Datenquellen:
Statistik Austria/EUROSTAT, laufender Monat.
Anmerkung: Der harmonisierte VPI ist der zentrale Indikator für die Währungspolitik der EZB. Er stellt auch die beste statistische Basis für internationale Vergleiche unter europäischem Gesichtspunkt dar.
... = Bei Redaktionsschluss keine Werte bzw. für Luxemburg zum Teil nur
mehr HVPI-Werte verfügbar.
EWU = Europäische Währungsunion; EWR = Europäischer Wirtschaftsraum
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Rezension der Rezensionen
ZUR PERSON
Naomi Klein, die nach ihrem Weltbestseller »No Logo« schon zur »global einflussreichsten Person unter 35« ernannt wurde, hat mit ihrer Anti-Marken-Kampagne selbst eine weltweit gut gehende Marke geschaffen: »Naomi Inc.«, die Ein-Frau-»walking talking corporation«, wie KritikerInnen leicht spöttisch anmerken.
Das Buch »No Logo« wurde selbst zum Markenzeichen. Sogar der britische Economist widmete ihm eine Titelgeschichte. Seit dem legendären Bestseller über die Techniken der Werbung (Vance Packard: Die geheimen Verführer, 1967) habe »kein Buch so viel Antipathie gegen Marketing geweckt«. Gut so, meint die 1971 in Montreal geborene Beststellerautorin und Journalistin.
Naomi Klein ist teilnehmende Beobachterin der weltweiten globalisierungskritischen Bewegung, über die sie schreibt, und die sie kommentiert. Prophetin oder gar Kopf der Bewegung ist sie jedoch nicht. Das ist Medien-Hype, sagt sie, weil die Medien eben so sind, wie sie sind: Sie brauchen Helden oder Bösewichte, und sie brauchen »action« auf den Straßen. Was wüsste die Welt schon von den Einwänden gegen die Globalisierung ohne die Tumulte von Seattle, Prag, Göteborg, Genua?
Auch Frau Klein hat nicht als No-logo-Naomi angefangen. Als Teenager war sie selbst Opfer von Marken und Moden. Ihre »Hippie-Eltern« trieb sie mit dem Kauf modischer Klamotten zur Verzweiflung. Die Eltern, US-Amerikaner, waren aus Protest gegen den Vietnamkrieg Ende der 1960er Jahre nach Kanada gezogen. Ihren alternativen Lebensstil verabscheute die junge Naomi.
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Festveranstaltung zum 100. Geburtstag von Simone de Beauvoir
DAS ANDERE GESCHLECHT -
IMMER NOCH ANDERS?
Termin: Dienstag, 8. Jänner 2008, 17 bis 20.30 Uhr
Ort: Renner-Institut, Europasaal
Eingang: Gartenhotel Altmannsdorf,
Hotel 2, Oswaldgasse 69, 1120 Wien
(erreichbar mit U6, »Am Schöpfwerk«)
Schriftliche Anmeldung:
Fax: 01-804 08 74
kuehbauer@renner-institut.at
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Weitere Informationen zum Thema
finden Sie unter:
www.arbeiterkammer.com/
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Link zum Thema
www.amnesty.at/frauenrechte/cont/laenderthemen/istanbul.html
G. M.
Link zu ATTAC
www.attac.at
G. M.
Auch Sie können unter www.petitiononline.com/wlchan faire Arbeitsbedingungen einfordern.
G. M.
Informationen auf Englisch finden Sie unter
www.worldaidscampaign.info/index.php bzw.
www.global-unions.org
G. M.
Der AGEZ-Bericht ist abrufbar unter: www.oneworld.at/agez/AGEZ-Bericht-Kohaerenz.pdf
G. M.
Mehr Informationen zu Unilever unter www.gmtn.at (Internationales)
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Broschüre zum Download:
www.akstmk.at/
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Mehr Infos unter:
www.statistik.at/web_de/statistiken/soziales/arbeitskosten/index.html
Arbeitskostenauflistung
bei Statistik Austria
www.wifo.ac.at
Institut für Wirtschaftsforschung
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www.oenb.at/isaweb/report.do?report=6.4
Nationaler Verbraucherpreisindex
der Österreichischen Nationalbank
www.statistik.at/index.html
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www.suva.ch
Schweizer Schwester der AUVA mit eigenem Bereich »Absenzenmanagement«
www.bike2business.at
Wettbewerb zum fahrradfreundlichsten Betrieb
www.kontaktco.at/pib/index.htm
Alkohol-Prävention im Betrieb
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Den Handlungsleitfaden betriebliches Wiedereinglie derungsmanagement kann man bestellen bei:
bianca.kruber@dgb-bildungswerk.de
BUCHTIPP
Das Angestelltengesetz
a. o. Univ.-Prof. MMag. DDr. Günther Löschnigg
Institut für Arbeitsrecht und Sozialrecht der
Karl-Franzens-Universität Graz (Hrsg.)
Angestelltengesetz.
Gesetze und Kommentare
in 2 Bänden, 1.456 Seiten
8. neu bearbeitete Auflage 2007
Gesamtpreis EUR 78,-
ISBN: 978-3-7035-1072-4
Notwendig sind:
Gesundheitszirkel
In einem Hotelbetrieb wurde ein Gesundheitszirkel für Stubenmädchen durchgeführt. Die TeilnehmerInnen klagten darüber, dass sie kaum Pausen machen, keinen Pausenraum haben und viele unter Rückenschmerzen leiden. Der Arbeitgeber hat in der Folge in Zusammenarbeit mit den Stubenmädchen einen passenden Pausenraum zur Verfügung gestellt, Rückengymnastikstunden während der Arbeitszeit angeboten und geachtet, dass die gesetzlichen Pausenregelungen auch eingehalten werden.
Oder: In einem Reinigungsunternehmen fanden Gesundheitszirkel für AußendienstmitarbeiterInnen statt. Als Problem nannten diese unter anderem die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen beim Fensterputzen, wie zum Beispiel Haken an Fenstern zur Befestigung für Sicherheitsgurte, in verschiedensten Gebäuden. Der Arbeitgeber hat in der Folge Verhandlungstrainings für AquisiteurInnen von Aufträgen für das Reinigungsunternehmen angeboten. Ziel war es, dass Kunden die nötigen Sicherheitsmaßnahmen für die ArbeitnehmerInnen zur Verfügung stellen.
Ergänzungen
Der ArbeitnehmerInnenschutz ist ein rechtlich gut verankertes Instrument, um Krankheiten und Arbeitsunfälle zu verhindern. Betriebliche Gesundheitsförderung soll den ArbeitnehmerInnenschutz ergänzen - als Unternehmensstrategie, die die Gesundheit von ArbeitnehmerInnen fördert und die Arbeitszufriedenheit erhöht. Keinesfalls dürfen Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung die gesetzlichen Regelungen des ArbeitnehmerInnenschutzes untergraben.
Autorinnen:
Mag.a Renate Czeskleba
Mag.a Karin Zimmermann
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Weitere Informationen und Kontakte
www.gesundearbeit.at
Die Gesundheitshomepage der Gewerkschaft bietet fundierte Informationen für ArbeitnehmerInnen zu aktuellen Themen wie »Alternsgerechtes Arbeiten«, »Burn-out«, »Betriebliche Gesundheitsförderung« usw. sowie den direkten Draht zu den AnsprechpartnerInnen in den einzelnen Gewerkschaften.
www.netzwerk-bgf.at
Die Gebietskrankenkassen bieten in
allen Bundesländern eine kostenlose Begleitung für betriebliche Gesundheitsförderung. Auf dieser Homepage sind die AnsprechpartnerInnen der einzelnen Kassen zu finden.
www.arbeitundgesundheit.at
Die Sozialpartnerhomepage enthält ausführliche Informationen zur betrieblichen Gesundheitsförderung und zum ArbeitnehmerInnenschutz.
Auf der Homepage gibt es auch einen Selbsttest, um zu prüfen, wo das eigene Unternehmen im Bereich Gesundheitsförderung steht.
www.fgoe.org
Fonds Gesundes Österreich:
bundesweite Kontakt- und Förderstelle für Gesundheitsförderung und -prävention.
INFO&NEWS
Bundesarbeitskammer/Abteilung für ArbeitnehmerInnenschutz und Arbeitsgestaltung Tel.: 01/501 65-2527
ÖGB/Referat für Humanisierung,Technologie und Umwelt Tel.: 01/534 44-443
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Dieses Vertrauen gab uns die Kraft vieles zu bewegen. Es gibt kaum eine Phase in der Geschichte der Gewerkschaftsbewegung, in der wir mehr Lösungen für Österreich präsentieren konnten als in den vergangenen zwölf Monaten: von der Bekämpfung des Sozialbetrugs über den Zuschlag von Mehrarbeit für Teilzeitbeschäftigte, 1.000-Euro-Mindestlohn, Finanzierungsvorschläge für unser Gesundheitswesen, einer Ausbildungsgarantie für Jugendliche bis 18 Jahre bis zur Generalunternehmerhaftung.
Gleichzeitig haben die Kolleginnen und Kollegen der Gewerkschaften viele Kollektivverträge erfolgreich neu verhandelt. Aber wem sage ich das? Als Leserin und Leser der A&W wurden sie über all diese Entwicklungen, Forderungen und Errungenschaften aus erster Hand informiert.
Denn die A&W ist seit vielen Jahrzehnten dafür bekannt, dass sie ausführliche Hintergrundinformationen, Visionen und Berichte aus Sicht der ArbeitnehmerInnen bietet. Dafür schätzen sie nicht nur die BelegschaftsvertreterInnen, sondern immer mehr Studierende, KollegInnen aus dem Bildungswesen, der Forschung und Politik. Ihre Erwartungen werden wir auch im kommenden Jahr erfüllen, denn wir haben viel vor. Politisch werden wir uns vor allem für eine gerechte und spürbare Steuerreform einsetzen und für eine Modernisierung des Arbeitsrechts kämpfen. Dabei geht es vor allem um die arbeitsrechtliche Absicherung der freien DienstnehmerInnen. Warum das wichtig ist und wie wir uns das vorstellen, werden Sie ausführlich in den künftigen Ausgaben der A&W nachlesen können. Denn jeder Bericht, jede Recherche in der A&W hat vor allem ein Ziel: Nutzwert. Wir wollen informieren, aufzeigen, erklären aber nicht belehren. Zufrieden sind wir erst, wenn Sie profitiert haben.
In diesem Sinne wünsche ich den Leserinnen und Lesern der A&W schöne, erholsame Feiertage sowie alles Gute für 2008. Mit den Infos aus der A&W werden Sie auf alle Fälle immer ein bisschen mehr wissen.
]]>Die Probleme am Arbeitsmarkt sind noch längst nicht gelöst. Die gute Konjunkturlage allein wird das nicht schaffen, da werden wir mehr tun müssen. Entscheidend wird sein, ob und wie es gelingt, durch hoch qualifizierte Aus- und Weiterbildung vor allem auch die Chancen für unsere Jugend zu erhöhen. Am Lehrstellenmarkt herrscht noch lange keine Entwarnung, und in der schulischen Ausbildung haben wir großen Reformbedarf.
Wir werden aber genauso die Fragen der Qualität der Arbeit diskutieren müssen. Viele reden bereits von Vollbeschäftigung oder sehen uns zumindest auf gutem Weg dorthin, vergessen aber dabei, dass noch immer viele unfreiwillig Teilzeitjobs mit nur geringer Entlohnung annehmen müssen, und dass die Hälfte derer, die aus der Arbeitslosigkeit kommen, in eine - verglichen mit der vorangegangenen - weniger qualifizierte Tätigkeit oder zu schlechteren Bedingungen vermittelt werden.
Und wir werden ebenfalls die Fragen der Verteilung diskutieren müssen. Die Gewinne steigen, die Einnahmen für den Finanzminister auch, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spüren davon aber zu wenig. Im Gegenteil, ihnen bleibt immer weniger im Börsel, weil auch die Preise für Essen und Wohnen immer weiter steigen. Auch über Themen wie Globalisierung, Umwelt, Energie oder die Politik der EU werden wir nicht hinwegsehen können, zu stark spielen internationale Entwicklungen auf die nationale Ebene hinein.
Ich möchte alle Leserinnen und Leser von »Arbeit&Wirtschaft« herzlich einladen, in diese Diskussion einzusteigen und ihre Vorstellungen und Sichtweisen einzubringen, denn Ihre Meinung ist uns wichtig. Für die bevorstehenden Festtage und das neue Jahr wünsche ich alles Gute, Gesundheit und Erfolg und spannende Stunden mit der »Arbeit&Wirtschaft«.
Vielleicht wünsche ich mir aber auch Gesundheit, weil ich immer öfter erfahren muss, dass es nicht selbstverständlich ist, gesund zu sein - und zu bleiben. Wenn ich früher an die Leistungen unseres Gesundheitssystems gedacht habe, sind mir der Herzschrittmacher und der Schlaganfall der Mutter eingefallen. Heute beunruhigt mich selbst das eine oder andere Symptom. Die Einschläge kommen näher: Plötzlich klagen gleich alte Freunde und Verwandte über Leiden von der Gastritis, über den Bandscheibenvorfall bis hin zum Krebs. Und auch bei mir lösen Knötchen in der Brust mittlere Panik aus. Schließlich habe ich doch bei anderen erlebt, wie schnell das gehen kann.
Plötzlich ist Gesundheit ein Thema. Und ich bin froh, dass ich das Rauchen aufgegeben habe und nehme mir vor, endlich auch wieder ein wenig Sport zu betreiben. Ich versuche mich vernünftig zu ernähren und meide Zugluft. Ich gehe regelmäßig zum Arzt und lass mich alle zwei Jahre gründlich durchchecken. Wird der Stress zu groß, steige ich auf die Bremse und immer öfter höre ich mich selbst sagen: »Meine Gesundheit ist mir wichtiger.« Und hin und wieder zitiere ich auch Schopenhauer: »Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.«
Denn es ist mir durchaus bewusst, dass auch ich schon morgen auf die Leistungen unseres Gesundheitssystems angewiesen sein kann. Und dass ich mir dann optimale Versorgung wünschen würde: hervorragende Ärztinnen und Ärzte und die besten Medikamente. Ich möchte dann kein Wirtschaftsfaktor sein, möchte nicht, dass diskutiert wird, ob sich meine Heilung rentiert oder nicht, möchte nicht, dass meine Familie wegen meiner Krankheit einen Kredit aufnehmen muss.
Daher bin ich froh über unser Sozialversicherungssystem, das mir die Versorgung, die ich brauche, garantiert. Und nicht nur mir, sondern auch jenen, die finanziell nicht so gut gestellt sind. Denn Armut macht krank. Wer unter der Armutsgrenze lebt, weist einen dreimal schlechteren Gesundheitszustand auf
als Menschen mit hohen Einkommen. Und auch wenn noch immer 100.000 Menschen in unserem Land ohne Sozialversicherung leben, ist es hier besser als anderswo. Besser als in der Schweiz, wo 85 Krankenversicherungen ihre Leistungen anbieten - mit wenig Grundleistungen und vielen Zusatzversicherungen, die vor allem für Gesunde in Frage kommen.
Auch in den Niederlanden müssen sich die Versicherten mit knapp kalkulierten Basispaketen zufriedengeben. Und in den USA sind 16 Prozent der Bevölkerung gar nicht versichert - eine chronische Krankheit oder eine dringend notwendige Operation können dort den finanziellen Ruin einer ganzen Familie bedeuten.
Weil die Medizin aber gigantische Fortschritte macht und wir alle immer älter werden, steigen auch die Ausgaben für Gesundheit in den Industrieländern. Da und dort werden Stimmen laut, dass wir uns unser Gesundheitssystem nicht mehr leisten können. Einige schreien nach Privatisierung. Nur in den USA, der Schweiz und den Niederlanden zahlen die Menschen mehr für Gesundheit aus der eigenen Tasche als in Österreich, rechnen die ExpertInnen von Attac Austria vor, nämlich fast 30 Prozent. Die hohen Selbstbehalte treffen vor allem chronisch und mehrfach erkrankte Menschen. Für die im Gesundheitswesen Beschäftigten bedeutet der Spardruck enorme Belastungen.
Dabei ist unser Gesundheitssystem nicht zu teuer. Gesundheit wäre also bezahlbar. Unser Land wird reicher und könnte sich deshalb mehr Gesundheit leisten. Das System wäre solidarisch finanzierbar z. B. durch Einbeziehen aller Einkommensarten.
Das kann ich mir ja auch vom Christkind wünschen.
Die negativen Folgen einer ungezügelten Liberalisierung im Gesundheitswesen können am Beispiel der USA veranschaulicht werden (siehe Schwarzbuch Privatisierung, Wien 2003).
In Europa schlug sich Liberalisierung in der »Aushungerung« des britischen staatlichen Gesundheitsdienstes (NHS) unter Thatcher und unmittelbar nach der »Ostöffnung« in der Neuordnung der Gesundheitssysteme Osteuropas nieder. Mittlerweile haben sich die meisten osteuropäischen Staaten für ein Sozialversicherungssystem entschieden. Einige Länder interessieren sich für das »Slowakische Modell«, in dem sowohl eine Privatisierung des Versicherungs- als auch des Spitalswesens geplant ist. Im Fall der Krankenversicherung wurde dieser Plan realisiert. Auf der Leistungsebene des Gesundheitssystems sind vor allem Spitäler von Privatisierung betroffen. Zwar findet sich der höchste Marktanteil privater Spitäler mit 19,3 Prozent in Frankreich, kein anderes Land aber hat in den letzten Jahren beim Verkauf öffentlicher Spitäler so aufgeholt wie Deutschland. In Deutschland stieg der Marktanteil auf 13,2 Prozent, weil die Länder durch restriktive Steuerreformen »arm gemacht« wurden. Zugleich erfolgte eine ordnungspolitische »Wende« zur Liberalisierung.
Public Private Partnership
Das »Geschäftsmodell« der Krankenhauskonzerne (wie die Rhön-Klinikum-, Helios- und Asklepios-Gruppe) beruht in erster Linie auf Rationalisierungen mit massivem Personalabbau, Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen und dem steten Bemühen, staatliche Planung zu unterlaufen. GewerkschafterInnen befürchten eine weitere Anspannung, sollten auch Finanzinvestoren auf den Plan treten. Eine Privatisierung von Spitälern kann - was anhand der USA gezeigt werden kann - fatale Folgen für die Versorgung kranker Menschen haben.
Als dritter Weg zwischen Staat und Markt bietet sich Public Private Partnership (PPP) an. Dabei handelt es sich um sehr unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit von öffentlichen Stellen und Privatunternehmen zwecks Planung, Erstellung, Finanzierung und Führung bisher öffentlicher Spitäler. Hauptziel von PPP ist die Erzielung von Rationalisierungsgewinnen, die aus politischen Gründen von der öffentlichen Hand nicht realisiert wurden.
Dazu kommt, dass die Gebietskörperschaften zunehmend mit einem höheren Investitionsbedarf konfrontiert werden, der privates Kapital erforderlich macht. Nach dem Koalitionsabkommen soll für PPP ein eigenes Kompetenzzentrum eingerichtet werden. Es ist zu hoffen, dass Leitlinien für ein «gutes« PPP erarbeitet werden.
Österreich wurde bisher weder von der deutschen Privatisierungswelle noch in einem höheren Ausmaß von PPP erfasst. Auch das Gesundheitssystem wird kaum in Frage gestellt. Es ist nicht zu erwarten, dass dies so bleibt.
Laut Art 152 des EG-Vertrages liegt die Verantwortung für die Organisation des Gesundheitswesens bei den Mitgliedsstaaten. Dennoch schlagen Grundfreiheiten der EU (Wettbewerbsrecht, Verkehrsfreiheiten) auf die nationale Rechtslage durch. Mehrfach wurde der Europäische Gerichtshof (EuGH) schon mit der Frage der europarechtlichen Zulässigkeit eines Sozialversicherungssystems befasst. Er hat die Zulässigkeit bisher durchwegs bejaht. Dem EuGH kann somit in diesem Zusammenhang kein Hang zur Liberalisierung vorgeworfen werden.
Bezüglich der PatientInnenmobilität hat der EuGH zuletzt ein europäisches Zugangssystem für medizinische Dienstleistungen geschaffen, das sich auf die europäischen Grundfreiheiten des Dienstleistungs- und Warenverkehrs stützt. Dieses berechtigt auch dann zu grenzüberschreitenden Dienstleistungen, wenn der zuständige Sozialversicherungsträger die Leistungserbringung im Ausland, nicht vorher genehmigt. Das bedeutet, dass österreichische Versicherte ein Wahlrecht zwischen Leistungen der Sozialversicherung in Österreich und entsprechenden Leistungen im Ausland haben, wobei die Leistungen im Ausland vorfinanziert werden müssen. Später werden ihnen die Auslagen gegen Vorlage des Behandlungshonorars, aber höchstens im Umfang des österreichischen Vertragstarifes - immer vorausgesetzt, die Leistung ist überhaupt im Leistungskatalog der österreichischen Sozialversicherung enthalten - von den Kassen erstattet.
Gesundheitstourismus
Nicht erfasst von dieser Zugangsregelung sind bisher stationäre Leistungen. Nach Auffassung des EuGH würde die Gefahr der Überlastungen nationaler Gesundheitsbudgets durch »Gesundheitstourismus« diese Einschränkungen rechtfertigen. Daher sei im Fall der stationären Versorgung ein Genehmigungsvorbehalt der Kassen gerechtfertigt. Die Genehmigung dürfe verwehrt werden, wenn PatientInnen auch im Inland die erforderliche Behandlung erhalten.
Noch in diesem Jahr möchte die Kommission eine Richtlinie für grenzüberschreitende Gesundheitsleistungen vorlegen. Es ist geplant, in Zukunft auch die Inanspruchnahme ausländischer Spitäler zuzulassen, was dazu führen könnte, dass auch die österreichischen Spitäler stärker nachgefragt werden. Ob dadurch das österreichische Gesundheitssystem einen finanziellen Schaden erleidet, hängt davon ab, wie in diesen Fällen die inländischen Spitäler vom Ausland zu entschädigen sind. Müssen die Echtkosten und nicht nur die im Ausland anfallenden Kosten ersetzt werden, wird die Bereitschaft wohl eher gering sein, österreichische Spitäler aufzusuchen.
PatientInnenfreundlichkeit
Die Rechtsprechung des EuGH zur PatientInnenmobilität bringt sowohl PatientInnen als auch Leistungsanbietern Vorteile. Liberalisierung und »PatientInnenfreundlichkeit« bilden hier keine Gegensätze. PatientInnen bekommen innerhalb der EU die für sie wirtschaftlich günstigste ambulante Behandlung. Die Leistungsanbieter wiederum können ihre Dienste auch PatientInnen aus anderen EU-Staaten anbieten. Den Kassen erwachsen daraus keine finanziellen Nachteile, weil die im Ausland erbrachten Leistungen nicht zu Marktpreisen abgegolten werden müssen.
Es ist von einem erheblichen Potenzial für gemeinschaftliches Handeln im Gesundheitswesen auszugehen. Zu denken ist hier vor allem an Maßnahmen zur Steigerung der Qualität (Ausbildung, Kompetenzzentren, europäisches Haftungsrecht für Behandlungsfehler) im Gesundheitswesen bis hin zur europäischen Zulassung und Preisregelung von Medikamenten und neuen Technologien. Geradezu unverzichtbar dürfte angesichts der europaweiten Knappheit an Pflegekräften eine gemeinsame Bedarfsplanung sein.
Autor: Dr. Helmut Ivansits
Leiter der Abteilung Sozialversicherung, AK Wien
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Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt
www.pique.at
Privatisation of Public Services and the Impact on Quality, Employment and Productivity - Homepage zu Privatisierung öffentlicher Leistungen und deren Folgen
www.initiative-elga.at
Initiative zum Projekt ELGA »Elektronischer (lebenslanger) Gesundheitsakt«
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Kreative Nutzung
Wir gehen von der Annahme aus, dass der Mensch ein Idealfall ist und die Vorteile, die die Technik bietet, kreativ zu nutzen versteht. Er gehört dann zur digitalen Bohème und sitzt mit seinem Apple Laptop in Wien im Museumsquartier, in Deutschland in einem Berliner Café. Normalerweise ist er eher jung, zwischen 20 und 40, ab und zu infiltriert sich auch ein 50-Jähriger. Der ist vorwiegend männlich und schielt, so sagt Sascha Lobo bei seinem Vortrag im 30. Stockwerk des Wiener Floridotowers zur Tagung der Fachgruppe Unternehmensberatung und Informationstechnologie durchaus zu den jungen Frauen hinüber, die neben ihm in ihr Notebook tippen.
Den Idealtypus des digitalen Bohème gibt es nicht, doch hat Honorè de Balzac die damals noch analoge Bohème schon im 18. Jahrhundert mit dem Satz beschrieben: »Die Bohème hat nichts und lebt von dem, was sie hat. Die Hoffnung ist ihre Religion, der Glaube an sich ist ihr Gesetzbuch, die Wohlfahrt gilt ihr als Budget. Alle diese jungen Menschen sind größer als ihr Unglück, sie befinden sich unterhalb des Reichtums, aber stehen immer über ihrem Geschick.«
Gewerkschaften
Das Verhältnis zu den Gewerkschaften scheint naturgemäß gespalten. »Unklar ist«, so heißt es in dem Buch des 1975 in Deutschland geborenen Sascha Lobo, »ob die Gewerkschaften Teil des Problems oder Teil der Lösung sind und welche Rolle sie, allen voran ver.di, in Zukunft für die digitale Bohème spielen könnten.« Die Gewerkschaften hätten zwar ein unvollständiges Verständnis von Arbeit, meinen VertreterInnen der Generation der neuen FreiberuflerInnen in Deutschland, sie sind aber durchaus zur Kooperation mit ihnen bereit: »Wenn ver.di wie geplant Servicestellen auch für Freiberufler in innerstädtischen Lokalen anbieten sollte, würden wir sicher einmal vorbeischauen.«
Das klingt cool im Buch, geht sich aber in der Realität nicht aus. Was ist, wenn ein/e FreiberuflerIn krank wird oder sich etwa ein Bein bricht? Was ist, wenn einem kreativen Menschen nichts mehr einfällt? Er/sie kann, wenn das Digitale gut beherrscht wird, die Situation ins Internet stellen: »Bin eine super Leiche«, illustrierte ein US-Amerikaner mit zahlreichen Fotos und ist seither, so geht die Mär in der digitalen Community, die gefragteste Filmleiche Hollywoods.
Da ist der österreichische Weg um einiges besser. Denn für die freien DienstnehmerInnen ändert sich per 1. Jänner 2008 die Unsicherheit ihrer Lage grundlegend: Sie sind nunmehr arbeitslosenversichert und werden sowohl in die Abfertigung Neu als auch in den Insolvenzfonds einbezogen. Sogar der bis zuletzt strittige Punkt des Krankengeldes konnte in ihrem Interesse gelöst werden. Sie erhalten nunmehr einkommensabhängiges Krankengeld von der Gebietskrankenkasse ab dem vierten Tag der Krankmeldung. »Ein Meilenstein für die Gleichstellung aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen«, erklärte ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer, der sich für die große Gruppe der atypisch Beschäftigten weiterhin einsetzen will.
Mit großer Freude
Den Weg der größten Freude will die am Buch »Die digitale Bohème« beteiligte Gruppe gehen. Besonders bei der Arbeit. Die Vorgeschichte datiert mit 2001 als die »New Economy« und ihre Produktion digitaler Güter für alle gerade wieder zusammenbrach. Über das Internet-Forum hoeflichepaparazzi.de lernte sich die Gruppe kennen und gründete die Zentrale Intelligenz Agentur (ZIA), die als Parodie eines richtigen Unternehmens gedacht war. Auch eine ironische Firma braucht ein Produkt und so ist die Lebenseinstellung der kreativen Selbstständigen in Buchform nachzulesen. Ihre Definition: »So arbeiten, wie man leben will und trotzdem ausreichend Geld damit verdienen. Das Ganze ermöglicht und befördert durch das Internet, auch in Bereichen, die vorerst nichts mit dem Netz zu tun haben.« Wie etwa jene junge Frau, die Renaissancedekorkleber für Lichtschalter im Netz offerierte. Einmal analog in der Wohnung begann sie innenarchitektonische Ratschläge zu erteilen: ihr nunmehriger Hauptberuf.
Das Credo der Generation um die 30 lautet, »es gibt Alternativen zur fest angestellten Erwerbsarbeit«. Im Buch - ausnahmsweise - eher wissenschaftlich formuliert: »Die Individualisierung, die der wichtigste gesellschaftliche Trend des 20. Jahrhunderts war, könnte im 21. ihre eigentliche Qualität zeigen: Indem Individuen ihre Individualität nicht nur über den Konsum entfalten, sondern darüber, was, wann und wie sie arbeiten.« War die analoge Bohème noch zwangsläufig dazu verurteilt, am Existenzminimum zu leben, wenn sie sich schon nicht den Strukturen fügte, so kann die digitale Bohème durchaus fettes Geld verdienen. Dienlich dazu ist es, eine Mischung mehrer Projekte vorrätig zu halten.
Glückstreffer
So wie das Team Chad Hurley und Steve Chen, die unter ihren vielfältigen Vorhaben auch You Tube ausbrüteten. Im Oktober 2006 wurde das Videoportal schließlich zu einem Preis von über einer Milliarde Euro von Google gekauft. Der Dritte im Bund, Jawed Karim, der ausgestiegen war, um sich dem Studium zu widmen, erhielt dennoch einen Anerkennungsbetrag von den Ex-Partnern. Digitale Bohéme ist also nicht gleichbedeutend mit Einzelkämpfertum und Egoismus. »Es geht nicht darum, die Ellbogen auszufahren und eine atomisierte Gesellschaft abzubilden«, meint Sascha Lobo, der gerne von einer Renaissance der Zusammenarbeit spricht.
Ähnliches stellen auch Charles Leadbeater und Kate Oakley in ihrem Buch »The Independants: Britain’s new cultural entrepreneurs« fest. Die Unabhängigen »verbinden individualistische Wertvorstellungen mit einer hochgradig kollaborativen Arbeitspraxis«, meinen die beiden AutorInnen. Die vorrangig auf Teams beruhende Projektarbeit brächte es mit sich, dass die Menschen lernen, schnell Vertrauen zu fassen. Das erprobte Vertrauen in die Fähigkeiten und Qualitäten sporadischer ProjektpartnerInnen könne sogar zur Bildung von Solidargemeinschaften führen, die »in ihren Funktionen einer Großfamilie nicht nachstehen müssen.« Auch in Deutschland gelten die kreativen Selbstständigen mittler-weile als prototypisch. Zukunftsforscher Matthias Horx sieht in ihnen nicht nur eine Antwort auf die Beschäftigungskrise, sondern gar »eine kommende Stütze der Gesellschaft«.
Motivation
»Der größte Vorteil der Selbstständigen ist ihre Motivation«, meint Friedrich Kofler, Obmann der Fachgruppe Unternehmensberatung und Informationstechnologie, UBIT, Mitglied der Wirtschaftskammer. Über 80 Prozent der etwa 14.000 Betriebe sind Einpersonenunternehmen (EPU), jede/jeder Dritte arbeitet selbstständig. »Die Menschen wollen was sie gut können auch beruflich umsetzen. Betriebe haben es schwer, hoch spezialisiertes Wissen auf Dauer im Unternehmen zu halten«, nennt Kofler zwei Gründe der Selbstständigkeit.
Einen hohen Männeranteil stellte Reinhard Raml bei einer IFES-Umfrage zum Thema »Arbeiten am IT-Standort Wien« im Oktober 2007 fest. »Es gibt Rahmenbedingungen, die es Frauen erschweren, selbstständig zu werden. Aber auch emotionale Gründe, Selbstständigkeit nicht als Ziel anzustreben.« Im Schnitt, so stellte Raml fest, sind Selbstständige in 3,5 Arbeitsgebieten tätig und das rund 50 Stunden die Woche.
