Anstieg der Beschäftigungsquote
In den Jahren nach 2004 kam es zu einer erheblichen Steigerung der Beschäftigungsquote der 55- bis 64-jährigen Personen. Berechnet wird die Beschäftigungsquote mit der Formel: Prozent der Erwerbstätigen im Alter 55 bis 64 in der Gesamtbevölkerung im Alter 55 bis 64.
Im Zeitraum 2004 bis 2007 betrug der Anstieg nach Labour Force Konzept (LFK) 9,8 Prozentpunkte. Der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger (HV) meldete für den Vergleichszeitraum einen Anstieg von 5,9 Prozentpunkten.
Prozentpunkte messen die Veränderung einer Quote, z.?B. Veränderung von fünf Prozent auf 15 Prozent ergibt einen Anstieg um zehn Prozentpunkte. Die Veränderung eines Absolutbetrages wird hingegen in Prozent gemessen, z.B. Veränderung von 200 Personen auf 300 Personen ergibt einen Anstieg um 50 Prozent.
Hintergrund
Die Auswahl des Messkonzeptes spielt eine wesentliche Rolle für die Interpretation des Ergebnisses:
-> Das Labour Force Konzept kennt drei Gruppen von Personen: Erwerbstätige, Arbeitslose und Nicht-Erwerbspersonen. Als erwerbstätig gilt, wer in der Referenzwoche zumindest eine Stunde gegen Bezahlung gearbeitet hat, wer selbstständig oder als mithelfende(r) Familienangehörige(r) beschäftigt war, oder zwar einen Arbeitsplatz hatte, aber aufgrund von Urlaub, Krankheit oder Ähnlichem nicht gearbeitet hat. Basis des LFK sind Befragungen (Stichproben).
-> Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger weist auf Basis einer Vollerhebung die beschäftigt gemeldeten Personen aus. Dabei werden jedoch Selbstständige und geringfügig Beschäftigte nicht berücksichtigt.
Beide Konzepte haben Vor- und Nachteile. Im LFK werden z. B. PensionistInnen, die zusätzlich zu ihrer Pension geringfügig beschäftigt sind zu den Erwerbstätigen gezählt. Das LFK macht nur sehr eingeschränkt Aussagen über Umfang und damit über Existenzsicherung von Beschäftigung. Will man geringfügig Beschäftigte aus der Beschäftigungsquote ausnehmen, so muss man auf die HV-Daten zurückgreifen. Andererseits werden hier - wie erwähnt - Selbstständige nicht berücksichtigt.
Demografische Entwicklung
Einen wesentlichen Einflussfaktor auf die Entwicklung der Beschäftigungsquote älterer Personen stellt die Veränderung der Bevölkerungsstruktur dar. Zwischen 2004 und 2007 kam es zu einem Rückgang der Gesamtbevölkerung im Alter zwischen 55 bis 64 um 40.400 Personen. Das bedeutet, dass die Beschäftigungsquote selbst dann gestiegen wäre, wenn sich die Anzahl der erwerbstätigen Personen im Vergleichszeitraum nicht verändert hätte.
Grund für diesen Rückgang ist die Entwicklung bei der Gruppe der 60- bis 64-Jährigen, die - wegen der weltkriegsbedingt schwachen Geburtenjahrgänge Mitte der 1940er-Jahre - 2007 um 71.800 Personen kleiner war als 2004.
Das führt zu einem weiteren Effekt: Seit 2004 hat sich das Verhältnis in der Gruppe der 55- bis 64-Jährigen zugunsten der 55- bis 59-Jährigen verschoben. 2004 waren 48 Prozent der 55- bis 64-Jährigen 59 Jahre alt oder jünger, 2007 waren es 53,5 Prozent. Da die Erwerbsquote der 55- bis 59-Jährigen viel höher ist als jene der 60- bis 64-Jährigen, führte diese Verschiebung zu einem (statistischen) Beschäftigungsanstieg der Gesamtgruppe.
Entwicklung nach Geschlecht
Die Beschäftigungsentwicklung nach Geschlecht zeigt einen annähernd gleich starken absoluten Beschäftigungsanstieg bei Männer und Frauen. Der Anstieg bei den 55- bis unter 60-Jährigen wird stärker von den Frauen, der der 60- bis 64-Jährigen - wenig überraschend wegen des unterschiedlichen Pensionsantrittsalters - weit stärker von den Männern getragen. Die Unterschiede zwischen den Messkonzepten treten hier besonders stark hervor (siehe Tabelle: »Anstieg der Beschäftigungsquote nach Geschlecht«). Die starken Zuströme zur Altersteilzeit bis Ende 2003 beruhten meist auf Blockzeitvereinbarungen. 2004 war der Großteil dieser Gruppe noch in der Vollarbeitsphase, 2007 hingegen in der Freistellungsphase, wurde aber trotzdem als beschäftigt gezählt.
Korridorpensionsalter 62
Das gesetzliche Antrittsalter für vorzeitige Alterspensionen lag bis Mitte 2004 für Frauen bei 56,5 Jahren und für Männer bei 61,5 Jahren (Anhebung durch die Pensionsreform 2000 ausgehend von 55 bzw. 60 Jahren). Mit der Pensionsreform 2003 wurde die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit sofort, jene bei langer Versicherungsdauer - durch die Anhebung des Antrittsalters auf 60 bzw. 65 Jahre bis zum Jahr 2017 - etappenweise abgeschafft.
Im Rahmen der Pensionsreform 2004 wurde mit der Einführung der Korridorpension wieder die dauerhafte Möglichkeit eines »vorzeitigen« Pensionsantritts mit 62 Jahren geschaffen. Das Korridorpensionsalter von 62 Jahren gilt sowohl für Männer als auch für Frauen. Das bedeutet aber, dass Frauen von der Korridorpension bis zum Jahr 2028 - bis dahin liegt das Regelpensionsalter für Frauen unter 62 Jahren - nicht profitieren.
Abgesehen von der zeitlich befristeten Langzeitversichertenregelung, die Männern bei 45 Beitragsjahren noch einen Pensionsantritt ab 60 Jahren, Frauen bei 40 Beitragsjahren einen Pensionsantritt ab 55 Jahren eröffnet, besteht für Männer nunmehr frühestens ab 62 Jahren die Möglichkeit, eine Alterspension in Anspruch zu nehmen. Für Frauen wirkt die schrittweise Erhöhung des frühestmöglichen Antrittsalters fort bis letztlich ab 2028 ebenfalls 62 Jahre erreicht sind. Gegen Ende 2007 betrug dieses 57,5 Jahre und lag damit rund ein Jahr über jenem des Jahres 2004.
Die Erwerbsbeteiligung älterer Personen wird natürlich auch von der Anhebung des Pensionsantrittsalters für vorzeitige Alterspensionen mit beeinflusst. Der Anstieg der Beschäftigungsquoten war in den jeweils betroffenen Altersgruppen (Männer 60-64, Frauen 55-59) merklich stärker als in den von der Altersanhebung nicht betroffenen Altersgruppen (siehe Tabelle: »Anstieg der Beschäftigungsquote nach Geschlecht«).
Günstige wirtschaftliche Entwicklung
Die Beschäftigungsentwicklung wurde in den Jahren 2004 bis 2007 auch von der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung begünstigt. So lag das durchschnittliche reale Wirtschaftswachstum im Durchschnitt dieser Jahre bei drei Prozent, im Vergleich zu durchschnittlich ein Prozent zwischen 2001 und 2003. Dieser Aufschwung hat sich auf die Beschäftigungsquote aller im Erwerbsalter befindlichen Personen positiv ausgewirkt. Sie stieg (nach LFK) von 67,8 Prozent im Jahr 2004 auf 71,4 Prozent im Jahr 2007.
Weblinks
Arbeitsmarktstatistik bei Statistik Austria
www.statistik.at/web_de/statistiken/arbeitsmarkt/index.html
Beschäftigungsdaten des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger
www.sozialversicherung.at
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Ein neues Altersgefühl
Für Österreich ist laut Statistik Austria schon mittelfristig (2020) mit einem Anwachsen der Gruppe der über 60-Jährigen auf 20 Prozent zu rechnen. Längerfristig (ca. ab 2030) sollen bereits über 30 Prozent der österreichischen Bevölkerung über 60 Jahre alt sein. Stoff genug für Spekulationen, wie sich die Gesellschaft über die nächsten Generationen hinweg verändern wird. Eine Welt geprägt von alten Menschen? Wohl kaum. Schon die vergangenen Jahrzehnte haben die Klischees über die »Alten« einigermaßen korrigiert. Ein neues Altersgefühl hat sich durchgesetzt und in der alternden Gesellschaft gleichsam einen massiven Verjüngungsprozess bewirkt.
Trotz aller übergeordneter Indikatoren und Kennzeichen der gesellschaftlichen Entwicklung, muss Altern vor allem als individueller Prozess gesehen werden. Nur von dieser Perspektive aus lassen sich Lösungen für die Herausforderungen entwickeln, die der demografische Wandel aufwirft.
Ältere im Regierungsprogramm
Die Diskussionen um Reformen der Pensions- und Gesundheitssysteme zeigen, wo die Schwerpunkte dieser Herausforderungen liegen: Die sozialen Sicherungssysteme geraten vor dem Hintergrund steigender Lebenserwartung und wachsender Nachfrage nach Gesundheitsleistungen und mehr PensionsbezieherInnen zunehmend unter Druck.
Im selben Zusammenhang wird auch die Zukunft der Pflege zur essenziellen Aufgabe. Auch die Tatsache, dass Unternehmen künftig mit älteren Belegschaften wettbewerbsfähig bleiben müssen, gibt neue Anforderungen vor. Gleichzeitig ändern sich auch die Strukturen der Absatzmärkte und somit die Anforderungen und Erwartungen, denen sich Unternehmen etwa hinsichtlich Produktentwicklung oder Marketing gegenübersehen.
Das Programm der neuen Bundesregierung setzt im Zusammenhang mit dem Thema ältere ArbeitnehmerInnen wichtige Signale: Die Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit und Beschäftigungsquote älterer ArbeitnehmerInnen sind als Ziele festgehalten. Mit einer Neuordnung der Altersteilzeit sowie weiterer Unterstützung von Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) als präventive Schritte zur Förderung der Arbeitsfähigkeit, sollen diese umgesetzt werden. Im Kapitel Gesundheit nimmt das Regierungsprogramm ebenfalls Bezug auf die Erfordernisse Gesundheitsförderung und Prävention. Entsprechende Maßnahmen finden sich auch im Sozialpartnerpapier »Arbeitsmarkt Zukunft 2010«.
Orientierung an den Lebenswelten
Die Vorgabe, Orientierung an den Lebenswelten und Zielgruppen (wie etwa Arbeitsplatz, Schule, sozial benachteiligte Gruppen) konkretisiert diese Zielsetzungen ebenso wie auch die Ankündigung von zielgruppenorientierten Schwerpunktsetzungen zur Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen. Im Kapitel Gesundheit ist zudem ebenfalls ein Hinweis auf den notwendigen Ausbau der betrieblichen Gesundheitsförderung enthalten.
Vonseiten des ÖGB und seiner Gewerkschaften gibt es klare Positionen und Vorschläge, mit denen sich die Zielsetzungen des Regierungsprogramms konkretisieren lassen. Im Rahmen des im April 2008 vorgelegten Aktionsplans für ältere ArbeitnehmerInnen haben die Sozialpartner etwa konkrete Vorschläge zur Weiterentwicklung der Altersteilzeit vorgelegt. Ein auch künftig möglicher gleitender Übergang aus der Beschäftigung in die Altersversorgung, gleichzeitig aber auch Anreize für längeres Arbeiten sind dabei die Eckpunkte.
Konkrete Vorschläge des ÖGB
Auch hinsichtlich der Weiterentwicklung der Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz haben ÖGB und Gewerkschaften konkrete Vorschläge und Forderungen: Die Schaffung eines flächendeckenden Systems der betrieblichen Gesundheitsförderung und die Anforderung, den Bereich Prävention auf eine möglichst breite Basis zu stellen, stehen dabei im Vordergrund.
Vor allem die Zunahme arbeitsbedingter Erkrankungen - damit sind Gesundheitsstörungen gemeint, die ganz oder teilweise durch Arbeitsbedingungen verursacht werden - sowie von psychischen Erkrankungen, machen starke Schwerpunktsetzungen erforderlich. Eine verpflichtende medizinische und arbeitspsychologische Durchleuchtung von Arbeitsbedingungen wäre dafür das richtige Instrument. Genauso wie eine Erweiterung des gesetzlichen Präventionsauftrages der AUVA um den Bereich arbeitsbedingter Erkrankungen.
In Abstimmung mit Maßnahmen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene ist vor allem eine konkrete Umsetzung von Strategien zur Umsetzung von Alternsgerechtheit auf betrieblicher Ebene ein Schlüsselerfordernis. Allerdings lässt sich Alternsgerechtheit bei weitem nicht nur auf Maßnahmen reduzieren, die Arbeitsplätze passend für ältere ArbeitnehmerInnen schaffen.
Alternsgerechtheit im Betrieb umsetzen heißt vielmehr, Initiativen auf die Verschiedenartigkeit der Belegschaft abzustimmen. Unterschiedliche Lebensumstände und Bedürfnisse in unterschiedlichen Lebensphasen sind dabei mit einzubeziehen und zu berücksichtigen - die von jüngeren wie auch jene älterer ArbeitnehmerInnen.
Die konkreten Ansatzpunkte im Betrieb liefern die Dimensionen Unternehmenskultur, Gesundheitsförderung und Prävention, ArbeitnehmerInnenschutz sowie Qualifizierung. Erforderlich dabei ist es, das Ziel Alternsgerechtheit als Querschnittsthema im Betrieb zu etablieren und in allen Unternehmensprozessen zu verankern.
Aktiv mitgestalten
Einzelne isolierte Projekte oder Maßnahmen, die nicht in ein Gesamtkonzept eingebettet sind, werden nicht zu einer alternsgerechten Arbeitsorganisation führen. So wird es nicht ausreichen, einzelne Gesundheitsprogramme anzubieten. Notwendig sind vielmehr umfassende Veränderungsprozesse, auf deren Basis beispielsweise stereotype Einstellungen gegenüber Älteren abgebaut werden, individuelle Ressourcen Platz zur Entfaltung finden und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Aufgabenstellungen und Gestaltungsmöglichkeiten geschaffen wird.
Genauso entscheidend für den Erfolg ist es, dass die Belegschaft in alle Prozesse mit einbezogen ist, ausreichend Informationen und vor allem Möglichkeiten zur aktiven Mitgestaltung erhält.
KURZ GEFASST
Das Altern der Gesellschaft braucht Gestaltung. Keine isolierten Maßnahmen, sondern vielmehr eine Gesamtheit von sich ergänzenden Ansätzen. Menschen zu ermöglichen, dass sie länger - gesund - im Erwerbsleben bleiben können, ergibt sich dabei als zentrale und übergeordnete Anforderung.
Die Absicherung des Gesundheitssystems und insbesondere Investitionen in Gesundheitsförderung und Prävention - sowohl gesamtgesellschaftlich als auch in der Arbeitswelt - sind dabei die maßgebenden Aspekte.
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Das Blatt wendet sich
Aber diese Erkenntnis hilft nichts, wenn Personalisten in Menschen über 35 nur noch Krankheit und Verfall sehen können und nicht das vielfältige Potenzial der Generation 50plus erkennen. Doch nach und nach wendet sich das Blatt: Die Erkenntnis Aristoteles, dass die Vollendung des Körpers mit 35 Jahren anzusetzen sei, die des Geistes aber erst mit 50, scheint sich da und dort herumzusprechen. So stellen z. B. Leiharbeitsfirmen durchaus ältere ArbeitnehmerInnen ein und diese werden von den Unternehmen auch nicht so ungern gebucht, sind sie doch erfahren im Job, belastbar und loyal. Der Nachteil für die Betroffenen: Wer bei Leiharbeitsfirmen beschäftigt ist, verliert seinen Arbeitsplatz als erstes, wenn Kündigungen anstehen.
Untersuchungen haben ergeben, dass zwischen jüngeren und älteren ArbeitnehmerInnen weit weniger Unterschiede bestehen als bislang angenommen. So führt zum Beispiel die »Empirische Analyse bestehender Beschäftigungshemmnisse« aus Baden-Württemberg an: »Ältere benötigen eine längere Einarbeitungszeit, können dann aber meist das Leistungsniveau von Jüngeren erreichen«, und weiter »Leistungsdefizite von Älteren in experimentellen Testsituationen treten an konkreten Arbeitsplätzen meist nicht auf«. Auch Untersuchungen zu Krankenständen bestätigen, dass ältere ArbeitnehmerInnen nicht öfter krank sind als jüngere.
Und trotzdem tun sie sich besonders schwer, wenn es darum geht mit 50+ noch einen guten Job zu finden. Dabei gibt es in der Geschichte eine Reihe von Vorbildern die Mut machen müssten. Mut, Ältere einzustellen und ihnen gute, wenn nicht gar exzellente Leistungen zuzutrauen: Dante begann erst mit 50 an seiner göttlichen Komödie zu schreiben, Churchill war 65 als er erstmals Premierminister wurde, Adenauer 73, als er Bundeskanzler der BRD wurde.
Was aber tun, wenn trotzdem der Job weg ist? Je nach Alter und Qualifikation können mehrere Strategien ans Ziel führen: Das AMS schult um, wenn es Chancen auf den Arbeitsmarkt gibt und ein/e ArbeitnehmerIn auch noch eine ganze Weile im neuen Job arbeiten könnte oder würde. Das schließt Umschulungen für Menschen knapp vor der Pension aus, erhöht aber die Chancen jener, die noch eine Weile im Arbeitsmarkt verweilen. Die billigere Variante für das AMS ist die Weiterbildung: Da kommen auch ältere ArbeitnehmerInnen leichter zum Zug. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Fördermaßnahmen, die den ArbeitgeberInnen die Einstellung dieser Menschen durch finanzielle »Zuckerl« versüßen. AMS, waff und die entsprechenden Stellen in den Ländern wissen mehr.
Emplacementstiftungen
Mag. Manfred Krenn, Forba (Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt), weiß um das Problem älterer ArbeitnehmerInnen, die aus dem Arbeitsprozess gedrängt werden: »Wem eine gute Grundausbildung fehlt, dem wird bei Jobverlust das im Beruf erworbene Erfahrungswissen entwertet.« Es gibt zwar Initiativen, die sich bemühen, dieses Wissen zu zertifizieren, die PersonalistInnen sind allerdings nicht wirklich überzeugt davon.
Ein guter Weg zu Arbeitsplätzen für ältere ArbeitnehmerInnen sind so genannte Emplacementstiftungen. Sie zahlen für eine festgesetzte Dauer hohe Anteile der Lohnkosten für die älteren Beschäftigten. So können sich Unternehmen ohne Risiko von deren Leistungsfähigkeit überzeugen. PersonalistInnen, die vorher BewerberInnen ab 40 gar nicht erst zu Bewerbungsgesprächen eingeladen haben, waren positiv überrascht über die gute Performance der Betroffenen.
Wer seinen Job verliert und keine Umschulung oder Weiterbildung braucht, kann sein Glück auch im Ausland versuchen. Selbst im deutschsprachigen Ausland werden Fachkräfte gesucht. Ältere deutsche ArbeitnehmerInnen zieht es seit einiger Zeit nach Dänemark, wo auch ältere Fachkräfte überdurchschnittlich gut bezahlt werden. Auch die Schweiz und die Niederlande profitieren von hoch ausgebildeten, mobilen Arbeitskräften.
Wer eine Ausbildung hat, tut sich leichter. Leichter auf dem Arbeitsmarkt, aber auch leichter eine andere Perspektive zu finden. So sind durchaus nicht alle, die das AMS manchmal auch mit sanftem Druck in die Selbstständigkeit gedrängt hat, unglücklich: Angelika M. betreibt in Niederösterreich ein kleines Cafe: »Die meisten haben gesagt, ich wäre verrückt, als ich mich mit 46 Jahren selbstständig gemacht habe. Aber ich habe es nicht bereut.« Mag. Manfred Krenn: »Selbstständigkeit ist allerdings nur für eine Minderheit wirklich die Lösung - die Menschen sind schnell überfordert und es ist extrem unsicher.«
ManagerInnen auf Zeit
Menschen die zeitlebens als ManagerInnen in Führungsfunktionen waren, sind nicht gefeit vor dem Schicksal vor der Zeit ohne Arbeit dazustehen. Auch wenn manchen von ihnen der Abgang durch »golden handshake« versüßt wird: Viele haben noch zu lange bis zur Pension und wollen auch durchaus weiterarbeiten. So hat sich aus der Not eine Tugend entwickelt: Arbeitslose ManagerInnen ohne Festanstellung heuern bei Unternehmen als »ManagerInnen auf Zeit« an. Die Liste der Unternehmen, die vor allem für zeitlich begrenzte Projekte auf das Know-how der Älteren zurückgreifen, ist lang: Bene, Berndorf, Doka, Fronius sind da ebenso zu finden wie die WKO, Ministerien, die Stadt Amstetten und zahllose Verbände und Vereine.
Eines ist nahezu allen älteren Arbeitssuchenden gemeinsam: Sie definieren sich über den abwesenden Job und leiden daher, auch bei guter finanzieller Absicherung, massiv unter mangelndem Selbstwertgefühl. Egal, wo die Reise hingeht: Wer schafft, seine Identität nicht ausschließlich aus der Erwerbsarbeit zu ziehen, ist schon einen Schritt weiter - vorausgesetzt, die finanzielle Ausstattung lässt dies auch ohne Selbstverleugnung zu.
Engagement für andere
Für manche, die nur noch eine kurze Zeitspanne bis zur Pension haben, ist das Engagement in einer gemeinnützigen Einrichtung das Richtige, um nicht aus einem erfüllten Arbeitsleben in ein tiefes schwarzes Loch zu fallen. Das muss man sich aber leisten können. Auch das - fast - ehrenamtliche Engagement in der Kinderbetreuung oder Altenbetreuung kann nur für wenige eine Lösung für die verbleibende Zeit zur Pension sein.
Selbstsicherheit und Engagement sind gerade für ältere Arbeitslose besonders wichtig. Wer es schafft, bei einer Vorstellung auf den Mehrwert, den das fortgeschrittene Alter für das jeweilige Unternehmen hat, zu verweisen, hat eine Chance die Abwehr der PersonalistInnen zu überwinden. Wer hartnäckig ist, dem wird das AMS eine vernünftige Maßnahme nicht verweigern. Und wer seine Zeit sinnvoll zu füllen versteht, signalisiert an ArbeitgeberInnen, dass er sich engagiert und auf keinen Fall unterkriegen lässt. Wer sich selbstständig macht, sollte wissen, dass es ein schwerer und harter Weg mit Risiko ist, der aber, bei Erfolg, den Rest des Berufslebens gut und oftmals selbst bestimmt zu füllen versteht.
Über eine Tatsache können wir uns aber nicht hinwegschummeln: Die Alterspyramide wird den Jugendwahn im Arbeitsprozess nicht mehr lange tragen: Schon jetzt steigt in manchen Branchen der Altersschnitt der Beschäftigen wieder. Unternehmen, die diese Entwicklung ohne Vorbereitungen verschlafen, werden in wenigen Jahren teuer dafür zahlen müssen. Sie müssen jetzt vorsorgen, dass sie auch für ältere MitarbeiterInnen attraktiv sind, denn die werden über kurz oder lang vermehrt am Arbeitsmarkt zu finden sein. Mag. Krenn: »Wir müssen diese Turbo-Leistungsverdichtung wieder auf ein tragbares Maß zurückstutzen, denn wir sehen schon jetzt 30-Jährige mit Burn-out, weil der Stress auf Dauer nicht ertragbar ist.«
Weblinks
Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt
www.forba.at
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EU-Projekt für Oberösterreich
Die im Rahmen des demografischen Wandels zu erwartenden Veränderungen sowie das höhere Pensionsantrittsalter werden sich auch auf die Altersstrukturen in den Betrieben auswirken und die Belegschaften werden deutlich älter.
Ein interessenpolitisches Ziel ist es daher, für ältere MitarbeiterInnen im Betrieb altersgerechte Maßnahmen und Rahmenbedingungen zu schaffen, damit sie bis zur Pension gesund und fit im Arbeitsprozess bleiben können. Das EU-Projekt WAGE wurde im Zeitraum von 2004 bis 2006 in Oberösterreich durchgeführt. Im Rahmen von WAGE wurden mit Hilfe von interessenpolitisch geleiteter Organisationsberatung Betriebsprojekte begleitet, die das Ziel hatten, Age Management im Unternehmen zu implementieren.
Mit Age Management ist einerseits die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der MitarbeiterInnen gemeint, andererseits auch der Unternehmenserfolg und die Erfüllung der Zielvorgaben.
Haus der Arbeitsfähigkeit
Im Mittelpunkt des finnischen Modells »Haus der Arbeitsfähigkeit« steht die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten (siehe Grafik: »Haus der Arbeitsfähigkeit«). Mit Arbeitsfähigkeit ist die »Summe von Faktoren gemeint, die eine Person in einer bestimmten Situation in die Lage versetzen, eine gestellte Aufgabe erfolgreich zu bewältigen. Auf der Grundlage dieser Definition geht man davon aus, dass Arbeitsfähigkeit nicht nur auf den Voraussetzungen des Beschäftigten basiert, sondern durch das Zusammenspiel von Individuum und Arbeit definiert ist.« (Vgl. Handlungsleitfaden »Umsetzung von Age Management im Betrieb. 2007, S. 2.)
Die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit baut auf folgenden vier Stockwerken auf:
Im Erdgeschoß findet sich die GESUNDHEIT: Dabei geht es um die Erhaltung der funktionellen Kapazität. Damit gemeint sind sowohl die körperlichen als auch die psychischen und sozialen Ressourcen.
Mögliche Lösungen in diesem Bereich sind beispielsweise die ergonomische Ausstattung der Arbeitsplätze, altersgerechte Schichtplangestaltung, Stressmanagement, Jobrotation.
Im 1. Stock stehen KOMPETENZ UND QUALIFIKATION: Dies zielt auf die kontinuierliche Weiterentwicklung und Qualifizierung von MitarbeiterInnen ab, durch lebenslanges Lernen, Erweiterung des Erfahrungsspektrums und der Einsatzmöglichkeiten durch Aus- und Weiterbildungen von MitarbeiterInnen.
Im 2. Stockwerk stehen MOTIVATION, WERTE, EINSTELLUNGEN: Motivation und Arbeitszufriedenheit sind zu einem hohen Maß von den Werten und Einstellungen gegenüber älteren MitarbeiterInnen abhängig. Daher ist die Frage wichtig: Gibt es Wertschätzung und Anerkennung älterer MitarbeiterInnen und wie sieht diese aus?
Im 3. Stockwerk steht ARBEITSORGANISATION: Dabei steht die Gestaltung von Arbeitsabläufen in Bezug auf körperliche, psychische und soziale Arbeitsanforderungen im Mittelpunkt. Lösungsmöglichkeiten in diesem Feld könnten z. B. Gestaltung der Arbeitszeit, Reduktion von Stressbelastungen, Flexibilisierung der Arbeitsbereiche etc. sein. Zusätzliche relevante soziale Faktoren im Haus der Arbeitsfähigkeit sind das familiäre Umfeld, der persönliche Freundeskreis, Hobbys, Freizeitgestaltung etc.
Bei der Organisationsberatung können auf der einen Seite durch fachliche Kompetenz Inhalte im Rahmen einer Beratung vermittelt werden, auf der anderen Seite setzt Organisationsberatung auf die Konzipierung und Begleitung von Beratungsprozessen. Die interessenpolitisch geleitete Organisationsberatung verfügt dabei über hoch effiziente Instrumente wie beispielsweise die Altersstrukturanalyse, Instrumente zur Arbeitsplatzgestaltung, zur Gestaltung altersgerechter Arbeitszeit, zur Arbeitsorganisation etc.
Zielsetzung eines Beratungsprojektes kann die Erarbeitung eines umfassenden Masterplanes sein, mit kurz-, mittel- und langfristigen Zielsetzungen.
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass Fachberatung, Diagnose, Masterpläne nicht ausreichen, um Age Management in einem Betrieb erfolgreich zu praktizieren.
Veränderungsmotor Gefühl
Es ist wichtig im Rahmen solcher Projekte auch die Betroffenen über alle Hierarchieebenen hinweg in den Beratungsprozess einzubeziehen. Damit ist auch ein Organisationsentwicklungsprozess verbunden, den Führung und das Management unterstützen müssen. Die BeraterInnen setzen auch auf möglichst erlebnisorientierte Methoden, die die Auseinandersetzung der Betroffenen mit dem Älterwerden anregen. Alter und Älterwerden ist mit Emotionen und Gefühlen verbunden. Diese Gefühle sollten im Beratungsprozess bewusst und als Veränderungsenergie genutzt werden.
Interessenpolitisch geleitete Organisationsberatung in Zusammenhang mit Age und Age Management ist eine Verbindung aus Fach- und Prozessberatung. Bestandteil der Fachberatung kann die Vermittlung von inhaltlichem Know-how, die Erarbeitung von Diagnoseschritten oder auch von möglichen Strategien sein. Auf Prozessebene geht es um die Sensibilisierung auf das Thema Altern, die Lösungsorientierung bei den Betroffenen und die eigenverantwortliche Umsetzung.
Interessenpolitisch geleitete Organisationsberatung ist eine spezielle Form von Organisationsberatung, die im Kontext von Interessenvertretungen steht. Die AK-Consult als Beratungseinrichtung für BetriebsrätInnen und Unternehmen ist Teil der Arbeiterkammer OÖ und steht im Kontext von Gewerkschaften. Im Rahmen von Beratungsprojekten zum Thema Age und Age Management stehen die interessenpolitische Zielsetzungen im Sinne der ArbeitnehmerInnen im Mittelpunkt. Im Unterschied zu anderen Beratungsansätzen ist interessenpolitisch geleitete Organisationsberatung daher »parteiisch«, damit ist jedoch nicht parteilich gemeint. Die Beratung ist geprägt von den Werten und dem ideologischen Hintergrund der gewerkschaftlichen Interessenvertretung.
Stärken und Grenzen
Am Beispiel der Betriebsprojekte von WAGE zeigte sich eine Stärke ganz besonders deutlich. Wie sich beim Thema Age und Age Management herausstellte, kann durch interessenpolitisch geleitete Organisationsberatung ein wirtschaftspolitisch relevantes Thema früher thematisiert werden als es Unternehmen tun würden. Da die Fördermittel von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellt werden, im Rahmen von WAGE von der EU, kann so die Implementierung von Age Management-Konzepten und Strategien beschleunigt werden.
Demgegenüber steht die Anforderung, bei der Auftragsklärung mit dem Unternehmen und BetriebsrätInnen sehr genau darauf zu achten, dass die Zielsetzungen und Erwartungen des Unternehmens und der Betriebsräte auch mit den interessenpolitischen Zielsetzungen übereinstimmen. Im Rahmen eines Beratungsprojektes zum Thema Age Management werden Austrittsmodelle und Sozialpläne verhandelt. Ziele wie Arbeitsbedingungen ergonomischer zu gestalten oder die Arbeitszeiten altersgerechter einzuteilen, können durchaus im Rahmen des Projektes erfüllt werden.
Aufgabe Interventionen
Es ist Aufgabe der BeraterInnen, den Prozess über gezielte Interventionen zu steuern mit dem Ziel, die Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten der Beteiligten zu vergrößern. Nach einer fundierten Diagnose und Problemanalyse ist es wichtig, Lösungen zu erarbeiten und Ressourcen zu entdecken. Auf diese Weise kann in einem Unternehmen Neues induziert und angedacht werden. Die BeraterInnen interessenpolitisch geleiteter Organisationsberatung erweitern die Funktion, die Handlungsspielräume für die Unternehmensführung, die Personalleitung und die Betroffenen, sodass ein gutes Älterwerden der MitarbeiterInnen im Betrieb möglich wird.
Buchtipp
AK-Consult:
Umsetzung von Age Management im Betrieb.
Ein Handlungsleitfaden für BetriebsrätInnen und Unternehmen, Informationsblatt der Kammer für Arbeiter und Angestellte OÖ, Linz 2007.
Zum Download:
www.netzwerk-hr.at/files/Leitfaden.pdf
Weblinks
Mehr Infos unter:
www.wage.at
www.arbeiterkammer.at
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Mit 35 die Pension im Visier
Es gibt aber auch ganz andere, bestätigt Helene Pumm, Personalentwicklung und Recruiting der Erste Bank: »Es gibt die Sorte Menschen, die ab 35 die Pension im Visier haben, und die anderen, die glauben sie bleiben ewig jung und nicht daran denken, dass es irgendwann einmal in der Pension enden wird.« Um die Pension weder als Schreckgespenst noch als Elysium, sondern gut vorbereitet zu erreichen, bietet die Erste Bank Seminare für jene MitarbeiterInnen an, die einige Jahre vor dem Erreichen der Pension stehen. Dabei geht es sowohl um die eigene Gesundheit und Leistungsfähigkeit, aber auch um das Unternehmen als lernende Organisation und um Wissensmanagement innerhalb der Mitarbeitergenerationen. Das Seminar soll »Handlungsspielräume der älteren MitarbeiterInnen erkennen und erweitern« helfen, soll auf einen neuen Lebensabschnitt vorbereiten und die Fähigkeiten zur Weitergabe des eigenen Wissens stärken.
Generation mit hohem Potenzial
»Das Programm der Erste Bank ›Lifetime‹ hat sich zum Ziel gesetzt, altersadäquate Arbeits- und Entwicklungsbedingungen für alle MitarbeiterInnen zu sichern«, so Helene Pumm zu dem bereits zweimal mit dem Nestor-Preis ausgezeichneten Projekt. Dort wird gemeinsam geplant, wie erworbenes Wissen weitergegeben werden kann, wie »Loslassen« wirklich glücken kann, und wie das persönliche Wohlbefinden in den letzten Arbeitsjahren erhalten werden kann.
Die Erste hat, wie einige andere Unternehmen mit ihr, erkannt, dass sich die Altersstruktur der Bevölkerung zugunsten der Generation 50plus entwickelt. Und dass diese Generation eine Menge Potenzial hat: Die junge Disziplin der Altersforschung liefert die Beweise, dass viele Bereiche der Intelligenz und Lernfähigkeit sich unabhängig vom Lebensalter entwickeln lassen, dass vieles, was mit Intelligenz und Kompetenz als Wissen zu tun hat, bis ins hohe Alter gut funktionieren kann. Mit den Jahren wachsen auch emotionale und soziale Reife. Dieses Kapital sollten Unternehmen nutzen und MitarbeiterInnen fördern.
Abschied ohne Trauer
Doch nicht jeder Arbeitgeber weiß diese Kompetenzen zu schätzen: Klaus T., langjährig in der Textilbranche tätig, kann ein Lied davon singen: «Obwohl mein Vis-a-vis in den Geschäften ebenfalls nicht mehr die Jüngsten waren und sich durch jahrelange Betreuung ein starkes Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte, wurde das Arbeitsklima im Unternehmen immer schlechter. Meine Leistungen wurden, auch wenn sie deutlich über denen mancher Junger lagen, heruntergemacht. Willkürliche Schikanen wurden häufiger.« Das machte es Klaus T. leicht, nach einer Erkrankung in die Frühpension zu gehen, statt noch zwei weitere Jahre zu arbeiten: «Ich habe mich auf die Pension schon eine ganze Weile gefreut. Wissen Sie, ich habe mit 14 begonnen zu arbeiten, und seitdem war ich keinen Tag arbeitslos. Die Idee zu reisen, Freunde zu treffen und mich in meinem Garten zu beschäftigen hatte schon etwas Verlockendes.« Während der aktiven Zeit blieb unter der Woche kaum Zeit für die sogenannten schönen Dinge des Lebens. Das war nach der Pensionierung anders: »Meine Frau und ich haben Konzertabonnements gekauft. Ich genieße es, mich erstmals in meinem Leben regelmäßiger mit Kunst auseinandersetzen zu können. Das ist eine neue Welt für mich.« Ein Wermutstropfen war schon dabei: »Es war eine lange Zeit in ein und demselben Unternehmen. Auch meine Kunden kannte ich jahrelang. Zu einigen habe ich eine richtige Freundschaft aufgebaut, aber man hat sich immer nur in der Arbeit gesehen. Jetzt besuch ich sie halt privat.« Dem Unternehmen selbst weint er allerdings keine Träne nach.
Start in ein neues Leben
Michael H. war leitender Angestellter in der Elektroindustrie und in den letzten Jahren im Beruf voll gefordert. Er war erfolgreich und alle glaubten, dass ihn nach seiner leitenden Tätigkeit die Pensionierung wie ein Schock treffen müsste. Doch er hatte keinen Pensionsschock: Er erfüllte sich einen Bubentraum und kaufte sich ein Motorrad und seiner Frau einen zweiten Helm. »Ich bin im Februar in Pension gegangen und schon die ersten warmen Tage haben wir für lange Ausfahrten genützt. Mittlerweile fahre ich zwar mehr allein, weil meine Frau die Zeit, die sie für sich hat, auch sehr genießt.«
Überhaupt verändern sich Partnerschaften in der Pension, auch wenn nicht jede Pensionierung in einer Katastrophe wie im legendären deutschen Film «Papa ante Portas« des Komikers Loriot mündet. Für Michael H. änderte die Pension viel, denn er nahm ab seinem ersten Tag im Un-Ruhestand (wie er diese Zeit selbst bezeichnet) teil an der Erziehung seiner drei Enkelkinder. Gemeinsam mit seiner Frau betreut er die Kinder nachmittags und bei Bedarf und genießt die Zeit mit den Kleinen sichtbar: »Meine eigenen Kinder habe ich ja nicht wirklich sehr intensiv beim Aufwachsen erlebt, weil der Job doch sehr zeitintensiv war. Über ihre Entwicklungsfortschritte wurde ich oft erst im Nachhinein informiert. Jetzt bin ich es, der meinen Kindern erzählen kann, dass das Enkelkind schon ohne Stützräder Fahrrad fahren kann.«
Doch neben diesen sehr persönlichen Veränderungen, gibt es Umstellungen, die alle treffen: Wer sich »professionell« auf die Pension vorbereiten will, der hat mehr zu tun, als den Enkelkindern am Fahrrad hinterherzulaufen: Die Wohnsituation sollte im Idealfall jetzt dem kommenden Lebensabschnitt angepasst werden. Das Bad sanieren, eventuell von der Badewanne auf eine barrierefreie Dusche umsteigen, all das können sinnvolle Vorbereitungen auf das Leben »danach« sein. Wer es sich leisten kann, sucht jetzt noch eine Wohnung in einem Haus mit Aufzug. Auch finanzielle Angelegenheiten sollten ein paar Jahre vor der Pension in die richtigen Bahnen gelenkt werden.
