieder, als einer von jenen, die bereits abgeschrieben sind.

    Ich höre jetzt dich, lieber Leser, in deinen imaginären Bart murmeln: Ja, natürlich gibt es noch andere Werte als das liebe Geld. Aber ohne Geld? Da gibt’s bekanntlich nicht einmal eine »Musi«.

    Ja, sie haben recht, die das sagen. Sogar bei den Grundwerten unserer Demokratie geht es ums Geld, denn die Vielen haben die Stimme und die Wenigen das Geld.

    »Der Neoliberalismus sucht die Problemlösung darin, die Kontrolle über die Ressourcen und deren Zweckwidmung den Marktmechanismen zu überlassen, wo eben nicht nach Köpfen, sondern nach Zahlungsfähigkeit abgestimmt wird.

    Der moderne Staat hat aus sozialpolitischen Gründen die direkte Befriedigung diverser Grundbedürfnisse übernommen und setzt Ressourcen für Zwecke ein, die grob als Ver- und Entsorgung bezeichnet werden können. Dadurch werden den mit einer abnehmenden Grenzergiebigkeit von Investitionen konfrontierten Anlegern potenzielle Märkte vorenthalten, die infolge der unelastischen Nachfrage hoch rentabel sein können.

    Die ganz große Gemeinheit

    Privatisiert wird nicht, um auf eine Ressource zugreifen zu können, sondern um einen sicheren Gewinn erzielen zu können, um eine nicht genützte Profitchance zu aktivieren.«

    Das alles können sie aber genauer nachlesen in dem Aufsatz von Erwin Weissel »Wer profitiert von der neoliberalen Wirtschaftsideologie« in der Zeitschrift WISO des Instituts für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (Schwerpunktausgabe »Chancen für alle oder Reichtum für wenige«).

    Das Motto für den erwähnten Beitrag ist übrigens ein Zitat von Robert Musil, aus dem »Mann ohne Eigenschaften«:

    »Die ganz große Gemeinheit entsteht heutzutage nicht dadurch, dass man sie tut, sondern dadurch, dass man sie gewähren lässt. Sie wächst ins Leere.«

    Sehen Sie, liebe Leserin, und dort, wo diese Leere sich auftut, da müsste man ihr etwas entgegenstellen. Und da meine ich, das sollte eine Gesinnung sein, eine Gesinnung, die dafür eintritt, dass wir gemeinsam gewissen Tendenzen in unserer Gesellschaft entgegentreten.

    Nicht halbherzig, sondern entschieden.

    Den Angriffen auf unsere Lebens- und Arbeitsbedingungen muss entschiedener Widerstand entgegengesetzt und dem Ausverkauf öffentlicher Güter Einhalt geboten werden.

    Den arbeitenden Menschen gebührt ein gerechter Anteil am gesellschaftlichen Reichtum. Die einfachen Hackler haben eine vierzigprozentige Abgabenquote und die Reichen und Superreichen zahlen - nichts. Steuerflucht oder Steuervermeidung für die die da oben - wir Fußvolk von unten zahlen uns dumm und dämlich. Fairness bei der Verteilung der Lasten des Staates ist dringend gefordert.

    Diesen Standpunkt nehme nicht nur ich ein, sondern da habe ich viele Gesinnungsgenossen.

    Siegfried Sorz

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    Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1188829131749 Sozialstaat am Scheideweg Anfang Oktober dieses Jahres stellte der dänische Sozialwissenschaftler Gösta Esping-Andersen bei einem Referat im Renner-Institut folgende These auf: Das skandinavische Beispiel zeige, dass ein qualitätsvolles, flächendeckendes Angebot an Kinderbetreuungseinrichtungen ab dem zweiten Lebensjahr mehrere positive Auswirkungen habe. Zum einen werde dadurch die Frauenerwerbstätigkeit gesteigert, zum zweiten Kinderarmut und die Vererbung von Armut reduziert und schließlich werde die Bildungsperformance deutlich erhöht.

    Dies erscheint als wichtiger Ausgangspunkt für die Frage nach der Weichenstellung. Daher soll zunächst diese These überprüft werden, um dann die wesentlichsten Unterschiede zwischen dem skandinavischen und dem angelsächsischen Modell darzulegen und einige Schlussfolgerungen für Österreich zu ziehen.

    Betrachten wir zunächst einmal die Kinderbetreuungseinrichtungen im internationalen Vergleich (Tabelle 1: Vorschulische Betreuung).

    Vorschulische Betreuung
    In Kinderbetreuungseinrichtungen Dauer des Elternurlaubs
    0 bis 3 Jahre 3 bis 6 Jahre (Tage)
    Schweden 48,00% 80,00% 85
    Dänemark 64,00% 91,00% 82
    Österreich 4,00% 68,00% 112
    Deutschland 8,00% 40,00% 162
    Großbritannien 34,00% 60,00% 44
    USA 54,00% 70,00% 12
    Österreich und Deutschland liegen bei der Betreuung der Kleinkinder weit zurück

    Die Familienpolitik ist sehr unterschiedlich gestaltet. Schaut man sich zunächst an, wie viele Kinder in Kinderbetreuungseinrichtungen sind, so sieht man, dass die Werte für Österreich und Deutschland im Kleinkinderbereich weit hinter den anderen Staaten zurückliegen, auch, wenn man die anderen europäischen Staaten betrachtet. Lediglich die Mittelmeerländer haben ähnlich niedrige Einschreibungsraten.

    Die Kinder zwischen drei Jahren und Schuleintritt sind hingegen in weitaus höherem Ausmaß bereits in Kinderbetreuungseinrichtungen. Die skandinavischen Länder haben von Anbeginn an höhere Raten, ebenso die angelsächsischen Länder.
    Interessant ist jedoch, dass in Großbritannien und den USA zwar wesentlich kürzere Elternurlaube vorgesehen sind, dass aber dennoch weniger Kinder zwischen null und drei Jahren als in Skandinavien Kinderbetreuungseinrichtungen besuchen. Dies liegt an den Kosten. Da sie vielfach nicht öffentlich subventioniert werden, können es sich viele Familien nicht leisten, ihre Kinder dort unterzubringen. Das Problem, Beruf und Familie zu vereinbaren, wird damit vollkommen ins Private delegiert. Skandinavien zeichnet sich also durch eine breite öffentliche und daher leistbare Kinderbetreuung ab frühem Alter aus, während andere Länder entweder die private Kinderbetreuung mit Geldleistungen unterstützen (Deutschland und Österreich) oder die Familien völlig im Regen stehen lassen (USA).

    Wie wirkt sich dies nun auf die Frauenerwerbstätigkeit aus? Tabelle 2 (Frauenerwerbsquote) zeigt, wie sich die Frauenerwerbsquote nach Zahl der Kinder unterscheidet. Die skandinavischen Länder haben durchgehend höhere Frauenerwerbsquoten als die Vergleichsländer. Außerdem wirkt sich die Zahl der Kinder, wenn überhaupt, so wesentlich geringer aus als in Österreich und Deutschland, aber auch in Großbritannien und den USA.

    Frauenerwerbsquote
    Ein Kind Zwei und mehr Kinder Einkommensdifferenz
    Schweden 80,60% 81,80% 90%
    Dänemark 88,10% 77,20% 93%
    Österreich 75,60% 65,70% 80%
    Deutschland 70,40% 56,30% 83%
    Großbritannien 72,90% 62,30% 85%
    USA 75,60% 64,70% 79%
    Früher wieder zur Arbeit heißt höhere Einkommen

    Höhere Fraueneinkommen

    Diese höhere Präsenz und die besseren Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt wirken sich natürlich auch auf die Fraueneinkommen aus. Die rechte Spalte von Tabelle 2 zeigt das durchschnittliche Frauen-Vollzeiteinkommen im Vergleich zum durchschnittlichen Männer-Vollzeiteinkommen. In allen Ländern gibt es eine Differenz, nirgendwo ist sie aber so groß wie in den USA, gefolgt von Großbritannien, Österreich und Deutschland. Dies bedeutet aber auch, dass die besseren Erwerbsmöglichkeiten der Frauen auch massive Auswirkungen auf deren materielle Situation und damit auch der Familien hat. Womit wir bei der Frage der Armutsbekämpfung sind.

    Armut
    Armutsquoten Kinderarmut Armutspersistenz
    Schweden 6,40% 3,00% 1,10%
    Dänemark 5,00% 7,00% n.a.
    Österreich 7,40% n.a n.a.
    Deutschland 9,40% 11,00% 1,80%
    Großbritannien 10,90% 18,00% 6,10%
    USA 17,00% 22,00% 4,60%
    Armut ist ein angelsächsisches Phänomen

    Tabelle 3 (Armut) zeigt eindeutig, dass Armut ein angelsächsisches und insbesondere ein US-amerikanisches Phänomen ist. Der »konservative« Sozialstaat Deutschlands und Österreichs sowie noch mehr das skandinavische Modell sind tendenziell armutsverhindernd. Erschreckend ist vor allem die Kinderarmut in den USA: Obwohl sie eines der reichsten Länder der Welt sind, führt die hohe Einkommensungleichheit zu enorm hohen Kinderarmutsraten. Viele Autoren kommen zu dem einhelligen Schluss, dass dies an der mangelnden öffentlichen Unterstützung von Kinderbetreuungsangeboten liege, gleichzeitig gebe es zu wenig Unterstützung des Mutterschutzes, so dass Frauen mit kleinen Kindern aus der Erwerbstätigkeit hinausgedrängt und damit einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt werden.

    Bildungsweltmeister Finnland

    Die Bildungsperformance stellt den dritten Teil der Esping-Andersenschen These dar. Wenngleich es methodische Kritik gibt, bietet doch die PISA-Studie eine der besten Möglichkeiten des internationalen Vergleichs. In ihr wurden schulische Kompetenzen von 15-jährigen Schülern und Schülerinnen getestet. Tabelle 4 (Bildungsperformance) zeigt die Ergebnisse.

    Bildungsperformance
    ...% erreichen Tertiärabschluss
    Lesekompetenz (PISA) Männer Frauen Öffentl. Ausgaben für Bildung
    Schweden 516 30,00% 34,00% 8,30%
    Dänemark 497 24,00% 29,00% 8,10%
    Österreich 507 17,00% 11,00% 5,40%
    Deutschland 484 28,00% 18,00% 4,80%
    Großbritannien 523 27,00% 25,00% 5,30%
    USA 504 37,00% 37,00% 5,40%
    Mehr Bildung brächte auch unseren Frauen mehr Wohlstand

    Die skandinavischen Länder schneiden auch hier recht gut ab. Den besten Wert erreichte Finnland mit 546 Punkten, Norwegen hatte 505 Punkte, Dänemark ist ein Ausreißer nach unten. Österreich liegt mit 507 Punkten über dem OECD-Durchschnitt (500 Punkte), Deutschland liegt weit darunter, was dort zu massiven politischen Debatten geführt hat. Die angelsächsischen Länder mit einer starken Bildungstradition haben hingegen sehr gute Werte. Betrachtet man, wieviel Prozent einer Bevölkerungsgruppe einen Tertiärabschluss erreichen (also Universität oder Ähnliches), so liegen Österreich und Deutschland weit zurück, insbesondere, was die Frauen betrifft.

    Staat schlägt Markt

    Und schließlich sieht man noch, dass die skandinavischen Länder einen wesentlich höheren Anteil ihres BIPs in Bildung investieren als die anderen Länder. Esping-Andersen kann also auch hier recht gegeben werden: Die skandinavischen Länder können in ihrer Bildungsperformance es durchaus mit den traditionell bildungsstarken angelsächsischen Ländern aufnehmen.

    Die Esping-Andersensche These scheint insgesamt somit bestätigt. Sie weist auf die wesentlichen Unterschiede zwischen dem skandinavischen und dem angelsächsischen Modell hin. Beide sind in einem wesentlich stärkeren Ausmaß als Österreich und Deutschland auf Bildung und damit auf zukunftsorientierte Sozialausgaben ausgerichtet. Bildung und Sozialstaat sind dabei in Skandinavien öffentliche bzw. staatliche Aufgaben. In den angelsächsischen Ländern agieren sie wesentlich marktnäher. Dies führt dazu, dass es zwar nicht sehr bedeutende Unterschiede in der materiellen Situation der Mittelschicht gibt, dass aber die wesentlichen Unterschiede an den Rändern zu finden sind (siehe Tabelle 5: Einkommensverteilung).

    Einkommensverteilung
    Einkommensanteil der untersten 10% Einkommensanteil der obersten 10% Reichste 10% zu ärmste 10% Gini-Koeffizient
    Schweden 3,70% 20,10% 5,4 mal 25,0
    Dänemark 3,60% 20,50% 5,7 mal 24,7
    Österreich 4,40% 19,30% 4,4 mal 23,1
    Deutschland 3,30% 23,70% 7,1 mal 30,0
    Großbritannien 2,60% 27,30% 10,4 mal 36,1
    USA 1,80% 30,50% 16,6 mal 40,8

    Ein Maß für die Ausgeglichenheit der Einkommensverteilung zu messen, ist der so genannte Gini-Koeffizient: Je niedriger er ist, umso ausgeglichener ist die Verteilung. In der rechten Spalte der Tabelle sind seine Werte ausgewiesen. Und Sofort sieht man: Die Einkommen sind in den angelsächsischen Länder wesentlich ungleicher verteilt sind als in den skandinavischen Ländern. In diesem Vergleich hat Österreich (heute noch) eine sehr gute Position. Dies gilt auch, wenn man beachtet, welchen Anteil am Gesamteinkommen die untersten zehn Prozent erhalten und wie viel die obersten.

    Während in Skandinavien, Deutschland und Österreich etwa ein Fünftel der Einkommen den obersten zehn Prozent zufließen, sind es in den USA über 30 Prozent. Anders gesagt: In Skandinavien verdienen die reichsten zehn Prozent fünf mal soviel wie die ärmsten zehn Prozent, in den USA fast 17-mal so viel.

    Sozialstaat schafft Freiheit

    In den angelsächsischen Ländern und insbesondere in den USA wird der Sozialstaat als Hemmschuh gesehen: Es gibt noch immer den Traum »Vom Tellerwäscher zum Millionär«, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied, und so fort. Daher wird dort eine gewisse Beweglichkeit in der Einkommenssituation durchaus begrüßt. Im Gegensatz dazu wirkt in Europa noch immer die in den 1970ern formulierte Beschreibung des Sozialstaates durch den Gesellschaftstheoretiker Richard Titmuss nach: Der Sozialstaat erhöhe die Freiheit des Einzelnen, denn er sichere einerseits gegen unwägbare Lebensrisiken ab, ermögliche aber andererseits auch Altruismus und Großzügigkeit gegenüber Fremden.

    Die Meinungsumfragen zeigen auch stets: Die europäische Bevölkerung befürwortet nach wie vor einen starken Sozialstaat. Damit ist aber auch bereits die Antwort auf die eingangs gestellte Frage gegeben: Wenn die Einkommensverteilung nicht noch viel stärker auseinander gehen soll, wenn alle Gruppen einen gleich berechtigten Zugang zu Wohlstand und Sozialleistungen haben sollen, dann kann der Weg nur in Richtung skandinavisches Modell gehen. Noch steht Österreich im internationalen Vergleich ganz gut da, die Sozial-Investitionen in die Zukunft und insbesondere für Frauen müssen aber verstärkt werden.

    Kein »Frauenanliegen«

    Selbstverständlich ist so ein Umbau nicht von heute auf morgen machbar. Außerdem müssen unterschiedliche Traditionen und Mentalitäten berücksichtigt werden. Es wäre schlicht und einfach unmöglich, einer Gesellschaft, die ihre Wurzeln in Katholizismus, Föderalismus und Obrigkeitshörigkeit hat, ein System aufzupropfen, das auf Puritanismus, Zentralismus und Emanzipationsdenken beruht. Der Versuch, teilweise Modelle und Instrumente zum Teil zu übernehmen, wäre aber dringend notwendig.

    Damit sind Reformen vor allem in zwei Bereichen gefragt, die zusammenhängen: in der Familien- und in der Bildungspolitik.

    Wie die Analyse gezeigt hat, ist eine Ganztagesbetreuung von Kindern nicht vordergründig ein frauenpolitisches Anliegen (das gerne mit dem Vorurteil des »Abschiebens der Kinder« abqualifiziert wird), sondern vor allem ein bildungspolitisches Instrument. Die demografischen Herausforderungen der Zukunft werden leichter zu bewältigen sein, wenn die Masse der Beschäftigten gut qualifiziert ist. Breit angelegte vorschulische Erziehung und Förderung gehören ebenso dazu wie Ganztagsschulen.

    Die familienpolitischen Leistungen müssen auch in diese Richtung unterstützend umgebaut werden. Leistbare öffentliche Kinderbetreuung statt Geldleistungen, die Mütter wie Kinder zu Hause halten. Und es müssen auch Tabus diskutiert werden. Ein Schwerpunkt auf der frühkindlichen und Pflichtschulbildung wirkt stärker sozial ausgleichend (sowohl was die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund betrifft als auch die Förderung bildungsferner Schichten) als der viel zu späte Ansatz des vorgeblich freien Hochschulzugangs.

    Früher wieder arbeiten?

    Die Unterstützung der Universitäten und die Förderung der Studierenden sind wichtig, sollten aber nicht Teil der Familienpolitik sein. Ebenso wird aber auch zu diskutieren sein, ob Leistungen wie das Kinderbetreuungsgeld nicht zeitlich gekürzt werden sollten und die Anstrengungen viel stärker in Richtung rascher Reintegration von Frauen in den Arbeitsmarkt gehen sollen. Dafür bedarf es aber auch massiver Überzeugungsarbeit bei allen Betroffenen.

    Diese Überlegungen sind selbstverständlich noch keine fertigen politischen Positionen und sollten nur als persönliche Meinung der Autorin verstanden werden. Ohne Mut und visionäre Kraft wird es aber niemals gelingen, den Sozialstaat nachhaltig umzubauen. Die vergangenen Jahre haben deutlich gezeigt, dass Zuwarten und die Befürchtung, Bevölkerungsgruppen zu verschrecken, im Endeffekt nur zum Abbau des Sozialstaates führen.


    R E S Ü M E E

    Der Sozialstaat, wie wir ihn kannten, stößt an seine Grenzen. Er wird sich künftig an skandinavischen oder angelsächsischen Vorbildern ausrichten. Überzeugende Erfahrungen belegen die Überlegenheit des skandinavischen Modells. Kinderbetreuungseinrichtungen, zu denen alle und nicht nur die »Besserverdienenden« Zugang haben, sowie Investitionen in die Bildung verbessern nicht nur die Situation der Familien, verringern die Armut und führen zu mehr sozialer Gerechtigkeit.

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    Agnes Streissler (Mitarbeiterin in der Abteilung Wirtschaftswissenschaften der AK Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1188829131657 Zum Wahlerfolg mit Open Space Im nächsten Jahr finden in ganz Österreich Wahlen zur Vollversammlung der Arbeiterkammern statt. Dabei geht es um viel mehr als um die 840 Mandate der Kammerräte oder um die ebenfalls zur Wahl stehenden neun AK-Präsidenten. Es geht darum, welches Gewicht die Stimme der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich in Zukunft haben soll und wie deutlich sie ihre Interessen gegenüber der Regierung, den Arbeitgebern und in der Gesellschaft insgesamt zum Ausdruck bringen.

    Die Wahlbüros haben die AK-Wahl so zu organisieren, dass möglichst alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Stimme abgeben können, dass ihnen die Stimmabgabe so einfach wie möglich gemacht wird und dass ein faires und korrektes Wahlverfahren sichergestellt ist. Bei fast 1,2 Millionen Wahlberechtigten und vielen tausend Wahlsprengeln keine einfache Aufgabe. Die Wahlvorbereitung dauert denn auch rund zehn Monate.

    Das Wahlbüro der AK Wien hat bereits im August seine Arbeit aufgenommen. Die Arbeiterkammern sind Teil der Gewerkschaftsbewegung, eine AK-Wahl kann daher nur in enger Zusammenarbeit von Betriebsräten, Gewerkschaften und AK erfolgreich vorbereitet und durchgeführt werden. Sie fordert von allen an der Vorbereitung und Durchführung Beteiligten vollen Einsatz, gewerkschaftliche Überzeugung und Begeisterungsfähigkeit für die gemeinsame Sache.

    Die Vorbereitung der AK-Wahlen ist als Projekt organisiert. Das heißt, eine Gruppe von Kollegen aus den verschiedensten Arbeitsbereichen, mit den verschiedensten Fähigkeiten und unterschiedlichen Vorkenntnissen kommt für einen begrenzten Zeitraum zusammen, um ein konkretes Ergebnis zu erreichen. Dieses Potential kann nur nutzbar gemacht werden, wenn aus einem Haufen netter Kollegen in kurzer Zeit ein perfekt funktionierendes Hochleistungsteam wird. Team steht dabei nicht für »Toll, Ein Anderer Macht’s«, sondern für eine Gruppe von Menschen, die gemeinsame Verantwortung für ein gemeinsames Ziel übernehmen und ihre unterschiedlichen Fähigkeiten und Kenntnisse dafür einsetzen.