Auch unter prekären Bedingungen würden viele ihre eigenen Projekte nicht gegen eine feste Anstellung tauschen wollen, behauptet Sascha Lobo. Denn die Glücksforschung habe festgestellt, dass der Mensch die meisten Glückshormone weder beim Schokoladeessen noch beim Sex produziert, sondern bei der Arbeit. Vorausgesetzt, sie ist selbst gewählt, schwierig, aber lösbar. Gabriele Müller
INFO&NEWS
Das Buch handelt davon, so heißt es auf der Webseite, »wie eine neue Klasse von Selbstständigen mit Hilfe digitaler Technologien dem alten Traum vom selbstbestimmten Arbeiten in selbstgewählten Kollektivstrukturen ein gutes Stück näherkommt«. Es gibt Einblick in das Lebensgefühl der Generation um die 30, ist aber auch für die Leserschaft von 50+ zu empfehlen. Auf der Website können Sie das Buch in Papierform oder als Hörbuch bestellen. Das Blog schreibt das Buch fort und gibt Updates zu den einzelnen Kapiteln.
www.wirnennenesarbeit.de
ist die Website und das Blog zum Buch.
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Sabine Oberhauser
Dr. MAS
Abgeordnete zum Nationalrat
Gesundheitssprecherin der SPÖ
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Wilfried Leisch
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Martin Rümmele:
Kranke Geschäfte mit unserer Gesundheit.
Symptome, Diagnosen und Nebenwirkungen der Gesundheitsreformen,
NP Buchverlag,
St. Pölten - Wien - Linz 2005
www.krankegeschaefte.at
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Was ist PPP?
Als Public Private Partnership (Abkürzung PPP), auch Öffentlich-Private-Partnerschaft (ÖPP), wird die Mobilisierung privaten Kapitals und Fachwissens zur Erfüllung staatlicher Aufgaben bezeichnet. Im weiteren Sinn steht der Begriff auch für andere Arten des kooperativen Zusammenwirkens von Hoheitsträgern mit privaten Wirtschaftssubjekten. PPP geht in vielen Fällen mit einer Teil-Privatisierung von öffentlichen Aufgaben einher.
Aus: www.wikipedia.de
Wem die neue Regelung etwas bringt
Von der neuen Regelung profitieren werden all jene Teilzeitbeschäftigten, die regelmäßig über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus arbeiten. Kann der/die ArbeitgeberIn nicht sicherstellen, dass die Mehrstunden innerhalb eines vereinbarten Zeitraums (grundsätzlich maximal drei Monate, Sonderregelung bei Gleitzeit) durch Zeitausgleich abgebaut werden, so haben die MitarbeiterInnen Anspruch auf den 25-prozentigen Zuschlag. »Ich rechne damit, dass die neue Regelung ArbeitgeberInnen zu einem besseren Arbeitszeitmanagement anregen wird. Mit dem Mehrarbeitszuschlag verliert nämlich die derzeit gängige Praxis, Teilzeitkräfte zu einem geringeren Ausmaß anzustellen als eigentlich benötigt und regelmäßig Mehrstunden zu verlangen, an Attraktivität«, sagt Andrea Komar, Leiterin der GPA-DJP Rechtsabteilung und setzt fort: »In Zukunft wird es sich für die ArbeitgeberInnen finanziell auszahlen, mit einer 20-Stunden-Kraft, die regelmäßig zehn Stunden Mehrarbeit leistet, von vornherein einen Arbeitsvertrag über 30 Stunden abzuschließen.« »Aus Gesprächen mit BetriebsrätInnen wissen wir, dass die ArbeitgeberInnen zum Teil schon daran gehen, ihren MitarbeiterInnen Verträge mit höherem Stundenausmaß zu geben. Das ist der erste große Erfolg der neuen Regelung, weil die ArbeitnehmerInnen mehr Sicherheit über die Höhe ihres Einkommens gewinnen«, ergänzt Barbara Teiber, Bundesfrauensekretärin der GPA-DJP.
Zahlen und Fakten
Derzeit arbeiten in Österreich mehr als 810.000 ArbeiterInnen und Angestellte weniger als 35 Stunden pro Woche. Das sind 23 Prozent der unselbstständig Beschäftigten. Etwa 690.000 oder 85 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Teilzeit ist in Österreich nach wie vor weiblich. »Der Mehrarbeitszuschlag ist daher ein wichtiger erster Schritt, die Einkommen der vielen teilzeitbeschäftigten Frauen zu erhöhen«, ist sich Barbara Teiber sicher. »Die Betonung liegt aber auf dem ersten Schritt. Perspektivisch muss es nun darum gehen, diese Regelung zu verbessern. Ziel für die Zukunft muss sein, dass ArbeitnehmerInnen für jede geleistete Mehrarbeitsstunde ein Zuschlag ausbezahlt wird. Eine wichtige Forderung von uns ist es auch, die relativ langen Durchrechnungszeiträume zu verkürzen. Außerdem gibt es gerade im Handel, wo viele Menschen - in erster Linie Frauen! - Teilzeit arbeiten, ein großes Problem mit unbezahlten Mehrstunden. Wir haben uns daher in der GPA-DJP für das nächste Quartal den Arbeitsschwerpunkt »Teilzeit« gesetzt und bereiten gemeinsam mit dem IFES-Institut eine Umfrage vor, die den Arbeitsbedingungen von Teilzeitbeschäftigten auf den Grund gehen soll Siehe Grafik: »Unselbstständige Erwerbstätige nach wöchentlicher Normalarbeitszeit«.
Schlupflöcher stopfen
»Bei uns arbeiten etwa 50 Prozent aller MitarbeiterInnen Teilzeit«, erzählt Gerda Bacher, Betriebsratsvorsitzende bei Kastner und Öhler. Auch sie sieht in der Regelung einen ersten wichtigen Schritt; vieles sei aber auch noch offen. Sie sieht daher noch viel Arbeit auf sich und andere BetriebsrätInnen ihrer Branche zukommen und fürchtet, dass die ArbeitgeberInnen versuchen werden, mit allen Mitteln die Auszahlung des Mehrarbeitszuschlags zu umgehen. »Ich habe schon gehört, dass manche ArbeitgebervertreterInnen der Ansicht seien, es handle sich nicht um einen unzulässigen Kettenvertrag, wenn die Arbeitszeiten von Teilzeitkräften je nach Bedürfnis der AGInnen alle drei Monate vertraglich geändert würden. Manchmal spielen die Arbeitgeber schon Spielchen mit uns.« Ein weiteres Schlupfloch für ArbeitgeberInnen, von dem sie gehört habe, sei es, MitarbeiterInnen Verträge mit mehr Stunden zu geben, auch wenn diese KollegInnen de facto gar nicht mehr arbeiten. Auf diese Weise würden sich Minusstunden ansammeln. »Unsere Befürchtung ist, dass MitarbeiterInnen, die viele Minusstunden angesammelt haben, dann gedrängt werden könnten, diese Stunden in hektischen Zeiten einzuarbeiten, wie etwa in der Vorweihnachtszeit.« Für die ArbeitgeberInnen brächte das den Vorteil, dass sie die ArbeitnehmerInnen auf Abruf zur Verfügung hätten, ohne Zuschläge zahlen zu müssen. »Für uns als BetriebsrätInnen ist es wichtig, genau zu beobachten und aufzupassen, wie die neue Regelung wirklich gehandhabt wird.« »Manchen ArbeitgeberInnen ist jedes noch so fragwürdige Mittel recht. Um Geld zu sparen, versuchen sie, Tricks anzuwenden, die rechtlich niemals halten würden«, bestätigt Andrea Komar. »Wie etwa die Vorgehensweise mit den Minusstunden: Es liegt an dem/der ArbeitgeberIn, ArbeitnehmerInnen im vereinbarten Ausmaß zu beschäftigen. Tut er/sie das nicht, obwohl die ArbeitnehmerInnen arbeitsbereit sind, können niemals Minusstunden anfallen.«
Die neue Regelung im Detail
Grundsätzlich gilt, dass der Zuschlag nur dann fällig wird, wenn die Mehrstunden nicht innerhalb des Kalendervierteljahres oder eines anderen vereinbarten 3-Monats-Zeitraums durch Zeitausgleich ausgeglichen werden. Komplizierter wird es, wenn im Betrieb eine Gleitzeitvereinbarung existiert. In diesem Fall muss der Zuschlag nur ausbezahlt werden, wenn die vereinbarte Arbeitszeit innerhalb der Gleitzeitperiode im Durchschnitt überschritten wird. Dabei hängt es von der jeweiligen Vereinbarung ab, wie lange die Gleitzeitperiode dauert, wie viel Zeit also jeweils für den Ausgleich der Mehrstunden bleibt. Die Gleitzeitperiode kann sowohl kürzer als auch länger als drei Monate sein. Nicht zuschlagspflichtig sind außerdem jene angesammelten Mehrstunden, die in die nächste Gleitzeitperiode übertragen werden können. Auch hier kommt es darauf an, was das jeweilige Gleitzeitmodell vorsieht. Jedenfalls zuschlagspflichtig sind in allen Modellen angeordnete Mehrarbeitsstunden - genauso wie angeordnete Überstunden bei Vollzeitarbeitskräften. Gleitzeit zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass ArbeitnehmerInnen Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit selbst festlegen können.
Eine weitere Regelung besagt: Wenn der Kollektivvertrag für Vollzeitbeschäftigte eine kürzere wöchentliche Normalarbeitszeit als 40 Stunden vorsieht und für diese Differenz kein Zuschlag oder ein geringerer Zuschlag vereinbart wurde, dann gilt dasselbe für die Mehrarbeitsstunden von Teilzeitbeschäftigten. Erhalten Vollzeitkräfte bei einer wöchentlichen Normalarbeitszeit von 38 Stunden für zwei Mehrstunden keinen Zuschlag, so müssen sich auch Teilzeitkräfte einen zuschlagsfreien »Puffer« im selben Ausmaß anrechnen lassen.
Noch komplizierter wird es wiederum in Zusammenhang mit Gleitzeitvereinbarungen. Dazu ein konkretes Beispiel: In einem Unternehmen beträgt die wöchentliche Normalarbeitszeit 38 Stunden. Die Gleitzeitperiode dauert drei Monate. Eine 20-Stunden-Teilzeitkraft leistet innerhalb dieser Periode 30 Mehrstunden. 17 kann sie in die nächste Periode mitnehmen. Für diese Stunden hat sie keinen Anspruch auf Mehrarbeitszuschlag. Bleiben 13 Stunden übrig. Nun muss geprüft werden, in welchen Wochen die 13 letzten Mehrstunden geleistet wurden und auf welche dieser Stunden der »Puffer« anzuwenden ist. Ein mühsames Unterfangen! Um den Mehraufwand gering zu halten empfiehlt Rechtsexpertin Andrea Komar, Betriebsvereinbarungen abzuschließen, die festlegen, dass alle Stunden zuschlagspflichtig sind, die nicht in die nächste Gleitzeitperiode mitgenommen werden können. »Das erspart auch den ArbeitgeberInnen viel Aufwand bei der Gehaltsverrechnung.«
Trifft der Mehrarbeitszuschlag mit in Kollektivverträgen geregelten Zuschlägen zusammen, ist entscheidend, wofür diese anderen Zuschläge gebühren. Wird durch sie die zeitliche Mehrleistung honoriert, dann gilt nur der jeweils höhere Zuschlag. In anderen Fällen gebühren beide Zuschläge nebeneinander - etwa wenn durch einen Zuschlag die Lage der Arbeitszeit abgegolten wird. Entscheidend ist hier letztlich die Formulierung im Kollektivvertrag.
Zeitausgleich
Schließlich ist auch eine Vereinbarung möglich, die besagt, dass Mehrarbeit generell durch Zeitausgleich ausgeglichen wird. In diesem Fall muss der Mehrarbeitszuschlag entweder bei der Berechnung des Zeitausgleichs berücksichtigt werden, oder aber er muss zusätzlich ausgezahlt werden.
Prinzipiell gilt, dass der Kollektivvertrag hinsichtlich des Mehrarbeitszuschlags vom Gesetz abweichende Regelungen treffen darf. Ab 1. 1. 2008 unwirksam sind nach Meinung der GPA-DJP allerdings schlechtere Regelungen in bereits bestehenden Kollektivverträgen, weil der Gesetzgeber mit der neuen Regelung eindeutig eine Verbesserung für ArbeitnehmerInnen erreichen wollte. Konkret heißt das: Wenn in einem Kollektivvertrag bereits eine Regelung existiert, die einen niedrigeren Mehrarbeitszuschlag festlegt als das novellierte Arbeitszeitgesetz oder den Zuschlag an ungünstigere Bedingungen knüpft, dann hebt das Gesetz diese Kollektivvertragsregelung per 1. 1. 2008 auf.
Lucia Bauer
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GPA-DJP-Unterlage zur Sozialpartnereinigung vom 3. Mai 2007
Aktuell - Info-Broschüre der AK Wien zur Reform der Arbeitszeit
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Selbstverwaltung
Die beiden Stammgesetze der österreichischen Sozialversicherung beinhalteten zwar für die versicherungspflichtigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Anspruch auf gewisse Versicherungsleistungen (ärztliche Hilfe, Spitalspflege, Heilmittel und Heilbehelfe, Krankengeld, Unfallrenten etc.). Diese waren aber alles in allem sehr schwach ausgestaltet, und darüber hinaus wurde »nur« rund ein Drittel der ArbeiterInnen in Österreich in den Kreis der Versicherten miteinbezogen, nämlich die IndustriearbeiterInnen sowie Industrieangestellten und die ArbeiterInnen in Gewerbeunternehmungen mit zumindest 20 Beschäftigten. Die Land- und ForstarbeiterInnen, die rund die Hälfte der österreichischen Arbeiterschaft bildeten, die kleingewerblichen ArbeiterInnen und andere ArbeitnehmerInnengruppen waren von der gesetzlichen Unfall- und Krankenversicherung ausgeschlossen.
Der 28. Dezember 1887 ist zugleich der Gründungstag der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, denn mit dem Unfallversicherungsgesetz 1887 und dem Krankenversicherungsgesetz 1888 wurde ein auf dem Prinzip der direkten Selbstverwaltung basierendes Organisationssystem als zentrale materielle Grundlage für die Arbeiter-Unfall- und Krankenversicherung auch in Österreich eingeführt.
Arbeiter-Unfallversicherung
Die Träger der Arbeiter-Unfallversicherung waren die territorialen Unfallversicherungsanstalten. Im Unterschied zu den Krankenkassen existierte bei den Unfallversicherungsanstalten keine Generalversammlung der Mitglieder, sondern der Vorstand bildete deren einziges zentrales Gremium (Drittelparität: ein Drittel Unternehmervertretung - ein Drittel ArbeitnehmerInnenvertretung - ein Drittel Behördenvertretung). Die Behördenvertreter, die vom Innenminister ernannt wurden, stellten dabei die dominante Gruppe dar, wobei auch die Macht der Unternehmervertreter nicht unterschätzt werden sollte.
Der Vorstand der Unfallversicherungsanstalt wurde direkt von den Mitgliedern, also den Versicherten und den Unternehmern bzw. deren Vertretern auf Basis von Betriebskategorien gewählt.
Die Wahlbeteiligung dürfte bei den Unfallversicherungsanstalten, ebenso
wie bei den Krankenkassen, relativ niedrig gewesen sein (rund 50 Prozent), es existieren darüber jedoch keine genauen Angaben.
Die Arbeiter-Krankenversicherung
Das Gesetz über die Arbeiter-Krankenversicherung stellte das zweite zentrale Sozialversicherungsgesetz dar. Diesem Gesetz kam ein besonderer Stellenwert zu, vor allem wegen der Integration der seit 1868 als autonome Selbsthilfeorganisationen der Arbeiter bestehenden und mitgliedermäßig sehr starken Arbeiterkrankenkassen (1890: ca. 240.000 Mitglieder) in die gesetzliche Krankenversicherung. Im Zusammenhang damit sollten diese Organisationen aus dem Einflussbereich der sozialistischen Arbeiterbewegung losgelöst, diese damit - parallel zu staatlichen Repressionsmaßnahmen - weiter geschwächt werden und auf diese Art und Weise die österreichische Industriearbeiterschaft verstärkt in den Staat und das bestehende kapitalistische System integriert werden.
Das Gesetz über die Arbeiter-Krankenversicherung sah insgesamt sechs verschiedene Kassentypen vor: Bezirks-, Betriebs-, Bau- und Genossenschaftskrankenkassen, Arbeiter- bzw. Vereinskrankenkassen sowie Bruderladen (Kranken- und Invalidenkassen der Bergarbeiter).Während die Arbeiterkrankenkassen ausschließlich von ArbeiterInnen verwaltet wurden, setzten sich die Verwaltungsorgane der übrigen Kassentypen nach dem Schema zwei Drittel ArbeitnehmerInnenvertretung und ein Drittel Unternehmervertretung zusammen. In der Praxis waren aber die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Versicherten, mit Ausnahme der Versicherten der Arbeiterkrankenkassen, auch hier nur in eingeschränktem Maße vorhanden. Die zentralen Verwaltungsgremien der Krankenkassen waren die Generalversammlung und der Vorstand, wobei die Kassenvorstände durch die Generalversammlungen in getrennten Wahlgängen der Arbeitnehmer- und Unternehmervertreter gewählt wurden.
Finanziert wurde die Arbeiter-Unfall- und Krankenversicherung durch Beiträge von Unternehmern und Versicherten,
ein Staatszuschuss war nicht vorgesehen (90 Prozent Unternehmer-/10Prozent Versichertenbeiträge). Bei den Krankenkassen, mit Ausnahme der großteils von den Versicherten finanzierten Arbeiterkrankenkassen, mussten die Unternehmer und die Versicherten für je die Hälfte der Beiträge aufkommen.
Die Frage der Selbstverwaltung
Nach einer Phase der sozialpolitischen Stagnation bis zum Ende des Ersten Weltkriegs kam es zu Beginn der Ersten Republik zu einem verstärkten Ausbau der Sozialversicherung. So wurde 1919 das Krankenkassenkonzentrationsgesetz beschlossen, das einen ersten Schritt zur Vereinheitlichung des österreichischen Krankenkassenwesens mit sich brachte, die mit dem Krankenkassenorganisationsgesetz von 1926 weiter forciert wurde. 1920 wurde die Krankenversicherung der Staatsbediensteten eingeführt und im selben Jahr der Regierungsentwurf betreffend ein Bundesgesetz über die Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung der Arbeiter ausgearbeitet, der aber wegen der Auflösung der sozialdemokratisch-christlichsozialen Regierung im November 1920 nicht mehr umgesetzt wurde. Eine Pensionsversicherung der ArbeiterInnen wurde erst - in einem rassistisch-antisemitischen Kontext - nach der Annexion Österreichs durch das »Dritte Reich« eingeführt (Reichsversicherungsordnung 1939).
1921 wurden die HausgehilfInnen, die bei wechselnden oder mehreren Arbeitgebern Beschäftigten und die Land- und ForstarbeiterInnen in den Kreis der Versicherten miteinbezogen (Ausdehnungsgesetz). Durch entsprechende gesetzliche Maßnahmen wurde eine Änderung des Kräfteverhältnisses innerhalb der Verwaltungssgremien der Sozialversicherung zugunsten der ArbeitnehmerInnen umgesetzt (Angestelltenversicherungsgesetz 1926/Arbeiterversicherungsgesetz 1927: vier Fünftel Arbeitnehmervertreter - ein Fünftel Unternehmervertreter in Hauptversammlung und Vorstand). Auch für die Zeit der Ersten Republik lässt sich eine eher niedrige Wahlbeteiligung feststellen, wobei die Quellenlage auch hier sehr schwierig ist und genaue Angaben darüber fehlen.
Austrofaschismus und NS-System
Nach der Errichtung des austrofaschistischen »Ständestaates« 1933/34 wurde auch die soziale Selbstverwaltung massiv zurückgedrängt. Gesetzlich abgesichert wurden diese Maßnahmen durch das 1935 verabschiedete Gewerbliche Sozialversicherungsgesetz (GSVG). Während die Austrofaschisten zwar die Verwaltungsgremien der Sozialversicherung politisch majorisierten, die soziale Selbstverwaltung aber formal bestehen ließen, wurde im Zuge der Annexion Österreichs durch das »Dritte Reich« 1938 und die Einführung der deutschen Reichsversicherungsordnung 1939 in Österreich die soziale Selbstverwaltung vollständig ausgeschaltet.
Selbstverwaltung nach 1945
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde auf die Wiedereinführung der direkten Selbstverwaltung verzichtet und diese durch die »abgeleitete«, also indirekte Selbstverwaltung ersetzt (Bestellung der VersicherungsvertreterInnen durch Interessenverbände der ArbeitnehmerInnen und UnternehmerInnen). Dafür waren finanzielle Gründe, vermutlich aber auch politische Gründe maßgeblich (repräsentative statt direkte Demokratie, »Sozialpartnerschaft«). Ein Faktor für die Änderung des Selbstverwaltungssystems dürfte auch die niedrige Wahlbeteiligung bei den »Sozialwahlen« in der Ersten Republik gewesen sein. Gesetzlich geregelt wurde die Sozialversicherung und die soziale Selbstverwaltung durch das Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz 1947, das 1955 durch das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz abgelöst wurde. Die Träger der Sozialversicherung wurden 1948 im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger zusammengefasst.
Mag. Robert Grandl
Projektmitarbeiter Institut für Gewerkschafts- und AK-Geschichte,
AK Wien
INFO&NEWS
Conclusio: Sinn und Nutzen der sozialen Selbstverwaltung
Die Geschichte der sozialen Selbstverwaltung zeigt, dass nur ein auf der Mitbestimmung der Versicherten aufgebautes Sozialversicherungssystem den gesetzlich vorgesehenen Versicherungsschutz - so schwach dieser in der Anfangszeit der Sozialversicherung auch war - in die Praxis umsetzen kann. Dies betrifft Bereiche wie die Vertragsgestaltung mit Ärzten, Apothekern und Spitälern, die Höhe der Versicherungsleistungen (Krankengeld, Unfallrenten etc.), die Höhe der Versicherungsbeiträge u. a. m. Ein staatlich organisiertes, steuerfinanziertes Sozialversicherungssystem ohne Mitbestimmungsmöglichkeiten der Versicherten kann dies nicht in dem Ausmaß leisten, wie es für das Funktionieren eines fortschrittlichen Gesundheitswesens notwendig ist.
Chronologie
1300: Kuttenberger Bergordnung Wenzels III. (Regelung der Bergarbeiterbruderladen)
um 1800: Gründung von selbstverwalteten Fabrikskassen der Industriearbeiter
1803: Gründung des ersten Arbeiter-Unterstützungsvereins, der Kranken- und Viaticumskasse der Linzer Buchdruckergehilfen
1867 : Vereinsgesetz "Entstehung der ersten Arbeiterkrankenkassen auf legaler Basis"
1887: Gesetz über die Arbeiter-Unfallversicherung
1888: Gesetz über die Arbeiter-Krankenversicherung
1889: Bruderladengesetz (Unfall- und Krankenversicherung der Bergarbeiter)
1906: Pensionsversicherungsgesetz für Privatangestellte
1919: Krankenkassenkonzentrationsgesetz
1920: Gesetz über die Krankenversicherung der Staatsbediensteten
1926: Angestelltenversicherungsgesetz
1926: Landarbeiterversicherungsgesetz
1926: Krankenkassenorganisationsgesetz
1927: Arbeiterversicherungsgesetz (nicht in Kraft getreten)
1935: Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz
1939: deutsche Reichsversicherungsordnung tritt für das okkupierte Österreich in Kraft
1947: Sozialversicherungs-Überleitungsgesetz
1948: Gründung des Hauptverbands der österreichischen Sozialversicherungsträger
1955: Allgemeines Sozialversicherungsgesetz
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Um die soziale Durchlässigkeit im Studium zu erhöhen, fordern die AK-BildungsexpertInnen die Erhöhung der Einkommensgrenzen an die Lohnentwicklung seit 1999, die Anpassung des ArbeitnehmerInnenfreibetrags, die Anhebung der Altersgrenzen für den Beihilfenbezug für Studierende am zweiten Bildungsweg auf zumindest 40 Jahre, eine bevorzugte Förderung von finanziell Schwächeren und berufstätigen Studierenden und eine Verbesserung beim Studienabschlussstipendium, etwa den Ersatz der Studiengebühren.
W. L.
Weiterführende Infos zu Arbeiten und Studieren:
www.wien.arbeiterkammer.at
AK-Online-Stipendienrechner:
www.stipendienrechner.at
Damit soll jetzt Schluss sein. So sieht der Vorschlag zur Generalunternehmerhaftung aus: Wer Teile von Aufträgen an Subunternehmer weitergibt, hinterlegt 20 Prozent des dafür vorgesehenen Entgelts bei der Sozialversicherung.
Werden Teile des Auftrages vom Subunternehmer an weitere Firmen vergeben, haftet dieser und nicht der Generalunternehmer, sofern er die Auftragnehmer offenlegt. Keine Haftung trifft den Generalunternehmer, wenn der Subunternehmer laut Krankenkasse in den letzten drei Jahren seriös gearbeitet und Beiträge bezahlt hat. Weiters: Aufzeichnungspflicht des Baustellenkoordinators über alle Arbeitgeber auf der Baustelle und Übergabe der Informationen an die Krankenkasse.
W. L.
Mehr unter:
www.oegb.at und www.bau-holz.at
Karl Klein war seit 1973 im ÖGB beschäftigt. Seine Tätigkeit begann er in der Gewerkschaft der Privatangestellten als Sekretär und Zentralsekretär. 1999 wurde er Bundessekretär der FCG, von 2003 bis 2007 war er ÖGB-Vizepräsident und FCG-Vorsitzender, seit 1992 Leiter des Referates für Kollektivvertragspolitik des ÖGB. Zwischen 1985 und 2004 war er Kammerrat in der AK Wien.
Wir werden ihn vermissen.
W. L.
Mehr Infos dazu und zur AlVG-Novelle unter:
www.volksanwaltschaft.gv.at
Berichtsjahr 2006:
www.parlament.gv.at
Mehr zum Thema Umwelt:
www.ak-umwelt.at
Tipps zum Energiesparen im Alltag in der AK-Broschüre »Energie sparen - Umwelt und Konto schonen«:
www.wien.arbeiterkammer.at/www-403-IP-31789.html
Ausweg oder Sackgasse?
Öffentlich-Private-Partnerschaften, neudeutsch Public-Private-Partnership-Modelle (PPP), sind im Prinzip nichts Neues. Es gibt sie, auch in Österreich, schon lange.
Gesundheit privatisiert
Während der politische Liberalismus den BürgerInnen zu Grundrechten verhalf, dient der ökonomische Liberalismus der Rechtfertigung der Marktwirtschaft.
Buhlen um Gesündeste
Privatisiert, flexibilisiert, wettbewerbsorientiert: Wie effektiv die Krankenversicherungen der Schweiz und der Niederlande wirklich
sind.
Seit 120 Jahren
Die Geschichte der Selbstverwaltung von den Arbeiterkrankenkassen des 19. Jahrhunderts bis zum Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.
Gesunde Unternehmen?
Die Gestaltung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen hat großen Einfluss auf die Gesundheit bzw. Krankheit der ArbeitnehmerInnen.
Plattform Arbeitsmedizin
Seit März 2005 gibt es in Tirol den Verein »Plattform Arbeitsmedizin und Gesundheitsförderung im Betrieb«.
Hintergrund:Die digitale Bohème
Immer mehr Menschen arbeiten selbstständig und haben Freude daran. Mit sozialrechtlicher Absicherung sogar noch mehr.
Meinung
_4 | Standpunkt: Gesundheitswünsche!
_5 | Wünsche zum neuen Jahr
11 | Kommentar: Kein Grund zur Panik
15 | Kommentar: PatientInnenmobilität
30 | Kommentar: Position verbessert
Aus Arbeiterkammern&Gewerkschaften
6 | Biotreibstoffe: Teurer Ökoschmäh
6 | AIVG: Verschlechterungen
7 | Sozialbetrug: Generalunternehmerhaftung
7 | Arbeiten und Studieren: Berufstätige weiter benachteiligt
7 | Trauer um Karl Klein
Wirtschaft&Arbeitsmarkt
28 | Beschleunigte Inflation
32 | Verbraucherpreise
38 | Mehr Arbeit - mehr Geld
41 | Betriebsräte aufgepasst
Gesellschaftspolitik
33 | Nur ein Dankeschön
42 | Das Konstrukt Frau
44 | Der rote Kaplan
45 | Zu Gast im Parlament
Internationales
34 | Unilever/Europa: Kündigungswelle
34 | Entwicklungspolitik: Inkohärenz
34 | IGB/Aids:
Gewerkschaften gegen Aids
35 | China: Unfaires Spielzeug
35 | Internationale Finanzmärkte:
Finanzkontrolle
35 | amnesty international/Türkei:
Ein Frauenhaus für Istanbul
Bücher
43 | Naomi Klein: Die Schock-Strategie
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Dieses Buch kann in der ÖGB-Fachbuchhandlung, 1010 Wien, Rathausstraße 21, Tel.: 01/405 49 38-109 bestellt werden.
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Polen:
Einwohner: 38,5 Millionen
Währung: 1 Zloty = 0,2739 Euro
BIP pro Kopf: 6.199,46 Euro
Human Development Index: 0,862
Aktuelle Durchschnittskosten
1 Liter Benzin: 4,50 Zloty
1 Laib Brot: 1,50 Zloty
1 Liter Milch: 2,00 Zloty
½ Liter Bier im Lokal: 8,00 Zloty
1 Kilo Äpfel: 2,50 bis 3,50 Zloty
1 Kinokarte: 16,00 bis 20,00 Zloty
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Was ist »BAGS«?
Im BAGS-Kollektivvertrag werden Regelungen für alle Berufe im Gesundheits-, Sozial- und Jugendwohlfahrtsbereich getroffen. Dazu zählen unter anderen Heimhelferinnen, Pflegeeltern, KindergärtnerInnen, Tagesmütter, SozialarbeiterInnen, Psychologen/Psychologinnen, diplomierte KrankenpflegerInnen, FachsozialbetreuerInnen, FlüchtlingsbetreuerInnen, Street-Worker, AltenhelferInnen, PflegehelferInnen und Lern- und FreizeitbetreuerInnen.
Er hat seinen Namen nach der »Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe«. Die BAGS ist der größte freiwillige Verband im privaten Sozialbereich und im Nonprofitbereich. Dieser ArbeitgeberInnenverband gehört keiner Kammer an und es gibt keine gesetzliche Interessenvertretung auf ArbeitgeberInnenseite. Der BAGS-KV wird abgeschlossen zwischen der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe und den Gewerkschaften GPA-DJP und der Gewerkschaft vida. Er gilt bundesweit für rund 70.000 ArbeitnehmerInnen.
Chronologie
1997: Der "Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe" wird die Kollektivvertrags-Fähigkeit zuerkannt.
2004: Der BAGS-Kollektivvertrag tritt erstmals in Kraft und gilt für die Bereiche der Behindertenbetreuung, Altenbetreuung, Kinder- und Jugendwohlfahrt.
2006: Der Antrag zur Satzung des BAGS-Kollektivvertrags wird positiv entschieden.
2007: Durch die Satzung mit 1. Jänner 2007 müssen alle AnbieterInnen sozialer oder gesundheitlicher Dienste präventiver, betreuender oder rehabilitativer Art in acht Bundesländern (Ausnahme: Vorarlberg) die Bestimmungen des BAGS-Kollektivvertrages umsetzen.
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Sanktionen für Spekulanten?
Der Chef der Wallstreetfirma Merill Lynch, Stan O’Neil, bescherte dem Unternehmen durch Spekulationen im Hypothekengeschäft den größten Quartalsverlust der Firmengeschichte. Nachdem sein dadurch provozierter Rücktritt bekannt wurde, steigen die Aktienkurse der Investmentbank. Weil O’Neils Abfindung v. a. aus Aktienoptionen besteht, steigt seine Abfindung um 16 Mio. $ auf 175 Mio. $.
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KURZ GEFASST
Wirtschaftsgeograf Christian Reiner analysiert, warum auf den US-Markt beschränkte Preisabstürze eine globale Rezessionsgefahr hervorgerufen haben. Seit dem Frühjahr 2006 platzt die US-Immobilienpreisblase. In Europa wurde dies aber erst im Sommer 2007 wirklich zur Kenntnis genommen, als sich die weltweiten Notenbanken zu einer Intervention der stockenden Kreditmärkte aufgrund von Kreditausfällen bei amerikanischen Hypothekarkrediten gezwungen sahen. Seit den 1990er Jahren steigen vor allem in den USA die Immobilienpreise. Viele investierten daher in Häuser, Spekulationen nahmen zu.