Positives Klima
Wer all das geregelt hat, kann sich in den letzten Jahren vor der Pension im Job auch darauf konzentrieren, sein gewachsenes Wissen weiterzugeben. Denn viele Dinge sind nirgendwo verschriftlicht und für Nachfolgende nicht zu erfahren, es sei denn, diese haben Zeit und Ressourcen dieses gewachsene Wissen weiter zu erhalten. TeilnehmerInnen am Seminar Lifetime sehen das genauso: »Ich freue mich jetzt darauf, mein Wissen und meine Erfahrungen an Junge weiterzugeben. Ich werde meiner Führungskraft Vorschläge für die Umsetzung machen.« »Ich glaube, man arbeitet motiviert bis zum Schluss und geht dann leicht in die Pension, wenn man selbst und die Arbeit, die man leistet, auch in den letzten Jahren geschätzt wird. Dann kann man mit großer Zufriedenheit gehen und etwas anderes anfangen«, resümiert Michael H. seine letzten Jahre im Beruf und den Start der Pension.
Mit Selbstvertrauen in Pension
Wer allerdings in den letzten Jahren im Beruf drangsaliert wird und merkt »ich bin nichts mehr wert«, leistet weniger und geht trotzdem oftmals schwerer in Pension. Selbstvertrauen und eine positive Einschätzung der eigenen Fähigkeiten sind sowohl im Job als auch beim Gang in die Pension gute Voraussetzungen. Die Unternehmen können hier - auch zum eigenen Nutzen - positiv unterstützen.
Weblinks
Projekt LIFETIME
www.www.erste-bank.at/GB2007/DE/GB2007_DE_Lage_017.html
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Alterung und Geburtenrückgang
Das Max-Planck-Institut für demografische Forschung hat errechnet, dass derzeit in Westeuropa etwa 20 Prozent der Bevölkerung älter als 60 Jahre sind. Bis 2020 könnte sich dieser Anteil auf etwa 25 Prozent erhöhen, bis 2050 auf 37 Prozent. Etwa vier Prozent der Menschen sind derzeit über 80 Jahre, bis 2040 wird dieser Anteil vermutlich auf acht Prozent steigen. Ursachen sind die steigende Lebenserwartung und eine Geburtenrate, die unter den 2,1 Prozent liegt, die notwendig sind, um die Bevölkerungszahl konstant zu halten. Die durchschnittliche Geburtenrate liegt in Europa derzeit bei 1,5 Kindern pro Frau. Österreich liegt mit 1,42 Kindern pro Frau sogar unter diesem Schnitt. Soweit die Zahlen, die die Basis für die demografischen Angstszenarien bilden.
Die Alterung der Bevölkerung bewirkt, dass auch die Erwerbstätigen im Schnitt immer älter werden. Bei gleichzeitig sinkenden Geburtenzahlen ist es naheliegend, dass die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter zurückgeht. Für viele einleuchtend scheint daher die Schlussfolgerung, dass Sozialleistungen bald nicht mehr finanzierbar sein werden.
Wir können es uns leisten
Doch diese Sichtweise ist zu einfach. Gesellschaftliche Herausforderungen werden »demografisiert«: Indem man die Demografie vorschiebt, wird von politischen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen abgelenkt. Auch wenn die demografische Alterung der Gesellschaft unaufhaltsam ist, heißt das nicht, dass wir mit ihren Folgen nicht leben können. Der Mannheimer Ökonom Axel Börsch-Supan sagt dazu: »Die Demografie ist kein Tsunami, der uns überrollt.« Unabhängig von der angenommenen Geburtenrate brächten alle Prognoseszenarien das gleiche Wirtschaftswachstum. Weiter gedacht kann man daraus schließen: Eine Gesellschaft kann auch mit weniger Erwerbstätigen immer reicher werden. Entscheidend ist die Produktivität. Eine Gesellschaft in der der Wohlstand seit Jahren kontinuierlich steigt, kann sich auch leisten zu fragen, was brauchen wir, und wie können wir das unter sich ändernden Rahmenbedingungen finanzieren, statt in die Defensive zu gehen und zu sagen, was können wir uns angesichts dieser beängstigenden Zahlen noch leisten?
Aus Sicht der ArbeitnehmerInnen sieht Börsch-Supan auch Positives am prognostizierten Bevölkerungsrückgang. Die qualifizierte Arbeitslosigkeit würde sich durch die Demografie von selbst erledigen. Das Schweizer Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos sagt eine Halbierung der Arbeitslosigkeit bis 2030 voraus. Das bedeutet allerdings nicht, dass alles so bleiben kann, wie es ist. Denn problematischer noch als die demografische Entwicklung ist, dass Österreich eine der niedrigsten Beschäftigungsquoten älterer ArbeitnehmerInnen hat.
Umdenken ist notwendig
Derzeit arbeiten die ÖsterreicherInnen durchschnittlich bis 57,5 Jahre. 91 Prozent der ÖsterreicherInnen gehen vorzeitig in Pension. Trotz Erhöhung des gesetzlichen Pensionsalters bleibt die Erwerbsquote der älteren ArbeitnehmerInnen unverändert niedrig. Das heißt jedoch nicht, dass die ÖsterreicherInnen ab Ende 50 nicht mehr arbeiten wollen. Im Gegenteil, Ältere werden häufig aus dem Arbeitsmarkt gedrängt, können zwar noch nicht in Pension gehen, haben aber in der Realität auf dem Arbeitsmarkt keine Chance mehr. Hier muss ein grundsätzliches Umdenken stattfinden. Möchte man auf die demografische Entwicklung angemessen reagieren, dann müssen ältere ArbeitnehmerInnen als wichtige Arbeitskräfte gesehen werden. Arbeitsplätze und Arbeitszeitmodelle müssen sich stärker auf die Bedürfnisse von Menschen ausrichten, die länger arbeiten müssen. Dazu gehören Investitionen in Prävention und betriebliche Gesundheitsvorsorge oder Jahresarbeitszeitmodelle, die regelmäßige zusammenhängende Auszeiten ermöglichen.
Der französische Demograf Hervé Le Bras bestätigt diese Sichtweise. Er geht davon aus, dass die meisten europäischen Länder über beträchtliche Reserven an Arbeitskräften unter der Altersgrenze von 65 verfügen. Für die Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen bis 2050 sei daher entscheidend, wie es gelingt, diese Menschen in den Arbeitsmarkt einzubinden. Wenn die Erwerbsquote von Frauen und Älteren bis 2050 unverändert bliebe, würde die Zahl der Erwerbstätigen in der EU von derzeit 216 Mio. auf nur noch 180 Mio. absinken. Das ist ein Rückgang von fast 17 Prozent. Wenn es dagegen gelänge, die Erwerbsquote von Frauen 2050 auf jene der Männer zu erhöhen und gleichzeitig die Erwerbsquote der Menschen zwischen 55 und 64 in allen Ländern auf den Stand von Schweden stiege (derzeit 72,9 Prozent), würde die Erwerbsbevölkerung nur noch um undramatischere 1,5 Prozent schrumpfen.
Alterung und Gesundheit
Häufig übersehen wird bei all der Angstmache auch die Tatsache, dass die steigende Lebenserwartung ein positiver Aspekt der Alterung ist. Bis 2050 wird die Lebenserwartung bei Männern um sechs Jahre, bei Frauen um fünf Jahre steigen. »Gleichzeitig mit dem Sterbealter verschieben sich auch Gesundheitsprobleme nach hinten«, argumentiert Le Bras. Daher würden auch die Gesundheitskosten nicht in dem dramatischen Ausmaß steigen, wie von der WHO errechnet. Denn diese sei in ihrem Rechenmodell davon ausgegangen, dass zwar die Lebenserwartung, nicht jedoch das Alter, in dem sich gesundheitliche Beeinträchtigungen verstärkt einstellen, steigt. Le Bras dagegen geht in seinen Berechnungen davon aus, dass trotz steigender Lebenserwartung jene Lebensspanne gleich lang bleibt, in der Menschen bei schlechter Gesundheit sind. Er beziffert den jährlichen Anstieg der Gesundheitskosten, der allein durch den wachsenden Anteil älterer Menschen entsteht, auf unter 0,1 Prozent pro Jahr. Die Alterung der Bevölkerung stellt für ihn daher keine Bedrohung der europäischen Gesundheitssysteme dar.
Argument der Rechten
Nicht nur als Argument für den Rückbau von Sozialsystemen muss die Demografie herhalten. Auch die Rechten bedienen sich gerne der Demografie, wenn es darum geht, vor der drohenden Überfremdung der angeblich aussterbenden westlichen Gesellschaften zu warnen. Dabei wird gerne das Bild der »Bevölkerungspyramide« bemüht, die ihre breite Basis an Kindern verloren habe und sich immer mehr zu einer »Urne« entwickle. Der deutsche Bevölkerungsgeograf Stephan Beetz meint, diese Bevölkerungspyramide sei ein Sollbild, das in der Realität zum Glück in den Industrieländern schon lange nicht mehr existiere. Pyramidenförmig habe die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland nur bis etwa 1910 ausgesehen. Mit einer solchen Bevölkerungsentwicklung sei nicht nur eine hohe Geburtenzahl, sondern auch eine hohe Kinder- und Säuglingssterblichkeit und eine niedrige Lebenserwartung verbunden. Ähnliche Bevölkerungspyramiden haben heute die ärmsten Entwicklungsländer. Die Diskussion über eine »gesunde Bevölkerungspyramide« ist daher unnötig und basiert auf falschen Annahmen. Im Zusammenhang mit der Geburtenrate sinnvoll ist es allerdings, sich im Detail anzusehen, wie sich die Geburtenrate in den europäischen Ländern entwickelt. Empirisch nachweisbar ist nämlich, dass die Frauen dann besonders lange zögern, Kinder zu bekommen, wenn auch der Zugang zu Beschäftigung schwierig ist. »Absurderweise schlägt sich das Bemühen, die Frau im Haus zu halten in einer Verringerung der Familiengröße nieder«, argumentiert Le Bras. Wohingegen in Schweden, einem der progressivsten Länder was Gleichberechtigung und Zugang von Frauen zum Arbeitsmarkt betrifft, jede Frau im Durchschnitt immer noch mehr als zwei Kinder bekommt.
KURZ GEFASST
Das Thema Demografie ist vielschichtiger und wohl auch weit weniger bedrohlich als uns oft vorgemacht wird. Es lohnt sich daher, Angstszenarien zu hinterfragen. Wenn wir uns dagegen vor dem vermeintlichen Aussterben zu Tode fürchten, dann kann es leicht passieren, dass wir Einschnitte bei Pensionen und Gesundheit als Folgen einer Art Naturkatastrophe einfach geschehen lassen.
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"Öffentlichkeitsstrategie Demografie"
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Gruftie oder Power-Frau?
Es macht längst keinen Sinn mehr, von »den Alten« oder von »den 50-jährigen Frauen« zu reden. Man muss sich immer wieder neu darauf einigen, von wem genau die Rede ist. Wenn die Gruppe der über 50-Jährigen in einer Gesellschaft zahlenmäßig dominiert, ist eine Imagepolitur ratsam. Wobei es nicht allein um die allgemeine Hebung des Selbstbewusstseins ginge, sondern auch um eine Hebung der wirtschaftlichen Stärke. Denn das Segment derer, die Probleme mit dem Alter haben ist in den unteren Einkommensklassen stark überrepräsentiert. In diesem Punkt sind sich Österreichs Meinungsforschungsinstitute einig. Wer hätte es gedacht?
Eine Humanisierung im Umgang mit älteren Menschen insgesamt ist wohl zu spüren. Auch die Psychoanalytikerin Eva Jaeggi vermerkt eine Verbesserung in der Rezeption des Alters. Seniorenstudium und Volkshochschulkurse zur geistigen Fitness sind immerhin humaner, als unnütze vergreisende Esserinnen den Raben vorzuwerfen, wie vor etlichen Generationen in bäuerlichen Regionen Japans üblich.
Frauenbarometer
Der »Frauenbarometer 2007« - eine Art Seismograf weiblicher Befindlichkeit im Raume Wiens (jährlich erstellt vom IFES-Institut) - konstatiert eine positive Einstellung unter den zwischen 45-und 65-Jährigen zum eigenen Alter. 28 Prozent vermuten sogar mehr Vorteile, während dies bei 19 Prozent umgekehrt der Fall ist. Als größter Vorteil wird genannt, mehr Zeit für sich zu haben. Auch höhere Gelassenheit und ein reicher Erfahrungsschatz werden als Pluspunkte angeführt. Als nachteilig, auch das verwundert kaum, werden die wachsenden gesundheitlichen Beschwerden und das Sinken der Leistungsfähigkeit genannt. »Einige nehmen auch eine Abnahme ihrer Attraktivität wahr«, vermerkt der Bericht.
Man ist schließlich ab 50 und noch nicht blind. Allerdings, und hier ist einzuhaken: Auch Attraktivität ist ein gesellschaftliches Konstrukt. Klischees und Stereotype haben die Tendenz, von denen verinnerlicht zu werden, die mit ihnen bedacht sind. Während sich die Generation unserer Mütter ab 45 mit Dauerwelle, Perlonstrümpfen und dezenter Kleidung fast geschlossen der Enkelpflege widmete, steht uns heute eine größere Auswahl möglicher Rollen zur Verfügung.
Die sind so unterschiedlich, dass man bei 30-jährigen Maturatreffen bisweilen nicht weiß: Hat da jemand die Kinder oder die Eltern mitgebracht?
Psychoanalytisch wird uns ein Identitätsmanko attestiert. Ähnlich wie in der Pubertät werden wir unruhig, unsicher und probieren verschiedene Rollen aus. Oftmals fühlen wir uns darin gar nicht wohl. Eine Schattenseite unserer Kultur, meint Eva Jaeggi, die zunehmend humaner mit dem Alter umgehe, aber dennoch bisher eine geeignete Altersidentität verweigert und nichts besseres anzubieten hat, als »du bist doch noch gar nicht so alt«.
Immerhin 72 Prozent der für den »Frauenbarometer« befragten Frauen gaben an, an sich unlängst körperliche Veränderungen wahrgenommen zu haben, die sie auf das Älterwerden zurückführen. Als häufigste Strategie, um die Folgen zu mindern, wird auf gesunde und ausgewogene Ernährung zurückgegriffen. Weiters: Sport und mehr Zeit für die Pflege des Äußeren. Das ist nie verkehrt.
Das Rollenrepertoire ist heute zwar breiter, dennoch lassen wir uns grob gesprochen in drei sozio-demoskopische Großgruppen gliedern: Die gut situiert Zufriedenen, die mäßig Zufriedenen und die schlecht situiert Resignierten.
Letzterer gehören überdurchschnittlich oft geschiedene und verwitwete Frauen an, die es finanziell nicht leicht haben, vermerkt der Frauenbarometer 2007. Deren Lebenseinstellung ist tendenziell eher depressiv. Die relative Mehrheit ist bereits in Pension, weiters ist ein höherer Anteil von Arbeitslosen darunter. Diese Gruppe ist am stärksten auf die Unterstützung durch die Stadt Wien angewiesen. Aufgrund der eher zurückgezogenen Lebensweise sind sie aber schwerer zu erreichen.
Insgesamt 18 Prozent der Befragten haben eine sogenannte Pflegeverpflichtung. Einkommensschwache sind häufiger darunter zu finden - vor allem im eigenen Haushalt. »Wohl auch deshalb, weil eine externe Pflege finanziell einfach nicht leistbar ist«, meinen die ExpertInnen.
Das Bild
Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, dass ältere Frauen in den Medien nicht richtig repräsentiert werden. Man könne davon ausgehen, so der »Frauenbarometer 2007«, dass dies auch mit der allgemein geringeren Repräsentanz der Silver Generation in den Medien zusammenhänge. Grauhaarige Modelle sind inzwischen häufig anzutreffen. Klischeehaft ist die Darstellung der Älteren immer noch. Während Ältere lange gar nicht oder hilfsbedürftig und gebrechlich gezeigt wurden, kommen sie nun als reitende, surfende oder laufende Energiebolzen vor.
»Wir jungen Alten haben keine Identität, wir haben daher auch nur sehr vage Vorstellungen davon, welche Lebensformen uns zustehen, wie wir uns selbst bezeichnen sollen«, schreibt Eva Jaeggi. Die Vorstellung von Alter ist unscharf. Über 72 Prozent von (in Deutschland) befragten 50plus-Frauen gab an zu glauben, jünger auszusehen als sie sind.
Wenn man also jünger aussieht als man ist: Wie sieht man dann aus, wenn man genauso alt ausschaut, wie man wirklich ist?
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Phase zwei: Produktivitätslegende
In Phase zwei erlebte die »Produktivitätslegende« ihren Höhepunkt. Den Boden dazu bereitete die OECD-»Jobs-Study« von 1994. Das Argument: Die Produktivität Älterer entspreche nicht mehr den Löhnen, d. h. den Kosten, daher müssten sie aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Würden diese heruntergefahren und Regulierungen, die Arbeitsverhältnisse einzementieren, beseitigt, steige die Nachfrage und Ältere würden wieder Beschäftigung finden. Damit war der Übergang von der wohlfahrtsstaatlichen Politik sozialer Rechte zur Risikoverlagerung auf die AnbieterInnen von Arbeitskraft am Arbeitsmarkt eingeläutet.
Der Produktivitätsorientierung wurde ein Konzept des »alternsgerechten Arbeitens« entgegengehalten. Es besagt, die Zahl der erwerbstätigen Älteren könnte angehoben werden - zur Sicherung des Sozialsystems -, wenn Arbeitsbedingungen geschaffen würden, die es Älteren erlaubten länger gesund und arbeitsfähig zu bleiben. Die Lockerung der Regulierungen der Arbeitsverhältnisse führe bloß zu mehr Kündigungen.
Nun zur dritten Phase, in der wir uns gegenwärtig befinden. Diese Phase wird zwar noch durchaus von Finanzierungsproblemen des Sozialsystems bestimmt. Stärker im Vordergrund steht nunmehr jedoch das Erkennen einer grundlegenden Umkehr am Arbeitsmarkt. Die bisherige »natürliche« (oft wird ein Zustand als natürlich angesehen, der ein, zwei Jahrzehnte angedauert hat) Annahme, es gäbe stets ausreichend Nachschub an jüngeren Arbeitskräften, gilt nicht mehr. Das Arbeitsvolk verweigerte zuletzt zunehmend die Reproduktion.
Dieser Umstand führt zu einer Neuinterpretation. In den beiden vorangegangenen Phasen war das Alter stets mit negativen Vorzeichen versehen, ein Defizit. In der ersten Phase bildete das die Begleitmusik zur Entfernung aus dem Arbeitsmarkt. In der zweiten Phase sollte es entweder zur Senkung der Kosten der Arbeit führen oder durch alternsgerechte Maßnahmen überwunden werden.
Phase drei: Sinneswandel
In Phase drei wird das Alter zunehmend neutral, wenn nicht positiv besetzt. Als Brücke dafür gilt die »Lebensphasenorientierung«. Diese tritt auf zwei Ebenen auf, in Arbeitsbeziehungen und als Generationenpolitik. In den Arbeitsbeziehungen bedeutet sie, dass Beschäftigte und Unternehmen bestimmte Einstellungen und Erwartungen haben, die sich je nach Lebensalter unterscheiden. Man spricht vom »psychologischen Vertrag«. Zwischen Beschäftigten und Unternehmen kommt es daher zu expliziten oder verborgenen Aushandlungsprozessen.
Auf der Ebene der Makropolitik der Lebensphasen (Life Course Policy) werden drei größere Abschnitte mit ihren jeweiligen Problemstellungen konzipiert: Abschnitt eins, der Übergang von der Ausbildung in den Erwerbsstatus. Dieser Übergang verschiebt sich, aufgrund der Verlängerung der Ausbildungszeit und neuer Erscheinungsformen der Übergangsarbeitsmärkte (Projektarbeit, prekäre Beschäftigung) zunehmend in ein höheres Lebensalter.
Hin zur Ressourcenorientierung
Abschnitt zwei, das Haupterwerbsalter, ist durch hohe und zunehmende Kompression gekennzeichnet. Grund dafür ist, dass die Absicherung am Arbeitsmarkt wenn überhaupt erst spät erfolgt. Dadurch werden zentrale Stationen des Lebens: berufliche Karriere, Familiengründung, Nachwuchs, Schaffen eines stabilen Umfelds, auf eine verkürzte Zeitspanne von zehn bis fünfzehn Jahren reduziert, denn danach droht das Alter.
Der dritte Abschnitt, das Alter, genauer der Status »Ältere am Arbeitsmarkt«, ist, aufgrund der demografischen Entwicklung im Wandel begriffen. Im Rahmen dieser Orientierung nach Lebensphasen, in der jeder Phase Spezifika zugeordnet werden, verliert das Alter seinen Status als Besonderheit. Es ist Gegebenheit des Lebens, wie andere auch.
Daraus ergibt sich für das Alter der Wechsel in der Zuschreibung von einer Defizit- hin zu einer Ressourcenorientierung. Die Ironie an diesem Perspektivenwechsel ist, dass neuere Untersuchungen sich nun empirisch mit dem Zusammenhang von Alter und Produktivität befassen und zu einem keineswegs eindeutigen Befund kommen. Demnach sind Ältere zwar geringfügig weniger produktiv als Erwerbstätige im Haupterwerbsalter, jedoch produktiver als Jüngere.*
Die Älteren der frühen 1990er-Jahre galten als eine Belastung, die des Jahres 2007 sind eine Ressource. Die Zuschreibungen haben sich verändert. Aber hat sich auch die Personengruppe verändert? Diese Frage kann nicht allgemein beantwortet werden, weil diese Gruppe sehr heterogen ist und Unterschiede innerhalb der Generationen, nach Ausbildung, Stellung im Beruf etc., vielfach bestimmender sind als zwischen den Generationen. Tatsächlich verbessert sich der körperliche und physiologische Zustand Älterer, auch das Ausbildungsniveau steigt an. Die Veränderung der Zuschreibungen scheint jedoch nicht in erster Linie durch die Charakteristika der älteren Personen selbst begründet zu sein. Allerdings verändert sie den Blick auf diese.
Gesellschaft im Wandel
Die demografische Entwicklung ist nur eines der Themen, die die Arbeitswelt gegenwärtig und weiterhin bestimmen werden. Betrachtet man die Alterung im Zusammenhang mit Veränderungen in der Erwerbsbevölkerung wie der Feminisierung und Multiethnizität, so lässt sich festhalten: Kontingenzen, d. h. schicksalhafte Gegebenheiten des Lebens, wie älter zu werden, Eigenarten des Geschlechts, die Reproduktion, kulturelle Diversitäten, gehen in dem Ausmaß in den Arbeitsprozess ein, in dem der zumindest eine Zeit lang vorherrschende Idealtypus der männlichen, adäquat ausgebildeten, kulturell unauffälligen, im Haupterwerbsalter stehenden Arbeitskraft an Zahl und Bedeutung verliert. Das bis dahin Besondere wird zum Normalen. Damit verändert beides seine Eigenart.
Diese Spannung bringt zahlreiche Konflikte mit sich. Diese Konflikträume wirken auf der privaten, mikropolitischen Ebene ebenso wie auf der mesopolitischen Ebene der Arbeitsbeziehungen in den Unternehmen und der makropolitischen Ebene staatlichen Handelns.
Altern der Erwerbsbevölkerung und Dejuvenisierung sind Fragen, die den Weiterbestand von Gesellschaften berühren und nicht auf die Privatsphäre und Personalabteilungen reduziert werden können. Schicksalsbewältigung ist das, wozu Gesellschaften als Solidargemeinschaften da sind. Derzeit sieht man zu wenig Staatshandeln. »Weniger Staat« wäre aber ein verhängnisvoller Weg.
* Vgl. Prskawetz u. a., Alters- und Bildungsstruktur der Beschäftigten und Produktivität in österreichischen Unternehmen 2001, in: Statistische Nachrichten 2/2008
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Zunehmender Leistungsdruck, die Angst vor Arbeitslosigkeit gepaart mit unklaren Zuständigkeiten und Fehlern bei der Arbeitsorganisation bilden den Nährboden für Konflikte am Arbeitsplatz. Zu den sogenannten Risikogruppen zählen speziell junge Menschen, Frauen und - in der öffentlichen Debatte kaum wahrgenommen - die älteren ArbeitnehmerInnen.
Laut einer Mobbing-Studie wurden 13 Prozent von 2.000 Befragten bei ihrem derzeitigen Arbeitgeber schon einmal systematisch schikaniert und diskreditiert. Bei den über 50-Jährigen hatte jede/jeder Fünfte bereits leidvolle Erfahrung mit Mobbing gemacht. Durch steten Druck sollen die Opfer dazu bewegt werden, freiwillig einen Posten zu räumen. Die Methoden:
In der Mobbingberatung des ÖGB Vorarlberg, die im Jahre 1999 eingerichtet wurde, sprechen die Fallzahlen eine noch deutlichere Sprache. Im Jahr 2007 waren rund zwei Drittel der Rat- und Hilfesuchenden 45 Jahre und älter bzw. Frauen. Nach Branchen/Berufen gegliedert, zeigt sich, dass zwei Drittel aus dem öffentlichen Dienst kommen. Traurige »Spitzenreiter« bildeten die Bereiche Krankenhaus/Pflegedienste, Gemeinden, Städtische Verwaltung, Vereine und Schulen. Dies deckt sich mit internationalen Befunden. Laut dem Frankfurter Psychologen Prof. Dieter Zapf ist in bestimmten Arbeitsbereichen das Risiko, zum Mobbing-Opfer zu werden, besonders hoch. So weisen Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialbereich ein 7-faches Risiko, im Erziehungs- und Unterrichtswesen ein 3,5-faches und in der öffentlichen Verwaltung ein 3-faches Risiko auf.
Für den Vorarlberger ÖGB-Mobbing-Berater, Dr. Gerhard Pusnik, ist dies vor allem in den »sicheren« Dienstverhältnissen, aber auch den hohen kommunikativen Anforderungen begründet. Öffentlich Bedienstete sind bei Konflikten nicht so leicht »loszuwerden«. Im besten Fall bekommen ältere ArbeitnehmerInnen den »golden handshake«, im schlimmsten Fall werden sie teilweise brutal hinaus gemobbt.
Was tun?
Der ÖGB Vorarlberg hat vor bald zehn Jahren mit einer beispielhaften Initiative eine Beratungsstelle für Betroffene und Ratsuchende eingerichtet, die kompetente Erstberatung sowie Vermittlung und Mediation bei Konflikten und Mobbing am Arbeitsplatz anbietet. Wichtig ist uns die Weiterentwicklung der Beratungsstelle, um Betroffenen - insbesondere älteren DienstnehmerInnen - Hilfe und Unterstützung gegen die zunehmenden Belastungen und Zumutungen geben zu können.
INFO & NEWS
ÖGB-Mobbingberatung Vorarlberg
Dr. Gerhard Pusnik
Mittwoch, 14-16 Uhr oder nach Terminvereinbarung
ÖGB, Widnau 2,6800 Feldkirch
Tel. 05522/35 53-18 bzw. 0664/391 86 46
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Das Alter rückt näher
Früher sah ein Dienstplan vier Einsätze pro Tag vor, heute sind es bei gleicher Arbeitszeit bis zu zehn. »In der verkürzten Betreuungszeit versucht die Heimhelferin - zu 92 Prozent sind es Frauen - alles, was an Kontakt und Hausarbeit zu tun ist, schneller zu erledigen«, erzählt die Betriebsrätin, die seit 17 Jahren in der Heimhilfe tätig ist. Sie ist inzwischen selbst 59 und macht sich Gedanken darüber, wie es ihr wohl ergehen werde, wenn sie selber alt und womöglich hilflos ist: »Ich möchte zu Hause bleiben können, so lange es geht«, sagt sie: »Natürlich hoffe ich, dass ich nicht für jeden Handgriff Hilfe benötige. Das Alter rückt näher und ich kann mir nur wünschen, dass es in Wien diese Betreuung vor Ort in Zukunft bzw. die finanziellen Ressourcen noch geben wird.«
Noch fühlt sie sich gesund und aktiv und kann von ihrer Erfahrung profitieren: Obwohl alles schneller geworden ist, sieht sie sich gerade wegen ihres Alters und der damit einhergehenden Reife und Geduld »in der glücklichen Lage«, Dinge langsamer zu machen und andere Prioritäten zu setzen. Priorität haben in erster Linie die Menschen und ihre sozialen Bedürfnisse - sie sind wichtiger als Geschirr waschen und andere Hausarbeiten. Da in den vergangenen Jahren auch psychische Erkrankungen - wie Manische Depression und Schizophrenie - zugenommen haben, betreute sie auch Menschen, die um vieles jünger sind als sie: «Junge KollegInnen schleppen mitunter alles Leid mit nach Hause, die Belastung ist groß, der Druck wächst. Ich gehe damit gelassener um.«
Denn das hat Renate Donhofer gelernt: Sich abzugrenzen und sehr bestimmt Nein zu sagen, wenn sie sich überbeansprucht fühlt. »Ich gestehe mir auch ein, dass ich manches nicht mehr kann.« Zum Beispiel, wenn die Einsatzleitung nach einem Acht-Stunden-Tag anruft und anfragt, ob man noch für weitere zwei Stunden einspringt: »Viele KollegInnen lehnen nicht ab, auch aus Angst den Job zu verlieren.«
Wenig Anerkennung, wenig Geld
Da ist auch das Burn-out nicht weit, denn Heimhilfen werden von Angehörigen bestenfalls als Putzpersonal angesehen, in Wahrheit sind sie Seelentrost und Organisationstalente im Haushalt. Trotz drohendem Zusammenbruch müssen ältere Heimhilfen irgendwie durchhalten. Donhofer: »Eine 55-jährige Kollegin, die sich überfordert fühlt, kann nicht in Pension gehen, und es gibt auch keine Ausweichmöglichkeiten im Job für sie - Menschen, die betreut werden, stellen hohe Anforderungen.« Allerdings ist diese Arbeit keine Einbahnstraße, weil von den Betreuten sehr viel an Dankbarkeit zurückkommt. Auch das wird einem mit zunehmendem Alter deutlich und bewusst, und man kann daraus Energie beziehen: »Wir sind für diese Menschen oft der einzige Lichtblick, sie warten ungeduldig auf uns, wehe man kommt zu spät. Wir werden als Töchter angesehen und uns wird viel aus der Vergangenheit erzählt. Und Pflegefälle, die nicht mehr reden können - die reden mit den Augen«, sagt Donhofer, kritisiert aber auch die schlechte Bezahlung in der wachsenden Branche. Trotzdem ist die Heimhelferin glücklich mit ihrem Beruf. Sie will in der Pension weiterarbeiten und später ehrenamtlich tätig sein. Und sollte sie selbst einmal Hilfe brauchen wünscht sie sich: »Einen ebenso respektvollen und würdevollen Umgang, wie ich ihn den betroffenen Menschen entgegengebracht habe.«
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Gewerkschaft vida
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Ausgewählt und kommentiert von der Historikerin Dr. Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at
Was wir ersehnen von der Zukunft ferne:
Dass Brot und Arbeit uns gerüstet steh’n.
Dass uns’re Kinder in der Schule lernen
Und uns’re Alten nicht mehr betteln geh’n.
Noch vor hundert Jahren war ein Alter ohne Not für viele so etwas wie ein ferner Traum. Nur dort, wo es schon Gewerkschaften mit funktionierenden Unterstützungseinrichtungen gab, hatten alte ArbeiterInnen, die in den Fabriken und Werkstätten nicht mehr mithalten konnten, eine kleine Chance, Hunger und Betteln zu entkommen. Auf jeden Fall wurde gearbeitet, so lange es ging. Auf der Totenliste nach dem Explosionsunglück in der Ottakringer Zelluloidfabrik 1908 finden sich nicht nur 16-jährige junge Frauen, sondern auch über 70-jährige Männer.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, galten auch gewerkschaftliche Unterstützungsleistungen nur für Arbeitsunfähigkeit, nicht weil ein bestimmtes Alter erreicht war. Als Gewerkschafter 1907 erstmals ins Parlament gewählt wurden, machten sie die Alterspension für ArbeiterInnen sofort zum Thema, aber erst ein Gesetz der Republik Österreich fixierte sie 1927 zumindest auf dem Papier. Die damals noch sehr kleine Gruppe der Angestellten erreichte dagegen noch zu Kaisers Zeiten eine (wenn zunächst auch sehr schlechte) gesetzliche Alterspension. Die gewerkschaftlich gut organisierten Eisenbahner, auf die Militär, Verwaltung und Wirtschaft angewiesen waren, setzten ebenfalls früher als andere ein eigenes Pensionsrecht durch, während die Staatsbeamten/-beamtinnen bis nach der Gründung der Republik darauf warten mussten. Um die Arbeiterpension zu verwirklichen, fehlten, so hieß es 1927, dagegen die notwendigen Budgetmittel, denn trotz der Beiträge von ArbeiterInnen und Unternehmen benötigte man natürlich auch Steuergeld, um das System aufzubauen. Es war eine ähnliche Situation wie bei der Einführung der Arbeitslosenversicherung 1919, nur eine andere Politik. 1919 entschieden sich Parlament und Regierung trotz riesiger Budgetprobleme für die Investition (und wurden dafür wenige Jahre später mit sinkenden finanziellen Belastungen »belohnt«). 1927 fuhren Regierung und Parlamentsmehrheit trotz des Wirtschaftsbooms der »Roaring Twenties« einen beinharten Sparkurs. Übrig blieb eine staatliche Unterstützung bei Berufsunfähigkeit im Alter. Erst die NationalsozialistInnen brachten 1938 das (lange vor ihrer Zeit entstandene) deutsche Recht auf Arbeiterrente mit, aber es wurde bald durch die Kriegs- und Terrorgesetzgebung unterlaufen. So blieb es eine der ganz großen Kulturleistungen der Zweiten Republik, die Pensionsversicherung für alle ArbeitnehmerInnen einzuführen. Nicht umsonst ist ihre Verteidigung ein zentrales Anliegen des ÖGB und seiner Gewerkschaften.
Ausgewählt und kommentiert von
Dr. Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at
INFO&NEWS
Wahltermine der Länderkammern
AK Vorarlberg:
26. Jänner bis 5. Februar 2009
AK Salzburg:
26. Jänner bis 6. Februar 2009
AK Tirol:
2. bis 13. März 2009
AK Oberösterreich:
16. bis 28. März 2009
AK Steiermark:
19. März bis 1. April 2009
AK Burgenland:
23. bis 31. März 2009
AK Kärnten:
20. bis 30. April 2009
AK Niederösterreich:
5. bis 18. Mai 2009
AK Wien:
5. bis 18. Mai 2009
Konjunktur und Arbeitsplätze
Ganz im Sinne der ArbeitnehmerInnen und damit auch des ÖGB ist es, dass die Regierung die Prioritäten auf die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Ankurbelung der Konjunktur setzt. Nach dem bereits beschlossenen Konjunkturprogramm I (Mittelstandsmilliarde) soll ein zweites gleich zu Beginn der Regierungszeit folgen. Diese Maßnahmen sollen aber an die Bedingung eines stabilen Haushalts gebunden werden. Ob das dann ausreicht, ist fraglich.
Das Ziel der Koalition, die Nachfrage zu stabilisieren und Vollbeschäftigung zu erreichen, schätzt der ÖGB als die wichtigste Maßnahme der neuen Regierung ein. Ein Anstieg der Arbeitslosigkeit muss möglichst verhindert werden, auch wenn dafür zusätzliche Mittel aufgewendet werden müssen. Arbeitslosigkeit vermeiden ist immer noch billiger als Arbeitslosigkeit finanzieren. 100.000 zusätzliche Arbeitslose würden die Gesamtwirtschaft 4,7 Mrd. Euro pro Jahr kosten.
Positiv beurteilt der ÖGB auch die angekündigten Investitionen in Forschung & Entwicklung (F&E), Infrastruktur, Aus- und Weiterbildung. Dabei kommt es aber auf die Details an, die im Regierungsprogramm offen bleiben.
Kritik äußert der ÖGB am geplanten Ausbau von Public-Private-Partnership-Modellen (PPP), weil diese erfahrungsgemäß zu einem schleichenden Ausverkauf öffentlicher Einrichtungen führen.
Der ÖGB tritt für einen wirtschaftspolitischen Kurswechsel ein, der auf Kaufkraftstärkung und Inlandsnachfrage setzt. Zusätzlich zu nationalen Konjunkturmaßnahmen spricht sich die Regierung für ein zeitlich abgestimmtes EU-Konjunkturpaket aus. Das fordert auch der ÖGB, wobei auf EU-Ebene (Stabilitätspakt) mehr Spielraum für Investitionen in Infrastruktur etc. geschaffen werden muss.
Eine Forderung des ÖGB, die auch im Regierungsprogramm vertreten ist, ist das kostenlose letzte Kindergartenjahr. Das kann aber nur ein erster Schritt sein; folgen müssen der beschäftigungswirksame Ausbau der Kinderbetreuung und Investitionen in den Ausbau der stationären und ambulanten Pflege.
Standortpolitik
Während die Regierung hauptsächlich auf Unternehmensförderungen setzt, schlägt der ÖGB im Sinne der Standortsicherung wichtiger Leitbetriebe vor, dass die ÖIAG von einer Privatisierungsgesellschaft in eine Beteiligungsgesellschaft umgewandelt wird. Der ÖGB sieht keine Notwendigkeit zu weiteren Privatisierungen.
Bei Post und Telekom ist vorgesehen, dass auch nach der vollständigen Liberalisierung des Postmarktes die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Postdienstleistungen sichergestellt wird. Das entspricht langjährigen ÖGB-Forderungen.
Steuern
Der wichtigste Punkt im Regierungsprogramm ist das Vorziehen der Steuersenkung: Das Steuersenkungsvolumen beträgt 2,3 Mrd. Euro und wird schon 2009 wirksam. Die prozentuelle Entlastung ist bei geringeren Einkommen höher als bei hohen. Das Volumen liegt deutlich unter den vom ÖGB geforderten 3,5 Mrd. Euro, ein positiver Konjunkturimpuls kann trotzdem erwartet werden. Mit dem Volumen von 500 Mio. Euro werden die Familienleistungen deutlich erhöht. Eine Negativsteuerregelung konnte nicht erzielt werden, doch bleibt die Absenkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge für niedrige Einkommen aufrecht.
Eine grundlegende Strukturreform wurde nicht erzielt. Nach wie vor ist Arbeit zu hoch und Kapital zu wenig besteuert. Diese Fragen sollen in der Steuerreformkommission behandelt werden. Der ÖGB setzt sich z. B. für die Wiedereinführung einer - reformierten - Erbschafts- und Schenkungssteuer mit großzügigem Freibetrag sowie für eine Vermögenszuwachssteuer und eine stärkere Besteuerung von Privatstiftungen ein.
Arbeitsmarkt
Das Kapitel Arbeitsmarkt enthält etwa die auch im Sozialpartnerpapier »Arbeitsmarkt Zukunft 2010« enthaltene Aufstockung der AMS-Fachkräfteausbildung, weiters frauenfördernde Maßnahmen und Maßnahmen zur Förderung von Personen mit Migrationshintergrund, Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen. Außerdem sollen Kursmaßnahmen qualitativ verbessert werden. Das AMS muss aber finanziell und personell auseichend ausgestattet werden, um diese Maßnahmen umsetzen zu können. Zur Weiterführung und Finanzierung der Ausbildungsgarantie für Jugendliche bekennt sich die Regierung.