    Aus einer solchen Gruppe in wenigen Tagen ein Team zu machen, ist nicht einfach. Wir hatten von einer Methode zur gemeinsamen Planung komplexer Aufgaben durch große Gruppen gehört, die schon oft erfolgreich eingesetzt wurde: Open Space.

    Was Open Space ist

    Open Space wurde Mitte der Achzigerjahres von Harrison Owen als innovative Konferenz- und Besprechungstechnik entwickelt und ist in seiner klassischen Form ein zweieinhalbtägiges Verfahren zur Strukturierung von Konferenzen und Beschleunigung von Klärungs- und Veränderungsprozessen. Open Space funktioniert mit 10 bis 2000 Personen, die Anwendungen sind vielfältig. Der Begriff »Open Space« ist unübersetzbar. Selbstverständlich wurde das Verfahren nicht für Arbeiterkammern und Gewerkschaften, sondern für die Privatwirtschaft erfunden (siehe Kasten: »Open Space und der Betriebsrat«).


    I N F O R M A T I O N

    Open Space und der Betriebsrat


    Open Space wird in der Privatwirtschaft zur Steigerung der Effizienz eingesetzt. Wenn Open Space von der Firmenleitung vorgeschlagen wird, ergeben sich für Mitarbeiter und Betriebsräte einige kritische Punkte und wichtige Fragen.

    Ein kritischer Punkt: Open Space kann nie Selbstzweck sein. Was soll also nachher anders sein? Alternativen vorschlagen, notfalls Teilnahme ablehnen! Es ist nie alles offen: Vorgaben präzisieren lassen! Was sind Nicht-Ziele? Was steht fest? Was soll nicht bearbeitet werden?

    Wenn der Eindruck entsteht, dass die gewünschten Ergebnisse bereits feststehen, kann es besser sein, Alternativen zu Open Space vorzuschlagen oder notfalls die Teilnahme abzulehnen. Nehmen die Auftraggeber, das heißt die Führungskräfte, nicht teil, delegieren sie ihre Rolle an den Moderator, besteht der Verdacht einer Alibiveranstaltung.

    Auch wenn die Teilnahme verpflichtend sein soll, müssen die Alarmklingeln schrillen. Der Erfolg von Open Space basiert auf der Teilnahme von Freiwilligen. Es darf keine Sanktionen für Nicht-Teilnehmer geben!
    Auch die Weiterarbeit mit den Ergebnissen nach dem Open Space soll vorher geklärt werden. Sind Ressourcen und Freiräume vorgesehen? Wie soll der Open Space umgesetzt werden?

    Open Space besticht als Arbeitsverfahren durch die ungewöhnliche Kombination von Effizienz bei der Erarbeitung von Ergebnissen und durch Kreativität, Inspiration und Spaß bei der Zusammenarbeit.

    Open Space ist, wie viele kraftvolle Methoden, gleichzeitig Philosophie und Verfahren. Es gibt keine vorgegebene Tagesordnung, nur ein möglichst packendes und herausforderndes Rahmenthema und eventuelle »Givens«, also transparente Vorgaben und Rahmenbedingungen des Auftraggebers.

    Der Ablauf

    Open Space beginnt mit der rituellen »Öffnung des Raumes«, wie die OSler sagen, also der Einführung in das Thema und in die Arbeitsweise von Open Space. Danach haben alle Teilnehmer die Möglichkeit, Themen zu nennen, zu denen sie andere in eine Arbeitsgruppe einladen wollen. Etwas, das einem unter den Nägeln brennt, am Herzen liegt, wofür man bereit ist Verantwortung zu übernehmen. In den ersten eineinhalb Stunden entsteht die Arbeits- und Zeitplanung des Workshops. Dazu gibt es an einer Wand einen Raster mit den möglichen Tagungszeiten und Tagungsorten für Arbeitsgruppen.

    Wenn die Anliegen an der Wand hängen und Zeiten und Arbeitsräumen zugeordnet sind, beginnen die Gruppen selbstorganisiert zu arbeiten. Sie teilen sich ihre Arbeitszeit und Pausen im vorgegebenen Zeitraster selbst ein. Sie können zu fünft arbeiten, mit 37 Teilnehmern oder zu zweit. Themen und Zusammensetzung wechseln meist bei jeder Arbeitseinheit.

    Für ein zweieinhalbtägiges Treffen kalkuliert man etwa sieben Arbeitsgruppenrunden. Jede Gruppe fasst ihre Ergebnisse und Vereinbarungen in schriftlichen Arbeitsberichten zusammen, die laufend vergrößert an der »Nachrichtenwand« ausgehängt werden. Morgens und abends treffen sich alle Teilnehmer im Kreis für »Morgen-« bzw. »Abendnachrichten«.

    Wenn konkrete Maßnahmen ausgearbeitet werden sollen, wird das »Buch« erstellt: Eine Sammlung aller Arbeitsgruppenberichte für alle Teilnehmer. Diese Dokumentation wird noch vor Ort von allen gelesen und ist die Grundlage für Priorisierung und Zusammenführung verwandter Themen und die Basis für die Aktionsplanung, aber auch für neue Gruppen zur Entwicklung konkreter Umsetzungsschritte.

    In der Abschlussrunde gibt der »Talking Stick« das Recht in der Runde zu sprechen, bis man ihn und damit das Wort weitergibt.

    Die Philosophie

    Das Kernstück von Open Space ist gelebte Leidenschaft und Verantwortung, unterstützt vom »Gesetz der zwei Füße«: »Jeder hat die Verpflichtung, für sich zu überprüfen, ob er im Workshop, in dem er sich befindet, etwas lernen oder beitragen kann. Wenn nicht, ehrt er die Gruppe, in dem er sie verlässt«. Eine simple Regel, die Energie und Selbstverantwortung stärkt.

    Darunter eine Minimalstruktur: Das Thema, die »Givens« (Vorgaben und Rahmenbedingungen), der Kreis, die Öffnung des Raumes, Anschlagtafel und Marktplatz, Arbeitsgruppenzeiten und Arbeitsräume, die Infrastruktur zur Erstellung des »Buches«, Abschluss.

    Open Space lebt von und mit der Selbstorganisation der Teilnehmer. Das ist für Auftraggeber anfangs oft eine irritierende Vorstellung: So viele Menschen und niemand und nichts, der sie steuert - außer eben Leidenschaft und Verantwortung. Jeder Versuch des Veranstalters, des Moderators oder einzelner Teilnehmer, die Veranstaltung zu steuern oder unter Kontrolle zu bringen, »schließt den Raum« vorzeitig - und die Luft ist draußen.

    Voraussetzungen

    Die Grundidee lässt sich auch in Häppchen, in Workshops, Trainings und bei Kongressen einsetzen. Besonders wirkungsvoll ist Open Space aber, wenn es darum geht, konkrete Vorhaben zum Laufen zu bringen, komplexe Fragestellungen zu bewältigen oder innovative Lösungen zu entwickeln. Unter folgenden Voraussetzungen entfaltet Open Space seine volle Kraft: Packendes und herausforderndes Thema, das die Teilnehmer bewegt. Klare »Givens«, transparente Vorgaben und Rahmenbedingungen. Vielfältige Teilnehmer(-perspektiven). Freiwillige Teilnahme. Komplexität des Themas. Hohes Konfliktpotential. Zeitdruck bei der Problemlösung.

    Open Space braucht für befriedigende Ergebnisse ausreichend Zeit: Einen Tag für eine gute Diskussion, eineinhalb bis zwei Tage für Ergebnissicherung und Ausrichtung für die Weiterarbeit, zweieinhalb bis drei Tage für konkret geplante Umsetzungsvorhaben.

    Verlockend in unserem Fall schien bei Open Space,

    • dass viele Menschen aktiv in den Arbeitsprozess einbezogen werden;
    • dass weder hierarchische Position noch besonderes Wissen, sondern nur die eigene Begeisterungsfähigkeit darüber entscheiden, welchen Raum man für seine Ideen in der Veranstaltung findet;
    • dass in die Arbeit der Kerngruppe von Wahlbüromitarbeitern auch Kollegen aus den Gewerkschaften und aus verschiedenen Fachabteilungen der AK einbezogen werden können;
    • und dass am Ende konkrete, dokumentierte Ergebnisse und verbindliche Vereinbarungen vorliegen.

    Auftakt und Teambildung im Wahlbüro

    Das AK-Wahlbüro ist eine Organisation auf Zeit. Der Aufbau des Teams, der Struktur und der Abläufe muss daher in kürzester Zeit erfolgen. Nach der AK-Wahl werden die Zelte wieder abgebrochen. Viele sind einander nicht oder nur flüchtig bekannt.

    Eine der wichtigsten Aufgaben besteht also darin, möglichst rasch die Arbeitsbereitschaft und Arbeitsfähigkeit des Teams herzustellen. Das wird durch ein Einschulungs- und Ausbildungsprogramm erreicht. Ferner braucht es einen Auftaktprozess zur raschen und wirkungsvollen Teambildung. Dabei sollen folgende Ziele erreicht werden:

    • Klarheit über Rahmenbedingungen und Anforderungen im Team
    • Kennen lernen und Einstimmen im Team
    • Die Aufgaben entsprechend den Vorgaben gemeinsam planen
    • Offene Fragen sichten und Lösungen finden
    • Vereinbarungen für die Zusammenarbeit treffen.

    Im konkreten Fall war das Kernstück eine dreieinhalbtägige Auftaktveranstaltung mit allen Teammitgliedern, eingebettet in Vorbereitungs- und Planungsschritte bzw. Übersetzungs- und Umsetzungsschritte (Transfer und Follow-up) (siehe Grafik »Der Auftaktpozess«).

    Auftaktveranstaltung (Startworkshop)

    Im Vorfeld waren wichtige Grundsatzentscheidungen fällig: Der Workshop sollte lebendig und interaktiv ablaufen und alle Teilnehmer verantwortlich einbeziehen. Zwei Tage des Workshops wurden nach der Methode Open Space durchgeführt. Würde das funktionieren? Die Skepsis der Teilnehmer war ziemlich groß.

    In einem Satz gesagt: Open Space hat funktioniert. Engagement und Beteiligung aller waren äußerst hoch, die Ergebnisse waren bemerkenswert, die Stimmung gehoben, die Skepsis wie weggeblasen. Tenor: »Wir haben toll zusammengearbeitet, wir fühlen uns als Team, wir schaffen das gemeinsam.« Die Umsetzung begann am Tag nach der Auftaktveranstaltung. Die neue Arbeitsform wird im Wahlbüro der AK Wien in regelmäßigen Abständen zur Klärung offener Fragen, zur Förderung der Zusammenarbeit und zur Planung nächster Schritte eingesetzt.

    Inhaltliche Ergebnisse

    Mehr als 20 Arbeitsgruppen mit insgesamt rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmern haben die Ergebnisse ihrer Arbeit zu Fragen wie Zusammenarbeit von AK und ÖGB, Motivation und Werbung, Eindämmung der Papierflut, Einfache Teilnahme an der Wahl, Kooperation im Wahlbüro, den technischen Hilfsmitteln und zu Zielen schriftlich zusammengefasst. Eine Reihe konkreter Vorschläge können vom Wahlbüro unmittelbar verwirklicht werden: ein Leitfaden für Betriebsräte zur AK-Wahl (Was muss ich wann tun?), Alternativen zu den Betriebswahlsprengeln (Baustellen, Hausbesorger, Heimhilfen), Nutzung des Kundenverkehrs für Informationen zur Wahl und so fort.

    Resonanz der Teilnehmer

    Die Neuartigkeit von Open Space hat die Teilnehmer bewegt. Teilnehmerstimmen etwa zehn Tage nach der Veranstaltung bei einer Nachbesprechung:

    • »Open Space bringt die Interessierten zusammen, die Gäste waren begeistert, man lernt Gelassenheit.«
    • »Die Skepsis hat sich aufgelöst, die gemeinsame Zielsetzung ist klar geworden, sehr offene Arbeitsform, große Begeisterung.«
    • »Alle Ziele übertroffen, man kann sich kaum vorstellen, dass es früher anders war, Open Space ist sehr nützlich.«
    • Eine Führungskraft im Team: »Vertrauen ins Team gewonnen, enorm an Standing gewonnen, zulassen können, die Interessierten beteiligen, den Rest lassen.«
    • »Die Skeptiker sind mitgerissen worden, ein sehr guter Start, alle waren zufrieden, alle freuen sich auf die gemeinsame Arbeit; Engagierte ziehen andere mit, es entsteht ein sozialer Sog.«
    • »Erwartungen übertroffen, positives Echo, Stimmung 'gemmas an, konnte meinen Führungsstil leben und wahrnehmbar machen, die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Leute ist deutlich geworden, es sind viele Ressourcen da, es kommt drauf an, Verantwortung auch zu übernehmen.«

    Das alles klingt fast zu euphorisch um wahr zu sein, doch ist diese Art von Feedback charakteristisch für eine gelungene Open Space-Veranstaltung. Wenn die Umstände passen, kann Open Space tatsächlich einen Quantensprung in einer Organisation ermöglichen (siehe Kasten: »Wo Open Space funktioniert«).


    I N F O R M A T I O N

    Wo Open Space funktioniert


    Interessenvertreter, die an Problemlösungen mit Open Space denken, sollten sich zunächst fragen, ob die Voraussetzungen dafür gegeben sind:

    • Kann ich den Zweck der Veranstaltung in einem Satz zusammenfassen?
    • Kann ich klar zwischen festen Vorgaben und durch die Teilnehmer entscheidbaren Fragen unterscheiden?
    • Weiß ich, wer für mein Thema wichtig ist?
    • Kann ich den Teilnehmern vermitteln, warum sie zur Veranstaltung kommen sollen?
    • Habe ich einen Ort mit viel Platz zur Verfügung, an dem wir zwei oder drei Tage ungestört arbeiten können?
    • Ertrage ich die Unsicherheit, ob dabei etwas herauskommt?
    • Vertraue ich der Begeisterungsfähigkeit der Teilnehmer?
    • Kann ich zusehen, wenn manche Kollegen in der Arbeitszeit an der Bar stehen oder im Park spazieren gehen, während andere konzentriert arbeiten?
    • Traue ich den Teilnehmern zu, selbst zu entscheiden, welche Themen für unsere Aufgabe wichtig sind?
    • Bin ich mir sicher, dass ich die Ergebnisse - wie auch immer sie ausfallen - ernst nehmen werde?
    • Ist mir die Aufgabe so wichtig, dass ich mich mit Begeisterung an die Planung und Vorbereitung des Open Space mache?

    Wer alle diese Fragen mit »Ja« beantwortet, sollten mit einem Experten über die Möglichkeit sprechen, einen Open Space zu veranstalten. Wer zwei oder drei Fragen mit »Nein« beantwortet, sollte in sich gehen und vielleicht doch eine konventionellere Arbeitsweise in Betracht ziehen.

    Implizite Ergebnisse

    Aus der Perspektive des Projektleiters und Auftraggebers und des Open Space-Moderators haben sich eine Reihe keineswegs unerwünschter Nebenwirkungen ergeben.

    In Open Space wird nicht direkt an der Teambildung gearbeitet. Weder durch Kooperationsübungen wie beim Outdoor-training, noch durch Reflexion von Erwartungen, wie das bei eher klassisch orientierten Workshops der Fall ist. Trotzdem war der Tenor in der Schlussrunde einhellig: »Wir fühlen uns als Team und sind gut gerüstet für das, was da kommt«.

    Wie ist das möglich? Open Space läuft über die Leidenschaft und Selbstverantwortung von Menschen, die sich frei bewegen können. Es finden sich immer die zusammen, denen ein Thema besonders am Herzen liegt.

    Dadurch entstehen ergiebige Diskussionen, man kommt sich näher und es geht spürbar »etwas weiter«. Es wird nicht über »ein Team sein« gesprochen, sondern »Team sein« wird praktisch gelebt.

    Projektstruktur

    Zentrale Funktionen der Wahlbüro-Organisation wie etwa die Verantwortlichkeiten für Kommunikation und Information, für Informationstechnologie, für die technische Infrastruktur oder fürs Datenmaterial konnten an Ort und Stelle nicht nur verkündet, sondern sichtbar und erlebbar gemacht werden.

    Vieles ist noch offen und auch unklar. Aber es gibt ein Fundament, auf dem das Projekt AK-Wahl 2004 weiter aufbauen kann.Die Führungsstruktur im Wahlbüro ist transparent, es gibt gut abgegrenzte Verantwortlichkeiten und Kompetenzen und klare Vorgaben.

    Aber entscheidend für den Erfolg bei dieser Art von Arbeit - die über weite Strecken eigenständig durchgeführt wird - ist Selbstverantwortung und Engagement jedes Einzelnen.

    Man könnte auch Selbstführung dazu sagen. Die richtigen Dinge mit Augenmaß richtig erledigen, ohne jeweils einen besonderen Auftrag oder eine spezielle Entscheidung zu benötigen. In Abstimmung mit den anderen, wo das erforderlich ist.

    Die praktische Arbeit wird erweisen, wie weit Open Space hier einen Beitrag geleistet hat. Aber Open Space hat allen gezeigt, dass Leidenschaft und Verantwortung verbunden mit Selbstorganisation gelebt werden können und dass man dabei nicht nur gemeinsam viel Spaß hat, sondern auch erstklassige Ergebnisse erzielt.

    R E S Ü M E E

    Ausblick

    Anfängliche Skepsis hat einer einhelligen Überzeugung Platz gemacht: »Das war die beste Startklausur, die wir in einem Projekt erlebt haben«. Die Motivation und der Zusammenhalt waren vom ersten Tag der Rückkehr ins Wahlbüro an spürbar. Niemand wartet auf Aufträge, keiner versucht »abzutauchen«. Die Wahlbüromitarbeiter, die erst später zur Mannschaft stoßen, sind schon ungeduldig, »wann’s denn losgeht«. Kollegen aus Gewerkschaften und Betrieben melden sich beim Wahlbüro mit Ideen für die Wahlorganisation. Den Auftakt hätte man nicht besser organisieren können.

    Das Selbstvertrauen der Kollegen, die Sicherheit, eine komplexe, schwierige Aufgabe bewältigen zu können, ist unübersehbar. Und für die weitere Arbeit, für die operative Planung und für die Auswertung der Erfahrungen, haben wir ein Instrument, das sich bewährt hat und in das alle viel Vertrauen setzen.

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    Erich Kolenaty (Unternehmensberater und Spezialist für Großgruppenarbeit, Gründer und Geschäftsführer der TRANSFORMATION Unternehmensentwicklung) Herbert Wabnegg (Organisationsentwickler, Supervisor und Spezialist für Projektarbeit, Bereichsleiter Informa http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1188829130659 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1188829130554 Niedrigstpensionen: Zum Sterben zuviel Wissen Sie«, sagt der Leiter des Pensionistenverbandes eines Wiener Gemeindebezirks, »die Leute mit den Niedrigstpensionen, die kommen nicht zu uns. Die können sich die Beiträge ja gar nicht leisten. Geschweige denn die Ausflüge. Und falls einer bei uns ist, der nicht so viel hat, dann spricht der nicht darüber. Die schämen sich. Das ist das Problem.«

    Frau Helga Sachse1) ist daher eine Ausnahme. Sie findet sich auch gar nicht geeignet, »in der Zeitung zu stehen, weil ich bin ja mit meinem Leben zufrieden«. Man fragt sich, wie sie mit dem Geld auskommt, 693 Euro und 20 Cent pro Monat. Eigentlich wäre Frau Sachse der Regierung für eine Werbekampagne, Arbeitstitel »herzeigbare Kleinpensionisten oder wie man eine Zwiebel zweimal brät« zu empfehlen. Dass sie in einer ostdeutschen Kolchose aufgewachsen ist und schon als Kind für zehn Leute gekocht hat, wird man verschweigen müssen, zugunsten eines großen Farbfotos von Frau Sachse, das die 70-Jährige zeigt, wie wir alle uns unsere Senioren und vor allem Seniorinnen vorzustellen haben: Schlank, wie reife 50er und voll aktiv.

    Glückliche Seniorinnen

    Es geht also auch so. Und hier der Leitfaden zum glücklichen Altwerden mit der Mindestpension für Frauen, zum Beispiel in Wiens zweitem Bezirk: Samstag Mittag am Karmelitermarkt das Gemüse kaufen, wenn die Händler zusammenpacken (»fast geschenkt«), Wochenplan fürs Kochen schreiben (»nichts verkommen lassen«), Nähen lernen (eigenes Gewand, plus ein paar Euro Zusatzverdienst im Freundeskreis), drei gute Kinder erzogen haben. Abmachung: »Wir schenken einander nichts mehr. Nur die Kinder lassen sich’s nicht nehmen, und so darf ich heuer wieder nach Bad Waltersdorf fahren«. Weiters, hart im Nehmen sein. 20 Jahre hat Frau Sachse, nach ihrer Übersiedlung aus dem damaligen Ostdeutschland nach Wien, als Drogistin gearbeitet und wie sie sagt, dem Wiener Schlendrian in einem Familienbetrieb auf die Sprünge geholfen. Als Angestellte wurde sie, obwohl sie »richtigen Drogistendienst« geleistet hat, trotzdem nicht angemeldet, »nur als Arbeiterin, und entsprechend war auch die Bezahlung damals«. Und, nicht zuletzt, Humor bewahren. »Dafür bekomme ich nach meinem verstorbenen Mann auch keine Witwenrente, weil ich mich nämlich kurz vor seinem Tod scheiden ließ. Aber zum Glück bin ich rezeptgebührenbefreit, sonst könnte ich mir meine acht Medikamente nicht leisten«, sagt sie und lacht.