Die amerikanische Notenbank hatte, um das US-Wirtschaftswachstum aufrecht zu erhalten, die Leitzinsen zwischen Jänner 2001 und Juni 2003 von 6,5 Prozent auf ein Prozent gesenkt. Diese Zinssenkung setzte sich in einem Anstieg des Konsums um und führte dazu, dass die Immobilienpreise weiter anstiegen. Es kam zu Hypothekenumschuldungen, neue Hypotheken waren günstiger als die alten. Da die Häuser mittlerweile mehr wert waren, konnten die KreditnehmerInnen gleich weit größere Summen aufnehmen, als zur Refinanzierung der alten Hypothek eigentlich notwendig gewesen wäre.
Ab Juni 2004 stiegen die Zinsen von einem Prozent im Juni 2004 auf 5,25 Prozent im Juni 2006. Die SchuldnerInnen können die steigende Zinsbelastung nicht mehr tragen. Viele der Hypothekenbanken zahlen jetzt den Preis für ihre riskante Kreditvergabe mit dem Bankrott. Die internationalen Finanzmärkte geraten nach der New-Economy-Krise im Jahr 2000 schon zum zweiten Mal in diesem Jahrhundert als Krisenauslöser in den Blickpunkt. Das WIFO rechnet wegen der globalen Finanzkrise mit einem sich abschwächenden Wachstum im Euroraum und in Österreich für das kommende Jahr.
Damit aus derartigen Erklärungen aber mehr wird als bloßes Papier und Absichtserklärungen, bedarf es rechtlich verbindlicher Vereinbarungen, insbesondere auf betrieblicher Ebene. Mittels Betriebsvereinbarungen zur Förderung der Vielfalt und des partnerschaftlichen Verhaltens, könnten BetriebsrätInnen und Geschäftsführungen aktiv Maßnahmen gegen diskriminierende Situationen setzen. Dazu bedürfte es nur einer Änderung des ArbVG in dem ein zusätzlicher Regelungstatbestand eingeführt wird.
In derartigen Betriebsvereinbarungen könnten geeignete Maßnahmen zur Erreichung der gesetzten Ziele vereinbart werden, bis hin zu speziellen Schulungsangeboten für ArbeitehmerInnen und Führungskräfte. Es ist wichtig, dass das »Andere« vertraut wird und Ängste genommen werden.
Schlimm ist für Menschen mit sexueller Orientierung auch die Überzeugung, der einzige zu sein und kein Verständnis zu finden. Daher sind Vernetzungsangebote vor allem in größeren Betrieben ein gutes Instrument um ein gutes Klima zu fördern. Diskriminierung am Arbeitsplatz ist kein gewerkschaftliches Orchideenthema, sondern es geht schlichtweg um eines - um Sicherung der elementaren Menschenrechte am Arbeitsplatz, und das ist einer unserer zentralen Aufträge!
Martin Wolf
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Hundstorfer gegen Diskriminierung Homosexueller
»Das Gleichbehandlungsgesetz verbietet Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund sexueller Orientierung. Trotzdem trauen sich viele lesbische oder schwule Menschen nicht, sich offen zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen und ihre Rechte einzufordern. Eigene Betriebsvereinbarungen wären ein klares Signal, dass Diskriminierung in einem Betrieb nichts zu suchen hat«, schlägt ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer einen sogenannten gesetzlichen Betriebsvereinbarungstatbestand vor: »Es trauen sich viele lesbische oder schwule Menschen nicht, ihre sexuelle Orientierung im Betrieb offen zu bekennen und z. B. auch nicht ihr Recht auf Pflegefreistellung in Anspruch zu nehmen, wenn ihr gleichgeschlechtlicher Lebensgefährte oder Lebensgefährtin krank ist. Der ÖGB tritt dafür ein, dass gesetzlich klargestellt wird, dass Betriebsvereinbarungen zum Thema Antidiskriminierung abgeschlossen werden können. Eine solche Betriebsvereinbarung würde den ArbeitnehmerInnen zeigen, dass Diskriminierung im Betrieb nicht geduldet wird, und dass personelle Vielfalt in der Belegschaft als ein positiver Bestandteil der Unternehmenskultur gesehen wird. Eine solche Betriebsvereinbarung würde lesbischen und schwulen Menschen zeigen, dass sie sich offen zu ihrer sexuellen Orientierung bekennen können und somit zu einer Änderung des betrieblichen Klimas führen.«
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Das Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz (BMSK) hat den Verein für Konsumenteninformation (VKI) mit der Erhebung beauftragt, ob sich KonsumentInnen durch die Vermittlung der Meinl-European-Land-(MEL)-Zertifikate geschädigt fühlen. Der VKI soll die Chancen von Schadenersatzklagen gegen die VermittlerInnen prüfen. Das BMSK wird danach entscheiden, ob und wie es Geschädigte bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche unterstützt. Es sind Musterprozesse geplant.
Die Arbeiterkammern prüfen auch Klagen gegen die Meinl European Land bzw. die Meinl Bank und die Börse.
Der Prozessfinanzierer AdvoFin prüft Sammelklagen gegen MEL und juristische und physische Personen aus deren Umfeld. Dabei übernimmt AdvoFin gegen Erfolgsanteil die Kosten des Verfahrens.
Der Interessenverband für Anleger (IVA) verweist auf seiner Homepage ebenfalls auf Hilfsangebote von Rechtsanwälten/-anwältinnen. Hier ist eine Deckung durch eine Rechtsschutzversicherung erforderlich.
Nähere Informationen finden Sie auf der vom Verein für Konsumenteninformation eingerichteten Website www.verbraucherrecht.at mit Links zu Arbeiterkammer, AdvoFin und IVA. Jene, die einem Vermittler die Aufklärungspflicht vorhalten, können sich in einem Online-Fragebogen an dieser Adresse an einer Sammelprüfung von Schadenersatzansprüchen beteiligen. G. M.
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Cornelia Staritz,
Leonhard Plank:
Tobinsteuer -
»Sand ins Getriebe« der Finanzmärkte und Einnahmen für Entwicklung,
ISBN 978-3-7035-1290-2
Attac/ÖGB-Verlag, Wien 2007, Euro 21,-
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Dienstleistungsscheck
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Hausbetreuungsgesetz
www.bmwa.gv.at/NR/rdonlyres/60D831C5-6196-4CCD-8FA8-1160476C51F5/0/Hausbetreuungsgesetz.pdf
Zuständige Gewerkschaft
soziales-gesundheit.vida.at
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KURZ GEFASST
Die Leiterin der Abteilung Frauen und Familie in der AK Wien, Ingrid Moritz, weist darauf hin, dass noch vor achtzig Jahren Hausgehilfinnen unter übelsten Arbeitsbedingungen litten. Heute gibt es - zumindest offiziell - kaum mehr Frauen, die in diesem Bereich arbeiten. Die Zahl der illegal Beschäftigten in Privathaushalten ist aber sehr groß. Vermutungen schwanken zwischen 60.000 und 300.000 - der Großteil Frauen, viele davon ausländische StaatsbürgerInnen.
In den letzten Jahren kamen daher zum nur noch selten anwendbaren Hausgehilfen- und Hausangestelltengesetz der Dienstleistungsscheck (Jänner 2006) und das Hausbetreuungsgesetz (Mitte 2007). Ersterer erwies sich zwar als Zuckerl für ArbeitgeberInnen, für ArbeitnehmerInnen ist er aber - abgesehen von der Möglichkeit in die Kranken- und Pensionsversicherung hineinoptieren zu können - nicht sehr attraktiv.
Das Hausbetreuungsgesetz schafft zwar Möglichkeiten zur Rund-um-die-Uhr-Betreuung, weist aber auch noch grobe Schwächen auf. Zukunftsweisende Lösungen für die vielen gerade in diesem Bereich beschäftigten Frauen stehen noch immer aus.
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Problemlösungen gefragt
Die Hauptprobleme für die Arbeitswege der PendlerInnen sieht die AK-Verkehrsexpertin Sylvia Leodolter darin: »Sie haben keine Lobby, die Politik interessiert sich nicht wirklich für die Arbeitswege der Beschäftigten. Die Reisenden im Nah- und Regionalverkehr haben keine verbindlichen Rechte, z. B. bei Verspätungen, bei Ausfall von Heizungen, Lüftungen oder ganzer Züge. Zudem ist der Arbeitsweg meistens voller Hindernisse, die ihn länger und unangenehmer machen, als er sein müsste. Zu allem Überfluss werden die unterstützungswürdigen ›traditionellen ZwangspendlerInnen‹, die von den ländlichen Regionen in die Ballungszentren unterwegs sind, auch noch gegen jene ausgespielt, die als angebliche ›WohlstandspendlerInnen‹ von den Städten mit ihren Familien ins Umland gezogen sind. Diese Unterscheidung ist für uns völlig ungerechtfertigt, weil sie den PendlerInnen die Verantwortung für eine oft verfehlte Siedlungs- und Wohnbaupolitik in die Schuhe schiebt. Genauso inakzeptabel für uns ist es aber, wenn sich die Städte ihrer Verantwortung für jene Beschäftigten entziehen wollen, die nicht in der Stadt wohnen. Schließlich tragen die PendlerInnen entscheidend zur Wirtschaftskraft einer Stadt bei.«
Klar, der Arbeitsweg ist keine Erholungsreise, aber er darf deswegen nicht zur täglichen Spießrutenfahrt werden. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen und Instrumenten, den Arbeitsweg so kurz wie möglich und so angenehm wie möglich zu machen. Etwa eine koordinierte Fahrplangestaltung oder bessere Abstimmung der einzelnen Verkehrsmittel aufeinander, z. B. beim Umsteigen (kürzere Fußwege, mehr Park&Ride-Anlagen), mehr Personal und Service für die Fahrgäste im Bahn-, Bus- und innerstädtischen Verkehr, schnellerer Einsatz neuer Info-Technologien für die Reisenden, mehr Komfort in den PenderInnenzügen (statt z. B. beschränktes Sitzplatzangebot, Heizungsprobleme, Zugluft usw.). Auch die Benutzung der Öffis selbst ist nicht frei von Hindernissen. Etwa alte Garnituren oder Stationen, mangelhafte Auf- und Abgänge, schadhafte Rolltreppen, zu viele und/oder zu schmale Stufen, teilweise Fahrverbote für Kinderwagen auf Rolltreppen, usw. Nach wie vor ganz oben auf der Prioritätenliste steht die Erhöhung der Pünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel. Diese zu gewährleisten ist eine der wirksamsten Maßnahmen gegen den PendlerInnen-Stress.
Tatsächlich kann die Zeit, die am Weg zur Arbeit verloren geht, tagsüber nicht mehr aufgeholt werden. Den Stress und Ärger nimmt man in die Firma und auch noch am Abend ins Privatleben mit. Störungen im Verkehrssystem kosten also nicht nur Zeit, sondern auch Energie.
All diese Barrieren stellen nicht nur die derzeitigen Öffi-Benutzer auf eine tägliche Geduldsprobe, sondern macht es auch den von Pkw auf Öffis Umsteigewilligen nicht gerade leicht. Immerhin wären nach Meinung der MobilitätsforscherInnen die Hälfte der AutopendlerInnen durch attraktive Maßnahmen zum Umstieg auf Bahn und Bus zu bewegen. Es gibt also ein Potenzial zur Verlagerung zum öffentlichen Verkehr.
Vorbild Schweiz
Unser Nachbarland, die Schweiz, zeigt, wie es funktionieren kann. Dort ist für den öffentlichen Bahnverkehr das Bundesamt für Verkehr zuständig, und die Grundversorgung mit öffentlichem Verkehr ist gesetzlich garantiert: Ortschaften mit ganzjährig mehr als 100 EinwohnerInnen müssen mit Öffis erschlossen werden. Werden durchschnittlich mehr als 500 Personen pro Tag befördert, so muss ein durchgehender Stundentakt mit 18 Kurspaaren angeboten werden. Das Durchschnittsalter der Schweizer Züge im Nahverkehr beträgt 12,5 Jahre - in Österreich sind die Züge im Schnitt 20 Jahre alt, nicht wenige sogar bis zu 40. Und nicht zuletzt: Die Schweiz investierte im Jahr 2003 umgerechnet 2,58 Milliarden Euro in die Bahn - doppelt so viel wie Österreich. 2006 waren für den Bahnausbau in Österreich 1,5 Milliarden Euro vorgesehen.
Pendeln wird immer teurer. Die Kosten dafür sind laut Erhebungen der AK in den letzten vier Jahren enorm gestiegen - Benzin um 25 Prozent, Diesel um 36 Prozent, 50 Prozent mehr Kfz-Steuer seit 2000, Verdoppelung der Preise für die Vignette seit 2001, Anhebung der Mineralölsteuer 2004 und 2007. Gleichzeitig sind die Bahntarife seit 2000 viermal erhöht worden.
Zwar ist es AK und ÖGB gelungen, in Form eines Pendlerzuschlages von 90 Euro im Jahr für die rund 100.000 Beschäftigten, die keine Lohnsteuer zahlen, weil sie weniger als 1.130 Euro Brutto im Monat verdienen, und durch die diesjährige Erhöhung der Pendlerpauschale um zehn Prozent, eine gewisse Milderung des Kostenanstiegs zu erreichen. Diese Regelung gilt aber vorerst nur für die Jahre 2008 und 2009. Aufgrund der zusätzlichen finanziellen Belastungen für PendlerInnen verlangt die AK eine grundlegende Umgestaltung und Erhöhung der steuerlichen Pendlerförderung, die sowohl zu einer finanziellen Entlastung beiträgt als auch den öffentlichen Verkehr attraktiver macht. Dazu müsse das derzeitige System der Pendlerpauschale reformiert werden, das Besserverdiener bevorzugt. Leodolter: »Eine sozial ausgewogene und ökologische Ziele unterstützende Reform der Pendlerförderung ist dringend notwendig. Die Pendlerpauschale wurde zwar im Juli 2007 erhöht und die AK erreichte für WenigverdienerInnen erstmals einen Pendlerzuschlag - aber das ist zu wenig. Die Kosten sind in den letzten Jahren sowohl beim öffentlichen Verkehr als auch beim Pkw dramatisch gestiegen. Daher verlangt die AK bei der nächsten Steuerreform eine steuerliche Entlastung, die allen PendlerInnen zugute kommt - eine Umwandlung der Pendlerpauschale in einen Absetzbetrag mit Negativsteuerwirkung. Dadurch werden vor allem niedrige Einkommen stärker entlastet. Zudem sollen auch die Unterscheidung zwischen großer und kleiner Pendlerpauschale überdacht und Anreize zur stärkeren Förderung des öffentlichen Verkehrs überlegt werden.«
Wilfried Leisch
IHRE RECHTE ALS FAHRGAST
Die PendlerInnen dürfen nicht Kunden/Kundinnen zweiter Klasse sein. Daher fordert die AK umfassende und verbindliche, d. h. gesetzlich verankerte Fahrgastrechte im Nahverkehr in Anlehnung an die einschlägige EU-Verordnung. Zusätzlich müssen Gewährleistungsrechte für quantitative und qualitative Leistungsmängel geregelt sein.
Die neue AK-Broschüre »Gut informiert unterwegs« weist Bahn- und BusbenützerInnen darauf hin, welche Rechte sie derzeit in Österreich (Schwerpunkt Ostregion) im öffentlichen Verkehr haben, und wie sie diese durchsetzen können. Die Broschüre ist in Kooperation mit Verkehrsverbund Ostregion (VOR), Wiener Linien und ÖBB entstanden. Die Broschüre enthält wichtige Servicenummern, gibt Antworten auf häufig gestellte Fragen und zeigt die Mängel in der Rechtslage auf.
Bestelltelefon: 01/501 65-401; per E-Mail: bestellservice@akwien.at; per Fax: 01/501 65-3065 und zum Downloaden: http://wien.arbeiterkammer.at/pictures/d58/Fahrgastrechte.pdf
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Beispiel - Allgemeine Ladenöffnungszeiten: | ||
Alle Einzelhandelsgeschäfte (alle Waren) | Regelung bis 2003 | Neuregelung 2003 |
Montag - Freitag | 6.00 - 19.30 | 5.00 - 21.00 |
Samstag | 6.00 - 17.00 | 5.00 - 18.00 |
KURZ GEFASST
Der Abschluss
Erhöhung der kollektivvertraglichen Mindestlöhne/-gehälter um 3,6 Prozent.
Der neue Mindestlohn/das neue Mindestgehalt liegt dadurch bei 1.402,31 EUR Erhöhung der Ist-Löhne/-gehälter fix um 3,2 Prozent, zusätzlich um 0,3 Prozent variabel (mit Betriebsvereinbarung).
Erhöhung der Lehrlingsentschädigungen, Zulagen und Aufwandsentschädigungen um 3,6 Prozent.
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Gewinnbeteiligung
Beschäftigte erhalten neben ihrem festen Lohn bzw. Gehalt zusätzliche Einkommenselemente, die vom Gewinn bzw. Erfolg des Unternehmens abhängig sind. Die UnternehmerInnen wollen die Beschäftigten an den wirtschaftlichen Erfolgen ›teilhaben lassen‹. Gewinnprämien werden jedoch nur in guten Jahren ausgeschüttet und stellen keine nachhaltigen Lohn- und Gehaltsbestandteile, vielmehr kommt es zu einer Flexibilisierung von Löhnen und Gehältern auf Kosten der ArbeitnehmerInnen. Auch hier gilt, dass viele Beschäftigtengruppen wie z. B. der Nonprofit- und öffentliche Bereich und atypisch Beschäftigte ausgeschlossen sind.
Info&News
MitarbeiterInnenbeteiligungs-Verlustfalle
Eine Binsenweisheit der Wertpapierveranlagung lautet, man soll zu niedrigen Kursen kaufen und zu hohen verkaufen. Der Zeitpunkt einer MitarbeiterInnenbeteiligung ist daher für die daraus resultierenden Erträge von zentraler Bedeutung.
Ein kritischer Fall tritt immer dann auf, wenn MitarbeiterInnen in sehr erfolgreichen Jahren Unternehmensanteile als Erfolgsprämien erhalten.
In diesen erfolgreichen Jahren ist in aller Regel der Kurs der jeweiligen Aktie sehr hoch, und die Aktie hat, um im Börsenjargon zu bleiben, kaum mehr Potenzial nach oben. Werden Unternehmensbeteiligungen dagegen in einer schweren Krise, also zu Zeiten niedriger Börsenkurse ausgegeben, so besteht viel Potenzial für Steigerungen, allerdings auch für Konkurse. Die finanziell auffallend erfolgreichen Beteiligungen sind daher auch solche, die in Sanierungen entstanden sind wie bei der AMAG.
Unternehmensanteile in guten Jahren zu erhalten ist also vor allem, wenn sie mit Behaltefristen versehen sind, eine riskante Angelegenheit. In so einem Fall wird nämlich systematisch zu hohen oder Höchstkursen gekauft.
Thomas Zotter
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Broschüre der AK Wien zum Download
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P. Heimerl, Wien
]]>Arbeit im Privathaushalt
Viele Sonderbestimmungen,
wenig Rechte für Beschäftigte 24
Hintergrund:
Erich Foglar und Karl Proyer haben in drei Verhandlungsrunden 3,6 Prozent mehr Mindestlohn und -gehalt für die Beschäftigten in Metallindustrie und Bergbau herausgeholt. Keine leichte Übung, wie sie im Ar-beit&Wirtschaft-Interview berichten.
52 freie Sonntage! 15
Die Allianz für den freien Sonntag präsentierte in der Fachbuchhandlung des ÖGB einen Kalender für das Jahr 2008.
»Uns fehlt nur eine Kleinigkeit … nur Zeit!« 16
Noch früher als der arbeitsfreie 1. Mai war der arbeitsfreie Sonntag für die ArbeitnehmerInnenbewegung ein Symbol für den Anspruch auf gesellschaftliche Gleichberechtigung.
MitarbeiterInnenbeteiligung - zu hohe Erwartungen 12
Die Nettolohnentwicklung ist in den letzten Jahren deutlich hinter den Zuwächsen der Unternehmensgewinne zurückgeblieben. Gründe dafür waren Druck durch steigende Arbeitslosigkeit, ständige Drohungen mit Pro-duktionsverlagerungen und steigende Steuern und Abgaben auf Löhne und Gehälter.
Arbeit im Privathaushalt: schwarz oder ohne Rechte 24
Die Beschäftigung in Privathaushalten ist seit jeher von Sonderbestimmungen und weniger Rechten als für die übrigen ¬ArbeitnehmerInnen gekennzeichnet.
Das Platzen der US-Immobilienblase 34
»Nur weil die Kreditinstitute zu viel Geld an die Heuschrecken ausleihen, zahlen jetzt die kleinen Kreditnehme-rInnen die Zeche und verlieren dabei auch noch eventuell ihren Arbeitsplatz«, so beschrieb ein Beobachter die gegenwärtige Immobilien- und Finanzkrise.
Meinung
4 | Standpunkt: Sonntags nie!
5 | Leserforum
18 | Kommentar: Beseitigung der Sonntagsruhe
käme teuer
20 | Kommentar: Wo bleibt die Work-Life-Balance?
28 | Kommentar: Tobinsteuer
32 | Kommentar: Arbeitswelt andersrum
ist schwierig
43 | Kommentar: Eine Woche Weiterbildung
44 | Kommentar: Sackgasse Ökonomisierung
Schwerpunkt
Schwerpunktthema:
So wichtig ist der freie Sonntag ab Seite
Hintergrund:
Ein gutes Gesamtpaket, das man nicht verstecken muss
Aus Arbeiterkammern&Gewerkschaften
6 | AK-Initiative: Fit mit 50 plus
6 | EU-Energiepläne: Privatisiert und teurer
7 | Tourismus: Branchenflucht eindämmen
7 | Vermögen: Fehlende Besteuerung
7 | Öffentlicher Dienst: Hundert Jahre
42 | Wir sind Europa
Aktuelles
11 | Euro 2008: Guter Kompromiss für Handel
Gesellschaftspolitik
22 | Pendeln mit Zukunft
Wirtschaft&Arbeitsmarkt
27 | Verbraucherpreise
30 | Glaubenssache
38 | Einer für alle
Internationales
40 | Kolumbien: Frauen für den Frieden
40 | EU/Afrika-Karibik-Pazifik:
Unfaire Handelsabkommen
40 | Clean Clothes Kampagne (CCK): Maulkorb
41 | Nicaragua: Abtreibungsverbot
41 | Vereinigte Staaten:
Neuer Tarifvertrag bei General Motors
41 | Kanada: Fairer Frank
Bücher
45 | TAZ Verlag, Edition le monde diplomatique:
Die Globalisierungsmacher
Starker Norden
Anders sieht das sein Landsmann Paul Fraser. Ich treffe Fraser zufällig in einem schmuddeligen Hotel in Darwin, der Hauptstadt der tropischen Northern Territories. Fraser gehört zu jenen jungen australischen Arbeitern, die auf der Suche nach gut bezahlten Jobs aus Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit in den wirtschaftlich starken Norden abwandern. »Ich bin erst seit ein paar Tagen hier und die haben mich hier bereits nach meinem ersten Vorstellungsgespräch genommen«, erklärt mir Fraser. »Ich habe einen Job am Hafen bekommen. In ein bis zwei Wochen kann ich aus diesem Hotel ausziehen und mir eine Wohnung nehmen. Wer wirklich Arbeit sucht, bekommt sie auch. Aber unsere Sozialleistungen sind einfach zu großzügig. Viele Leute kassieren lieber die Arbeitslosenhilfe und bleiben daheim. Je mehr Kinder sie haben, desto mehr bekommen sie.« Frasers Stimme scheint sich bei diesem Thema immer mehr mit Zorn zu füllen: »Und das macht mich wirklich wütend! Die faulenzen, während Leute wie ich 1500 Kilometer durchs Land fahren, um zu arbeiten. Die Jobs kommen nicht zu dir, du musst zu den Jobs gehen!« Meinen Einwand, dass die Leistungen bei Arbeitslosigkeit in Australien zu den niedrigsten in der industrialisierten Welt gehören, ignoriert er geflissentlich. Schließlich hört und liest man fast täglich das Gegenteil. Amüsiert lese ich die Leserbriefe in der Tageszeitung »Northern Territory News«. Einige Nordaustralier beschweren sich dort über die vielen Südaustralier, die immer zahlreicher in den Norden kämen, um gutes Geld zu machen, aber viel weniger leisten würden.
Erste soziale Reformen
Wie kam es in einem Land, das immerhin die erste gewählte sozialistische Regierung der Welt hervorbrachte, zu dieser Entwicklung? Premierminister Andrew Fisher, ein schottischer Minenarbeiter und Gewerkschafter, bestimmte ab 1908 die Geschicke des damals erst sieben Jahre jungen Landes und initiierte erste soziale Reformen wie das Pensionsgesetz. Die kurze Blütephase des australischen Sozialismus war jedoch bald vorbei. Zwischen 1916 und 1972 war die Labor Party nur zehneinhalb Jahre in Regierungsverantwortung. Der internationale Ruf nach Vollbeschäftigung und sozialem Fortschritt, der im Zuge der 1968er Bewegung durch Europa und Nordamerika hallte, erreichte aber letztendlich auch Australien. Labor-Premierminister Gough Whitlam trieb in seiner Amtszeit (1972-75) die bisher umfassendsten sozialen Reformen voran. Bis heute bedauern viele linke und liberale AustralierInnen, dass er seine überaus knappe Mehrheit schon bald wieder verlor und ihm dadurch zu wenig Zeit blieb, mehr seiner nachhaltigen Projekte voranzutreiben. Man denke hierbei vergleichsweise nur an Olof Palme in Schweden, der über neun Jahre lang regierte oder Bruno Kreisky, der hierzulande sogar über 13 Jahre lang im Amt verweilte.
Einfluss der USA
Zu den wesentlichen Reformen dieser Zeit zählen unter anderem die Schaffung einer universalen Krankenversicherung und einer Grundpension, die Abschaffung der Studiengebühren und der Wehrpflicht sowie die Anerkennung und finanzielle Förderung der australischen UreinwohnerInnen. Für die kurze Amtszeit, die der Regierung Whitlam zur Verfügung stand, waren das durchaus beachtliche Reformen. Nach Whitlam folgten einige Jahre konservativer Vorherrschaft, bevor die Labor Party von 1983 bis 1996 zum ersten Mal seit den Vierzigerjahren über einen längeren Zeitraum hinweg den Premierminister stellen konnte. Ausgerechnet diese Labor-Regierungen waren es jedoch, die dem ohnehin nur rudimentär ausgebauten australischen Sozialstaat mit massiven Einsparungen und Privatisierungen die Luft abschnürten. Der Einfluss der USA war nun nicht mehr bloß außenpolitisch, sondern auch sozial- und wirtschaftspolitisch unübersehbar, und vor allem spürbar.
Harter Kurs gegen Gewerkschaften
Der konservative Premierminister Howard ist seit 1996 Regierungschef und hat bereits vier Wahlen hintereinander gewonnen.1)
Von Anfang an praktizierte er einen harten Kurs gegen Gewerkschaften, MigrantInnen und Aboriginal-Organisationen. Seine radikalen Privatisierungsmaßnahmen waren zwar alles andere als populär, doch wurde die Kritik seitens der Labor-Opposition von vielen als ziemlich unglaubwürdig eingeschätzt. Waren es doch die der Howard-Ära vorausgegangenen Regierungen der Labor Party, die die wesentlichsten Elemente des Privatisierungskurses auf die Schiene brachten. Auch bei der »Entschlackung« der Sozialpolitik waren sie federführend.
Ähnlich wie das australische Arbeitslosensystem mit seinen erschreckend niedrigen Ersatzraten ist auch das Pensionssystem in erster Linie eine Art Sozialhilfeprogramm für Bedürftige.
Problematisches Pensionssystem
Noch in den Achtzigerjahren war die staatliche Säule der Altersvorsorge die Haupteinnahmequelle für PensionistInnen. Leistungen aus Betriebsrentenprogrammen ließ man sich, da diese Variante steuerbegünstigt war, auszahlen. Nur sehr selten wurden damit zusätzliche Pensionsversicherungsleistungen angekauft. 1984 wurde die von der Whitlam-Regierung abgeschaffte Vermögensabklärung wieder eingeführt, strenge Bedürftigkeitsprüfungen folgten.
Das bedeutet nichts anderes, als dass die 1. Säule, die ohnehin für alleinstehende PensionistInnen nur 25 Prozent des Durchschnittslohnes beträgt, auch bei Zusatzeinkünften oder geringem Vermögen gekürzt wird, bis sie schließlich ganz wegfällt.
Die betriebliche Säule wurde ab 1986 durch die Einführung einer obligatorischen betrieblichen Altersvorsorge aufgewertet. Das frühest mögliche Entnahmealter wird schrittweise von 55 auf 60 Jahre erhöht. Bei DurchschnittsverdienerInnen beträgt die Ersatzquote der betrieblichen Altersvorsorge und der öffentlichen Altersrente zusammen etwa 70 Prozent nach 30 Jahren Beitragszahlung. Theoretisch. In der Praxis führten schlechte Kursentwicklungen in den letzten Jahren zu negativen Renditen. Weitere Verluste von Ersparnissen wurden durch die hohen Verwaltungsgebühren der Betriebsrentenfonds verursacht.
Flying Doctors
Nach einer jüngsten Umfrage unterstützen dennoch bloß 55 Prozent der AustralierInnen die staatliche Verantwortung für die Altersvorsorge. Anders verhält es sich im Gesundheitsbereich. Hier unterstützen 80 Prozent der Befragten das öffentliche Gesundheitssystem, das erst sehr spät, nämlich 1975, eingeführt worden ist. Im Gegensatz zu Österreich, wo beachtliche 2,4 Prozent der Bevölkerung über 15 Jahren nicht versichert sind, erfasst das australische System alle EinwohnerInnen. Es ist primär steuerfinanziert 2). Besonders stolz sind die AustralierInnen auf ihre »fliegenden Ärzte« (»Flying doctors«), die mit kleinen Flugzeugen auch die abgelegensten Wüstenregionen des Landes ansteuern. Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte sind im ganzen Land gratis, allerdings gibt es recht hohe Selbstbehalte bei Medikamenten. Derzeit müssen pro Verschreibung EUR 13,60 hingeblättert werden. Dieser Selbstbehalt ist gedeckelt. Wenn die jährlichen Ausgaben eines Haushaltes ca. EUR 420,- übersteigen kosten alle zusätzliche Medikamente nur noch EUR 2,17.
Ein wirklicher Minuspunkt ist jedoch die Krankengeld-Regelung. Diese Leistung wird bloß für maximal 13 Wochen lang ausbezahlt und beträgt nach einer Warteperiode von sieben Tagen für Alleinstehende ca. EUR 480,- pro Monat. Ebenfalls nicht unproblematisch ist der Ausschluss von zahnärztlichen Leistungen aller Art bzw. die recht hohen Krankentransportgebühren. Im Jahre 2005 hatten bereits mehr als 43 Prozent der AustralierInnen eine Privatversicherung abgeschlossen, vor allem um die langen Wartezeiten in den öffentlichen Spitälern zu umgehen. Die Howard-Regierung fördert diese privaten Gesundheitsanbieter. Beispielsweise sind Privatversicherungen steuerlich absetzbar.
Wahlkampf ohne Sozialpolitik
Die Sozialpolitik spielt trotz aller Probleme insgesamt keine große Rolle im australischen Wahlkampf. Auf die Frage ob er sich von einem etwaigen Regierungswechsel wesentliche Änderungen im Sozialbereich erwarte, meint folglich auch Arnie Olbrich: »Sozial- und wirtschaftspolitisch sind die Weichen bereits gestellt. Weder im Bereich der Arbeitslosenunterstützung noch bei der Gesundheit oder den Pensionen wird sich etwas ändern. Allerdings würde (Anm. Labor-Oppositionsführer) Kevin Rudd die drakonischen neuen Arbeitsplatzübereinkommen zurücknehmen.« Auch in Unternehmen, in denen Kollektivverträge in Kraft sind, dürfen ArbeitgeberInnen im Rahmen dieser Übereinkommen neuen Beschäftigten individuelle Verträge anbieten. In diesen Verträgen kann zum Beispiel festgelegt werden, dass Überstunden, Krankenstands- oder Urlaubstage gegen höhere Löhne eingetauscht werden können. Wer keinen individuellen Vertrag unterzeichnen möchte, dem kann der Arbeitsplatz verweigert werden.