EU-Übergangsfristen
Der ÖGB begrüßt die Festlegung der Koalitionsparteien auf die Ausschöpfung der Übergangsfristen für neue EU-Mitgliedsstaaten und die stufenweise Öffnung für Fachkräfte und ArbeitnehmerInnen mit höherer Ausbildung nach Arbeitsmarktprüfung, was dem Sozialpartnerpaket zur Arbeitsmarktpolitik aus dem Jahr 2007 entspricht. Für den ÖGB hat nach wie vor bei Fachkräftemangel die Aus- und Weiterbildung heimischer Arbeit suchender Menschen Vorrang.
Eine wesentliche ÖGB-Forderung findet sich im Regierungsprogramm wieder: Die Verhinderung von Lohndumping und die Verbesserung der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung in der EU.
Pensionen
Im Regierungsprogramm ist auch ausdrücklich festgehalten, dass die gesetzliche Pensionsversicherung Existenz und Lebensstandard im Alter sichern muss. Die Pensionsautomatik, die automatisch Pensionsänderungen aufgrund eines Rechenergebnisses vorgesehen hätte, ist im Regierungsprogramm nicht mehr vorgesehen, sondern lediglich eine Berichtspflicht über die Entwicklung der Pensionsversicherung. Somit ist eine wesentliche Forderung des ÖGB erfüllt.
Die Regierung will, dass gesundheitlich Beeinträchtigte verstärkt beruflich rehabilitiert werden. Für Menschen, die sehr stark beeinträchtigt sind, soll ein erleichterter Zugang in die Invaliditätspension geschaffen werden. Zwischen der Schwerarbeits- und Invaliditätspension soll eine Verbindung hergestellt werden. Die Schwerarbeitspension soll reformiert werden. Dafür soll eine Arbeitsgruppe belastende Tätigkeiten wie z. B. Nachtarbeit, Akkordarbeit und psychisch belastende Tätigkeiten bewerten. Der ÖGB fordert schon seit längerer Zeit, dass solche Tätigkeiten in die Schwerarbeitsregelung aufgenommen werden.
Weiters ist es notwendig, auch länger zurückliegende Schwerarbeit zu berücksichtigen. Viele arbeiten in jungen Jahren schwer, sind aber später dazu aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage. Auch Krankenstandszeiten sollen rückwirkend als pensionswirksam angerechnet werden. Der ÖGB fordert, dass auch Frauen bei der Schwerarbeitspension berücksichtigt werden.
Angesicht der 2013 schlagartig endenden Hacklerregelung kündigt die Regierung eine Neuregelung an. Der ÖGB unterstreicht, dass sich die Zusage »45 bzw. 40 Jahre sind genug« in so einem Modell wieder finden muss. Die Regierungsziele Weiterführung der Pensionsharmonisierung sowie bessere Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten werden vom ÖGB unterstützt.
Pflege
Im Regierungsprogramm ist vorgesehen, dass Pflege und Betreuung im gesamten Bundesgebiet nach einheitlichen Mindeststandards verfügbar sein müssen. Aus gewerkschaftlicher Sicht kritisch zu bewerten ist jedoch, dass auch weiterhin die rechtliche Möglichkeit zur selbstständigen Tätigkeit in der Pflege und Betreuung beibehalten werden soll. Der Pflegeberuf muss durch bessere Ausbildung und Bezahlung attraktiver gemacht werden. Der ÖGB fordert Fachhochschulausbildung für alle Gesundheits- und Sozialberufe, verbunden mit ausreichender Finanzierung.
Gesundheit
Aus der sehr kryptisch formulierten Maßnahme einer »Prüfung von Optionen der Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit als Alternative zu einer vorrangig auf Löhne und Gehälter ausgerichteten Finanzierungssystematik« lässt sich die Bereitschaft zur Einführung einer Wertschöpfungsabgabe herauslesen, einer langjährige Forderung des ÖGB. Der ÖGB begrüßt, dass die Koalition sich zur solidarischen, qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung für alle sowie zur Selbstverwaltung bekennt.
Bei der Finanzierung der Krankenkassen bekennt sich die Regierung zum schrittweisen Abbau des Defizits, und dazu, die Steigerung der Ausgaben zu bremsen. Medikamentenpreise und Arzt-/Ärztinnenhonorare waren in der jüngsten Zeit die raschest steigenden Posten bei den Gesundheitsausgaben. Zur nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitssystems fordert der ÖGB zusätzlich eine Vermögenszuwachssteuer und eine Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage.
Pensionskassen
Im Regierungsprogramm wird festgehalten, »dass die Krise an den Finanzmärkten an den österreichischen privaten Altersvorsorgesystemen nicht vorüber geht«. Die Vorhaben bleiben nach ÖGB-Einschätzung zu vage. Es ist unerlässlich, Reformschritte zu setzen, weil unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen stabile Betriebspensionen schlichtweg nicht planbar sind. Vorrangig notwendig sind die Wiedereinführung einer garantierten Mindestverzinsung, Erhöhung der Transparenz sowie, dass der Wechsel zwischen den Pensionskassen zu leistbaren Bedingungen möglich sein muss.
Wie schon bisher, wird der ÖGB auch in Zukunft aktiv den Standpunkt der ArbeitnehmerInnen in die politische Umsetzung einbringen, sei es im Rahmen der Sozialpartnerschaft, in Arbeitsgruppen oder in Form von Gesetzesbegutachtungen und Stellungnahmen.
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Die vollständige Stellungnahme finden Sie unter:
www.oegb.at\regierung
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Koordination
Der EU kommt im Gesundheitsbereich lediglich eine unterstützende bzw. koordinierende Rolle zu.
Die Realität ist weitaus vielschichtiger: Auch wenn die Europäische Kommission über nahezu keine Kompetenzen in diesem Bereich verfügt, so versteht sie es hervorragend, Berechtigungen aus anderen Politikfeldern abzuleiten. Das führt schließlich dazu, dass sich die ökonomische Integration ganz konkret auf nationale Sozial- und Gesundheitspolitiken auswirkt.
Trend zur Europäisierung
In der EU kommt es also zunehmend zu einem Ungleichgewicht: Sowohl die Mitgliedsstaaten als auch die Kommission betonen die Subsidiarität bei der Ausgestaltung der Gesundheitssysteme. Gleichzeitig schränken Liberalisierungs- und Einsparungsdruck den Handlungsspielraum der Staaten im Gesundheitsbereich immer mehr ein. Betrachtet man die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs der vergangenen zehn Jahre, so wird deutlich, dass auch im Gesundheitsbereich längst die vier Freiheiten des Binnenmarktes konsequent angewendet werden. Diese Entscheidungen des EuGH greifen ganz wesentlich in die Gesundheitssysteme der EU-Staaten ein und gestalten die EU-Gesundheitssysteme mit, ohne dass dahinter ein bewusster Gestaltungswille der Mitgliedsstaaten stünde.
PatientInnenmobilität
Seit 2002 läuft zudem in der EU ein Reflexionsprozess über die Mobilität von PatientInnen. Ein konkreter Richtlinienvorschlag der Kommission dazu wird derzeit im Europäischen Parlament und im Europäischen Rat diskutiert. Medizinische Versorgung im Ausland soll in Zukunft leichter möglich sein. Nur wenige EU-BürgerInnen wissen, dass schon derzeit eine EU-Verordnung Notfallbehandlungen im EU-Ausland regelt. Auch geplante Behandlungen sind nach Genehmigung durch die zuständige nationale Krankenkasse laut dieser Verordnung möglich. Kosten, die dabei entstehen, werden zwischen dem Gesundheitsdienstleister des Behandlungsstaates und der Krankenversicherung der PatientInnen im Heimatland direkt abgerechnet, sodass den PatientInnen selbst keine zusätzlichen Kosten entstehen. Im Unterschied dazu sieht die neue Richtlinie vor, dass die PatientInnen die entstehenden Kosten zunächst selbst übernehmen und dann von der eigenen Versicherung erstattet bekommen - allerdings nur bis zu jenem Ausmaß, das auch für die Behandlung im eigenen Land bezahlt worden wäre. Nur noch in Ausnahmefällen soll dafür eine Genehmigung durch die Krankenkasse notwendig sein.
Warum die neue Richtlinie?
Glaubt man den Argumenten der Kommission, so geht es beim Richtlinienvorschlag vor allem um Vorteile für die PatientInnen. Detaillierte Informationen über die unterschiedlichen nationalen Gesundheitssysteme sollen für die EU-BürgerInnen gut verständlich aufbereitet werden und überall in der EU zugänglich gemacht werden, die Gesundheitsversorgung in der EU damit transparenter, unbürokratischer und gerechter werden. Versorgungsengpässe und Wartelisten würden reduziert. Entgegen den Behauptungen der Kommission bringt die Richtlinie jedoch nicht nur Vorteile für die PatientInnen. Bereits jetzt werden uninformierte PatientInnen im Ausland oft gedrängt, ihre Behandlungskosten vorzustrecken. Mit der neuen Richtlinie, die in Zukunft neben der alten gelten soll, wird der Druck auf die PatientInnen im EU-Ausland steigen, schon vor der Behandlung Bares auf den Tisch zu legen.
Zudem lässt der Vorschlag offen, wie sichergestellt werden soll, dass es durch den Richtlinienvorschlag weder zu einseitigen Kostenbelastungen von Mitgliedsstaaten kommt, noch die innerstaatliche Gesundheitsversorgung bzw. das innerstaatliche Leistungsangebot darunter leiden, wenn verstärkt PatientInnen aus dem EU-Ausland Gesundheitsdienstleistungen nachfragen.
Wettbewerb forcieren
Bei allen Unklarheiten des Richtlinientextes wird eines klar: Bei der neuen Richtlinie geht es nicht nur um mehr Wahlmöglichkeiten und Vorteile für die PatientInnen. Vielmehr geht es um die grundsätzliche Frage, wie viel Wettbewerb es im Gesundheitsbereich zukünftig geben wird und auch darum, ob einzelne Staaten auch langfristig eine solidarische Versorgung der Bevölkerung über die Binnenmarktfreiheiten stellen dürfen. Entsprechend skeptisch ist auch Tamara Goosens, Gesundheitsexpertin vom Europäischen Gewerkschaftsverband für den öffentlichen Dienst (EPSU). Sie befürchtet, dass die Vorschläge der Kommission weitgehende Folgen für die Gesundheitssysteme in der EU haben könnten. Die Wahlfreiheit der PatientInnen würde zu mehr Wettbewerb zwischen den Gesundheitsdienstleistern führen - um die aber auch zwischen den PatientInnen. Zudem würde die Verantwortung immer mehr vom Staat auf die PatientInnen übertragen. Tonangebend für die Strategie der Europäischen Kommission sei das massive Lobbying der großen, international agierenden, privaten Krankenversicherer. »Diese warten nur darauf, europaweit die reichen PatientInnen abzuholen. Letzten Endes kann das die Behandlung im Krankenhaus wesentlich verteuern.« Sie vermisst bei der europäischen Gesundheitspolitik Balance: »Einerseits soll es Gleichheit beim Wettbewerb geben. Andererseits gibt es viele Unterschiede in Qualität oder Finanzierung, die nicht angegangen werden.«
Letzten Endes bleibt das Privileg, sich im Ausland behandeln zu lassen, wohlhabenden PatientInnen überlassen. Denn wer verfügt über die Möglichkeiten, die Reisekosten zu finanzieren, sich über die Möglichkeiten einer Behandlung im Ausland zu informieren, Behandlungen im Voraus zu bezahlen und dann auf Rückerstattung durch die eigene Krankenkasse zu warten. Klar im Vorteil sind außerdem PatientInnen aus reichen Ländern, deren Krankenkasse mehr abdeckt. Die meisten OsteuropäerInnen werden sich nur schwer eine Operation etwa in Schweden leisten können. Gemeinsam mit der EPSU, dem ÖGB, der GdG und der vida hat sich die GPA-djp daher in den Diskussionsprozess eingeklinkt und versucht, diese Bedenken auf allen Ebenen einzubringen.
1 Mitteilung der Europäischen Kommission vom 2.7.2008 zur Richtlinie über die Ausübung der PatientInnenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung.
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Die Europäische Komission zur Öffentlichen Gesundheit
http://ec.europa.eu/health/ph_overview/co_operation/mobility/patient_mobility_de.htm
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Den Auftakt machte »Zwischen Wischmopp und Laptop. Atypische Frauenarbeit. Frauenerwerbstätigkeit und Prekarität«, erschienen im ÖGB-Verlag, herausgegeben von Christine Stelzer-Orthofer, Irmgard Schmidleithner und Elisabeth Rolzhauser-Kantner.
Autorin Karin Berger und Sozialarbeiterin Andrea Brem boten anschließend eine Leseprobe aus ihrem Buch: »Am Anfang war ich sehr verliebt. Frauen erzählen von Liebe, Gewalt und einem Neubeginn im Frauenhaus«, das Buch ist im Mandelbaum Verlag erschienen.
Last but not least präsentierte Kaplan Franz Sieder, dessen politische Predigten von Irmgard Schmidleithner und Alois Reichenbichler herausgegeben wurden, Gläubiges »Gegen den Strom«.
]]>Strategie - Analyse
Unternehmenskrisen wirken sich immer auf die Beschäftigten im Unternehmen aus. Im günstigsten Fall werden MitarbeiterInnen angehalten, Überstunden und Urlaub abzubauen, im schlechteren Fall erfolgen Einsparungen bei Sozialleistungen, im schlechtesten Fall drohen Massenkündigungen und Betriebsschließungen.
Der Betriebsrat muss sich jedenfalls eine eigene Strategie zurechtzulegen. Er kann sich gegen die von der Geschäftsführung vorgeschlagenen Maßnahmen wehren und manchmal damit alle Arbeitsplätze zumindest kurzfristig retten. Mittel- oder langfristig könnte allerdings der Erfolg der Sanierung gefährdet werden. Er kann den Personalkürzungs- bzw. Einsparungsmaßnahmen auch zustimmen, womit er jedoch seine Glaubwürdigkeit und Legitimierung aufs Spiel setzt.
Nutzen Sie die Ressourcen
Egal für welche Strategie sich eine Betriebsratskörperschaft in einer Unternehmenskrise entscheidet - verhindern, raushalten, kontrollieren oder aktiv einbringen - gründliche Informationsbeschaffung und eine Analyse der aktuellen Situation sollten immer eine dominierende Rolle spielen. Im Sinne: Wissen ist Macht und macht handlungsfähig!
Wenn es zur Krise kommt, so aktivieren Sie Ihr Netzwerk. Überlegen Sie - am besten im Team - wer Ihre Verbündeten sind und von wem Sie Unterstützung erhalten können. Denken Sie dabei an AbteilungsleiterInnen innerhalb des Unternehmens, BetriebsratskollegInnen aus anderen Unternehmen sowie an einen/eine KapitalvertreterIn aus dem Aufsichtsrat oder PolitikerInnen.
Ziehen Sie die BeraterInnen und ExpertInnen aus Gewerkschaften und AK bei. Lassen Sie Ihr Material - Bilanzen, Wirtschaftspläne, Vorschaurechnungen, Liquiditätspläne - prüfen, damit Sie die Situation realistisch einschätzen können und wissen, wie dringend gehandelt werden muss.
Denken sie daran: Sie können zu Ihrer Beratung in allen Angelegenheiten gemäß § 39 (4) Arbeitsverfassungsrecht die zuständige freiwillige Berufsvereinigung oder gesetzliche Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen beiziehen!
Wie weit ist die Krise?
Eine Unternehmenskrise bricht nicht über Nacht aus. In fast allen Fällen gibt es viele Monate, manchmal sogar Jahre bevor die Krise akut wird, erste Anzeichen und Symptome. Unternehmenskrisen durchlaufen meist drei Stadien, beginnend mit einer Strategiekrise, die in der Folge in eine Ertragskrise übergeht und mit der Liquiditätskrise endet. Die Reihenfolge ist immer dieselbe, sofern nicht rechtzeitig gegengesteuert wird. Strategiekrisen werden als solche oft nicht einmal erkannt. Die für alle Beteiligten sichtbare und oft schmerzhafte Ertrags- und vor allem Liquiditätskrise folgt erst später.
Kommen dem Betriebsrat erste Krisengerüchte zu Ohr, sollte er möglichst rasch feststellen, wie weit sie bereits fortgeschritten ist. Nur so kann er einschätzen, ob es schon fünf vor zwölf ist oder ob es noch genügend Zeit für Maßnahmen gibt. Je weiter eine Krise fortschreitet, desto mehr gewinnt sie an Tempo und desto eher verringern sich Reaktionszeitraum und Handlungsspielraum.
Ein Unternehmen macht hohe Gewinne, hat steigende Umsätze und eine gute Presse und kann trotzdem langsam in eine Strategiekrise schlittern. Die Zahlen sind O. K., Erfolgspotenziale wie z. B. ein Wettbewerbsvorteil, Qualität oder ein gutes Markenimage bekommen erste Kratzer. Eine Früherkennung ist dennoch anhand diverser Indikatoren möglich. Klassische erste Anzeichen sind das Fehlen neuer Produkte durch Vernachlässigung von Forschung und Entwicklung, Fehlinvestitionen, nachlassende Qualität, häufige Kundenbeschwerden, versäumte Liefertermine, gestiegene Forderungen oder sinkende Auftragsstände.
Wird in der Strategiekrise nicht gehandelt, folgt früher oder später die Ertragskrise. Sie ist durch rückläufige Umsätze, sinkende Gewinne bzw. Verluste oder niedrigere Rentabilitäten gekennzeichnet. Eventuelle Verluste zehren am Eigenkapital. Eine Ertragskrise ist im Zahlenwerk des betrieblichen Rechnungswesens (Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz, Kostenrechnung) durchaus erkennbar. Auch sinkende Produktivität, unausgelastete Kapazitäten, einmalige Erträge wie Anlagenverkäufe und Rückstellungsauflösungen und vermehrte Preisnachlässe sind Indikatoren.
Liquiditätskrise
Dauert die Ertragskrise länger an und verfügt das Unternehmen nur über eine schmale Eigenkapitalausstattung, ist die Liquiditätskrise unausweichlich. Aufgrund der schlechten Erträge und der unbefriedigenden Selbstfinanzierungssituation (niedriger oder negativer Cashflow) werden flüssige Mittel immer knapper. Zu Beginn können »finanzielle Löcher« oft noch durch weitere Kreditaufnahmen, Umschuldungen und Verpfändungen geschlossen werden.
Wenn Kredite nur noch gegen erhöhte Sicherheiten erfolgen, sich die Lieferanten absichern, Rückstände beim Finanzamt und bei den Sozialversicherungen steigen, Kurzarbeit droht und Löhne und Gehälter verspätet ausbezahlt werden, ist die Situation schon mehr als ernst. Kann das Unternehmen nun seinen laufenden Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen, verlieren die Gläubiger das Vertrauen und gewähren keine weiteren Kredite bzw. stellen Kredite fällig. Insolvenz droht.
Zur genauen Analyse der Liquiditätskrise benötigt man Finanzpläne, die lückenlos alle zukünftigen Ein- und Auszahlungen und ihren zeitlichen Anfall aufzeichnen, um die »Zahlungslücke« zu erheben. Um den Weiterbestand der Firma zu gewährleisten, muss jedenfalls die Zahlungsfähigkeit gesichert werden.
Die besondere Gefahr an der aktuellen Finanzkrise ist, dass auch an sich gesunde Unternehmen durch die restriktive Kreditvergabepolitik der Banken in Liquiditätsschwierigkeiten kommen können, dass sie z. B. notwendige Investitionen nicht finanzieren können. Maßnahmen zur Sicherung der Liquidität können von den Eigentümern durch Gesellschafterzuschüsse bzw. Kapitalerhöhung erfolgen. Auch der Verkauf von nicht betriebsnotwendigem Vermögen, sale & lease back-Finanzierungen oder Zuschüsse der öffentlichen Hand sind denkbar.
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Die wichtigsten Informationsrechte
Die relevanten Informations- und Beratungsrechte des Betriebsrates sind im Arbeitsverfassungsgesetz geregelt. Die wichtigsten in den §§ 91 (allgemeine Informationsrechte), 92 (Beratung, Quartalsbesprechungen), 108 (Wirtschaftliche Informations-, Interventions- und Beratungsrechte, Anspruch auf den Jahresabschluss, Wirtschaftspläne) und 109 (Mitwirkung bei Betriebsänderungen) begründet. Nutzen Sie diese!
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Welpenbonus weg
Mit den KellnerInnen und den VerkäuferInnen fing es an. Statt des netten Herren, der einen junge Frau nannte, stand plötzlich an der Wursttheke eine junge Frau. Und auch in den Lokalen, die ich gerne besuchte, trieben sich immer mehr »Kinder« herum. Die Stones und Madonna füllen zwar noch immer Stadien, doch inzwischen habe ich schon MusikerInnen zugejubelt, die hätten Mick Jaggers Enkel sein können. Roger Moore und Demi Moore machten Platz für Daniel Day Lewis und Angelina Jolie, Goldie Hawn für ihre Tochter Kate Hudson. SchriftstellerInnen in meinem Alter eröffneten mir neue Perspektiven auf Vertrautes, jüngere oft auf Neues. Nach und nach habe ich mich dran gewöhnt in der Lebensmitte zu stehen, eigentlich schon am Nachmittag des Lebens. Wie auch unsere neue Regierung mit einem Durchschnittsalter von 46,8 Jahren.
Auch in der Arbeitswelt hat sich in den vergangenen 20 Jahren einiges für mich geändert. Weg ist der Welpenbonus, den ich ganz am Anfang genossen habe. Damals haben mir ältere KollegInnen Journalismus beigebracht. Ich durfte natürlich jede Menge Fehler selbst machen, aber wenn es wirklich schwierig wurde, hatte immer jemand einen wirklich guten Tipp oder eine wichtige Telefonnummer für mich. Und irgendwo gab es auch immer ein Sekretariat mit einer erfahrenen Kollegin, die nicht nur den richtigen Moment für Gespräche mit dem Boss kannte, sondern auch noch Rezepte gegen Liebeskummer hatte.
So nach und nach, fast ohne dass ich es bemerkte, wurde ich diejenige mit dem Tipp und der Telefonnummer.
Irgendwann dann gab es aber auch den Moment, wo Tipp und Telefonnummer nicht mehr gebraucht wurden, die Welpen hatten kläffen gelernt, hatten ihre eigenen Telefonbücher und waren vor allem billiger als ich, die ich nur meine Erfahrung zu Markte tragen konnte.
Mit Anfang 30 bereits alt?
Ich war damals verstört und wollte es kaum glauben, dass ich mit Anfang 30 für einige bereits als alt galt. »Vielleicht in der Nachrichtenredaktion«, meinten Programmdirektoren, die jünger waren als ich, und setzten entschuldigend dazu: »Wir sind halt ein sehr junges Radio.« Dabei fühlte ich mich so jung. Es schien noch nicht einmal der Vormittag des Lebens ganz vorüber. Also begann ich wieder zu lernen und entdeckte meine Freude an der Weiterbildung. Das neue Wissen eröffnete mir neue Wege und half mir auch dabei, die Erfahrung, die ich in den Jahren gesammelt hatte, nutzbringend einzusetzen. Und noch etwas passierte: Ich veränderte mich. Die berufliche Karriere bedeutete mir nicht mehr alles. Kaum mehr etwas löst bei mir Panik aus, ich hatte im Laufe der Jahre gelernt, dass es tatsächlich für alles eine Lösung gibt. Ich habe Gelassenheit gelernt. Diese ganz bestimmte Ruhe, die eine Frage des Alters ist.
»Aufs alt werden brauchst dich nicht freuen«, sagt meine Mutter immer. Vor dem älter werden fürchten muss ich mich aber auch nicht, bin ich überzeugt. Da kommt noch etwas Sonne am Nachmittag des Lebens.
11.000 Beschäftigte weniger
Tatsächlich hatte die Post 1996, mit Beginn der Liberalisierung durch die große Koalition von SPÖ und ÖVP, noch knapp 34.000 Beschäftigte, heute sind es nur noch 23.000. Seit 2001 wurden ca. 1.000 Postfilialen geschlossen, nur ein Fünftel davon sind durch »Post-Partner« ersetzt worden. Von den derzeitigen 1.300 Postämtern und etwas über 200 »Post-Partnern« sollen nach den Plänen der Post-Geschäftsleitung, wie Medien berichteten, nur noch wenige große Zentren in Ballungsräumen übrig bleiben. Der Rest soll an weitere Partner und neue Pächter gehen. Da »Post-Partner« nur eingeschränkte Dienstleistungen anbieten, gehen der Post zahlreiche Kunden/Kundinnen verloren, insbesondere im Banken- und Versicherungsbereich, wo ja jetzt (noch) eine Kooperation mit BAWAG/P.S.K. besteht. Nutznießer am »flachen Land« könnten die jetzigen Postkonkurrenten Volksbank und Raiffeisen sein. Zudem warten die in Europa gut aufgestellten »Big Player« Deutsche Post, Holländische Post, die britische Royal Mail, die französische La Poste auf den österreichischen Markt. Wenn der nicht durch ein Postmarktgesetz geschützt ist, gibt es keine österreichische Post mehr, befürchtet der Vorsitzende-Stv. des Zentralausschusses der Bediensteten der Österreichischen Post AG, Martin Palensky.2 Was ihn besonders ärgert, ist die Art der Kommunikation, die »positive Formulierung des Bösen«: So wurde die erste Schließungswelle als »Postamtszusammenlegungen«, die zweite als »Finalnetzoptimierung« und die jetzige als »Ausbau alternativer Betreibermodelle« schöngeredet. Das heißt aber nichts anderes, als Beschäftigte abzubauen, die Konkurrenz zu fördern und die Versorgungssicherheit zu gefährden, denn die »Post-Partner« haben keinen Versorgungsauftrag, können jederzeit ihren Vertrag mit der Post kündigen.
Erstes Ergebnis der Proteste und der öffentlichen Debatte: Am 19. November wurde erreicht, dass es bei der Post bis Mitte 2009 keine »betriebsbedingten« Kündigungen geben soll. Außerdem sagte die Politik zu, dass es bis dahin das von der Gewerkschaft schon seit Jahren eingeforderte Postmarktgesetz endlich geben soll. Es soll dazu dienen, dass sich künftige Postkonkurrenten nicht die Rosinen aus dem Kuchen picken dürfen und mittels einer Universaldienst-Verordnung die Mindestversorgung mit Postdienstleistungen und deren Finanzierung festgeschrieben wird.
Besonderes vehement wird von den Gewerkschaftern ein Branchenkollektivvertrag eingefordert, eine Art Mindestlohnvereinbarung, die Lohndrückerei mit Beschäftigten aus dem Ausland verhindern soll. Zudem muss es eine Auftraggeberhaftung bzw. Generalunternehmerklausel geben, damit nicht »Ich-AGs« Lohn- und Sozilabgabendumping betreiben können.
Ende gut, alles gut?
Mitnichten. Sowohl die Post- als auch die Telekom-BetriebsrätInnen trauen dem »Frieden« nicht, zeigt doch ein Blick auf die von Telekom und Post vorgelegten »Begründungen«, dass hier mit gezinkten Karten gespielt wird.
Die Post ist kein »Sanierungsfall«: Die Gewinne der Post sind in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. So zahlte die Post dieses Jahr 1,4 Euro Dividende je Aktie (98 Mio. Euro) und im September nochmals eine Sonder-Dividende in Höhe von nochmals 70 Mio. Euro! Die Produktivität der Post liegt im EU-Spitzenfeld. Das operative Ergebnis (EBIT) ist von 2005 auf 2007 von 103 auf fast 163 Mio. Euro gestiegen.3 Im Post-Geschäftsbericht von Jänner bis September 2008 ist nachzu-lesen: »Konzernumsatz Q1-3 um 7,0 Prozent auf 1.784,6 Mio. EUR gesteigert, Österreichische Post von gegenwärtiger Finanzkrise kaum betroffen, steigende Umsatzentwicklung, operatives Ergebnis (EBIT) 2008 auf dem Niveau von 2007; Anstieg für 2009 erwartet; Basisdividende 2009 über dem Vorjahreswert von EUR 1,40/Aktie.«4
Wer profitiert?
MitarbeiterInnenabbau treibt die Aktienkurse in die Höhe. Schaut man auf die Homepage der Finanzmarktaufsicht5, kann man nachlesen, dass die Vorstände riesige Aktienpakete der Post halten. Obwohl die Post-Manager kein Zukunftskonzept außer »Redimensionieren«, sprich Zusperren haben, kassiert der Post-Vorstand laut Post-Geschäftsbericht 2007 in Summe etwa 1,8 Mio. Euro.
Bei der Telekom gibt es - entgegen den in Medien lancierten Berichten - keine wirkliche Einbrüche beim Festnetz, auch keine echten Verluste, weiß Betriebsratsvorsitzender Miachel Kolek.6 »Anhaltende Stabilisierung des Trends im Festnetz, da Bündelprodukte den Anschlussrückgang effektiv verlangsamen«, heißt es auf der Telekom-Homepage im jüngsten Quartalsbericht. So liegt das operative Geschäft der ersten neun Monate 2008 bei einem EBIT von 100 Mio. Euro. Jetzt soll das Festnetz auf einmal im Minus sein? Durch einen einfachen Trick: Man schreibt Zahlungen für künftigen Personalabbau (bis 2011) schon jetzt, in einem Quartal, in die Bilanz mit 630 Mio. Euro (!). Das heißt, man hat sofort ein Minus-Ergebnis von 530 Mio. Euro, die in der Öffentlichkeit als Grund für den Personalabbau herhalten sollen. Zudem erspart man sich auch noch Steuern, weil das den Gewinn mindert, der insgesamt trotzdem gegenüber dem Vorjahr steigt. Zynischer gehts nimmer, kritisiert Kolek die Vorgangsweise. 630 Millionen Euro «Restrukturierungsaufwand« für die beabsichtigten 1.250 bis 2.500 Kündigungen im Festnetz? Würde man den Betrag auf die Betroffenen aufteilen, man bräuchte keine Sozialpläne. Aber für Sozialpläne ist wesentlich weniger vorgesehen, weiß der Betriebsrat. Worum es geht? Ca. 70 Prozent der über 9.000 Beschäftigten sind Beamte/Beamtinnen. Die will man loswerden, nachdem die Pläne zur Beamtenagentur bislang noch nicht verwirklicht werden konnten. Dabei soll der Staat (ÖIAG), also die SteuerzahlerInnen, der Telekom und der Post die Kosten abnehmen, damit die PrivataktionärInnen noch mehr Dividende erhalten. »Ein verantwortungsbewusstes Unternehmen würde weniger statt mehr Dividenden auszahlen, dafür aber das Personal halten«, so Telekom-Betriebsrat Kolek. Wurden zuletzt 73 Cent pro Dividende oder ca. 350 Millionen Euro gezahlt, sind für heuer 75 Cent je Aktie vorgesehen.7
Karriere- und Entwicklungszentrum
Während Post- und Telekom wie ein »Selbstbedienungsladen« für die Oberen ausschauen, werden die auf der Abschussliste stehenden Beschäftigten im sogenannten »Karriere- und Entwicklungszentrum« (KEZ) bloß »zwischengeparkt«, nicht weiterentwickelt. So stehen doch für alle dort derzeit 700 Menschen bloß 20.000 Euro zur Verfügung. Für den Gewerkschafter Martin Palensky eine menschenverachtende Zermürbungstaktik, um die KollegInnen loszuwerden. Tragischerweise haben schon zwei von ihnen Selbstmord begangen. Doch das rührt die Akteure kaum. Ziel ist nach wie vor eine Beamtenagentur, die ÖIAG-Chef Peter Michaelis realisieren soll. 11.500 der rund 23.000 Postbeschäftigten sind Beamte/Beamtinnen. Zwischen 3.000 und 5.000 Leute sollen von zu schließenden Poststellen nach Vorstellungen der (Un-)Verantwortlichen in diese Agentur wandern. Gleichzeitig wurden und werden Leiharbeitskräfte eingestellt. Palensky: »Wie soll das funktionieren, wenn es schon jetzt bei 700 Menschen im KEZ nicht funktioniert?
Die Post gehört nicht den Herren Wais oder Michaelis, sondern zu 51 Prozent den Hunderttausenden Menschen in Österreich. Die Politik hat uns an die Börse geknüppelt, daher soll sich die Politik jetzt etwas überlegen. Wir Belegschafsvertreter stehen bereit, gegen die bezahlten Arbeitsplatzkiller aus der ersten Berichtsebene. Deshalb ist unser Streikbeschluss weiter aufrecht.«
1 ORF-ZIB, 13.11.08
2 Interview am 26.11.08
3 Geschäftsbericht 2007, www.post.at
4 Investorenpräsentation, 13.11.08 www.post.at
5 Finanzmarktaufsicht www.fma.at
6 Gespräch am 20.11.08
7 Zahlen vgl. Telekom Austria Geschäfts- und Quartalsberichte, www.telekom.at
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Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment« war die Parole, die man auf Partys skandierte und »Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin« auf der Straße. Die Generation der RevoluzzerInnen und BabyboomerInnen, der Jahrgänge zwischen 1946 und 1964, hatte einfach Glück: Sie war in Wohlstand aufgewachsen, unbelastet und daher frei für die Suche nach neuen Lebensstilen, Ideen, Werten und vor allem nach sich selbst. Mit den Autoritäten des Staates wurde gebrochen, ebenso wie mit der Elterngeneration. Für ein besseres, freieres demokratischeres Leben wurde gekämpft.
Nicht mehr auf die Barrikaden
Und jetzt? Aus den 68ern wurden Alt-68er. Auf die Barrikaden zu steigen ist schon aus physischen Gründen nicht mehr so leicht. »Wir wollen alles anders machen, wir wollen anders leben, sagten wir, aber wollen wir auch anders alt werden?« Diese Frage beschäftigt den deutschen Psychologen und Autor Heiko Ernst: »Wir nähern uns dem Alter, wo wir über das Alter nachdenken, darüber, wie wir nach dem Beruf unser ›drittes Leben‹, das ein Drittel unseres Lebens einnehmen wird, verleben werden, und welche Spuren und Erinnerungen wir hinterlassen wollen. Wir spüren die ersten körperlichen Einschränkungen und fragen uns, was wir versäumt haben.«
Mit der erwartbaren Lebensverlängerung von ca. zehn Jahren im Vergleich zu früher sieht der deutsche Psychologe eine neue Ära der Evolution heraufdämmern. Wir wissen aber nicht so recht, wie damit umgehen, meint er: Denn die Optionen, die sich vordergründig auftun, sind beschränkt: Wenn erste Spuren der Vergänglichkeit den Körper markieren, kann man sie mit »manischer Betriebsamkeit« bekämpfen, das Leben mit Diät, Fitness und Schönheitsoperationen ausfüllen, man kann die Welt bereisen, und dann? Oder aber, so Ernst: »Wir schöpfen aus der Vergangenheit, schärfen unseren Blick für die Gegenwart und zentrieren unsere Ambitionen auf die Zukunft. Nicht auf unsere. Auf die der Nachfolgegeneration und auf die Welt.«
Nachhaltigkeit durch Weitergeben
Auch wenn eine gegenläufige Entwicklung - eine fieberhafte Pseudoaktivität von der Wirtschaft bis zur Kultur - vorherrscht und die Devise lautet: »Nach uns die Sintflut«, so ist Ernst doch davon überzeugt, dass Altern Zukunft hat. Gerade die Lebensverlängerung, die wir in Aussicht haben, sei eine Chance, »neue Qualitäten an uns und in uns zu entdecken - wie Weisheit, Gelassenheit, Selbstdistanz, Sinngebung durch unverändert nötige Fürsorge für diejenigen, die nach uns kommen«, so Heiko Ernst. Mit seinem konstruktiven Ansatz in der Flut pessimistischer Weltsichten und -bilder rundherum möchte er daran erinnern, dass Fortpflanzung, Überleben und Weitergeben der Gene einen biologischen Daseinszweck erfüllen. Und er hat ein vergessenes, sperriges Wort aus dem Hut gezaubert, «Generativität« - die Weitergabe eigener Erfahrungen und Fertigkeiten an die nachfolgenden Generationen, ein Begriff, den Psychoanalytiker Erik Erikson 1950 in Zusammenhang mit der Entwicklungsdynamik der Phasen des menschlichen Lebens von der Geburt bis zum Tod geprägt hatte. Ernst, auch Chefredakteur von »Psychologie heute«, hat sich schon seit Jahren als Autor mit Konzepten der Entschleunigung, des gelingenden Lebens und Annäherungen an das Glück auseinandergesetzt. Sein in Deutschland viel diskutiertes jüngstes Buch »Weitergeben. Anstiftung zum generativen Leben« ist wohl auch ein Ergebnis davon. Jedenfalls sieht er in der Generativität, im kollektiven Schützen von Kultur und Natur vor dem »Furor der Beschleunigung und Zerstörung«, eine mögliche Schlüsseltugend des 21. Jahrhunderts. »Heute wird ständig von Nachhaltigkeit gesprochen, die brauchen wir aber auch auf der psychischen Ebene; wir müssen unsere Selbstentwicklung auf gemeinschaftliche, fürsorgliche, altruistisch orientierte Motive umpolen. Wir dürfen keine zugrunde gerichtete Welt hinterlassen«, erklärt Ernst und verweist auf den Status quo: »Milliardenschulden, Ressourcenverbrauch als ob es eine zweite Welt in Reserve gäbe und ein Wachstumsmodus, der unbedingt korrigiert werden muss.«
Suchen Sie sich ein Projekt
Konkret geht es beim generativen Handeln darum: sich Projekte zu suchen, MentorIn, Pate/Patin, TrainerIn zu sein. Und es gibt sie schon, die erfahrenen Fachleute, die in der dritten Welt als SeniorexpertInnen arbeiten, allein lebende Männer, die dem türkischen Kind des Nachbarn bei der Hausaufgabe helfen, oder Lehrerinnen, die Junglehrer in ihrer Arbeit unterstützen.
Natürlich tun sich bürgerliche BesserverdienerInnen leichter. Auch steht es jedem zu, eine Pause zu machen, vor allem, wenn jemand lebenslang sehr hart gearbeitet hat, um die Familie durchzubringen, und natürlich ist nicht jeder gleichermaßen befähigt etwas zu geben, sei es materiell, an Kraft oder an Engagement. Trotzdem ist Ernst davon überzeugt, dass sich in jeder Bevölkerungsgruppe Menschen finden, die sich für eine Sache leidenschaftlich hineinknien - jenseits vom Job. Und dass man nicht früh genug damit beginnen könne, mit dem Entschleunigen, dem Innehalten am Höhepunkt des Lebens und sich ein Portfolio der Möglichkeiten zuzulegen. Im eigenen Interesse: »Da arbeiten und sparen wir aufs Alter hin, sind dann zu kaputt, um das Leben noch zu genießen. Und enden in Altersverzweiflung und Resignation.«
Außerdem dreht sich das Rad der Zeit immer schneller. Im fortschreitenden Jugendwahn gekoppelt mit der Wirtschaftskrise, die in Europa Hunderttausende Arbeitslose produziert, zählen bald schon 40-Jährige zum alten Eisen. Ernst: »Wenn der Rausschmiss droht, und der Beruf 99 Prozent der Existenz ausfüllt, ist das eine Katastrophe.«
Dabei müsste schon aus demografischen Gründen bei vielen Unternehmen die Einsicht wachsen, dass ältere ArbeitnehmerInnen notwendig werden. Auch zeigt es sich, dass »intergenerationelle Firmen« besser aufgestellt sind als andere, sieht Ernst für Ältere eine gute Chance sich einzubringen. In Krisenzeiten sowieso: »Die Belastungsfähigkeit der Jungen ist nicht unendlich. Gerade jetzt wären Firmen mit älteren ArbeitnehmerInnen gut beraten - die sind nämlich krisenerfahren.« Überhaupt ist für ihn die Bankenkrise symptomatisch für einen Mangel an Reife und Bedächtigkeit: »Der Casinokapitalismus hat von den jungen Testosteron-aufgeladenen Zockern gelebt.«
Für immer jung?