    Fit bleiben

    Frau Sachse hat leicht lachen. Sie ist fit, trotz Herzschrittmacher relativ gesund und macht »dreimal die Woche Gymnastik«. Außerdem liegt sie über dem als Armutsgrenze geltenden Ausgleichszulagenrichtsatz für Einzelpersonen in der Pensionsversicherung (2002: 630,92 Euro). Die durchschnittliche Alterspension betrug im Dezember 2002 914 Euro. Männer erhielten im Schnitt 1197 Euro und Frauen 695 Euro.

    »Insbesondere die Frauenpensionen sind beschämend niedrig. Und, entgegen der Ankündigung der Regierung, kleine Pensionen zielsicher zu berücksichtigen, gibt es für Niedrigstpensionisten keine Ausnahme bei den Kürzungen im Rahmen der Pensionsreform«, meint AK-Expertin Gabriele Schmid, »unabhängig von der zu erwartenden Pensionshöhe beträgt das Kürzungsmaß zehn Prozent, inklusive Anpassungsverlust 12 Prozent. Im Jahr also eine Kürzung von eineinhalb Monatspensionen«.

    Für alle, die nicht auskommen, wurde beim Bundesministerium für soziale Sicherheit ein »Härteausgleichsfonds« (zehn Millionen Euro für 2004) eingerichtet (Arbeit&Wirtschaft, Nr. 7-8, »Geldbeschaffung statt Pensionssicherung«, Seite 10). Auf die Zuwendung besteht allerdings kein Rechtsanspruch. »Beitragszahler werden so zu Bittstellern degradiert«, meint Gabriele Schmid. Viele Frauen sind von vornherein vom Härteausgleich ausgeschlossen. Denn für die Einmalzahlung aus dem Sozialministerium kommt nur in Frage, wer mindestens 30, bzw. 40, Versicherungsjahre aufweisen kann. Rechnet man mit jährlich 36.000 Personen, die die Voraussetzungen für Zuwendungen aus dem Härtefonds erfüllen, entfällt auf jeden ein einmaliger Betrag von etwas über 250 Euro. Eine »Mini-Zahlung«, kommentiert Schmid, »die nicht einmal annähernd die Pensionskürzungen im ersten Jahr ausgleichen kann, geschweige denn die lebenslangen Einbußen.«

    Richtsatz

    Die Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Ehepaare wird von den Arbeitnehmervertretern grundsätzlich gut geheißen. »Mit der Pensionsreform hat das aber nichts zu tun. Diese Maßnahme für die Bezieher kleiner Pensionen hilft nicht gegen die kommenden Verluste«, meint Gabriele Schmid. Die geringfügige Erhöhung des Ausgleichszulagenrichtsatzes für Ehepaare von 965 Euro auf 1000 Euro betrifft gerade einmal 37.000 jetzt in Pension befindliche Personen.

    15 Prozent der 228.558 Ausgleichszulagenbezüge (Stand: Dezember 2002) gingen an Ehepaare. Obwohl nahezu die Hälfte der Frauenpensionen unter dem Armuts-Richtsatz liegt, erhielten nur 1,9 Prozent der Frauen Ausgleichszulage. Dies vor allem deshalb, weil durch das Zusammentreffen mit der Pension des Ehemannes der Familienrichtsatz für Ausgleichszulagen überschritten wird. Die Kürzung bei den Pensionen schlägt damit in der Regel ohne Abfederung voll durch.

    Steuerreform kompensiert nicht

    Auch die Unterstützung der Niedrigstpensionisten durch die geplante Steuerreform ist Schönfärberei. Die AK hat die Auswirkungen der Pensionsreform (einschließlich Deckelung von zehn Prozent), Steuerreform (Lohnsteuerfreiheit bis 1000 Euro Einkommen) und Erhöhung der Krankenversicherung berechnet. Das Ergebnis: Die Summe der ab 2004 geplanten Maßnahmen ist für jene, deren Pension bis zum Deckel gekürzt wird, immer eine Belastung. Noch relativ am geringsten fällt sie für Pensionisten aus, die nach derzeitigem Recht brutto 1000 Euro bekommen. Nach der Reform wird der Bruttobezug - unter der Annahme des maximalen Verlustes von zehn Prozent und einer zweiprozentigen Valorisierung, die einmal entfällt - bei brutto 880 Euro liegen: Bei ihnen wirkt der Lohnsteuerentfall am stärksten, sie werden insgesamt »nur« 53,17 Euro weniger haben.

    Die Steuerreform wirkt überhaupt erst bei Bruttopensionen von derzeit 800 Euro, weil für Einkommen darunter auch derzeit keine Lohnsteuer anfällt. Prozentuell gesehen sind die Pensionisten mit Bezügen unter 1000 Euro sogar besonders stark belastet.

    Weniger wert

    Die Regierung geht auch von der Regelung der jährlichen Nettoanpassung der Pensionen ab: Die Anpassung für 2004 und 2005 wird abgesagt. Stattdessen werden Pensionen bis zur Medianpension (2003: 660 Euro!) nur mit dem Verbraucherpreisindex, Pensionen darüber überhaupt nur mit einem Fixbetrag (welcher der Erhöhung der Medianpension entspricht) erhöht. Dies bedeutet, dass die niedrigsten Pensionen gerade mit der Inflationsrate abgegolten werden; Pensionen darüber wird mit dem Fixbetrag nicht einmal die Inflationsrate abgegolten.

    Damit werden rund eine Million Pensionen real gekürzt. Mit anderen Worten: jede zweite Pension wird 2004 und 2005 real weniger wert. Die Regierung begründet dies als »Solidarbeitrag der Pensionisten«.

    Fazit: Besonders betroffen sind die Bezieher niedrigster Einkommen, für die jeder verlorene Euro deutlich spürbar ist.

    Ohne eigene Pension

    Gänzlich unter den Tisch gefallen ist der Ausbau eigenständiger Pensionen der Frauen. So beziehen nach den jährlichen Berechnungen des Hauptverbandes 99 Prozent der Pensionisten eine Eigenpension, aber nur 73 Prozent der Frauen. 27 Prozent der Pensionistinnen haben im Alter nur eine Witwenpension (Männer: ein Prozent). Wer weder erwerbstätig ist noch eine Pension bezieht, wird im alljährlichen Mikrozensus als »haushaltsführend« ausgewiesen: etwa 157.000 Frauen und eintausend Männer im Jahr 2000. »Berücksichtigt man hier die Kategorie Sonstige, lässt sich sagen, dass rund 160.000 Frauen im Alter keine Pension beziehen, was einem Anteil von 16 Prozent entspricht«, meint AK-Experte Karl Wörister. Entscheidend bei der Frage nach der eigenständigen Absicherung sei nicht nur, wie viele Frauen keine Pension haben. Entscheidend sei vielmehr, wie viele Frauen keine eigene Pension beziehen - also weder eine Alters- noch Invaliditätspension.

    • 61 Prozent der Frauen hatten eine eigene Pension. Ein Teil von ihnen bezog zugleich auch eine Witwenpension. Ein sehr kleiner Teil war daneben erwerbstätig.
    • 22 Prozent bezogen nur eine Witwenpension.
    • 16 Prozent bezogen keinerlei Pension.
    • Rund ein Prozent der Frauen war erwerbstätig ohne Pension.

    Dies bedeutet, dass im Jahr 2000 vier von zehn Frauen, 380.000, im Alter keine eigene Pension bezogen.

    Dass sich daran nicht allzu rasch etwas ändern wird, belegen weitere Daten des Mikrozensus.

    Im Jahr 2000 wurden bei den 60- bis 64-jährigen Frauen 71 Prozent als Pensionistinnen ausgewiesen. Ein Teil davon dürften reine Witwenpensionsbezieherinnen gewesen sein, waren doch in dieser Altersgruppe bereits 18 Prozent der Frauen verwitwet. Daraus kann geschlossen werden, dass derzeit noch immer etwa jede dritte Frau im Pensionierungsalter keine eigene Pension zu erwarten hat.

    Mythos Mindestpension

    »Viele glauben noch immer, es gebe in Österreich eine Mindestpension; es wird kaum thematisiert, dass viele Frauen nur eine eigene Pension von etwa 200 oder 300 Euro monatlich beziehen«, klagt Karl Wörister. Die Zuerkennung einer Witwenpension setzt in der Regel den Bestand der Ehe zum Zeitpunkt voraus, zu dem der Ehegatte verstirbt. Eine Frau, die die Ehe - aus welchen Gründen immer - vor dem Tod des Ehegatten auflöst, verliert damit meist auch diese Versorgung. Viele Ehen werden nur aus diesem Grunde aufrecht erhalten.

    Ein großer Teil der Frauenpensionen ist auch so niedrig, dass die Frauen auf den Unterhalt durch den Partner angewiesen sind. Insgesamt sind die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern in der Pension noch größer als bei Erwerbstätigen.

    Für viele heute noch Erwerbstätige kommen in einigen Jahren große Verluste zum Tragen, wie die Berechnungen der AK zeigen. Frau Gerda Ludwig1) etwa, geboren im September 1949, kann mit 57 Jahren am 1. Jänner 2007 mit 37,5 Versicherungsjahren in Pension gehen. Nach geltendem Recht würde sie 841 Euro bekommen, nach dem neuen Pensionsrecht werden es knapp 757 werden.

    Der jährliche Verlust beträgt 1177 Euro, zuzüglich weiterer zwei Prozent, weil die erste Pensionsanpassung entfällt. Noch gravierender wird die Lage bei der Arbeiterin Maria Kremer1), heute 56, ein Kind. In vier Jahren wird auch sie 37,5 Versicherungsjahre erworben haben. Nach geltendem Recht hätte sie 517,50 Euro Pension erhalten, nun werden es 469,20 Euro sein. Für sie entfällt die Ausgleichszulage, trotz dem geringen Einkommen des Mannes liegen sie zusammen über der Schwelle von 1000 Euro.

    1) Namen von der Redaktion geändert


    R E S Ü M E E

    Bei knapp 643,54 Euro liegt der sogenannte Ausgleichszulagenrichtsatz 2003 für Niedrigstpensionisten. Die durchschnittliche Alterspension im Dezember des Vorjahres betrug 914 Euro. Dass Frauen - im Schnitt - nur 695 Euro an Pension, Männer aber 1197 Euro bekommen, ist beschämend.

    Oft sind es aber die Pensionistinnen selbst, die sich schämen, mit so wenig Geld auskommen zu müssen. Daher war es auch nicht leicht, jemanden zu finden, der bereit war, aus einem Alltag zu berichten, in dem das »Cent-Umdrehen« dazu gehört. Denn sie können sich sogar selbst den geringen Beitrag für den Pensionistenverband nicht leisten. Dass viele Frauen gar keine Pension beziehen, bzw. auf den Unterhalt durch den Partner angewiesen sind, kommt noch dazu. Sie werden im alljährlichen Mikrozensus als »haushaltsführend« ausgewiesen (im Jahr 2000 etwa 157.000 Frauen und 1000 Männer). Mitzureden haben sie aber nichts. Ein Streifzug durch den Alltag von Beziehern niedriger Pensionen, in dem die Frauen die Mehrheit sind.

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    Gabriele Müller (Freie Journalistin in Wien) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1188829130365 Die Alternative zum Pensionsrecht Der Auftrag hatte drei Eckpunkte:

    • Es sollte ein für die nächsten Jahre finanzierbares Pensionsmodell erarbeitet werden1).
    • Der Schutz der Menschen, vor allem der Vertrauensschutz bei Änderungen im Pensionssystem, sollte absolute Priorität haben.
    • Die Ungerechtigkeiten in den bestehenden Pensionssystemen sollte beseitigt werden.

    Über den Sommer gelang es mehr als zwanzig ExpertInnen aus Gewerkschaften und Arbeiterkammer, dieses ÖGB-Zukunftsmodell - die »Österreich-Pension« - auszuarbeiten2).

    Grundsätze

    Die Österreich-Pension baut auf folgenden Eckpunkten auf.

    Einheitliches Pensionssystem für alle. Mit der Österreich-Pension will der ÖGB den Schritt in ein einheitliches Pensionssystem für alle Österreicherinnen und Österreicher setzen. Es soll Schluss sein mit Unterschieden und Ungerechtigkeiten in den Pensionssystemen. Die unterschiedlichen Systeme werden nach dem Prinzip gleiche Beiträge/gleiche Leistungen vereinheitlicht (harmonisiert). Das neue Pensionssystem gilt für alle: Arbeiter, Angestellte, Vertragsbedienstete, Gewerbetreibende, Bauern, Politiker.

    Umlagefinanzierung: Das ÖGB-Pensionsmodell hält bei der Finanzierung am bewährten Umlageverfahren in der Sozialversicherung fest3). Die Menschen werden nicht in die Unsicherheit einer börseabhängigen Alterssicherung gezwungen.

    Lebensstandardsicherung: Wir wollen, dass das gesetzliche Pensionssystem auch für die künftigen Generationen ausreichende, den Lebensstandard im Alter sichernde Pensionen gewährt.

    Langfristziel 45/65/80: Langfristleistungsziel bis 2034 muss sein, nach 45 Versicherungsjahren bei einem Antrittsalter von 65 Jahren eine Pensionshöhe von 80 Prozent des (Brutto-)einkommens zu gewährleisten. Ziel ist es einerseits, das tatsächliche Pensionsalter näher an das gesetzliche heranzuführen, ohne freilich (siehe unten) die Möglichkeit, vor 65 in Pension zu gehen, zu beseitigen. Die Formel 45/65/80 zeigt andererseits: Es gibt auch in Zukunft keine ungewissen Pensionsleistungen. Die Pensionshöhen bleiben gesetzlich klar bestimmt. Vor allem die jüngere Generation kann sich darauf verlassen.

    Pensionsberechnung: Lebenseinkommen: Basis für die Pensionsberechnung soll künftig das durchschnittliche und mit der Lohnentwicklung (echter Lohnindex) aufgewertete Lebenseinkommen sein. Die Lebensleistung jedes Menschen wird künftig mit dem gleichen Maßstab gemessen. Die Ungerechtigkeiten im heutigen Pensionssystem, das trotz gleicher Beitragsleistung zu unterschiedlichen Pensionshöhen führen kann, gehört der Vergangenheit an4).In Zukunft soll jeder eingezahlte Euro für die Pension zählen. Jeder eingezahlte Euro ist gleich viel wert, wann immer er eingezahlt würde.

    Schwerarbeit berücksichtigt: Schwerarbeit wird in der Österreich-Pension besonders berücksichtigt. Schwerarbeitsjahre sollen höhere Pensionsprozente bringen als normale. Sozialpolitisch soll ein Schwerarbeiter, wenn er mit 60/55 in Pension geht, so gestellt werden, als hätte er bis 65/60 gearbeitet.

    Wahlmöglichkeiten beim Pensionsantritt: Damit sind wir bei einem Kernunterschied der »Österreich-Pension« zur sogenannten Pensionssicherungsreform der Bundesregierung: Nach dem ÖGB-Modell gibt es keine Abschaffung der vorzeitigen Alterspensionen (im Volksmund »Frühpensionen«), die mit 60/55 in Anspruch genommen werden können. Es soll den Menschen die Wahlmöglichkeit eröffnet werden, ob sie bis zum Regelalter (65/60) arbeiten, oder aber mit Abschlägen vorzeitig in Pension gehen. Unser Modell sieht im Gegensatz zur Regierung5) weiterhin die Möglichkeit vor, mit 60/65 in Pension zu gehen.

    Arbeitsmarktpaket für Ältere: Es ist uns klar: Wahlmöglichkeiten beim Pensionsantritt müssen durch Qualifikations-, Gesundheits- und geeignete beschäftigungsfördernde Maßnahmen (beispielsweise Verbesserung des Kündigungsschutzes für Ältere) eigens gewährleistet werden. Die Schaffung eines eigenen Arbeitsmarktpaketes für Ältere ist die Voraussetzung jedes Pensionsreformkonzeptes.

    Alterssicherung für Frauen: Mit der Österreich-Pension wollen wir eigenständige Pensionsansprüche für Frauen forcieren, vor allem durch eine bessere Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten (Heranziehung des Medianeinkommens der ÖsterreicherInnen bei der Bewertung und Ausdehnung der Kindererziehungszeiten bis zum siebenten Lebensjahr des Kindes).

    Sanfter gleitender Übergang: Der zweite Kernunterschied der Österreich-Pension zur »Pensionssicherungsreform 2003« der Bundesregierung ist: Das ÖGB-Modell sagt den Menschen einen umfassenden Vertrauensschutz zu. Das Prinzip ist: Die Regeln des neuen harmonisierten Pensionsrechtes gelten nur für künftige Versicherungszeiten6).Dadurch werden Änderungen gleitend und sanft eingeführt. Für die vergangenen Zeiten wird immer das alte Pensionsrecht (Recht vor der »Pensionssicherungsreform 2003«) angewendet.

    Ersatz der »Pensionssicherungsreform« der Bundesregierung: Die Maßnahmen der Bundesregierung zu den Pensionen sollen durch die Österreich-Pension ersetzt werden7).

    Einige zentrale Einzelregelungen der Österreich-Pension:

    Wie hoch ist meine Pension?

    • Nach 45 Jahren mit 65 bekommt man 80 Prozent der aufgewerteten durchschnittlichen Beitragsgrundlage.
    • Basis ist das durchschnittliche, mit dem Lohnindex aufgewertete Lebenseinkommen (bisher würden die bisher eingezahlten Beiträge immer nur mit der Nettoanpassung aufgewertet).
    • Pro Jahr werden 1,78 Prozent der Beitragsgrundlage am Pensionskonto gutgeschrieben.
    • Alle Erwerbseinkommen und Ersatzzeiten (z. B. wegen Arbeitslosigkeit) werden berücksichtigt.
    • Die aktuelle Pensionshöhe ist jederzeit ausweisbar, rückwirkende Kürzungen durch den Gesetzgeber sollen künftig ausgeschlossen sein.
    • Bisher erworbene Versicherungszeiten werden nach bisherigem Pensionsrecht (vor »Reform 2003«) berücksichtigt.

    Wann kann ich in Pension gehen?

    • Regelpensionsalter 65/60; an der verfassungsgesetzlichen Regelung zur Angleichung des Frauenpensionsalters ändert sich nichts.
    • Keine Abschaffung der vorzeitigen Alterspensionen (Frühpensionen), echte Wahlmöglichkeit für die ArbeitnehmerInnen.
    • Antritt weiterhin mit 61,5/56,5 möglich - bei 45/40 Versicherungsjahren sogar mit 60/55.
    • Bei vorzeitigem Antritt Abschläge: Bis 2010 (wenn sich die Arbeitsmarktsituation verbessert) wie bisher 3,75 Prozent der Leistung pro Jahr (entspricht den bisherigen 3 Prozentpunkten des Steigerungsbetrages). Danach 4 Prozent versicherungsmathematischer Abschlag. Achtung: Durch den sehr sanften Übergang mit Parallelrechnung wird die Erhöhung der Abschläge nur sehr langsam spürbar.

    Sanfter gleitender Übergang mit umfassendem Vertrauensschutz

    • Möglichst rascher Einstieg in ein harmonisiertes Pensionsrecht8).
    • Pensionskürzungen der Regierung sollen ersetzt werden.
    • Kern des Übergangsrechtes ist eine sogenannte Parallelrechnung, die umfassenden Vertrauensschutz sicherstellt.
    • Mit einer Parallelrechnung werden Versicherungsverläufe zunächst nach bisherigem Recht (ohne Reform 2003) durchgerechnet. Dieselben Versicherungsverläufe werden sodann nach dem harmonisierten System gerechnet. Für die Ermittlung der Pensionshöhe werden dann beide Ergebnisse jeweils anteilsmäßig nach zurückgelegten Versicherungszeiten berücksichtigt.

    Diese Parallelrechnung erreicht, dass niemand, der kurz vor der Pension steht, von Änderungen überrumpelt wird. Man behält immer alle bisher erworbenen Anwartschaften, nichts geht verloren. Je älter ein Versicherter ist, desto weniger wird er vom neuen System betroffen - 30 Jahre Übergangszeit federn die Änderungen ab.

    Den sanften Übergang mit einem umfassenden Vertrauensschutz und die Auswirkungen des neuen Modells im Gegensatz zur Pensionssicherungsreform der Bundesregierung zeigen folgende Beispiele:

    Beispiel 1:

    Mann mit 45 Beitragsjahren geht mit 60 Jahren am 1. 12. 2004 in Pension.