3800 EUR Strafe für Streiks
Zwar bietet der Australische Gewerkschaftsdachverband ACTU für ArbeitnehmerInnen, die vor der Vertragsunterzeichnung stehen, intensive Beratungsleistungen an, doch allzu oft werden diese von der Arbeitgeberseite über den Tisch gezogen. Arnie Olbrich wirkt nachdenklich und zieht an seiner Zigarette: »Wie soll denn irgendein junger Arbeiter, mit dem ein solcher Vertrag abgeschlossen werden soll, das nötige Know-how und die nötige Macht haben, einen guten Vertrag mit seinem Arbeitgeber abzuschließen?«. Weitere »Reformen« der Howard-Regierung waren die Abschaffung jeglichen Kündigungsschutzes für Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten sowie die Einführung hoher Strafen bei Streiks, die die Regierung nicht anerkennt. Auch einzelne ArbeitnehmerInnen, die sich an Streikaktivitäten beteiligen, müssen mit Strafen bis zu EUR 3800,- rechnen!
1600 Soldaten im Nahen Osten
Neben den dringend nötigen Änderungen bei den Arbeitsbeziehungen erwartet sich Arnie Olbrich auch einen neuen Kurs in der Außen- und Migrationspolitik: »Kevin Rudd ist eigentlich auch ein konservativer Typ. Aber er wird zumindest in diesen Bereichen eine etwas humanere Politik betreiben als John Howard.« Olbrich lacht hämisch: »Howard wird ja nicht zu unrecht als George Bushs Hilfssheriff im Südpazifik bezeichnet!« John Howard war tatsächlich von Anfang an ein treuer Verbündeter der USA. Er schickte nicht nur Truppen nach Afghanistan, sondern beteiligte sich auch 2003 bei der Invasion des Iraks. Immer noch versehen an die 1600 australische Soldaten ihren Dienst im Nahen Osten. »Die Labor Party würde unsere Truppen aus dem Irak abziehen«, ergänzt Olbrich.
Aboriginals im Elend
Auch Howards Migrationspolitik ist umstritten. Flüchtlinge, die mit dem Boot nach Australien gelangen wollen, haben de facto keine Chance mehr auf Asyl. Vielmehr werden sie in Anhaltelager auf der Pazifikinsel Nauru und in Papua Neuguinea gesteckt. Die australische Regierung überweist den beiden Staaten riesige Geldsummen für die Aufrechterhaltung der Flüchtlingslager. Ein weiteres Lager auf den Christmas Inseln ist gerade in Bau.
Im Gegensatz zu einer Kursänderung in den Bereichen Migrations- und Außenpolitik wird nicht erwartet, dass sich bei einem Regierungswechsel für die sozial Schwächsten der Gesellschaft, nämlich die australischen UreinwohnerInnen, viel zum Besseren wendet. Die Lebenserwartung der Aboriginals liegt immer noch fast 20 Jahre unter der der Weißen. Das Bildungsniveau ist gering, die Arbeitslosenraten dagegen sehr hoch. Ganze Aboriginal-Kommunen befinden sich in einem Teufelskreislauf aus Armut, Alkoholismus und Gewalt. In vielen Kommunen gibt es kein fließend Wasser, keine Toiletten und keine Gesundheitsversorgung. Einziger Hoffnungsschimmer: Erfolgloser als die jetzige Regierung könnte in diesem Bereich auch eine etwaige Labor-Regierung nicht mehr agieren.
Arnie Olbrich nimmt einen weiteren Zug von seiner Zigarette. »Das letzte Jahrzehnt war sehr dynamisch. Ich hoffe wirklich, dass es bald einen Wechsel gibt. Wenn ich im Ausland unterwegs bin, sage ich mittlerweile schon, dass ich aus Neuseeland oder Deutschland bin, nicht aus Australien.«
1)
In Australien wird alle drei Jahre gewählt. Das Repräsentantenhaus, die untere Kammer des Parlamentes, wird jeweils komplett gewählt, während der Senat nur zur Hälfte erneuert wird. Wie in den USA müssen Gesetzesvorschläge in beiden Kammern beschlossen werden.
2)
»Primär steuerfinanziert« bedeutet, dass der Großteil der öffentlichen Aufwendungen für Gesundheit aus dem allgemeinen Steueraufkommen getragen wird. Zusätzlich gibt es aber ArbeitnehmerInnenbeiträge von ein Prozent bzw. 2,5 Prozent für besser Verdienende.
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Sozialversicherungspflichtig
Grundsätzlich stehen als Beteiligungsmodelle zwei Varianten zur Verfügung: Die Beschäftigten werden entweder am Erfolg (Gewinn oder ähnliche Kennzahl) oder am Kapital, also an der Substanz des Unternehmens, beteiligt.
Bei der Erfolgsbeteiligung erhalten die Beschäftigten neben ihrem fixen Entgelt zusätzliche Einkommenselemente, die von der Erreichung gewisser Unternehmenskennzahlen abhängig sind. Erfolgsabhängige Prämien müssen daher als sonstige Bezüge gemäß § 67 EStG versteuert werden. Ebenso sind sie unter dem weiten Entgeltbegriff des § 49 ASVG zu subsumieren und damit sozialversicherungspflichtig. Gleichzeitig erhöhen sie arbeits- und sozialrechtliche Bemessungsgrundlagen (etwa die der Abfertigung, der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder des Arbeitslosengeldes).
Die häufigste Form der Erfolgsbeteiligung ist die Gewinnbeteiligung. Diese wirft allerdings Probleme auf: Einerseits gibt es rechtlich keinen einheitlichen Gewinnbegriff und andererseits erzielen bei Weitem nicht alle ArbeitgeberInnen Gewinn bzw. sind ganze Branchen (und freilich auch die öffentliche Verwaltung) überhaupt nicht auf Gewinn ausgerichtet. Außerdem ist es für ArbeitnehmerInnen oft schwierig, Zugang zu den Unternehmenskennzahlen zu erhalten, überhaupt haben UnternehmerInnen bei der Gestaltung des Gewinns einen nicht unerheblichen Spielraum. Es wird außerdem angenommen, dass etwa die Hälfte aller Erwerbstätigen mangels Vorhandensein von Unternehmensgewinnen niemals an solchen partizipieren könnten.
Kapitalbeteiligungen basieren auf einer Kapitaleinlage; die Beschäftigten sind also direkt oder indirekt am Unternehmen beteiligt. Relativ einfach ist die Situation bei Aktiengesellschaften: Hier können (vergünstigte) Aktien an MitarbeiterInnen ausgegeben werden. Kommt es zu einer unentgeltlichen oder verbilligten Abgabe von Kapitalanteilen (»zwei für drei«), so sind diese Vorteile gemäß § 3 Abs 1 Z 15 lit b EStG bis zu einem gewissen Freibetrag steuerfrei. Seit dem Inkrafttreten des Kapitalmarktoffensive-Gesetzes ist jeder derartige Vorteil weiters von der sozialrechtlichen Beitragspflicht ausgenommen. Dividenden aus Aktien wiederum unterliegen gemäß § 93 EStG der Kapitalertragsteuer, sind damit aber endbesteuert. Arbeitsrechtlich werden Zuwendungen aus Kapitalbeteiligungen - im Gegensatz zu »normalen« Entgelterhöhungen - weder in die Beendigungsansprüche (etwa Abfertigung, Kündigungsentschädigung) noch in die Bemessungsgrundlage für Entgeltfortzahlungsansprüche einbezogen (§ 2a -AVRAG).
Schwieriger ist die Situation bei einer GmbH, da gemäß § 76 Abs 2 GmbHG jede Übertragung von Geschäftsanteilen eines Notariatsaktes bedarf. Aufgrund der Vielzahl der notwendigen Transaktionen ist eine unmittelbare Beteiligung der ArbeitnehmerInnen an einer GmbH unpraktikabel, auch wenn man bedenkt, dass die Durchschnittsdauer von Arbeitsverhältnissen zum/r selben ArbeitgeberIn stetig im Sinken begriffen ist. Für Personengesellschaften ist eine stille Gesellschaft die einzige sinnvolle Form der Kapitalbeteiligung, da ArbeitnehmerInnen bei direkter Beteiligung in der Regel ihre Stellung als ArbeitnehmerInnen und damit den Schutz des Arbeitsrechts verlieren würden. Geht man davon aus, dass es in Österreich »nur« etwa 2000 Aktiengesellschaften gibt, zeigt sich, dass unkomplizierte Kapitalbeteiligungsmodelle nur für wenige ArbeitgeberInnen in Betracht kommen.
Bei einer Forcierung von Erfolgs- und Kapitalbeteiligungsmodellen müssten darüber hinaus die Mitspracherechte der ArbeitnehmervertreterInnen massiv ausgeweitet werden, schließlich würden die Beschäftigten doch teilweise zu »UnternehmerInnen«. Wenn ein Teil der Löhne der ArbeitnehmerInnen direkt vom wirtschaftlichen Schicksal der ArbeitgeberInnen abhängt, muss ihnen daher auch das entsprechende Instrumentarium zur Verfügung gestellt werden, um diese Größe maßgeblich beeinflussen zu können. Einen Beitrag dazu kann sicher die eigene Arbeitsleistung darstellen, größere Bedeutung kommt aber etwa der Preis-, Produkt- und Distributionspolitik zu. Also Bereiche, die Unternehmer wohl zu ihren ureigensten zählen. Es darf daher zumindest bezweifelt werden, dass die ArbeitgeberInnen hier zur Einräumung notwendiger Mitspracherechte bereit sind.
ArbeitnehmerInnen tragen Risiko
Kritisch zu betrachten ist in diesem Zusammenhang auch das Risiko, das ArbeitnehmerInnen in Verlustzeiten bzw. bei sinkenden Börsenkursen eingehen. In diesem Fall würde zu der Gefahr des Verlustes des Arbeitsplatzes auch das Risiko hinzutreten, dass unselbstständige Beschäftige (wesentlich) niedrigere Löhne als in vergangenen Perioden ausgezahlt bekommen bzw. Unternehmensanteile beträchtlich an Wert verlieren. Hinzu kommt, dass die Frage, ob ArbeitnehmerInnen auch an Verlusten »beteiligt« werden sollten, nicht geklärt ist.
Dieser Gedanke erscheint zwar zunächst abwegig, (zumindest zeitweilige) Einbußen sind bei einer Kapitalbeteiligung in Form eines sinkenden Aktienkurses des Unternehmens aber keinesfalls ausgeschlossen. Eine wesentliche Beteiligung der MitarbeiterInnen an der Entwicklung des Unternehmenserfolges würde daher wohl auch dem Gebot einer möglichst breiten Risikostreuung widersprechen.
In diesem Zusammenhang sei nur auf Fälle wie Enron oder Worldcom verwiesen, wo ArbeitnehmerInnen nach der Insolvenz der Unternehmen nicht nur ihren Arbeitsplatz verloren haben, sondern auch einen, teilweise beträchtlichen, Teil ihres Vermögens, weil sie etwa zu Zwecken der Pensionsvorsorge Kapitalanteile an den Unternehmen (die nach der Insolvenz faktisch wertlos waren) besaßen. Bei beiden Beteiligungsformen ist der sogenannte arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten.
Das bedeutet, dass ein/e ArbeitgeberIn nicht willkürlich bestimmte ArbeitnehmerInnen von derartigen Modellen ausnehmen oder sie diesbezüglich schlechter stellen darf.
Gleichheitsgrundsatz beachten
Selbstverständlich darf es durch das Einräumen einer MitarbeiterInnenbeteilung auch keinesfalls zu einer Entlohnung unter dem Kollektivvertrag kommen. In diesem Fall würde der Mindestlohn zustehen, und ArbeitnehmerInnen könnten darüber hinaus ihre Ansprüche aus der MitarbeiterInnenbeteiligung gerichtlich geltend machen.
Abgesehen von praktischen und rechtlichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung von MitarbeiterInnenbeteiligungsmodellen ist es fraglich, ob deren Forcierung aus volkswirtschaftlicher Sicht überhaupt wünschenswert ist: Während in Zeiten der Hochkonjunktur die Ausschüttung hoher Gewinnbeteiligungen für breite Bevölkerungsschichten zusätzlich stimulierend für die Wirtschaft wirkt (und so unter Umständen die Inflation »anheizt«), käme es in Phasen konjunktureller Schwächen zu Lohneinbußen der Beschäftigten, die ein ohnehin geringes Wachstum noch zusätzlich dämpfen würden.
Keine antizyklischen Anreize
Nicht zu verachten dürfte in diesem Zusammenhang auch der negative psychologische Effekt der zunehmenden Verunsicherung der ArbeitnehmerInnen und KonsumentInnen sein, den das auf die Binnennachfrage haben dürfte. Abschließend betrachtet ist wohl davon auszugehen, dass die von Beteiligungsmodellen profitierenden ArbeitnehmerInnen auch in Zukunft eine Minderheit darstellen werden.
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Die politische Debatte wurde maßgebend von den Reformen in Dänemark und den Niederlanden in den 1990er Jahren stimuliert. In den Niederlanden bedeutete Flexicurity vor allem die Förderung atypischer und flexibler Beschäftigungsformen. Gleichzeitig wurden diese flexiblen Arbeitsformen jedoch konventionellen Arbeitsverhältnissen rechtlich weitgehend gleichgestellt, sowohl hinsichtlich der Arbeitsbedingungen als auch der sozialen Sicherungssysteme. Tatsächlich führten die Reformen in den Niederlanden seit Mitte der 1990er Jahre zu einem deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit und zu einer Steigerung der Beschäftigungsquoten (siehe Grafik: »Beschäftigungsquote insgesamt«). Dennoch relativieren sich die angeblichen Erfolge der Flexibilisierung bei genauerem Hinsehen ganz erheblich: Sie basieren in den Niederlanden hauptsächlich auf einer Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung, die gegenwärtig fast 50 Prozent der gesamten Arbeitsverhältnisse ausmacht. Rechnet man die Beschäftigungsquoten in Vollzeitäquivalente um, sind die Ergebnisse verblüffend gegensätzlich: Dann liegen die Beschäftigungsquoten der Niederlande gleichauf mit jenen Deutschlands.2
Das heißt: Das angebliche Flexicurity-Wunderland hat insgesamt keine bessere Beschäftigungsperformance als der angeblich verkrustete und unflexible deutsche Arbeitsmarkt! Bei einer Umrechnung in Vollzeitstellen werden die niederländischen Beschäftigungsquoten von Ländern wie Spanien, Frankreich oder Griechenland sogar noch übertroffen.
In Dänemark basiert der Flexicurity-Ansatz eher auf flexiblen Standardarbeitsverhältnissen mit geringem Kündigungsschutz, hohen Sozialleistungen bei Arbeitslosigkeit sowie einer aktiven Arbeitsmarktpolitik im Sinne eines »Förderns und Forderns«. So genießen dänische ArbeitnehmerInnen eine hohe Einkommenssicherheit im Falle eines -Arbeitsplatzverlustes (bis zu 90 Prozent Nettoersatzrate, die allerdings betragsmäßig begrenzt ist). Intensive Weiterbildungsmaßnahmen einerseits, und strikte Vorgaben für Arbeitslose zur raschen Reintegration in den regulären Arbeitsmarkt andererseits sind ebenfalls charakteristisch für das dänische Modell. Dennoch werden die dänischen Reformen von ArbeitgeberInnenverbänden häufig verkürzt dargestellt: Es handelt sich eben nicht um ein schlichtes Deregulierungsprogramm.
Neben hohen Sozialleistungen basieren sie auf einer starken Stellung der Kollektivvertragspartner, die traditionell einen Großteil der sozialpolitischen Regelungen über Tarifverträge gestalten. Mit anderen Worten: Das häufige Fehlen gesetzlicher Mindeststandards in Dänemark bedeutet nicht, dass diese gar nicht existieren. Schließlich darf nicht verschwiegen werden, dass die Besteuerung in Dänemark relativ hoch ist, sodass auch die Einkommensunterschiede (nach Steuern) vergleichsweise gering ausfallen, wie auch die Differenz zwischen Löhnen und Arbeitslosengeld. Die gerühmte dänische Beschäftigungssicherheit, also das relativ einfache und rasche Finden eines neuen Arbeitsplatzes, ist ebenfalls kein reines Ergebnis der Flexicurity-Politik, sondern wird maßgeblich von wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen beeinflusst. Am Rande sei bemerkt, dass Dänemark als Musterbeispiel für funktionierende Flexicurity mit über 50 Prozent eine der höchsten Staatsquoten in der EU aufweist. Diese Aspekte müssen bei einer fairen Gesamtbeurteilung verschiedener nationaler Systeme stets mitberücksichtigt werden, andernfalls droht eine Verkürzung der Sichtweise auf reine Deregulierungsmaßnahmen wie den Abbau des Kündigungsschutzes zulasten der Beschäftigten.
Flexicurity als Kernelement
Vor allem unter der österreichischen Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 wurde die Debatte um Flexicurity intensiviert. Die Arbeits- und SozialministerInnen der EU berieten im Jänner 2006 dieses Thema ausführlich bei ihrem informellen Rat in Villach. Schon damals wurde Einvernehmen über die Grundthese hergestellt, dass eine entsprechende soziale Sicherung eine wesentliche Grundvoraussetzung für Flexibilität auf den Arbeitsmärkten darstellt. Minister Martin Bartenstein ließ bereits vor über zwei Jahren im Vorfeld des österreichischen EU-Ratsvorsitzes verlauten, er wolle Flexicurity zu einer EU-Priorität machen.3 Angesichts der Erfahrungen mit der Sozialpolitik der damaligen Bundesregierung musste diese Ankündigung von den ArbeitnehmerInnen eher als Drohung aufgefasst werden.
Nach einer Reihe von Veranstaltungen, Debatten und dem Bericht einer Expertengruppe brachte die Kommission nun die Mitteilung zu Flexicurity heraus. Sie analysiert zunächst die Veränderungen durch Globalisierung und Wandel für die europäischen BürgerInnen. Ähnlich wie im Grünbuch Arbeitsrecht im November 2006 wird die zunehmende »Segmentierung« der Arbeitsmärkte in vielen Ländern beklagt, in denen sowohl »verhältnismäßig geschützte« als auch ungeschützte Beschäftigte koexistieren (sogenannte »Insider« und Outsider«). Gemeint ist damit die Zunahme der atypischen Beschäftigungsformen und damit zusammenhängend der rasante Anstieg prekärer Arbeitsverhältnisse in vielen Mitgliedsstaaten. Hingegen wird es immer schwieriger, einen unbefristeten regulären »Standardarbeitsvertrag« zu erhalten. Erklärtes Ziel der Kommission ist der Abbau »segmentierter Arbeitsmärkte und unsicherer Arbeitsplätze« - doch die von der Kommission vorgeschlagenen Wege sind durchaus nicht unproblematisch.
In der Mitteilung wird die Wichtigkeit erfolgreicher »Übergänge« in allen Lebensabschnitten betont - von der Schule ins Arbeitsleben, von einem Arbeitsplatz zum nächsten oder von der Arbeitslosigkeit in Beschäftigung. Die Kommission geht von der These aus, dass durch Flexicurity ein hohes Maß an Beschäftigungssicherheit für die ArbeitnehmerInnen in der EU gewährleistet werden kann: Statt eines sicheren Arbeitsplatzes wird der problemlose Wechsel von einem Beschäftigungsverhältnis in das nächste propagiert. Umgekehrt wird deutliche Kritik an angeblich zu »strengen Beschäftigungsschutzvorschriften« geübt: Gemeint ist damit der Kündigungsschutz, wie er in einer Vielzahl der EU-Mitgliedsstaaten besteht. Dieser Kündigungsschutz erschwert nach Ansicht der Kommission insbesondere für Arbeitslose den Eintritt in den Arbeitsmarkt, da Unternehmen aus Angst vor hohen Kosten einer möglichen Kündigung vor einer Neueinstellung zurückschreckten. Dieses Argument der Kommission ist weder neu noch wirklich richtig: Tatsächlich haben viele Länder die Probezeiten für ArbeitnehmerInnen verlängert, großzügige Möglichkeiten für befristete Arbeitsverhältnisse geschaffen oder den Schwellenwert der Beschäftigten erhöht, ab dem der Kündigungsschutz überhaupt greift.4 Dazu kommt z. B. in Österreich eine Wartefrist von sechs Monaten, bevor der allgemeine Kündigungsschutz überhaupt Anwendung findet.
Streitpunkt Kündigungsschutz
Die Kommission muss selbst einräumen, dass der Kündigungsschutz insgesamt nur eine begrenzte Auswirkung auf die Gesamtarbeitslosigkeit hat. Schließlich hatte die OECD in einer viel beachteten Studie bereits 1999 festgestellt, dass es keinen Zusammenhang zwischen einer starken Regulierung der Arbeitsmärkte und der Höhe der Arbeitslosigkeit gibt. Dennoch fordert die Kommission nachdrücklich die Einschränkung des Kündigungsschutzes! Sie argumentiert, dass benachteiligte Gruppen am Arbeitsmarkt - wie Frauen, jüngere Menschen, Langzeitarbeitslose oder ältere ArbeitnehmerInnen - bei schwächerem Kündigungsschutz bessere Chancen auf eine Anstellung haben. Das heißt aber: Die Kommission fordert einen Abbau des Kündigungsschutzes, also eine Absenkung des sozialen Schutzniveaus für alle ArbeitnehmerInnen, obwohl sie zugibt, dass damit insgesamt keine nennenswerte Verringerung der Gesamtarbeitslosigkeit erreicht werden kann. Diese Position kann aus gewerkschaftlicher Sicht nur als starr und ideologisch bezeichnet werden. Die Probleme am Arbeitsmarkt sind mit einer derartigen Strategie sicher nicht zu lösen. Schon im Vorfeld gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen der Kommission und einigen Mitgliedsstaaten über die Relevanz des Kündigungsschutzes. Als ein Entgegenkommen an ihre Kritiker nahm die Kommission deshalb auch einen Satz über die positiven Auswirkungen stabiler Beschäftigungsverhältnisse auf: Sie fördern die Loyalität und die Produktivität der Beschäftigten und regen Unternehmen stärker dazu an, in Aus- und Weiterbildung ihrer MitarbeiterInnen zu investieren.
Vier Flexicurity-Komponenten
Allerdings umfasst das Flexicurity-Konzept der Kommission deutlich mehr Aspekte als den Kündigungsschutz. In der Mitteilung werden vier Bestandteile genannt:
• Flexible vertragliche Vereinbarungen durch Gesetze,
Kollektivverträge und die Arbeitsorganisation.
• Umfassende Strategien des lebenslangen Lernens, um die
Anpassungsfähigkeit der ArbeitnehmerInnen zu gewährleisten.
• Aktive und wirksame Arbeitsmarktpolitik, um Arbeitslosigkeit zu
verkürzen und Übergänge in neue Arbeitsverhältnisse zu erleichtern.
• Moderne Systeme der sozialen Sicherheit, die eine »angemessene
Einkommenssicherung« bieten, Beschäftigung fördern und Mobilität
erleichtern.
Ein wichtiges Element fehlt in dieser Aufzählung: der soziale Dialog. Zwar wird eingeräumt, dass sich integrierte Flexicurity-Strategien häufig in Ländern mit ausgeprägter Sozialpartnerschaft finden (siehe Dänemark), dennoch ist sie für die Kommission kein Kernbestandteil von Flexicurity. Hier setzt ein weiterer Kritikpunkt der Gewerkschaften an: Starke Sozialpartner und deren Einbeziehung in Entscheidungsprozesse sind Voraussetzung für ausgewogene und innovative Lösungen zur Förderung von Flexibilität und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt. Es ist kein Zufall, dass die Regelung der »Abfertigung neu«, die maßgeblich von den österreichischen Sozialpartnern ausgearbeitet wurde, in der Mitteilung als ein gelungenes Beispiel für Flexicurity gelobt wird. Ähnliches gilt für die kürzlich erfolgte Einigung zwischen ÖGB und WKÖ im Arbeitszeitbereich. Diese Beispiele zeigen: Die Kommission muss in die Verantwortung genommen werden, um auch in jenen Ländern einen starken sozialen Dialog zu fördern, in denen sozialpartnerschaftliche Strukturen (noch) unterentwickelt sind.
Das wirklich Neue an der vorliegenden Mitteilung ist die Herausarbeitung von Prinzipien, die die Kommission zur Richtschnur für die Politik aller EU-Mitgliedsstaaten machen möchte. Neben dem Abbau der Segmentierung des Arbeitsmarktes in In- und Outsider gehört dazu auch die Förderung sowohl der internen Flexibilität (innerhalb des Unternehmens) als auch der externen Flexibilität (bei einem Wechsel zwischen zwei Unternehmen). Erfreulicherweise wird die Gleichstellung der Geschlechter auf dem Arbeitsmarkt sowie die bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben zu einem expliziten Ziel von Flexicurity gemacht.
Gemeinsame Grundsätze
Doch wie sollen diese Grundsätze eines neuen Gleichgewichts von Flexibilität und Sicherheit in der Praxis in den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden? Die Kommission schlägt vier sogenannte »Optionen« vor, in denen »typische« Maßnahmenbündel für eine Flexicurity-Politik genannt werden, und die von den Mitgliedsstaaten ausgewählt werden können. So wird zur Bekämpfung der Segmentierung der Arbeitsmärkte ein »sowohl als auch« angeregt: Einerseits die Verbesserung der Situation atypisch Beschäftigter, wie z.B. befristet Beschäftigter, LeiharbeitnehmerInnen, Arbeit auf Abruf etc. Andererseits wird die »Neugestaltung« (!) unbefristeter Arbeitsverträge empfohlen, um deren Attraktivität auch für die Unternehmen zu erhöhen. In der Mitteilung wird konkret von einem »Grundniveau« des Arbeitsschutzes gesprochen, das sich mit zunehmender Dauer des Beschäftigungsverhältnisses verstärkt, bis schließlich irgendwann ein »vollständiger« Schutz erreicht wird. Mit anderen Worten: Die Kommission fordert Verbesserungen für atypisch Beschäftigte, aber gleichzeitig ein Absenken des Schutzniveaus für Standardarbeitsverhältnisse. Im Übrigen soll bei Kündigungen aus betriebsbedingten Gründen »übertriebener Verwaltungsaufwand« für die Unternehmen in Zukunft vermieden werden …
Optionen als Richtschnur
Weiters werden lebenslanges Lernen, aktive Arbeitsmarktpolitik, moderne Sozialversicherungssysteme, die auch den Interessen der »Atypischen« besser gerecht werden, als Elemente dieser Option genannt. Ein weiteres vorgeschlagenes Muster für Flexicurity ist die Förderung von Arbeitsmobilität, sowohl innerhalb des Unternehmens als auch im Falle des Arbeitsplatzverlustes infolge von Umstrukturierungen. Dies betrifft insbesondere (vertragliche) vorbeugende Konzepte zu Aus- und Weiterbildung und die Verhinderung von Langzeitarbeitslosigkeit durch bessere und frühzeitige Interventionen aller Betroffenen wie ArbeitgeberInnen und -nehmerInnen, Sozialpartner, Arbeitsmarktservice, Zeitarbeitsfirmen). In der dritten Option werden Maßnahmen zur Verbesserung der Qualifizierung der Beschäftigten genannt und wiederum die Bekämpfung der Segmentierung der Arbeitsmärkte durch aktive Arbeitsmarktpolitik, bessere Weiterbildung, aber auch »Arbeitsverträge light« empfohlen. Weniger Qualifizierten würde somit ein Einstieg in ein (später) stabiles Arbeitsverhältnis ermöglicht, so die Hoffnung der Kommission. Die vierte und letzte Option betrifft Strategien für eine bessere (Re-)Integration von Sozialleistungsempfängern und illegal Beschäftigten in den regulären Arbeitsmarkt.
Konkrete Auswirkungen
Schon bis Jahresende soll der Europäische Rat gemeinsame Flexicurity-Grundsätze beschließen, die dann in die sogenannten integrierten Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung einfließen sollen. Mit diesen Leitlinien werden den Mitgliedsstaaten konkrete Maßnahmen im Bereich ihrer Beschäftigungspolitik »empfohlen«, die durch die jeweiligen nationalen Reformprogramme umgesetzt werden sollen. Die Kommission kündigt an, die jeweiligen nationalen Flexicurity-Strategien zu bewerten und darüber zu berichten. Mit anderen Worten: Trotz formell fehlender Kompetenzen der EU wird Flexicurity zu einem Kernbestandteil der EU-Politik und die nationale Beschäftigungspolitik immer stärker beeinflussen. Auch die europäischen Sozialpartner werden aufgefordert, den Dialog über die künftigen gemeinsamen Flexicurity-Grundsätze aufzunehmen.
Kein beschränkter Ansatz
Die Gewerkschaften müssen nun sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene darauf drängen, das Konzept möglichst ausgewogen und arbeitnehmerInnenfreundlich zu gestalten. Vor dem Europäischen Rat und der folgenden Drei-Jahres-Periode für die integrierten Leitlinien muss die Zeit genutzt werden, für ein unideologisches Flexicurity-Konzept zu werben, das ArbeitnehmerInnenrechte nicht vernachlässigt. Das heißt insbesondere, dass es keinen beschränkten Flexicurity-Ansatz geben darf, der einseitig auf Deregulierung und Abbau des Beschäftigungsschutzes gerichtet ist. Vielmehr muss die zunehmende Spaltung in reguläre und atypische Arbeitsverhältnisse, die in der Mitteilung zum Teil durchaus treffend beschrieben wird, durch eine weitgehende rechtliche Gleichstellung aktiv bekämpft werden. Aus gewerkschaftlicher Sicht muss der Schwerpunkt auf die Verstärkung aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen, die ständige Aus- und Weiterbildung von ArbeitnehmerInnen sowie eine faire Beteiligung der Unternehmen an den Kosten dieser Flexicurity-Maßnahmen gelegt werden. Die von der Kommission versprochene, bessere soziale Sicherheit für alle wird es jedoch nicht geben, wenn verschiedene Gruppen von Beschäftigten gegeneinander ausgespielt und bestehende Schutzniveaus abgesenkt werden sollen. Die bereits in vielen Mitgliedsstaaten vorgenommenen Flexibilisierungsmaßnahmen auf den Arbeitsmärkten werden in der Mitteilung weitgehend ignoriert. Stattdessen wird der Kündigungsschutz völlig irrational zu dem Haupthindernis dynamischer Arbeitsmärkte erklärt.
EGB übt Kritik
Aus gewerkschaftlicher Sicht ist davor zu warnen, angeblich »überholte« Kündigungsschutzregelungen einfach abzuschaffen. Zum einen ist der Kündigungsschutz in Österreich ohnehin eher schwach ausgeprägt, wie die Kommission selbst einräumt. Zum anderen würde damit eine grundlegende Änderung unserer Arbeitswelt herbeigeführt werden, die derzeit von Mitbestimmung und der ständigen Suche nach Kompromisslösungen im betrieblichen Alltag beherrscht wird. Ein Übergang in eine hire-and-fire-Mentalität würde das selbstbewusste Auftreten von ArbeitnehmerInnen und die Einforderung ihrer Rechte deutlich schwächen. Moderner Kündigungsschutz ignoriert zwar nicht betriebliche Notwendigkeiten, muss aber die Willkür von Unternehmen in der für ArbeitnehmerInnen existenziellen Frage des Arbeitsplatzverlustes unterbinden. In diesem Sinne besteht in Österreich beim Kündigungsschutz sicher kein Bedarf nach weiteren »Flexibilisierungen«. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) setzt sich in einer ersten Stellungnahme für eine andere Prioritätensetzung ein. So könne die von der Kommission in Aussicht gestellte »Beschäftigungssicherheit« nicht allein durch Flexicurity erreicht werden. Eine beschäftigungswirksame Wirtschaftspolitik ist dafür ebenso notwendig wie ein makroökonomischer Ansatz auf europäischer Ebene. Die endgültige EGB-Position wird Anfang Oktober festgelegt werden, aber, so der EGB, »dies wird nicht das Ende, sondern erst der Anfang unserer Überzeugungsarbeit gegenüber den europäischen EntscheidungsträgerInnen sein«.