Weitergeben, was wir wissen, was wir können, für die nächste Generationen ein Haus bauen, symbolisch, versuchen die Welt so einzurichten, dass sie wohnlicher ist als wir sie betreten haben, das klingt altruistisch, aber eine Portion Egoismus ist auch dabei: Sich einen tieferen Sinn fürs längere Leben anzueignen, verhindert den psychischen Absturz, denn Altern bedeutet nicht nur Abbau des Körpers, sondern auch einen Prozess der Seele. Sich fit halten ohne Einsicht, so Ernst, sei eine Art »regressiver Widerstand, der eher aus Angst vor dem Sterben als aus der Bejahung des Lebens entsteht«. Tatsächlich erzeuge dies den gegenteiligen Effekt. Gerade der verbissene Kampf gegen körperlichen und geistigen Verfall beschwöre diesen herauf. Angst vor Krankheit und Depression würden zum Begleiter derjenigen, die seit ihrer Jungend nie aus den Jeans herausgekommen sind und ewig jung bleiben wollen.
Die Idee, die Achtundsechziger beim Wort zu nehmen ist vielleicht wirklich eine Chance für die Welt: Um die Welt zu verbessern, haben sie sich das Revoltieren als Kulturtechnik angeeignet. Jetzt ließe sich dieses Instrumentarium generativ einsetzen. Immerhin stammt einer der erfolgreichsten Beatles-Songs aus dieser Zeit: »When I´m sixty-four«.
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Betriebliche Arbeitnehmer Vorsorge
Sowohl ArbeitnehmerInnen als auch das Unternehmen sollten von dieser Lösung profitieren. DienstgeberInnen können die Betriebliche Arbeitnehmer Vorsorge (BAV) als Gewinn mindernd verbuchen und sparen so Steuern und Lohnnebenkosten. ArbeitnehmerInnen profitieren davon, dass sie erst bei Pensionsantritt für die Begünstigungen der BAV Steuern zahlen müssen. Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt.
Bilanzkosmetik
Wer nun glaubt, dass der Ausweg eine direkte Pensionszusage des Unternehmens sein könnte, irrt gewaltig: In Zeiten, in denen Manager auf die Performance der Aktien an den internationalen Börsen schielen, sind Personengruppen derentwegen Rücklagen in der Bilanz gebildet werden müssen, höchst unbeliebt.
Ratingaspekte, Basel II und die wachsende Internationalisierung der Kapitalmärkte veranlassen daher immer mehr Unternehmen auch in Österreich dazu, ihre Bilanz durch die Ausgliederung von Pensionszusagen zu verkürzen. Besonders die angelsächsisch dominierten Ratingagenturen stehen den Zusagen immer noch sehr kritisch gegenüber. Sie behandeln sie in ihren Analysen wie »echtes« Fremdkapital. Und die Analysen entscheiden oft darüber, wie das Unternehmen an den Börsen dasteht und auch darüber, wie teuer Kredite werden. Besonders brisant wird dieser Aspekt, wenn man weiß, dass im September 2002 eine EU-Richtlinie in Kraft getreten ist (1606/2002), die vorsieht, dass kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften mit Sitz in den EU-Mitgliedsstaaten ab dem Jahr 2005 ihren Konzernabschluss nach den Internationalen Accounting Standards (IAS) erstellen müssen. Das würde eine Bilanzverkürzung noch zusätzlich attraktiv machen.
Neben den Unternehmen, die sich rechtliche Konstrukte einfallen lassen, um die unbeliebten Rückstellungen aus der Bilanz zu »zaubern, gibt es auch solche, die am liebsten die »VerursacherInnen« loswerden würden. Das trifft vor allem ältere ArbeitnehmerInnen, für die bereits eine größere Summe rückgestellt werden musste. Diese ziehen, wenn das Betriebsklima es zulässt, schnell den Groll anderer auf sich und langsam setzt sich, schlechte und unsolidarische Stimmung vorausgesetzt, eine feindselige Haltung gegenüber den KollegInnen durch. Im schlimmsten Fall wird gemobbt, bis die »Problemfälle« das Unternehmen vorzeitig verlassen.
Die erste Säule stärken
»Die erste Säule der Altersversorgung, die Pension nach dem Sozialversicherungsprinzip, ist die einzige Garantie für die Existenzsicherung im Alter - unersetzbar vor allem für all jene, die sich keine privaten Ansparprogramme leisten können«, so Bernhard Achitz, Leitender Sekretär im ÖGB. Deshalb sei es sehr zu begrüßen, dass auch das Regierungsprogramm ein Bekenntnis zu Existenz- und Lebensstandardsicherung im Alter durch das gesetzliche Pensionssystem enthält: »Dass man sich auf die zweite und dritte Säule nicht verlassen kann, ist offensichtlich: Allein in den ersten drei Quartalen 2008 hat das von den Pensionskassen veranlagte Vermögen acht Prozent an Wert verloren.« Von den Pensionskassen wurden den Menschen riesige Renditen vorgegaukelt. Jetzt sind sie von schrumpfenden Zusatzpensionen bedroht. Um massive Pensionskürzungen zu verhindern, fordert der ÖGB eine garantierte Mindestverzinsung. Achitz: »Die Kassen sollen diese aus eigenen Mitteln sicherstellen.«
Die Mindestgarantie der Verzinsung der Pensionskassen wurde 2003 de facto abgeschafft. Auch Dwora Stein, Bundesgeschäftsführerin der GPA-djp, forderte Ende November: »Die Mindestverzinsung sollte am besten rückwirkend ab ihrer Abschaffung durch die damalige Regierung im Jahr 2003 wieder eingeführt werden, um zumindest einen Teil des Schadens wieder gutzumachen.«
Noch mehr Geld vom Staat?
Eine andere Lösung schlägt der Schutzverband der Pensionskassenberechtigten vor: «Wenn nichts geschieht, droht Zigtausenden KassenpensionsbezieherInnen mit Jahresbeginn 2009 eine Kürzung ihrer Pensionen um mehr als 20 Prozent und Hunderttausenden Aktiven eine radikale Beschneidung der von ihnen erwarteten Pensionen«, schlug Verbandssprecher Günter Braun Alarm.
Der Grund für die negative Entwicklung: Statt der erforderlichen Erträge von rund 7,5 Prozent verzeichnen die Pensionskassen heuer massive Veranlagungsverluste von bis zu 20 Prozent. Der Schutzverband fordert deshalb eine Rettungsmaßnahme angelehnt an das Bankenhilfsprogramm und eine staatliche Garantie des Kapitals der Pensionskassenpensionsberechtigten rückwirkend zum 31. Dezember 2007. Das Argument: Die Rettung der zweiten Säule der Altersvorsorge für eine halbe Million Österreicher - der Pension über Pensionskassen - dürfe nicht minder wichtig sein als das Paket zur Stützung der Banken.
Der Druck wächst
Demgegenüber findet Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina, dass der Staat sich aus der Förderung von privaten Pensions- und Vorsorgesystemen zurückziehen sollte. Der Staat habe moralische Mitschuld an den laufenden Kürzungen der Zusatzpensionen, da er seit der Einführung der Pensionskassen im Jahr 1991 die Bedingungen verschlechtert habe, kritisierte Lacina. Durch die Förderung komme es überdies zu einer Umverteilung von unten nach oben, da sich nicht jeder die Teilnahme an der sogenannten dritten Säule der Pensionsvorsorge leisten könnte.
Und während in der Regel gut qualifizierte »Schlüsselarbeitskräfte« auch in wirtschaftlich schwächeren Zeiten wenig zu befürchten haben, zittern jetzt gerade die: Entweder weil die versprochene Betriebspension täglich weniger wird und nicht absehbar ist, wann die Talsohle erreicht sein wird. Und die anderen fürchten sich, ins Visier der Controller zu geraten, die dabei sind, die Bilanzen abzuschlanken und nach Möglichkeit die Rückstellungserfordernisse, die durch direkte Leistungszusagen entstanden sind, aus den Konzern-Bilanzen zu bekommen.
Das Problem ist für die Betroffenen nicht zu unterschätzen: Wer im Fall von Mobbing das Unternehmen »freiwillig« verlässt, verliert unter Umständen seine Anwartschaften ebenso wie bei verschuldeter Kündigung oder unbegründetem Austritt. Und während Experten immer lauter darüber nachdenken, ob die Bilanzierungsvorschriften, die Unternehmen dazu nötigen ihre Bilanzen dem angelsächsischen Vorbild anzupassen, sinnvoll sind, wächst der Druck auf diejenigen, die vordergründig die »Schuldigen« sind: Auf die vielen MitarbeiterInnen, die im guten Glauben unter Umständen sogar auf ein besseres Gehalt zugunsten einer betrieblichen Vorsorge verzichtet haben.
INFO&NEWS
Pensionsrückstellungen
sind Rückstellungen für Verpflichtungen aus betrieblicher Altersversorgung (Pensionsverpflichtungen). Da bei Verpflichtungen aus betrieblicher Altersversorgung unklar ist, ob, wann und in welcher Höhe es zu einer Zahlung an den Versorgungsberechtigten kommt, werden hierfür in der Bilanz keine Verbindlichkeiten, sondern Rückstellungen ausgewiesen.
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Pensionskassengesetz (PKG) und das Betriebspensionsgesetz (BPG) - beide finden Sie unter
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Auslaufen der vorzeitigen Alterspension
Das Pensionsalter für die vorzeitige Alterspension wurde mit 1.10.2000 auf 56?½ Jahre für Frauen und auf 61?½ Jahre für Männer erhöht. Durch die Pensionsreform 2004 wird die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer mit 1.10.2017 abgeschafft, anstelle dessen ist die Korridorpension eingeführt worden.
Pensionskonto
Mit den Bestimmungen der Pensionsregelungen 2004 sind eine Reihe von Änderungen der künftigen Pensionsberechnungen wirksam geworden. Bis dahin gibt es eine Reihe von Übergangsregelungen und Zwischenlösungen, festgeschrieben im Allgemeinen Pensionsgesetz (APG). Wesentliche Neuerung ist das sogenannte Pensionskonto für alle die am 1.1.2005 noch keine 50 Jahre alt waren.
Das Pensionskonto ist leistungsorientiert, es gilt die Formel »80/65/45«; d. h.: wer mit 65 Jahren und 45 Versicherungsjahren in Pension geht, soll 80 Prozent seines durchschnittlichen Erwerbseinkommens als Pension erhalten. Für jeden angerechneten Monat werden 1,78 Prozent der Beitragsgrundlage (Bruttoeinkommen) als Pensionsbeiträge auf einem Pensionskonto gutgeschrieben. Grundsätzlich ist das Pensionskonto für die meisten ArbeitnehmerInnen von Vorteil, insbesondere für Einkommen, die im Laufe der Beschäftigung kontinuierlich gestiegen sind. Nachteile können sich für stark schwankende Einkommen ergeben. Insgesamt sehen Experten im Pensionskonto aber mehr Gerechtigkeit, weil vergangene Einkommen besser aufgewertet werden. Dennoch sollten, etwa bei »steilen« Karrieren, Arbeitplatzwechsel oder anderen beruflichen Veränderungen, ExpertInnen zu Rate gezogen werden, um Klarheit über die künftigen Pensionsansprüche zu bekommen.
Übergangszeit
Bis die neuen Pensionsregelungen für alle gelten, gibt es Übergangsregelungen. Für Versicherte, die unter die Harmonisierung (Pensionskonto) fallen und schon vor Inkrafttreten der Neuregelungen Zeiten in der Pensionsversicherung erworben haben, gibt es einen doppelten Berechnungsmodus. Fällt beispielsweise der Pensionsantritt auf das Jahr 2020 so verteilen sich die 45 Arbeitsjahre auf 30 Jahre »alte« und 15 Jahre »neue« Regelung. Die endgültige Höhe der Pension wird durch die sogenannte Parallelrechnung ermittelt, es sei denn, ein geringer Teil der Versicherungszeiten wurde entweder im alten oder im neuen System erworben. Nachfolgendes Beispiel soll die Parallelrechnung veranschaulichen. Generell soll angemerkt werden, dass es ratsam ist, sich bei der Berechnung von Pensionsansprüchen auf das Fachwissen von ExpertInnen der Pensionsversicherungen, Arbeiterkammern oder Gewerkschaft zu verlassen.
Begrenzung der Verluste (Deckelung)
Zusammen mit der Pensionsharmonisierung wurden die Verluste im Vergleich zur Rechtslage vor dem 1.1.2004 nun stärker begrenzt. Diese Begrenzung der Verluste erfolgte rückwirkend. Wer im Jahr 2004 in Pension gegangen ist, darf nicht mehr als fünf Prozent verlieren. Im Jahr 2008 sind es sechs Prozent, dieser Prozentsatz steigt jedes Jahr um 0,25 Prozent. Ab dem Jahr 2024 darf der Verlust nicht mehr als zehn Prozent ausmachen.
»Hacklerregelung«
Eine Sonderregelung für SchwerarbeiterInnen ist die vorzeitige Alterspension, bekannter als »Hacklerregelung«. Für je zwölf Monate der früheren Inanspruchnahme vor Erreichung des Regelpensionsalters ist ein Abschlag von 1,8 Prozent vorgesehen. Mit dem Sozialrechtsänderungsgesetz 2008 wurde die Hacklerregelung ausgedehnt. Frauen, geboren bis 31.12.1958, und Männer, geboren bis 31.12.1953, können nunmehr frühestens mit dem 55. (Frauen) bzw. 60. Lebensjahr (Männer) in Pension gehen, bis 2013 sogar abschlagsfrei. Ab 2011 wird das Alter für die »Hacklerregelung« schrittweise erhöht.
Voraussetzung sind bei Frauen 40 Beitragsjahre, bei Männern 45. Dabei werden sozialversicherungspflichtige Arbeitsmonate, Monate der freiwilligen Versicherung, nachgekaufte Schul- und Studienzeiten, bis zu fünf Jahre Kindererziehung und maximal 30 Monate eines Zivil- oder Präsenzdienstes berücksichtigt. Auch Zeiten des Krankengeldbezuges ab 1.1.1971 werden nun für die Hacklerregelung herangezogen. Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfezeiten gelten zwar generell nicht, man kann sie aber dazu erwerben. Für 1954 geborene gelten auch die Arbeitslosenzeiten zur Berechnung.
Schwerarbeiterpension
Schwerarbeit ist im AVG klar definiert. Schwerarbeiterpension kann frühestens nach Vollendung des 60. Lebensjahres in Anspruch genommen werden. Weitere Voraussetzungen sind mindestens 120 Schwerarbeitsmonate innerhalb der letzten 240 Kalendermonate vor dem Stichtag.
Korridorpension
Mit dem Pensionskonto wurde anstelle der vorzeitigen Alterspension eine Korridorpension eingeführt. Innerhalb des Korridors kann man wählen, ob man frühzeitig, frühestens mit 62 Jahren oder erst aufgeschoben, spätestens mit 68 Jahren in Pension gehen möchte. Bei Pensionsantritt vor dem 65. Lebensjahr gibt es Abschläge, nach 65 Jahren erhält man Zuschläge. Wer mit 62 in Pension gehen möchte muss Sonderabschläge von monatlich 0,175 Prozent in Kauf nehmen. Wer arbeitslos ist oder mit 62 Jahren seine Beschäftigung verliert, erhält kein Arbeitslosengeld mehr. Er hat daher keine Wahl und muss die Korridorpension in Anspruch nehmen. Nur wer vom Dienstgeber gekündigt wurde oder berechtigt ausgetreten ist, kann ab 62 höchstens für ein Jahr Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe beziehen.
Pensionsanpassung
In Zukunft werden die Pensionen grundsätzlich entsprechend der Inflation, also nach dem Verbraucherpreis-Index erhöht. Für die Jahre 2008 bis 2010 wurde festgelegt, dass nur Pensionen bis zu 55 Prozent der Höchstbeitragsgrundlage im Ausmaß der Inflationsrate erhöht werden. Höhere Pensionen werden nur um den Fixbetrag angehoben. Seit 2004 werden laufende Pensionen im 2. Jahr nach der Zuerkennung erhöht.
Zuverdienst
Bezieht man eine Pension kann man als Pensionist dazuverdienen. Bei Invaliditätspensionen sollte jedoch die Geringfügigkeitsgrenze - für 2008 liegt sie bei 349,01 Euro - nicht überschritten werden, da sonst die Teilpensionsregelung angewendet wird. Bei Bezug einer Schwerarbeiter-, Hackler- oder Korridorpension darf man nicht dazuverdienen.
Pensionsauskunft
Seit Beginn dieses Jahres ist es für Versicherte, die nach 1954 geboren wurden, möglich, eine Kontoauskunft von seiner Pensionsversicherung einzuholen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit sich den Pensionsbetrag bei früherem oder späterem Pensionsantritt berechnen zu lassen.
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BürgerInnenservice:
www.help.gv.at/Content.Node/27/Seite.270000.html
BEISPIEL
40 Versicherungsjahre = 480 Versicherungsmonate, davon je 20 Jahre im alten Pensionsrecht und 20 Jahre im Pensionskonto (je 240 Versicherungsmonate), also jeweils die halbe Zeit.
Altpension mal 240 dividiert durch 480 = Altpension mal 0,5
APG-Pension mal 240 dividiert durch 480 = APG-Pension mal 0,5
Ergebnis:
Die halbe Altpension + die halbe APG-Pension ergibt die Gesamtpension.
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Arbeit&Wirtschaft: Herr Professor, »Endlich unendlich« heißt Ihr Buch über das Altern und die moderne Biomedizin. Ich frage Sie wie im Untertitel: »Und wie alt wollen Sie werden?«
Markus Hengstschläger: Ich bin mit der aktuellen durchschnittlichen Lebenserwartung durchaus zufrieden.
Und wie lange wollen Sie arbeiten?
Nachdem ich ja im wissenschaftlich vorklinischen Bereich tätig bin, so lange ich kann, aus heutiger Sicht - so lange ich gesund bleibe - bis 70, 75.
Andererseits gelten 45-Jährige heute am Arbeitsplatz schon als alt.
Auch am Arbeitsplatz muss - wie ich in meinem Buch erkläre - zwischen Körperlichem und Geistigem unterschieden werden. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist bis jetzt enorm gestiegen und steigt nach wie vor. Ein Kind, das jetzt geboren wird, hat eine 1:1-Chance 2108 seinen hundertsten Geburtstag zu feiern. Daraus ergibt sich wiederum die Frage: Werden die Menschen länger jung oder länger alt sein? Wenn wir einen Menschen, der heute 60 ist, mit einem vergleichen, der vor dreihundert Jahren 60 war, ist der heute biologisch viel, viel jünger als derjenige, der damals gleich lang gelebt hat.
Der entscheidende Punkt ist: Wir sind ja, was das biologische Alter anlangt, schon verjüngt. Das hat die Konsequenz, dass man natürlich auch fitter am Arbeitsplatz sein könnte, gäbe es nicht noch andere Komponenten. Die körperliche »Verjüngung« des biologischen Alters haben wir gut im Griff, jetzt werden wir uns natürlich fragen müssen, können wir auch die geistige Vitalität so aufrecht erhalten?
Die These meines Buches besagt, dass es keine höchste Lebensspanne für den Menschen gibt. Die Wissenschaft beweist uns, dass man bei der Fliege, dem Fadenwurm oder der Maus, das Leben verlängern kann. Und wer es bei der Maus kann, kann es bis zu einem gewissen Grad auch beim Menschen. Allerdings sind diese ganzen Ergebnisse nicht eins zu eins auf den Menschen übertragbar. Bei der Maus wurde durch eine Kalorienreduktion das Leben um 60 Prozent verlängert. Für Menschen wäre das so nicht so anwendbar und wohl auch nicht lebenswert.
Ich glaube, dass wir in hundert oder zweihundert Jahren, wenn die Lebenserwartung weiter steigt, das in unseren Köpfen sitzende Höchstalter von 120 überschreiten werden. Ich stelle immer wieder gerne die Frage: Kann man das Altern aufhalten? Sie werden jetzt vielleicht sagen, man steht in der Früh auf und am Abend ist man einen Tag gealtert. Das Alter in Zeit gemessen werden wir tatsächlich nicht ändern können. Veränderbar ist aber das, worauf es uns ankommt: Vitalität, Lebensqualität, Gesundheit, Fitness, Wellness. Da kann man vieles erreichen und hat man auch viel erreicht. Und ein gesunder Mensch ist ja auch ein gut arbeitender Mensch, geistig und körperlich. Daher müssen wir auch mit einer unglaublichen Veränderung der Arbeitswelt rechnen. Wie wir sie ja auch im Übrigen schon jetzt zu handhaben haben. Also nicht nur, dass wir es uns leisten können, dass die Menschen so alt werden, müssen wir uns schon auch mit der Frage konfrontieren, warum sollen die dann nicht arbeiten - zumindest länger als in der Vergangenheit.
Wenn wir also alle älter werden, wer soll das bezahlen?
Nun ja, was ich in meinem Buch andenke, ist visionär, trifft also weder morgen noch übermorgen ein. Hätte man einem alten Römer, der eine durchschnittliche Lebenserwartung von 22 Jahren hatte, gesagt, dass es einmal eine durchschnittliche Lebenserwartung von 70 bis 80 gibt, hätte er geantwortet: Das könnt ihr euch gar nicht leisten. Was macht ihr mit all diesen alten Menschen? Jetzt leben wir hier in Österreich in einer Gesellschaft, wo man 70, 80 werden kann und kommen ganz gut damit zurecht. Natürlich müssen wir auch für die Arbeitswelt Konzepte entwickeln für eine fernere Zukunft mit gesteigerter Lebenserwartung. Es ist sicher nicht zu früh, jetzt darüber nachzudenken.
Naturwissenschaftliche und medizinische Errungenschaften müssen immer von politischen, ethischen, juristischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Diskussionen begleitet werden, Regelungen müssen entwickelt werden. Ich bringe da gerne das Beispiel der Organtransplantation. Vor 50 Jahren hätten wir nie geglaubt, dass es einmal so hohe Zahlen an Transplantationen in Mitteleuropa geben wird, bei denen man sogar Herzen und Lungen austauscht. Auch das wurde von Diskussionen begleitet.
Und jetzt sind wir wieder einen Schritt weiter mit Gentechnik, Stammzellen oder Nanotechnologie. Da kann vieles noch kommen, was wir heute noch gar nicht ahnen. Vieles von dem, was - als ich vor zwanzig Jahren Genetik studiert habe - als wahr gegolten hat, ist heute längst widerlegt. Hätte man mir damals gesagt, man wird ein Schaf klonen oder das Genom des Menschen aufschlüsseln, ich hätte widersprochen.
Was wird aber in 200 Jahren sein, wenn in den letzten 20 Jahren schon so viel passiert ist? Die Zunahme an fortschrittlichen Entwicklungen ist exponentiell. In 200 Jahren werden Dinge Alltag sein, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Wir werden gesünder älter werden. Und dann müssen wir uns überlegen, was sind die Konsequenzen für die Gesellschaft? Es ist klar, dass der Hundertjährige, der gesund, fit und vital ist, eines Tages seine Rechte einfordern wird, genauso wie man ihm Pflichten zumuten muss. Wer fühlt sich heute mit 60 alt? Viele beginnen neue Ausbildungen, reisen, betreiben Sport.
Als Humangenetiker sind Sie in vielen Ethikkommissionen, wird da über diese Themen diskutiert?
Mein Fach wirft sehr viele ethische Fragen auf, ähnlich den Organtransplantationen vor 40 Jahren. Ich bin ein pragmatischer Ethiker, konfrontiert mit dem Alltag. Wer heute an Stammzellen forscht oder genetische Routinediagnostik macht, hat täglich damit zu tun und muss Probleme lösen. Da gibt es Pro und Kontra.
Die Naturwissenschaften sind ja sehr international, in unserem Labor sind die verschiedensten Nationalitäten vertreten. Gerade Ethikfragen sind aber kulturabhängig. Manchmal denken wir, wir hier in Mitteleuropa sind die Welt. Dabei gibt es z. B. bei Genetik oder Stammzellenforschung in Asien ganz andere Denkansätze.
Wie es in allen Kulturen auch verschieden Annäherungen zum Alter gibt.
Es ist uns leider passiert, dass das Altern ein so negativ behafteter Begriff ist. Biologisch ist Altern natürlich kein Vorteil, sondern ein Anhäufen von Fehlern. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit für Krankheit. Und wir wissen, dass ein Großteil der Geißeln, die uns heute beschäftigen - Alzheimer, Parkinson etc. -, überhaupt erst entstehen, weil wir älter werden. Was mich aber überrascht ist, dass das Alter neben dem medizinisch-naturwissenschaftlichen Aspekt auch sonst in unserer Gesellschaft nicht positiv behaftet ist - und das versteh ich nicht. Es gibt alte Menschen, die sich gegen Veränderung wehren, geistig unbeweglich werden. Aber es gibt auch junge Menschen, die das sind. Das muss man individuell nachprüfen, denn es gibt 60-Jährige, die jung sind und für die Arbeitswelt eigentlich wertvoll, und andere sind schon mit 30 Jahren »alt«.
Alt werden und dabei jung bleiben, kostet Geld - sehen Sie hier die Gefahr einer neuen Klassengesellschaft?
Ein soziales Gesundheitssystem, wie wir es in Österreich haben, wird das auffangen. Das müssen wir uns leisten, und das können wir auch. Global schaut das ganz anders aus. Alles was ich in meinem Buch über die Zukunftsvisionen des Alters schreibe, bezieht sich auf eine Gesellschaft, die sich das leisten kann. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist nicht überall auf diesem Planeten gleich. In den sogenannten Dritte-Welt-Ländern haben die Menschen eine viel niedrigere Lebenserwartung. Es besteht bereits eine Klassengesellschaft, die vielleicht durch die modernen medizinischen Ansätze noch verstärkt wird. Die europäische Gesellschaft veraltet. In manchen Gegenden Afrikas kennen Kinder keine alten Menschen, fast alle sterben dort jung. Diese Unterschiede werden noch wachsen.
Was kann unsere Gesellschaft tun, um sich auf diese Zukunft vorzubereiten?
Zum einen, sich solidarisieren - das heißt ein Netz zu entwickeln, das dafür sorgt, dass Menschen aufgrund von Krankheit oder Einschränkungen keinen Nachteil erleiden in unserer Gesellschaft. Zumindest sollten die Nachteile so gering wie möglich sein.
Die Arbeitswelt ist wettbewerbsorientiert und Krankheit ist immer ein Wettbewerbsnachteil. Man muss also dafür sorgen, dass älter werden nicht ein Nachteil für den Einzelnen ist, sondern dass es ein Vorteil ist, wenn jemand vital älter wird und seine Erfahrung einbringt. Wenn man irgendwann mit 75 in Pension geht, wird man mit 75 wohl so vital sein wie heute 65-Jährige. Eine bestimmte Zeitspanne unseres Lebens werden wir immer arbeiten müssen. Die Arbeitsjahre werden mehr, der Prozentsatz im Verhältnis zu unserem Leben wird in etwa gleich bleiben.
Körper und Gehirn können von der Medizin beim sanfteren Altern unterstützt werden, was macht die Seele?
Keine Ahnung - das ist ja auch heute schon schwierig. Die ältere Gesellschaft ist bereits einer anderen psychischen Umgebung ausgesetzt und das steigert sich sicher. Kann der Mensch gerüstet sein für ein Leben mit 100 bis 120 Jahren im Schnitt, berufstätig bis 80? Das ganze System verschiebt sich. Frauen sind bei der Geburt ihres ersten Kindes älter. Noch vor zwei Generationen waren Frauen 20, wenn sie erstmals Mutter wurden, heute sind sie 30. Betrachtet man die durchschnittliche Lebenserwartung, ist eine 30-Jährige heute viel länger Mutter als eine 20-Jährige damals. Wir haben ja schon das Phänomen, dass immer mehr Ururgroßeltern leben. Immer mehr Generationen desselben Stammbaums werden miteinander umgehen lernen müssen. Diese Probleme gibt es ja heute auch schon.
Wenn die demografische Kurve zur Zunahme der durchschnittlichen Lebenserwartung so weiter geht wie bisher, sind wir in 200 Jahren 200.
Sie haben bereits ein Buch geschrieben »Die Macht der Gene« - ist Ihr Forschungsbereich einer, auf den die Wirtschaft versucht besonders zuzugreifen?
Ich war schon Genetiker, als in Österreich das Gentechnikvolksbergehren stattgefunden hat. Ich war damals gerade an der University of Yale. Und damals haben Freunde gesagt, du brauchst gar nicht zurückkommen, 1,3 Mio. Menschen wollen mit Gentechnik nichts zu tun haben. Was damals aber niemandem klar war und auch heute nicht alle wissen: Es gibt kein Insulin, das nicht gentechnisch hergestellt wird, jedes Kind, das in Österreich zur Welt kommt, wird seit 30 Jahren auf genetische Erkrankungen untersucht und vieles mehr. Das Besondere an unserem Fach ist, dass man mittels Genetik etwas über Krankheiten eines Menschen erfahren kann, wenn er noch gesund ist. Wir können sagen, was jemand mit hoher Wahrscheinlichkeit bekommen wird. Das ist für die Wirtschaft hochinteressant. Lebensversicherungen und ArbeitgeberInnen sind an solchen Informationen sehr interessiert. Denken Sie an andere europäische Länder wie England, wo das nicht wie bei uns verboten ist. Ohne Gentest zahlt man für eine Versicherung vielleicht die höhere Prämie.
Das muss man natürlich bei der ethischen Betrachtung unseres Faches beachten. Andererseits, wenn ich weiß, dass jemand ein sehr hohes Herzinfarktrisiko hat, genetisch nachgewiesen, werde ich mir natürlich überlegen, ob ich denjenigen als Piloten einsetze. Das ist eine Gratwanderung. Es gibt großes Interesse an genetischen Daten. Aber wir haben in Österreich ein sehr strenges Gentechnikgesetz, an dem ich mitarbeiten durfte, das derlei Missbrauch verbietet. Wie weit und wie lange man diese Position allerdings international halten kann, ist eine andere Frage. Viele EU-Länder haben das nicht. Ich bin sehr froh darüber, dass das bei uns noch so ist.
A&W: Wir danken für das Gespräch
Interview
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Mehr Infos unter:
de.wikipedia.org/wiki/Hengstschlaeger
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12 | Arbeit und Alter
In fünf Jahren werden Erwerbspersonen über 45 Jahren die relativ größte Altersgruppe am Arbeitsmarkt sein.
14 | Kein Tsunami
Dass wir immer älter werden, ist eine Tatsache, doch kein Grund zur Panik. Demografie wird oft als Totschlagsargument genutzt.
16 | Alternsgerechtheit
Das Altern der Gesellschaft braucht Gestaltung. Betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention sind wichtige Instrumente.
18 | Das dritte Leben
Psychologe Heiko Ernst ruft die Achtundsechziger auf, an ihre Weltverbesserungsprojekte anzuknüpfen.
20 | Ein toller Erfolg?
Zwischen 2005 und 2007 soll die Beschäftigungsquote der 55- bis 64-Jährigen um 80.000 gestiegen sein.
22 | Raus mit 55?
Wer mit Mitte 50 seinen Job verliert, ist geschockt. Doch es gibt ein Leben nach dem Schock. Wenn auch kein leichtes.
26 | Age Management
Das oberösterreichische Sozialpartnerprojekt WAGE zur interessenpolitisch geleiteten Organisationsberatung.
28 | 50plus: Keine Panik
Du bist doch noch gar nicht alt, gilt als Kompliment. Alt nicht, aber älter schon. Wir stehen dazu. Wozu eigentlich?
30 | Risiko Pensionszusage?
Viele ältere ArbeitnehmerInnen zittern um ihre Firmenpensionen, andere aufgrund von Leistungszusagen um ihren Job.
32 | Älter und gemobbt
In der Mobbingberatung des ÖGB Vorarlberg waren 2007 rund zwei Drittel der Ratsuchenden 45 Jahre und älter bzw. Frauen.
33 | Mit Reife und Geduld
Oft liegen nur wenige Jahre zwischen den Heimhilfen, die ältere Menschen betreuen, und ihren KlientInnen.
34 | Froher Un-Ruhestand
Den einen ist es das Ziel aller Ziele, den anderen ein immer näher kommender Alptraum: die Pension. Ein Grund zur Freude?
Interview
_8 | Wir werden jünger älter
Markus Hengstschläger über Chancen und Risiken der Genetik und die Auswirkungen auf das Altern unserer Gesellschaft.
Standards
_ 4 | Standpunkt: Eine Frage des Alters
5 | Veranstaltung: Danke für ihre Spende
6/7 | Aus Arbeiterkammer und Gewerkschaften
11 | Historie: Wenn es ans Geben geht...
36 | Historie: Nicht mehr betteln geh´n
46 | Man kann nicht alles wissen
aus Arbeiterkammern & Gewerkschaften
44 | Betriebsrat aufgepasst
Wirtschaft & Arbeitsmarkt
37 | Verbraucherpreise
38 | Regierungsprogramm
40 | EU-Gesundheitspolitik
42 | Die Post geht ab
Resolution für den freien Sonntag
Über 120 Personen nahmen an der Enquete der »Allianz für den freien Sonntag Österreich« und des BMSK teil. Der Höhepunkt war eine Resolution zur Aufnahme des freien Sonntags in die EU-Arbeitszeitrichtlinie. Sie wurde von den Allianzen für den freien Sonntag Deutschland, Polen und Österreich verfasst und von über 100 TeilnehmerInnen aus ganz Europa unterzeichnet. Zu den ErstunterzeichnerInnen zählen Franz Georg Brantner (GPA-djp), Bischof Ludwig Schwarz (Diözese Linz), Ulrich Dalibor (ver.di, Deutschland), Alfred Bujara (Solidarnosc, Polen), Alexandr Leiner (Handelsgewerkschaft »OSPO«, Tschechien) Dragica Miseljic (STH, Kroatien) und Katharina Kulandova (Handelsgewerkschaft »OZPOCR«, Slowakei).
Die Resolution betont, dass der freie Sonntag als gemeinsame Pause einen besonderen Beitrag zur Gesundheit der Menschen leiste: »Wir beziehen uns darin auch auf eine erst kürzlich von der EU-Kommission veröffentlichte Studie, wo festgestellt wird, dass die psychische Gesundheit der Menschen von Maßnahmen betroffen ist, die sich auf das Familienleben auswirken. Familienleben, das bedeutet soziale Beziehungen aufzubauen und zu pflegen. Dafür braucht es einen gemeinsamen Ruhetag«, erläutert Brantner.
Europäische Trends
Brantner sieht die Initiative der Sonntagsallianzen als längst notwendigen Vorstoß gegen einen negativen Trend: »Die Zahl der ›Sonntagserwerbstätigen‹ wächst Jahr für Jahr, die ›Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft‹ kündigt sich an. Diese Entwicklung zeigt sich in vielen europäischen Ländern, aber parallel dazu formieren sich auch in ganz Europa Bündnisse und Bewegungen gegen die Sonntagsarbeit.«
»Wir befürchten in Österreich auch, dass die Sonntagszuschläge in anderen Branchen in Diskussion geraten würden, wenn im Handel die Sonntagsarbeit zum Normalzustand würde. Das wäre zum Nachteil für alle.«
Der freie Sonntag war auch bisher immer schon Thema bei den Treffen des Wiener Dialogs: »Dieses Jahr konnten wir als konkretes Ergebnis die Resolution verabschieden, um uns auf EU-Ebene Gehör zu verschaffen. Wir haben uns bereits an den EU-Abgeordneten Harald Ettl gewandt und werden auch die anderen europäischen Abgeordneten auffordern, unsere Forderung zu unterstützen«, beschreibt Brantner die Pläne der Bündnispartner.
Wer den Sonntag nicht ehrt
Die »Allianzen für den freien Sonntag« in Österreich, Deutschland und Polen sind breit angelegte Bündnisse aus Kirchen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen:
In Polen engagiert sich hier vor allem die Solidarnosc. Aktionen im Handel haben dazu geführt, dass 2007 der Gesetzgeber beschlossen hat, 12 Feiertage im Jahr für ArbeitnehmerInnen einzuführen. Beflügelt durch diesen Erfolg wurde heuer eine Allianz für den freien Sonntag gegründet, deren Ziel ein Handelsverbot für den Sonntag ist. Mehr als 75 Prozent der polnischen Bevölkerung befürworten heute den arbeitsfreien Sonntag im Handel.
In Deutschland sind die Ladenöffnungszeiten Ländersache: »Wir hören immer wieder, dass in den Einkaufszentren Restaurants besser gehen als die Geschäfte. Die Deutschen haben einen hervorragenden Slogan entwickelt, mit dem sie in die Wahlen - ganz besonders in die kommenden Europa-Wahlen - ziehen: Wer den Sonntag nicht ehrt ist unsere Stimme nicht wert!«, erzählt Brantner von den Initiativen der Nachbarn.
Ziel ist EU-Recht
Bis zur Verankerung des Sonntags im EU-Recht liegt noch viel Arbeit vor den Bündnispartnern: »Wir wollen zuerst alle Länder des Wiener Dialogs ins Boot holen. Eine starke Bewegung für den freien Sonntag gibt es bereits in Slowenien. Dort wurde zur Sonntagsöffnung sogar schon ein Referendum abgehalten, bei dem sich die Menschen für den freien Sonntag aussprachen. Doch dieses Ergebnis wurde von der Regierung nicht umgesetzt.«
In Kroatien blieben die Geschäfte unter der alten, arbeitnehmerinnenfreundlichen Regierung sonntags geschlossen. Die neue neoliberale Regierung hat das nun gekippt. Auch hier sind viele Menschen unzufrieden.
»In den anderen Ländern des Wiener Dialogs, also in Tschechien, der Slowakei, Ungarn und Rumänien, gibt es derzeit fast keine Reglementierungen«, sagt Brantner. Die Gewerkschaften in diesen Ländern kämpfen oft mit dem Problem, dass es nur für Sonntagsarbeit gute Zuschläge gibt und daher die Mitglieder der Forderung nach Sonntagsruhe sehr ambivalent gegenüberstehen. »Die Menschen möchten in einer Branche, die ohnehin schlecht zahlt, die einzige Möglichkeit etwas mehr zu verdienen nicht verlieren«, gibt Brantner zu bedenken.
Ein anderes länderübergreifendes Problem ist das bei der Jugend so beliebte »Eventshopping«. Jugendliche sehen Shopping als coole Freizeitbeschäftigung, davon profitieren besonders die Einkaufszentren und machen massives Lobbying für die Sonntagsöffnung.