    Nach derzeitigem Recht würde er 1692 Euro bekommen.

    Nach der Pensionsreform 2003 mit 10-Prozent-Deckel würde er 1523 Euro (-10 Prozent) bekommen.

    Nach der Pensionsreform 2003 ohne 10-Prozent-Deckel würde er 1519 Euro (-10,2 Prozent) bekommen.

    Nach der Parallelrechnung: 1682 Euro (-0,6 Prozent)

    Beispiel 2:

    Mann mit 45 Beitragsjahren geht mit 60 Jahren am 1. 12. 2008 in Pension.

    Nach geltendem Recht würde er 1663 Euro bekommen.

    Nach der Parallelrechnung 1611 Euro (-3,2 Prozent).

    Nach der Pensionsreform 2003 könnte er erst mit 63 Jahren und 8 Monaten in Pension gehen.

    Beispiel 3:

    Mann, geboren 1948, geht mit 63 Jahren und 8 Monaten mit 48 Beitragsjahren und 8 Monaten am 1. 8. 2012 in Pension.

    Nach derzeitigem Recht würde er 1637 Euro bekommen.

    Nach der Pensionsreform 2003 mit 10-Prozent-Deckel würde er 1572 Euro (-4 Prozent) bekommen.

    Nach der Parallelrechnung würde er 1663 Euro (+1,6 Prozent) bekommen.

    Das bessere Modell

    Hier seien noch einmal die wesentlichsten Unterschiede der Österreich-Pension zur sogenannten »Pensionssicherungsreform« der Bundesregierung aufgelistet:

    • Einheitliches Pensionssystem für alle
    • Keine Abschaffung der vorzeitigen Alterspensionen
    • Vorzeitiger Pensionsantritt mit 61,5 (im Übergang Frauen mit 56,5) bzw. mit 45/40 Versicherungsjahren mit 60/55 bleibt möglich
    • Arbeitslosengeldbezug bis 65/60, wenn man nicht in Pension gehen möchte oder kann (um eine echte Wahlmöglichkeit zu gewährleisten)
    • Umfassender Vertrauensschutz durch gleitenden sanften Übergang ohne überfallsartige Kürzungen
    • Bisher erworbene Versicherungszeiten werden nach bisherigem Pensionsrecht (vor Reform 2003) berücksichtigt
    • Geringerer Steigerungsbetrag nur für die Zukunft (keine rückwirkenden Kürzungen)
    • Faire Aufwertung bei der Durchrechnung, jeder Euro ist gleich viel wert, egal wann er eingezahlt wird
    • Beiträge aus entsprechenden Fonds (z. B. FLAF) für Ersatzzeiten
    • Höhere Bewertung der Ersatzzeiten (insbesondere Medianeinkommen bei Kindererziehungszeiten)
    • Umfassender Ansatz: Arbeitsmarktpaket für Ältere (Gesundheitsschutz)
    • Jährliche Anpassung der Pensionen mit der Inflationsrate.

    Im Juni 2003 hat die Regierung mit überfallsartigen Leistungskürzungen bei den Pensionen einen Weg beschritten, der sozial nicht verantwortbar ist, das Vertrauen der Menschen in die gesetzliche Pensionsversicherung untergräbt und keine Zukunftsperspektiven eröffnet. Im Gegenteil: Sämtliche zentralen Strukturfragen des Pensionssystems - insbesondere die Angleichung - sind offen geblieben. Weiterer Leistungsabbau ist schon in Sichtweite.

    Mit der Österreich-Pension hat der ÖGB sein Alternativmodell präsentiert - ein Vorsorgemodell mit Zukunft für eine soziale Zukunft. Bei den Gesprächen zwischen Regierung und Sozialpartnern liegt die Österreich-Pension nunmehr im wahrsten Sinne des Wortes »am runden Tisch«.

    1) Dass das ÖGB-Pensionskonzept finanzierbar ist, hat Alois Guger in seinem Szenarium zum ÖGB-Pensionskonzept nachgewiesen.
    2) Die »Österreich-Pension« wurde in der Sitzung des ÖGB-Präsidiums am 6. Oktober 2003 einstimmig zur Kenntnis genommen.
    3) Es bleibt bei den Unselbständigen bei der geteilten Finanzierung zwischen ArbeitnehmerInnen und Arbeitgebern.
    4) Das heutige Pensions- und Anpassungssystem (die »besten 15 Jahre«) führt trotz gleicher Beitragsgrundlagen zu unterschiedlichen Pensionsleistungen, abhängig von der jeweiligen zeitlichen Lagerung der Beitragsgrundlagen.
    5) Nach der »Pensionssicherungsreform 2003«» läuft die Möglichkeit, vorzeitig in Pension zu gehen, mit 2014 aus.
    6) Ab In-Kraft-Treten des Reformmodells.
    7) Das ÖGB-Modell enthält keine Reform der Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspensionen; sie bleiben unverändert.
    8) Im öffentlichen Dienst müssen die notwendigen Rahmenbedingungen, wie die Änderung künftiger Gehaltsverläufe, Betriebspensionsmodelle, Abfertigungskassen u. a. geschaffen werden.


    R E S Ü M E E
    Kritik wird gerne mit der Aufforderung abgeschmettert, man möge doch zeigen, wie es besser gemacht werden könne. Der ÖGB setzt nunmehr der angeblichen Pensionssicherungsreform ein Konzept entgegen, wie die Pensionen tatsächlich gesichert werden können. Und zwar auf sozial ausgewogene Weise, ohne Einschnitte in bestehende Rechte, ohne Ungerechtigkeiten und ohne Ungewissheit über die künftige Pension.

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    Richard Leutner (Leitender Sekretär des ÖGB) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1188829130129 Unter dem Blickwinkel der Gerechtigkeit Arbeit&Wirtschaft: Kollege Klein, du bist der neue Vorsitzende der Fraktion Christlicher Gewerkschafter im ÖGB und nach wie vor auch der zuständige Sekretär für Kollektivverträge. Diese scheinen mir der Kern der Gewerkschaftsarbeit zu sein. Aber ist das noch eine dankbare Aufgabe?
    Karl Klein: Es ist uns in der letzten Zeit gelungen, für die Kolleginnen und Kollegen nicht nur den Teuerungsausgleich zu erreichen. Es ist auch gelungen, eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik durchzubringen, also den Produktivitätsfortschritt in Löhne und Gehälter umzusetzen. Was die an Lohnerhöhung bringt frisst die Steuer aber wieder weg. Daher haben wir leider eine sinkende Nettolohnquote.

    Das heißt, die Leute verdienen immer weniger.
    Klein: Sie müssten aufgrund ihrer Leistung mehr im Geldbörsel haben.

    Du bist für eine baldige Lohnsteuerreform?
    Klein: Ja, ich bin für eine baldige Lohnsteuerreform, die vor allem jene entlastet, die die Leistungsträger des Staates sind. Und das sind vor allem die Arbeiter und Angestellten im mittleren Bereich, die für alles und jedes mit großer Regelmäßigkeit den Kopf herhalten müssen.

    Die Belastungen sind ja jetzt alles andere als ausgewogen. Die Reichen werden noch reicher, die unteren Einkommen verlieren immer mehr. Das ist es doch nicht, was man sich unter sozialer Gerechtigkeit vorstellt?
    Klein: Ich würde es etwas anders formulieren. Es gibt keine Steuergerechtigkeit. Die Arbeiter und Angestellten müssen ihre Lohnsteuer Monat für Monat abliefern. Es gibt aber in Österreich mehr und mehr Steuerzahler, das sind vor allem die großen Unternehmungen, die darauf verzichten, die Steuer abzuführen, die sie abzuführen hätten. Denn wie sonst könnte es sein, dass so viel Umsatzsteuer nicht abgeführt wird, obwohl sie vom Konsumenten längst bezahlt worden ist?

    Du meinst die Steuerschulden?
    Klein: Ich spreche vor allem von den Steuerschulden. Es kann nicht sein, dass die Arbeitnehmer streng zur Kassa gebeten werden und andere Steuergestaltungsmöglichkeiten haben. Dass der Staat geradezu darauf verzichtet, Steuern einzufordern, die er einzufordern hätte.

    Ich würde auch ganz gerne eine Stiftung gründen. Aber mit meinem Kapital geht das nicht.
    Klein: Genau.

    Die Fraktion Christlicher Gewerkschafter ist ein wesentlicher Teil des ÖGB. Wenn sie nicht wäre, wäre der ÖGB nicht überparteilich. Wie siehst du die Vorgänge beim ÖGB-Kongress?
    Klein: Die Vorgänge beim Kongress waren nicht geeignet, die Gemeinsamkeit von FSG und FCG besonders zu unterstreichen. Aber genau diese Gemeinsamkeit wird in nächster Zeit gefordert sein. Ich glaube, dass die Gewerkschaften zur Zeit wichtiger sind als noch vor zwanzig Jahren. Die Fragen der sozialen Gerechtigkeit, der Gehalts- und Lohngerechtigkeit haben eine völlig andere Bedeutung bekommen. Es wird immer deutlicher, dass es ohne kollektive Rechtsgestaltung in keiner Wirtschaft geht. Und kollektive Rechtsgestaltung findet in den Kollektivverträgen und in den Betriebsvereinbarungen statt. Keine Wirtschaft funktioniert, wenn es nicht sichere, regelmäßige Arbeitsbedingungen gibt. Daher können sich Fraktionen im Rahmen des ÖGB keine Gegnerschaft leisten, sondern müssen an einem Strang ziehen.

    Wenn ich nach Deutschland schaue, sehe ich: Dort passiert dasselbe.
    Klein: Das ist so typisch für die europäische Entwicklung. Die Parteien sind fast austauschbar geworden. Die Orientierung an den Grundsätzen der politischen Parteien ist verloren gegangen. Das gilt für sozialdemokratische Parteien genauso wie für christlich-soziale Parteien. Sogenannte Sachzwänge stehen im Vordergrund. Und nicht mehr Orientierungen am Menschen. Da ist es mir dann schon egal, wie das Menschenbild in den jeweiligen Parteien ist. Hauptsache ist die Orientierung am Menschen. Wenn die verloren geht, wenn nur mehr so genannte Sachzwänge oder ökonomische Ziele im Vordergrund stehen, funktioniert es nicht.

    Unsere Gesellschaft ist materiell am Profit orientiert, alles ist darauf ausgerichtet. Sollten wir uns vielleicht wieder genauer die katholische Soziallehre anschauen?
    Klein: Ja, das sollten wir alle und das sollte auch der ÖGB. Die christliche Soziallehre hat noch nie in die Irre geführt. Der Marxismus sehr wohl. Und der Neoliberalismus auch. Der hat auch schon in die Irre geführt.

    Einen Einwand aus der Zeitgeschichte: Wenn man sich so ansieht, was einst unter Ignaz Seipel und später im christlichen Ständestaat geschah …
    Klein: Ich bin mir nicht sicher, ob die Herrschaften damals die christliche Soziallehre gekannt und gelebt haben. Wenn ich allerdings die päpstlichen Enzykliken und das Naturrecht hernehme, alle Grundlagen der christlichen Soziallehre, hätte das, was da früher einmal passiert ist, so nicht passieren dürfen. Wie es überhaupt das Problem der Christlichsozialen ist, dass man ihnen oft zu Recht nachsagt: »Sie stellen den Menschen in den Mittelpunkt, und dort lassen sie ihn auch ganz allein stehen.« Orientierung am Menschen heißt immer, der Mensch muss als Ganzes gesehen werden, als Subjekt des Wirtschaftsgeschehens. Dann liegt man richtig. Der Marxismus hat in seiner extremen Ausformung zum »real existierenden Sozialismus« in den Ostblockstaaten geführt. Ein Weg in die Irre. Genau dasselbe ist mit dem extremen Formen des Liberalismus passiert. Und auch des Neoliberalismus. Ein Weg in die Irre.

    In Südamerika werden Priester und Bischöfe am laufenden Band umgebracht, weil sie für die Menschenrechte eintreten.
    Klein: Die Kirchen, nicht nur die katholische, sondern auch die evangelische Kirche, haben eine Fülle von Märtyrern, die für die Überzeugung, dass der Mensch im Mittelpunkt zu stehen hat und die Orientierung am Menschen die einzig richtige Orientierung ist, gestorben sind. Und die Tatsache, dass die Kirchen in Lateinamerika sich besonders für die Armen einsetzen, ist aus dem dortigen Verständnis der politischen Situation ganz klar abzuleiten. Sie können gar nicht anders. Sie müssen sich für die Armen einsetzen.

    Realpolitik sowie Grundsätze und Prinzipien sollten doch im Einklang sein. Was ist dazu zu sagen?
    Klein: Die aktuelle Umsetzung von Grundsätzen ist ja ganz wesentlich. Daran wird die Qualität eines Weges und einer Idee gemessen. Ob sie in der Lage ist, ihre Ideen und Visionen realpolitisch umzusetzen. Genau um diese Dinge geht es im Augenblick. Egal, ob man die Gesundheitsreform heranzieht, die Harmonisierungsbestrebungen zur Pensionsreform, oder ob man auch die Zukunft der Löhne und Gehälter, die Zukunft der Sozialversicherung ins Auge fasst. Überall geht es vor allem darum, ob man das Problem unter dem Blickwinkel der Gerechtigkeit angeht oder ob andere Ziele wichtiger sind. Ich glaube, dass es Aufgabe der Gewerkschaften ist, vor allem Gerechtigkeit einzufordern, und zwar auf allen Ebenen. Gerechtigkeit ist immer soziale Gerechtigkeit.

    Das ist erfrischend zu hören, weil man oft den Eindruck hat es gehe eigentlich nur um Macht.
    Klein: Den Eindruck habe ich auch. Es geht manchmal nur um Macht oder um egoistische Ziele. Ich bin kein Illusionist, natürlich ist alles und jedes auch eine Machtfrage. Aber die grundsätzliche Orientierung einer Maßnahme kann nicht sein, dass sie nur zur höheren Ehre einer Person oder einer Institution dient. Jede Grundorientierung muss schlussendlich am Gemeinwohl orientiert sein.

    Werden wir noch konkreter. Wie schaut das mit der Harmonisierung der Pensionen, dem neuesten Schritt der Pensionsreform, aus?
    Klein: Was heißt Harmonisierung wirklich? Harmonisierung heißt, dass wir in Zukunft nicht gleiche, sondern gleichwertige Systeme in der Pensionsversorgung haben. Wir müssen vorher alle Defizite ausgleichen, die in den Pensionssystemen bestehen. Es fehlt uns also eine zweite Finanzierungssäule für die Bauernpensionen. Es fehlt uns eine zweite Finanzierungssäule für die Gewerbepensionen und es fehlt eine geeignete Finanzierungsmaßnahme für die Altersversorgung der Beamten. Wobei ich im Gegensatz zu den meisten Diskutanten glaube, dass ein Beamter den Staat in der Lebenskostensumme billiger kommt als ein Angestellter.

    Der Staat ist in diesem Fall der Arbeitgeber. Der müsste in diesem Fall ja auch einzahlen.
    Klein: Das ist das Problem. Wenn der Staat tatsächlich alle die Beiträge in Versicherungssysteme einzahlen müsste, die ein normaler Arbeitgeber einzahlen muss, könnte er sein Budget gleich an der Versicherung abgeben und müsste gar nicht mehr budgetieren.

    Das heißt, der Staat erspart sich eigentlich sehr viel bei den Beamten?
    Klein: Auf die Lebenskostensumme durchgerechnet, ist ein Beamter für den Staat die günstigere Lösung als ein Angestellter.

    Trotzdem gibt es in den öffentlichen Bereichen immer mehr Vertragsbedienstete.
    Klein: Was ich nicht verstehe. Der Staat verzichtet auf Versicherungen, wo immer er kann, weil er nicht Geld binden möchte, das dann andere veranlagen. So macht er es zum Beispiel mit seinen Fahrzeugen. Der Staat hat tausende Fahrzeuge. Die lässt er nicht haftpflichtversichern, sondern zahlt lieber die Schäden, denn für die Versicherungsprämie müsste er viel zu hohe Budgetmittel binden. Genauso macht er es bei seinen Beamten. Er zahlt nur jene Kosten, die tatsächlich anfallen, und flieht alle Versicherungssysteme. Das ist eine gute Lösung. Jede andere würde viel zu hohe Budgetmittel binden.

    War das nicht ursprünglich überhaupt vorgesehen in unserem Umlagesystem? Das der Staat zu einem Drittel abdeckt. Ob Beamte oder nicht.
    Klein: Es war überhaupt vorgesehen, dass der Staat deswegen so kostengünstig in den Personalkosten agieren kann, weil er alle Beamten in der so genannten Selbstträgerschaft aus dem Budget finanziert. Mittlerweile haben einige Unternehmensberater den Staat so weit gebracht, dass er von diesem Prinzip abgeht. Zum Schaden der Gemeinschaft.

    Offensichtlich ist das der Trend, der allgemein vorherrscht. Die Versicherungen wollen von diesem Umsatzkuchen, von der sozialen Sicherheit den Großteil für sich haben.
    Klein: Das ist wahrscheinlich auch ein Grund. Man redet den Politikern ein, sie sollen von den teuren Beamten zu billigeren Angestelltenverträgen kommen. Das ist aber ein großer Trugschluss. Angestellte und Arbeiter, die Versicherungssysteme für ihre Dienstverhältnisse brauchen, sind im Grunde teurer als Beamte. Das ist leicht nachrechenbar und die Verantwortlichen im Finanzministerium wissen das auch.

    Wie ist es mit dem Rest der Lohnabhängigen?
    Klein: Da wird es notwendig sein, dass Staat und Gesellschaft sich wieder Systeme einfallen lassen, die es ja schon gegeben hat, die gerechte Finanzierungsmöglichkeiten schaffen. Wobei ich mir durchaus vorstellen kann, dass drei Prozent oder vier Prozent der Bevölkerung, wie die Bauern, ihr Pensionsversicherungssystem nicht allein werden finanzieren können und unsere Solidarität brauchen. Aber sie müssen wenigstens so viel ins System einzahlen wie die Arbeiter und Angestellten. Dann können sie auf Solidarität hoffen. Das selbe gilt für die Gewerbetreibenden. Man hätte die Gewerbesteuer nicht abschaffen sollen. Denn die Gewerbesteuer wurde vor hundert Jahren eingeführt, um die Pensionen der Gewerbetreibenden zu finanzieren. Warum man ausgerechnet die Gewerbesteuer abgeschafft hat versteht niemand. Ich auch nicht.

    Manche sehen schon Modelle mit Grundpension, Rest am freien Markt. Der freie Markt scheint mir aber katastrophenträchtig zu sein, ist er nicht sehr unverlässlich?
    Klein: Ich glaube das auch. Pensionssicherheit wird nur dann gegeben sein, wenn wir ein Pensionssystem finden, das vor allem großflächig staatlich gestützt und gesichert ist. Private Pensionsvorsorgesysteme sind nur für jenen Bereich brauchbar, der über die grundsätzliche Pensionssicherung hinausgeht. Wenn jemand mehr haben will als durch das Pensionssystem gedeckt, muss er persönlich vorsorgen, wenn er so viel Geld zur Verfügung hat, dass er es sich leisten kann.

    So war es sowieso schon immer?
    Klein: Man geht immer mehr davon ab. Man stellt die Eigenvorsorge als Wert an sich in den Vordergrund. Sagt aber nicht, von welchem Geld sich der betroffene Arbeiter und Angestellte die Eigenvorsorge leisten soll.

    Ist sie nicht nur für die Besserverdienenden?
    Klein: Sie ist nur für die Besserverdienenden. Und es ist klar, dass kein Staat, kein Gemeinwohl sich eine adäquate Versorgungsleistung in der Pension für Gutverdienende leisten kann. Sondern all jene, die einen steilen Einkommensverlauf haben und in hohe Funktionen aufsteigen, müssen von Anfang an wissen, dass sie diesen Aufstieg nicht dem Pensionssystem anlasten können. Sie müssten ab einer bestimmten Einkommensgröße tatsächlich Eigenvorsorge betreiben. Doch selbst dann, wenn Eigenvorsorge angesagt ist, muss man sich überlegen: Welche Systeme der Eigenvorsorge bietet man an, die sicher sind? Es kann ja nicht Pension nach Kassenlage die Zukunft sein. Wenn die Pensionskassen Geld haben, dann gibt’s eine Pension, und wenn sie kein Geld haben, gibt’s nichts? Das ist keine adäquate Versorgung. Man muss nur nach Amerika schauen. Dort gibt es solche Situationen. Die wären katastrophal und für uns, nach unserem europäischen Verständnis von sozialer Sicherheit, nicht tragbar.