1 Mitteilung der Kommission vom 4. Juli 2007: Gemeinsame Grundsätze für den Flexicurity-Ansatz herausarbeiten: Mehr und bessere Arbeitsplätze durch Flexibilität und Sicherheit, KOM(2007) 359 endgültig.
2 Vergleiche Maarten Keune/Maria Jepsen, Not balanced and hardly new: the European Commission´s quest for flexicurity, Brüssel 2007.
3 APA-Meldung vom 21. August 2005.
4 So haben in Deutschland ab dem 1.1.2004 neu eingestellte ArbeitnehmerInnen in Betrieben bis zehn MitarbeiterInnen keinen Kündigungsschutz mehr.
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Wichtigstes Regierungsziel
Erfreulicherweise hat die im Jänner 2007 angetretene neue Bundesregierung die Wiedererreichung der Vollbeschäftigung zu ihrem wichtigsten Ziel erklärt, das sie möglichst noch bis zum regulären Ende der Legislaturperiode 2010 verwirklichen möchte.
Mit dem noch vor einem Jahr in dieser Stärke nicht erwarteten Konjunkturaufschwung in Europa und in Österreich ist die Beschäftigung stark gestiegen und auch die Arbeitslosenrate fühlbar zurückgegangen. Wenn die Bad Ischler Deklaration der Sozialpartner vom Oktober 2006 die Erreichung der Vollbeschäftigung bis 2016 als Ziel definierte, so erscheint sie aus heutiger Sicht - September 2007 - manchen Politikern schon zum Greifen nahe zu sein und jedenfalls innerhalb eines kürzeren Zeitraums realisierbar. Spätestens an dieser Stelle stellt sich allerdings die Frage, unter welchen Bedingungen, vor allem: bei welchem Stand der Arbeitslosenrate man legitimerweise von Vollbeschäftigung sprechen kann.
Besonders die Unternehmerseite hat es eilig mit Feststellungen, dass »der Arbeitsmarkt leer gefegt sei«, oder damit, einen »Mangel an FacharbeiterInnen« zu beklagen. Aussagen des Wirtschaftsministers und des Sozialministers lassen die Absicht erkennen, die Vollbeschäftigung bei einer Arbeitslosenrate von unter vier Prozent anzusetzen und die Erreichung des Zieles zu proklamieren, sobald bei der Arbeitslosenrate eine drei vor dem Komma steht.
Europäischer Vergleich
Als wichtigstes Argument wird der europäische Vergleich angeführt, in dem Österreich seit seinem EU-Beitritt in der Rangliste der Arbeitslosenraten immer ganz oben rangiert hat (siehe Tabelle: »Arbeitslosenraten EU-15-Länder«).
Diese Methode kann schon deswegen nicht überzeugen, da in einem Land nicht deswegen schon Vollbeschäftigung herrscht, weil seine Arbeitslosenrate deutlich unter einem Durchschnittwert liegt, der ein sehr hohes und daher unakzeptables Ausmaß an Arbeitslosigkeit anzeigt. Dazu kommt noch, dass das Vollbeschäftigungsniveau nicht in allen EU-Mitgliedsländern beim selben Wert der Arbeitslosenrate liegt, sondern aus wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gründen hier sicher Unterschiede zwischen den Ländern anzunehmen sind.
Entwicklung der Arbeitslosigkeit
Einen wichtigen Anhaltspunkt dafür, wie niedrig die Arbeitslosenrate sein kann, bzw. wie hoch sie war, als in Österreich ein Zustand der Vollbeschäftigung geherrscht hat, kann ein historischer Rückblick liefern. Dafür existiert keine Datenreihe nach den Definitionen von Eurostat, sondern nur für die in Österreich immer noch verwendete Definition der sog. »Registerarbeitslosigkeit«, also Arbeitslosigkeit in Prozent der unselbstständig Erwerbstätigen nach den Meldungen beim Arbeitsmarktservice (früher Arbeitsamt).
Zuerst fällt auf, dass die Arbeitslosenrate nach der in Österreich üblichen Definitionen im Jahr 2006 mit 6,8 Prozent nicht unwesentlich höher ist als nach der Eurostat-Definition mit 4,8 Prozent (über die verschiedenen Definitionen der Arbeitslosenrate, ihre Erhebung und ihre Berechnung siehe Kasten Information). Dies hat zum Teil rein rechnerische Gründe (die Selbstständigen vergrößern in der Eurostatversion den Nenner des Bruches), zum Teil aber auch materielle: Denn in der Eurostatversion werden saisonale und andere temporäre Beschäftigungslosigkeit nicht als Arbeitslosigkeit gewertet, wenn in dieser Zeit von den arbeitslosen Personen keine aktive Arbeitssuche betrieben wird. Weiters sind z. B. Arbeitslose, die erlaubterweise einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, nicht als Arbeitslose gewertet. Es zeigt sich schon an dieser Stelle, dass die Eurostat-Arbeitslosenrate weniger »streng« zählt, also im Verhältnis zur Registerarbeitslosigkeit das Ausmaß unterschätzt (siehe Grafik: »Arbeitslosenrate Österreich und EU-15, 1980-2006«).
Österreichs Golden Age
In der Zeit, wo Vollbeschäftigung und Wirtschaftswachstum unbestritten die obersten Zielsetzungen der Wirtschaftspolitik waren, nämlich in den drei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, herrschte nach einer Faustregel des englischen Ökonomen Beveridge Vollbeschäftigung, sobald die Arbeitslosigkeit drei Prozent unterschreitet. Dies deshalb, weil auch bei guter Wirtschaftsentwicklung Veränderungen in der Branchenstruktur und in der Regionalstruktur nicht ganz ohne vorübergehende Arbeitslosigkeit vor sich gehen und bei Arbeitsplatzwechsel aus anderen Gründen eine geringe Sucharbeitslosigkeit in Kauf genommen werden muss. Laut einer Grafik »Arbeitslosenrate nach AMS-Definition 1900-2006«, waren so innerhalb von mehr als hundert Jahren etwa ein Viertel davon Jahre der Vollbeschäftigung, der Großteil im Golden Age der Wirtschaftsgeschichte Österreichs von etwa 1960 bis knapp nach 1980.
Daraus kann man einerseits den Schluss ziehen, dass ein gewisses, mehr oder weniger großes Ausmaß der Unterbeschäftigung in einer Marktwirtschaft »normal« ist; andererseits aber auch, dass unter bestimmten Bedingungen ein Beschäftigungsniveau nachhaltig erreichbar ist, bei dem die Arbeitslosigkeit deutlich unter der derzeitigen liegt. Was vor 25 Jahren möglich war, sollte wirtschaftspolitisch auch heute nicht völlig außer Reichweite liegen. Auch wenn die Registerarbeitslosenrate in den nächsten Jahren unter sechs Prozent sinken sollte, hat Österreich damit noch lange nicht einen Zustand der Vollbeschäftigung erreicht.
Leichter zu realisieren wäre das Drei-Prozent-Ziel nach der Eurostat-Definition. Die Relation der beiden Arbeitslosenraten ist nicht stabil, 1986 und 1989 entsprach eine Arbeitslosenrate von jeweils 3,1 Prozent einer Registerarbeits-losenrate von ca. fünf Prozent - letzteres liegt erheblich über dem Vollbeschäftigungswert der Sechziger- und Siebzigerjahre. Drei Prozent würden gegenüber derzeit 4,3 Prozent (Prognose 2007) eine fühlbare Verbesserung der Arbeitsmarktsituation anzeigen, aber keine Vollbeschäftigung - und daher erst recht nicht 3,9 Prozent.
Aspekte der Vollbeschäftigung
Nach etwa zehn Jahren mit für österreichische Verhältnisse hoher Arbeitslosigkeit mit fühlbaren Auswirkungen für die ArbeitnehmerInnen und für die ganze Bevölkerung stellt sich die Frage, inwieweit Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur, in den Verhaltensweisen von Unternehmungen und ArbeitnehmerInnen, in den Beschäftigungsformen, in der Qualifikationsstruktur der Arbeitskräfte etc., neue Tatsachen geschaffen haben, die für die zahlenmäßige Festlegung des Vollbeschäftigungszieles relevant sind. Immer wieder wird argumentiert, dass die Unternehmungen heute die Beschäftigung viel rascher an kurzfristige Schwankungen der Auftragslage anpassen als vor 20 oder 30 Jahren, dass dafür auch Formen des Arbeitsverhältnisses zur Anwendung kommen, die früher keine Rolle gespielt haben (z. B. die Leiharbeit, die sog. »freien Dienstverträge«), dass die Gestaltung der Arbeitszeiten wesentlich flexibler geworden ist, und dass insgesamt aus diesen Änderungen im Durchschnitt ein höheres Maß an Fluktuation resultiert, und dies auch in Zeiten guter Konjunktur zu einer höheren Arbeitslosenrate führt als wir bis in die Achtzigerjahre, als zuletzt Vollbeschäftigung herrschte, gewohnt waren. Das erhöhte Ausmaß an Fluktuation kommt etwa in dem starken Anstieg der Zahl der jährlichen An- und Abmeldungen von Beschäftigungsverhältnissen oder der Zahl der von Arbeitslosigkeit betroffenen Personen im Verhältnis zum Beschäftigtenstand (2006: 802.500 oder 25,4 Prozent, im Vergleich zu 627.000 oder 21,2 Prozent 1992 - für frühere Jahre gibt es diese Zahlen gar nicht) zum Ausdruck.
Zum Teil ist diese höhere Fluktuation sicherlich eine Konsequenz der gestiegenen bzw. nun schon längere Zeit andauernden hohen Arbeitslosigkeit. Denn solange die Arbeitslosigkeit hoch ist, gehen die Unternehmungen ein verhältnismäßig geringes Risiko ein, einen zusätzlichen Arbeitskräftebedarf nicht durch Neuaufnahmen rasch decken zu können. Umgekehrt ist bei zunehmender Knappheit von Arbeitskräften das Risiko größer, dass bei steigender Auftragslage die zusätzlichen Arbeitskräfte nicht oder nur unter hohen Kosten auf dem Arbeitsmarkt zu bekommen sind - unter solchen Bedingungen werden Unternehmungen aber weniger dazu geneigt sein, bei jedem Auftragsrückgang gleich auch die Beschäftigung zu reduzieren, weil sie diese Arbeitskräfte möglicherweise bei Bedarf nicht wieder bekommen. Ein sinkendes Niveau der Arbeitslosigkeit in einem längeren Konjunkturaufschwung hat als Sekundäreffekt auch eine Reduktion der fluktuationsbedingten Arbeitslosigkeit zur Folge. Es ist daher nicht von vornherein einleuchtend, dass die Gewerkschaften sich damit begnügen sollen, ihr Vollbeschäftigungsziel bescheidener zu definieren.
Gewandelt hat sich ohne Zweifel auch das Meinungsklima. Markus Marterbauer hat in dem kürzlich in dieser Zeitschrift veröffentlichten Interview1 sehr treffend festgestellt, dass früher Arbeitskräfteknappheit (= Vollbeschäftigung) als etwas sehr Positives galt, während heute schon bei bescheidenen Rückgängen der Arbeitslosenraten in den Medien sofort laut über FacharbeiterInnenmangel und Arbeitskräfteengpässe lamentiert wird. Als Konsequenz fordern die UnternehmerInnen und ihre politischen VertreterInnen dann eine Erleichterung des Zuganges für AusländerInnen zum österreichischen Arbeitsmarkt, um diesen Mangel zu beheben. Die Wahrnehmung und Widerspiegelung der - aus ArbeitnehmerInnensicht erfreulichen - Zunahme der Arbeitskräfteknappheit spielt für die politischen Entscheidungen in dieser Frage eine bedeutende Rolle.
Wie die Erfahrungen aus der jüngsten Diskussion über FacharbeiterInnenmangel in der Metallindustrie zeigen, bringt die Bewilligung von zusätzlichen Kontingenten für die Beschäftigung von Arbeitskräften dort keine rasche Lösung, wo tatsächlich punktuell Mangel an gut qualifizierten Arbeitskräften herrscht. Nur durch vermehrte Anstrengungen bei Aus- und Weiterbildung kann hier das zusätzliche Angebot bereitgestellt werden.
Migration hat zugenommen.
Der wichtigste Grund dafür, warum heute die Vollbeschäftigung schwieriger zu erreichen ist als in den achtziger Jahren ist der Umstand, dass die Migration seit etwa zehn Jahren Dimensionen angenommen hat, die das Arbeitskräfteangebot jedes Jahr um ca. 0,5 Prozent zunehmen lassen. In den letzten Jahren kam der stärkste Zustrom aus Deutschland - eine Entwicklung, die beim EU-Beitritt Österreichs überhaupt nicht vorstellbar war. Zusammen mit zunehmenden Erwerbsquoten der inländischen Erwerbsbevölkerung führt dies zu einer Steigerung des Arbeitskräfteangebots, deren Absorption bereits ein BIP-Wachstum von 2,5 Prozent pro Jahr erfordert. Im Unterschied zu früheren Perioden ist nur noch ein geringer Teil der Zuwanderung kontrollierbar. Ab 2011 wird auch der ungehinderte Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt den Arbeitskräften aus den Beitrittsländern 2 offenstehen. Bis dahin sollten jedenfalls Beschränkungen aufrecht bleiben - auch wenn die Arbeitslosenrate unter vier Prozent sinken sollte, denn dies bedeutet noch lange keine Vollbeschäftigung.
Bis auf Weiteres bleibt das Ziel der Vollbeschäftigung sehr ambitioniert. Eine Reduktion der Arbeitslosenrate nach Eurostat-Definition von derzeit 4,3 Prozent auf drei Prozent würde zweifellos Österreich diesem Ziel schon recht nahe bringen. Inwieweit dies tatsächlich gelingt, wird unter den gegebenen Bedingungen vom Wirtschaftswachstum abhängen bzw. vom Erfolg der Wirtschaftspolitik, dieses zu stimulieren.
Durch Wachstum mehr Beschäftigung wurde die grundlegende Leitvorstellung der Wirtschaftpolitik im Programm der seit Jahresbeginn amtierenden Bundesregierung. In diesem Zusammenhang wird immer wieder eingewendet, dass Wachstum nicht mehr genügend Beschäftigung schafft - Stichwort »jobless growth«. Es handelt sich bei dieser Behauptung allerdings um ein grobes Missverständnis. Tatsächlich war die Zunahme der Beschäftigung zuletzt auch bei relativ geringen Wachstumsraten erstaunlich groß - 2005 bei zwei Prozent BIP-Wachstum stieg die Beschäftigung um ein Prozent, 2006 bei 3,1 Prozent BIP-Wachstum um 1,7 Prozent. Bei den derzeit gegebenen Zuwachsraten des Arbeitskräfteangebots sinkt die Arbeitslosenrate allerdings erst dann merklich, wenn das Wachstum über drei Prozent liegt. Eine fühlbare weitere Reduktion der Arbeitslosenrate würde daher eine Fortsetzung des gegenwärtigen Aufschwungs über mehrere Jahre - wie zuletzt 1988 bis 1992 - erfordern.
Vollbeschäftigung nicht aufgeben
Um den gegenwärtigen Aufschwung zu verlängern, bedarf es einer expansiven Wirtschaftspolitik nicht nur auf nationalstaatlicher, sondern vor allem auf europäischer Ebene, die auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite das Wachstum fördert. Auch wenn es bis zum Ende dieses Jahrzehnts kaum gelingen wird, die Arbeitslosenrate auf drei Prozent herunterzudrücken, sollte das Ziel der Vollbeschäftigung deswegen nicht aufgegeben werden. Bei Knappheit an Arbeitskräften lebt es sich für die meisten Menschen besser, als wenn sie mit der ständigen Sorge um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes leben müssen.
1 Siehe »Es gibt Alternativen zum Neoliberalismus«. Interview mit Markus Marterbauer, in Arbeit&Wirtschaft Heft 6/2007, S. 24.
2 Für solche aus Bulgarien und Rumänien erst 2014.
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Herbert Tumpel: Ich freue mich über jeden Arbeitsuchenden weniger. Aber zum Jubeln ist es noch zu früh. Wir müssen die gute Konjunktur nützen und an der positiven Entwicklung des Arbeitsmarktes intensiv arbeiten.
Manche sprechen bereits von Vollbeschäftigung?
Davon sind wir jedenfalls noch weit entfernt. Zusätzlich zu den Arbeitsplätzen für die aktuell über 277.000 Arbeitsuchenden werden wir in den nächsten zwei bis drei Jahren rund 120.000 weitere Arbeitsplätze brauchen, um die Wirkungen der demografischen Entwicklung und der Anhebung des Pensionsantrittsalters zu bewältigen. Da muss schon mehr passieren, als nur auf die gute Konjunktur zu bauen.
Die Regierung muss die gute Wirtschaftslage für tiefgreifende Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt nutzen: mehr und bessere Aus- und Weiterbildung der Jugend und der Arbeitsuchenden sowie eine deutlich verbesserte, maßgeschneiderte Beratung und Vermittlung durch das AMS. Alles wesentliche Punkte, die auch im aktuellen Maßnahmen-Paket der Sozialpartner gefordert werden. Das dafür notwendige Geld wäre jedenfalls gut investiert, wenn wir daran denken, dass uns etwa die Arbeitslosigkeit im Jahr 2006 rund sieben Milliarden Euro gekostet hat.
Die gute Konjunktur allein - sagst du - reicht nicht, was braucht es noch?
Wir müssen auch die Inlandsnachfrage stärken, damit der Konjunkturmotor angekurbelt wird.
Das Wirtschaftsforschungsinstitut kritisiert in diesem Zusammenhang richtigerweise die stagnierenden Realeinkommen bei den ArbeitnehmerInnen. Daher brauchen wir eine Steuerreform, die massiv die kleinen und mittleren Einkommen entlastet und so die Kaufkraft stärkt.
Du hast das Maßnahmen-Paket der Sozialpartner angesprochen - deine Einschätzung dieses Pakets?
Dieses Maßnahmen-Paket enthält wichtige Vorschläge, um auf die Versäumnisse der letzten Jahre in der Arbeitsmarktpolitik erfolgreich zu reagieren. Ich habe immer gesagt: Wer morgen gut ausgebildete Fachkräfte will, muss heute mehr für die Ausbildung der Jungen tun. Und da haben die Unternehmen schwer ausgelassen.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat die Wirtschaft 50.000 Lehrstellen abgebaut. Alle Anreize für die Betriebe, mehr Lehrlinge auszubilden, haben nichts oder fast nichts gefruchtet, denn sonst würden nicht 17.000 Jugendliche ohne betrieblichen Ausbildungsplatz dastehen. Das ist das eine.
Das andere ist, dass die Wirtschaft immer behauptet, es bestehe ein enormer Bedarf an Fachkräften, der in Österreich nicht gedeckt werden kann und daher die Grenzen geöffnet werden müssen, damit die benötigte Anzahl ins Land geholt werden kann.
Wollte die Wirtschaft damit die Übergangsfristen kippen?
Ja, diese Gefahr besteht tatsächlich. Ich war immer dagegen, jeden Bedarf der Wirtschaft auf Zuruf zu erfüllen. Das verleitet die Unternehmen nur, weiterhin die betriebliche Aus- und Weiterbildung sträflichst zu vernachlässigen. Und nur weil die Wirtschaft angeblich Hunderte oder Tausende Fachkräfte braucht, dürfen wir nicht für zigtausende den Arbeitsmarkt öffnen.
Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, die gute Konjunkturlage nicht zur Senkung der bestehenden Arbeitslosigkeit in Österreich zu nutzen. Nach wie vor sitzen in diesem Jahr im Durchschnitt über 277.000 Arbeitsuchende auf der Wartebank.
Die Übergangsfristen sollen laut Sozialpartner zwar bis 2011 bleiben, aber Fachkräfte sollen bereits früher ins Land dürfen ...
... aber nur nach einer präzis festgelegten Vorgangsweise. Grundsätzlich sind sich die Sozialpartner einig darüber, dass die Übergangsbestimmungen für den österreichischen Arbeitsmarkt bis 2011 geltend bleiben sollen.
Das muss Österreich - also die Regierung - bei der EU auch vehement ver-treten. Um den Fachkräftebedarf der Wirtschaft abzudecken, sollen nur jene Arbeitskräfte früher ins Land dürfen, die in Österreich nicht verfügbar sind. Und dafür schlagen die Sozialpartner Spielregeln vor: Das Verhältnis zwischen Arbeitsuchenden und offenen Stellen wird für jeden Beruf laufend beobachtet. Das ergibt dann die sogenannte Stellenandrangsziffer.
Sie spiegelt wieder, wie viele Arbeitsuchende in Österreich auf eine freie Stelle am Arbeitsmarkt kommen. Wenn im Quartal statistisch höchstens 1,5 Arbeitsuchende auf eine Stelle, für die mindestens ein Lehrabschluss benötigt wird, kommen, ist ein erleichterter Zugang zu einer Beschäftigungsbewilligung möglich. Das AMS muss prüfen, ob ein Arbeitsuchender - auch jemand, der in Kürze den entsprechenden Kurs abschließen wird - für die Stelle zur Verfügung steht. Wenn ja, gibt es keine Beschäftigungsbewilligung, wenn nein, dann schon. Und natürlich muss laut Kollektivvertrag entlohnt werden.
Uns von den Gewerkschaften und der AK war immer wichtig, dass es nicht zu einem ungezügelten Zustrom auf den österreichischen Arbeitsmarkt und zu Sozial- und Lohndumping kommt, und das steht auch weiter im Vordergrund.
Was bedeuten diese Vorschläge für die Arbeit des AMS?
Das AMS hat in den letzten Jahren falsche Vorgaben von der Politik bekommen. Vorrang hatte eine möglichst rasche Vermittlung, ohne Rücksicht auf Qualifi-kation. Gut qualifizierte Arbeitsuchende sind unabhängig vom angebotenen Job eher nachgefragt als weniger qualifizierte. Das hatte zur Folge, dass viele Qualifikationen und Entwicklungschancen von Arbeitsuchenden auf der Strecke geblieben sind. Für eine rasche Vermittlung auch in Stellen deutlich unter den Möglichkeiten des Arbeitsuchenden wurde also Dequalifikation in Kauf genommen.
Und jene, die nicht vermittelt werden konnten, wurden in Maßnahmen gesteckt, die oft gar nicht zu einer Höherqualifikation beigetragen haben. Jetzt muss sich das umdrehen: Passende Schulungen in nachgefragten Fachkenntnissen und passgenaue Vermittlung für bis zu 10.000 Fachkräfte pro Jahr. Dafür braucht das AMS mehr Personal und mehr Geld. Die Sozialpartner sind sich darüber einig: Diese erforderlichen Mittel soll das AMS bekommen.
Welche Botschaft hat der Präsident der Arbeiterkammer für die Jungen?
Meine Botschaft lautet: Es gibt eine Ausbildungsgarantie für alle - so steht es im Regierungsübereinkommen, und die Sozialpartner haben jetzt aufgezeigt, wie das gehen kann. Niemand soll Angst davor haben, auf der Strecke zu bleiben. Grundsätzlich ist der betrieblichen Lehrstelle der Vorzug zu geben.
Gibt es aber keinen entsprechenden Lehr- oder Schulplatz, muss eine gleichwertige Ausbildungsmöglichkeit bis zum Lehrabschluss angeboten werden. Das provisorische Auffangnetz soll durch eine reguläre überbetriebliche Ausbildung ersetzt werden.
Also Ausbildung bis zum Abschluss und mit der gleichen Existenzsicherung wie in den klassischen überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen.
Statt bisher 150 Euro monatlich für die jugendlichen Ausbildungsteilnehmerinnen und Teilnehmer gibt es 240 Euro und ab dem dritten Lehrjahr sogar 555 Euro.
Du hast es bereits angesprochen, die Wirtschaft hat sich immer mehr aus der Ausbildung der Jungen zurückgezogen - trotz Ausbildungsprämien, trotz Blum-Förderung. Was macht Dich so sicher, dass es jetzt besser werden kann?
Wie bereits gesagt: Wir wollen die Möglichkeiten, eine Berufsausbildung er-folgreich bewältigen zu können, großzügig ausgebaut wissen. Und die Sozialpartner haben sich darüber hinaus auf einen »Zukunftsfonds« verständigt, der alle bisherigen Förderungen ablösen soll.
Es wird eine Basisförderung pro Lehrjahr geben und zwar im Nachhinein, damit nicht für etwas kassiert wird, was nicht stattfindet.
Daraus wird es stark qualitätsbezogene Förderungen geben. So sollen Ausbildungsverbünde extra unterstützt werden, genauso wie Betriebe, deren Lehrlinge die Lehrabschlussprüfung mit Auszeichnung oder gutem Erfolg abgelegt haben.
Es wird geförderte Maßnahmen zugunsten lernschwacher Jugendlicher geben oder eine Förderung von Zusatzausbildungen, die über das Berufsbild hinausgehen und einiges mehr.
Kurz: Wir wollen Anreize schaffen, damit den Jugendlichen wirklich eine fundierte, qualitativ hochstehende Ausbildung vermittelt wird. Engagierte und innovative Betriebe werden das hoffentlich schätzen und davon profitieren.
Wie stehen aus deiner Sicht die Chancen, dass die Regierung diese Sozialpartnervorschläge aufgreifen wird?
Bundeskanzler und Vizekanzler haben gemeinsam mit ÖGB, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer und der AK dieses Maßnahmen-Paket präsentiert. Daraus schließe ich, dass diese Anliegen auch Anliegen der Bundesregierung sind. Das stimmt mich optimistisch. Ich werde aber darauf achten, dass hier zügig die Umsetzung vorangetrieben wird.
Kollege Tumpel, wir danken für das Gespräch.
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AK, ÖGB, WKO und LKÖ haben sich auf ein Maßnahmenpaket geeinigt, das einen wesentlichen Beitrag zur Senkung der Arbeitslosigkeit leistet, das die Ausbildungsgarantie bis zum 18. Lebensjahr sicherstellt und das die Voraus-setzungen schafft, dass der Fachkräftebedarf vorrangig im Inland gedeckt werden kann: Die jetzige Mischung aus Fachkräftebedarf, Hochkonjunktur und noch aufrechter Übergangsfrist auf dem Arbeitsmarkt ist eine einmalige historische Chance. Wir können so die Arbeitslosigkeit senken und einen entscheidenden Beitrag für die Zukunft unserer Jugend leisten. In dieser Situation dürfen wir weder am Ausmaß noch an der Qualität der erforderlichen Maßnahmen sparen.
Die Zukunftsförderung für die betriebliche Lehrausbildung ist für den ÖGB das Herzstück des Pakets. Die Gewerkschaftsbewegung hat seit Generationen dafür gekämpft - eine faire Finanzierung der Lehrlingsausbildung wird jetzt endlich Wirklichkeit. Die Zukunftsförderung enthält zwei Förderschienen: die Basisförderung und Qualitätsförderung. Die Basisförderung tritt an die Stelle der bisherigen Lehrlingsausbildungsprämie von pauschal 1000 Euro jährlich pro Lehrstelle. Anstatt dieser unterschiedslosen Förderung pro Lehrling und Kalenderjahr soll die neue Basisförderung pro Lehrjahr bezahlt werden und sich nach der Höhe der kollektivvertraglichen Lehrlingsentschädigung richten. Der Vorteil: Die Ausbildung in besser bezahlten Berufen wird höher gefördert.
Anstelle der bisherigen Förderung zusätzlicher Lehrlinge - Stichwort Blum-Bonus - soll es nach Ansicht der Sozialpartner stark qualitätsbezogene Förderkriterien geben, etwa für:
• Ausbildungsverbünde,
• Betriebe, deren Lehrlinge die Lehrabschlussprüfung mit
Auszeichnung oder gutem Erfolg bestehen,
• Maßnahmen zugunsten von lernschwachen Jugendlichen,
• erstmaliges Ausbilden von Lehrlingen,
• AusbilderInnenkurse,
• Betriebe, deren AusbilderInnen sich weiterbilden,
• Zusatzausbildungen, die über das Berufsbild hinausgehen.
Die Vermittlung auf betriebliche Lehrstellen ist weiterhin das wichtigste Ziel. Die Sozialpartner wollen aber, dass Jugendliche die Sicherheit haben, dass sie auch dann einen hochwertigen Abschluss machen können, wenn sie keinen Ausbildungsplatz in einem Betrieb bekommen.
Das dafür nötige Angebot an überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen, Implacementstiftungen und FacharbeiterInnenintensivausbildungen ist zu schaffen und zu finanzieren.
Aber auch die Erwachsenen müssen auf die Öffnung des Arbeitsmarktes vorbereitet werden.
Zusätzlich zu den 10.000 Fachkräfteausbildungsplätzen im Metallbereich sollen weitere 10.000 Plätze pro Jahr kommen - und zwar nicht vorfixiert auf bestimmte Branchen und Berufe, sondern flexibel orientiert am jeweiligen Bedarf der regionalen Wirtschaft und an den Potenzialen der Arbeit Suchenden. Besonderer Bedacht ist dabei auf Arbeit suchende Frauen, vor allem auch Wiedereinsteigerinnen zu nehmen. Die Zeit bis zum Ende der Übergangsfristen muss noch optimal genutzt werden: Einerseits um in der österreichischen Gesetzgebung Normen zum Schutz vor Lohn- und Sozialdumping zu beschließen und ihre Umsetzung durch beauftragte Behörden vorzubereiten; andererseits müssen wir alle uns im Rahmen der EU dafür einsetzen, dass europäische Normen für einen wirksamen grenzüberschreitenden Vollzug geschaffen werden.
Um das zu ermöglichen - Qualifikationsoffensive und Maßnahmen gegen Lohndumping -, bleiben die Übergangsfristen grundsätzlich bis 2011 aufrecht.
Kann das AMS aber einen von einem Unternehmen gemeldeten Fachkräftebedarf in bestimmten definierten Mangelberufen nicht mit im Inland Arbeit Suchenden abdecken - auch nicht mit solchen, die in Kürze eine der beschriebenen Qualifizierungsmaßnahmen abschließen werden -, soll das Unternehmen einen erleichterten Zugang zu einer Beschäftigungsbewilligung für eine entsprechende Fachkraft aus einem der neuen Beitrittsländer erhalten. Die Sozialpartner wollen mit ihrem Zukunftspaket insgesamt 1,3 Milliarden Euro an zusätzlichem Geld für die Jugendausbildung, die Qualifizierungsoffensive und die älteren ArbeitnehmerInnen in Bewegung setzen. 0,2 Prozentpunkte der Lohnsumme aus Insolvenzsicherungsbeiträgen werden in Zukunftsförderungsbeiträge umgewidmet.
Die bis 31.12.2007 beantragten Blum-Förderungen werden weiter über das AMS abgewickelt und finanziert. Da ab 1.1.2008 aber keine neuen Förderfälle mehr anfallen, weil ja an die Stelle der Blum-Förderung die zusätzliche Förderung aus der Zukunftsförderung tritt, können die für den Blum-Bonus veranschlagten 100 Millionen Euro nach und nach für die aktive Arbeitsmarktpolitik verwendet werden. Die Aufbringung von weiteren 230 Millionen Euro jährlich ist zwischen dem Bund und den Sozialpartnern noch zu verhandeln. Die Sozialpartner schlagen vor, dass für erwerbstätige Personen bis zum 60. Lebensjahr wieder Arbeitslosenversicherungsbeiträge geleistet werden. Diese Mittel sollen für aktive Arbeitsmarktpolitik eingesetzt werden und die aus Arbeitgeberbeiträgen finanzierte Förderung der betrieblichen Lehrlingsausbildung - die »Zukunftsförderung« - soll damit verdoppelt werden. Ziel ist es also, Gießkannenförderung durch gezielte Förderung mit hohem Beschäftigungseffekt zu ersetzen.