Insgesamt zeigt sich Franz Georg Brantner optimistisch und sieht die Resolution der Sonntagsallianzen als einen wichtigen ersten Schritt: »Ich vertraue auf die gute Zusammenarbeit der Gewerkschaften und Kirchen und auf die internationale Solidarität. Wir haben uns ein hohes Ziel gesteckt, wir werden es gemeinsam durchsetzen.«
Info&News
Kulturgeschichte des Sonntags
Die Siebentagewoche ist der Rhythmus, der seit ungefähr 4.000 Jahren das Leben vieler Völker prägt. Beim Arbeiten im »gleichen Takt« stellt der Sonntag die unverzichtbare Synchronisation dar. Dieser gemeinschaftsstiftende Tag, an dem alle zur Ruhe finden, ist fest in unserer Kultur verankert.
Der Sabbat der Juden und der Sonntag der Christen wurden zum Tag des Herrn, aber auch zum Tag der Gemeinschaft und der Versammlung. Als Kaiser Konstantin im Jahr 321 das Sonntagsgesetz erstmals staatlich verankerte, verbot er jegliche Arbeit mit Ausnahme der Feldarbeit. Im 19. Jh. stellte die industrielle Revolution den freien Sonntag mehr und mehr in Frage, und die Sonntagsruhe musste von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften erst wieder hart erkämpft werden.
Heute arbeiten bereits fast eine Million ÖsterreicherInnen zumindest gelegentlich am Sonntag. Der größte Teil der Sonntagserwerbstätigen fällt auf die Dienstleistungen in den Bereichen Beherbergungs- und Gaststättenwesen und Gesundheits- und Sozialwesen. Es arbeiten deutlich mehr Frauen an Sonntagen als Männer.
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Die »Allianz für den freien Sonntag Österreich« setzt sich für den Schutz des freien Sonntags vor schleichender Aushöhlung durch Wirtschaft und Politik ein. Sie will öffentliches Bewusstsein für den sozialen Wert gemeinsamer freier Zeit schaffen. Damit soll dem Trend entgegengewirkt werden, dass alle Lebenszeit zu Arbeits- und Konsumzeit wird. Der arbeitsfreie Sonntag findet in der Bevölkerung eine breite Zustimmung. Getragen wird dieses Bündnis aus 54 Mitgliedsorganisationen vom ÖGB und seinen Gewerkschaften sowie den Kirchen und Ordensgemeinschaften.
Weblinks
Österreich:
Allianz für den freien Sonntag Österreich
www.freiersonntag.at
Deutschland:
Allianz für den freien Sonntag Deutschland
www.allianz-fuer-den-freien-sonntag.de
Polen:
Allianz für den freien Sonntag Polen
www.solidarnosc.org.pl/handel
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oder die Redaktion
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Seit 1997 Berufsreifeprüfung
Seit 1997 gibt es für AbsolventInnen der erwähnten mittleren Ausbildungen die Möglichkeit mit der Berufsreifeprüfung die Berechtigungen einer Matura zu erwerben, das umfasst neben dem Zugang zum Studium auch die Anerkennung im Bundesdienst und teilweise im Landesdienst. Nach elf Jahren kann mit über 12.000 AbsolventInnen und ca. 10.000 TeilnehmerInnen, die sich jährlich in Kursen auf die Prüfung vorbereiten, eine positive Bilanz gezogen werden. Die meisten AbsolventInnen kommen aus der Lehre (über 60 Prozent) und aus den mittleren Schulen (fast ein Drittel).
Allerdings sind Vorbereitung und Ablegung dieser Prüfung kostenpflichtig, was für viele eine große finanzielle Belastung oder sogar eine unüberwindliche Hürde darstellt. Die durchschnittlichen Gebühren für die Vorbereitung auf die BRP und die Prüfungsgebühren betragen etwa 3.000 Euro. Jedes Bundesland fördert mittlerweile die BRP, jedoch in ganz unterschiedlicher Weise - zwischen keinerlei Zuschuss und voller Finanzierung.
Erfreulich ist, dass fast sechs von zehn AbsolventInnen der BRP weiterführende Bildungswege besuchen. Aufbauend auf einer mittleren Ausbildung wird dabei durch die Absolvierung von Prüfungen über Inhalte auf dem Niveau einer höheren Schule eine gleichwertige Reifeprüfung erlangt. Die geringen Fortschritte bei der Durchlässigkeit der Lehrausbildung in Richtung Höherqualifizierung haben dazu geführt, die Berufsreifeprüfung für Lehrlinge neu aufzustellen. Den Jugendlichen in diesen Ausbildungen und in einem zweiten Schritt den fertigen AbsolventInnen sollen Vorbereitung und Ablegung der Berufsreifeprüfung erleichtert werden. Somit haben mehr Lehrlinge die Chance auf Höherqualifizierung im Beruf und Zugang zum weiterführenden Lernen.
Notwendigkeit von Neuerungen
Der Ansatz für die Reform hat zwei Schwerpunkte: Erstens soll der Erwerb der Berufsreifeprüfung für die Lehrlinge kostenfrei sein und zweitens soll das Angebot näher an die Lebens- und Schulwelten der Lehrlinge herangebracht werden. Unter den bisherigen TeilnehmerInnen an den Vorbereitungskursen befinden sich nur sechs Prozent, die diese Kurse schon während ihrer Erstausbildung besuchen.
Für die Umsetzung dieses Ziels wurde vom Unterrichtsministerium ein neuer Ansatz gewählt: Neben Änderungen im Berufsreifeprüfungsgesetz, damit Lehrlinge bis zu drei Teilprüfungen schon während ihrer Ausbildung ablegen können, kam es zur Entwicklung eines Förderprogramms: Der Bund gibt Richtlinien vor, nach denen die Bundesländer Modelle für die Vorbereitung der Lehrlinge auf die Berufsreifeprüfung erarbeiten können. Erfüllen diese Angebote die Richtlinien, so werden die Kursplätze in den Bundesländern vom Bund finanziell gefördert. Das Förderprogramm hat eine Laufzeit von vier Jahren, und es werden insgesamt knapp zehn Mio. Euro vom Bund zur Verfügung gestellt. Geplant ist diese Förderung für maximal 1.600 Lehrlinge pro Jahrgang, das entspricht etwa fünf Prozent der LehranfängerInnen.
Die Eckpunkte des neuen Modells
Die Einschätzung des neuen Modells
Die Berufsreifeprüfung parallel zur Lehre zu erwerben, bedeutet eine große Chance auf Höherqualifizierung und eine Vermittlung von wertvollen Berechtigungen, die für die AbsolventInnen gute Chancen im späteren Berufsleben eröffnen. Wichtig ist es auch, dass der Erwerb der Berufsreifeprüfung für die Lehrlinge kostenlos ist und die Vorbereitungskurse in engem Zusammenhang mit der Berufsschule bzw. der betrieblichen Ausbildung stehen. Nicht zu unterschätzen ist jedoch die enorme Belastung, die auf die Jugendlichen zukommt, wenn sie neben den Inhalten der Lehrausbildung auch Kenntnisse auf Maturaniveau in vier Bereichen erwerben müssen.
Neben diesem Ziel, das zu unterstützen ist, gibt es beim neuen Modell einige »Schönheitsfehler«, auf die von der AK bei der Gestaltung des Modells hingewiesen wurde: Erstens existiert das Angebot der kostenlosen Vorbereitung parallel zur Erstausbildung nur für die Lehre und nicht für die berufsbildenden mittleren Schulen und die Schulen im Bereich des Gesundheitswesens. Zweitens ist zwar in Debatte, aber noch nicht gesichert, dass es ein kostenloses Angebot zur Ablegung der Berufsreifeprüfung für AbsolventInnen der mittleren Ausbildungen geben wird. Weiters ist die Arbeiterkammer dafür eingetreten, dass die Möglichkeit der Lehrzeitverlängerung präziser geregelt wird. In der Pilotphase wird auch genau zu beobachten sein, wie sich die Modelle in den Bundesländern entwickeln. Alle Lehrlinge sollen die gleichen Möglichkeiten zur Ablegung der Berufsreifeprüfung haben, egal in welchem Bundesland sie ihre betriebliche Ausbildung bzw. die Berufsschule besuchen. Die Frage bundesländerübergreifender Besuche von Vorbereitungslehrgängen kann zurzeit nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Schließlich sollte das Modell in den entsprechenden Schulgesetzen verankert sein und nicht bloß als Förderprogramm im Rahmen von Teilrechtsfähigkeit und privatwirtschaftlichen Verträgen existieren.
Weblinks
Bundeshotline zur Berufsmatura: 0800 50 15 30 (zum Nulltarif).
www.bmukk.gv.at/berufsmatura
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Kritische Sicht des Mainstream
Der Nobelpreis wurde Krugman für seine bahnbrechenden Arbeiten auf dem Gebiet der Außenhandelstheorie zu Beginn seiner Karriere zuerkannt. Hier zeigte sich bereits seine kritische Sicht des herrschenden Mainstream, nach dessen Lehren die Handelsströme aus der Unterschiedlichkeit der Ausstattung der einzelnen Länder mit natürlichen Ressourcen sowie mit Arbeit und Kapital zu erklären waren. Krugman nahm die Tatsache ernst, dass sich der Großteil des internationalen Handels zwischen annähernd gleich stark entwickelten Industrieländern abspielt, die einander häufig mit Produkten sogar ein und derselben Branche (sog. »intra-industrieller Handel«) beliefern. Mit zunehmender Spezialisierung und Arbeitsteiligkeit wird die Wertschöpfungskette immer mehr zerlegt, erfolgreich sind jene Unternehmen, die durch technischen Fortschritt und/oder größere Produktionsmengen für größere Absatzmärkte Kostenvorteile haben. Vor allem große Industrieländer können so eine »strategische Handelspolitik« - sprich Protektionismus - betreiben, um ihren Unternehmungen gezielt solche Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Dagegen hat sich aber Krugman immer mit aller Vehemenz ausgesprochen.
Die Wende in der Wirtschaftspolitik durch die Wahl Ronald Reagans zum US-Präsidenten hat Krugman von Anfang an bekämpft. Als unerschütterlicher Keynesianer sah er im Geld- und Finanzsektor das stärkste Gefährdungspotenzial für die Stabilität der Wirtschaft. Gegen den Monetaristen Milton Friedman argumentierte er für eine Globalsteuerung des Wirtschaftsablaufs mittels Geld- und Budgetpolitik, welche die Schwankungen zwar nicht beseitigen, aber sehr wohl heftigere Ausschläge verhindern kann.
Krugman profilierte sich schon seit den Achtzigerjahren als Sozialkritiker, der die wachsende Ungleichheit der Einkommens- und Vermögensverteilung durch Beiträge in einflussreichen Tageszeitungen wie der New York Times aufdeckte und vor deren Konsequenzen warnte. Er plädierte für Maßnahmen zur Stärkung der Gewerkschaften, um den Fall der Reallöhne aufzuhalten. In der Steuerpolitik deckte er schonungslos die Lächerlichkeit von Argumenten wie der einst so bekannten »Laffer-Kurve«, mit der Reagan Steuergeschenke an die Reichen und Superreichen begründete, auf.
Unentbehrliche Rolle des Staates
In seinem Buch »Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten«1 zeigt er in anschaulicher Argumentation die unentbehrliche Rolle des Staates für die Bildung einer ausgewogenen Gesellschaftsstruktur auf. Die seit einiger Zeit erodierende, aber in den USA noch vorhandene breite Mittelschicht ist nach Krugmans Ansicht wesentlich das Produkt der Wirtschafts- und Sozialpolitik der New-Deal-Ära des großen Präsidenten Roosevelt. Vom neuen Präsidenten Barack Obama erwartet sich Krugman eine neue New-Deal-Ära, in der die USA die Schäden der Finanzmarktökonomie bewältigen und wieder größeren sozialen Zusammenhalt für ihre Gesellschaft erreichen können.
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12008 erschienen im Campus-Verlag, ca. 25 Euro
]]>Frühe Prognosen
»Seit in den 1970er-Jahren die ersten größeren Währungsspekulationen begannen, hat sich ein Hang zu finanzieller Spekulation über viele weitere Felder ausgebreitet«, schrieb der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmid im Februar 2007 in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Mit hohem Einsatz werde auf die künftige Entwicklung der Preise von Rohstoffen, Aktien, Anleihen, Grundbesitz, Zinsen gewettet. »Zugleich mit dem Spekulationismus erleben wir einen Verlust von Anstand und Moral. Kreditfinanzierte Übernahmen gut gehender Unternehmen sind an der Tagesordnung.« Begleitet von einer »grandiosen Selbstbereicherung« treten Finanzmanager als Eigentümer auf und entscheiden über das Schicksal eines fremden Unternehmens und all seiner Mitarbeiter.
Nicht ohne Staat
Der 2006 verstorbene Wirtschaftswissenschafter John Kenneth Galbraith hatte schon 1950 beschrieben, wie wenig die Wirklichkeit mächtiger Konzerne mit der Theorie sich selbst regulierender Märkte zu tun habe. Das System funktioniere nur, wo es auf eine Gegenmacht wie Gewerkschaften und andere Gesellschaftsgruppen stoße. Wo dieser Gegenpol nicht zustande kommt, müsse der Staat einspringen.
Die Lehre aus der Krise, dass alles schon so oder zumindest so ähnlich bereits da gewesen ist, hilft nicht weiter. Was von den vielen kritischen Stimmen seit langem prophezeit wurde, ist nunmehr eingetreten. In seinen Thesen in »Die Ökonomie des unschuldigen Betrugs«, stützt sich Galbraith auf die Tatsache, dass in modernen Volkswirtschaften Konzerne das Sagen haben, deren Macht von den Eigentümern auf das Management übergegangen ist. Deren Herrschaft, mit allen Möglichkeiten der Selbstbedienung, werde auch durch die eher rituellen Aktionärstreffen keineswegs geschmälert.
Das neoliberale Wirtschaftssystem hat für den Großteil der Menschen nur Nachteile gebracht. »Das Profitinteresse Weniger darf nicht länger über den Interessen der Mehrheit der Menschen und der Umwelt stehen«, meint Christian Felber von Attac Österreich. Die drei großen Forderungen des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac sind aktueller denn je: eine globale Finanzmarktaufsicht, welche die Banken weltweit reguliert und »innovative Finanzprodukte« vor der Zulassung prüft. Eine Weltsteuerbehörde mit Einführung einer Transaktionssteuer. Und eine Währungskooperation nach dem Grundgedanken von John Maynard Keynes mit einer globalen Verrechnungseinheit für den Welthandel.
Einstweilen sind Sofortmaßnahmen nötig. »Eine angemessene Realeinkommenserhöhung und eine steuerliche Entlastung der unselbstständig Beschäftigten sind ein Gebot der Stunde«, stellte Wolfgang Katzian, Vorsitzender der Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) bei der UNI-Finanz-Konferenz Anfang November fest. Den weltweit rund drei Millionen Beschäftigten des Finanzsektors, so forderten die Delegierten, soll bei der Neuregulierung des Finanzsektors eine gewichtige Stimme eingeräumt werden.
Der Kapitalismus, so hatte John Kenneth Galbraith in der Mitte des vorigen Jahrhunderts geschrieben, würde immerhin aus seinen Krisen lernen. »Einer beginnenden Depression würde heute nicht mit dem unverrückbaren Willen begegnet werden, alles nur noch schlimmer zu machen.« Galbraith verwies auf die Sicherungen, die der Kapitalismus seit der großen Weltwirtschaftskrise 1929 »erfunden« hat: etwa Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Seit 1945 hatte Amerika zehn Rezessionen, aber keine weitere Depression gezählt.
Garanten für weitere Krisen
Als »Garanten für weitere Krisen« bezeichnet das globalisierungskritische Netzwerk den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Welthandelsorganiation (WTO).
»Die von den G20 angekündigte Regulierung der Marktteilnehmer und Produkte auf den Finanzmärkten kommt für Millionen Menschen, die von der Wirtschaftskrise betroffen sind, viel zu spät. Das globale Finanzcasino ist endlich zu schließen. Sich einzelne Spieltische und Gambler näher anzusehen, wird das Problem nicht lösen«, erklärt Christian Felber von Attac Österreich nach dem Finanzkrisengipfel in Washington.
»Für einen grundsätzlichen Politikwechsel sind die G20, vor allem aber der Internationale Währungsfonds und die Weltbank die falschen Institutionen. Diese Form demokratisch nicht legitimierter Gipfel ist zu beenden. Es benötigt ein Gremium unter UN-Führung, an dem alle Länder, Parlamente und sozialen Bewegungen beteiligt sind«, fordert Felber.
Keine Lehren aus der Krise
Scharf kritisiert Attac die Absicht, den IWF zu stärken. »Damit sind neue Krisen programmiert. Der IWF ist mit seiner Liberalisierungs- und Deregulierungspolitik einer der Brandstifter, der munter weiter zündelt.«
In Ungarn, Südafrika, den Seychellen und einigen anderen Ländern wurden in den vergangenen Wochen unter dem Druck des IWF klassisch neoliberale Strukturanpassungsmaßnahmen aufgelegt - inklusive drastischer Zinserhöhungen und Haushaltskürzungen.
Als katastrophal bezeichnet Attac die Absicht der G20, die Doha-Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation zu einem Abschluss zu bringen. Schließlich gehe es bei den WTO-Verhandlungen um eine weitere Liberalisierung der Finanzmärkte. »Das Abkommen zur Deregulierung von Buchhaltungsstandards liegt schon fertig auf dem Tisch und würde im Falle eines Doha-Abschluss automatisch in Kraft treten.
Das internationale Finanzsystem ist kollabiert, es droht eine Weltwirtschaftskrise. Die Maßnahmen weisen auf keine Veränderungen des bisherigen Weges hin. »Was mich am meisten beunruhigt«, meint der Philosoph Jürgen Habermas, »ist die himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit. Die sozialisierten Kosten des Systemversagens treffen die verletzbarsten sozialen Gruppen am härtesten.« Nun würde die Masse derer, die ohnehin nicht zu den Globalisierungsgewinnern gehören, für die realwirtschaftlichen Folgen einer vorhersehbaren Funktionsstörung des Finanzsystems noch einmal zur Kasse gebeten. Und dies nicht wie die Aktienbesitzer in Geldwerten, sondern in der harten Währung ihrer alltäglichen Existenz.«
Weblinks
Christian Felber
www.christian-felber.at
Attac Austria
www.attac.at
Interessante Beiträge zum Thema finden Sie auch auf der Homepage des Beirats für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpoltische Alternativen
www.beigewum.at
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Nudeln um 39 Prozent teurer
Auch bei uns schnellte der Preis für Nudeln in nur einem Jahr um 39 Prozent in die Höhe. Auch bei uns leben Menschen am Rande der Armut. Denn es trifft immer mehr: Alleinerzieherinnen schaffen es ebenso knapp wie viele Studenten; Arbeitslose haben oft auch nur das allernotwendigste zum Leben, weil neben den Mieten und Energiepreisen auch die Lebensmittelpreise rasant ansteigen.
Sozialmärkte, sogenannte SOMAS, versuchen Abhilfe zu schaffen: Mit günstigen Lebensmitteln, Überschussproduktion oder Ware mit Verpackungsschäden versuchen die mittlerweile zahlreichen SOMAs Österreichs ein wenig Erleichterung für die knappen Budgets von Menschen am Rande der Armut zu bringen.
Auch wenn sich vor den Sozialmärkten die Menschen drängen, nicht jeder ist begeistert über die neue Entwicklung: Der sozialpolitische Arbeitskreis Tirol geißelt die Sozialmärkte als Almosenprojekte, die nicht vor Armut und Ausgrenzung schützen: »Nur Leistungen mit Rechtsanspruch bieten für Menschen in existenziellen Notlagen eine Grundvoraussetzung für soziale Absicherung und gesellschaftliche Reintegration. Laut einer Studie des Europäischen Zentrums haben in Österreich 62 Prozent aller Anspruchsberechtigten Grundsicherung beziehungsweise Sozialhilfe nicht in Anspruch genommen.« Der ÖGB sieht das anders. Er unterstützt die Sozialmärkte als »eine beispielgebende Initiative gegen die Armut. SOMAS sind eine wesentliche Ergänzung zur staatlichen Armutsbekämpfung«, so Renate Czeskleba, Leiterin des ÖGB-Referates Humanisierung, Technologie und Umwelt.
Für die Menschen, die sich schon in der Früh beim Sozialmarkt in der Braunspergengasse in Wien-Favoriten anstellen, liegt die Wahrheit in der Mitte: »Hier gibt es oft Dinge, die ich mir auch beim Diskonter nicht leisten könnte: Süßigkeiten für meine Enkerln zum Beispiel«, so eine Rentnerin die zur Stammkundschaft gehört. Kritisiert wird, dass es oft gerade bei den Grundnahrungsmittel viel zu wenig Angebot gibt, und Obst oder Gemüse so gut wie gar nicht den Weg in manche Sozialmärkte findet, dabei gehört gerade diese Frischware mittlerweile für viele Menschen zum Luxus.
Kampf gegen Mangelernährung
In Deutschland gibt es daher Sozialmärkte, die nicht nur den Kampf gegen die Armut aufgenommen haben, sondern auch den Kampf gegen Mangel- oder Fehlernährung: Einige deutsche SOMAS geben an ihre Kunden/Kundinnen gezielt und regelmäßig Obst und Gemüse ab. Viele kaufen das, wenn die Spenden nicht reichen, aus den erwirtschafteten Überschüssen auch zu. Der Grund: Gerade die, die am Rande der Armut leben, ernähren sich oft ungesund. Große Mengen an Fett und leeren Kohlenhydraten machen zwar satt aber nicht gesund.
In Österreich ist das derzeit nicht üblich. Im Gegenteil: So mancher Sozialmarkt hat einen Gutteil an vorrätigen Lebensmitteln von großzügigen Lebensmittelkonzernen, die zum Beispiel fehl verpackte Süßigkeiten und Knabberzeug liefern. Das führt dazu, dass sich zwar viele KäuferInnen freuen, wenn sie um bis zu ein Drittel verbilligte Süßwaren ergattern - für viele von ihnen ist das tatsächlich die einzige Möglichkeit sich so etwas leisten zu können - für die tägliche gesunde Ernährung findet sich aber oftmals nur ein Vollkornbrot, gespendet von einer der zahlreichen Großbäckereien.
Illustre Firmen liefern
Der erste Sozialmarkt Wiens hat seit Mai dieses Jahres geöffnet: Über 5.000 Menschen haben sich bereits einen Sozialmarktausweis organisiert und nutzen die Möglichkeit, Lebensmittel zu verbilligten Preisen einzukaufen. Unter den Lieferanten des Marktes in Wien Favoriten sind so illustre Firmen wie Coca Cola, Wiesbauer, Recheis, Darbo, Felix und Manner zu finden. Doch die Waren des täglichen Bedarfes Öl, Margarine und frisches Obst und Gemüse sind selten und entsprechend begehrt. Doch auch wenn die Sozialmärkte keine »Vollversorgung« für Bedürftige bieten können, in Wien eröffnete vor kurzem auch im 7. Bezirk ein Sozialmarkt, der schon in den ersten Tagen richtiggehend »gestürmt« wurde. Und im benachbarten Bezirk Mariahilf (Wallgasse 6) arbeitet Pfarrer Wolfgang Pucher an einem VinziMarkt.
Wer sich jetzt vorstellt, dass in den SOMAS nur Menschen einkaufen, die ganz unten angekommen sind, der irrt. In Zeiten wie diesen, sind auch AlleinverdienerInnen oder kinderreiche Familien von Armut bedroht. Schon der Ausfall eines wichtigen Haushaltsgerätes oder ein Problem mit dem Auto können das System endgültig zum Kippen bringen. Und dass all die Menschen, die versuchen von McJobs ihr Leben zu fristen, ohne Problem ihren täglichen Einkauf im Supermarkt erledigen können, glauben ohnehin nur noch Optimisten.
Wer in den Sozialmärkten einkaufen will, muss mittels Einkommensnachweis seine Bedürftigkeit nachweisen: In der Regel gilt: Das Einkommen darf 800 Euro pro Monat nicht überschreiten.
Doch die Sozialmärkte tun noch mehr, als Menschen mit preisgünstigen Lebensmitteln versorgen: Sie bringen Produkte in Verkehr, die ohne ihr Zutun zum größten Teil entsorgt worden wären. Und viele Sozialmärkte dienen gleichzeitig einem »arbeitsmarktpolitischen« Zweck: Die MitarbeiterInnen sind vielfach Langzeitarbeitslose, die in den SOMAS wieder in den regulären ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden sollen.
Neben den »klassischen« SOMAS gibt es auch alternative Modelle, die daran arbeiten, dass in Zeiten der Krise auch Menschen ohne Rücklagen eine ausreichende und abwechslungsreiche Versorgung sichergestellt bekommen: In Kapfenberg hat nun der »Einer für alle-Markt« eröffnet - kein Sozialmarkt, sondern ein sozialer Nahversorger, in dem billiger eingekauft werden kann. Jeder, dessen Einkommen nicht mehr als 900 Euro netto beträgt, kann eine Chipkarte beantragen und um 30 Prozent billiger einkaufen. Geführt wird der neue Nahversorger vom Verein Pro Mente, die Gemeinde übernimmt die laufenden Kosten. Der Vorteil ist ein doppelter: Erstens müssen sich die KonsumentInnen nicht outen, indem sie in den SOMA gehen, und zweitens können sie auf ein Vollsortiment zurückgreifen. Die Nachfrage nach billigen Lebensmittel geht heute weit über die »klassisch« Armutsgefährdeten hinaus. So zählt Heidi Anderhuber Geschäftsführerin der beiden Grazer VinziMärkte MindestpensionistInnen, Studierende, AlleinerzieherInnen, aber auch AsylwerberInnen zum Kundenkreis: »Insgesamt haben wir 35 Nationen unter unseren Kunden.«
Der VinziMarkt in Graz-Eggenberg führt, anders als andere SOMAS vor allem Obst, Gemüse und Brot als ständige Produktgruppen. Brot wird hier gratis an die KäuferInnen abgegeben, nach dem Bibelwort: »Unser tägliche Brot gib uns heute.« Ansonsten regiert auch hier der Zufall: Falsch verpackte oder etikettierte Ware, Produkte kurz vor dem Erreichen des Ablaufdatums finden sich hier ebenso wie eine Palette Kernöl, die der Hersteller abgegeben hat, weil der deutsche Kunde sie nicht übernehmen wollte. Es waren chinesische Kerne verpresst worden.
Bedarf steigt weiter
Mittlerweile existieren SOMAs, VinziMärkte oder vergleichbare Konzepte in allen Bundesländern. Der Bedarf steigt weiter an. Die Betreiber vernetzen sich und verbessern so die Versorgung mit Waren in den einzelnen Märkten. Auch Vereine wie die Wiener Tafel tragen dazu bei, dass einwandfreie Ware, die in unserer Überschussgesellschaft aus unterschiedlichen Gründen entsorgt werden müsste, den Weg zu Bedürftigen finden. Sie alle freuen sich über Unterstützung von BetriebsrätInnen aus der Lebensmittelbranche.
All diese Einrichtungen können die Gesellschaft aber nicht aus der Pflicht nehmen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, dass alle Menschen ohne auf Almosen angewiesen zu sein, sich eine ausreichende Versorgung an Lebensmittel zu beschaffen. Ohne Berechtigungskarte und Good-will-Aktionen der Lebensmittelindustrie.
Weblinks
Soma:
www.Sozialmarkt.at
Wiener Tafel:
www.wienertafel.at
Pro Mente Steiermark:
www.promentesteiermark.at
VinziMärkte:
www.vinzi.at
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Outplacementstiftung
Outplacementstiftungen reagieren (zum Teil präventiv) auf die Entstehung von Arbeitslosigkeit und verhindern somit die Entstehung eines (wachsenden) Überhangs von Arbeitsuchenden am regionalen Arbeitsmarkt. Ist einmal hohe Arbeitslosigkeit entstanden und der regionale Arbeitsmarkt nicht imstande diese von selbst aufzufangen, dann bieten sogenannte stiftungsähnliche Qualifizierungsinitiativen des Arbeitsmarktservice (AMS) für Arbeitsuchende Chancen.
Eines der Geheimnisse des Erfolges von Arbeitsstiftungen liegt in der Möglichkeit, Arbeitsuchende in großem Umfang aufzunehmen, und diese individuell auf dem Weg der beruflichen Reintegration gezielt auf die Anforderungen eines konkreten einzelnen Arbeitsplatzes in einem Unternehmen im Stiftungsnetzwerk zu begleiten.
Implacementstiftung
Die Implacementstiftung stellt die maßgeschneiderte Qualifizierung auf einen konkreten Arbeitsplatz an den Anfang des Stiftungsgeschehens. Sie setzt bei der Akquirierung des Personalbedarfs bzw. Qualifikationsbedarfs an. Anschließend werden nach sorgfältiger Auswahl (Matching) Arbeitsuchende im Rahmen der Arbeitsstiftung individuell auf den konkreten Bedarf des Unternehmens hin ausgebildet. Die Implacementstiftung verbindet betriebliche Personalrekrutierung und Karrierecoaching oder (Re-)Integration von Arbeitsuchenden in die Arbeitswelt. Hier steht der Mensch am (zukünftigen) Arbeitsplatz im Zentrum.
Arbeitsstiftungen kreieren eine Balance zwischen Wünschen und Anforderungen von sowohl ArbeitgeberInnen als auch (zukünftigen) ArbeitnehmerInnen, die zu einer dauerhaften Arbeitsbeziehung führt. In einer Stiftung können Interessen beider Parteien gleichzeitig wahrgenommen werden, indem die Stiftung als Beraterin für ArbeitgeberInnen und gleichzeitig als Karrieremanagerin für Arbeitssuchende agieren muss. Diese Verknüpfung stellt das Qualitätspotenzial des Instruments Arbeitsstiftung dar.
1993 kriselt es in der Kärntner Wirtschaft. Die Lage am Arbeitsmarkt ist angespannt, seine Aufnahmefähigkeit ist gering. In diese Situation platzt die Meldung der Insolvenzen der Firmen Kestag Präzisionswerkzeuge AG, Hutter & Schrantz Bautechnik GmbH und Micro Precis Ernst Haaf. Hunderte verlieren den Arbeitsplatz. Es ist die Geburtsstunde des Vereins zur Förderung der Kärntner Arbeitsstiftungen (KA).
Kärntner Arbeitsstiftungen
Seit nunmehr 15 Jahren sind die KA zur Stelle, wenn es in der Kärntner Wirtschaft kriselt oder für besondere Problemlagen innovative Lösungen gefragt sind:
Metall- und Handelsstiftungen, Lebensmittel- und Speditionsstiftungen begleiten Umstrukturierungen in diesen Branchen. LehrerInnenstiftungen lenken arbeitsuchende PädagogInnen auf andere Berufsperspektiven.
Betriebsstiftungen bei Unternehmen wie Post, T-Mobil, Philips, Gabor, Ara, Allianz Versicherung, Microelektronikcluster, Kapsch, OAW, Siemens, ÖCW Degussa, Siemens Austria, Jungfer Separatoren u. v. m. boten freigesetzten MitarbeiterInnen eine dauerhafte Berufsalternative am Arbeitsmarkt.
Spezielle und immer neue Maßnahmen für Jugendliche, Frauen, ältere Arbeitsuchende greifen individuelle Problemlagen auf und führen die TeilnehmerInnen gezielt auf Berufs- und Arbeitsangebote am Arbeitsmarkt.
Für den nicht direkt erfüllbaren Bedarf der Firmen an Arbeitskräften mit speziellen Qualifikationen werden permanent Implacementstiftungen geführt.
In insgesamt 80 Maßnahmen wurden in 15 Jahren ca. 4.200 Personen begleitet. 86 Prozent der Personen, welche die Unterstützung von den KA in Anspruch genommen haben, fanden dauerhaft einen neuen Arbeitsplatz!
Krisen kündigen sich an, lang bevor sie der Öffentlichkeit bekannt werden. Wer im Vorfeld Lösungen parat hat und diese gut kommuniziert, unterbindet Ratlosigkeit und Unsicherheit und verhindert Auseinandersetzungen. Am Ende jedes Problems, jedes Streits, jedes Konflikts, jeder Konfrontation, egal welche Ursachen sie auch immer haben, muss nun mal eine Lösung her.
Die KA werden gemeinsam getragen vom Land, Arbeitsmarktservice, Gewerkschaftsbund, Wirtschaftskammer, Industriellenvereinigung und der Kammer für Arbeiter und Angestellte. Die obersten EntscheidungsträgerInnen stellen das Vorstandsgremium und stehen, wenn es sein muss, auf Abruf bereit. Das sichert frühestmögliche Informationen bei aufkommenden Krisen und garantiert schnellstmögliches Handeln. Arbeitsstiftungen sind ein Interventionsinstrument, das ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen gleichzeitig dient. In dieser Erkenntnis liegt auch der Grund für die reibungslose Kooperation der EigentümerInnen der KA.
Gemeinsam der bessere Weg
Das Rad der Zeit dreht sich immer weiter und mit ihm der wirtschaftliche Strukturwandel. Die fehlende Abstimmung zwischen Angebot und Nachfrage am Arbeitsmarkt wird sich nicht immer als Krise darstellen. Aber wenn, dann werden nur jene AkteurInnen ihrer Verantwortung in der Lenkung der Geschicke am Arbeitsmarkt gerecht, die über ihre partiellen gegensätzlichen Interessen hinweg schauen können und entdecken, dass der bessere Weg zur Erreichung der eigenen Ziele der gemeinsame Weg ist. Das Leitmotiv der Kärntner Arbeitsstiftungen.
Info&News
Implacementstiftung. Ein Instrument zur Personalrekrutierung
Unternehmen, die sich für ihre gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen rechtzeitig qualifiziertes Personal sichern wollen, haben eine gute Chance in Kooperation mit der Implacementstiftung MitarbeiterInnen zu finden, die für den konkreten Arbeitsplatz theoretisch und praktisch ausgebildet werden.
Bedarfsermittlung vor Ort
In einem Beratungsgespräch mit einem/r MitarbeiterIn des Managementteams der Kärntner Arbeitsstiftungen werden der Bedarf und die konkreten Anforderungen an das zukünftige Personal festgelegt.
Gemeinsam werden passende MitarbeiterInnen gefunden
Das Management der Kärntner Arbeitsstiftung trifft in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsmarktservice eine Vorauswahl einschlägig vorqualifizierter MitarbeiterInnen. Das Unternehmen trifft die Endauswahl.
Maßgeschneiderte Ausbildung
Nach getroffener Auswahl entwickeln Unternehmen, der/die potenzielle MitarbeiterIn und das Stiftungsmanagement einen, auf den konkreten Arbeitsplatz, maßgeschneiderten Bildungsplan bestehend aus Aus- und Weiterbildungskursen und Trainings on the Job. Der voraussichtliche Beginn des Dienstverhältnisses im Unternehmen bildet den Schlusspunkt des Plans. Dieser Plan wird als Vereinbarung festgehalten.
Weblinks
Mehr Infos unter:
www.kaerntner-arbeitsstiftungen.at
Info&News
Für weitere Auskünfte wenden sie sich an:
Dr. Andrea De Astis, Tel.: 0463/587 03 90
IFA Unternehmensberatung GmbH
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Zeit ist Geld
»Der Betriebsrat sollte wissen, wie viel das Unternehmen zu zahlen imstande ist«, erklärt Hauser: »Und er sollte wissen, wie die Struktur der MitarbeiterInnen im Betrieb ist. Ebenso ist wichtig zu wissen, welche Kriterien der sozialen Bedürftigkeit herzustellen sind.« Also zum Beispiel: Wer hat Obsorgeverpflichtungen? Welche MitarbeiterInnen sind schlecht ausgebildet und haben auf dem Arbeitsmarkt weniger Chancen? Wer ist AlleinverdienerIn und bei wem arbeiten beide Gatten im Unternehmen? Wie viele ältere ArbeitnehmerInnen werden betroffen sein? Nur wer diese Daten schnell verfügbar hat, kann auch schnell erste Forderungen aufstellen.
In dieser Phase muss auch geklärt werden, wer überhaupt die Entscheidungen im Unternehmen trifft: Oftmals ist das die im Ausland sitzende Konzernmutter und man sitzt nur einem Unterhändler ohne Befugnisse gegenüber. Auch das kostet Zeit.
»Der schwerste Fehler ist, die Verhandlungen schleifen zu lassen«, so Hauser. Da der Sozialplan eine »erzwingbare Betriebsvereinbarung« darstellt, kann, wenn sich die VerhandlungspartnerInnen nicht einigen können, die Schlichtungsstelle angerufen werden. Von dieser Anrufung bis zur ersten Verhandlung vergehen oft mehr als drei Monate. Hauser rät, gleich nach der ersten Verhandlung prophylaktisch die Schlichtungsstelle anzurufen: »Absagen kann man die Sitzung dann immer noch. Aber wenn man wartet, dann kann man nichts mehr durchsetzen, weil das eventuell vor einem leeren Betrieb abgehandelt wird, dann hat man auch keine Druckmittel mehr in der Hand.«
Wenn die Unternehmensleitung von sozialplanfähigen Änderungen informiert, ist der eigene Urlaub ins Wasser gefallen. Man sollte aber auch das Vis-a-vis nicht auf Zeit spielen lassen.
Wichtig ist, dass man schon in der ersten Phase überlegt, was den KollegInnen in dieser Situation nützt: »Man muss Machbarkeiten schaffen. AlleinverdienerInnen können unter Umständen mit einer großzügigen Arbeitsstiftung nichts anfangen, weil sie mit dem Arbeitslosengeld sich und die Kinder nicht durchbringen können. Sie brauchen andere Lösungen«, so Hauser, der bei den Verhandlungen bei der Schließung von Gebauer und Griller, einem Kabelwerk in Niederösterreich, Ähnliches erlebt hat: »Die wollten nur eine Arbeitsstiftung finanzieren unter dem Motto: Wer dort nicht hingeht, hat eben Pech gehabt.« Das wurde von den Arbeitnehmervertretern nicht akzeptiert und schlussendlich wegverhandelt. Firmen sagen schnell Ja zu Arbeitsstiftungen: Sie kommen positiv in die Medien und alles andere zählt eigentlich nicht.
Stufen der Eskalation
Vor allem große Firmen, die auf ihren Ruf achten müssen, einigen sich schneller als andere mit dem Betriebsrat auf eine gute Sozialplanregelung. Zeigen die ersten Verhandlungen, dass dem nicht so ist, muss der Betriebsrat zu den »Kampfmaßnahmen« greifen, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Die Stufen der Eskalation sind:
Wobei mit dem Streik im Falle von stockenden Verhandlungen zu einem Sozialplan vorsichtig umgegangen werden muss. Im Staatsgrundgesetz, das auch das Recht auf Arbeitsniederlegungen regelt, steht, dass Streik nur dann erlaubt ist, wenn einer berechtigten Forderung auch nicht mehr vor Gericht zum Durchbruch verholfen werden kann. Da selbst stockende Verhandlungen durch das Eingreifen der Schlichtungsstelle zu einem positiven Abschluss gebracht werden können, würde das im Falle eines Streiks »für« einen Sozialplan nicht erfüllt. Wenn es also ums Ganze geht, dann wird nicht für den Sozialplan, sondern gegen die Maßnahme - also zum Beispiel die Werksschließung - gestreikt.