    Zu den Pensionisten selber. Sind die ja nicht die Ärmsten? Ihnen gibt man ja nicht einmal den Inflationsausgleich.
    Klein: Die Pensionisten sind für mich nicht aus der Welt, sondern in Wirklichkeit so zu behandeln, wie Kolleginnen und Kollegen, die wir ja auch als Gewerkschafter zu vertreten haben. Wie die in Erwerb stehenden Kolleginnen und Kollegen. Das heißt praktisch gesehen Nettoanpassungen der Pensionen. Wenn sich die Nettolohnquote nach oben entwickelt, muss es auch bei den Pensionen eine Aufwärtsentwicklung geben. Geht allerdings die Nettolohnquote nach unten, kann es keine Sonderregelungen für Pensionisten geben. Die Entwicklung der Pensionen muss sich an die Möglichkeiten der gesamten Reallohnentwicklung in Österreich halten.

    Ist das jetzt der Fall?
    Klein: Derzeit ist es nicht der Fall.

    Wie steht es um die Zukunft der Sozialversicherung und des Gesundheitssystems?
    Klein: Im Gesundheitssystem müssen wir drei wesentliche Fragen für die Menschen lösen. Erstens: Schnellere Diagnosefindung durch die Ärzte. Es kann nicht sein, dass mancher monatelang auf eine Diagnose warten muss und die Menschen in Angst und Schrecken leben bis sie endlich wissen, ob sie krank sind oder nicht. Das hängt mit der Ausbildung der niedergelassenen Ärzte zusammen, einer größeren Kompetenz und vielen mehr. Zweiter Punkt: Es wird unbedingt notwendig sein, das Gesundheitswesen so zu gestalten, dass wir es uns leisten können. Und da muss man wirklich die Spitalsstruktur in Österreich durchleuchten und so gestalten, dass sie vom Einzugsgebiet her jene Leistungen anbietet, die dort gefragt sind. Wir haben zu viele unkoordinierte Spitäler in Österreich, die die gleichen Leistungen anbieten.

    Das haben wir schon oft in »Arbeit&Wirtschaft« geschrieben. Lokale Interessen stehen im Vordergrund, es geht aber um ein Gesamtkonzept.
    Klein: Es geht um ein Gesamtkonzept. Das ist das wesentliche. Und der dritte Punkt ist: Die Finanzierung des Systems wird wahrscheinlich auch in Zukunft immer teurer werden, weil nicht nur die Medizintechnik immer mehr kann, sondern auch mehr Heilungschancen durch eine erneuerte Heilbehandlung angeboten werden. Wir müssen unseren Kolleginnen und Kollegen auch sagen, dass die Gesundheit in Zukunft mehr kosten wird. Ich bin daher kein Gegner einer Beitragserhöhung, wenn vorher alle Infrastrukturlösungen, die Einsparungen bringen können, erledigt sind.

    Und die Sozialversicherung?
    Klein: Ich halte die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung für einen ganz wesentlichen Wert an sich, der aus der christlichen Soziallehre stammt. Ich bin ein eifriger Verteidiger der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, weil sie die einzige Lösung ist, die nicht nur Gerechtigkeit schafft, sondern das Recht der Betroffenen, jene Dinge mitzubestimmen, die sie unmittelbar betreffen, in optimaler Form sichert.

    Ist man nicht dabei, sie zu zerstören, trotz des Erkenntnises des Verfassungsgerichtshofs?
    Klein: Dagegen würde ich heftig auftreten.

    Wie wird es mit den Kollektivverträgen und dem Referat, das du im ÖGB leitest, weitergehen?
    Klein: Die Kollektivvertragspolitik muss sich an der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung und am Produktivitätsfortschritt orientieren. Nur so wird sichergestellt, dass die Kaufkraft in Österreich so hoch ist, dass auch langfristige Konsumgüter regelmäßig gekauft werden können. Das ist die beste Sicherung der Inlandsnachfrage. Ein Konjunkturaufschwung, der dadurch entsteht, nützt der gesamten Wirtschaft. Die Kollektivverträge werden aber auch inhaltlich und rechtspolitisch wichtiger, weil sie Stabilität der Arbeitsbedingungen schaffen. Denken wir doch nur an den neuesten Kollektivvertrag für die sozialen Dienste, der der viertgrößte Kollektivvertrag in Österreich sein wird und eine immer größer werdende Berufsgruppe stabilisiert. Dieser extrem schwierige Kollektivvertrag bietet allen Betroffenen optimale Sicherheit. Das wäre mit einem Gesetz nicht erreichbar gewesen.

    Aus Regierungskreisen kommt die Vorstellung, Kollektivverträge betriebsweise abzuschließen.
    Klein: Diese Idee der Verbetrieblichung der Kollektivverträge ist sehr kurzsichtig. Denn sie geht weg von der Gemeinwohlorientierung und Branchenorientierung und erzeugt lediglich Betriebsegoismus. Was das bringen soll, weiß ich nicht. Weder für die Arbeitnehmer noch für die Unternehmungen etwas Gutes.

    Überlegungen zeigen sehr deutlich, dass es für christliche Gewerkschafter nicht ausreicht, ein persönlich moralisches Leben zu führen. Sondern es muss unsere Aufgabe sein, soziale Gerechtigkeit wo immer wir tätig sind umzusetzen und zu verwirklichen. Denn nur soziale Gerechtigkeit ist die Basis für eine funktionierende Wirtschaft, für soziale Sicherheit und für menschenwürdiges Leben.

    A&W: Wir danken für das Gespräch.

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    Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1186413173774 Man muss sich zur Wehr setzen! Arbeit&Wirtschaft: Lieber Kollege Bacher, als erstes sollten wir dich unseren Lesern vorstellen.
    Norbert Bacher: Ich bin Zentralsekretär der Eisenbahnergewerkschaft und Bundesfraktionsvorsitzender der FSG in der Eisenbahnergewerkschaft, gleichzeitig auch Mitglied des Zentralausschusses, das heißt, einer der 18 Zentralbetriebsräte der ÖBB.

    Und zur Zeit auch noch beschäftigt bei den ÖBB. Sonst könnte ich ja nicht Zentralausschussmitglied sein. Im Normalberuf bin ich Triebfahrzeugführer, also Lokführer.

    Alle Arbeitnehmer haben euren Arbeitskampf mit Spannung verfolgt. Sehr viele haben auch begriffen, dass es nicht nur um die Eisenbahner geht, sondern auch um sie selber. Die große Frage ist jetzt: Wie geht es weiter? Ist das nur ein Aufschub bis Ende April?
    Bacher: Am 4. Dezember wurde die ÖBB-Struktur im Nationalrat beschlossen, ohne Wenn und Aber. Das heißt, es ist nichts Wesentliches geändert worden. Und hätte man einiges verändert, wäre es trotzdem ein Murks gewesen. Das Ding kann unserer Meinung nach nicht funktionieren.

    Vorher schien ein Kompromiss noch möglich. War das nur Wunschdenken?
    Bacher: Ein Kompromiss hätte so ausschauen können, dass man verschiedene Verschachtelungen der Gesellschaften noch ins Gesetz hereinnehmen hätte können. Aber im Wesentlichen wäre das Ganze trotzdem ein Murks gewesen. Das heißt, die gescheiteste Idee wäre gewesen, den Entwurf zurückzuziehen, sich ein paar Monate mit Fachleuten zusammenzusetzen und tatsächlich eine gescheite Struktur zu machen. Dazu liegt der Entwurf von der Eisenbahnergewerkschaft auch auf dem Tisch. Seit 11. September.

    Was kommt auf die Fahrgäste zu?
    Bacher: Ich gehe davon aus, dass Bahnfahren wesentlich teurer wird, speziell für die Pendler. Ich gehe davon aus, dass auch der Wettbewerb beeinträchtigt wird. Das heißt, jene die den Wettbewerb forcieren, schränken ihn ein. Auch für andere Eisenbahnen.

    Weil das Schienenbenützungsentgelt wesentlich verteuert wird. Von 350 Millionen auf 570 Millionen Euro. Das heißt, jeder Eisenbahnunternehmer wird künftig mehr Schienenmaut bezahlen müssen.

    In anderen Ländern, vor allem Großbritannien, wurde nichts mehr in die Infrastruktur investiert, es gab mehr Unfälle, bis man dann wieder reverstaatlicht hat ...
    Bacher: Alle Beispiele zeigen, dass der Minister und sein Staatssekretär aus den Lehren anderer Länder nichts gelernt hat. Es gibt weltweit Beispiele, wo die totale Privatisierung, speziell bei dem System Schiene, schief gelaufen ist. Da ist relativ billig verkauft worden. Es ist dann der Private als Unternehmer gefahren, es ist dann relativ viel Geld aus gemeinwirtschaftlichen Leistungen zurückgezahlt worden, und wenn dann kein Geld mehr für die Instandhaltung der Eisenbahn da ist, kauft man sie wieder zurück. In Neuseeland zum Beispiel um einen Dollar. Der Investitionsaufwand ist 300 Millionen Dollar. Das sagt aber keiner.

    Da wird Volksvermögen verschwendet ...
    Bacher: Ja. In England war die Höhe der gemeinwirtschaftlichen Leistungen komischerweise fast identisch mit den Dividenden, die an die Aktionäre der Infrastrukturunternehmungen ausbezahlt wurden. Das heißt, das ist in Wahrheit eine Umverteilung.

    Offensichtlich ist unsere Regierung Musterschüler beim neoliberalen Programm der EU ...
    Bacher: In dem Fall würde ich nicht einmal sagen, dass sie Musterschüler ist. In dem Fall ist das politischer Wille der ÖVP, die politisch ihr langfristiges Ziel erreichen will. Das heißt, es sind tatsächlich politische Gründe, warum ein Unternehmen so zerteilt wird, wie jetzt die ÖBB.

    Und bei der anderen Partei geht es wiederum um die Besetzung von Positionen. Denn die wahre Holdingfunktion in dieser neuen Struktur ist die Infrastruktur Bau AG. Denn die hat sämtliche Mechanismen in der Hand, um in der Holding bestimmen zu können, was erhalten und was investiert wird, welches Anlagenvermögen bewertet wird, wie das Schienenbenützungsentgelt aussieht und wie es verteilt werden kann. Das heißt, in Wahrheit liegt die totale Macht in dieser Infrastruktur Bau AG, wo maximal 600 Mitarbeiter drinnen sind.

    Was ist mit dem Dienstrecht der ÖBB-Mitarbeiter?
    Bacher: Das ist das Positive. Der Streik hat bewirkt, dass die Bundesregierung jetzt Abstand davon nimmt, per Gesetz in Kollektivverträge oder in arbeitsrechtliche Einzelvereinbarungen einzugreifen. Zwar mit dem Hintergrund, dass wir bis 30. April eventuell mit Kollektivvertragsverhandlungen und internen Vereinbarungen fertig sein müssen, aber das sind ja nicht Themen, die man erst seit heute verhandelt. Diese Themen liegen schon seit Jahren auf dem Tisch. Nur wollte der jetzige Vorstand seine Arbeit an die Politik abschieben. Und jetzt hat er sie wieder zurück bekommen. Das heißt, wir werden verhandeln. Es gibt von uns auch Vorschläge. Es gibt auch die Bereitschaft, manche Dinge anzupassen. Das heißt aber nicht abzuschaffen, sondern anzupassen an normale Kollektivverträge und rechtliche Gegebenheiten, die es in Österreich schon gibt. Und wir haben vor, das relativ rasch zu tun. Wenn man uns lässt. Und natürlich besteht die Gefahr, dass man uns nicht lässt und dass sich im April die Frage aufs Neue stellt. Und dann ist natürlich wieder die Gewerkschaft gefordert.

    Dass auch die anderen Gewerkschaften geschlossen aufgetreten sind, hat offensichtlich die Regierung sehr beeindruckt. Bezeichnend war, dass der Bundeskanzler schon eine Stunde vor euch das Ende des Streiks bekannt gegeben hat.
    Bacher: Ohne Unterstützung der Gewerkschaften wäre wahrscheinlich die Sache, was das Arbeitsrecht anlangt, nicht so erfolgreich gewesen. Wenn die Gewerkschaften sich nicht solidarisiert hätten, wenn Präsident Fritz Verzetnitsch nicht auch praktisch eingesprungen wäre und verhandelt hätte, wäre das alles nicht so aufgegangen. Es war notwendig, dass die Gewerkschaften klar gezeigt haben, dass ein Gesetzgeber nicht in Kollektivverträge und Verträge allgemein eingreifen kann. Das haben die Gewerkschaften sehr gut gemacht. Und es hat auch funktioniert.

    Dass Schüssel eine Stunde vorher den Streik als beendet erklärte, zeigt ja auch die Geisteshaltung von den Spitzenfunktionären dieser Partei. Da sitzt der ÖGB-Präsident noch bei Gesprächen mit Minister und Staatssekretär. Der Staatssekretär geht raus, ruft an und sagt: »Es ist beendet.« Eigentlich hat er das ganze Szenario noch verschärft und gefährdet, indem er frühzeitig mit etwas hinausgegangen war, was tatsächlich noch nicht soweit war. Zum Zeitpunkt, als der Schüssel gemeint hat, der Streik sei aus, war sehr wohl die Gefahr noch da, das Ganze zu verlängern.

    Einige von euch waren ziemlich wütend ...
    Bacher: Erstens das und zweitens: Wie schaut das aus, wenn der zuständige Vizekanzler und Minister noch am Verhandlungstisch sitzt und der Kanzler sagt: »Es ist vorbei.«?

    Und das hat ja noch länger gedauert. Denn wir haben ja tatsächlich erst nach 17 Uhr aufgehört. Denn den Streik beenden schon noch die Gewerkschaften und nicht der Bundeskanzler. Also was an diesem Tag gelaufen ist, das verzögerte Streikende, gehört der Bundesregierung und dem Kanzler.

    Ihr seid ja durchaus auch zu gewissen Kompromissen bereit, aber nicht bedingungslos. Wie könnte das Motto für die Verhandlungen lauten?
    Bacher: Man muss nur aufpassen, dass man sich nicht gegenseitig hinunter drückt. Dass man nicht andauernd nach unten geht, wie es derzeit der Fall ist, sondern es gibt ein Anpassen an bestimmte Kollektivverträge oder an Regelungsmechanismen.

    Zum Beispiel?
    Bacher: Das ist der Turnusurlaubszuschlag, der Wochenendurlaubszuschlag und der Feiertagsurlaubszuschlag. Den Wochenendeurlaubszuschlag gibt es zum Teil seit 1983 nicht mehr. Das heißt, der ist am Auslaufen, den haben fast keine mehr. Und der Turnusurlaubszuschlag, über den man sich jetzt so mokiert, ist eine Regelung für die Kollegen, die im Schichtdienst sind und praktisch keinen Ruhetag haben, die von Montag bis Sonntag arbeiten. Für die gibt es zusätzlich eine Woche Urlaub, weil wenn der eine Woche in Urlaub geht, dann geht er sieben Tage in Urlaub, wenn ein anderer österreichischer Arbeitnehmer eine Woche in Urlaub geht, geht er fünf Tage in Urlaub. Samstage, Sonntage und Feiertage gelten für Eisenbahner als »Normalarbeitstage«.

    Man hätte den Leuten viel früher klar machen sollen, wie dieses etwas komplizierte Dienstrecht der Eisenbahner ausschaut. Dann wäre es den Medien nicht so leicht gelungen, die »Privilegiendebatte« so anzuheizen ...
    Bacher: Seit Jahren versuchen wir das darzustellen. Aber die Debatte ist von manchen Zeitungen gewollt hoch gehalten worden. Weil die natürlich immer einen Reibebaum brauchen. Ich bilde mir ein, da ist politische Absicht von manchen Blättern dahinter. Tatsache ist, dass wir seit Jahren unser Dienstrecht und unsere Regelungen veröffentlicht haben. Jeder Journalist hat ein paar Mal die Unterlagen dazu bekommen. Wir haben auch nichts verheimlicht, sondern wir sind ein offenes Haus und es hat immer Informationen gegeben. Auch gegenüber der Presse.

    Und der niedere Durchschnitt des Pensionsalters?
    Bacher: Das niedere Pensionsalter der Eisenbahner ist ein altes Dienstrecht. Der Vertrag des Eisenbahners mit dem Unternehmen besagt, dass man nach 35 Dienstjahren im Unternehmen Österreichische Bundesbahnen in Pension gehen kann. Das ist mit einem Pensionsgesetz verschärft worden, das um eineinhalb Jahre mehr fordert, und jetzt mit 1. 1. 2004 noch einmal verschärft wurde. Wo der Eisenbahner für den Pensionsantritt mindestens 61,5 Jahre sein muss, wenn er aber den Hunderter-Satz erreichen will, 63 Jahre. Aber dass die Pensionsbeiträge um 47 Prozent höher sind als beim ASVG-Versicherten, hat man beibehalten. Und das ist die Ungerechtigkeit.

    Und Übergangsfristen?
    Bacher: Übergangsfristen gibt es für die Pensionsbeiträge nicht. Es gibt Eisenbahner, die zahlen seit 1997 erhöhte Pensionsbeiträge und können erst mit 63 Jahren in Pension gehen. Die bekommen keinen einzigen Cent von der Mehrbelastung zurück.

    Hält das vor dem Höchstgericht? Das ist doch ungerecht!
    Bacher: Wir können erst ab 1. 1. 2004 klagen. Das heißt, mit 2. 1. 2004 könnten wir beim Verfassungsgericht Einspruch erheben.

    Jetzt hat der Verfassungsgerichtshof über das Pensionsgesetz 2001 entschieden, dass der Gesetzgeber in dieser Pensionsfrage auch in Verträge eingreifen kann. Das ist wahrscheinlich ein sehr politisches Urteil, das man hinterfragen sollte. Aber gut, das ist ein Höchstgerichtsurteil und die Gewerkschaft der Eisenbahner ist so weit, ein Verfassungsgerichtshofurteil auch als Höchstgerichtsurteil anzuerkennen. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Aber wir werden gegen das Gesetz klagen, das jetzt mit 1. 1. 2004 in Kraft tritt. Wo die Eisenbahner meines Alters, ich bin 38, neun Jahre zwangsverpflichtet werden. Mit erhöhtem Pensionsbeitrag, das heißt mit 47 Prozent mehr Beitrag als alle anderen, auch dagegen werden wir jetzt beim Verfassungsgerichtshof klagen.

    Wir haben gleichzeitig seit April beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Verfahren laufen, weil wir Bedenken hinsichtlich der Objektivität österreichischer Gerichte gehabt haben.

    Aber das wird sehr lange dauern.
    Bacher: Das wird einige Jahre dauern. Aber ich glaube noch immer an das Recht und an die Gerechtigkeit.

    Das eine ist das Recht und das andere ist die Macht.
    Bacher: Aber diese Macht muss auch einmal gebrochen werden.

    Apropos Machtfrage: Viele Landesregierungen wollen dezidiert diese Reform nicht, weil sie zu teuer ist. Von den Vorarlbergern angefangen bis zu den Wienern ...
    Bacher: Was die Sinnhaftigkeit des Gesetzes betrifft, geht es tatsächlich nur um politisches Interesse und Macht. Man muss sich einmal vorstellen: Das Land Vorarlberg, das Land Kärnten, das Land Niederösterreich, das Land Wien. Sogar die Bundeswirtschaftskammer ist dagegen, und deren Stellungnahme hat man noch nicht einmal im Internet veröffentlicht. Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes und der Rechnungshof haben negative Stellungnahmen zur Struktur der ÖBB abgegeben. Und da fährt man einfach drüber.

    Es gibt kein einziges Gutachten, außer vielleicht das eigene vom Staatssekretär oder vom Verkehrsministerium, das sagt, eigentlich ist das Ganze in der Struktur in Ordnung.

    Aber trotzdem wird es beschlossen ...
    Bacher: Ja, aus politischem Interesse. Das ist so wie beim Hauptverband, wie bei den Ambulanzgebühren, bei der Unfallrentenbesteuerung und so wie beim Voest-Verkauf. Und wie es uns bei der Post vorgegeben wird oder bei der Telekom. Das sind Machtinteressen und Klientelpolitik.

    Gibt es zusätzlich Beratung durch Verkehrsfachleute?
    Bacher: Wir haben Fachleute aus dem Verkehrsbereich, zum Beispiel den Generaldirektor der Schweizer Bundesbahnen, die auch eine große Strukturreform hinter sich haben und nach wie vor im »Wettbewerb« stehen. Der hat deutlich gesagt, was er von der Sache hält, dass sie ein Murks ist. Er kann sich nicht vorstellen, dass das System Bahn so geführt werden kann. Dass man so Effizienz steigern kann. Das Gegenteil wird der Fall sein. Der Verkehrsexperte Knoflacher sagt: »Da stehen nur politische Interessen dahinter. Wer das System Schiene versteht, macht solche Gesetz und so eine Struktur nicht.« Der Eisenbahnfachmann Rießberger von der Technischen Universität in Graz, der sicher nicht gewerkschaftsnah ist, sagt eindeutig, das Ganze sei ein Katastrophe.