Die Vorschläge der Sozialpartner müssen jetzt möglichst rasch umgesetzt werden. Dabei steht uns noch viel Arbeit bevor, weil manche glauben, es ginge auch billiger und mit geringerem Aufwand. Wir aber meinen, dass man sich bei diesem Thema nicht mit halben Lösungen zufriedengeben darf. Es geht um die Zukunft unserer Jugend.
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Kommentar: Einmalige historische Chancen für den Arbeitsmarkt
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Konjunktur allein reicht nicht
Herbert Tumpel ist seit 1997 Präsident der Bundesarbeitskammer: Im jüngst präsentierten Maßnahmenpaket der Sozialpartner sieht er eine große Chance für die Zukunft des Arbeitsmarkts.
Hintergrund
ÖIAG: Schuldenfrei, aber nicht schuldlos
Vor 60 Jahren wurden die beiden Verstaatlichungsgesetze beschlossen. Heute sind fast alle Unternehmen privatisiert.Vollbeschäftigung - was ist das?
In Österreich hat die Arbeitslosigkeit nie solche Dimensionen erreicht wie zumindest vorübergehend in fast allen Ländern der Europäischen Union seit dem Wachstumsknick 1975.Flexicurity - ein politisches Konzept erobert Europa
Bereits seit Jahren wird ein neues Gleichgewicht von Flexibilität und Sicherheit für die europäischen Arbeitsmärkte diskutiert. Nun bekommt die Debatte konkrete politische Züge.Konjunkturaufschwung mit Schattenseiten
Seit gut einem Jahr brummt die Wirtschaft in Österreich, in Deutschland und in der Europäischen Union insgesamt. Die Jubelmeldungen überschlagen sich. Aber geht es der Wirtschaft gut, geht es noch lange nicht uns allen gut.Demokratischer Maßstab Mitbestimmung
Die Geschichte zu einem fast vergessenen Doppeljubiläum: 60 Jahre Betriebsrätegesetz und 60 Jahre Kollektivvertragsgesetz in der Zweiten Republik.Otto Neurath und die Demokratisierung des Wissens
Bildung und Wissen sind längst zu Schlüsselbegriffen in den postindustriellen Gesellschaften geworden. Zumindest ein bestimmtes Reservoir fachlicher Kenntnisse und Ausbildungsnachweise zu besitzen oder über sie zu verfügen, ist unbedingte Voraussetzung dafür, an einer immer härter werdenden Wettbewerbsgesellschaft teilhaben, vielleicht sogar in ihr bestehen zu können.
Aus Arbeiterkammern&Gewerkschaften
Mobiltelefon: Abhilfe gegen teure SMS
Callcenter-Aktion: Kostenloser Beratungsscheck
Handy-Betrug: Achtung vor SMS-Kostentricks
Seminar: Betriebsarbeit und Atypische
Generationen-Management
Wirtschaft&Arbeitsmarkt
Langfinger unter uns
Aufgeben streng verboten
Verbraucherpreise
Kultur Bildung Medien
Stadtgespräch mit Alice Schwarzer
Die Technik ist weiblich
Wissenschaft und Kunst
Internationales
Ecuador: Bittere Bananen
Australien: Vor den Herbst-Wahlen
Asien/Malaysia: Billigflieger unter Druck
APEC: Fern der Realität
Zentralamerika: Schutz der Menschenrechte
Bücher
]]>Günther Sandner: Engagierte Wissenschaft
Wir leben längst in einem markt-getriebenen System. Wirtschaftlicher Erfolg ist das Höchste, das ein Manager oder Politiker anstrebt. Die vielen Fusionen von Unternehmen, über die das Fernsehen und die Zeitungen ausführlich berichten, belegen das ja deutlich genug.
Psychischer Kapitalismus
Größer ist da immer gleich besser. Und: Nur die Besseren, Größeren überleben. Diese Botschaften werden uns jeden Tag von manchen Hochlohn- und vielen Niedriglohn-Journalisten andauernd ins Gehirn geschossen. Die Hochlohn-Journalisten dürfen sich »Edelfedern« nennen, auch wenn sie intellektuell mitunter ziemlich marod sind, und die vielen Niedriglohn-Journalisten (Medien-Präkariat) möchten gern Edelfedern werden.
So sind sie, die Medien, heute. Und wir alle sind ja nicht viel anders. Der neue Jeep (SUV heißt das, »Sport Utility Vehicle«, wie das die Nordamerikaner nennen) des Nachbarn beeindruckt, ebenso die Urlaubsreise von Kollegen nach Kuba, Australien oder wohin auch immer. »Ach, die haben es schön.« Glückliche Menschen, die sich mit links die vielen lebenswerten Belohnungen leisten können. Beneidenswert. Stimmts? Mehr Anstrengung, mehr Arbeit, mehr Identifikation mit dem Arbeitgeber, intensiver Wettbewerb mit den Kollegen und Kolleginnen, die eher Mitbewerber geworden sind, rempeln, kämpfen - und dann wird alles besser. Auch das lernen wir mit und von den Medien und sehen es oft am Arbeitsplatz, und zunehmend auch in der Freizeit.
Allerdings ...
Die Wirklichkeit für die mehr als sechs Milliarden Menschen auf diesem unseren Planeten sieht anders aus. Persönliches Glück und Zufriedenheit hat nichts mehr mit Geld oder Konsummöglichkeiten zu tun - aber das ist schon auch ganz wichtig: Ist man mit seinen finanziellen Verhältnissen deutlich über der Armutsgrenze? Ganz andere Dinge sind für das kleine persönliche Glück in diesem unserem zeitbegrenzten Leben wichtig. Etwa: Stabile Arbeitsverhältnisse, gelungene familiäre Beziehungen, Freunde, Vertrauen in die Regierung, langsame Veränderungen, auf die man sich problemlos einstellen kann (Richard Layard: Die glückliche Gesellschaft. Kurswechsel für Politik und Wirtschaft. Frankfurt 2005).
Glücksforschung
Das was Layard in seinem Buch »Die glückliche Gesellschaft« zusammengefaßt hat, ist aber gar nicht so neu. Von der Öffentlichkeit (also in erster Linie den Medien) relativ unbemerkt hat Ruut Veenhofen in Holland seit vielen Jahren eine weltweite Datenbank des persönlichen Glücks, der persönlichen Lebenszufriedenheit aufgebaut. (Ruut Veenhoven: World Database of Happiness, Erasmus University Rotterdam)
www1.eur.nl/fsw/happiness/index.html
Das weltweit gültige Ergebnis: Ist man über die Armutsgrenze hinausgekommen, dann gibt es keinen Zusammenhang zwischen persönlichem Zufriedenheitsgefühl und Geld, sprich: Einkommen und Konsummöglichkeiten.1)
Wertelagen
Ein dritter renommierter Forscher kommt zum gleichen Ergebnis. Roland Inglehart, der seit rund vierzig Jahren die Wertelagen der Nordamerikaner und Europäer untersucht und durch seine Postmaterialismusthese in Wissenschaftskreisen zeitweise recht umstritten war. Aber wer bitte, der nicht allseits runde, sanfte schmusehafte Geschichten erzählt, ist nicht umstritten? Inglehart weist an- hand einer weltweiten Befragung von hunderttausenden Menschen nach, dass ab einer gewissen Einkommensschwelle Geld und persönliches Glück nicht mehr viel miteinander zu tun haben (www.worldvaluessurvey.org). Die Datensätze sind öffentlich zugänglich und wer mag und ein bisschen über statistische Kenntnisse verfügt, kann das auch selbst überprüfen.
Die hässliche Seite
Die hässliche Seite ist auch markt- und mediengetrieben. Jeder achte Österreicher, Frauen betrifft es noch ein bisschen mehr, ist armutsgefährdet. Das ist ein Skandal sondergleichen. In einem der wohlhabendsten Ländern der Welt wird ein Achtel (jeder Achte, der an Ihnen vorübergeht) ausgegrenzt, er oder sie wird um Zufriedenheitschancen gebracht, allein und ausgegrenzt gelassen. Ein Mindestmaß an Konsummöglichkeiten gehört nämlich dazu, um an der Gesellschaft teilzuhaben.
Dazu kommt, dass die Statistik hier nur einen Teil der Wahrheit ans Licht bringt. Diese statistische Armutsgefährdungsgrenze ist relativ willkürlich EUweit bei 60 Prozent des Median-Äquivalenzeinkommens rechnerisch eingezogen worden - persönliche Umstände spielen hier gar keine Rolle mehr. Realistischer wäre eine Grenzziehung bei 70 Prozent, dann wäre es aber schon jeder Fünfte in diesem Land.
Und: Armut sieht man nicht, oder man will sie - Stichwort: markt- und mediengetriebener Konsumwettbewerb - oft auch gar nicht sehen.
Lösungen
Lösungen gäbe es. Unverständlicherweise hat sich hier die sozialdemokratische Seite der Parteienlandschaft darum herumgedrückt. Vielleicht weil die Lösung vor rund 30 Jahren von fortschrittlicher katholischer Seite eingeworfen wurde (Anmerkung: der Autor dieser Zeilen ist Atheist).
Nämlich ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden Menschen und zwar in einer Höhe über der Armutsgrenze. Das Drumherum ist längst ausdiskutiert, für die meisten bliebe genug an Erwerbsarbeit und Berufsarbeitsbereitschaft.
Ein solches Grundeinkommen (in der deutschen Diskussion heißt es auch manchmal Bürgergeld) wäre die Armutsbekämpfungsmaßnahme schlechthin und ein Anreiz für eine Neuorientierung des Arbeitsmarktes. Es wäre eine erste Säule der sozialen Sicherung, eine erwerbsarbeitsorientierte Rente im Umlageverfahren wäre eine zweite Säule und betriebliche Pensionskassen eine dritte. Da kapitalgedeckt, dann wohl auch etwas unsichere Variante.
1) Geoffrey Miller: Social Policy Implications of the New Happiness Research, www.edge.org/3rd_culture/story/86.html
]]>Junge Menschen träumen gerne. Das ist gut so. Doch sollten die irrealen Träume tunlichst wenig mit Beruf und Arbeitsmarkt zu tun haben. Leider ist das in Ungarn nicht der Fall. Das Budapester Meinungsforschungsinstitut »KRC Research« und Opel haben im Rahmen einer internationalen Untersuchung auch die Beschäftigungsvorstellungen ungarischer Jugendlicher analysiert.
Dabei stellte sich heraus, dass fast zwei Drittel der jungen Magyaren - knapp über 20 - einen Arbeitsplatz suchen, der »leicht und lustig« ist und darüber hinaus auch gut entlohnt wird.
Mulatság
Während nämlich für gleichaltrige Spanier die Entlohnung bedeutend wichtiger ist als die »lustvolle Arbeit«, italienische, deutsche und englische »Jobanfänger« sich weder einen lustigen noch einen gut bezahlten Arbeitsplatz wünschen, dafür auf Karrieremöglichkeiten größten Wert legen, denken die jungen Ungarn weder an Karriere noch an Sicherheit am Arbeitsplatz, sondern ausschließlich an »Lust, Laune und Lohn«. - Mulatság über alles.
81 Prozent der großstädtischen Jugend in Ungarn wollen, dass ihr Arbeitsplatz »unterhaltsam« sei; was man unter diesem unerfüllten Wunsch auch verstehen mag.
Die Ungarn, vor allem die Älteren, gehören zu den Fremdsprachenmuffeln; nicht einmal ein Fünftel der Bevölkerung beherrscht eine Fremdsprache. Dieses Manko wiederum erkennen die Jugendlichen, und deshalb sehen die meisten unter den Befragten im Sprachunterricht »keine lästige Pflicht«, sondern ein »erstrebenswertes Ziel«. In keinem anderen untersuchten Land wollen so viele junge Menschen »mindestens eine Fremdsprache erlernen« wie in Ungarn. Abgesehen von dieser löblichen Erkenntnis verharren die meisten (81%) der jungen Ungarn in ihrer Traumwelt, da sie neben »Unterhaltung und guter Bezahlung« auch noch »viel Freizeit« wünschen. - Irrealistischer geht es wirklich nicht mehr.
Auch Absolventen arbeitslos
Unter den arbeitslosen Jobanfängern gibt es in Ungarn leider auch viele Uni-Absolventen. Vor allem angehende Gymnasiallehrer sind ohne Anstellung, aber auch Wirtschaftsabsolventen stehen nach ihrem Uni-Abschluss vor einem existentiellen Nichts.
Die meisten jugendlichen Arbeitslosen sind allerdings Schulabbrecher bzw. mindestqualifiziert. Ihre Zahl wächst jährlich um rund 5000 unter den 50.000 jungen Menschen ohne Arbeit und Beschäftigung.
Junge Berufsanfänger, aber auch Arbeitnehmer unter 40, würden am liebsten bei ausländischen Firmen und Unternehmen in Ungarn arbeiten, laut einer Untersuchung der Beratungsfirma »Hewitt Human AG«. Bis jetzt suchten viele Ungarn einen Arbeitsplatz im öffentlichen Sektor. Doch durch die krassen Budgetmaßnahmen der Regierung, aber auch der Kommunen, stehen ausländische Arbeitgeber hoch im Kurs. Hewitt-Human hat auch die beliebteste Branche ermittelt. Den »Sieg« trugen dabei Unternehmen der Energiewirtschaft davon. Das nicht so sehr deshalb, weil sie ihre Mitarbeiter gut bezahlen, sondern vor allem deshalb, weil sie transparente Strukturen haben und eine breite unternehmerische Informationspolitik bevorzugen.
Im Gegensatz zu den irrealen Wünschen junger Berufsanfänger schätzen die meisten ungarischen Arbeitnehmer ein »offenes Klima« am Arbeitsplatz. Bevorzugt bedacht von den befragten Arbeitnehmern werden nicht nur Unternehmen der E-Wirtschaft, sondern quer über den gesamten Arbeitsmarkt.
Widerspruch erwünscht
So nahm voriges Jahr das Budapester Unternehmen »GlaxoSmithKline AG« den ersten Platz unter den beliebtesten Unternehmen ein, dessen Generaldirektor, György Leitner, in einem Interview mit der ungarischen Wirtschaftswochenzeitung HVG offen erklärte: »Ich bevorzuge kritische Mitarbeiter und unterstütze jeden, der mir logisch und berechtigt widerspricht.«
Unzufrieden sind vor allem ungarische Arbeitnehmerinnen mit der Unvereinbarkeit zwischen »Arbeit und Familienleben«. Dieses Problem haben männliche Beschäftigte nicht. Auch mit dem »Stress am Arbeitsplatz« werden Frauen in Ungarn schwerer fertig als ihre männlichen Kollegen.
Ein Gutteil der ungarischen Arbeitnehmer erwartet einerseits vom EU-Beitritt ihres Landes eine Zunahme der »guten ausländischen Unternehmen« in Ungarn, andererseits befürchten sie eine vermehrte Arbeitslosigkeit. Wie man diesen Widerspruch löst, das wissen die meisten Ungarn, alters-, geschlechts- und bildungsunabhängig, allerdings nicht.
]]>Arbeit&Wirtschaft: Bundeskanzler Gusenbauer hat mit seinem Sager: »Steuern runter macht Österreich munter « für Aufregung gesorgt. Warum geraten jene, die vor der Wahl Umverteilung propagieren, sobald sie Regierungsverantwortung haben, in neoliberales Fahrwasser?
Friedhelm Hengsbach: Man darf nicht erwarten, dass alles, was vor der Wahl gesagt wird, auch realisiert wird. Das Gegenteil dazu ist Merkel in Deutschland, die vor der Wahl den Marktradikalismus propagiert hat und nun in der großen Koalition die soziale Gerechtigkeit entdeckt. Trotzdem ist es anachronistisch, dass ein Sozialdemokrat mit einer Ausweitung des Steuerwettbewerbs wirbt.
Die politische Orientierung in Österreich und Europa am Steuerwettbewerb ist eine Sackgasse, weil sich kurzfristige Vorteile sofort wieder wegkorrigieren. Wir brauchen eine koordinierte Steuer- und Finanzpolitik auf europäischer Ebene.
Sie sagen, dass die Krise des Sozialstaates eine Krise in den Köpfen der wirtschaftlichen und politischen Eliten ist. Kann es sein, dass die Regierenden einfach nicht an Alternativen zum Neoliberalismus glauben?
Die bürgerlichen Eliten, die das marktradikale Glaubensbekenntnis formuliert haben, brauchen selbst den Sozialstaat gar nicht. Sie sind nicht auf eine solidarische Versicherung angewiesen. Sie sind an Verbindungen mit der Privatwirtschaft, an privaten Möglichkeiten interessiert.
Steckt der Sozialstaat in der Krise?
Die Krise des Sozialstaates ist eine Krise der eingeschränkten Finanzierungsform, weil sie nur auf Arbeitseinkommen zurückgreift. Viel größer sind die Leistungs- und Gerechtigkeitsdefizite. Der Sozialstaat darf nicht nur als Kostenfaktor gesehen werden. Er ist die Voraussetzung für die Produktivität der Wirtschaft. Der Handlungsspielraum der Politik wird zu Gunsten der Finanzwirtschaft kleiner. Das spüren auch Gewerkschaften.
Was können Gewerkschaften - abseits der Umverteilung über KV-Politik - tun?
Einerseits braucht es in Unternehmen nachdenkende Menschen, die davor warnen, auf Börseerfolge oder kurzfristige Erfolge zu setzen. Zweitens muss die Gewerkschaft die Regierungen drängen, die Aufsichtenkontrolle über Hedgefonds und freies Bankwesen wieder zu gewinnen.
Stichwort Prekarisierung: Wie kann den neuen Herausforderungen begegnet werden, die neue Arbeitsverhältnisse für Gewerkschaften schaffen?
Die Gewerkschaften sind im Dienstleistungsbereich schwach organisiert, denken aber in Kategorien der Großorganisationen, der Industrie. Wir erleben den Wandel von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Die Gewerkschaften müssen näher an die Interessen der einzelnen Leute, sie brauchen kleinere Einheiten, um Mitglieder zu gewinnen. Ein Problem für die Gewerkschaften ist, dass im Dienstleistungsbereich viele Frauen beschäftigt sind. Das Geschlechterverhältnis in den Gewerkschaften und die männliche Orientierung am Industriearbeiter wirken sich negativ aus.
Ich fürchte außerdem, dass sich die Gewerkschaften durch die enge Bindung an eine Partei selbst hemmen, Einfluss zu nehmen. In Österreich führt das zu einer Zähmung der Gewerkschaft durch die große Koalition. Gewerkschaften sollen sich nicht in die staatliche Sphäre hineinhängen, eine stärkere Trennung wäre notwendig. Gewerkschaften sollten sich wieder als Teil der Zivilgesellschaft verstehen und nicht als Staatsapparate.
Gibt es in der Kirche Kräfte, die gegen den Neoliberalismus ankämpfen? Sind Koalitionen mit der Gewerkschaft möglich?
Die Frauenbewegung und die Arbeiterbewegung in der Kirche sind zwei Bewegungen, die mit Gewerkschaften, aber auch Attac kooperieren können. Es entstehen neue Bündnisse auf lokaler und regionaler Ebene, die eine Chance für eine Gegenmacht zu staatlichen Aktivitäten sind.
Wie können die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in den Sozialstaat und seine Leistungen wieder hergestellt werden?
Zuerst muss betont werden, dass der Sozialstaat die Voraussetzung für Arbeitsmotivation und eine positive Einstellung zur Erwerbsarbeit der abhängig Beschäftigten ist. Das größte Arbeitshemmnis ist die Sorge, die Arbeit zu verlieren. Deshalb ist der Sozialstaat die Voraussetzung für Arbeitsproduktivität. Die drei Säulen, auf denen der Sozialstaat bisher basierte, sind eine dauerhafte, ununterbrochene Erwerbsbiografie, eine sexistische Arbeitsteilung in der Ein-Ernährer-Hausfrauen-Familie und zwei bis drei Kinder pro Familie.
Alle drei Säulen sind brüchig. Nun gibt es die Möglichkeit der privaten Vorsorge für Reiche. Für die Masse der Bevölkerung geht das aber nicht, die gesellschaftlichen Risiken müssen solidarisch abgesichert werden. Dazu muss die Grundlage des Sozialstaates erweitert werden. Alle Personen im Geltungsbereich der Verfassung müssen einbezogen und alle Einkommen beitragspflichtig sein.
(Mit Peter Friedhelm Hengsbach sprach Carmen Janko.)
]]>Diese Thesen stammen von dem Ökonomen und Jesuiten Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach. Beim Sozialstammtisch von ÖGB und katholischen Organisationen in Oberösterreich räumt Hengsbach mit der Mär von der Unfinanzierbarkeit des Sozialstaates, Globalisierungsdruck und der angeblichen demografischen Falle auf - und bricht eine Lanze für den Sozialstaat als Voraussetzung für Arbeitsproduktivität.
Mit seinen ökonomischen Überlegungen entlarvt er angebliche Marktzwänge
als Rechtfertigung für Sozialabbau als unhaltbar. Dass über gerechte Arbeitsverhältnisse nur mehr im Sinne der Anpassung diskutiert werde, liege nicht an Wettbewerbszwängen, sondern an einer Schieflage der Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft.
Gerechtigkeit?
Als einer der profiliertesten Vertreter der katholischen Sozialethik ist Hengsbach in kirchlichen Kreisen als scharfzüngiger Kritiker von Sozialabbau bekannt. »Die normative Frage nach Gerechtigkeit wird nicht mehr gestellt«, kritisiert Hengsbach. Die neue Gerechtigkeit in unserer modernen Gesellschaft sei jene der Chancengleichheit. »Es wird argumentiert, dass der Staat nicht mehr begleiten und unterstützen kann. Er zieht nur die Startlinie gleich für alle, dann laufen alle. Wer sich anstrengt und als Erster ankommt, bekommt eine Belohnung, der Zehnte natürlich nicht mehr. Marktgerechtigkeit hat in der gegenwärtigen Debatte Vorrang vor Bedarfsgerechtigkeit und Leistungsgerechtigkeit vor Solidarität.«
»In kapitalistischen Gesellschaften wird nicht nur die Arbeitskraft, sondern auch die Intelligenz der abhängig arbeitenden Menschen enteignet.«
Wie aber schaut die Realität aus? Stehen reiche Industrieländer wie Österreich
tatsächlich unter einem beispiellosen Globalisierungsdruck, der sie zwingt, soziale Errungenschaften auf den Prüfstand zu stellen und den Sozialstaat abzubauen? »Wir müssen den Gürtel enger schnallen und auf soziale Errungenschaften verzichten, weil in anderen Ländern die Arbeitskräfte billiger sind«, zitiert Hengsbach mit ironischem Lächeln die Prediger des Marktradikalismus. »Bei einer Exportquote von 42 Prozent kann aber der Wettbewerbsdruck nicht so dramatisch sein«, meint der Ökonom. »Und wenn man bedenkt, dass ein Großteil der Exporte in andere westeuropäische Länder geht, kann wohl kaum von Niedriglohnkonkurrenz gesprochen werden.«
Rattenrennen
Produktionsverlagerungen sieht Hengsbach gelassen: Einzelne seien natürlich betroffen, aber im Endeffekt würden beide Länder - jene, wohin es geht und jene, aus denen verlagert wird - profitieren. »Für das Land, wo es hingeht, bedeutet die Produktionsverlagerung Investitionen, Wachstum und mehr Kaufkraft. Länder wie Österreich profitieren von der gesteigerten Nachfrage aus diesen Ländern nach österreichischen Produkten. Die Frage ist nur, wie der Wohlstand verteilt wird. Werden die Opfer entschädigt oder durch Schnitte ins soziale Netz erneut bestraft?« Der Steuerwettbewerb als Versuch, Produktionsverlagerungen zu verhindern, sei eine politische Sackgasse. »Das ist ein Rattenrennen«, betont Hengsbach. »Einer streicht was, die anderen ziehen nach und alle stehen wieder gleich da. Schlechter als zuvor.«
Geschlecht und Fairness
Chancen biete der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Neue Märkte würden sich im Dienstleistungsbereich bei der Arbeit am Menschen, wie etwa im Wellness-Bereich, erschließen. »Mobilität, Bildung, Gesundheit und Kommunikation haben allerdings Grundrechtscharakter und müssen öffentlich zur Verfügung gestellt werden«, betont Hengsbach.
60 Prozent der gesellschaftlich notwendigen Arbeit werde heute im Privaten geleistet, ohne abgegolten zu werden. Meist von Frauen. »Männer sitzen im Aufsichtsrat, Frauen besuchen die Kranken. Die sexistische Arbeitsteilung ist nicht mehr zu akzeptieren. Erwerbsarbeit, private Arbeit und zivilgesellschaftliches Engagement müssen fair auf die Geschlechter verteilt werden «, sagt Hengsbach.
Tabubrüche notwendig
Wenig Bedrohliches hat für Hengsbach die demografische Entwicklung. »Wir hören immer wieder, dass in 20 Jahren ein Erwerbstätiger einen Pensionisten zu finanzieren habe, was ein Ding der Unmöglichkeit sei«, sagt Hengsbach. Es sei richtig, dass der Anteil der Erwerbstätigen zurückgehe, nicht zuletzt deshalb, weil das Arbeitsvolumen weniger werde, die Produktivität aber höher. »Entscheidend ist nicht die Altersstruktur einer Gesellschaft, sondern ihre Produktivität.
»Jene Gruppe, die erwerbstätig ist, muss genug erwirtschaften, um sich selbst und andere zu versorgen.« Die Geschichte zeige allerdings, dass erhöhte Produktivität nicht immer eine Erleichterung für die Betroffenen - etwa durch Arbeitszeitverkürzung -, sondern auch höhere Arbeitslosigkeit bedeuten kann. »Das Problem ist, dass das Sozialsystem an Lohneinkommen geknüpft ist, der Anteil der Arbeitseinkünfte aber zu Lasten der Kapitaleinkünfte sinkt. Deshalb gerät jedes Sozialsystem, das auf Arbeit basiert, unter Druck, obwohl der gesellschaftliche Reichtum wächst. Die Basis erodiert. Die Finanzierungsgrundlage muss ausgeweitet werden.« Dafür seien aber Tabubrüche notwendig, über die sich offenbar niemand drüber traut.
Monitäre Revolution
Der größte Unterschied zur realen Wirtschaft der Nachkriegszeit sei die Dominanz der Finanzmärkte. »Heute sind 82 Prozent der Finanzgeschäfte rein spekulativ, nur 12 Prozent haben mit Waren zu tun. Geld und Finanzen haben eine neue Bedeutung, seit 1973 die festen Wechselkurse aufgekündigt und das Wechselkursrisiko privatisiert wurden. Die Funktion von Geld ist heute eine andere. Geld war ein reines Tauschmittel, heute ist es Vermögensgegenstand.
« Diese monetäre Revolution habe auch die Politik verändert. Inflationsbekämpfung habe höhere Priorität als Wirtschaftswachstum. »Der eigentliche Gegner der Gewerkschaft sind nicht die Arbeitgeber, sondern die europäische Zentralbank«, kritisiert Hengsbach. »Sobald ein Hauch von Inflationsgefahr am Horizont auftaucht, drückt sie auf die Bremse, und es kommt zu Abstürzen durch die restriktive Geldpolitik.
Das ist das Ende jeder Lohnpolitik - aus Angst, die Krise weiter zu verschärfen. « Die Schieflage der Machtverhältnisse in der kapitalistischen Marktwirtschaft habe sich durch die Finanzmärkte weiter zugespitzt.
»Der solidarische Zusammenschluss der abhängig Beschäftigten ist notwendig, um auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern zu verhandeln. Natürlich brauchen die Kapitalisten die Arbeiter, weil ihre Produktionsmittel sonst unrentabel werden. Aber sie können länger warten als die Mehrheit der Bevölkerung, die darauf angewiesen ist, ihre Arbeitskraft zu verkaufen.«
Brüchige Verhandlungsmacht
Diese Schieflage der Machtverhältnisse mache gerechte Arbeitsverhältnisse unmöglich. Der Sozialstaat als Schranke gegen die Vermarktung menschlicher Arbeit korrigiere diese Schieflage. »Seit die Regierenden die sozialen Sicherungssysteme deformiert haben, ist die kollektive Verhandlungsmacht der abhängig Beschäftigten brüchig«, meint Hengsbach.
Eine wesentliche Voraussetzung für Verhandlungen auf Augenhöhe sei das Arbeitsrecht, vor allem die Tarifverträge, die Rahmenbedingungen klar abstecken. Die sozialen Sicherheitssysteme seien notwendig, damit sich Arbeitnehmer mit aufrechtem Rückgrat am Arbeitmarkt bewegen können, weil sie wissen, dass sie aufgefangen werden, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Hengsbach: »Die Alternative zu Sozialabbau besteht in einer normativen Aufwertung und politischen Festigung eines robusten Sozialstaats, der die Würde und die Rechte abhängig Beschäftigter verteidigt und gegen gesellschaftliche Risiken solidarisch absichert.
Er ist sowohl Ursache als auch Wirkung einer höheren Wertschöpfung und Lebensqualität für alle.«
INFORMATION
Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ
Der 69-jährige Jesuitenpater und Ökonom gilt als einer der profiliertesten Vertreter der katholischen Sozialethik und scharfzüngiger Kritiker des Sozialabbaus. Er studierte Philosophie, Theologie und Wirtschaftswissenschaften.
Zwanzig Jahre lang war er Professor für Christliche Sozialwissenschaft und Wirtschafts- und Gesellschaftslehre an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main.
Von 1992 bis 2006 leitete er das Oswald von Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik.
Als Zeichen der Ernüchterung über die Auswirkungen neoliberaler Politik bewertet die Fraktion Gewerkschaftlicher Linksblock im ÖGB (GLB) die Kampagne des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) für öffentliche Dienstleistungen: »Allerdings wird es dabei nicht mit einer Unterschriftenaktion getan sein, wenn damit nicht auch eine kritische Hinterfragung der jahrelang vertretenen Politik verbunden ist«, meint GLB-Bundesvorsitzende Karin Antlanger.
Die LinksgewerkschafterInnen erinnern dabei daran, dass etwa von der SPÖ-Mehrheit in ÖGB und Arbeiterkammern kritische Einwände gegen maßgebliche
Entwicklungen - beginnend mit dem EUBeitritt über die Einführung des Euro, von der Lissabon-Strategie bis zur EU-Verfassung - jahrelang systematisch niedergebügelt wurden. Heute bestätigt sich diese Kritik immer deutlicher, etwa wenn die Arbeiterkammer Oberösterreich in ihrem »AK-Report« nüchtern feststellen muss, dass die Nutznießer der Liberalisierung nicht die Lohnabhängigen bzw. KonsumentInnen sind, sondern die großen Konzerne.
Und die EGB-Petition muss selbstkritisch feststellen, dass »die Liberalisierungspolitik der EU zahlreiche Arbeitsplätze vernichtet, Leistungen eingeschränkt und Qualität gemindert« haben. »Nicht vergessen werden darf dabei auch, dass führende GewerkschafterInnen im Parlament den wesentlichen Weichenstellungen für die Liberalisierung zugestimmt haben, erinnert sei etwa an die Ausgliederung von Bahn und Post aus dem Bundesbudget oder von Kommunalbetrieben aus dem Gemeindebudgets als Beginn deren Zerschlagung und Privatisierung «, so Antlanger weiter. Nutznießer dieser Entwicklung war stets das in- und ausländische Privatkapital, verloren hat dabei immer die Allgemeinheit.
Nach Meinung des GLB ist es für eine zeitgemäße Gewerkschaftspolitik notwendig, einige der zentralen Dogmen der EU als neoliberales Projekt wie etwa die vier Grundfreiheiten (Kapital, Güter, Dienstleistungen, Personen), die Maastricht-Kriterien für die Budgetpolitik und den Euro-Stabilitätspakt grundsätzlich zu hinterfragen. Es zeigt sich immer deutlicher, dass damit eine massive Umverteilung zugunsten einer winzigen Minderheit von Kapital und Vermögen betrieben wird, deren Kehrseite die zunehmende Prekarisierung und wachsende Armut sind: »Wer nicht bereit ist, über diese Themen zu reden, sollte auch nicht von einem sozialen Europa reden«, so Antlanger abschließend.
PA
]]>Geht‘s der Wirtschaft gut, geht’s den Menschen gut« ist der Werbeslogan der Wirtschaftskammer.