Information ist (fast) alles
Die KollegInnen sollten vom Verhandlungsverlauf informiert werden. Es kann allerdings im Einzelfall auch sinnvoll sein, nicht alle Details laufender Verhandlungen weiterzugeben, weil sonst Unruhe entsteht. An regelmäßiger Information kann die Belegschaft erkennen, dass in ihrem Sinn und für ihre Sache gearbeitet wird. Das Wording lautet hier etwa »wir haben uns schon weitestgehend angenähert«, wenn ein positiver Abschluss in greifbare Nähe gerückt ist, »die Vorstellungen liegen noch weit auseinander«, wenn die KollegInnen darauf vorbereitet werden müssen, dass notfalls auch mit Maßnahmen des Arbeitskampfes auf die verfahrene Situation reagiert werden muss.
Ein Sozialplan soll die Nachteile, die aus der Änderungen im Betrieb erwachsen, ausgleichen und ist daher äußerst individuell. Es kann, neben der bereits zitierten Arbeitsstiftung, in der gekündigte MitarbeiterInnen entsprechend ihrer Neigung und den Möglichkeiten am Arbeitsmarkt ausgebildet werden, auch andere Ausgleichsmöglichkeiten geben. Vielen - oft gut ausgebildeten - MitarbeiterInnen ist eine gute Abfertigung lieber als Weiterbildung, für AlleinerzieherInnen ist eine finanzielle Entschädigung oft zum Überleben notwendig bis sich ein neuer Job gefunden hat. Ältere MitarbeiterInnen können mit Regelungen, die die Zeit bis zum Pensionsantritt überbrücken, abgefunden werden.
In manchen Fällen sind die Aufwendungen zum Ausgleich gar nicht hoch: Siemens hat im Falle einer Standortverlegung mit Fahrtkostenzuschüssen und Prämien dafür gesorgt, dass die MitarbeiterInnen die Nachteile, die durch die »Betriebsänderung« entstanden sind, nicht ganz so hart empfunden haben.
Undankbares Geschäft
Für Betriebsräte ist das Verhandeln eines Sozialplanes eine der schwersten Aufgaben in ihrer an Herausforderungen nicht armen Funktion. Und sie können dabei nicht auf großen Applaus hoffen: Denn egal wie gut sie verhandelt haben, den Betroffenen kommt kaum je ein Wort des Dankes über die Lippen. Das hat rein gar nichts mit mangelnder Wertschätzung zu tun, sondern damit, dass in unserer Gesellschaft Arbeit so ein hohes Gut ist und der Schock über den Verlust tief sitzt.
Info&News
Was ist ein Sozialplan?
Ein Sozialplan ist eine erzwingbare Betriebsvereinbarung.
Unter einem Sozialplan wird ein Maßnahmenkatalog zur Verhinderung, Beseitigung oder Milderung der für die ArbeitnehmerInnen nachteiligen Folgen einer einschneidenden Betriebsänderung verstanden.
Der Sozialplan soll auch für bereits ausgeschiedene ArbeitnehmerInnen Ansprüche begründen oder den ArbeitgeberInnen Pflichten auferlegen können, denen keine individuellen Ansprüche von AN gegenüberstehen (z. B. zur Errichtung einer Betreuungseinrichtung für freigesetzte ArbeitnehmerInnen = Arbeitsstiftung).
Was ist eine Arbeitsstiftung?
Eine Voraussetzung für den Eintritt in eine Arbeitsstiftung ist der Anspruch auf Arbeitslosengeldbezug. Es gibt allerdings mehrere unterschiedliche Stiftungsarten. Gesetzliche Grundlage dafür ist das Arbeitslosenversicherungsgesetz. Beschäftigte in kleineren Betrieben und in Betrieben ohne Betriebsrat sind leider immer noch benachteiligt, da für sie keine Sozialpläne mit einer Stiftung verhandelt werden können.
Die Schulungen sind individuell zugeschnitten und orientieren sich am Bedarf des Arbeitsmarktes. Ziel der Arbeitsstiftung ist schließlich, dass die Menschen wieder Arbeit finden. Durch das Stiftungs-Arbeitslosengeld sind die »Stiftlinge« während ihrer Ausbildung finanziell abgesichert. Der Vermittlungsdruck durch das Arbeitsmarktservice (AMS) fällt in diesem Zeitraum weg. Die Schulungsmaßnahmen sind sehr erfolgreich.
Weblinks
Was ist ein Sozialplan?
de.wikipedia.org/wiki/Sozialplan
Skriptum VOEGB Betriebsvereinbarungen
www.voegb.at/bildungsangebote/skripten/ar/AR-11.pdf
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Arbeit&Wirtschaft: Herr Professor Kirchler, »Die Zeit ist aus den Fugen«, dieser Satz aus Shakespeares Hamlet ist aktueller denn je. Der Kapitalismus hat sich überhitzt, ein Bankencrash in den USA erweiterte sich zur weltweiten Finanzkrise. Wie sehen Sie als Wirtschaftspsychologe diese Dynamik?
Erich Kirchler: Über die vergangenen Jahre hinweg wurde vor allem ein Ziel verfolgt: schnelle Gewinne. Die verantwortlichen Manager waren aus der Verantwortung der Art der Gewinnerzielung weitgehend entlassen. Hinter der Leichtfertigkeit, mit der Kapital verspielt wurde, steckt das Gefühl, alles im Griff zu haben, der Glaube, besser zu sein als die anderen. Wir nennen das »overconfidence«, ein Phänomen, das uns überall begegnet, so glauben weit mehr als 50 Prozent der Autofahrer, besser zu fahren als der Durchschnitt. Für Manager gilt diese overconfidence auch. Sie führte, gepaart mit der Geschwindigkeit, mit der Gewinne eingefahren werden, in die Krise. In der Politik ist das inzwischen ähnlich - die jetzige Regierung muss Erfolge einfahren statt vorzubauen und mittel- und langfristig Gewinne anzustreben, die eine nächste Regierung erntet. Nachhaltigkeit wird gefordert, aber nicht praktiziert. Anleger wurden über Risiken informiert, aber die Aufmerksamkeit wurde auf Gewinne und zu wenig auf Verlustrisiken gelenkt. In letzter Zeit macht der Begriff »Wirtschaftspsychiatrie« die Runde.
Die Lage erscheint problematisch: nicht mehr der Psychologe ist gefragt, der sich mit »gesunden« Menschen beschäftigt, sondern der Arzt, der dem schwer kranken Patienten mit starken Medikamenten gegen die Psychose zu Hilfe kommen soll. Wir spüren die Auswirkungen noch nicht, trotzdem haben die Menschen Ängste.
Mit dem Ende des Kommunismus haben wir uns in Richtung Kapitalismus bewegt. Der Staat hat sich tendenziell aus der sozialen Verantwortung zurückgezogen und uns aufgefordert, selbst für uns zu sorgen. Wenn plötzlich die anscheinend sichere Pensionsvorsorge, auf die gehofft wird, wackelt, rezipiert man die Krise.
Welche Mechanismen laufen ab, dass die Menschen panikartig reagieren und in manchen Banken Schlange stehen, um ihr Geld abzuholen?
Anfangs unklare Informationen lösten Unsicherheit aus. Die Menschen reagierten zunächst mit Abwarten. Meist tut man in einer unsicheren Lage lieber nichts, als vielleicht eine falsche Handlung zu setzen. Man kann mit Abwarten falsch liegen, aber das ist leichter zu ertragen, als sich im Nachhinein sagen zu müssen: Ich habe die falsche Handlung gesetzt, die hat mich in den Ruin getrieben. Kahneman und Tversky haben mit ihrer Prospekttheorie herausgefunden, dass Menschen in Gewinnsituationen sehr risikoscheu werden - sie wählen von zwei Alternativen die sichere. Verluste wiegen stärker als Gewinne. Aus diesem Gefühl heraus tendieren die Menschen bei drohendem Verlust zu riskanten Alternativen, eben mit dem Ziel, den Verlust zumindest teilweise wettmachen zu können. Als die Verluste größer wurden, kam panische Bewegung in die Starre.
Gibt es eine soziale Ansteckung?
Ja, aber reden wir nicht von sozialer Ansteckung. Die Gründe für die Finanzkrise sind rein ökonomisch. Als die Meldungen aus New York kamen, dass die US-Investmentbank Lehmann Brothers kracht, waren alle überrascht, dass das dieser Bank passiert, und dass die Regierung nicht sofort eingegriffen hat. Sowie der drohende Dominoeffekt bekannt wurde, und dass diese Krise auf Europa überschwappen wird, wurde den Menschen bewusst, dass sich das Debakel global auf alle Wirtschaften auswirken und andauern wird.
Schlägt das Pendel mit dem Kippen des Kapitalismus wieder Richtung Verstaatlichung und Kommunismus aus?
Prinzipiell bewegen sich Entwicklungen oft von einem Extrem in eine moderate Lage, dann ins andere Extrem und wieder zurück. Die Zukunft lässt sich nicht voraussagen. Aber wir haben jetzt gelernt, dass die Welt kleiner geworden ist. Wenn etwas in den USA passiert, betrifft es uns, aber auch China, Indien usw. Diese dichte Vernetzung war zwar vorher in aller Munde, aber sie war nicht spürbar. Und wir haben gelernt, dass die Veränderung sehr schnell passieren kann. Auch für mich ist es neu, dass sich ein Feuer in wenigen Tagen so flächendeckend entfachen kann.
Oft ist von der Gier des Marktes die Rede. Hängen Gier und Angst zusammen?
Gier und Angst sehe ich nicht als Gegenpole. Gier bedeutet auch Schuldzuweisung und ist eine einfache Erklärung für das jetzige Debakel. Es handelt sich meistens um Streben nach mehr, und das ist nicht schlecht, sondern der Motor des Fortschritts. Die Gier der Einzelnen gibt es zwar, aber man muss die Fehler im System suchen. Auch wir als kleine Anleger wollen schnell zu Geld kommen und lassen damit die Nachhaltigkeit außer Acht.
Was treibt die Menschen an, nicht genug zu kriegen, obwohl jeder am Ende nichts mitnehmen kann?
Es sind allzumenschliche Motive. Geld steht für Macht und Prestige. Mit Geld kann man fast alles kaufen: Zuneigung, Erotik, Freundschaft, ja sogar Liebe. Geld hat Sexappeal. Auch wenn man genug hat, vergleicht man sich nicht mit den Nachbarn, den Armen im Land oder der Dritten Welt, sondern mit dem, der noch mehr hat. Trotzdem stellt sich die Frage: Warum tut ein Mensch sich solchen Stress an? Schnelle Gewinne bedeuten viel Stress.
Die Banken werben mit Vertrauen, Vorsorge und Sicherheit für die Zukunft, das Gegenteil haben sie gemacht. Lässt sich Vertrauen überhaupt wieder aufbauen?
Beim Vertrauen in Geldinstitute ist es wie mit dem Vertrauen in einer Beziehung: Zerstört ist es schnell, bis es wieder wächst, dauert es lang. Vertrauen ist ein Gefühl, aber auch rationales Abwägen und Kalkül. Es muss gesichert sein, dass der andere Schwachstellen nicht für sich ausnutzt. Bankinstitute sollten schwer verdiente Ersparnisse verwalten, stattdessen haben sie über die Maßen gezockt. Meine Antwort: Es wird lange dauern, bis Vertrauen wieder vorhanden ist. Zuerst müssen die Banken den Beweis erbringen, dass sie im Dienste ihrer Kunden arbeiten. Notwendig sind auch Maßnahmen gesetzlicher Regelungen vonseiten der Politik und Einhaltung der Wirtschaftsethik.
Was sind die Grundregeln der Wirtschaftsethik?
Es geht um die Einhaltung des gesellschaftlichen Wertesystems. Dazu gehören Versprechen, die eine reale Grundlage haben, Umweltschutz, menschengerechte Arbeitsbedingungen. Das Problem ist nicht nur, dass nicht nur die Wirtschaft diese Regeln nicht einhält, sondern dass auch die Konsumenten nicht sanktionieren, was ethisch nicht korrekt ist. Nehmen Sie nur die billigen Modegeschäfte - alle laufen hin, obwohl klar ist, dass die Kleidungsstücke oft unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen produziert wurden.
Welche Maßnahmen gibt es, um die Situation zu stabilisieren - zumindest in Österreich?
Mir scheint es richtig, dass der Staat sich eingemischt hat. Es hat sich gezeigt, dass die Wirtschaft Blüten treibt, die uns schaden. Damit ist auch das reine Kapitalismusexperiment geplatzt. Das zeigt, wie notwendig die Rolle des Staates ist. Es muss Regelungen geben, die nachhaltiges Managen verlangen. Und die Wirtschaft muss auch für die Gesellschaft Verantwortung übernehmen, was sie zu wenig tut. Die Liberalisierung des Arbeitsmarktes ist gang und gebe. Die Wirtschaft hat sich viel Macht angeeignet. Wenn eine große Firma zuerst Fördergelder konsumiert und dann in den Osten zieht, weil dort die Arbeitskräfte billiger sind und Arbeitslosigkeit zurücklässt, kann die Politik oft nur noch »zuschauen«. Wir sind mit prekären Arbeitsplätzen konfrontiert, mit Leiharbeit oder der Generation Praktikum. ArbeitnehmerInnen müssen Konzessionen machen, die sie vor zehn Jahren nicht gemacht hätten. Da braucht es einen starken Gegenspieler, der die Kontrolle mit übernimmt. Und das kann nur der Staat sein.
Wir danken für das Gespräch!
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Haftungsfragen
Was aber versteht man unter der Verantwortung des Managements? Man versteht darunter die Haftung von GeschäftsführerInnen und GesellschafterInnen für sorgfaltswidriges Verhalten, so die Judikatur. Schlagend werden kann die sogenannte Innenhaftung (zivilrechtliche Ansprüche des Unternehmens), die Außenhaftung (gegenüber Gläubigern) und in besonders heftigen Fällen von Versagen auch eine zivilrechtliche Verantwortung bei Vergehen wie Bilanzfälschung und Betrug.
Um sich vor diesen rechtlichen Verantwortlichkeiten zu schützen, ist für hoch bezahlte ManagerInnen nur ein Mindestmaß an kaufmännischer Sorgfaltspflicht nötig: Angemessene Informationen einholen, nachgewiesenermaßen fachkundige BeraterInnen einbeziehen und damit man am Ende nachvollziehen kann, wie es soweit kommen konnte, wird einem die Dokumentation der Entscheidungsfindung angeraten. »Es empfiehlt sich«, raten JuristInnen weiter, »Maßnahmen zur frühzeitigen Erkennung von bestandsgefährdenden Entwicklungen und Vorfällen einzurichten.«
Soweit die juristischen Fakten. Auch wenn man sich fragt, ob wirklich alle ManagerInnen wenigstens diese Eckpunkte abgearbeitet und eingehalten haben, so bleibt am Ende doch die Frage nach der Moral: Denn wie kommt es, dass ManagerInnen sich ihre angebliche Verantwortung mit fetten Prämien abgelten lassen und - im schlimmsten Fall - das gleiche Schicksal erleiden wie Tausende ihrer Angestellten? Nämlich den Jobverlust. Mit dem winzigen Unterschied, dass sie vorher wohl ein bisschen mehr über hatten, um es in den Sparstrumpf zu stecken.
Mangel an Fairness
Die Professorin Dr. Ingeborg Gabriel die einen Lehrstuhl für Sozialethik an der Universität Wien innehat, fasst ihre Eindrücke von der Ethik der Manager in sehr bodenständige Worte: »Es herrscht ein Mangel an Fairness. Eigentlich muss man diese Gehälter schon in den Bereich der Korruption einordnen. Die Höhe der Boni ließe sich gesetzlich beschränken.« Darüber hinaus wünscht sie sich für alle Manager ein Pflichtsemester Ethik: »Nicht weil ich glaube, dass man in einem Semester das Gewissen trainieren kann, aber der Einzelne kann Verantwortung übernehmen - und das kann man trainieren.«
Auf die Frage, wie es zu einer solchen Selbstbedienungsmentalität unter den Spitzenmanagern kommen kann, antwortet die Sozialethikerin: » Es gibt in diesem System starke Elemente einerseits von Komplexität, andererseits von Konkurrenz.« Diese Kombination macht es möglich, dass einerseits der Druck auf die ManagerInnen stetig steigt: Man muss besser, schneller, erfolgreicher als die anderen sein, sonst fliegt man aus dem Spiel. Andererseits sinkt die Möglichkeit, die Folgen des Handelns in vollem Umfang abzuschätzen: Das öffnet manche Schleuse und ermöglicht Handlungsweisen für die »man sich früher geschämt hätte«.
Verantwortungslose Manager?
Wilhelm Rasinger ist sich sicher: »Mit eigenem Geld und eigenem Vermögen wären die Manager wesentlich risikobewusster. Ein guter Manager hat meines Erachtens nach in den Seitenblicken nichts verloren.« Wir kennen die Aussagen, dass die Manager immer noch »im Vergleich mit den Gagen, die anderswo gezahlt werden« niedrig bezahlt werden. Dem hält Rasinger, schon hörbar verärgert, entgegen: »Es gibt diesen Managermarkt nicht, von dem da immer berichtet wird. Und meiner Ansicht nach soll einer, dem das Gehalt hier zu wenig ist gerne nach Deutschland gehen, wenn er meint, er kann dort mehr verdienen.« Das Argument, dass die Besten gehen würden, lässt er nicht gelten.
Retrospektiv betrachtet fragt sich so mancher, wie der eine oder andere sogenannte Spitzenmanager zu seinem gut dotierten Vertrag gekommen ist, oder wer ihm wohl den Konsulentenvertrag »für nachher« angedient habe. Dazu Rasinger: »Es gibt schon auch sogenannte Präsentationskaiser, ob die wirklich gut sind, merken Sie erst lange hinterher.«
Auf die Frage, was nach Ansicht des Anlegervertreters gute und wünschenswerte Eigenschaften eines verantwortungsvollen Managers wären, antwortet Rasinger: »Ob er gut mit der Belegschaft umgehen kann und mit den Kunden, das ist wichtig für den Erfolg. Und ein wenig Fortune gehört wohl auch dazu.«
Im New York Harald Tribune bemerkt ein Kommentator an, wie schief das System in der derzeitigen Krise bereits hängt: »Die amerikanischen Banken lassen sich vom Staat und damit vom Steuerzahler großzügig unterstützen. Auf der anderen Seite werden nach wie vor Dividenden an die Anleger ausbezahlt.« Und das gilt leider nicht nur für die amerikanischen Banken, wenn man es sich genau überlegt.
In Zeiten, in denen »smart« zu sein das Ziel war und Redlichkeit, Integrität und ethisches Handeln als vorgestrig verlacht wurden, sind solche Auswüchse allerdings kein Wunder.
Daran sind aber nicht nur die steigende Komplexität und die zunehmende Globalisierung schuld: Schuld an dieser Entwicklung ist auch die Tatsache, dass sich die Politik nahezu ohne Gegenwehr das Ruder aus der Hand nehmen ließ, wenn es auch nur im entferntesten um Wirtschaft ging. Ingeborg Gabriel: »Die rechtliche Ebene hat da schon versagt: gewisse Dinge sollten einfach illegal sein.« Mehr Gestaltungswillen vonseiten der PolitikerInnen, die sich wenigstens alle paar Jahre tatsächlich einer Beurteilung stellen müssen, könnte einiges an Wildwuchs verhindern. Und die Erkenntnis, dass es auch auf dem Markt der ManagerInnen so etwas wie Marktversagen gibt.
Gutes Ende?
Positiv werten Rasinger und Gabriel die Tatsache, dass seit dem Aufbrechen der Bankenkrise in der Öffentlichkeit ein gewisses Bewusstsein entsteht, dass die Entwicklungen, deren Auswüchse wir jetzt beobachten können, gesellschaftlich nicht wünschenswert sind. Rasinger fordert volle Transparenz und sieht, dass »die Zeit günstig ist«, um hier tief greifende Änderungen herbeizuführen. PolitikerInnen, die sich selbst eine sehr transparente Einkommenspyramide verpasst haben, hätten von der Entwicklung hin zu mehr Transparenz profitiert. Und damit eine solche transparente Regelung nicht nur den »Neidkomplex« bedient, wünscht sich Rasinger auch Transparenz in Sachen Steuerleistung: Auch die sollte man öffentlich machen, damit man sieht, wer auf diesem Weg wie viel für die Allgemeinheit leistet.
Weblinks
Institut für Sozialethik
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Enormes Krisenpotenzial
Der Zusammenbruch von Hedge-Fonds, Investmentbanken, Banken und Versicherungen zeigt das enorme Krisenpotenzial, das sich auf aufgeblähten Finanzmärkten angesammelt hat. In Form von Schockwellen riss die Krise immer weitere Finanzinstitutionen in den Abgrund. Nun zieht diese Entwicklung die »Realwirtschaft« mit nach unten. Wenn Banken von einer zu leichtfertigen zu einer restriktiven Kreditvergabe wechseln, sind Investitionen von Unternehmen gefährdet und werden reduziert. Das bedeutet eine Kürzung der Aufträge für andere Unternehmen. Bis 2007 mussten Unternehmen hoher Bonität nur einen Risikoaufschlag von einem Prozentpunkt gegenüber Staatsanleihen entrichten, dieser hat sich 2008 bis auf vier Prozentpunkte vervierfacht.
Auf den Aktienmärkten findet wie in den Jahren 2000 bis 2003 ein Kursgemetzel statt. Der ATX fiel seit seinem Höchststand 2007 von über 5.000, im Oktober 2008 auf Werte unter 2.000 Punkte! Auch der US-Aktienindex Dow-Jones brach von etwa 14.000 Punkten auf unter 8.000 ein. Das führt nun zu Leistungskürzungen bei Pensionskassen. Die österreichischen Pensionskassen haben von Jahresbeginn bis September Verluste von 8,4 Prozent zu verzeichnen.
Nun springt weltweit die Politik ein und versucht, einen Systemkollaps und eine Wirtschaftskrise zu verhindern. Mit öffentlichen Mitteln werden in den USA und der EU Banken und Versicherungen gestützt, um einen Verfall der Ersparnisse der Kunden hintanzuhalten. Die Kosten für die Rettungspakete zahlt die Allgemeinheit. Auch die meisten KritikerInnen des Neoliberalismus sehen die Rettungsaktionen als unbedingte Notwendigkeit. Denn die Kosten der Alternative wären weit höher. Wenn niemand seiner Bank vertraut und das Geld abzieht, dann stürzen auch jene Banken in den Ruin, die gesunde Bilanzen haben. Das empörende ist, dass es soweit kommen konnte. Außerdem ist es aber aus diesem Titel nicht notwendig, Privatbanken aufzufangen, deren Kunden nur extrem vermögende Personen sind.
Dass der Staat nur Garantien übernimmt, ohne einen Einfluss auf die Banken nehmen zu können, die unterstützt werden, ist scharf zu kritisieren. Diesen Weg ist man aber in Österreich gegangen. In England wird das Bankensystem nur unter weitaus härteren Bedingungen gerettet.
Vorhersehbarer Kollaps
Der Kollaps in den USA war vorhersehbar, nicht jedoch das Ausmaß in dem das gesamte Finanzsystem in den Abgrund gerissen wurde. Es wurden in den USA aber Kredite aggressiv an Menschen gegeben, von denen klar war, dass sie diese nicht zurückzahlen können. Das konnte nicht lange gut gehen. Besichert waren die Kredite mit Immobilien. Als die Immobilienpreise nicht mehr stiegen, sondern fielen, ist das Kartenhaus zusammengebrochen. Banken haben die (nun faulen) Kredite in eigene Zweckgesellschaften ausgelagert, aus ihren Bilanzen gebracht und als »Asset Backed Securities« (ABS) weiterverkauft. So wurde diese Krise »globalisiert«.
Eine weitere Ursache für die gigantischen Verluste auf den Weltfinanzmärkten sind gewaltige Spekulationen mit fremdem Geld. Wenn eine Wette aufgeht, ist die Rendite weitaus höher wenn man mit geborgtem Geld den Wetteinsatz potenziert (»Hebeleffekt«). Viele Hedge-Fonds spekulierten mit enormen Summen an geliehenem Geld. Geht das Geschäft aber daneben, ist nicht nur das eigene, sondern auch das geliehene Geld weg. Und Wetten werden verloren. Die Verluste der einen sind die Gewinne der anderen. Hedge-Fonds unterliegen keinerlei Veranlagungsvorschriften und keiner Kontrolle. Es wusste also niemand, welche Risiken Hedge-Fonds kreditfinanziert eingegangen sind.
Undurchsichtige Risiken
Auf den Finanzmärkten wurden extrem undurchsichtige Produkte gehandelt, deren Risiken weder den KäuferInnen, den Aufsichtsbehörden noch den Ratingagenturen klar gewesen sind.
Banken haben in großem Ausmaß Kredite und deren Ausfallsrisiken weiterverkauft. Damit haben sie sich ihres Kerngeschäfts entledigt. Es wurde argumentiert, dies sei sinnvoll, weil sich damit das Ausfallsrisiko gleichmäßiger verteilt und letztlich eine geringere Gefährdung für das Finanzsystem bewirkt wird. Wie sich nun herausstellt, war das Gegenteil der Fall. Risiken, von denen keiner eine Ahnung hatte, wurden potenziert.
Für den Ausgleich zwischen Banken ist der Interbankenhandel unerlässlich. Banken können nicht benötigte liquide Mittel zinsbringend anlegen. Andere Banken, die für Auszahlungen zu wenig eigene Liquidität haben, können sich gegen Zinszahlungen refinanzieren, also Geld von anderen Banken borgen. Der Interbankenhandel ist zusammengebrochen, weil sich die Banken gegenseitig nicht trauen. Damit hat die Krise, die vom US-Immobilienmarkt ausging, das gesamte Finanzsystem getroffen. Viele Banken konnten sich nicht mehr refinanzieren (z. B. die österreichische Kommunalkredit).
Teures Rettungspaket
Das Volumen der Kreditverträge in den USA beläuft sich auf rund zwölf Billionen $.1 Nun sollen mit einem Rettungsfonds von 700 Mrd. $ von den Finanzinstituten Not leidende Wertpapiere und Kredite aufgekauft werden. Es ist höchst fraglich, ob diese Summe reicht. Die Wertverluste werden auch noch nächstes Jahr weitergehen.
Weitere Bankenzusammenbrüche sind wahrscheinlich, denn: viele HausbesitzerInnen sind weiter hoch verschuldet, und die Immobilienpreise fallen immer noch. Der Neoliberalismus ist am Ende. Doch auch bei seinem Scheitern ist er ein verteilungspolitisches Fiasko. Nach den privaten Bereicherungen der vergangenen Jahre, kommen nun alle für die Kosten auf.
Die derzeitige Krise ist bereits die zweite schwere weltweite Finanzmarktkrise in diesem Jahrzehnt. Schon 2001 bis 2003 fielen die Börsenkurse in den Keller. Die derzeitige Krise zwingt zum Umdenken. In den 1930er-Jahren war es auch die mehrjährige Weltwirtschaftskrise, die den festen Glauben an freie Märkte der »goldenen 20er-Jahre« beendet hat. Es folgten Jahrzehnte, in denen die Finanzmärkte reguliert waren und der Staat stabilisierend in die Wirtschaft eingegriffen hat. So lange dies nicht wieder passiert, sind weitere Zusammenbrüche unvermeidbar.
Ausweg
Dieses Debakel kann aber nicht nur durch eine Regulierung der Finanzmärkte gelöst werden. Ursache ist neben zu viel unkontrollierter Spekulation und zu wenig Verantwortung auch, dass es zu viel nach Veranlagungsmöglichkeiten strebendes Kapital gibt. Das hängt mit der ungleichen Einkommensverteilung zusammen. Diese Finanzvermögen suchen permanent Veranlagungsmöglichkeiten, und das kann dazu führen, dass Preise in manchen Märkten plötzlich stark ansteigen, um danach wieder einzubrechen.
Unrealistisch hohe Renditeerwartungen institutioneller Investoren haben zu steigenden Kursen, Blasenbildungen und den darauf folgenden Abstürzen geführt. Die Finanzerträge können aber nicht unbegrenzt laufend stärker steigen als das BIP. Je stärker die Entkoppelung der Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft ist, desto stärker sind darauf folgende Korrekturen.
Notwendige Maßnahmen
Weblinks
GPA-djp
www.gpa-djp.at/
AK fordert: Einkommen stärken
www.arbeiterkammer.at/online/page.php?P=28&IP=43446
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1Bischoff, Oktober 2008
]]>Wenig konkrete Vorschläge
Hyman Minsky hat die Lernfähigkeit staatlicher Bürokratien überschätzt. In den 1980ern wurde nämlich in den Wirtschaftswissenschaften der Keynesianismus durch die Neoklassik verdrängt. Deren Forderung, Fiskal- und Geldpolitik für die Konjunktursteuerung nur begrenzt einzusetzen, ist in der EU stark verbreitet, in den USA allerdings längst aus der Mode gekommen. Das starre Festhalten der Europäischen Institutionen an überkommenen Dogmen erweist sich gerade in dieser Situation als Problem. Die Europäische Zentralbank hat zwar den Banken umfassend Liquidität bereitgestellt; sie hat aber noch im Juli 2008, ein Jahr nach dem Ausbruch der Krise, die Leitzinsen erhöht. Im September hat sie sich aber dem globalen Zinssenkungstrend angeschlossen.
Beim Europäischen Rat in Brüssel Mitte Oktober dieses Jahres konnten sich die Staats- und Regierungschefs der EU nicht auf ein von Österreich gefordertes, gemeinsam koordiniertes Konjunkturpaket einigen, und das, obwohl das Nettodefizit in der EU im Vorjahr nur 0,6 Prozent betrug. Die vorläufige Einigung in Österreich im Rahmen der Koalitionsverhandlungen auf ein Konjunkturpaket, das unter anderem vorsieht, diverse Infrastrukturprojekte vorzuziehen, Mittel für thermische Gebäudesanierung und Investitionsförderungen zu erhöhen sowie das Vorziehen der Steuerreform ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ob ausreichend, wird sich weisen. Es entfaltet auf jeden Fall erst dann seine volle Wirkung, wenn alle EU-Länder an einem Strang ziehen. Dies ist noch nicht in Sicht.
Die Finanzindustrie wird nicht müde, heute den von ihr immer geschmähten Staat auf die Zukunft vorzubereiten: Er habe sich nach hoffentlich erfolgreicher Mission auf seine Kernaufgaben zurückzuziehen und den freien Markt nicht zu behindern. Wenig konkret fallen daher die derzeit bei diversen Gipfeln diskutierten Regulierungsvorschläge aus. Wesentlich ist, nicht nur Katastrophen wie diese in Zukunft zu verhindern, sondern auch das Primat der Politik wieder zu gewinnen. Globale Wirtschaft braucht globale Wirtschaftspolitik.
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1Minsky, Hyman (1982), Can »It« Happen Again?: Essays on Instability and Finance. M.E. Sharpe.
]]>»Schwarzer Freitag« am Donnerstag
Ihr Beginn wird üblicherweise mit dem »Schwarzen Freitag« -in Wirklichkeit ein Donnerstag - am 24. Oktober 1929 an der New Yorker Börse datiert. Dem waren jedoch bereits Entwicklungen vorangegangen, welche die konjunkturelle Aufwärtsentwicklung gefährdeten. So war seit 1925 die Nahrungsmittelknappheit der Nachkriegszeit durch eine weltweite Überproduktion abgelöst worden. Die »Agrarkrise« brachte nicht nur die Agrarstaaten in Zahlungsbilanzschwierigkeiten, sondern schuf durch den Preisverfall landwirtschaftlicher Produkte ein latent deflationäres Klima.
Der kaum unterbrochene Aufschwung der Zwanzigerjahre, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Aktienkurse, setzte eine Spekulationswelle in Gang, die immer breitere Kreise erfasste und dazu führte, dass vor allem auf Kreditbasis agiert wurde. Als sich daher auf der Börse erste Einbrüche zeigten, kam es zu einem lawinenartigen Abstoßen der Wertpapiere, was einen Kurssturz herbeiführte.
Am Anfang standen »Faule Kredite«
Dieser sowie die faul gewordenen Kredite führten zu Bankenzusammenbrüchen und Liquiditätsschwierigkeiten für die amerikanischen Unternehmer, umso mehr, als die Federal Reserve Bank die Leitzinsen auf sechs Prozent hinaufgesetzt hatte, um die Spekulanten unter Druck zu setzen. Damit wurde der Lagerzyklus losgetreten, der rasch auf die Produktion durchschlug und auch US-Importe in kurzer Zeit namhaft reduzierte. Aber nicht genug damit erhöhten die USA die Zölle massiv.
In Europa wurden zeitgleich amerikanische Kredite in großem Umfang abgezogen. Die Notenbanken waren gezwungen, die Leitzinsen hinaufzusetzen, um weitere Devisenabflüsse zu verhindern. Auch reagierten die Länder 1930 ihrerseits mit Zollerhöhungen auf die amerikanische Zollpolitik.
Doch zeichnete sich 1929 und 1930 noch nicht der volle Umfang der Weltwirtschaftskrise ab. Vorerst schien es sich um einen der üblichen zyklischen Rückschläge zu handeln. Erst durch die Kumulation vor allem auch politischer Einflüsse wurde er zum schweren Einbruch.
Österreich: Die CA-Krise
In Österreich hielten sich die Auswirkungen vorerst in Grenzen. 1929 gab es noch ein schwaches Wachstum des BIP von 1,5 Prozent real. Die Arbeitslosigkeit hatte schon 1929 geringfügig zu steigen begonnen, 1930 erreichte die Arbeitslosenrate jedoch bereits 15,4 Prozent.
Die Katastrophe trat erst 1931 mit dem Zusammenbruch der Credit-Anstalt ein. Völlig überraschend eröffnete im Mai 1931 der CA-Vorstand der Bundesregierung, dass 1930 ein Verlust von 130 Millionen Schilling entstanden und die Bank praktisch insolvent sei. Da die Regierung die Auffassung vertrat, dass ein Zusammenbruch des Instituts die heimische Wirtschaft ebenso wie die internationale Position Österreichs allgemein massiv gefährden würde, erstellte sie innerhalb weniger Tage einen Rekonstruktionsplan. Danach übertrug die Bundesregierung der CA 100 Millionen Schilling als Eigenkapital, die Notenbank sowie das Haus Rothschild je 40 Millionen. Um die Liquidität des Instituts sicherzustellen, erklärte sich die OeNB zur praktisch unbeschränkten Kreditgewährung bereit und zwar auch durch Übernahme von Finanzwechseln - was dem Notenbankstatut widersprach.
Die Nachricht vom Zusammenbruch der Credit-Anstalt schlug in der Öffentlichkeit wie eine Bombe ein. Sie führte zu massiven Abhebungen nicht nur bei der CA, sondern abgeschwächt auch bei anderen Geldinstituten Österreichs. Das verstärkte wiederum die internationale Vertrauenskrise, die viele deutsche und italienische Banken direkt berührte. Nach dem Zusammenbruch der Darmstädter und der Nationalbank schloss die deutsche Regierung kurzfristig alle Banken. Damit wurden die zarten Ansätze einer Erholung im Keim erstickt und die Abwärtsbewegung setzte sich bis 1933 fort.
Die Folgen waren fatal. Österreich war neben den USA und Deutschland durch die Weltwirtschaftskrise besonders stark getroffen. Hier sank das Bruttonationalprodukt vom letzten Hochkonjunkturjahr 1929 bis zu seinem Tiefpunkt im Jahre 1933 real um mehr als 22 Prozent, die Industrieproduktion um 38 Prozent. Bauwirtschaft und Verkehr erlitten Einbußen von 53 Prozent und 29 Prozent. Nur die Land- und Forstwirtschaft sowie die Energieerzeugung vermochten ihr Niveau im Wesentlichen zu halten.
Hilflosigkeit der Wirtschaftspolitik
Die Wirtschaftspolitik stand der katastrophalen Lage weitgehend hilflos gegenüber. Mit manchen Maßnahmen gossen die Regierungen sogar noch Öl ins Feuer. Lohnsenkungen bewirkten nicht nur, dass die private Konsumnachfrage noch weiter zurückging, sondern dass sich der deflationäre Prozess verschärfte. Sinkende Preise führten dazu, dass Unternehmer für ihre Produkte immer weniger bekamen, Schulden wurden immer drückender.
Die Politik der Lohnsenkungen resultierte daraus, dass damals die nationalökonomische Theorie keine Notwendigkeit wirtschaftspolitischer Eingriffe sah. Die sogenannte Neoklassik ging - und geht - davon aus, dass der Wettbewerb Nutzen maximierender Wirtschaftssubjekte über die Preise ständig zum Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage führen müsse. Und wenn es zu Ungleichgewichten auf dem Arbeitsmarkt komme, dann nur, weil die Gewerkschaften die Löhne zu hoch hinauf getrieben hätten. Diese seien zu senken - was manche Länder versuchten. Ansonsten dürfe nicht in den Marktmechanismus eingriffen werden. Er werde automatisch wieder Vollbeschäftigung herbeiführen.
Keynes Durchbruch
Der Ruf nach wirtschaftspolitischen Eingriffen wurde allerdings immer lauter, da die nach 1933 in den meisten Ländern einsetzende Erholungsperiode außerordentlich schwach ausfiel. Oftmals erwiesen sich die daraufhin ergriffenen Maßnahmen als unsystematisch, ja, widersprüchlich. Das galt auch für den berühmten »New Deal« Roosevelts, denn nach einer kurzen Erholung erreichte die Arbeitslosenrate in den USA 1938 wieder 19 Prozent. Lediglich Schweden, das stärker einer nachfrageorientierten Wirtschaftspolitik folgte, näherte sich den zehn Prozent.
1936 publizierte John Meynard Keynes die »Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes«. Das war der große theoretische Durchbruch. Erst damit wurde klar, dass man die ökonomischen Probleme nicht allein durch die Beobachtung des einzelnen Wirtschaftssubjektes erfassen konnte, sondern auch durch Analyse der gesamtwirtschaftlichen Größen wie Produktion, Konsum, Sparen und Investieren, und dass es keine automatische Tendenz zum Vollbeschäftigungsgleichgewicht gab. Der Staat war folglich gefordert, in den Wirtschaftsablauf einzugreifen und durch Budgetdefizit die fehlende private Nachfrage zu ergänzen. Freilich, die Zeit vor Ausbruch des 2. Weltkrieges blieb zu kurz, als dass sich dieser neue Ansatz hätte vollständig durchsetzen können.
Vorabend des 2. Weltkriegs
Lediglich in Deutschland erzielte man damit Erfolge. Hier gab es schon Anfang der Dreißigerjahre interessante Vorläufer, nicht zuletzt durch den sogenannten WTB-Plan der deutschen Gewerkschaften. Die - verdeckte - Defizitfinanzierung des Staates wurde in der Folge durch Fixierung von Löhnen und Preisen sowie die strikte Regulierung des Außenhandels und des Zahlungsverkehrs abgesichert. Maßnahmen, welche in dieser Form nur in einem totalitären Staat durchgesetzt werden konnten. Die so angeregte Nachfrage ging fließend in die Aufrüstung über. 1938 war das deutsche BIP gegenüber 1933 um fast die Hälfte gewachsen und die Arbeitslosigkeit praktisch beseitigt. Dieser Aufschwung endete freilich im 2. Weltkrieg, der ja damit vorbereitet worden war!