    Was sind die positiven Aspekte des Arbeitskampfes gewesen?
    Bacher: Man hat gezeigt, dass Widerstand auch in der Öffentlichkeit akzeptiert wird. Und wir haben Umfragen, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung die Maßnahmen für gerechtfertigt gehalten hat. Sehr stark wurden wir auch von den Pendlern und jenen, die regelmäßig mit uns fahren, unterstützt. Jene, die nicht mit der Bahn fahren, waren gegen den Streik. Aus den Umfragen geht hervor, dass die Bevölkerung der Gewerkschaft bei diesen Themen mehr Glaubwürdigkeit zuspricht als der Bundesregierung und dass zwei Drittel der Bevölkerung eine Privatisierung der Bahn nicht akzeptieren würden. An die 60 Prozent der Bevölkerung hält eine Teilung der 11 bzw. 9 Gesellschaften für unverständlich und glaubt, dass die nicht funktionieren kann. Das heißt, es ist erstmalig in der Zweiten Republik gelun-gen, dass ein eingebrachter Gesetzesentwurf zurückgezogen werden musste. Was den Eingriff ins Arbeitsrecht anlangt. Trotz mehrtägigen Streiks hat die Hälfte der Bevölkerung die Streikmaßnahmen positiv bewertet. Der OMV-Betriebsrat, der Voest-Betriebsrat, der Postbus, die Privatbahnen und Betriebsräte zahlreicher großer Unternehmungen haben uns Solidaritätsadressen geschickt. Mitglieder von Gewerkschaften und Nichtmitglieder haben gespendet oder angerufen, ob sie helfen können. Wir haben mit dem Streik gezeigt, dass es notwendig ist, sich zur Wehr zu setzen. Denn was will die Bundesregierung? Den Arbeitnehmern das Recht nehmen, sich zu wehren. Und wenn das Recht einmal gebrochen ist, hat der Arbeitnehmer keine Möglichkeit mehr, sich zur Wehr zu setzen. Daher muss man klar und deutlich sagen: Wenn ihr noch einmal dort hingreift, dann gibt’s wieder Stunk und wir werden wieder streiken.

    Das heißt, die Arbeitnehmer in unserem Land haben begriffen, dass die Eisenbahner sich für jeden Einzelnen einsetzen und dass es nicht nur um die Eisenbahner allein geht.
    Bacher: Ich hoffe, dass sie es begriffen haben. Ich hoffe, dass die Bevölkerung begriffen hat, was derzeit an Politik durchgesetzt werden soll.

    Und dass das auch optimistisch aufgefasst wird?
    Bacher: Dass das sehr wohl den Widerstand wert ist. Natürlich kann man sagen, bei den Eisenbahnern geht es leichter, weil das eine geschlossene Gruppe ist. Natürlich wissen wir auch, dass in Betrieben mit 10 bis 15 Leuten streiken nicht so leicht ist. Aber wichtig ist, dass die Leute erkannt haben, dass wir wenigstens etwas tun und man uns unterstützen muss. Und ich glaube, da haben wir zumindest 50 Prozent der österreichischen Bevölkerung hinter uns gehabt. Das ist wichtig. Heute noch werde ich oft von Leuten angesprochen, die keine Eisenbahner sind, die uns gegenüber früher kritisch waren, jetzt aber sagen: »Ihr habt recht gehabt.«

    Absschließend ein Zitat aus einer Werbung der Salzburger AK:

    »Gerechtigkeit kommt nicht vom Weihnachtsmann, sie ist jeden Tag neu zu erkämpfen!«

    Kollege Norbert Bacher, wir danken für das Gespräch.

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    Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 15 Dec 2003 00:00:00 +0100 1186413173715 Betriebsräte haben bei mir oberste Priorität Arbeit&Wirtschaft: Kollege Siegfried Pichler, unsere erste Frage gilt deiner Person und deinem Werdegang.
    Siegfried Pichler: Seit ich politisch bewusst denken und handeln kann, bin ich ein Kind der Gewerkschaftsbewegung. Ich habe mit 15 Jahren, also sofort nach Beendigung der Schule, eine Gewerkschaftsjugendgruppe gegründet und bin seitdem Funktionär in der Gewerkschaftsbewegung.

    Politisch geprägt wurde ich von meinem Vater. Er war selber Gewerkschaftssekretär. Abends sind oft Leute zu uns nach Hause gekommen, die bei meinem Vater Hilfe und Unterstützung gesucht haben. Er hat dann alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diesen Menschen zu helfen.

    Damals habe ich hautnah erlebt, welche Ungerechtigkeiten es gibt: welches Leid der Verlust des Arbeitsplatzes auslöst oder wie der einzelne Arbeitnehmer Spielball der Unternehmen ist. Diese Erfahrungen und die politische Arbeit meines Vaters haben mein Gerechtigkeitsempfinden herausgebildet.

    Wie war das als Lehrling?
    In meiner Lehrzeit als Einzelhandelskaufmann in einem Handelsbetrieb galt ich als »Revoluzzer«. Wir hatten natürlich keinen Betriebsrat und ich habe mich - obwohl ich einer der Jüngsten war - um die Arbeitnehmerrechte gekümmert. Das heißt, ich war derjenige, der darum gekämpft hat, dass Vor- und Abschlussarbeiten bezahlt werden, Arbeitszeiten einzuhalten sind und dass bei der Inventur, die bis tief in die Nacht gedauert hat, wenigstens die Nachtstunden bezahlt werden.

    Wie kamst du dann in deine GPA-Spitzenfunktion?
    Nach Abschluss der Lehre und nach dem Bundesheer ging ich auf die Sozialakademie, die ich mit 20 Jahren abschloss. Ich bin damit einer der jüngsten Absolventen, die es in der Geschichte der Sozialakademie gegeben hat.

    Nach der Sozialakademie hatte ich Angebote aus der GPA in Wien und Linz. Ich lehnte aber ab, schließlich war es mein Traum, bei der Gewerkschaft in Salzburg zu arbeiten. Othmar Raus, damals GPA-Landessekretär, heute langgedienter Landesrat in der Salzburger Landesregierung, hat mich 1976 als Sekretär in die GPA Salzburg geholt. 1979 wurde ich Kammerrat in der Arbeiterkammer.

    1984 übersiedelte Raus in die Landesregierung und ich wurde sein Nachfolger als GPA-Landessekretär. Im gleichen Jahr wählte mich die AK-Vollversammlung zum Vizepräsidenten, 1986 übernahm ich dann den Fraktionsvorsitz der Sozialdemokratischen Gewerkschafter.

    Eine parteipolitische Karriere hat dich nie gereizt?
    Ich war ein gutes Jahr, von 1979 bis 1980, Abgeordneter im Salzburger Landtag. Rasch habe ich aber gemerkt, dass ich drei Herren nicht gleichzeitig dienen kann. Der Arbeitsplatz in der Gewerkschaft, die politische Funktion in der Arbeiterkammer und in der Fraktion und dazu noch das Landtagsmandat, das ergab alles in allem einen 16- bis 18-Stunden-Tag und trotzdem konnte ich mich den einzelnen Aufgaben nicht in der Intensität widmen, die ich von mir selbst verlange. Ich musste mich also entscheiden. Aus heutiger Sicht sage ich, ich habe mit meiner Entscheidung für Gewerkschaft und Arbeiterkammer die richtige Wahl getroffen.

    Salzburg ist bekannt als bedeutende Fremdenverkehrsregion. Welche Auswirkungen hat das auf den Arbeitsmarkt?
    Salzburgs Arbeitsmarkt wird vom Tourismus dominiert. Das ist wichtig. Aber uns fehlt das starke zweite Standbein produzierender Betriebe. Deswegen haben Salzburgs Arbeitnehmer unterdurchschnittliche Einkommen, zahlen aber überdurchschnittliche Preise.

    Viel Tourismus heißt auch viele Saisonniers und ausländische Arbeitnehmer.
    Genau. Wir haben einen beträchtlichen Anteil an ausländischen Arbeitskräften in diesem Billigsegmentarbeitsbereich. Im Winter mittlerweile an die 3000 Saisoniers. Deswegen fordert die Arbeiterkammer von der Wirtschaftspolitik des Landes, Rahmenbedingungen zu schaffen, um den produzierenden Sektor zu stärken und neue Industriebetriebe in Salzburg anzusiedeln. Diese Politik ist bisher viel zu kurz gekommen.

    Trotzdem gibt es einige große Betriebe?
    Wir haben einige große Industriebetriebe, wie M-Real (Papierfabrik), die SAG (Aluminium), Sony, Atomic, Blizzard, Kaindl, etc. Man darf aber nicht vergessen, die letzte wirklich große Betriebsansiedlung war Sony in den 80ern!

    Das Problem in Salzburg ist das Verhältnis zwischen sekundärem und tertiärem Sektor. Der Sekundärsektor ist gemessen am österreichischen Durchschnitt deutlich unterrepräsentiert. Der Tertiärsektor wiederum ist überproportional vorhanden. Es gibt keine Ausgewogenheit zwischen den beiden Sektoren.

    Am Arbeitsmarkt zeigt sich das dann so: Ausschließlich im Bereich der persönlichen Dienstleistungen gibt es eine Zunahme an Beschäftigung, während die Beschäftigung im produzierenden Bereich dramatisch sinkt.

    Die Folge: Salzburg hat die Spitzenstellung am Arbeitsmarkt verloren. Wir waren immer das Bundesland mit der geringsten Arbeitslosigkeit, sind jetzt aber von Oberösterreich überholt worden.

    Diese Unausgewogenheit macht dann den Arbeitsmarkt krisenanfällig?
    Salzburg ist auf Gedeih und Verderb an den Tourismus ausgeliefert. Genau deswegen verlangt die AK eine ausgewogene Wirtschaftstruktur, die es ermöglicht, Schwächephasen einzelner Branchen abzufangen und auszugleichen.

    Nochmals zurück zu den Saisonniers, die ja gerade im Westen Österreichs ein Problem sind: Wie handhabt das die AK Salzburg?
    Ziel ist es, die Saisonniers anständig zu bezahlen und sie anständig zu behandeln. Zum einen aus menschlichen Gründen. Jeder Arbeitnehmer sollte ein Anrecht auf einen guten Arbeitsplatz haben. Zum anderen müssen wir verhindern, dass über das Instrument der Saisonniers die Arbeitsbedingungen generell schlechter werden.

    Die Saisonniers werden von der Wirtschaft ja als Lohndrücker eingesetzt, das heißt, die billigen ausländischen Arbeitskräfte holt man sich ins Land, um das Lohnniveau nieder zu halten - und das bei 14.000 Arbeitslosen in Salzburg.

    Dann kann man nur sagen, Saisonniers müssen den KV bekommen.
    Das ist eine der Bedingungen: Zwingende Vorlage des Arbeitsvertrages und eine überkollektivvertragliche Bezahlung der Saisonniers.

    Überkollektivvertraglich?
    Ja, sie müssen mindestens 1000 Euro verdienen.

    Da kann ich mir denken, dass das einigen Konfliktstoff mit der Wirtschaft mit sich bringt.
    Mindestens zweimal im Jahr ist das ein Konfliktthema mit der Wirtschaftskammer. Mittlerweile haben wir aber aufgrund meiner und der Initiative meines Vorgängers Alexander Böhm eine vernünftige Gesprächsbasis mit dem Sozialpartner gefunden.

    Da kommen wir ja gleich zu einem Punkt der Sozialpolitik. Die Sozialpartner haben sich auf eine Änderung der Zumutbarkeitsbestimmungen geeinigt, nicht unbedingt zum Vorteil der Arbeitslosen, scheint mir.
    Eine Änderung der Zumutbarkeitsbestimmungen trifft nicht den Kern und wird auch nicht helfen, die Arbeitslosigkeit nachhaltig zu bekämpfen. In Salzburg haben wir mit den Menschen in Ausbildung 14.000 Arbeitslose. Bei 3000 gemeldeten freien Jobs beim AMS hilft mir die Änderung der Zumutbarkeitsbestimmungen überhaupt nichts.

    Da ist eine andere Wirtschaftspolitik gefragt, die Arbeitsplätze schafft. Also Standort sichernde und Beschäftigung schaffende Wirtschaftsimpulse bzw. Investitionen in die Infrastruktur.

    Wie weit gelingt es, den Arbeitnehmern klar zu machen, dass die Arbeiterkammer ihre gesetzliche Vertretung ist, die sie auch annehmen?
    Die Arbeitnehmer wissen sehr wohl, wer ihre Interessen vertritt und wer nicht. Ich bin überzeugt davon, dass die österreichweiten AK-Wahlen 2004 diese Ansicht eindrücklich bestätigen werden.

    Die aktuelle Wirtschaftskrise und das politische Chaos der Bundesregierung widerspiegeln sich in unserer Bilanz. Die AK Salzburg hat seit dem Jahr 2000 300.000 persönliche und telefonische Beratungen durchgeführt. Damit ist jedes Mitglied - statistisch betrachtet - in der letzten Funktionsperiode eineinhalb Male von AK-Experten beraten worden.Darüber hinaus hat die AK Salzburg mehr als 4000 Prozesse vor dem Arbeits- und Sozialgericht geführt und alles in allem 45 Millionen Euro für Salzburgs Arbeitnehmer erstritten. Das ist eine beeindruckende Bilanz, auf die wir in der AK Salzburg sehr stolz sein können.

    Wie sieht das Verhältnis zu den Gewerkschaften und Betriebsräten aus?
    Das berühmte Salzburger Klima spiegelt sich auch im Verhältnis der AK zu den Gewerkschaften wider. Bei uns gibt es ein Klima der engen Zusammenarbeit, weil wir wissen, dass wir nur gemeinsam für unsere Mitglieder, sprich die Salzburger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was erreichen können.

    Bereits am ersten Tag meiner Präsidentschaft habe ich klar gemacht, wie wichtig mir ist, dass die Arbeiterkammer den Betriebsräten und den Gewerkschaften bei der Bewältigung ihrer täglichen Probleme höchst professionell zur Seite steht. Anliegen von Betriebsräten und Gewerkschaftsfunktionären haben bei mir erste Priorität und das vermittle ich meinen Mitarbeitern beinahe täglich.
    Selbstverständlich gibt es auch Überschneidungen. So ist zum Beispiel der Rechtsschutz ein klassisches gemeinsames Geschäftsfeld. Aber mit der entsprechenden Intelligenz und Konsequenz entsteht kein Konkurrenzverhältnis zwischen Gewerkschaften und Arbeiterkammer, sondern Synergien für gemeinsame Interessenwahrnehmungen und Durchsetzungen in unserer Arbeit.

    Neben der konkreten Hilfe durch die Rechtsabteilung gibt es auch eine Betreuung auf anderen Ebenen?
    Die Leistungspalette der AK ist enorm breit und wir sind auf vielen gesellschaftlichen Ebenen für die Arbeitnehmer aktiv, sei es im Gesundheits- und Sportbereich oder in Ausbildungsfragen. Mir persönlich ist die politische Grundlagenarbeit ein spezielles Anliegen, sprich die Arbeiterkammer als Denkwerkstatt. Das ist auch ein wichtiger Beitrag und eine Arbeitsleistung für die Gewerkschaften. Ich sehe es als unseren Auftrag, auf regionaler und überregionaler Ebene Konzepte und Programme zu entwickeln, wie wir die Lebensverhältnisse der Arbeitnehmer verbessern können. Zum Beispiel zu Fragen des regionalen Arbeitsmarktes, der sozialen Absicherung, des Wohnbaus, der Raumordnungs- und Wirtschaftspolitik müssen unsere Mitarbeiter Ideen am laufenden Band produzieren und dann versuchen, diese auch in konkrete politische Ergebnisse umzusetzen.

    Ein weiterer Bereich, der mir am Herzen liegt, ist die Aus- und Weiterbildung. Ich registriere die Tendenz, dass gründliche Aus- und Weiterbildung, die den Erfolg am Arbeitsmarkt bestimmt, immer mehr von der Gnade der reichen Geburt abhängt. Der freie, gleiche und gerechte Zugang zur Aus- und Weiterbildung für unser Kinder wird erschwert und eine Art sozialer Numerus Clausus eingeführt. Das ist ein fürchterlicher Rückschritt in unserer Gesellschaft. Da gilt es den größten möglichen Widerstand entgegenzusetzen. Sowohl aus standortpolitischen Überlegungen wie auch aus Gründen der Gerechtigkeit.

    Da wollen wir insbesondere in Salzburg mit den AK-Bildungseinrichtungen ein Zeichen setzen. Um erstens innovative Inhalte, Richtungen und Tendenzen vorzugeben, aber auch um kostengünstige Weiterbildung, die parallel zum Beruf absolviert werden kann, zu forcieren. Das heißt auch als Preisdrücker zu fungieren, so dass sich die Arbeitnehmer Bildung auch leisten können. Insbesondere ist damit das Berufsförderungsinstitut (bfi) gemeint. Darüber hinaus ist die AK noch Träger des Fachhochschulstudiengangs für soziale Arbeit, der Abendakademie für Wirtschaftsberufe, der Technisch-Gewerblichen Abendschule sowie des Brunauerzentrums.

    Noch ein Wort zur herrschenden Ideologie in der europäischen Wirtschaftspolitik, dem Neoliberalismus.
    Die Politik des Neoliberalismus ist unsinnig. Sie schafft kein Wachstum, schickt die Menschen in die Arbeitslosigkeit und zerstört die sozialen Sicherungssysteme. Der Marktfundamentalismus von Schüssel, Grasser & Co macht im Grunde all das kaputt, was Europa so wohltuend von den USA unterschieden hat und zum wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen hat. Das Grundübel ist, dass es keine Verteilungsgerechtigkeit gibt. Diese Wirtschaftspolitik schafft Steuerprivilegien für Reiche (Stiftungen, keine Vermögenssteuer, niedrigste Körperschaftssteuersätze). Gleichzeitig wird die breite Masse der Arbeiter und Angestellten brutal besteuert.

    Die Gewerkschaften und Arbeiterkammer sind aufgerufen, diese Politik zu bekämpfen. Ob wir uns unsere solidarischen Sicherungssysteme leisten, ist nicht eine Frage des Könnens, sondern eine Frage des politischen Wollens. Hätten wir eine Vermögens- und Unternehmensbesteuerung wie in Finnland oder Holland, hätten wir überhaupt keine Finanzierungsprobleme damit.

    Es ist kein Naturgesetz, dass internationale Konzerne und Unternehmen aus der Kapitalwirtschaft wie Banken und Versicherungen beinahe keine Steuern zahlen, während ein kleiner Hackler, der 1500 Euro brutto verdient, eine fast 40-prozentige Abgabenquote hat.

    Zur Österreichpension. Versuchen wir Gewerkschaften wieder einmal, das abzuschwächen, was die Regierung anstellt?
    Wenn selbst die Kronenzeitung titelt, dass Altersvorsorge zum Lotteriespiel wird, dann ist das eine deutliche Bestätigung unserer Prophezeiungen, dass die kapitalorientierten Umlageverfahren völlig untauglich sind, um Sicherheit und Vorsorge fürs Alter zu treffen. Die Arbeitnehmer werden damit irgendwelchen Börsengurus und Spekulanten ausgeliefert, die sicher anderen Herren als den österreichischen Beschäftigten dienen.

    Darüber hinaus hat die Regierung mit dem Pensionsbelastungspaket das Vertrauen der Jugend auf die Zukunft dieses Systems zerstört. Das wiegt für mich noch schwerer.

    Folglich ist es eine ungeheure Herausforderung für alle politisch Verantwortlichen und damit auch der Interessenvertretungen, dieses Vertrauen in die Zukunft wieder herzustellen. Das heißt, da hat man viel an tatsächlichem Reformbedarf und dieses Zukunftsmodell Österreichpension ist sicher ein sehr wesentlicher Schritt.

    Und die Harmonisierung?
    Die Ungerechtigkeiten, die es im Pensionssystem gibt, gehören ein für allemal beseitigt. Es kann nicht sein, dass sich die unselbständig Beschäftigten 85 Prozent der Pension selbst finanzieren, während Arbeitgeber nur 60 Prozent und Bauern gar nur 20 Prozent zu ihrer Pension beitragen.

    Wie ist das mit dem Transit? Ist das hier auch ein Problem?
    In Salzburg ist das ein ähnliches Problem wie in Tirol. Wir haben den Ost-West-Transit auf einem Teil der Westautobahn und wir haben den Nord-Süd-Transit auf der Tauernautobahn. In den nächsten Jahren wird das Land Salzburg aufgrund der steigenden Emissionen an drastischen Maßnahmen, wie zum Beispiel Nacht- oder sektorale Fahrverbote für Lkw, nicht vorbeikommen.

    Was kann man da machen? Jetzt ist das ziemlich verhaut.
    Die österreichischen Bürger zahlen jetzt die Zeche für die Versäumnisse der Bundesregierung in den letzten Jahren. Über Jahre hinweg wurden inkompetente Verkehrsminister nach Brüssel geschickt um das Problem zu regeln. Jetzt haben wir den Scherbenhaufen. Folglich müssen uns auch regional helfen. Wobei ich für mehr Ehrlichkeit in der Transitdebatte plädiere, weil bei den gesamten Salzburger Verkehrsemissionen nur ein Fünftel aus überregionalem Transit entsteht. Alles andere ist hausgemachter Verkehr, nämlich heimischer Ziel- und Quellverkehr.