Doch während die Konzerne Gewinne wie noch nie schreiben, wird bei den Beschäftigten der Rotstift angesetzt oder werden ArbeitnehmerInnenrechte verwehrt. Zwei Beispiele aus der jüngsten Zeit sind die Ereignisse beim deutschen Textil-Diskonter KiK und bei der österreichischen Konditorei- und Kaffeehauskette Aida.
Aida
Die österreichische Traditions-Konditorei- und Kaffeehauskette Aida zählt insgesamt rund 300 Beschäftigte. Rund 100 Beschäftigte sind in der Produktion, knapp 200, vor allem Frauen, in 27 Filialen tätig. Aida erzielte zuletzt einen Umsatz von fast 15 Millionen Euro. Während es in der Produktion seit Jahrzehnten einen gewählten Betriebsrat gibt, war das bis zum 12. April 2007 in den Filialen nicht der Fall, weiß Erwin Hülber, Betriebsratsvorsitzender der Aida Produktion. Anstoß für das Bedürfnis, auch im Filialbereich einen Betriebsrat zu wählen, war der Umstand, dass die Aida-Geschäftleitung im Jänner 2007 den Filialbeschäftigten in einem Brief mitteilte, dass per 1. März 2007 ein Wechsel vom bisher geltenden Kollektivvertrag (KV) des Zuckerbäckergewerbes in den Hotel- und Gastgewerbe-KV erfolgen werde. In diesem Schreiben wurden die MitarbeiterInnen auch aufgefordert, möglichst schnell zu unterschreiben.
Doch Erkundigungen der ca. 200 Filialbeschäftigten, meist Frauen, bei den zuständigen Gewerkschaften vida und Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung (GMTN) ergaben, dass der KV-Wechsel den Wegfall von Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen bedeuten würde und sie bei einem Gehalt von 900 bis 1200 Euro mit Einbußen um die 200 Euro rechnen müssten. Laut den neuen Verträgen sollten die ArbeitnehmerInnen mit einer jederzeitigen Änderung der Arbeitszeiten einverstanden sein, keine Zuschläge mehr für Überstunden und Sonntagsarbeit mehr ausbezahlt werden und eine Abgeltung nur mehr über Ersatzruhezeit bzw. Zeitausgleich erfolgen. Für das rosa Arbeitsgewand soll noch vor Anstellungsbeginn eine Kaution hinterlegt werden. Zudem wird verlangt, »in allen bestehenden und zukünftigen Betriebsstätten (…) vorübergehend auch geringwertige Tätigkeiten auszuüben«.
Konsumentenzufriedenheit und Profit
Dazu der vida-Vorsitzende Rudolf Kaske: »Ich fände es nicht gut, wenn Leute erst den Kaffee servieren und dann im Reinigungsdienst eingesetzt werden - etwa in den Toiletten. … Die Preise ordentlich, die Löhne für die Filialmitarbeiterinnen schmal - das kann doch nicht das Aida-Konzept für die Zukunft sein. Schließlich sind es die MitarbeiterInnen von Aida, die für Konsumentenzufriedenheit und Profit für das Unternehmen sorgen.« 1)
Weil die Aida-Geschäftsleitung eine Hinhaltetaktik betrieb, den KV-Wechsel mit 1. März vollzog und weiter auf die Unterschrift der Aida-MitarbeiterInnen drängte, gingen Beschäftigte und Gewerkschaften mit einer Kundgebung vor der Aida-Zentrale an die Öffentlichkeit. Kaske: »Wir stehen hier vor der rosa Zuckerlwelt, aber es braut sich eine grausliche Melange zusammen. Die Beschäftigten in den Aida-Filialen sind mit massiven Verschlechterungen ihrer Arbeitsbedingungen und Lohneinbußen konfrontiert. Das werden wir nicht hinnehmen.«
Nach mehreren Versammlungen und intensiver Information der Beschäftigten durch die Gewerkschaften erfolgte am 12. April die Wahl des ArbeiterInnen- und am 2. Mai die Wahl des Angestelltenbetriebsrates für den Filialbereich. Jetzt haben die Aida-Bechäftigten eine Vertretung vor Ort, können zum Beispiel in die Aida-Bilanzen Einblick nehmen und Betriebsvereinbarungen mit der Geschäftsführung abschließen.
Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe erfolgte nach dem einseitigen Wechsel zum KV des Gastgewerbes die Entlohnung auf Basis einer »freiwilligen Überzahlung«, sodass die Beschäftigten brutto soviel erhalten wie vor dem 1. März, dem KV-Wechsel. Allerdings gibt es keine Zuschläge mehr und das trifft besonders allein stehende Frauen, die oft nicht mehr die Fixkosten bezahlen können, berichtet eine Aida-Betriebsrätin. Offen war zu Redaktionsschluss auch, ob die Aida-Geschäftsleitung die Hinhaltetaktik aufgibt und mit den BelegschaftsvertreterInnen in echte Verhandlungen eintritt, um die Verluste für die ArbeiterInnen auszugleichen.
Kunde ist König
Außen hui, innen pfui, so könnte man den Textil-Diskonter KiK beschreiben. Zwar steht das Kürzel KiK für »Kunde ist König«, doch mit den Beschäftigten glaubt die KiK-Geschäftsleitung umspringen zu können, wie es ihr passt. Der Textil-Diskonter KiK gehört zur deutschen Tengelmann-Gruppe, zu der auch die Ketten Obi, Plus und Zielpunkt gehören. Er ist im Besitz der Familie Haub, deren Vermögen laut US-Magazin Forbes auf knapp 3,8 Milliarden Euro geschätzt wird.2) Der Tengelmann-Konzern plant von 2006 bis 2009 an die tausend neue KiK-Filialen in Deutschland und hundert weitere Obi-Märkte in Europa.3) Die Vermutung liegt nahe, dass diese Expansion auf Kosten der Beschäftigten erfolgen soll, wenn man die Vorgänge auch in den 250 österreichischen KiK-Filialen beobachtet. »Billige Preise dürfen nicht durch die Missachtung der Rechte der Beschäftigten zustande kommen. Wir werden darauf achten, dass Unternehmensgewinne nicht auf dem Rücken der Beschäftigten gemacht werden «, schildert Manfred Wolf, GPA-DJP Kollektivvertragsverhandler im Handel, worum es geht.
Zum Beispiel werden Einstufungen in den Kollektivvertrag oft nicht korrekt vorgenommen, fehlen Arbeitszeitaufzeichnungen, oder stehen unbezahlte Arbeitsleistungen auf der Tagesordnung.
Die dünne Personaldecke führt dazu, dass nicht selten kurzfristig mehr gearbeitet werden muss. Oft sind auch die räumlichen und sanitären Bedingungen schlecht oder im Winter Heizungen nicht intakt. Vielen im Handel Beschäftigten wird diese Mängelliste bekannt vorkommen. Diese könnte auch noch verlängert werden. Was bei KiK hinzukommt, ist der Umstand, dass schon seit bald zwei Jahren die KiK-Beschäftigten vom ihrem Recht Gebrauch machen wollen, einen Betriebsrat zu gründen, was ihnen bis Juni 2007 seitens der KiK-Geschäftsführung verwehrt oder massiv erschwert wurde.
Druck und Einschüchterung
Bereits am 21. November 2005 erfolgte bei KiK die Wahl eines Wahlvorstandes zur Durchführung einer Betriebsratswahl. Obwohl diese binnen Monatsfrist durchgeführt hätte werden müssen, geschah bis zum 12. Februar 2007 nichts. Das ist für den stellvertretenden Bundesgeschäftsführer der GPA-DJP, Karl Proyer, »skandalös und entspricht nicht den geltenden Rechtsvorschriften«.
Wie in allen Betrieben ohne Betriebsrat ist auch bei KiK der Informationsstand der Beschäftigten über ihre Rechte sehr niedrig. Das sollte wahrscheinlich auch nach Ansicht der KiK-Geschäftsleitung in der Zukunft so bleiben, weshalb sie die Wahl eines Betriebsrates durch Druck und Einschüchterung zu verhindern, zu erschweren, oder zumindest hinauszuzögern versuchte.
Weil seitens KiK Gespräche und Problemlösungen verweigert wurden, entschloss sich die GPA-DJP, sich direkt an die Beschäftigten zu wenden. So wurde im Herbst 2006 mit der Initiative »ANki(c)k« und mit der neuen Aktionsform von »Partner«-BetriebsrätInnen eine entsprechende Informationskampagne in allen KiK-Filialen Österreichs gestartet und damit gleichzeitig eine völlig neue gewerkschaftliche Betreuungsform für den Handel ausprobiert, ist GPA-DJP- Vorsitzender Wolfgang Katzian stolz. Ab 11. Oktober 2006 wurden alle 250 Filialen des Textil-Diskonters von vor Ort tätigen GPA-DJP-BetriebsrätInnen verschiedenster Branchen besucht, die Beschäftigten über ihre Rechte aufgeklärt und mit dieser neuen Partnerschaft eine dauerhafte Betreuung vor Ort von Handelsangestellten, die keinen Betriebsrat haben, in enger Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft begonnen.
Diese »Partner«-BetriebsrätInnen stellen ihre langjährige Kompetenz und Erfahrung in ihrer Freizeit zur Verfügung.
Anfechtung
Im Rahmen der Aktion »ANki(c)k startete die GPA-DJP auch eine Fragebogenaktion bei den Beschäftigten, die folgende Ergebnisse brachte und im Jänner 2007 präsentiert wurden: 98 Prozent wünschen sich einen Betriebsrat, 85 Prozent bekommen die Vor- und Abschlussarbeiten nicht bezahlt. 60 Prozent gaben an, dass ihre Wochenstunden willkürlich hinaufbzw. herabgesetzt werden, mit jeder zweiten Arbeitnehmerin und zweiten Arbeitnehmer wird die vereinbarte Arbeitszeit nicht eingehalten. Gleichzeitig kündigte die Gewerkschaft an, weitere Aktionen zu starten, die sich an die KiK-KundInnen und die breite Öffentlichkeit wenden, sollte der Textil-Diskonter nicht einlenken.4)
Dieser Fall trat Mitte Feber 2007 ein, als der Spitzenkandidat für die Betriebsratswahl, Andreas Fillei, ohne Angabe von Gründen fristlos entlassen wurde und in allen KiK-Filialen Hausverbot erhielt. Fillei setze sich schon von Anfang an für die Gründung eines Betriebsrates ein, wurde deshalb öfters schikaniert, zum Beispiel mit Versetzungen in andere Filialen - bis nach Wiener Neustadt - und war seit der Ausschreibung der Wahl am 12. Feber 2007 für die Liste »Wir sind KiK« bereits wahlwerbend tätig. Daraufhin erhob sich ein Proteststurm. Innerhalb von nur zwei Wochen gingen 8000 Protestmails ein. Per einstweiligem Gerichtsbeschluss wurde dann auch das Hausverbot vom Arbeitsgericht aufgehoben. Als somit einer Abwicklung der Betriebsratswahl nichts mehr im Wege stand, strich der KiK-Wahlvorstand, der
aus lauter Leuten mit Nähe zur KiK-Geschäftsführung bestand, die Liste »Wir sind KiK« vom Wahlzettel. Einziger Kandidat: ein Assistent der Geschäftsleitung.
Daraufhin kündigte GPA-DJP Vorsitzender Wolfgang Katzian an: »Wir werden den Ausschluss der Liste von Kollegen Fillei bekämpfen. Für den Fall dass sie nicht kandidieren kann, werden wir die Wahl anfechten und eine Neuaustragung durchsetzen.«
Stasi-Methoden
Gleichzeitig wurde bekannt, wie es so bei KiK zugeht: In Wien wurde eine Verkäuferin wegen ihres Beitritts zur Gewerkschaft entlassen. Die GPA-DJP hat auch hier Klage auf Wiedereinstellung erhoben. In Salzburg muss die Gewerkschaft in fast jeder dritten KiK-Filiale arbeitsrechtlich einschreiten, weil unbezahlte Arbeitsleistungen und falsche Einstufungen in den Kollektivvertrag an der Tagesordnung stehen. »Wir sind erschüttert und schockiert, dass so etwas in der heutigen Zeit überhaupt noch passieren kann. Offensichtlich gibt es immer wieder Unternehmen, die geltendes Recht mit Füßen treten, sich um die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen Dreck kümmern und arbeits- und sozialrechtliche Bestimmungen einfach ignorieren«, so Walter Steidl, Regionalgeschäftsführer der GPA-DJP in Salzburg, der den KiKOberen Stasi-Methoden vorwirft: Im Vorfeld einer Info-Veranstaltung für KiKBeschäftigte in Zell am See erhielten etwa alle Mitarbeiter von der Unternehmensführung ein Schreiben, in denen ihnen bedeutet wurde, an keiner gewerkschaftlichen Veranstaltung teilzunehmen.
Zudem seien die KiK-Bezirksleiter von der Unternehmensführung beauftragt worden, »ihre eigenen Kollegen in der Freizeit zu fotografieren, um zu kontrollieren, wer an unserer Veranstaltung teilnimmt.«
Getürkte Betriebsratswahl
Am 22. Feber, dem Tag der fristlosen Entlassung von Andreas Fillei, organisierte die Gewerkschaft vor der KiK-Österreich-Zentrale in Wien-Auhof eine Protestveranstaltung mit rund 400 TeilnehmerInnen und entsprechender medialer Aufmerksamkeit. Tatsächlich wurde die Wahl dann ohne der Liste »Wir sind KiK« durchgeführt, stand nur die Liste des Assistenten der Geschäftsführung zur Wahl, die vom 12. bis 15. März 2007 stattfand.
Allerdings machte schon der Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 12. März klar, dass der Ausschluss der Liste von Fillei von der Wahl rechtswidrig war, erläutert Georg Grundei, der für KiK zuständige Regionalsekretär bei der GPA-DJP in Wien. Weil trotz vorangegangenen Einschüchterungsversuchen und der damit verbundenen Angst unter den Beschäftigten, Aufmerksamkeit und Protest aus Belegschaft und Öffentlichkeit entsprechend groß waren und sich die Ereignisse negativ auf die KiK-Kunden auszuwirken drohten, wurde von der KiK-Leitung eingelenkt.
Die bei der getürkten Betriebsratswahl gewählten Vertreter nahmen allesamt die Wahl nicht an. Damit war der Weg für Verhandlungen und eine Neuaustragung der Wahlen frei. Im Mai einigten sich KiK-Führung und GPA-DJP darauf, den im Feber entlassenen Filialleiter und Betriebsratskandidaten von »Wir sind KiK«, Andreas Fillei, per 22. Mai 2007 wieder einzustellen, die Beschwerden der KiK-MitarbeiterInnen in einer eigenen gemeinsamen Arbeitsgruppe aufzuarbeiten und die gescheiterte Betriebsratswahl im Juni 2007 zu wiederholen.
Zwischenbilanz
Für GPA-DJP-Regionalsekretär Georg Grundei sind die Aktionen rund um KiK mit »Partner«-BetriebsrätInnen ein gutes Beispiel, dass eine gemeinsame organisatorische Betreuung und Vernetzung von Branchen aus Industrie und Dienstleistungen sinnvoll und zukunftsorientiert ist. »Es war eine praktische Erprobung eines Informations- und Betreuungsmodells nahe am Mitglied - und sie war erfolgreich.« Das erste Etappenziel, BetriebsrätInnen zu wählen, ist sowohl bei KiK als auch bei Aida erreicht worden.
Schweigen und Untätigkeit
Gleichzeitig wurde deutlich, wie es um die »Sozialpartnerschaft« steht, wenn es nicht um Sonntagsreden, sondern hart auf hart geht: Die Wirtschaftskammer schwieg beharrlich zum Verhalten von KiK und auch die im Kollektivvertrag vorgesehene paritätisch besetzte sozialpartnerschaftliche Schiedsgerichtsstelle, die sich mit den Arbeitsbedingungen im Handel beschäftigt, und die von der Gewerkschaft wegen KiK angerufen wurde, blieb untätig.
Erfolgreich waren die Belegschaften von Aida und KiK durch die Solidarität der Beschäftigten, die mit Hilfe von Gewerkschaften, BetriebsrätInnen, KonsumentInnen und der Öffentlichkeit Druck für ihre Interessen machten. Doch die Unternehmerseite versucht trotzdem und mit anderen Mitteln - wie sich sowohl bei Aida als auch bei KiK durch Boykottmaßnahmen und Hinhaltetaktik zeigte, ihr Programm, »Kosteneinsparungen« zu erreichen, weiter durchzusetzen.
Neue Methoden!
Kämpfende BetriebsrätInnen und Gewerkschaften sowie neue Methoden in der Auseinandersetzung sind daher nötig und möglich, wie sich praktisch bewiesen hat. Dass so eine Haltung auch beträchtlichen Rückhalt in der Bevölkerung hat, zeigt nicht nur die konkrete Unterstützung der Proteste in der Öffentlichkeit, sondern auch eine jüngst durchgeführte IMAS-Umfrage über die Erwartungshaltungen der Österreicher: »Zu den überraschenden Ergebnissen der Studie zählt die verbreitete Skepsis der Österreicher gegenüber der Marktwirtschaft«, kommentiert die »Wiener Zeitung«: Demnach sprechen sich ein Drittel der Befragten dafür aus, den Kapitalismus zu bekämpfen, fast 25 Prozent sind der Meinung, dass die Wirtschaft durch den Staat kontrolliert werden sollte.5)
1) vida + GMTN-Pressekonferenz 16. Feber 2007
2) www.forbes.com
3) Kompetenz 2/2005
4) GPA-DJP Pressekonferenz, 18. Jänner 2007
5) Wiener Zeitung, 23. Mai 2007, Seite 1 und 5
Arbeit&Wirtschaft: Du wurdest zwar am 23. Februar vom Bundesvorstand bestellt, hast aber deinen Job als Leitende Sekretärin des ÖGB erst am 1. Mai angetreten.
Monika Kemperle: Am 23. Februar wurde es dem Bundesvorstand bekannt gegeben. Die tatsächliche Bestellung war am 8. März. Das freut mich ganz besonders, weil das der Internationale Frauentag ist und der 1. Mai der Tag der Arbeit.
Arbeit&Wirtschaft: Du wolltest zuerst noch die KV-Verhandlungen abschließen, als Verantwortliche für den Textilbereich bei der Gewerkschaft Metall, Textil, Nahrung.
Ja, weil die Runde für diesen Bereich, für den ich verantwortlich war, also Kollektivvertragsverhandlungen Textil, Bekleidung, Schuh, Leder zu führen, war gerade im Laufen. Es ist natürlich nicht das Beste, wenn man mittendrinnen einfach sagt: Jetzt gehe ich. Und leicht war es auch nicht. Weil das nicht nur Arbeit war und ist für mich, sondern ich bin mit Herz dabei. Das sind ja nicht allein Kolleginnen und Kollegen, sondern es sind auch Freundschaften entstanden zwischen Funktionären und Funktionärinnen.
Hast du alle Agenden von Roswitha Bachner, die ja ins Präsidium bestellt wurde, übernommen?
Ja, im Grunde alles, was mit dem Organisationsbereich Frauen, Jugend, Kampagnen, Betriebsarbeit und eben der Organisationsreform zu tun hat.
Das sind gewaltige Aufgabe in Zeiten wie diesen ...
Wobei sehr viel Arbeit noch vor uns liegt. Es wird alles davon abhängen, wie wir uns in der Öffentlichkeit präsentieren. Die Beschlüsse vom ÖGB-Bundeskongress sind ja letztendlich alle umzusetzen.
Es heißt, Personal soll abgebaut werden. Zwischen 40 und 60 Prozent.
Es geht es darum, zu schauen, wie das Budget, wie mögliche Einsparungen ausschauen sollen. Es hat sich um Planzahlen gehandelt, nicht darum einfach zu sagen: Personal einsparen. Ich stehe nach wie vor dafür, aus wirtschaftlichen Gründen niemanden zu kündigen. Es war ja auch ein ÖGB-Beschluss, dass es die Regionen geben soll, dass mit den Gewerkschaften
gemeinsam Betreuungsbereiche neu definiert werden, dass es in den Ländern neue Strukturen geben soll. Und da sind wir ja mittendrin.
Du kennst die Arbeitswelt von der Pike auf, hast eine Lehre als Bürokauffrau in einer Metallfirma in Villach absolviert. Wie war deine Lehrzeit?
Ich würde mir wünschen, dass Lehre so stattfinden kann. Das war für die damaligen Verhältnisse ein größerer Betrieb mit verschiedenen Abteilungen. Man hat jedes Jahr eine Hauptabteilung gehabt, für die man verantwortlich war und hat dort eine oder zwei Abteilungen mitbetreut. Ich war im Einkauf tätig und habe dort - unter Kontrolle - alle Agenden machen müssen, die eine Einkaufsleiterin macht. Ein Grundprinzip des Direktors war, darauf zu achten, dass man mit den Arbeitern und Arbeiterinnen immer in Kontakt ist. Jeder kaufmännische Lehrling hat ein Monat lang in der Produktion mitgearbeitet, ob in der Montage, in der Presse, im Lager, damit man die Leute kennen lernt und weiß, dass es nicht so einfach ist zu sagen: »Ist ja nur eine Angelernte.« Das hat mir irrsinnigen Spaß gemacht. Wobei: Ich bin ja nicht ganz unbedarft in die Lehre gegangen. Ich habe quasi die Kinderarbeit in Österreich kennen gelernt. Ich war nicht einmal 12 Jahre, als ich meine erste Saison am Wörthersee verbracht habe.
Hast du gekellnert?
Sechs Wochen lang habe ich Stubenmädchen gemacht. Mein erstes Einkommen für die sechs Wochen waren 1.500 Schilling damals. Dann bin ich nach Osttirol gegangen und war im Gastgewerbe als Kellnerin und Stubenmädchen. Dort war eine Näherei, das war außer dem Gastgewerbe die einzige Möglichkeit, als Frau Arbeit zu kriegen. Da habe ich als Akkordnäherin angefangen. Ich bin an der Maschine gesessen und habe unter Zeitdruck und Leistungsdruck genäht. Ein halbes Jahr später waren Betriebsratswahlen und so hat meine betriebsrätliche Karriere angefangen. Dort bin ich dann ins Büro gekommen, weil ich die einzige mit einer kaufmännischen Ausbildung war. Und ich habe dann verschiedene Ausbildungen gemacht, nachdem mir der Arbeitgeber gesagt hat »Das weißt du nicht, das hast du zu akzeptieren, als Betriebsrätin «. Ich bin dann eineinhalb Jahre am Abend in die Schule gegangen.
In die Gewerkschaftsschule?
Zusätzlich zur Gewerkschaftsschule habe ich noch die Ausbildung zur REFA-Fachfrau gemacht, das heißt Arbeitstechnik.
Das sind quasi die, die Akkord bewerten.
Genau, die die Zeit stoppen. Das habe ich gemacht, weil ich gedacht habe: Du sagst mir nimmer, dass ich mich nicht auskenne, weil da will ich schon mitreden.
Und die Lehrlingsausbildnerprüfung?
Die habe ich dann auch gemacht.
Wie bist du dann zu den Metallern gekommen?
Ich wurde von der Gewerkschaft gefragt, ob ich nicht in die Sozialakademie gehen will und war dann von 1986 bis 1987 auf der SOZAK. Für mich war klar, nachher in die Privatwirtschaft zu gehen und wieder Bebetriebsrätin und gewerkschaftlich tätig zu werden. Dann hat mich die Metallergewerkschaft angerufen und gefragt, ob ich interessiert wäre, bei der Gewerkschaft zu arbeiten. Allerdings beginnend als administrativ Beschäftige.
Das heißt als Schreibkraft.
Genau, im Büro. Ein halbes Jahr später war der Gewerkschaftstag. Ich bin dann die erste Frau in der Rechtsabteilung der Metaller geworden. Bezirksekretärinnen hat es schon gegeben, aber noch keine Frau im zentralen Bereich.
Das war ja alles eine Männerdomäne.
Am Anfang in der Rechtsabteilung haben mich die Funktionäre, männlich, gefragt: Und wo ist der Sekretär? Da hab ich gesagt: Ich bin es. Das war schon eine komische Situation. Aber es war eine wunderschöne Zeit als Rechtschutzsekretärin.
Und nach acht Jahren hast du dich entschlossen, die Frauen zu vertreten.
Das war ein Schritt, den ich mir sehr genau überlegt habe, weil ich sehr gerne in der Rechtsabteilung gewesen bin. Von der Art her bin ich ein bisschen ungewöhnlich, weil ich geh gern auf den Fußballplatz oder Eishockey schauen. Ich habe selber Fußball gespielt und war immer zornig, weil es kein Frauenteam gegeben hat. Ich habe zwar trainieren, aber nicht im Kampfbereich mitspielen dürfen. An diese Geschichten habe ich mich erinnert, als ich überlegt habe, von der Rechts- zur Frauenabteilung zu gehen. Warum gibt es Differenzen, wenn Frauen es wollen, warum gibt es solche Hürden beim Zugang?
Du hast dann vor allem Kollektivverträge verhandelt, im Textilbereich, bis jetzt, wo du in die Zentrale gekommen bist.
In der Frauenabteilung habe ich sehr viele Projekte, auch internationale, gemacht. Und ich habe mich getraut, die eigenen Kollektivverträge auf Diskriminierungen zu untersuchen. Das war ein Meilenstein für die Metallgewerkschaft, weil es ja nicht einfach ist, das eigene Produkt selbst zu bewerten oder mit Fremden bewerten zu lassen und das auch zu veröffentlichen. Das war ein sehr guter Schritt. Das zeigt uns auch die Resonanz aus dem wissenschaftlichen Bereich. Meines Wissens ist es nach wie vor das einzige Projekt in Europa, wo eine Gewerkschaft so einen Schritt gemacht hat.
Das ist nicht nur eine kosmetische Veränderung von irgendwelchen Formulierungen, sondern es ist schon mehr dahinter.
Es ist sehr viel mehr dahinter. Man ist kontinuierlich daran gegangen - und der Prozess ist nach wie vor im Gang -, Dinge umzusetzen. Zum Beispiel bei den Umstrukturierungen der Entlohnungssysteme. Wie kann man bestimmte Dinge
aufnehmen, damit sie nicht mehr diskriminierend wirken? Das hat dazu geführt, dass es im Metallbereich ein komplett neues Entlohnungssystem im Kollektivvertrag gibt.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist mit Formulierungen verquickt?
Genau. Auch einfache Formulierungen haben Auswirkung. Ich denke, dass ich da nicht erfolglos war. Im ersten Jahr ist zumindest der erste Schritt sofort gelungen. Das war die Umsetzung der Sprache im Kollektivvertrag. Sie ist jetzt sowohl weiblich als auch männlich.
Das sind oft reine Formsachen. Aber es ist viel mehr dran ...
Ja, es hängt sehr viel von Formulierungen ab. Das merkt man auch in Seminaren, wo es einen hohen Anteil von Männern und zwei, drei Frauen gibt. Wenn man nur die weibliche Anrede verwendet, regen sich die Männer sofort auf und fühlen sich nicht angesprochen. Bei Formulierungen für Besetzungen oder dem Texten von Beschlüssen merkt man: »Hoppala, da wird auch überlegt: Gibt es auch Frauen dafür?« Der sprachliche Bereich bewirkt viel. Es schaut zwar zuerst einmal blöd aus, aber es steckt sehr viel dahinter. Auch im Sprachwandel. Bei den Branchenbereichen haben wir Vereinbarungen, die jetzt in der Umsetzungsphase für komplett neue Entlohnungssysteme sind. Das hat Auswirkungen auf bisherige oder jetzige Diskriminierungen, die weiter vorhanden sind. Wo getrennt wird in sprachliche Bereiche: Da gibt es die Näherin, aber es gibt keinen Näher. Damit ist klar: Das ist weiblich und bei den Facharbeitern ist klar, da braucht man quasi keine Frauen. Es geht darum, im System und in der Beschriftung der Tätigkeit darauf hinzuweisen. Und das ist auch gelungen, nachdem die Textilkollektivverträge ja nicht zu den Hochlohnbereichen gehören. Und es ist gelungen in kürzester Zeit die meisten Kollektivverträge auf 1.000 Euro mindestens anzuheben, was ja in manchen Bereichen innerhalb von zwei, drei Jahren fast 24 % Lohnerhöhungen ausgemacht hat. Das ist nicht so unwesentlich. Es bleibt zwar oft verborgen, aber diejenigen die es bekommen, haben das sehr wohl gemerkt.
Nachdem wir jetzt, nach Abwendung der Katastrophe, letzten Endes doch in einer angespannten Finanzlage sind, müssen wir weiter an der Organisationsreform arbeiten.
Trotz der ganzen Situation, die ja bis zu dem Zeitpunkt niemand geglaubt hätte, dass so etwas jemals möglich ist, war es für uns immer klar: Der ÖGB ist das Nonplusultra. Aber wir haben ja gesehen, es kann durch ein paar widrige Umstände auch das ins Wanken kommen. Wobei die Betroffenheit bei den Beschäftigten schon sehr hoch ist. Weil es ist ja nicht irgendeine Firma, sondern es ist auch eine Lebenseinstellung, wenn du beim ÖGB oder einer der Fachgewerkschaften arbeitest. Das ist nicht irgendein Job, sondern du gehst mit Herz hinein und mit Gefühlen. Das macht es für uns so schwierig, zu sagen: Wir müssen komplett in eine neue Richtung schauen. Ein Teil dieser neuen Richtung ist auch beim ÖGB-Kongress durch die einzelnen Beschlüsse der Reformen vorgegeben worden. Mit den Umstrukturierungen wurde ja bereits begonnen. Wir haben 17 Projekte im Bereich der Organisation beschlossen. Die sind weiter in Teilprojekte oder Arbeitsgruppen unterteilt, momentan sind 33 im Laufen. Hier wird diskutiert, wie man mit Strukturen umgeht, ohne dass man den Betreuungsbereich, ohne dass man die Dienstleistungsbereiche gegenüber den einzelnen Mitgliedern einschränkt. Das ist eine schwierige Gratwanderung. Hier wird in den einzelnen Bundesländern versucht, die Betreuungsstrukturen neu zu ordnen und neu aufzuteilen. Es geht darum, zu schauen, wie man besser und kostengünstiger werden kann. Letztendlich ist es immer auch eine Frage des Geldes: Wie kann man umstrukturieren, um möglichst viele Synergieeffekte nutzen zu können und Parallelstrukturen abzubauen. Hier gibt es Defizite und damit setzen sich jetzt die einzelnen Bundesländer auseinander.
Oft wechseln Leute nur die Firma und melden sich nicht von sich aus. Und die gehen einfach verloren, wenn man da ein bisschen mehr dahinter wäre...
Da haben wir das Projekt »Stille Austritte «, wo man versucht, gewerkschaftsübergreifend Strukturen gemeinsam zu schaffen. Wie bei dem Projekt »Betreuung « sollen Strukturen geschaffen werden, dass solche Dinge nicht passieren. Es sind ja Mitglieder, die weder böse auf uns sind noch unzufrieden, sondern die einfach abhanden kommen, weil sie eine neue Firmen haben und dort unter Umständen keine Betriebsratkörperschaft ist, die sie anspricht. Manche sind oft der Meinung das geht automatisch, weil sie im ehemaligen Betrieb Betriebsratsabzüge gehabt oder sich Betriebsräte darum gekümmert haben.
Es gibt eine zunehmende Zahl von Betriebsräten, die gar nicht Gewerkschaftsmitglieder sind.
Betriebsräte, Betriebsrätinnen, werden ja in erster Linie im Betrieb gewählt und haben dort ihre Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten. Und man muss sie auch ansprechen, welche Hilfestellung, welche Möglichkeiten sie als Gewerkschaftsmitglied haben. Vielen ist es einfach nicht bewusst oder sie denken, sie sind automatisch dabei, wenn sie Betriebsräte sind. Und dann gibt es natürlich andere, die unter Umständen schlechte Erfahrungen gemacht haben. Manche sagen auch klipp und klar: »Für was brauche ich das?«
Die müsste man halt auch überzeugen können.
Die müsste man auch überzeugen. Und da muss man auch Möglichkeiten finden, an sie heranzukommen.
Du bist ja gleichzeitig auch die Fraktionssekretärin der sozialdemokratischen GewerkschafterInnen. Obwohl da vielleicht zwei Herzen in deiner Brust schlagen, du bist ja für alle da.