Erst kam der Aufschwung
Nach 1945 erlebten die westlichen Industriestaaten, auch dank amerikanischer Wirtschaftshilfe, einen nie gesehenen Aufschwung. Dessen Dauer ging nicht zuletzt auf den erfolgreichen Einsatz von Keynes Instrumentarium der Wirtschaftspolitik zurück. Dieses erwies sich allerdings wegen seiner Asymmetrie wirkungslos, als es galt, neue Probleme zu lösen. Gerade Stärke und Dauer des Aufschwunges hatten zu einer Inflation geführt. Der Keynesianismus schien nur geeignet, die Nachfrage anzuregen, nicht aber - zumindest in seiner Anwendung - diese zu dämpfen. Und damit erlebte die Neoklassik eine umfassende Renaissance in verschiedensten Ausprägungen.
Der jüngste Einbruch der Weltwirtschaft resultiert im Wesentlichen aus zwei Elementen: Da war zunächst ein, insbesonders in den USA, lang andauernder Wirtschaftsaufschwung sowie eine große Menge ersparter Gelder, welche Anlagemöglichkeiten suchten. Das führte zu der schließlich zerplatzten Immobilienblase und daraus resultierend auch zu einem Kurssturz der Aktien an der New Yorker Börse. Die dadurch ausgelöste Unsicherheit hatte zur Folge, dass sich Banken gegenseitig keine Kredite mehr gewährten, sodass damit eine allgemeine Geldknappheit entstand und Geldinstitute insolvent wurden. Und diese Entwicklung übertrug sich auch auf Europa, weil auch dort viele Banken die hochverzinslichen amerikanischen Schuldverschreibungen erworben hatten.
Die Finanzkrise schlug - zuerst in den USA, dann in Europa - auch auf die Realwirtschaft durch. Immerhin hatte sich bereits eine konjunkturelle Abkühlung abgezeichnet. Im Gegensatz zu den Dreißigerjahren reagierte diesmal die Wirtschaftspolitik sofort. Die Staaten taten im Wesentlichen das, was die österreichische Bundesregierung im Falle der CA-Krise 1931 getan hatte: sie stärkten das Eigenkapital der Banken, sie sicherten deren Geldversorgung und deren Existenz.
Blick in die Zukunft
25 Jahre wurde uns von den meisten Nationalökonomen gepredigt, der Markt sei unfehlbar, daher dürfe der Staat in keiner Weise dessen Mechanismus stören, schon gar nicht durch keynesianische Defizitpolitik. Bemerkenswerterweise gibt es heute kaum Regierungen, die zögern würden, die Konjunkturschwäche eben durch ein Budgetdefizit zu bekämpfen. Dieses Bestreben wird dadurch erleichtert, dass die hoch entwickelten europäischen Sozialsysteme mit ihren gleichmäßigen Zahlungen als Konjunkturstabilisatoren wirken. In die gleiche Richtung gehen der, gegenüber den Dreißigerjahren, viel höhere Dienstleistungsanteil sowie jener der öffentlichen Hand.
Können wir daher beruhigt in die Zukunft blicken? Gründe für einen eher positiven Ausblick sind dadurch gegeben, dass die Krise eine weitaus stabilere Weltwirtschaft trifft, als jene des Jahres 1929 - ein Jahrzehnt nach dem 1. Weltkrieg. Weiters aber scheinen die meisten Regierungen entschlossen, rasch und nachhaltig wirtschaftspolitisch zu intervenieren. Freilich wäre es verfehlt, der Legende vom unfehlbaren Markt, eine solche der unfehlbaren Nachfragesteuerung über das Budget gegenüberzustellen. Denn die Haushaltsmittel müssen sich in Konsumausgaben oder Investitionen niederschlagen und dürfen nicht gespart werden. Und manche Ausgaben fließen in einem Land mit so hoher Außenhandelsquote wie Österreich ins Ausland ab.
Dennoch sind alle die beschriebenen Maßnahmen wichtig, nicht nur, weil ihre positiven Wirkungen wahrscheinlich sind, sondern auch, weil es gilt, das Vertrauen, nicht nur auf dem Finanzmarkt, sondern in der ganzen Wirtschaft wiederherzustellen. Gewiss haben wir im nächsten Jahr mit einem konjunkturellen Einbruch zu rechnen, und es ist noch nicht abzusehen, wann ein neuer Aufschwung einsetzen könnte, aber eine dramatische Entwicklung, wie zwischen 1929 und 1933 bzw.1937 zeichnet sich nicht ab.
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Handel mit Träumen
Da könnte einen glatt der Neid fressen. Denn es ist unser Geld. Nicht viele von uns konnten in den vergangenen Jahren der Versuchung widerstehen, beim großen Börsenspiel mitzumischen. Warum sollten denn auch immer nur die anderen groß abkassieren, während wir uns ebenso redlich wie mühsam nähren, als eiserne Reserve ein Sparbuch, einen Bausparvertrag, das Sozialsystem? Dabei liegt das Geld auf der Straße, lesen und hören wir seit Jahren: kleine blaue Pillen stärken auch die finanzielle Potenz, so man Aktien vom entsprechenden Pharmakonzern zeichnet; das Eigenheim lässt sich mit Fremdwährungskrediten einfacher finanzieren; Versicherungen geben Sicherheit. Gesehen haben wir es aber nie das Geld auf der Straße, aufgehoben haben es die anderen, und nicht wenigen von uns ist noch ein hübsches Sümmchen in den Gully der Krise gerutscht.
Unsere Träume sind zerplatzt und wir sind jenen böse, die sie uns verkauft haben. Denn nur beim Handel mit Träumen lässt sich so viel Geld verdienen, wie die Herren Fuld, Ackermann und Treichl kassiert haben. Sie haben unser Geld nicht mit vorgehaltener Waffe verlangt, wir haben es ihnen freiwillig gegeben. »Freiheit« ist ein schönes Wort, da kann die »Freiheit des Marktes« nicht so schlecht sein. Und steht es nicht uns allen frei, so viel zu verdienen, wie man bereit ist, uns zu bezahlen? Steht es nicht uns allen frei, unser Glück an der Börse zu versuchen?
»Der Freiheit anderer Name heißt Verantwortung«, dieses Zitat von Thomas Mann liest man derzeit auf Wiener Plakatwänden. Und mit letzterer nimmt es der Neoliberalismus nicht so genau. Sicher, auf die Eigenverantwortung in Gesundheits- wie in Finanzfragen wird gerne verwiesen, die soziale Verantwortung bleibt aber auf der Strecke. Wenn etwas schief geht, verzichtet man halt auf die Bonuszahlungen oder ruft letztendlich doch den verteufelten Staat zu Hilfe.
Und der Staat hilft: So bieten die USA ein Rettungspaket von 700 Milliarden. Eine Summe, die reichen würde, um die UNO-Anforderungen im Kampf gegen Hunger und Armut in Afrika zehn Jahre lang zu bezahlen. Statt Saatgut für Afrika also Saatgut für den Markt der Träume.
Ein »angemessenes Maß«
Ob der Staat, die Staaten als Gegenleistung nun aber die »Freiheitskämpfer des Marktes« wirklich in die Verantwortung nehmen werden, ist noch offen. Denn auf die Maßlosigkeit des Finanzmarktes reagieren sie bei den Bedingungen für ihre Hilfsmaßnahmen maßvoll. Gewinnausschüttungen und Vorstandsgehälter sollen »auf ein angemessenes Maß beschränkt« werden, steht im Pflichtenheft der österreichischen Hilfsempfänger. »Angemessene finanzpolitische Schritte zur Stimulierung der Binnennachfrage« empfiehlt der Weltfinanzgipfel Mitte November und verspricht eine Finanzmarktreform. »Woran gemessen?« ist die Frage. Um mit Brecht zu schließen: »Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen/Den Vorhang zu und alle Fragen offen.«
]]>Aus Ungleichheit wird Armut
Doch der Reihe nach: Die OECD hat vor wenigen Wochen unter dem Titel »Growing Unequal?« eine umfassende Studie der Einkommensungleichheiten1 in ihren Mitgliedsstaaten veröffentlicht. Deren Kernaussage ist, dass in den meisten Ländern die Verteilung der Einkommen seit Mitte der 1980er-Jahre ungleicher geworden ist. In Europa war dies in allen Ländern mit Ausnahme von Frankreich, Griechenland, Spanien und Irland der Fall. Der aktuelle Stand der Ungleichheit weist allerdings von Land zu Land große Unterschiede auf. Der Gini-Koeffezient2 im Land mit den größten Disparitäten (Mexiko) ist mehr als doppelt so hoch wie in jenem mit den niedrigsten (Dänemark). Mit Ausnahme von Australien, das knapp unter dem OECD-Mittelwert liegt, weisen alle nicht-europäischen Mitgliedsstaaten eine überdurchschnittlich hohe Ungleichheit der Einkommensverteilung auf. Österreich liegt, was das Niveau der Ungleichheit betrifft, klar unter dem Durchschnitt. In den 1990er-Jahren ist sie hierzulande aber überdurchschnittlich angestiegen.
Aus Ungleichheit wird (relative) Armut, wenn das individuelle Einkommen einen - je nach Definition unterschiedlich hohen - Prozentsatz des Medianeinkommens unterschreitet. Ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung im OECD-Raum haben ein Einkommen von weniger als der Hälfte dieses Indikators. Parallel zur Einkommensungleichheit insgesamt hat auch die Armut zugenommen - mit Ausnahme jener der PensionistInnen. Hohen Armutsrisiken sind AlleinerzieherInnen (meistens Frauen) und deren Kinder sowie Arbeitslosen-Haushalte ausgesetzt.
Ein aufrechtes Vollzeitbeschäftigungsverhältnis mindestens eines Haushaltsmitglieds ist noch immer der beste Schutz vor Verarmung, Arbeit an sich aber schon lange nicht mehr. So gibt es im OECD-Schnitt in der Hälfte aller armen Haushalte ein aufrechtes Beschäftigungsverhältnis. Vor dem Hintergrund allgemein sinkender Lohnquoten haben sich allerdings die Arbeitseinkommen auseinander entwickelt, bei Vollzeitbeschäftigten jedoch eher auf Kosten der mittleren zugunsten der SpitzenverdienerInnen - bei Männern wie Frauen.3 Echte Armutsgefährdung geht von der Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse aus, deren ArbeitsplatzinhaberInnen in der Regel einen geringeren Stundenlohn erhalten als in einem Normalarbeitsverhältnis und - im Falle von Teilzeit oder bei nicht nahtloser Aneinanderreihung temporärer Arbeitsverhältnisse - auch eine geringere Arbeitsstundenzahl aufweisen.
Armut ist relativ
Relative Ungleichheit, selbst wenn sie ausgeprägt ist, bedeutet nicht automatisch absolute Armut im Ländervergleich. So würde etwa das Einkommen4 eines nach gängiger Definition Armen im ungleichen, aber wohlhabenden Japan dagegen in der insgesamt weniger reichen Slowakei für eine gehobene Mittelstandsexistenz reichen. Wenn aber die Disparitäten innerhalb eines Landes zu groß werden, dann nützt den Armen selbst hohes durchschnittliches Wohlstandsniveau nichts. Ein US-Bürger in der Gruppe der untersten zehn Prozent verfügt kaum über ein höheres Einkommen5 als ein Tscheche der gleiche Kategorie, obwohl das durchschnittliche amerikanische Pro-Kopf-Einkommen mehr als doppelt so hoch ist, und er hat nur die Hälfte eines armen Norwegers zur Verfügung. In jedem OECD-Staat mildern Systeme der sozialen Sicherheit die Ungleichheiten in den Markteinkommen und vermindern Armut, auch wenn das Ausmaß der Anstrengungen sehr unterschiedlich ist. Ihre Wirksamkeit weist, ebenso wie die umverteilende Wirkung der einzelnen Steuersysteme, große Unterschiede von Land zu Land auf. Gleiches gilt für den Nutzen im Vergleich zum Aufwand. Für Österreich lässt sich sagen, dass die heimische Sozialquote im internationalen Spitzenfeld liegt, der umverteilende Effekt sowohl unseres Steuer- als auch unseres Sozialsystems sich dagegen nur etwa im Durchschnitt bewegt.
Top 3: Mexiko, Türkei, USA
Soweit die wichtigsten der nüchternen Fakten. In einer politischen Wertung scheiden sich wohl die Geister, wie weit Einkommensungleichheiten gerechtfertigt, ja notwendig für den wirtschaftlichen Erfolg von Volkswirtschaften sind.5 Zwei Dinge können jedoch mit Sicherheit aus der Studie geschlossen werden: Hohes Wohlstandsniveau muss nicht Hand in Hand mit ausgeprägter Ungleichheit gehen, und gleichzeitig bildet deren Anstieg nicht die Voraussetzung für wirtschaftliche Dynamik. Unter den drei OECD-Staaten mit den größten Reich-zu-Arm-Unterschieden werden die beiden ärmsten (Mexiko und Türkei) vom zweitreichsten (USA) gefolgt. Umgekehrt finden sich unter den egalitäreren Gesellschaften sowohl welche mit hohem Pro-Kopf-BIP (Österreich und vor allem Luxemburg) als auch weniger wohlhabende (Tschechien und Slowakei). Unter den Volkswirtschaften, die in den vergangenen zehn Jahren besonders stark gewachsen sind, gibt es sowohl solche mit stark steigenden Ungleichheiten (USA oder Finnland) als auch welche, in denen jene sogar zurückgegangen sind (Spanien, Irland). Dagegen geht schwaches Wachstum im Normalfall mit einem Auseinanderdriften der Einkommen einher, wie die Beispiele Portugal, Deutschland und Italien zeigen. Boomende Wirtschaften bilden also eine Voraussetzung, aber keine Garantie einer Wohlstandssteigerung für wirklich alle.
Einkommensunterschiede sollten aber auch unter dem Gesichtspunkt ihrer Weitergabe an die nächste Generation gesehen werden. Damit sind wir bei dem Punkt, an dem die Geschichte vom Tellerwäscher, den die soziale Hängematte in Europa nur daran gehindert hätte wie in Amerika zum Millionär zu werden, zum sozialen Zynismus wird. Selbst die OECD - eine Organisation, für die das Bekenntnis zur Marktwirtschaft zentral ist, und der jeglicher sozialer Utopismus fernliegt - berichtet in ihrer Studie vom Gegenteil. Es besteht nicht nur eine negative Korrelation zwischen Ungleichheit und Einkommensmobilität, und sowohl innerhalb der Generationen als auch über sie hinweg ist letztere in den USA so gering wie in kaum einem anderen OECD-Land. Die deutschsprachigen und besonders die skandinavischen Länder bieten viel bessere Chancen, der Armut zu entkommen. Darüber hinaus stellt »Growing Unequal?« auch wörtlich fest, »dass ein hoher Anteil von Einkommensungleichheiten, die von einer Generation auf die andere übergehen, mit Faktoren zu tun haben, die weitgehend jenseits des Einflusses des Kindes liegen«. Mit anderen Worten: Nicht der angeblich fehlende »Biss«, sondern unvorteilhafte Ausgangsbedingungen sind es, die die Kinder von Armen nicht reich werden lassen - in den USA gründlicher als anderswo. Die OECD plädiert daher mitnichten für sozialpolitische Untätigkeit des Staates, sondern für breit gefächerte (vor allem auf den Sektoren Steuern, Bildung und Gesundheit), aktivierende und einer Evaluierung unterworfene staatliche Maßnahmen zur Armutsbekämpfung.
Verbesserungsmöglickeiten
Wer die Studie genau liest, wird auch für das österreichische Sozialsystem eine Reihe von Verbesserungsmöglichkeiten finden. Im Gegensatz zu der von manchen heimischen Nachbetern sozialdarwinistischer Stehsätze, orientiert sich jedoch die Kritik der OECD an »best practices« statt an den am wenigsten tauglichen Vorbildern und kann daher auch ernst genommen werden.
Weblinks
Mehr Infos finden Sie unter
www.oecd.org
1Genauer gesagt der Haushaltseinkommen.
2Maßzahl für die Ungleichheit der Verteilung. Je höher er ist, desto größer die Disparitäten. Andere Indikatoren ergeben im Wesentlichen das gleiche Bild.
3Noch mehr als für Einkommen aus unselbstständiger gilt das für solche aus selbstständiger Erwerbstätigkeit und aus Kapital.
4Absolut unter Berücksichtigung der Kaufkraftparitäten.
5Man denke nur daran, dass die Motivation für qualifiziertere und längere Ausbildung sinkt, wenn diese nicht auch ihren Niederschlag in höherem Einkommen findet.
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Lufthansa blieb als Bieterin
Bis 28. Oktober, dem vorgesehenen Ende des Privatisierungsauftrages, blieb nur noch die Lufthansa als Bieterin übrig. Die AUA gab während des Verkaufsprozesses neue Verlustzahlen bekannt und machte so Druck auf die Regierung, die Lufthansa-Forderungen zu erfüllen. Die Lufthansa bot 1 Cent pro AUA-Aktie der ÖIAG, verlangte die Übernahme aller AUA-Schulden ohne Garantie für den Bestand der AUA, Arbeitsplätze oder den Flughafen Wien. Daraufhin kam es vorerst zu keiner Verkaufsentscheidung der ÖIAG. Die Regierung verlängerte den Privatisierungsauftrag bis 31. Dezember 2008.
Leopold Abraham, Sprecher der ÖIAG-Betriebsräte (ARGE ÖIAG): »Jahrelang hat man untätig zugesehen, wie die AUA immer stärker ins Trudeln geraten ist. Jetzt hat man es plötzlich eilig. Mit einem unüberlegten Ho-ruck-Notverkauf lässt man die Beschäftigten für die Managementversäumnisse büßen. Unüberlegtes und vorschnelles Handeln gefährdet nicht nur die AUA und deren Beschäftigte, sondern den ganzen Wirtschaftsstandort.«1
Gutachten unter Verschluss
Nicht nur Abraham fragt sich: Warum wurde seit 2006 von der ÖIAG ein Gutachten unter Verschluss gehalten, das im Falle einer Partnersuche zwischen Lufthansa, Britisch Airways und Air France/KLM für die letztere eine Präferenz erkennen ließ?2 Möglicherweise ist der Umstand darin zu suchen, dass damals eben nicht die Lufthansa als Partnerin auserkoren wurde. Tatsache ist, dass die Lufthansa sofort ihr Interesse an der AUA bekundete.3 Die deutsche »Wirtschaftswoche« berichtet sogar, dass die Airline wegen ihrer Probleme im Russlandgeschäft auf die AUA angewiesen sei.4 Zudem sind viele Manager in den Vorstands- und Aufsichtsratsetagen der ÖIAG und der AUA »deutschlastig«, d. h. sie kommen direkt von der Lufthansa wie AUA-Vorstand Andreas Bierwirth, der in Frankfurt schon jetzt als Nachfolger von AUA-Boss Ötsch (ehemals Siemens) gilt. Oder sie kommen von deutschen Banken und Konzernen, die mit der Lufthansa verbunden sind, wie ÖIAG-Chef Michaelis (ehemals Mannesmann). »Die Presse« listet zahlreiche »Seilschaften« auf.5 Aus der Sicht von Alfred Junghans, AUA- Betriebsratsvorsitzender der kaufmännischen und technischen Angestellten, gibt es eine höchst eigennützige, interne und externe Lobby, die die Luftfahrtkrise zu ihrem Vorteil nützen und sich die AUA billigst bis gratis einverleiben will: »Ich kann nur so viel sagen: Sieht man, wie die Übernahme der Swiss durch die Lufthansa gelaufen ist, dann zeigt sich, dass z. B. der Flughafen Zürich stagniert, München aber wächst.« Warum ist nicht schon viel früher etwas geschehen, fragt der AUA-Betriebsrat: »Da hat man ein Drittel der 350 Mio. Kapitalerhöhung von 2006 allein dazu verwendet, um Piloten und Verwaltungspersonal abzubauen. Keine Zukunftsstrategie.« Und etwa die Hälfte der Kapitalerhöhung wurde in US-Aktien angelegt, die bis heute einen Wertverlust von 50 Mio. Euro eingebracht haben.6 Weiters kritisiert Junghans, dass der frühere AUA-Finanzchef die Absicherung für die Treibstoffpreise heruntergefahren habe und die AUA die einzige Fluglinie ohne Absicherung sei. Die Folge: Die hohen Kerosinpreise erzeugten Verluste.7 Der Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister bezeichnet diese Vorgangsweise als »durchgeplante Notschlachtung«: »In Zeiten eines seit Jahren steigenden Ölpreises nur 20 Prozent der Treibstoffkosten abzusichern, also zu 80 Prozent auf einen Rückgang des Ölpreises zu spekulieren, ist unentschuldbar ... Hätte das Management zu 100 Prozent abgesichert, hätte es keine gravierende Verluste gegeben ...«8
Auch AK-Direktor Werner Muhm sieht keinen Grund für einen überhasteten Abverkauf, »ermöglichen die wirtschaftlichen Gesamtzahlen der AUA wie Eigenmittelquote und Liquiditätssituation eine geordnete Partnersuche. Die Eigenmittelquote beträgt derzeit 26,3 Prozent, und die fiktive Verschuldensdauer liegt bei 13,5 Jahren - beides liegt deutlich außerhalb des Rahmens, welchen das Gesellschaftsrecht als Sanierungsbedarf definiert hat.«9
»Unfassbarer Dilettantismus«
AUA-Kleinaktionäre-Sprecher Hans Schmid kritisiert es als »unfassbaren Dilettantismus«, dass in einem Privatisierungsverfahren nur eine Bieterin übrig bleibt. Angezweifelt werden auch die AUA-Zahlenangaben, »... denn das kann auch taktisch gesteuert sein«.10 Selbst dem Unternehmerblatt »Die Presse« fällt auf, dass die Privatisierungen durch ÖIAG-Chef Michaelis immer nach gleichen Muster ablaufen: »Geheime Informationen wurden publik, es kam zum politischen Schlagabtausch, oft werden die Börsenkurse von ÖIAG-Firmen dank aufgekommener Gerüchte tagelang in Grund und Boden geprügelt ... Letztlich waren aber alle Privatisierungen erfolgreich.«11 Fragt sich nur, für wen?
Ende Oktober überstürzten sich die Ereignisse. Die AUA-Führung gab neue Verlustzahlen bekannt, und der Mitbieter Air France/KLM erhob schwere Vorwürfe: Wichtige Informationen wie die des Star-Alliance-Vertrages seien nicht zugänglich gewesen und brächten der Lufthansa Vorteile.12 Zudem förderte ein AUA-internes Geheimgutachten zutage, dass die AUA seit Jahren gezielt durch die Lufthansa ausgehungert und dieser in deren Arme getrieben werde, und im Falle einer Übernahme ein noch größerer Aderlass zu befürchten sei. Schon jetzt würde in der Allianz von AUA und Lufthansa etwa im Bereich des sogenannten »Nachbarschaftsverkehrs« die AUA statt den vereinbarten 500 Mio. Euro nur etwa 260 Mio. verdienen. Weiters verfolge die Lufthansa die klare Strategie, die österreichischen Bundesländer an den Flughafen München anzubinden oder setze alles daran, dass kein einziger Star-Langstreckencarrier Wien anfliege, obwohl der Wiener Flughafen ein Star-Alliance-Hub sei. Demgegenüber fliegen sehr wohl Flugzeuge von Korean und Delta vom Sky Team rund um Air France/KLM den Flughafen Wien an. Laut dem geheimen Strategiepapier würde es bei Air France/KLM mit dem Streckennetz der AUA nur beschränkte Überschneidungen geben, bei der Lufthansa schon. Die bereits erfolgten Einstellungen von Langstreckenflügen nach Schanghai (wird jetzt von der Lufthansa-Tochter Swiss beflogen), Mumbai und Chicago werden damit im Zusammenhang gebracht und weniger echten wirtschaftlichen Erwägungen zugeschrieben. Zudem kommt das Papier zu dem Schluss, dass eine Kooperation mit der russischen S7 der AUA die zukunftsträchtigen Wachstumsmärkte in Fernost öffnen würde.13
Eine klare Mehrheit von 80 Prozent der Bevölkerung lehnt eine staatliche Schuldenübernahme bei der AUA ab, nur damit diese an die Lufthansa verkauft werden kann.14 Trotzdem haben SPÖ und ÖVP beschlossen, rund 500 Mio. Euro vom Staat, also den SteuerzahlerInnen, für den AUA-Verkauf an die Lufthansa bereitzustellen. Für Wolfgang Katzian, Vorsitzender der GPA-djp, besteht »der Verdacht, dass hier schon vor Monaten Vorabsprachen getätigt und die Weichen in Richtung Lufthansa gestellt wurden«.15
AUA-Betriebsrat Junghans befürchtet, »dass in Anbetracht der Terminhudelei einige mögliche Interessenten keine Chance hatten teilzunehmen. Wenn man nun Air France ›hinausdrängt‹ oder EU-Recht verletzt, kann es sein, dass der Prozess womöglich rückabgewickelt werden muss. Das würde dann die AUA wirklich in Gefahr bringen. Besser wäre es, im Rahmen einer staatlich unterstützten Zwischenlösung - und das ist sogar EU-konform möglich - den Prozess geordnet und neu auszuschreiben - auch mit der Maßgabe der nötigen Zeit. Dann könnte es durchaus auch neue Bewerber geben - aus Zukunftsmärkten, deren Wachstum aus meiner Sicht nach Ende der Krise noch stärker weitergehen wird.«16
Weblinks
Zuständige Gewerkschaften
www.gpa-djp.at
www.vida.at
1Interview mit Leopold Abraham, 19.8.08
2Die Presse, 5.8.08
3Kurier, 8.8.08
4Standard, 3.9.08
5siehe ÖIAG-Geschäftsberichte www.oiag.at; Presse, 20.9.08
6Kurier, 29.10.08
7Interview mit Alfred Junghans, 8.9.08
8Die Presse, 6.8.08
9Presseaussendung AK 216/2008
10Die Presse, 31.10.08; Kurier, 5. 11. 08
11Die Presse, 31.10.08
12Profil Nr. 44, 27.10.08; Kurier, 8.11.08
13WirtschaftsBlatt, 1. + 4.11.08
14Kurier, 30.10.08
15ÖGB, 27.10.08, Nr. 608
16Interview mit Alfred Junghans, 4.11.08
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Die doppelte Krise
Es geht schließlich nicht um eine Delle im üblichen Auf und Ab der Konjunktur. Es handelt sich vielmehr um eine doppelte Krise. Die Finanzmarktkrise betrifft zunächst den Bankensektor, der durch seine restriktivere Kreditvergabe die Investoren schwächt. Schwächere Investitionen implizieren aber eine schwächere Konjunktur, unter der die Bonität von Schuldnern leidet, was wiederum den Bankensektor schwächt. Finanzmarktkrise und Konjunkturkrise verstärken sich also wechselseitig, und es hat sich folglich eine Abwärtsspirale herausgebildet, die es zu durchbrechen gilt. Denn von allein - wie immer noch einige Ökonomen und auch Politiker zu glauben scheinen - werden sich die Probleme nicht verflüchtigen.
Rolle der Wirtschaftspolitik
Das in weiten Teilen Europas dominierende Paradigma war in den vergangenen Jahren das einer weitgehenden wirtschaftpolitischen Abstinenz. Weder die Geldpolitik noch die Fiskalpolitik wurden als geeignet angesehen, auf konjunkturelle Schwankungen oder gar Krisen angemessen zu reagieren. Die vergangenen Tage und Wochen deuten jedoch eine Zeitenwende an. Mit dem globalen Programm zur Stabilisierung des Finanzsektors in all seinen verschiedenen nationalen Ausprägungen hat die internationale Staatengemeinschaft ein Zeichen gesetzt: Die Wirtschaftspolitik hat sichtbare Verantwortung für die globale wirtschaftliche Stabilität übernommen.
Dies kann als ein wesentlicher Beitrag zu einer wirtschaftspolitischen Globalisierung verstanden werden. Bislang galt, dass die Globalisierung der Märkte die Wirtschaftspolitik nur insofern tangierte, als sie dazu beizutragen hatte, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaften zu gewährleisten. Das heißt, die Globalisierung diente zur Begründung für eine nationale, nämlich die nationale Angebotsseite fördernde, Wirtschaftspolitik. Die Finanzmarktkrise hat die Fragilität und auch die Naivität dieses Ansatzes enthüllt. Denn sie zeigt, dass der wirtschaftlichen Globalisierung die wirtschaftspolitische folgen muss. Ihre Aufgabe ist es, globale nicht allein nationale, Stabilität zu gewährleisten. Eine solche global ausgerichtete Politik kann sich nicht auf die Angebotsseite beschränken, sondern muss auch die Nachfrageseite wieder mit ins Bild nehmen.
Blühender Markt braucht Rahmen
Man hat schließlich erkannt, dass das marktwirtschaftliche System durch Belohnung unternehmerischen Gewinnstrebens zwar auf der einen Seite eine Quelle dynamischer Wohlstandsmehrung ist, auf der anderen Seite aber das gleiche Streben auch den Keim der Krisenhaftigkeit durch Übersteigerungen in sich trägt. Die Wirtschaftspolitik hat diese Krisenhaftigkeit (wieder) erkannt und adäquat gehandelt. Das ist eine deutliche Abkehr von der doch recht naiven Sichtweise, die auf einen ständigen Rückzug des Staates aus der Wirtschaft beruhte, damit der Markt sich voll entfalten könne. Mehr Deregulierung auf Güter-, Finanz- und Arbeitsmärkten bedeute mehr Wachstum und mehr Beschäftigung. Dieses generelle Heilsversprechen ist geplatzt. Ein blühender Markt braucht einen staatlichen Rahmen, in dem er sich voll entfalten kann, ohne dass auf Dauer der Wohlstand auch gerade durch den Markt selbst geschädigt wird.
Die Wirtschaftspolitik nicht nur im Euroraum, sondern in allen wirtschaftlich bedeutsamen Regionen scheint bereit, diesen Weg zu gehen. Das eröffnet die Chance, nunmehr endlich auch einen globalen Regulierungs- und Stabilisierungsrahmen durchzusetzen, darunter eine neue globale Finanzmarktarchitektur, die Auswüchse, wie in den vergangenen Jahren erlebt, zumindest unwahrscheinlicher macht.
Finanzpolitische Maßnahmen
Betrachtet man die Entwicklungen der vergangenen Wochen, gibt es eine Reihe positiver Signale, die auf eine eher schnellere Überwindung der Finanzkrise hoffen lassen. Das gilt zum einen für die konzertierten Leitzinssenkungen mehrerer einflussreicher Zentralbanken, die die Konjunktur mittelfristig stimulieren werden. Zudem wurde die Refinanzierung der Banken bei der EZB erleichtert, indem von einem Zinstender auf einen Mengentender umgestellt wurde: Banken erhalten jetzt zu einem festen und niedrigeren Zinssatz als vorher unbegrenzte Liquidität von der EZB, und zwar nicht nur in Euro, sondern auch in US-Dollar.
Zudem hat die EZB die Sicherheiten ausgeweitet, die sie im Gegenzug akzeptiert. Damit erweitert sie den Zugang und verbilligt zugleich die Bereitstellung von Liquidität. Hilfreich ist auch die enge Koordination auf EU-Ebene: Die EU-Finanzminister kündigten gemeinsam die Rettung systemisch relevanter Banken an. Ein ergänzendes Wachstumspaket zur Stützung der Konjunktur muss einer Reihe von Anforderungen gerecht werden: Es sollte
Die Befürchtung, dass sich Konjunkturprogramme als Strohfeuer erweisen könnten, ist weit verbreitet. Sie ist allerdings unter bestimmten Voraussetzungen unberechtigt. Erst jüngst haben zwei ausführliche Untersuchungen, die eine vom IMF, die andere vom Brookings Institute, gezeigt: Konjunkturprogramme wirken. Es sind jedoch Regeln zu beachten, will man Erfolg haben.
Regel Nr. 1: Die Konjunkturprogramme müssen von der Geldpolitik unterstützt werden.
Eine schnelle und starke Zinssenkung ist in ihrer Wirkung durch nichts zu ersetzen. Zugleich erhöht sie den Wirkungsgrad aller anderen, insbesondere fiskalpolitischer Maßnahmen. Angesichts rückläufiger Preissteigerungsraten und ausbleibender Zweitrundeneffekte ist eine starke monetäre Lockerung nicht nur notwendig, sondern auch vertretbar. Allerdings wirkt selbst eine sofortige Zinssenkung erst mit einiger zeitlicher Verzögerung.
Dieser Zeitraum muss durch eine anderweitige, sofort wirksame Konjunkturstützung überbrückt werden, um eine zwischenzeitliche Verschärfung der Krise zu vermeiden. Hier kommt der Finanzpolitik nun die entscheidende Rolle zu.
Regel Nr. 2: Es muss schnell gehandelt werden.
Haben sich erst die Erwartungen in Pessimismus verfestigt, fällt die Korrektur umso schwerer, die Krise dauert länger und erfordert einen höheren Mitteleinsatz.
Regel Nr. 3: Es muss koordiniert gehandelt werden.
Empfehlenswert ist daher, dass ECOFIN in Kooperation mit der EZB einen Beschluss fasst, dass jedes Mitgliedsland ein Prozent seines BIP für Konjunktur stabilisierende Maßnahmen einsetzt. Die Details obliegen jedem Mitgliedsland. Darüber hinaus müssen die automatischen Stabilisatoren in vollem Umfang wirken.
Der Abschwung ist unvermeidlich; er hat schon begonnen. Die Frage ist nur noch, wie tief er wird, und wie lang er anhält, wenn alle Staaten, insbesondere auch die Länder der EU, und vor allem der Eurozone nunmehr im Sinne einer wirtschaftspolitischen Globalisierung handeln. Das bedeutet, dass sie zum einen global die Finanzmärkte und zum zweiten jeweils national die Nachfrage stimulieren. Geschieht dies, kann das Jahr 2009 die Erholung bringen.
Weblinks
Offizielle Seite der Keynes-Gesellschaft
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12 | Weltwirtschaftskrise?
Die Wirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre hat zum 2. Weltkrieg geführt. So dramatisch wird es diesmal nicht.
15 | Gleichzeitig und rasch
Die aktuelle Krise zeigt, dass der wirtschaftlichen Globalisierung die wirtschaftspolitische folgen muss.
16 | Wege aus der Krise
Verschiedene VÖGB-AK-Speziallehrgänge unterstützen ArbeitnehmervertreterInnen bei ihren Aufgaben.
18 | Ende eines Zeitalters
Der neoliberale Finanzkapitalismus erlebt derzeit sein bisher größtes Debakel. Die Märkte müssen dringend reguliert werden.
20 | Frage der Verantwortung
In Zeiten wie diesen werden Forderungen nach einer umfassenden Managerhaftung und mehr Transparenz wieder laut.
24 | Die Angst geht um …
Ein gut verhandelter Sozialplan erspart bei grundlegenden Änderungen im Betrieb oder Massenkündigungen einiges an Leid.
26 | Arbeit stiften
Krisen gibt es vieler Art. Die einen bedrohen die Existenz wie ein Blitz aus heiterem Himmel, andere vernebeln Chancen.
28 | Zu arm für Gemüse
Armut ist für viele Menschen in unserem Land traurige Realität. Sozialmärkte können nur teilweise Abhilfe schaffen.
30 | Was lernen wir daraus?
Kritische Stimmen hatten die Lehren bereits gezogen, noch ehe die große Finanzmarktkrise eingetreten war.
Interview
_8 | Jetzt investieren
Der Doyen der österreichischen Wirtschaftswissenschaften über die Finanzmarktkrise und den angeschlagenen Neoliberalismus.
22 | Rette sich, wer kann
Wirtschaftspsychologe Dr. Kirchler über Wirtschaftspsychiatrie, die Projekttheorie und das gesellschaftliche Wertesystem.
Standards
_ 4 | Standpunkt: Maß für Maß
5 | Veranstaltung: Chrash statt Cash
6/7 | Aus Arbeiterkammer und Gewerkschaften
11 | Historie: Anstelle des Einsparens
32 | Historie: Nur soziale Gerechtigkeit
43 | Internationale Meldungen
44 | Buchtipps
46 | Man kann nicht alles wissen
Internationales
33 | Nobelpreis für Krugmann
Gesellschaftspolitik
40 | Jetzt die Ruhe bewahren
Wirtschaft&Arbeitsmarkt
34 | AUA vor dem AUS?
36 | Lehre mit Reifeprüfung
38 | Ungleiches Einkommen
42 | Verbraucherpreise
Arbeit&Wirtschaft: Herr Professor, Sie haben den Neoliberalismus in Interviews immer wieder kritisiert. Sie haben vieles von dem, was jetzt mit der Finanzmarktkrise eingetroffen ist, bereits prognostiziert. War das so einfach vorauszusehen?
Kurt W. Rothschild: Ein großer Teil der ökonomischen Profession hat das vorausgesehen - aber keiner hat vorausgesehen, dass diese Finanzkrise sich in ihrem Umfang und in ihrem Charakter so stark von den früheren unterscheiden wird. Durch die Globalisierung hat sie ein ganz anderes Ausmaß und sie hat ihren Ausgang in den USA genommen, dem Land, das die Weltwährung hat. Sie spielt dadurch eine größere Rolle als frühere Finanzkrisen in Russland oder Mexiko. Bei dieser Krise sind mehrere Ursachen zusammengekommen. Diese Häufung von Schwierigkeiten macht es so schwierig, einen Weg heraus zu finden.
Wo genau liegen die Ursachen der Finanzmarktkrise?
Begonnen hat es mit einer sehr expansiven Geldpolitik in den USA - im Bemühen eine fallende Konjunktur zu beleben. Das hat dazu geführt, dass die Banken viel Geld zur Verfügung hatten. Dafür wurden Kreditmöglichkeiten gesucht - eine Bank lebt ja davon, dass sie Geld aufnimmt und zu höheren Zinssätzen weitergibt. Auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten mit guten Renditen sind sie in immer riskantere Bereiche gegangen, z. B. Immobilien. In Amerika leben mehr als die Hälfte der Menschen in eigenen Häusern und finanzieren den Hausbau und Ausbau mit Krediten. Normalerweise werden Kredite nur vergeben, wenn die Leute über genügend Sicherheiten verfügen, um das Geld später zurückzuzahlen. Aber aufgrund der größeren Geldflüssigkeit, haben die Banken immer mehr fragwürdigere Hypothekar-Kredite für nicht gebaute Häuser hergegeben. Das hat zu größerer Bautätigkeit geführt. Die Baupreise sind gestiegen. Viele sind dann auch noch spekulativ eingestiegen. Und so entstand ein Markt - der sogenannte Subprime-Markt - wo in ganz großem Stil Kredite für Häuser und Hausbau an nicht kreditwürdige Menschen und Organisationen vergeben wurden. Dazu noch mit flexiblen Zinssätzen. Die Zinsen stiegen und die Häuser mussten verkauft werden. Die Konjunktur am Häusermarkt ist zusammengebrochen. Spekulationserwartungen konnten nicht erfüllt werden. Das allein hätte nicht genügt. Was dann geschehen ist, ist dass die Banken heftiger versucht haben, diese hohen Renditen zu erhalten und in immer riskantere Geschäfte eingestiegen sind. Je höher das Risiko, desto höher die Rendite. Nun sollten aber Banken, die mit fremdem Kapital arbeiten, nicht zu riskant agieren und die Risiken einschätzen. Dazu gibt es zwei große Rating Agencies mit Sitz in den USA, die weltweit agieren. Die werden allerdings von den Banken bezahlt. Die waren daher - im Interesse ihrer Kunden - »zu optimistisch« und das hat dazu geführt, dass die »faulen Kredite« stark angewachsen sind.