    Da kann ja nur die Antwort sein, dass man den öffentlichen Verkehr fördert und ausbaut?
    Es ist gibt mehrere Antworten. Die AK Salzburg setzt auf eine kluge Kombination von Individual- und öffentlichem Verkehr.

    Aus dem Grund ist es so wichtig, dass man die ÖBB-Struktur nicht zerschlägt. 34 Prozent der Güter werden über die Bahn transportiert. Wenn durch die beschlossene Zerschlagung der ÖBB jetzt weiter Güterverkehr von der Schiene auf die Straße kommt, dann haben wir noch mehr Lärm und noch mehr Abgase. Nicht nur auf der Autobahn, sondern mit dem Ausweichverkehr auch auf den Bundesstraßen.

    Das ist nicht zumutbar. Und das wird sich die Salzburger Bevölkerung sicher nicht gefallen lassen.

    Wir danken für das Gespräch.

    Zur Person Siegfried Pichler

    Siegfried Pichler wurde am 21. August 1952 in Saalfelden geboren. Pichler ist seit 1977 mit seiner Frau Gertraud verheiratet. Tochter Katrin (26) arbeitet in Salzburg in einem großen Industrieunternehmen als Marketingassistentin, Sohn Markus (24) ist als gelernter Koch seit fünf Jahren in allen Kontinenten unterwegs.

    In seiner (spärlichen) Freizeit ist Pichler ein begeisterter Sportler, unter anderem ein guter Golfer. Golf gilt zwar nicht als der klassische Arbeitnehmersport, trotzdem findet Pichler dabei die notwendige Entspannung von der Arbeit. Darüber hinaus ist der Sport optimal, um seine mentale Stärke zu trainieren.

    Seit 1. Juli 2003 ist Pichler Präsident der Salzburger Arbeiterkammer. Er vertritt damit knapp 200.000 Arbeitnehmer. Bereits Anfang nächsten Jahres - vom 26. Jänner bis 6. Februar 2004 - stellt sich der Sozialdemokrat der AK-Wahl.

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    Siegfried Sorz (Chefredakteur) http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Jun 2007 11:13:44 +0200 1181745942349 Inhalt Ausgabe Jänner 2003 MEINUNG

    Editorial

    Leitartikel
    (Von Siegfried Sorz)

    Unschlagbares Duo für Gleichstellung
    (Kommentar von Sandra Frauenberger)

    HINTERGRUND

    Von der Arbeit zum Kapital
    Umverteilung von Arbeitseinkommen zu Kapitaleinkommen: Die Profite steigen, die Löhne hinken nach
    »Der Lohn, Gehaltsabschluss für dieses Jahr war zu hoch, weshalb für das nächste Jahr nur ein geringerer Anstieg akzeptiert werden kann!« So oder ähnlich klingen regelmäßig Aussagen von Unternehmensvertretern bei den Lohn- und Gehaltsverhandlungen. Überprüft man die Fakten, dann trifft der Wahrheitsgehalt solcher Aussagen keineswegs zu. In der Industrie und bei einem Teil der Handelsunternehmen wurde der Zuwachs der Löhne und Gehälter durch deutlich stärkere Produktivitätszuwächse übertroffen. Einsparungen beim Personal auf der einen Seite, beachtliche Zuwachsraten bei Kapitaleinkommen, den Gewinnen, Gewinnausschüttungen und Eigenkapital auf der anderen Seite waren die Regel.

    Patentrezept gegen die Arbeitslosigkeit?
    Der bundesdeutsche Hartz-Bericht und seine Umsetzung aus österreichischer Sicht
    Die von der deutschen Bundesregierung beauftragte Kommission unter VW-Manager Peter Hartz ist angetreten, Reformkonzepte zu entwickeln, um eine Halbierung der Arbeitslosigkeit binnen drei Jahren zu erreichen. Trotz zum Teil für Deutschland innovativer Ideen bestehen große Zweifel, ob der Maßnahmenkatalog geeignet ist, dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen. Auch in Österreich sind die deutschen Überlegungen auf großes Interesse gestoßen. Obwohl sich hierzulande die Gesamtsituation wesentlich günstiger darstellt und die Arbeitslosenquote nur halb so hoch wie in Deutschland ist, verlangt auch die österreichische Arbeitsmarktpolitik nach Reformen, um der steigenden Arbeitslosigkeit Herr zu werden. Eine einseitige Orientierung am Hartz-Modell ist jedoch der falsche Weg. Vielmehr sollten die österreichischen Rahmenbedingungen beachtet und der österreichische Ansatz weiterentwickelt werden.

    Corporate Governance Diskussion als Antwort auf Bilanzskandale?
    Nachdem in den USA Konzerne wie Enron, Worldcom, Xerox, Disney etc. wegen Bilanzmanipulationen in die Schlagzeilen geraten sind, geht auch in Europa die Angst vor Bilanzskandalen um. Der US-Telekomriese Worldcom musste Fehlbuchungen im Ausmaß von 4 Milliarden US-$ eingestehen. Es ist die größte Pleite in der US-Geschichte. Es wird damit gerechnet, dass mehr als 20 Prozent der Beschäftigten - 17.000 - ihren Job verlieren.

    Studieren und arbeiten
    Viele Betroffene, viele Probleme
    Die Zahl der erwerbstätigen Studierenden ist in den letzten Jahren ständig gewachsen. Um Genaueres über die Situation, die Probleme und Wünsche von berufstätigen Studierenden an Universitäten und Fachhochschulen zu erfahren, hat die AK Wien eine Studie in Auftrag gegeben. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen vor allem eines: Der Handlungsbedarf für Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Studium und Beruf ist nach wie vor groß.

    RUBRIKEN

    Aus Arbeiterkammern und Gewerkschaften
    Eingleisige Liberalisierung • Mindestlohn durchgesetzt • Unfallrentenbesteuerung: Frist zum Reparieren • Pensionen: Reform statt Kürzungen

    Internationales
    Von Porto Alegre nach Florenz: Ein anderes Europa ist möglich! • Florenz: »Prinzip Hoffnung«

    ILO: Weniger Jobs, mehr Risiken?

    Athen: Plädoyer für Ein- und Zwei-Euro-Scheine • Ungarn: Gefährliche Arbeitsplätze

    Wirtschaft
    Erneute Eintrübung der Weltkonjunkturlage

    Arbeitsmarkt und Verbraucherpreisindex

    Konsumenten
    Brüssel: EU klagt Gratisdetailrechnung ein

    Sozialpartner - Personelles
    ÖGB-Vizepräsident Neugebauer: Herausforderungen des Jahres 2003 nur mit Sozialpartnern bewältigbar! • Johann Zwettler als neuer BAWAG-Generaldirektor designiert

    Doyen der A&W-Redaktion verabschiedet

    Betriebsrat und Arbeitswelt
    Zigaretten sind lebenswichtig • Aktuell: Swarovski

    Gesundheit: Defibrillatoren im Betrieb

    Starthilfe für Benachteiligte

    Frauen:
    Der kleine Unterschied

    Bücher
    Strategisches Eigentum für Österreichs Zukunft • Sokol: FERN-SEHEN • NS-HERRSCHAFT IN ÖSTERREICH

    Vor 25 Jahren in der A&W

    Man kann nicht alles wissen

    Impressum und Offenlegung

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    [startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1181745942332 Inhalt Ausgabe Februar 2003 SCHWERPUNKT:
    BESCHÄFTIGUNG & ARBEITSMARKT

    Arbeitsmarktreform Österreich 2003
    Was heißt aktive Arbeitsmarktpolitik? Wie steht es um die Budgets dafür?
    Eskaliert die Krise auf dem Arbeitsmarkt zum Notfall?
    Wie sollte eine Arbeitsmarktreform aussehen?

    Brennpunkt Arbeitsmarkt:
    Entwicklungen und Herausforderungen
    Wo liegen Hauptansatzpunkte für eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik im Interesse von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern?

    Stichwort Arbeitslosenversicherung =
    Ausbildungsversicherung
    Interview mit Rudolf Kaske, Vertreter der Arbeitnehmer im Verwaltungsrat des AMS

    Atypisch oder typisch?
    Instabilität des Arbeitsverhältnisses und kurze Beschäftigung auch bei den nicht
    »atypischen« werden zunehmend zum Normalfall

    HINTERGRUND:

    Lohnquote sinkt seit zwei Jahrzehnten
    Der Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen (Lohnquote) wird als Indikator für die funktionelle Einkommensverteilung verwendet, er soll die relative Wohlfahrtsposition messen. Ein Sinken der Lohnquote wird als soziale Umverteilung zulasten der Arbeitnehmer interpretiert.

    AUS ARBEITERKAMMERN & GEWERKSCHAFTEN

    Falsche Weichenstellung

    Ein Mann, ein TV-Bericht

    Unfreiwillig frei

    Strafrechtliche Verfolgung von Sozialbetrug!

    Kopfsteuer für Kranke

    Wie hoch ist meine Abfertigung?

    Pendler: Opfer der Benzin- und Bahnpreiserhöhungen

    Flugtickets: Gebühren sind unakzeptabel

    Wer ist der günstigste Gasanbieter?

    KULTUR - BILDUNG - MEDIEN

    A Letter To The Stars

    GESELLSCHAFTSPOLITIK

    Billigarbeitskräfte Wirtschafts-Saisonniers

    Zukunftsbranche Pflege und Betreuung

    INTERNATIONALES

    Brüssel/Wien: 18 Punkte für Europa

    Brüssel/Kopenhagen/Wien:
    »Sozialmodell in die neuen Länder!«

    Gesundheit: Tabakwerbung verboten

    EU - Beschäftigung: Gipfeltreffen statt Arbeitskreis

    MEINUNGEN

    Standpunkt

    A&W-Leserforum

    Kommentar B. Rossmann

    Gastkommentar O. Gauper

    VORSCHAU MÄRZ 2003

    Selbstbehalte als Finanzierungshilfe für die Krankenversicherung?
    Es gibt Befürworter und Gegner, aber Tatsachen sprechen vor allem aus dem
    Systemvergleich der verschiedenen Krankenkassen. Die Autorin Agnes Streissler ist Gesundheitsökonomin.

    Ein weiterer Schwerpunkt ist das Prinzip der Selbstverwaltung, mit dem wir uns in mehreren Beiträgen auseinander setzen werden.

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    [startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1181745942322 Inhalt Ausgabe März 2003 SCHWERPUNKT:
    SELBSTVERWALTUNG

    Verantwortung und Mitbestimmung
    Mit der Selbstverwaltung werden Aufgaben erfüllt, die in anderen Ländern direkt vom Staat wahrgenommen werden. Das sichert mehr demokratische Mitbestimmung, mehr Bürgernähe und einen solidarischen Ausgleich von Interessen bei der Erfüllung des Allgemeinwohles.

    Autonome Selbstverwaltung und Demokratie
    Der Abbau der Selbstverwaltung an der Spitze des Sozialversicherungssystems ist ein Schritt zurück zum unseligen Ständestaat der Jahre 1933 bis 1938

    Eine Funktion der Menschenwürde
    In den letzten Jahren wird die Selbstverwaltung in den Gemeinden, in den Kammern, und in den Sozialversicherungsträgern immer öfter in Frage gestellt.

    Element der österreichischen Demokratie
    Vor 120 Jahren begannen sich die Arbeiter und Angestellten gegen das soziale Elend aufzulehnen

    Selbstverwaltung ist Mitbestimmung
    A&W-Gespräch mit Hans Sallmutter und Karl Klein

    HINTERGRUND:

    Selbstbehalte bei der Krankenversicherung
    Es gibt Befürworter und Gegner, aber Tatsachen sprechen vor allem aus dem Systemvergleich der verschiedenen Krankenkassen.

    Ja zu Europa - aber zu welchem?
    Muss ein guter Europäer auch ein neoliberales, konsequent durchprivatisiertes Europa wollen?

    MEINUNGEN

    Standpunkt

    A&W-Leserforum

    Kommentar B. Rossmann

    AUS ARBEITERKAMMERN & GEWERKSCHAFTEN

    Infra - die starke Allianz

    Sonntags nie

    Trinkgeld wann und wie hoch?

    Einmal im Jahr den Frauen zuhören

    KULTUR - BILDUNG - MEDIEN

    Oberfläche ohne Tiefe

    Es geht um die Wurst

    Allzu zögerliche Denker

    Man kann nicht alles wissen

    WIRTSCHAFT & ARBEITSMARKT

    Was wirklich teurer wurde

    Verbraucherpreise

    INTERNATIONALES

    Drittes Weltsozialforum

    Der Arbeitsmarkt in Ungarn

    VORSCHAU APRIL 2003

    Aus aktuellem Anlass bringen wir eine wirtschaftliche und kulturelle Wertung der islamischen Gesellschaften und Länder des Nahen Ostens.

    Eine Analyse der Pensionspläne im Regierungsprogramm Schwarz-Blau II wird uns alle zwar nicht beruhigen, aber zumindest informieren, wie es um unsere Alterssicherung steht.

    Eine ausführliche Darstellung findet auch die Situation bei der Post und bei den Postbediensteten

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    [startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1181745942294 Inhalt Ausgabe April 2003 SCHWERPUNKT:
    PENSIONSREFORM

    Ein kontraproduktives Regierungsprogramm
    Neuauflage von Schwarzblau: Tiefe Einschnitte in das Sozialsystem stehen bevor, die Sparziele sind trotzdem nicht erreichbar, aber die Reichen sollen noch reicher werden.

    Pensionsraub
    Massive Verschlechterung für Arbeitnehmer: Unter der Ankündigung »Österreich neu regieren« war schon die ÖVP-FPÖ-Koalition I angetreten, Fairness und soziale Gerechtigkeit zu ermöglichen. Die Bilanz nach drei Jahren zeigte allerdings ein anderes Bild.

    »Was Sie unbedingt wissen sollten« …
    … über die Pensionsversicherung

    HINTERGRUND:

    Die Erstarrung der islamischen Gesellschaft
    Die tieferen Gründe für das Gefälle zwischen Europa und dem Nahen Osten: Der Krieg im Irak ließ die islamischen Gesellschaften in den Vordergrund treten. Immer größer wird das Interesse für den spezifischen Charakter ihrer politischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Struktur.

    Deregulierung ist Umverteilung nach oben
    Der Abbau von Arbeitnehmerrechten führt nicht zu mehr Beschäftigung in Europa: Die Auswirkungen einer breiten Deregulierung der Arbeitsmärkte auf die Situation der Arbeitnehmer und gewerkschaftliche Strategien für eine sozial regulierte Wirtschaft.

    Ausverkauf der Post
    Bringt die Post wirklich allen was? Ziel sei die Auflösung der ÖIAG, der Österreichischen Industrieholding, versprach sich Finanzminister Grasser. Er verriet damit mehr über seine wahren Pläne, als ihm lieb sein konnte.

    Geplante Pleite
    Wie ein Wiener 1200 Baufirmen gründete: Gastronomie, Fuhrwesen und Bau werden von organisierten Schwarzunternehmern regelrecht unterwandert. Ging es bislang vor allem um das Problem nicht angemeldeter Arbeitnehmer, so ist der Sozialbetrug - vor allem am Bau - heute fast ein Wirtschaftszweig für sich.

    MEINUNGEN

    Standpunkt

    A&W-Leserforum

    AUS ARBEITERKAMMERN & GEWERKSCHAFTEN

    Steuern auf Unfallrenten

    Teurer Wohnen

    Gegen die Ho-ruck-Privatisierung der ÖBB

    Warnung vor neuer Pensionsvorsorge

    KULTUR - BILDUNG - MEDIEN

    Frauen macht Budgets

    Darf Marlboro eine Volksschule in Wörgl betreiben?

    Man kann nicht alles wissen

    INTERNATIONALES

    Ungarns working poor

    GESELLSCHAFTSPOLITIK

    Gleichheit ist unteilbar

    Jugend ohne Arbeit

    WIRTSCHAFT & ARBEITSMARKT

    Verbraucherpreise

    Die Flex-Familie ist gefordert

    Warum keine Wertschöpfungsabgabe?

    VORSCHAU MAI 2003

    »Ein Jahrzehnt der Stagnation« heißt eine Analyse der Wirtschaftslage Österreichs von Günther Chaloupek, dem Leiter der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien.

    Josef Wöss, der Leiter der Abteilung Sozialpolitik der AK Wien, befasst sich nochmals ausführlich mit der »Pensionsreform«, wobei es vor allem auch um das Umlageverfahren und um klare Wertungen und Erklärungen geht.

    »Entpolitisierung ist auch Politik« heißt ein Beitrag von Günther Sandner, bei dem es um die Bildungsarbeit der Gewerkschaften geht und um Wege, der »Entpolitisierung« entgegenzuwirken.

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    [startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1181745942238 Inhalt Ausgabe Mai 2003 SCHWERPUNKT:
    PENSIONSVERSICHERUNG

    Bruch des Generationenvertrags
    Setzt sich die Regierung durch, wird ein Kernbereich des österreichischen Sozialstaats mit Brachialgewalt demontiert: Denn die behauptete dramatische Finanzkrise der Pensionsversicherung ist nur eine gezielte, verantwortungslose Irreführung der Öffentlichkeit durch Schwarz-Blau.

    Ein Jahrzehnt der Stagnation?
    Die dramatischen Folgen einer falschen wirtschaftspolitischen Orientierung: Die Wirtschaftslage Österreichs verschlechtert sich kontinuierlich. Die neueste WIFO-Prognose bestätigt, was sich längst für alle Beobachter abzeichnete, die die schönfärberischen Darstellungen der Regierung durchschauen.

    Reform in schlechter Tradition
    Aus der Geschichte der österreichischen Pensionsversicherung: Einst war die Altersvorsorge ein Privileg. Der Staat, der Kaiser gewährte es jenen, deren Motivation er brauchte. Heute hat jeder auf sie Anspruch.

    HINTERGRUND:

    Die Risiken des EU-Beitritts
    Die Mitgliedschaft in der EU ist nur ein erster Schritt: Für die meisten EU-Beitrittskandidaten ist es erklärtes Ziel, auch möglichst rasch den Euro einzuführen. Doch der Termin und die Umstände sind heikle Entscheidungen.

    Behindert - und doch wertvoll fürs Unternehmen
    2003 - im europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung - soll sich einiges bewegen: Grund genug, Behinderung und Arbeit sowie den Anspruch von Menschen mit besonderen Bedürfnissen auf Gleichstellung und Chancengleichheit öffentlich zu diskutieren.

    MEINUNGEN

    Standpunkt

    A&W-Leserforum

    AUS ARBEITERKAMMERN & GEWERKSCHAFTEN

    Kein Kavaliersdelikt

    Arbeit statt Zahlenspiel

    Handy-Hersteller im Ethik-Test

    Ende des freien Samstags

    INTERNATIONALES

    Südafrika zwischen Befreiung und Neoliberalismus

    GESELLSCHAFTSPOLITIK

    Verbraucherbildung tut Not!

    Die wahren Defizite der EU

    Gender Mainstreaming: Geschlecht und Gesundheit

    Preis für soziale Verantwortung

    WIRTSCHAFT & ARBEITSMARKT

    Verbraucherpreise

    Digital-TV kann alle teuer kommen

    Umdenken der Weltbank?

    Kreditverträge: Deutlich zu viel gezahlt

    Der übernationale Gewerkschaftsbund

    KULTUR - BILDUNG - MEDIEN

    Bilanz der Aktionskunst

    Man kann nicht alles wissen

    VORSCHAU JUNI 2003

    »Fortschritt mit Lücken« hinterfragt, was von der freiwillig wahrgenommenen sozialen Verantwortung von Unternehmen zu halten ist.

    Von »Gernot Mitter« erhalten wir eine kritische Bewertung des Regierungsvorhabens, die Notstandshilfe durch die »Sozialhilfe neu« zu ersetzen.

    »Terror der kleinen Schritte« heißt der Artikel von Gabriele Müller, in dem das Thema »Mobbing« behandelt wird.

    Auch bei den »Betriebspensionen« gibt es in der Juniausgabe keine guten Nachrichten.

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    [startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1181745942219 Inhalt Ausgabe Juni 2003 SCHWERPUNKT:
    DIE TÜCKEN DER »REFORM«

    Vor dem nächsten Aderlass
    Mit der Novelle zum Pensionskassengesetz stehen nun auch noch rund 350.000
    Arbeitern und Angestellten massive Verschlechterungen ins Haus, befürchtet die Arbeiterkammer und schlägt Alarm.

    Eine Luftblase, die sich immer mehr aufbläht
    Dr. Otto Farny, Leiter der Abteilung Steuerpolitik in der AK-Wien, über die Nachteile des Kapitaldeckungsverfahrens

    Sozialhilfe neu statt Notstandshilfe
    Setzt sich die Regierung mit ihren Reformabsichten durch, bedeutet dies: Mehr Armut und längere Arbeitslosigkeit für die ÖsterreicherInnen statt einer wirkungsvollen Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit.