Hin und wieder ist es schon schwierig, wenn man sozialdemokratisch aufgewachsen ist und auch den Sinn erkannt hat, warum man etwas tut. Und im Arbeiter-/Arbeiterinnenbereich, glaube ich, hat man einfach auch eine gewisse Art der Heimat. Das heißt alles, was mit den Bedingungen zu tun hat. Egal, ob das die Gesundheit, die Altersvorsorge, die Unfallprävention ist, wenn du in einem Betrieb arbeitest. Also die ganze soziale Absicherung. Und als Sozialdemokratische Fraktionssekretärin des ÖGB ist es für mich immer wichtig, der Partei die Schiene »Gewerkschaft«, nahezulegen. Und zu zeigen, dass nicht immer alles richtig ist, aus unserer Sicht, was sie machen. Und wir nicht Partei sind, aber sehr viele Gemeinsamkeiten haben. Es gibt Wege, die wir gemeinsam beschreiten werden, aber es gibt auch Dinge, die wir sehr konträr sehen. Und als sozialdemokratische GewerkschafterInnen werden wir sehr darauf achten, dass unsere Interessen nicht untergehen.
Es hat ja gewisse Krisen in der Beziehung mit der Partei, und es hat Proteste und Rücktritte gegeben. Und vielen fällt es jetzt schwerer, sich zu identifizieren. Aber ohne uns kann die Partei nicht mobilisieren und in die Betriebe gehen ...
Aufgrund dieser Unstimmigkeiten in der Vergangenheit gibt es ja diesen Kooperationsausschuss, der aus jeweils vier Personen besteht, vier der Partei, vier der FSG, die über solche Dinge sprechen und Wege finden sollen. Was aber nicht heißt, dass dieser Kooperationsausschuss dafür da ist, keine Differenzen in verschiedenen Themenbereichen zu haben. Es wird Dinge geben, wo man sich innerhalb der Partei und der FSG näherkommen wird. Aber es wird auch Bereiche geben, wo wir Konflikte haben werden. Das ist so.
Ohne Betriebsräte wäre ja auch die Gewerkschaft aufgeschmissen ...
Für mich besteht die Gewerkschaft aus dem Gesamtkonzept. Das heißt ein Zusammenspiel von betrieblicher Vertretung über Betriebsräte, Betriebsrätinnen, Personalvertreter, Vertrauensleute, bis hin zum einzelnen Mitglied. Sonst ist eine Gewerkschaft keine Gewerkschaft, ist der ÖGB kein ÖGB. Für mich lebt die Gewerkschaft durch die Menschen und egal durch wen, von wem, durch jeden: Das ist ein Zusammenspiel all dieser Bereiche. Auch die Kammer ist für uns als Interessenvertretung unverzichtbar, weil sie sehr viel an wissenschaftlicher Arbeit und Grundlagenarbeit macht. Als Gewerkschaft haben wir eher den Teil, Menschen direkt und sofort zu helfen. Egal, ob das auf betrieblicher Ebene als Betriebsrat, Betriebsrätin, oder ob es bei Arbeitskonflikten ist. Das haben ja auch letztendlich die Demonstrationen gezeigt. Dass Gewerkschaften und der ÖGB mobilisieren können.
Wir danken für das Gespräch.
]]>Die allererste Ausgabe von »Arbeit und Wirtschaft« erschien im Jänner 1923, zuerst als Monatsschrift, später alle zwei Wochen. In den Jahren 1933 und 1934, als die demokratischen Institutionen geknebelt wurden, die Gewerkschaftsblätter unter Zensur fallen und ihre Verbreitung verboten wird, kämpft »Arbeit und Wirtschaft gegen diesen Trend an.
Gegen das Fachblatt der Eisenbahner wurde für drei Monate ein Verbreitungsverbot ausgesprochen. »Arbeit und Wirtschaft« meldet: »Das Fachblatt der Eisenbahner beklagt sich über ein bei den Bundesbahnen eingetretenes neues System. Es werden Eisenbahner zu Vaterländischen Kundgebungen bestimmt, sie müssen exerzieren und Salutierübungen machen. Dies wird von Linz gemeldet, wo vor dem durchreisenden Bundesbahnpräsidenten eine Ehrenkompanie von Arbeitern Spalier machen musste. Den Eisenbahnern werden sie Beiträge zur Vaterländischen Front vom Lohn abgezogen…«
Als Autorin eines Beitrags in der letzten Ausgabe von »Arbeit & Wirtschaft« in der Ersten Republik scheint Käthe Leichter auf, die 1943 im KZ ermordet wurde.
Unmittelbar nach der Befreiung Österreichs 1945 wird der Österreichische Gewerkschaftsbund als freiwilliger, von mehreren Fraktionen getragener Einheitsgewerkschaftsbund gegründet. Wenige Monate später kommt es zur Wiedererrichtung der Arbeiterkammern. Bald darauf, nachdem die notwendigsten wirtschaftlichen und sozialen Überlebensmaßnahmen aus der Sicht der Arbeitnehmerinteressensvertretungen gesetzt worden sind, kommt am 1. August 1947 die erste »Arbeit und Wirtschaft« nach dem Zweiten Weltkrieg heraus.
Aus einer programmatischen Erklärung:
»Der Titel der Zeitschrift umfasst ihr Programm: Sozial- und Wirtschaftsfragen, Gesellschaftswissenschaften und Politik, Naturwissenschaften und Technik, Bildung und Kultur, das alles soll aus der Schau der Arbeiterbewegung in grundsätzlichen Beiträgen und am aktuellen Beispiel behandelt werden. Wir wollen uns nicht auf österreichische Probleme beschränken und nicht auf österreichische Autoren - dazu ist unser Land zu sehr ins Geflecht der Welt verstrickt.
Auch gegnerischen Auffassungen wollen wir Raum geben, weil wir glauben, dass nichts so sehr einer guten Sache nützt wie die Bewährung am gegnerischen Argument. Die Kritik aus den eigenen Reihen wird uns immer willkommen sein.«
Auch heute noch, im sechzigsten Jahr ihres Bestehens seit der Wiedergründung, steht die »A&W« sowohl redaktionsintern als auch extern in ständiger Diskussion ob ihres Inhalts, der Darstellungsform, ihres Niveaus und ihrer Lebensnähe. Und das ist gut so, denn gerade diese stetige Auseinandersetzung ist ein Beweis des gemeinsamen Ringens des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und der Arbeiterkammern um Verbesserung und Anpassung an die gesellschaftliche Entwicklung im Interesse der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen.
]]>Standpunkt: Was ist Solidarität?
Leserforum
Kommentar: Glück und Geld
Schwerpunkt
Es ist auch eine Lebenseinstellung
Interview mit der Leitenden Sekretärin des ÖGB, Monika Kemperle.
Hintergrund
Am Beispiel KiK und Aida: Marktwirtschaft nach Geschmack der Unternehmer
Tagein tagaus wird das Hohelied auf die Marktwirtschaft gesungen, von der alle ihren Vorteil hätten. Ein Blick hinter die Kulissen lässt oft ein anderes Bild zutage treten.
Machtverhältnisse in der Schieflage
1. Die Krise des Sozialstaats ist eine Krise in den Köpfen der wirtschaftlichen und politischen Eliten.
2. Der Sozialstaat ist eine politische Schranke gegen die Vermarktung menschlicher Arbeit.
3. Der Sozialstaat kann zurück gewonnen werden durch eine höhere Wertschöpfung und eine demokratische Solidarität.
Steuerwettbewerb ist Sackgasse
Die Grundlage des Sozialstaates muss erweitert werden - Interview mit Jesuitenpater Friedhelm Hengsbach
Globale Genossenschafter
Der größte Konzern des spanischen Baskenlandes befindet sich in Arbeitnehmerhand, die Mondragón Corporatión Cooperativa.
Blutfreitag
Der Justizpalastbrand am 15. Juli 1927 und heute noch aktuelle Fragen: Zwei politische Morde zu viel. Eine von Betriebsräten und Vertrauensleuten organisierte disziplinierte Protestdemonstration wird zum chaotischen Aufruhr. In der Auseinandersetzung zwischen Staatsgewalt und Gerechtigkeit fordernden Bürgern ist in Wien seit der Märzrevolution 1848 nie mehr so viel Blut Unbewaffneter vergossen worden.
Aus Arbeiterkammern&Gewerkschaften
Bioprodukte: Nicht um jeden Preis
Mindesthonorare zur Absicherung nötig
Jugendausbildung: Das haben sich viele anders vorgestellt
Arbeitsplätze und Klimaschutz: Umweltschutz schafft Arbeit
Briefmarkt-Liberalisierung:
Gefahr für Arbeitsplätze und Versorgung
Liberalisierung: Hebel für massive Umverteilung erwiesen
Pflege: Weit daneben
Unternehmensgewinne: Des einen Freud, des anderen Leid
Vorratsdatenspeicherung: Moderner Überwachungsstaat
Wirtschaft&Arbeitsmarkt
Verbraucherpreise
Internationales
Ungarn: Wunsch und Wirklichkeit auf dem Arbeitsmarkt
China: Letztrangig
Kampf gegen Sozialdumping
EU: Lückenhafte Richtlinie
EU: Eine Million Unterschriften
Kambodscha: Blutige Kleidung
EU: Revidierung der EBR-Richtlinie
Gesellschaftspolitik
Armut kann Ihre Gesundheit gefährden
Working poor
Bücher
]]>A.C. Grayling: Die toten Städte. Waren die alliierten Bombenangriffe Kriegsverbrechen?
»Wovon lebt der Mensch?« ist eine Frage, die zum Beispiel Bertold Brecht mehrmals lyrisch beantwortet hat, zum Beispiel in seiner gleichnamigen Ballade. Geneigte Leser, glaubet nicht, dass ich jetzt zum allseits beliebten Volkssport aushole und mit der verbalen Keule auf die Politiker einprügeln will (Neudeutsch heißt das jetzt »Bashing«, glaube ich). Und dies nicht einmal deswegen, weil nach der Einteilung von Max Weber auch die Journalisten zu den »Berufspolitikern« gehören:
»Der Journalist teilt mit allen Demagogen und übrigens … auch mit dem Advokaten (und dem Künstler) das Schicksal: der festen sozialen Klassifikation zu entbehren. Er gehört zu einer Art von Pariakaste, die in der Gesellschaft stets nach ihren ethisch tiefstehenden Repräsentanten sozial eingeschätzt wird. Die seltsamsten Vorstellungen über die Journalisten und ihre Arbeit sind daher landläufig.«
Wie wahr, wie wahr!
»Dass eine wirklich gute journalistische Leistung mindestens so viel ›Geist‹ beansprucht wie irgendeine Gelehrtenleistung - vor allem infolge der Notwendigkeit, sofort, auf Kommando, hervorgebracht zu werden und: sofort wirken zu sollen, bei freilich ganz anderen Bedingungen der Schöpfung, ist nicht jedermann gegenwärtig …«
Weber erwähnt in weiterer Folge die »sonstigen Bedingungen des journalistischen Wirkens in der Gegenwart erzeugen jene Folgen, welche das Publikum gewöhnt haben, die Presse mit einer Mischung von Verachtung und - jämmerlicher Feigheit zu betrachten.« Er lässt sich auch darüber aus, welche
Blätter und welche Zeitungskonzerne » in aller Regel die typischen Züchter politischer Indifferenz« sind.
Liebe Leserin, lieber Leser, vielleicht ist es mir mit diesen Zeilen gelungen, ihr Interesse an diesem Text, an diesem Vortrag von Max Weber zu wecken?
Er ist als wohlfeiles Reclam-Bändchen erschienen, zum Preis von EUR 2,70 (Reclam Nr. 8833).
Die Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik müssten sie sich dort erlesen. Und auch was er von den Windbeuteln hält, die ihre Gesinnung immer vor sich hertragen. Zitiert wird aus dieser Schrift immer wieder vor allen ein Satz:
»Die Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich.«
Der ist aber unvollständig, wenn man nicht noch weiter liest und die ganze Spannung dieser Aussage erfasst:
»Es ist ja durchaus richtig, und alle geschichtliche Erfahrung bestätigt es, dass man das Mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmöglichen gegriffen worden wäre. Aber der, der das tun kann, muss ein Führer und nicht nur das, sondern auch - in einem sehr schlichten Wortsinn - ein Held sein. Und auch die, welche beides nicht sind, müssen sich wappnen mit jener Festigkeit des Herzens, die auch dem Scheitern aller Hoffnungen gewachsen ist, jetzt schon, sonst werden sie nicht imstande sein, auch nur durchzusetzen, was heute möglich ist. Nur wer sicher ist, dass er daran nicht zerbricht, wenn die Welt, von seinem Standpunkt aus gesehen, zu dumm oder zu gemein ist für das, was er ihr bieten will, dass er all dem gegenüber: ›dennoch!‹ zu sagen vermag, nur der hat den ›Beruf‹ zur Politik.«
Ceterum censeo, im Übrigen meine ich, hoffentlich erinnern wir uns daran auch noch in jetzt fünf Jahren, was uns bei der vergangenen Wahl versprochen wurde…
]]>Und was die Kolleginnen und Kollegen sagen, ist nicht das, was in den Kommentaren von »Presse« oder »Salzburger Nachrichten«, »Standard« oder »Profil« steht, auch nicht im »Kurier« oder in der »Kronenzeitung«, oder was in der letzten Diskussionsrunde im Fernsehen gesagt wurde.
So gesehen muss hier wieder einmal ausdrücklich gesagt werden, dass wir unsere Meinungen nicht oder nur zum kleinsten Teil aus den Medien, also aus Zeitungen, Zeitschriften oder Fernsehen, beziehen. Wesentlich mehr Gewicht haben Gespräche in unserem Umfeld,
Diskussionen mit Arbeitskollegen und -kolleginnen, in der Familie, unter Freunden. Miteinander reden, kommunizieren, sich austauschen, diskutieren. Das sind auch Grundlagen der betrieblichen Interessenvertretung und der sogenannten Mitbestimmung.
Liebe Leserin, lieber Leser, worüber haben Sie (hast Du) zuletzt geredet? Und
mit wem?
War es die Regierungsbildung und die Enttäuschung über nicht eingehaltene Wahlversprechen oder die Verblüffung über manche »Sager« des neuen Herrn Bundeskanzlers?
Hätten Sie was anderes gewollt als diese große Koalition? Ich auch. Aber wer beschwört ihn denn immer wieder, den »hätt’ i, wenn i, war i«?
Herausgerissen
Oder sollten wir die Realität lieber so betrachten, wie sie ist, nämlich nackt?
Was ist das, dieser so oft strapazierte »Rahmen den Möglichen«? Sagen Sie vielleicht so was wie »Na, wann i verhandelt hätt’, dann hätt’ i dem Schüssel mehr außagrissn!«? Oder sind Sie eine oder einer von denen, die vielleicht sagen »Ich bin der Meinung, dass der Verhandlungsspielraum nicht optimal genützt wurde.«? Jaja, liebe Leserin, aber das ist jetzt vorbei, und motschgern oder sudern beziehungsweise larmoyant herumtütteln, das bringt doch nix und das hilft auch nix.
Die Abschaffung der Studiengebühren wurde fix versprochen und als Kompromiss kommen die jetzt mit dem Schmarren daher und deswegen ist die Jugend zu Recht empört, sagen Sie? Jaja, da haben Sie schon recht. - Mir ist ein gewisser Trost, seit ich gehört habe, dass fast ein Viertel der Studenten ein Stipendium bezieht und sowieso von den Gebühren befreit ist.
Originell
Also, diese Einlage vom Bundeskanzler mit den Nachhilfestunden, die er selber in einer öffentlichen Schule geben will, da sagen sogar seine Parteifreunde, es wäre eine »originelle« Idee. Wenn ich wo zum Essen eingeladen bin und es schmeckt mir nicht, dann bin ich auch höflich und sag, es schmeckt »interessant«. Originell find ich auf jeden Fall, dass plötzlich alle so tun, als hätten sie immer geglaubt, dass man die Abfangjäger »abbestellen« kann. Also jetzt mal ehrlich: Haben Sie es geglaubt?
Apropos, übers Wetter haben wir auch noch nicht geredet. In Anbetracht des mildesten Winters seit mehr als 200 Jahren stellt sich die Frage: Haben wir jetzt einen Klimawechsel? Und ist das bedrohlich? Und wie steht’s ums Klima in unseren Herzen? Sind wir ängstlich besorgt oder wollen wir »mutig in die neuen Zeiten«, wie es in dem alten Arbeiterlied heißt?
Die Zukunft - findet statt.
Wo stehen wir?
Gleichzeitig wurde nichts Substantielles getan, damit Menschen länger im Berufsleben bleiben können.« Wie die AMS-Zahlen zeigen, ist die Zahl der Arbeitslosen ab 50 Jahre zwischen den Jahren 2000 und 2005 um 16.700 Personen oder 30 Prozent massiv gestiegen. Gab es 2000 noch 55.000 Betroffene, so waren es 2005 bereits rund 72.000.
»Und diese Lage hat sich auch 2006 nicht verbessert«, konstatiert Leutner. Aufgabe der Bundesregierung werde es nun sein müssen, die sozialen Härten dieser beiden »Pensionsreformen« zu beseitigen und gleichzeitig älteren ArbeitnehmerInnen durch die Verbesserung ihrer Chancen auf dem Arbeitsmarkt und diverser Anreize die Möglichkeit zu geben, länger in Beschäftigung zu bleiben.
»Jedenfalls darf es nicht so wie von Felderer vorgeschlagen zu neuen Verschlechterungen im Pensionsrecht kommen«, fordert Leutner. Völlig überzogen scheint in diesem Zusammenhang die Felderer-Forderung, dass der Berufsschutz im Falle der Invalidität erweitert werden solle. Damit würden Personen, die ihren Beruf nicht mehr ausüben können, nicht in Invaliditätspension gehen dürfen. »Wer die strengen Prüfverfahren der Pensionsversicherungsanstalten kennt, weiß, dass niemandem aus Jux und Tollerei eine Invaliditätspension zuerkannt wird«, sagt der Leitende Sekretär.
Der ÖGB fordert daher in diesem Zusammenhang:
■ Alternsgerechten ArbeitnehmerInnenschutz und betriebliche Gesundheitsförderung
■ Förderung von lebensbegleitendem Lernen und bessere Nutzung des Wissens und der Erfahrung Älterer
■ Arbeitsmarktpolitik zugunsten Älterer
■ Neuordnung der Altersteilzeit
■ Sensibilisierungsaktivitäten, um Vorurteilen und Altersdiskriminierung entgegenzuwirken
■ Ein nationales Aktionsprogramm für ältere ArbeitnehmerInnen unter Einbeziehung aller relevanten Akteure.
Zehn Wochen nach ihrer Haftentlassung wurde Rosa Luxemburg Anfang 1919 wieder verhaftet und ermordet. Der Gruß an den Frühling und an die Natur, die ns immer treu bleibt und nie enttäuscht, sollte uns an diese großartige Frau erinnern, auch wenn der heurige »Internationale Frauentag« schon vorbei ist und diese Ausgabe aus technischen Gründen später erscheint.
Ein weiterer Anlass zur Reminiszenz sind die 60 Jahre, die seit der Verabschiedung des Betriebsrätegesetzes vergangen sind.
Es war am 28. März 1947, als der österreichische Nationalrat das Betriebsrätegesetz beschloss. Die bereits kurz nach der Befreiung vom Faschismus im Jahr 1945 wiedergewählten Betriebsräte erhielten durch dieses Gesetz ihre Rechtsgrundlage. »Durch das Gesetz wurden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Lage versetzt, ihre reichen praktischen Erfahrungen in die Führung der Betriebe einzubringen. Der Betriebsrat verhandelt Betriebsvereinbarungen, sorgt für die Einhaltung der Kollektivverträge und der Betriebsvereinbarungen, macht Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Sicherheit, hat Mitspracherecht bei der Gestaltung der Arbeitsplätze, hat das Recht auf Mitsprache bei Personal- und Wirtschaftsangelegenheiten. Er hat das Recht zu Kündigungen und Entlassungen Stellung zu nehmen und diese bei Gericht anzufechten, kann unter bestimmten Voraussetzungen Versetzungen verhindern und muss über alle die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer betreffenden Angelegenheiten informiert werden«, heißt es in der rückblickenden Würdigung.
Heutzutage führt der steigende Druck in der Arbeitswelt in den Unternehmen zu mehr Konflikten und anderen Rechtsproblemen. In Betrieben mit Betriebsrat werden Konflikte besser gelöst. Betriebsrätinnen und Betriebsräte sind Vermittler und tragen zur Lösung von Problemen bei. Ein Erfolgsmodell, das in vielen Betrieben dringend nötig wäre und moderne Unternehmen auszeichnet.
Das Mandat der Betriebsräte wird allerdings durch Auslagerungen und Umstrukturierungen zunehmend untergraben, weswegen Arbeitnehmer/-innen, die an einem Standort arbeiten, auch dann eine einheitliche Vertretung wählen können sollten, wenn sie arbeitsrechtlich bei verschiedenen Unternehmen beschäftigt sind. Dies ist nur eine der aktuellen Forderungen zur Verbesserung der Mitbestimmung. Unsere tagtägliche Arbeit im Interesse der arbeitenden Menschen ist vielfältig und geschieht oft unter immensem Druck. Deswegen möchte ich nochmals diese starke Frau zitieren, die uns allen eindringlich zuruft, neben allem dringendem Tagewerk nicht eines zu vergessen:
»… Vergessen Sie nicht, wenn Sie noch so beschäftigt sind, wenn Sie auch nur in dringendem Tagewerk über den Hof eilen, vergessen Sie nicht den Kopf zu eben und einen Blick auf diese riesigen silbernen Wolken zu werfen und auf den stillen blauen Ozean, in dem sie schwimmen. Beachten Sie doch die Luft, die von leidenschaftlichem Atem der letzten Lindenblüten schwer ist, und den Glanz und die Herrlichkeit, die auf diesem Tage liegen, denn dieser Tag
kommt nie, nie wieder! Er ist Ihnen geschenkt wie eine vollaufgeblühte Rose, die zu Ihren Füßen liegt und darauf wartet, daß Sie sie aufheben und an Ihre Lippen drücken.« Wer wäre so unempfindlich, nicht zu begreifen, dass diese Rose auch den Namen einer durch neun Gefängnisse geschleppten Frau trägt?
Siegfried Sorz
]]>Diese klassische Fragestellung ist nach wie vor aktuell. Versuchen wir doch, sie für unsere heutige Situation hier in unserem Land zu betrachten. Sie können jetzt auf Seite 39 dieses Heftes blättern, auf unsere »Statistiken-
sind-Argumente«-Seite. Haben Sie’s? Ja, da steht, im März 2007 gab es
237.715 vorgemerkte Arbeitslose.
Leider scheint in unserer Statistik nicht auf, wie viel gemeldete Arbeitslose in Schulungsmaßnahmen des AMS waren, aber ich habe diese Zahl: Es waren im März 2007 59.085 Personen, die geschult wurden und deswegen in der offiziellen Statistik nicht aufscheinen. Wenn wir diese beiden Zahlen nun zusammenzählen, sind wir auf rund 300.000.
Dazu gibt es noch einige andere Gruppen von Menschen, die nicht aufscheinen, neben den SchulungsteilnehmerInnen ein Teil der PensionsvorschussbezieherInnen, Arbeitslose im Krankenstand oder mit Bezugssperre, Lehrstellensuchende und ÜbergangsgeldbezieherInnen müssen zu den Arbeitslosen dazugezählt werden. Daneben gibt es noch einige Gruppen, die Arbeit suchen und in der Statistik nicht
erfasst sind: nicht arbeitslos gemeldete Wiedereinsteigerinnen, Schul- und UniversitätsabsolventInnen, sogenannte Scheinselbständige, Personen mit Kurzzeitdienstverhältnissen, nicht arbeitslosenversicherte geringfügig Beschäftigte, SozialhilfebezieherInnen, usw.
Kritiker der Statistiken in unserem Nachbarland Deutschland führen zum
Beispiel an, dass man diese Zahlen mit gutem Gewissen verdoppeln könnte, wenn man versuchte, jene, die bereits resigniert haben und die nicht mehr »arbeitslos« gemeldet sind, die nur von den Eltern oder dem Lebenspartner miterhalten werden usw., zu berücksichtigen.
Nach Berechnungen meines Freundes Christian Winkler von der bischöflichen Arbeitslosenstiftung in Linz war »jede/r vierte Beschäftigte in Österreich im Jahr 2005 von Arbeitslosigkeit betroffen, 801.521 Menschen mussten diese Erfahrung machen. Einige kommen mit dieser Situation zurecht, viele aber erleben eine Krise. Neben den materiellen Sorgen, die mit dem unregelmäßigen Einkommen verbunden sind, gerät oftmals die Psyche in Gefahr.
Sinkendes Selbstbewusstsein ist das häufigste Zeichen. Viele Betroffene
schildern, dass sie alles unternommen haben was ihnen möglich ist, um einen passenden Arbeitsplatz zu bekommen. Doch derzeit sind ihre Aussichten auf dem Arbeitsmarkt sehr schlecht, es fehlen die Arbeitsplätze.
Das Problem Arbeitslosigkeit wird sichtbar an der Zahl der arbeitslosen Menschen.
Die Lösung dieses Problems liegt aber in der Schaffung zusätzlicher menschengerechter Arbeitsplätze«. Arbeitslosigkeit kann also jeden und jede treffen, die ist ein gesellschaftliches Problem und nicht nur das individuelle des (oder der) einzelnen Arbeitslosen. Was geschieht jetzt in unserer Gemeinschaft, in diesem unserem Staat und unserer Gesellschaft? Da wird jetzt verlangt, den Arbeitsmarkt für ausländische Arbeitskräfte zu öffnen. Bürgerliche Kommentatoren schreiben von der »Verlogenheit der Abschottung«, die gegen jeden Anstand« sei usw. Die kürzlich erfolgte Öffnung des Arbeitsmarktes für 800 Schweißer und Fräser aus Osteuropa ist dafür ein Beispiel. Wie wir heute sehr genau wissen, entstand dieser Bedarf künstlich durch überhöhte Bedarfsmeldungen vor allem im Bereich
von Leiharbeitsfirmen.
Zitat: Betreff: Ostöffnung/Projekt Schweißer, Dreher und Fräser Sehr geehrte Damen und Herren, nach langen Verhandlungen können nun doch erste Schritte zugunsten des Projektes »Schlosser und Schweißer aus Osteuropa« gesetzt werden: 1. Die Mitgliedsbetriebe sind eingeladen, ihren Bedarf an »Schlossern und Schweißern« kurzfristig, sehr vollständig und unter Bedachtnahme auf einen weiten Einsatzhorizont im innerbetrieblichen Geschehen an das lokal zuständige AMS zu melden …
»Anscheinend«, heißt es dazu in einem Kommentar, »anscheinend wird immer wieder vergessen, dass jeder arbeitslose Mensch von den Erwerbstätigen unserer Gesellschaft solidarisch mitfinanziert wird, oder gilt dies nur für unselbständige Arbeitnehmer und nicht für Unternehmer?
Macht dieses Beispiel Schule, kommen wir in den Zustand einer Zweiklassenarbeitnehmerschaft ohne Solidarität und Zusammenhalt, dem reinen Diktat der Dienstgeber ausgeliefert: Dies gilt es zu verhindern!« So viel möchte ich zum Tag der Arbeitslosen und zum Tag der Arbeit sagen.
Die Kernidee dieser Form von Solidarität scheint darin zu liegen, dass bestimmte Gruppen, die ein Gruppeninteresse haben, erkannt haben, dass sie dieses Ziel auf individuellem Wege vermutlich nicht erreichen werden, wohl aber dann, wenn sie als Gruppe zusammenhalten und das Gruppeninteresse einfordern.1)
»Die Gewerkschaftsbewegung ist ein gutes Beispiel für diese Form der Solidarität. Jeder einzelne Arbeitnehmer ist außerstande, sein Einkommen durch Druck auf den Unternehmer erfolgreich zu erhöhen. Statt dessen besteht aber die Möglichkeit, dass sich die Arbeitnehmer zusammenschließen und gemeinsam höhere Einkommen von der Unternehmerseite fordern.
Solidarität bündelt die Interessen der einzelnen und trägt erheblich zu deren effektiver Durchsetzung bei. Darin enthalten ist ein individueller Konflikt, da das Engagement in der Gewerkschaft kurzfristig mit persönlichen Kosten verbunden ist, langfristig aber für den Einzelnen von Vorteil ist.«2)
Solidarität ist also eine Form der Kooperation, die sich günstig auf die Interessen aller auswirkt, die zusammenhalten. Kritikpunkte an dieser Form der Solidarität sind unter anderem, dass in ihm auch eine gehörige Spur von (Gruppen-) Egoismus liege, andere Motive wären abstrakte moralische Prinzipien bzw. auch generell Altruismus bzw. Uneigennutz. Erfolgserlebnisse gegenseitiger Kooperation stärken den Zusammenhalt von Solidargemeinschaften mit gemeinsamen Interessen, wie zum Beispiel Gewerkschaften. Am Beginn der Selbstorganisation von gemeinsamen Interessen stand die »Brüderlichkeit «, zum Beispiel bei der Organisation von Zünften. Bemühungen um Solidarität können auch scheitern. Hier ein Beispiel aus den Anfängen der Frauenbewegung.
Brüder und Schwestern
Während der Französischen Revolution 1789 haben viele Frauen in vorderster Linie mitgekämpft. Sie nahmen an der Erstürmung der Bastille teil, gründeten ab 1790 Frauenclubs, die nicht nur karitative Ausgaben wahrnahmen, sondern über Menschenrechte und insbesondere Frauenrechte diskutierten, Protestmärsche organisierten und eigene Zeitungen herausgaben.
Ab 1793 wurde die Bewegung der Frauen mit allen Mitteln, sehr oft blutig unterdrückt. Zuerst verloren sie im April 1793 das Bürgerrecht, im Oktober 1793 wurden alle Frauenklubs verboten, und ab Frühjahr 1795 durften sie noch nicht einmal mehr an politischen Versammlungen teilnehmen.3)
Eine dieser Persönlichkeiten aus diesen Anfängen der Frauenbewegung in Europa war Olympe de Gouges. Sie verfasste unter anderem das bedeutendste Dokument der Bewegung, eine »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin«, in dem als Idealbild ein solidarisches Verhältnis von Frauen und Männern entworfen wird. Olympe de Gouges starb am 3. November 1793 unter der Guillotine. Sie hatte gewagt, den »Tyrannen« Robespierre zu kritisieren, ein anderes Stimmrecht zu fordern und überhaupt in einigen Flugschriften eine abweichende Meinung zu äußern. In ihrem Testament schrieb sie vor ihrer Hinrichtung:
»Ich vermache mein Herz dem Vaterland, meine Seele den Frauen, kein kleines Geschenk, meine Redlichkeit den Männern, sie haben es sehr nötig.«
Geschwisterlichkeit?
Die Vertonung von Schillers »Hymne an die Freude« im Schlusssatz der neunten Symphonie von Beeethoven »Alle Menschen werden Brüder« zeigt voll Überschwang einen Weg über die Gruppeninteressen hinaus, und die jetzige »Europahymne« ist ein Aufruf an die Menschen, sich im Zeichen der Freude zu vereinen, Grenzen zu überwinden und sich gegenseitig zu unterstützen. In Zeiten wachsender Fremdenfeindlichkeit ist die Europahymne aber auch ein Aufruf zu Versöhnung und Völkerverständigung, heißt es:
»Freude, schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium, Wir betreten feuertrunken, Himmlische, dein Heiligtum. Deine Zauber binden wieder, Was die Mode streng geteilt, Alle Menschen werden Brüder, Wo dein sanfter Flügel weilt.«
Siegfried Sorz
1)Kurt Bayertz (Hg.): Solidarität. Begriff und Problem. Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1998
2) Hans W. Bierhoff, Beate Küpper: Sozialpsychologie der Solidarität (in Bayertz 1998)
3) Zitiert nach Rainer Zoll: Was ist Solidarität heute? Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2000, Seite 49 ff. (»Fünfte Zwischenfrage: Wo blieben die Frauen?«)