    Pensionen: Fadenscheinige Begründung

    HINTERGRUND:

    »Irgendwie nutzlos«
    Statistiken sind nur Zahlen und daher geduldig: Aber jene, die in der Arbeitslosenquote aufscheinen, fühlen sich oft wie eine Null. Auch Teilnehmer an Kursmaßnahmen des Arbeitsmarktservice, die sich in AMS-Listen »nicht niederschlagen«, haben Gefühle wie »offizielle« Arbeitslose.

    Auch Entpolitisierung ist Politik
    Der Gewerkschaftsbewegung bläst ein eisiger Wind ins Gesicht: Drastische soziale und wirtschaftliche Veränderungen erhöhen den Druck auf die Interessenvertretung. Umso wichtiger ist eine Politischer Bildungsarbeit, die der »Entpolitisierung« entgegenwirkt.

    Fortschritt mit Lücken
    Soziale Verantwortung von Unternehmern - im business-talk auch »Corporate Social Responsibility« (CSR) genannt - ist »in«. Viele Initiativen von privater und öffentlicher Seite sind Beweis dafür. CSR ist freiwillig getragene unternehmerische Sozialverantwortung.

    MEINUNGEN

    Standpunkt

    A&W-Leserforum

    AUS ARBEITERKAMMERN & GEWERKSCHAFTEN

    Demo gegen Pensionsklau

    Pauschalreisen: Scharf rechnen

    »Das Medikament war falsch«

    »Wissen über gesellschaftliche Aufgaben«

    Arbeitsplätze durch Innovation

    INTERNATIONALES

    Indien: Männer arbeitslos, Frauen erfinderisch

    Europaweite Razzia gegen Autokonzern

    GESELLSCHAFTSPOLITIK

    ÖGB-Frauen: »Gemeinsam unausstehlich«

    WIRTSCHAFT & ARBEITSMARKT

    Verbraucherpreise

    Der neue Klassenkampf

    KULTUR - BILDUNG - MEDIEN

    Ploteus: Wegweiser zur Weiterbildung

    ÖGB-Anliegen verschwiegen

    Armutspolitik ist finanzierbar

    Werbung verrät Werthaltungen

    Wie viel Schlaf der Mensch braucht

    Man kann nicht alles wissen

    VORSCHAU JULI/AUGUST 2003

    Aus aktuellem Anlass liefert Brigitte Pellar in dem Artikel »Das Freiheitsrecht Streik« Hintergrundinformationen zu der letzten Möglichkeit, gewerkschaftliche Forderungen durchzusetzen.

    »Terror der kleinen Schritte« heißt der Beitrag von Gabriele Müller, in dem das
    Thema »Mobbing« behandelt wird.

    Weitere Beiträge beschäftigen sich mit der Finanzierung der Gemeinden, mit Kinderarbeit und mit der Situation der Österreichischen Bundesbahnen.

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    [startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1181745942212 Inhalt Ausgabe Juli/August 2003 SCHWERPUNKT:

    Pensionsreform:
    Geldbeschaffung statt Pensionssicherung
    Am 11. Juni 2003 ist die Pensionsreform mit den Stimmen der Regierungsparteien im Parlament beschlossen worden. Mit ihren Entwürfen zur Pensionsreform wollte die Bundesregierung ursprünglich in ganz kurzer Zeit die vorzeitigen Alterspensionen abschaffen und die Pensionen schon ab 2004 drastisch kürzen.

    Budgetentwürfe 2003 und 2004
    Fortsetzung der Belastungspolitik zu Lasten der Arbeitnehmer: Am 7. Mai hat Finanzminister Grasser ein Doppelbudget für die 3 Jahre 2003 und 2003 vorgelegt. Er hat in seiner Budgetrede von hervorragenden Ausgangsbedingungen für diese Legislaturperiode gesprochen und gemeint, das Doppelbudget sei ein Zukunftsbudget, ein Reformbudget und ein entlastendes Budget.

    MEINUNG:

    Wir brauchen echte Zukunftslösungen!
    Das aktuelle »Arbeit&Wirtschaft«-Gespräch mit ÖGB-Präsident Fritz Verzetnitsch

    HINTERGRUND:

    Die schärfste Waffe
    Das Freiheitsrecht Streik in der österreichischen Geschichte: Die letzte Möglichkeit, gewerkschaftliche Forderungen durchzusetzen, bleibt der Streik, so lang die Menschen in Produktion und Dienstleistung nicht vollständig durch Roboter oder denkende Computer ersetzt sind. In Österreich gibt es kein gesetzlich verankertes Recht auf Streik, aber es besteht seit 1870 Streikfreiheit.

    Freie Bahn - für wen?
    Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) sollen, glaubt man den Ankündigungen der Regierung, nicht verkauft werden. Nein. Sie sollen bloß »effizienter, sparsamer und flexibler« werden, um für den liberalisierten EU-Markt gerüstet zu sein.
    Ist das wirklich so?

    MEINUNGEN:

    Standpunkt

    A&W Leserforum

    Kommentar: Die Wahrheit ist das erste Opfer

    AUS ARBEITERKAMMERN & GEWERKSCHAFTEN

    Geldplanung per Mausklick

    Keine weiteren Geschenke

    »Allianz für den freien Sonntag«

    Einmalzahlung gestrichen

    Bankrott statt Offensive

    600-Millionen-Euro-Steuergeschenk

    Geschenke für Frächter?

    GESELLSCHAFTSPOLITIK

    Die Armut bleibt weiblich

    Arztbesuche auch im EU-Ausland

    Frauen weiterhin diskriminiert

    »Daseinsvorsorge« wird Überlebensfrage für Gemeinden

    Ist der Zug abgefahren?

    INTERNATIONALES

    Mendez wurde Verzetnitsch-Nachfolger

    Sozialdumping befürchtet

    Verkehrssünder EU-weit verfolgt

    Pädagogen auf der Verliererseite

    Gegen Wildwuchs von »functional food

    WIRTSCHAFT & ARBEITSMARKT

    Verbraucherpreise

    KULTUR - BILDUNG - MEDIEN

    Man kann nicht alles wissen

    VORSCHAU SEPTEMBER 2003

    Investitionen wozu? heißt ein Beitrag von Alfred Kraus, der sich mit dem Zusammenhang von Investitionen, Beschäftigung und Wirtschaftswachstum beschäftigt

    Terror der kleinen Schritte heißt der Beitrag von Gabriele Müller, in dem das Thema »Mobbing« behandelt wird.

    Arbeitszeit nach Maß ist ein Sozialpartnerprojekt von ÖGB, AK, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung in Oberösterreich und ein Beispiel für die Erarbeitung erfolgreicher Arbeitszeitmodelle

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    [startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1181745942208 Inhalt Ausgabe September 2003  

    SCHWERPUNKT:

    Gewinnmaximierung ohne soziale Verantwortung hat keine Zukunft
    Interview mit Roswitha Bachner, Leitender Sekretärin des ÖGB

    11 Arbeit Suchende auf eine offene Stelle: das schreit nach Maßnahmen
    Interview mit Richard Leutner, Leitendem Sekretär des ÖGB

    Konflikte sind auch auszutragen
    Interview mit Wilhelm Haberzettl, Vorsitzender der Gewerkschaft der Eisenbahner

    HINTERGRUND:

    Wird aus der EU eine Sozialunion?
    Der Konvent zur Zukunft Europas hat seinen Verfassungsentwurf vorgelegt. Die Arbeitnehmerorganisationen bringen wichtige Forderungen in die Zukunftsdebatte ein. Eine Analyse der AK Wien.

    GATS gefährdet uns alle
    Gesundheit, Verkehr und Bildung sollen den Profitinteressen ausgeliefert werden: Bei der fünften Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO im mexikanischen Cancun treten die GATS-Verhandlungen in die entscheidende Phase.

    Verdienen an Flüchtlingen
    Österreich verfehlt seine Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention, ist mit seiner »Flüchtlingsbetreuung« unter den Schlusslichtern der EU und hat wichtige Aufgaben einer Privatfirma übergeben, die ihre Aufträge nicht hinterfragt.

    Mobbing
    Das Phänomen der seelischen Gewalt am Arbeitsplatz hat es gegeben, lange bevor »Mobbing« zum Modewort wurde. Mit steigender Gewaltbereitschaft der Gesellschaft, fürchten Experten, steigt aber auch die Bereitschaft, Kollegen durch brutale Strategien hinaus zu drängen. Mehr oder weniger subtile psychische Gewalt dient außerdem immer öfter dazu, sich billig unerwünschter Untergebener zu entledigen.

    MEINUNGEN:

    Standpunkt

    A&W Leserforum

    Kommentar: Neue Solidarität gefragt

    AUS ARBEITERKAMMERN & GEWERKSCHAFTEN

    Banken: Ende des »Körberlgeldes«?

    Gesundheitssystem: Solidarische Reform

    Atypisch Beschäftigte: Moderne Sklaven

    Gewerkschaft Online

    GESELLSCHAFTSPOLITIK

    Lebenslanges Lernen

    AK-Tests: Verdorbenes Fleisch

    Rückenwind von Fempowerment

    WIRTSCHAFT & ARBEITSMARKT

    Verbraucherpreise

    INTERNATIONALES

    IBAN und BIC

    Kampf dem Werbe-E-Mail-Müll

    Neues Modell für Lastenausgleich

     

    Nachruf Winfried Bruckner

    KULTUR - BILDUNG - MEDIEN

    Rat&Tat '03

    Man kann nicht alles wissen

    VORSCHAU OKTOBER 2003

    Für die Oktoberausgabe planen wir unter anderem anlässlich des ÖGB-Bundeskongresses eine Round-Table-Diskussion zur »Zukunft der Gewerkschaftsbewegung«. Als Teilnehmer sind vorgesehen: Prof. Ferdinand Karlhofer, Politikwissenschaftler der Universität Innsbruck, Herbert Lackner, Chefredakteur »profil«, Günther Ogris, Leiter des Meinungsforschungsinstituts SORA, Rudi Kaske, Vorsitzender der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst, sowie Annemarie Kramser, Leiterin der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, Marketing.

    Weiters sind geplant Beiträge von Arne Heise über Reformen und Modernisierungsstrategien: »Fair-Teilung«, über die Entwicklung der Konjunktur in Zusammenhang mit Lohn- und Gehaltsforderungen: »Investieren wozu?« von Alfred Kraus, über Stress in der Arbeitswelt »Hamster im Laufrad« von Gabriele Müller.

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    [startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1181745942203 Inhalt Ausgabe Oktober 2003 SCHWERPUNKT:

    Da haben die Gewerkschaften andere Ideen ...
    Interview mit Fritz Verzetnitsch, Präsident des ÖGB.
    »Das Entscheidende ist, dass man sich als Gewerkschafter immer wieder vor Augen führt: Die Welt verändert sich, dennoch ist der Mensch unsere Stärke, der Mensch, der Bedürfnisse, der Anliegen hat.«

    Neue Probleme, neue Chancen
    Wenn sich alles ändert, muss sich auch die Gewerkschaft ändern, doch Angst vor der Zukunft braucht sie nicht zu haben. Dies ist das Ergebnis unseres »Runden Tisches«.

    HINTERGRUND:

    So würgt man die Konjunktur ab
    Die Unternehmen sparen bei Investitionen und Löhnen und investieren in Beteiligungen: »Wenn sich die Beschäftigten bei ihren Lohn- und Gehaltsforderungen zurückhalten, können notwendige Investitionen durchgeführt werden.« Oder: »Investitionen schaffen und sichern Arbeitsplätze.« Oder: »Investitionen ermöglichen ein langfristiges Wachstum in den Unternehmungen und in der Volkswirtschaft.« Stimmt das?

    »Fair-Teilung«
    Eine andere Reformpolitik braucht eine neue Kultur der Solidarität: Land auf, Land ab wird gegenwärtig von Reformnotwendigkeit gesprochen und die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft angemahnt. Wesentliche Teile dieser vorgeblichen Modernisierungsstrategien meinen wirklich einen Rückzug des Staates und der Gesellschaft aus seiner wirtschafts- und verteilungspolitischen Verantwortung, eine Privatisierung des Öffentlichen.

    Volkskrankheit Stress
    Moderne Arbeitswelt: Hamster im Laufrad. »Ich bin im Stress«, sagt Kollegin Helga. Ein Satz, der sich immer öfter bei ihr wiederholt. Gleichzeitig quillt ihre Ablage von unbearbeiteten Papieren über. Je größer ihr Stress, umso langsamer scheint sie zu werden. Chronischer Stress verhindert, das zu tun, was der Mensch gerne täte: Gute Arbeit zu leisten.

    MEINUNGEN:

    Standpunkt

    A&W Leserforum

    AUS ARBEITERKAMMERN & GEWERKSCHAFTEN

    Kindergeld: AK erreicht Reparatur

    Schule: Kurssystem statt Nachprüfung

    Pfusch: Unternehmer bleiben ungeschoren

    GESELLSCHAFTSPOLITIK

    Kinderarbeit: Nicht immer ein Skandal

    Erwerbstätige Frauen: Familiäre Verpflichtungen

    Österreich räumt ab

    Behinderte diskutieren ihre berufliche Zukunft

    Wohnkredite: Besserer Kostenvergleich

    KULTUR - BILDUNG - MEDIEN

    Nach wie vor aktuell: Marx lesen

    Man kann nicht alles wissen

    WIRTSCHAFT & ARBEITSMARKT

    Verbraucherpreise

    INTERNATIONALES

    Werbung: Verbotene Sprüche

    Nacktfotos: Keine »EU-Zensur«

    EU-Klimaschutz und Jogging-Schuhe

    Mehr Grün in die Gewerkschaft

    ILO-Arbeitsschutz-Doktrin

    Streikrecht für Polizisten

    Vergessene Krisen

    Millionen Schwarzarbeiter

     

    Nachruf Egon Matzner

    VORSCHAU NOVEMBER 2003

    Für die Novemberausgabe planen wir unter anderem Beiträge über den Verkauf der Voestalpine: »Zugeschanzt?«, über neue Gefahren am Arbeitsplatz: »Stress statt Transmissionsriemen« und über »Arbeitszeit nach Maß« als sozialpartnerschaftliches Modell.
    Natürlich werden wir auch über den ÖGB-Bundeskongress berichten.

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    [startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1181745942198 Inhalt Ausgabe November 2003 SCHWERPUNKT:

    Nicht Hemmschuh, sondern Gewissen
    Rede von Bundespräsident Thomas Klestil vor den Delegierten des
    15. Bundeskongresses des ÖGB am 14. Oktober, im Austria Center Vienna sowie Auszüge aus der Rede zum Nationalfreiertag. »Lassen wir nicht zu, dass eine Marktwirtschaft, die ihre soziale Verantwortung vermissen läßt, einen Keil in unsere Gesellschaft treibt. Ein Land ist immer so stark wie seine innere Solidarität.«

    HINTERGRUND:

    Zugeschanzt?
    Die Debatte über die voestalpine-Privatisierung ist einem Schnellsiedekurs über Börse, Aktien, Anleihen und Unternehmenspolitik gleichgekommen. In Wirklichkeit haben wir einen Einblick erhalten, wie die Bereicherung der Privatwirtschaft über die Börse mit Hilfe der Regierung funktioniert.

    Privatisiert und freigegeben
    Feindliche Übernahmen und Fusionen hängen eng zusammen: Wenn sich der Staat aus einem Unternehmen zurückzieht und Privaten das Feld überlässt, drohen unweigerlich Übernahmeversuche.

    Die EU folgt dem falschen Leitbild
    Den hier abgedruckten Vortrag über »Fragen zur Zukunft der europäischen Identität« hielt AK-Direktor Werner Muhm kürzlich im Europa Klub Brüssel.

    Bruchbude WTO
    Die fünfte Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Cancún ist gescheitert. Die Reaktionen reichen von »kleine Atempause« über »Notwendigkeit grundlegender Reformen« bis »Begräbnis des Multilateralismus«.

    MEINUNGEN:

    Standpunkt: Erfolg für alle Beschäftigten

    AUS ARBEITERKAMMERN & GEWERKSCHAFTEN

    Recht auf Teilzeit

    Hilfe gegen unterschätzte Belastung

    Achtung vor doppelter Grundgebühr

    Mehr Kosten, weniger Mieterschutz

    Vermögensbesteuerung

    Erwachsenenbildung

    GESELLSCHAFTSPOLITIK

    ÖBB: Arbeitnehmerschutz auf Abstellgleis

    Neues EU-Grünbuch

    Der Ton verschärft sich

    Euro nach wie vor »Neuro«

    KULTUR - BILDUNG - MEDIEN

    Der Fall Semperit

    Man kann nicht alles wissen

    WIRTSCHAFT & ARBEITSMARKT

    Verbraucherpreise

    INTERNATIONALES

    Neues EU-Grünbuch

    Alles wahr

    Reformansätze in der Berufsausbildung

    Solidarität gibt Hoffnung

    Großverlage unter Druck

    Tankstellenshops

     

    Aktuell: Eisenbahner

    A&W Geschekabonnement

    VORSCHAU DEZEMBER

    »Arbeit&Wirtschaft« bringt unter anderem ein Interview mit einem führenden Funktionär der Gewerkschaft der Eisenbahner. Ein weiteres aktuelles Gespräch mit dem Chef der Salzburger Arbeiterkammer, AK-Präsident Siegfried Pichler, gilt den Anliegen der Arbeitnehmer speziell im Raum Salzburg.

    Die »Österreich-Pension«, die Entwicklung unseres Sozialstaates und die Finanzen der österreichischen Gemeinden sind weitere Themen im Dezemberheft.

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    [startdatum:EEE', 'dd' 'MMM' 'yyyy' 'HH:mm:ss' 'Z] 1181745942195 Inhalt Ausgabe Dezember 2003  

    MEINUNG:

    Betriebsräte haben bei mir Priorität
    A&W-Gespräch mit Siegfried Pichler, Präsident der Arbeiterkammer Salzburg

    Man muss sich zur Wehr setzen!
    A&W-Gespräch mit Norbert Bacher, geschäftsführender Zentralsekretär der Gewerkschaft der Eisenbahner

    Unter dem Blickwinkel der Gerechtigkeit
    A&W-Gespräch mit Karl Klein, Vorsitzender der Fraktion Christlicher Gewerkschafter und Sekretär für Kollektivverträge

    SCHWERPUNKT:

    Die Alternative zum Pensionsrecht
    Nach den großen Auseinandersetzungen um die sogenannte »Pensionssicherungsreform« der Bundesregierung erteilte das Präsidium des ÖGB den Auftrag, ein alternatives Pensionsmodell auszuarbeiten.

    Niedrigstpensionen: Zum Sterben zuviel
    Die Pensionsreform 2003 wurde zwar nach heftigem Widerstand der Arbeitnehmervertreter etwas entschärft. Die Kürzung um mehr als 1,5 Monatspensionen im Jahr trifft besonders Bezieher von Kleinpensionen. Vor allem Frauen.

    HINTERGRUND:

    Zum Wahlerfolg mit Open Space
    Neue Managementmethoden helfen nicht nur der Privatwirtschaft, ihre Mitarbeiter besser zu motivieren und effizienter zusammenzuarbeiten. Open Space stärkt die AK bei der Wahlvorbereitung für 2004.

    Sozialstaat am Scheideweg
    Der »konservative« Sozialstaat mit starker Ausrichtung auf Ehe und Familie und auf durchgehende Erwerbstätigkeit ist an seine Grenzen gestoßen. Daher müssen die Weichen gestellt werden.

    Eine Reform ist fällig
    In den Verhandlungen über den Finanzausgleich der Gemeinden spiele die Grundlagen des Finanzierungssystems eine zentrale Rolle spielen. Zukunftsweisend ist »aufgabenorientierte Gemeindefinanzierung«.

    MEINUNGEN

    Standpunkt

    A&W Leserforum

    AUS ARBEITERKAMMERN & GEWERKSCHAFTEN

    Forschung als Beruf

    Alibi Steuerreform?

    Gasmarktöffnung

    100.000 Plätze nötig

    Notstand in Österreich?

    »Schwarzbuch Straße«

    Forschung und Technologie

    GESELLSCHAFTSPOLITIK

    Kinderarbeit: Nicht immer ein Skandal

    Lotsen gegen Mobbing

    INTERNATIONALES

    Gott in die Präambel?

    Undankbare Aufgabe für Gewerkschaft

    Produktives Österreich

    Die Queen als Marilyn

    Vernetzung

    KULTUR - BILDUNG - MEDIEN

    »Gott möge uns unsere Ignoranz verzeihen!« (Buch)

    Hausbau & Recht (Buch)

    Aus der Pflicht gestohlen (Buch)

    Man kann nicht alles wissen

    WIRTSCHAFT & ARBEITSMARKT

    Verbraucherpreise

     

    VORSCHAU JÄNNER

    Im Jännerheft dieser Zeitschrift finden Sie unter anderen A&W-Gespräche mit den Präsidenten der Arbeiterkammer von Tirol und Vorarlberg, Friedrich Dinkhauser, Josef Fink sowie dem Präsident der AK Oberösterreich, Hubert Wipplinger.

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