Mit Eigenkapital kann man machen, was man will. Aber Banken geben Kredite mit Krediten, die sie selbst aufgenommen haben. Die Folge ist eine Kette nicht erfüllbarer Schuldverpflichtungen. Das ist weiter verschärft worden durch das Entstehen der sogenannten Hedge-Fonds und Private-Equity, reine Spekulationen. Die haben Kredite aufgenommen, um mitzuspekulieren. Und um die Zinsen auf diese Kredite zu bezahlen, haben sie neue Kredite aufgenommen. Wenn bei so einer Kette von Krediten irgendwo die Rückzahlung ausbleibt, hat das eine Kettenreaktion zur Folge. Und all diese riesigen Kreditaktionen sind auch begierig in anderen Ländern aufgenommen worden in der Hoffnung auf hohe Renditen. Denken Sie an Ackermann, den Chef der Deutschen Bank, der gesagt hat, wenn etwas nicht 25 Prozent Rendite einbringt ist es für mich nicht interessant. So etwas ist verbrecherisch.
Und ist das jetzt auch das Ende des Neoliberalismus?
Nein - leider. Eigentlich weiß keiner genau, wie wir wieder aus dieser Krise herauskommen. Wir haben aus den 30er-Jahren gelernt: Aus der Finanzkrise wurde keine Krise in der Realwirtschaft wie damals. Damals ist die Krise aus enormen Misstrauen und darauf folgenden Run auf die Banken entstanden. Dadurch brach das Geldsystem zusammen. Das hat man jetzt durch die Bankgarantien verhindert. Bis jetzt ist die Öffentlichkeit nicht in Panik geraten.
Banken bauen auf einer gewissen Masse von nationalem Geld Konten auf, die ja auch Geld sind. Diese Konten müssen - wenn es gewünscht wird - in Bargeld umgewandelt werden können. Kippt das Verhältnis kann eine Bank illiquid werden. Sie muss dazu nicht bankrott sein, kann ausstehende Forderungen haben, kann aber die Bargeldwünsche nicht erfüllen. Um das zu verhindern gibt es ein Interbanksystem in allen Ländern.
Dieses System ist jetzt zusammengebrochen. Die Banken haben Angst, dass ihnen andere Banken das geborgte Geld nicht mehr zurückzahlen können. Und das führt dazu, dass jetzt die Regierungen den Banken Geld geben und diese verpflichten, es als Kredite weiterzugeben. Das sind auch Vertrauensfragen, und da ist das Vertrauen noch nicht hergestellt.
Und wie geht es wieder raus aus der Krise?
Das Ganze ist ja nicht nur eine Frage für die Ökonomen, sondern auch eine Frage für die Politologen und Soziologen. Es ist ja nicht nur die Frage: Was könnte man vernünftigerweise tun? Sondern vielmehr auch die Frage: Welche Interessen werden dadurch berührt und können sich durchsetzen? Die Neoliberalisten haben ja nicht umsonst die Befreiung von Kapitalkontrollen gewünscht, sondern weil sie riskante Geschäfte machen wollten. Die haben auch von all dem profitiert. Die Banken haben die Anleihen weiterverkauft an Käufer, die das Risiko nicht einschätzen konnten. Sie haben enorm an diesen Spekulationsgeschäften verdient und haben kein Interesse, dass sie zu sehr eingeschränkt werden. Auch jetzt nicht. Das merkt man eindeutig an den Bankdirektoren bei uns und in Deutschland, die sehr deutlich gesagt haben, sie wollen keine staatliche Hilfe. Die hatten Angst, dass der Staat ein gewisses Mitspracherecht fordert. Und genau das wäre aber notwendig.
Im Grunde gibt es ja zwei Probleme. Erstens: Wie kommen wir aus dieser globalen Finanzkrise wieder heraus? Das ist schwierig, weil man da keinerlei Erfahrung hat. Zweitens: Was muss man machen, dass so etwas in diesem Ausmaß nicht wieder passiert? Ganz verhindern kann man Finanzkrisen im Kapitalismus überhaupt nicht.
Hyman Minsky hat schon vor 30, 40 Jahren vorausgesehen, dass es immer wieder zu einem Kollaps kommen muss. Auf jede Spekulationsblase folgt eine Regulierung. Dann kommt eine ruhigere Zeit. Dann beginnt wieder die Gier nach höheren Renditen und das Spiel fängt von neuem an. Das zu verhindern fordert eben sehr leistungsfähige Kontrollinstrumente. Die gegen die sehr mächtigen neoliberalen Kräfte durchzusetzen wird politisch sehr schwer sein.
Das Modell des Neoliberalismus ist ein logisches und gutes und ideales Modell für die großen multinationalen Finanz- und Realkonzerne. Die sind dadurch immer größer geworden und konnten mehr andere Unternehmen schlucken. Dass die das vertreten haben, ist verständlich. Das Malheur ist leider, dass sie es ideologisch so stark untermauert haben. Ich denk an Parolen wie »weniger Staat, mehr privat« und »individuelle Freiheit«. Das Problem ist, dass diese Ideen Gesellschaft und Parteien durchdringen. Wollen jetzt Regierungen etwas ändern, haben sie keinen Rückhalt bei einer Bevölkerung, die das nicht durchschaut. Also müssen sie mit den Firmen zusammenarbeiten.
Weil sie sonst mit Standortwechsel drohen …
Früher gab es eine Kräftebalance zwischen Staat, Industrie und Gewerkschaften. Sie wollten voneinander etwas und konnten einander etwas geben. Sozialpartnerschaft und Wohlfahrtsstaat haben was gebracht. Man hat den Firmen Möglichkeiten gegeben, sich zu entwickeln. Sie haben sich mit den Gewerkschaften auf Löhne und Regeln geeinigt und die Politik wollte von den einen und den anderen gewählt werden. Das hat sich durch die mikroelektronische Technik radikal verschoben. Sie bot produktions- und organisationstechnisch enorme Möglichkeiten, die Konzerne zu lenken und die Produktion als Ganzes oder in Teilen zu verlagern. Sie hatten Handlungsmöglichkeiten, bei denen weder die Gewerkschaften noch die Nationalstaaten mitspielen konnten.
Es erfordert also viel Optimismus zu sagen, der Neoliberalismus ist tot. Er ist sicherlich angeschlagen. Immerhin sprechen jetzt schon Konservative vom Kasino-, Turbo-, Raubtierkapitalismus. Beim Weg aus der Krise geht es nicht um gute wirtschaftliche Ideen, sondern um ihre Durchsetzung.
Man muss auf zwei Schienen fahren. Einerseits schauen wie man mit der Finanzwirtschaft fertig wird, und andererseits Konjunktur fördernde Maßnahmen einsetzen. Derzeit neigen die Menschen zur Vorsicht. Dabei muss man jetzt investieren.
Das heißt, die Gewerkschaften sollen sich bei den Lohnverhandlungen nicht zurückhalten?
Man darf jetzt nicht mit der Inflationsangst kommen. Seit Jahren hinken die Löhne deutlich hinter der Produktivitätssteigerung zurück. Da wäre jetzt zumindest die »Benya-Formel« angebracht, also Lohnerhöhungen in der Höhe der Inflation plus Anteil am Produktivitätsfortschritt. Die enorme Vermögensverlagerung der vergangenen Jahre muss gestoppt werden. Da ist die Europäische Zentralbank mitverantwortlich. Hinter all dem lauert die Gefahr eines Vertrauensverlusts. Das kann sehr plötzlich eintreten.
Das würde ja an die Krise der 30er-Jahre anschließen. Wie haben Sie die damals erlebt?
Da waren vorher auch die »Roaring Twenties«, da haben die Leute auch an die ewige Konjunktur geglaubt. Aber dann kam die Arbeitslosigkeit. Es ist aber ein Unterschied, ob man heute arbeitslos wird oder damals. Damals, das war Not und Hunger. Heute arbeitslos zu werden - als Einzelschicksal - ist psychologisch schwieriger zu verkraften als damals, als 25 Prozent arbeitslos waren. Da hat man sich ja schon geniert, wenn man nicht arbeitslos war (lacht). Man hat auf das System geschimpft und nicht das Vertrauen in sich selbst verloren.
Der Vorteil dieser Finanzkrise ist, dass man über den Finanzmarkt spricht und der Neoliberalismus diskutiert wird. Das Malheur ist, dass andere Themen verdrängt werden, wie prekäre Arbeitsverhältnisse oder die Umwelt. Da haben kritische Stimmen nicht unrecht: Für das Soziale brauchen wir jetzt eine Expansion der Wirtschaft. Langfristig müsste man aber schauen, bei Ressourcen schonend zu agieren. Diese langfristigen und die unmittelbaren Ziele zusammenzubekommen ist eine schwierige Frage.
Glauben Sie, dass Wirtschaft und Politik in solchen Zeiten näher zusammenrücken?
In Zeiten der Not? Jetzt wollen die Banken Geld vom Staat. Aber auch diejenigen, die das Geld jetzt gerne nehmen, werden schauen, wie sie die staatliche Kontrollen schnell wieder loswerden.
Ralf Dahrendorf hat gesagt, das zwanzigste Jahrhundert war das Jahrhundert der Sozialdemokratie, des Sozialen. Seit den 70er-, 80er-Jahren haben wir eine deutliche Gegenbewegung. Es ist eher ein Abbau des Sozialen. Das kann sich wieder ändern, aber ob sich das durch die Krise schon ausgeht? Wie Nestroy schon gesagt hat: Prognosen sind schwierig ganz besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.
Wir danken für das Gespräch.
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Silke Heinz-Ofner
Der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz für Betriebsratsmitglieder und ihnen gleichgestellte Personen
248 Seiten, ÖGB-Verlag, 2004
ISBN 978-3-7035-0994-0
EUR 24,80
Das österreichische Arbeitsverfassungsrecht weist dem Betriebsrat als Kollegialorgan weitreichende und umfassende Mitbestimmungsrechte zu. Als Ergänzung zu diesen Rechten schuf der Gesetzgeber einen besonderen Kündigungs- und Entlassungsschutz für die Vertreter dieser ArbeitnehmerInnengruppe. Das Buch untersucht die rechtliche Konstruktion dieses erhöhten Bestandschutzes, wobei es sich mit seiner Analyse der Rechtsprechung unmittelbar an die Betroffenen wendet. Das Buch ist für jeden, der Betriebsratstätigkeit ausübt oder anstrebt, eine Pflichtlektüre.
Gerald Klug
Die Grundsätze der Mandatsausübung des Betriebsrates gemäss Paragraph 115 ArbVG
180 Seiten, ÖGB-Verlag, 2001
ISBN 978-3-7035-0689-5
EUR 18,80
Betriebsräte werden versetzt, bei innerbetrieblichen Lohnrunden nicht berücksichtigt oder mit dem Mantel der Verschwiegenheit umhüllt. Einschüchterungen und Abschreckungen, welche alle demselben Ziel dienen, nämlich der Einschränkung des faktischen Handlungsspielraumes von BelegschaftsvertreterInnen. Der Autor untersucht die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Auswirkungen auf das konkrete Rollenverhalten der Betriebsräte und bietet darüber hinaus einen rechtlichen Überblick der Grundsätze ihrer Mandatsausübung bis hin zu relevanten Fragen des Straf- und Wettbewerbsrechts.
Rudolf Strasser/Peter Jabornegg
Die Betriebsratswahl
360 Seiten, ÖGB-Verlag, 2000
ISBN 978-3-7035-0760-1
EUR 28,80
Kurzkommentar zur Betriebsrats-Wahlordnung und zu den einschlägigen Stellen des ArbVG.
Roland Widowitsch/Heinz Füreder
Zukunftsmodell Betriebsrat
296 Seiten, ÖGB-Verlag, 2003
ISBN 978-3-7035-0946-9
EUR 21,00
Ob in Österreich oder Deutschland, in beiden Ländern gilt gleichermaßen: Betriebliche Organisationsformen ändern sich und mit ihnen die Rolle und Funktion, die Betriebsrätinnen und Betriebsräte in diesem Umfeld einnehmen.
Aus verschiedenen Blickwinkeln werden Modelle einer zukunftsfähigen betriebsrätlichen Funktion im Spannungsbogen zwischen Kleinbetrieben und Konzernen, zwischen Arbeitsverfassungsgesetz und betrieblicher Realität, zwischen Co-Management und Konfliktbereitschaft usw. ausgeleuchtet.
Alexander Putzer
Mitwirkung der Arbeitnehmerschaft im Aufsichtsrat
160 Seiten, ÖGB-Verlag, 2005
ISBN 978-3-7035-1076-2
EUR 21,00
Aufgrund der wirtschaftlichen Mitbestimmungsregelungen des ArbVG hat der Betriebsrat in zahlreichen Unternehmen das Recht, ArbeitnehmervertreterInnen in den Aufsichtsrat zu entsenden.
Das Buch bietet sowohl für Praktiker wie auch für Theoretiker in geeigneter Weise einen Überblick über die Entsendung und Abberufung von ArbeitnehmervertreterInnen sowie über Rechte und Pflichten im Aufsichtsrat.
Robert Priewasser
Der Betriebsratsfonds
272 Seiten, ÖGB-Verlag, 2007
ISBN 978-3-7035-1264-3
EUR 26,80
Das Vermögen des Betriebsratsfonds dient dazu, die Geschäftsführungskosten für den Betriebsrat zu finanzieren (und zwar jene, die nicht der Arbeitgeber tragen muss - z. B. Fahrtspesen zu Gewerkschaft und AK, Übernachtungskosten im Rahmen betriebsrätlicher Tätigkeit, ...), und Wohlfahrtseinrichtungen und Wohlfahrtsmaßnahmen (z. B. Betriebsausflüge, Weihnachtsgeschenke usw.) für die ArbeitnehmerInnen und ehemaligen ArbeitnehmerInnen eines Betriebes zu decken.
Ein Betriebsratsfonds ist für die ArbeitnehmerInnen daher eine wichtige Sache. Der Autor des vorliegenden Bandes erklärt unter anderem die Einnahmequellen und Ausgabenseite des Betriebsratsfonds, wofür er verwendet werden darf und wofür nicht, seine Verwaltung und Kontrolle u. a. Zurückgreifen konnte der in der AK Salzburg beschäftigte Autor dabei auf die praktischen Erfahrungen und Anregungen der Betriebsratsfondsrevisoren in Österreich.
Fair-play
Das Betriebsrats-Spiel! Gerechtigkeit am Arbeitsplatz ist kein Glücksspiel!
Nach einer Idee von Günther Harapatt
ÖGB-Verlag, 2006
ISBN 978-3-7035-1288-9
EUR 29,00
Demokratische Mitbestimmung im Betrieb durch einen Betriebsrat - das Wissen darum soll dieses Spiel vermitteln. Ziel ist es, durch Beantwortung entsprechender Wissensfragen überhaupt einen Betriebsrat gründen zu können, Jugendvertrauensräte und einen Betriebsratsfonds für die Beschäftigten einzurichten und schließlich als Zentralbetriebsrat zu gewinnen.
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30 Prozent teurer
Die Ursachen dafür liegen auf der Hand bzw. im Wesentlichen in zwei Bereichen: Im europäischen Durchschnitt stiegen in den vergangenen zwölf Monaten die Preise für Nahrungsmittel doppelt, jene für Energie und Treibstoffe viermal so stark wie die Verbraucherpreise insgesamt. Aber auch innerhalb dieser Sektoren gibt es beträchtliche Unterschiede. Bei den Lebensmitteln sind die kräftigsten Preistreiber Brot und Getreideerzeugnisse bzw. Milch, Käse und Eier, bei denen die Teuerung noch weit über der des gesamten Sektors liegt. Im Bereich Energie stechen die flüssigen Brennstoffe hervor, die in den vergangenen 24 Monaten um satte 30 Prozent teurer geworden sind.
Weltweites Wachstum
Nicht alle Erklärungen dafür sind allgemein akzeptiert. Die wohl gängigste beruht auf einer an sich erfreulichen Tatsache: Die Weltwirtschaft hat in jüngster Vergangenheit geboomt. Allein in China und Indien, die zusammen mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung stellen, ist die Wirtschaft in den vergangenen fünf Jahren um fast zehn Prozent jährlich gewachsen. Diese Länder haben aber, da ihre Landwirtschaft nicht sehr produktiv und ihre Wirtschaft noch sehr energieintensiv ist, einen besonders stark zunehmenden Bedarf an Nahrungsmitteln und Primärenergieträgern. Da das Angebot nicht mit der vermehrten Nachfrage mithalten konnte, sind nach den Gesetzen der Marktwirtschaft auch die Preise gestiegen. Da sich daran längerfristig nichts ändern wird, werden wir uns für einen längeren Zeitraum an ein höheres Preisniveau in diesen Bereichen einstellen müssen. Diese Theorie ist schlüssig, wenn man einmal davon absieht, dass sich angesichts der aktuellen Finanzkrise die Annahme einer weiter kräftig wachsenden Weltwirtschaft als zu optimistisch erweisen könnte, und sie wird auch allgemein anerkannt. Sie stellt jedoch nicht die ganze Wahrheit dar. Auch wenn namhafte Ökonomen sich geradezu mit Zähnen und Klauen dagegen wehren, wird man wohl auch nicht darum herumkommen, Spekulation als eine Ursache der Preissteigerungen auf den Weltmärkten zu nennen. Tatsächlich wurde der Handel mit Rohstoff-Futures und anderen modernen Finanzderivaten in den letzten Jahren gewaltig ausgedehnt.
Der Verfall des Dollar-Kurses und vor allem der Ausbruch der Subprime-Krise haben zudem große institutionelle Investoren, allen voran die Pensionsfonds, dazu getrieben, nach anderen lukrativen Anlageformen - im aktuellen Fall die Rohstoffmärkte - zu suchen. Auch wenn auf den Derivatmärkten hauptsächlich »Luftgeschäfte« abgeschlossen werden, also keine realen Werte den Besitzer wechseln, sondern lediglich Erwartungen über zukünftige Kursentwicklungen gehandelt werden, führt auch in diesem Fall gesteigerte Nachfrage zu höheren Preisen. Und es wäre gegen alle bisherigen Erfahrungen mit Finanzmärkten und ihrer Zyklen, würden diese Preisanstiege nicht deutlich über dem liegen, was durch realwirtschaftliche Entwicklungen zu rechtfertigen ist. So ist etwa der weltweite Rohölverbrauch zwischen 2004 und 2007 um weniger als zehn Prozent, der Preis dagegen um fast das Doppelte gestiegen. Schließlich ist auf dem Nahrungsmittelsektor auch noch die Tatsache zu nennen, dass immer mehr landwirtschaftliche Flächen für die Produktion von Agro-Treibstoffen genutzt werden. Die Weltbank bezeichnet diese Tatsache als »einen der Hauptpreistreiber bei Lebensmittel.«1
Made in Austria
Damit sind wir auch bei jenem Bereich, der den hausgemachten Anteil am Preisanstieg betrifft. Auffallend an der Entwicklung in Österreich ist nämlich, dass der Anstieg der Verbraucherpreise insgesamt in den vergangenen 24 Monaten nicht über jener im Euroraum liegt.
Gleichzeitig sind gerade in jenen Bereichen, in denen die Inflation europaweit zugenommen hat, die heimischen Preise noch deutlicher gestiegen. So liegt etwa der Anstieg bei Nahrungsmittel um drei, bei Milch, Käse und Eiern sogar um vier Prozentpunkte über dem Durchschnitt des Euroraums. Dies zusätzlich zu der Tatsache, dass Lebensmittel generell in Österreich um mehr als 20 Prozent teurer sind als in Deutschland, wie jüngst die AK in einer Erhebung nachgewiesen hat.
Besonders interessant ist die Entwicklung auf dem Energiesektor. Hier ist Heizenergie insgesamt (also Strom, Gas, feste und flüssige Brennstoffe sowie Fernwärme) in Österreich sogar im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich teurer geworden. Die flüssigen Brennstoffe zählen zwar zu den größten Preistreibern überhaupt, ihre Preise sind aber in Österreich kaum stärker als im Rest der Währungsunion gestiegen. Dagegen ist der Anstieg bei Kfz-Treibstoffen - ebenfalls Mineralölprodukte - zwar moderater gewesen, aber dafür in Österreich gleich um zehn Prozentpunkte oder um das Doppelte kräftiger als im europäischen Durchschnitt ausgefallen. Davon können die Erhöhung der Mineralölsteuer und die Beimengungspflicht für biogene Treibstoffe im letzten Jahr nur einen Teil erklären.2
Diese Tatsachen waren Gegenstand einer Reihe von Studien, die die Wettbewerbskommission (WBK) zu Beginn des Jahres in Auftrag gegeben hat, und sie hat auf deren Basis ein Gutachten erstellt. Neben den bereits genannten Produktgruppen werden darin Mineralwasser, Limonade und Saft, Wohnungsinstandhaltung3, Wasser, Gas und Elektrizität sowie Medikamente als solche mit einem »besonders hohen Österreich-spezifischem Inflationsbeitrag« identifiziert.
Wenig Wettbewerb
Die Methoden, überdurchschnittliche Preiserhöhungen durchzusetzen, sind von Branche zu Branche unterschiedlich. Schon länger in Diskussion und nun durch eine Analyse der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) erhärtet ist die Vermutung, dass die Mineralölfirmen Preiserhöhungen bei Rohöl deutlich schneller als Senkungen an die KonsumentInnen weitergeben. Im Lebensmittelhandel kalkuliert man bei kleineren Preiserhöhungen stillschweigend damit, dass die KonsumentInnen nicht sofort auf ihr Schnitzel verzichten, wenn Fleisch teurer geworden ist.
Das wirksamste Mittel
Theoretisch sollte eigentlich der Markt solches Verhalten bestrafen. Da aber in den betroffenen Branchen in Österreich mangelnder Wettbewerb herrscht, können solche Praktiken erfolgreich sein. Unter solchen Umständen können auch leicht im Windschatten eines allgemeinen Preisauftriebs noch zusätzliche Aufschläge untergebracht werden.
Ein Gegengewicht zu solchen Strukturen wäre eine wirksame Wettbewerbskontrolle. Die bestehenden Institutionen, allen voran die Bundeswettbewerbsbehörde, haben aber weder ausreichend Ressourcen noch Kompetenzen. Die WBK weist darauf in ihrem Gutachten hin macht auch Verbesserungsvorschläge. Dazu gehören die Stärkung der Ermittlungsbefugnisse der BWB, Erleichterungen bei der Beweisführung betreffend den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung oder der Aufbau eines »systematischen, transparenten und ökonomisch fundierten Wettbewerbsmonitorings«. Im Unterschied zur geplanten und letztlich nicht realisierten Senkung der Mehrwertsteuer wurden diese Maßnahmen im Wahlkampf nicht diskutiert. Ihre Realisierung sollte dennoch ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Denn: In einer Marktwirtschaft ist funktionierender Wettbewerb nach wie vor das wirksamste Mittel gegen außergewöhnlichen Preisauftrieb.
1 Auf die Konsequenzen für die ärmeren Länder und auf die zweifelhafte ökologische Bilanz der (ersten Generation der) Agro-Treibstoffe sei hier nur am Rande hingewiesen.
2 Keinen preistreibenden Effekt hatten auch Löhne und Gehälter in Österreich, die selbst in den vergangenen Jahren der Hochkonjunktur real nicht stärker als die Produktivität wuchsen.
3 Nebenbei sei erwähnt, dass die Wohnungsmieten in Österreich zwar in den vorigen Monaten keine auffallenden Sprünge nach oben gemacht haben, dafür aber schon seit Jahren deutlich über dem europäischen Durchschnitt steigen.
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Das Europäische Sozialmodell
Der dritte Bad Ischler Dialog am 8./9.Oktober 2008 war unter dem Titel »Ein soziales Europa« dem Thema Europäisches Sozialmodell (ESM) gewidmet. Dazu hatte der Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen ein Positionspapier erstellt.1 Die gefährliche Zuspitzung der internationalen Finanzmarktkrise in den Wochen zuvor und während der Tagung selbst sowie die nun sich immer stärker abzeichnenden Wirkungen auf die Realwirtschaft, d. h. auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung, brachten es mit sich, dass die SpitzenfunktionärInnen der Sozialpartnerorganisationen in ihren Statements ausführlich auch auf die aktuelle Entwicklung eingingen. In den Beiträgen der WissenschafterInnen wurden vielfache Bezüge zwischen dem Tagungsthema und dem Gefahrenpotenzial von Finanzmarktkrisen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung hergestellt.
Das Beiratspapier über das Europäische Sozialmodell (ESM) hat seine Bedeutung vor allem dadurch, dass darin Sichtweisen und Einschätzungen der Grundlagen der Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik in der Europäischen Union abgesteckt werden, die den Interessenorganisationen von ArbeitnehmerInnen und UnternehmerInnen gemeinsam sind. Das ESM sei ein politisches Gesamtkonzept, mit dem einem zunehmenden Unbehagen der Bevölkerung an der EU-Politik begegnet werden kann. In weiten Teilen kann das Dokument als eine Art politische Programmschrift der österreichischen Sozialpartner gelesen werden.
Gesellschaftliche Verantwortung
Als Kernelemente des ESM werden eine Verantwortung der Gesellschaft für die grundlegenden Politikziele wie faire Einkommensverteilung, hohes Beschäftigungsniveau, soziale Absicherung gegen die Risiken Krankheit, Invalidität, Arbeitslosigkeit, Alter, Unterstützung der Familien, Bildungschancen für alle, Absicherung gegen Armut genannt. In einer sich ständig weiterentwickelnden Wirtschaft und Gesellschaft erhebt das ESM den Anspruch, wirtschaftliche Dynamik mit sozialem Fortschritt zu verbinden.
Diese Feststellungen sind eine klare Absage an ein neoliberales Gesellschaftskonzept, das dem Staat als Träger einer solchen gesamtgesellschaftlichen Verantwortung, die er heute in der europäischen Realität zweifellos innehat, mit grundsätzlichem Misstrauen begegnet und seine Rolle wieder zurückdrängen möchte.
Für die ArbeitnehmerInnenseite ist hier vor allem die Akzeptanz der Absicherung der sozialen Risiken als Staatsaufgabe durch die Unternehmerseite wichtig. Gleichzeitig wird in dem Positionspapier auch den meist von UnternehmerInnenseite betonten Aspekten der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und der langfristigen Finanzierbarkeit der Sozialsysteme Rechnung getragen.
Wichtige Inhalte
Von den aus ArbeitnehmerInnensicht besonders wichtigen Inhalten des Positionspapiers sind beispielhaft die Folgenden zu nennen:
Beispiel für sozialen Dialog
Das Positionspapier kann als ein Beispiel für den sozialen Dialog gesehen werden, der in der Einleitung mit folgender Formel definiert wird: »Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern werden in institutionalisierter Form ausgetragen (Kollektivverträge, betriebliche Mitbestimmung); Sozialpartner werden von Regierung in politische Willensbildung einbezogen.«
Die Sozialpartner haben sich in den vergangenen zwei Jahren wieder häufig gemeinsam in die Gestaltung der Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik eingebracht, und diese Mitwirkung wurde von der Regierung als positiver Beitrag gesehen.
Es soll dabei aber nicht in Vergessenheit geraten, dass noch wenige Jahre zuvor die Sozialpartnerschaft als Bremsklotz betrachtet und eine andere Regierung bei Entscheidungen über so wichtige Materien wie Reform des Pensionssystems den Dialog mit den Sozialpartnern nicht ernsthaft gesucht hat.
»Reformmaßnahmen«
Von den Wissenschaftern kamen am ersten Tag die Ökonomen zu Wort. Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf zeigte am Beispiel der Finanzkrise auf, wie sehr im EU-Binnenmarkt bzw. in der Währungsunion ein einheitliches Vorgehen der Mitgliedsstaaten gefordert sei.
Das Vorpreschen Irlands mit einer 100-prozentigen Staatsgarantie für Bankeinlagen hat zum Abfluss von Spargeldern aus den anderen Mitgliedsstaaten, v. a. aus England, geführt und dort die Bankenkrise verschärft.
Die mangelnde Koordination durch den Rat der Wirtschafts- und Finanzminister (EcoFin)äußert sich in einem Steuersenkungswettbewerb für die Unternehmenssteuern, der zu einer relativen Mehrbelastung der Arbeit als Produktionsfaktor mit negativen Wirkungen auf die Beschäftigung und auf die Finanzierungsbasis des Sozialstaates führt.
Die Finanzkrise, so Horn, sei keine Bestätigung für die Richtigkeit der Geldpolitik der EZB - vielmehr hätte diese mit der am 8. Oktober verfügten Senkung der Leitzinsen indirekt zugeben müssen, dass die erst im Juni erfolgte Erhöhung falsch war. Rolf Kroker vom unternehmernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln wandte ein, dass zumindest bisher die Sozialquoten in der EU ziemlich konstant geblieben seien und demnach eine Erosion des Sozialstaats kaum erkennbar sei.
Die beste Sozialpolitik sei - so habe schon Ludwig Erhard festgestellt - eine gute Wirtschaftspolitik. Dagegen wandte Horn ein, dass eine gute Wirtschaftspolitik die Grundlage für den sozialen Fortschritt sei, dieser aber nur durch die gestaltende Kraft der Sozialgesetzgebung komme.
In der Diskussion zwischen ÖkonomInnen und PolitikwissenschafterInnen am zweiten Tag ging es um die immer noch geringe politische Bedeutung der EU-Wahlen. PolitikerInnen seien ihren WählerInnen primär auf der nationalstaatlichen Ebene verantwortlich und agieren dementsprechend (Sonja Puntscher-Riekmann, Univ. Salzburg).
Stabilisierender Faktor
Die Präsidenten der vier großen Sozialpartnerorganisationen stimmten darin überein, dass die Wirtschaftspolitik mit einem massiven Konjunkturpaket zur Stärkung von privatem Konsum und Investitionen reagieren muss. Bei einzelnen Maßnahmen zeigten sich dabei auch manche Auffassungsunterschiede zwischen ArbeitnehmerInnen- und ArbeitgeberInnenseite.
Gleichzeitig war die Veranstaltung als solche eine Demonstration der Bereitschaft zum konstruktiven Bemühen um gemeinsame Lösungen. Ronald Barazon, der als Moderator durch die Veranstaltung führte, wies abschließend auf die große Verantwortung der Sozialpartnerschaft als stabilisierender Faktor in einer nach dem Wahlergebnis von 28. September instabiler gewordenen politischen Situation hin.
1 Die hier erwähnten Dokumente sind auf der Website www.sozialpartner.at verfügbar
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Homepage der Sozialpartner mit ausführlichen Berichten aus Bad Ischl:
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»Reformmaßnahmen«
Beeindruckt von den »Erfolgen« dieses Systems, haben nahezu alle Länder der Welt »Reformen« durchgeführt, um den Finanzsektor von hemmenden Fesseln zu befreien bzw. seine Dynamik zu stimulieren. In den EU-Ländern erfolgten diese Reformen in der Rückführung bestimmter Staatsaufgaben in den privaten Bereich: Anstelle der staatlich organisierten Sozialversicherung wurde zwecks Vermehrung des Anlagen suchenden Kapitals private Vorsorge forciert; Staatsunternehmungen und staatlich erbrachte Leistungen wurden privatisiert, um das Angebot an Veranlagungsmöglichkeiten zu erhöhen. Den Entwicklungs-, Schwellen- und Transformationsländern wurde vor allem die Herstellung eines möglichst freien Kapitalverkehrs mit dem Ausland als grundlegende »Reform« empfohlen, um für das internationale Kapital attraktiv zu werden.
Treiber des US-Finanzmarktes waren die »Finanzinnovationen«: in den Achtzigerjahren die »junk bonds« (hoch riskante, mit hohen Ertragserwartungen lancierte Anleihen) zur Finanzierung von feindlichen Firmenübernahmen, in den Neunzigerjahren der massierte Einsatz von venture capital (Risikokapital) zur Finanzierung von Neugründungen im Bereich der new economy. Beim Zusammenbruch der new-economy-Blase 2001/02 war die nächste Vermögenspreishausse bereits im Aufbau begriffen: der Immobilienpreisboom, dessen dubiose Grundlagen inzwischen hinlänglich bekannt sind. Immer war bei diesen »Innovationen« massiver Betrug mit im Spiel - ein Zusammenhang, der kein bloß zufälliger gewesen sein kann. Ein Beispiel für den systematischen Anreiz zum Betrug ist der in den USA neu entwickelte Typ von »Pfandbriefen«. Die ursprünglich den Kredit gewährende Bank scheidet völlig aus dem Schuldverhältnis aus, sodass sich ihr Interesse auf das Kassieren möglichst hoher Abschlussprovisionen und Verkaufserlöse für die Zertifikate konzentriert - ideale Bedingungen also für die bewusste Täuschung der KäuferInnen dieser Wertpapiere.
Der gesetzlich erlaubte Bilanzbetrug wurde v. a. durch das sog. »fair value«-Prinzip ermöglicht, nach dem Vermögensgegenstände, für die es keine börsen- oder sonstigen marktmäßigen Notierungen gibt, nach Ertragserwartungen bewertet werden können, die nach Bedarf optimistisch waren. Damit erfüllten die Manager die Bedingungen für den Bezug ihrer millionenschweren Aktienoptionen.
Misstrauen ist angebracht
Unabhängig von der realen Produktion von Gütern und Dienstleistungen sollte Reichtum vermehrt werden. Diese Vorstellungen haben sich mit dem Finanzdebakel nun in Luft aufgelöst, die Finanzmarktideologie ist diskreditiert. Zwei schwere Krisen in kurzer Abfolge sollten genügend Anlass für ein Umdenken in der Wirtschaftspolitik sein, ihr Augenmerk wieder stärker der Realwirtschaft zuzuwenden, der gegenüber die Finanzmärkte eine untergeordnete Funktion haben sollten. Regulierungen des Bankensektors müssen wesentlich strenger werden, Misstrauen gegen sogenannte »Finanzinnovationen« ist angebracht. Eine wichtige Konsequenz aus der Krise ist, dass nicht private Vorsorge, sondern nur staatliche Systeme ein befriedigendes Maß der sozialen Sicherheit gewährleisten können. Europa sollte den Weg der Nachahmung der USA nicht weitergehen, sondern im Gegenteil dezidiert andere Wege beschreiten.
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Blick hinter die Kulissen
Dem gewaltigen Medienecho zufolge zählt Österreich unbestritten zu den Internationalisierungsgewinnern, doch wie sieht es in unseren Betrieben tatsächlich aus: Ob und wie profitieren die Beschäftigten von den hohen Unternehmensgewinnen? Wie schwierig ist es für einen Betriebsrat, in einem global vernetzten Großkonzern die Interessen seiner KollegInnen durchzusetzen?
Eine Studie der Arbeiterkammer blickt hinter die Kulissen der viel umjubelten Erfolgsgeschichte »Internationalisierung«: In einer Befragung berichten die BetriebsrätInnen der größten 300 Unternehmen im Land von den Auswirkungen der Internationalisierung auf die Beschäftigungsbedingungen und erzählen von ihren Erfahrungen mit Interessenpolitik in internationalisierten Unternehmen. Die Erhebung wurde von der FORBA durchgeführt und bezieht sich auf den Zeitraum von 2000 bis 2007).
Mehr Arbeitsdruck
Die befragten BetriebsrätInnen beurteilen die Beschäftigungsentwicklung in Österreich zwar bei einem Großteil der Unternehmen als stabil oder positiv, skeptisch stehen sie hingegen den spürbar veränderten Beschäftigungsbedingungen gegenüber. Die ArbeitnehmerInnenvertreter geben zu bedenken, dass ihre KollegInnen bei den Top-300-Unternehmen verstärkt unter zunehmendem Arbeitsdruck leiden, tendenziell mehr Überstunden leisten und mit erweiterten Mobilitätsanforderungen konfrontiert sind.
Die BetriebsrätInnen in internationalisierungsaktiven Unternehmen müssen darüber hinaus signifikant mehr Zugeständnisse bei Arbeitszeitregelungen und Löhnen/Gehältern machen, haben mit Personalabbau zu kämpfen und sorgen sich nicht zuletzt über den steigenden Konkurrenz- und Arbeitsdruck, dem die Belegschaft ausgesetzt ist.
Im Zusammenhang mit Internationalisierungsauswirkungen berichtet außerdem jeder fünfte befragte Betriebsrat von sogenannten »Rückverlagerungen«, d. h. eine Verlagerung ins Ausland ist derart missglückt, dass eine Wiedereingliederung der Betriebseinheit am Standort Österreich erfolgen musste. Bei unverdauten Internationalisierungsprozessen und damit einhergehenden Restrukturierungen beobachten BetriebsrätInnen zudem häufig, dass die Belegschaft mit der Einführung von neuen Techniken genauso zu kämpfen hat wie mit Änderungen bei der Organisationsstruktur, der Einführung neuer Arbeitszeitformen, mehr Wochenend- oder Feiertagsarbeit und der oftmals harten Konkurrenz zwischen konzerninternen Standorten.
Beschäftigte profitieren
Fest steht, dass sich die Internationalisierungsoffensive jedenfalls für die wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen gelohnt hat: Knapp zwei Drittel der Unternehmen jubelten in den vergangenen fünf Jahren über höhere Gewinne, über ein Drittel erzielte zuletzt sogar Rekordumsatzrenditen von über zehn Prozent. Die Beschäftigten können von Einkommenssteigerungen in diesem Ausmaß nur träumen. Der BetriebsrätInnen-Befragung zufolge profitiert nur jeder/jede achte MitarbeiterIn von den Internationalisierungsgewinnen in Form von überproportional mehr Lohn oder Gehalt. Der Löwenanteil der Gewinne dürfte in Form von Dividenden an die Eigentümer fließen.
Betriebsrat unter Druck
Die große Mehrheit der BetriebsrätInnen stellt fest, dass sich die Internationalisierungstendenzen gravierend auf die Durchsetzbarkeit von Interessen der Beschäftigten auswirken. Für zwei Drittel der Befragten ist das derzeitige Instrumentarium des Betriebsrats nicht ausreichend, um auf die veränderten Prozesse, besonders im Hinblick auf die Vernetzung zwischen den internationalen Standorten, zu reagieren.
Ebenso kritisiert wird die hohe Geschwindigkeit, mit der Unternehmen weit reichende Entscheidungen wie z.B. Umstrukturierungen fällen, ohne dem Betriebsrat Raum und Zeit zur Mit-arbeit an Lösungen zu geben. Häufig ist es auch so, dass wesentliche Beschlüsse ohnehin außerhalb des Betriebs (in einer Konzernzentrale im Ausland) gefasst werden. Bereits jeder zweite befragte Betriebsrat fühlt sich durch die Androhung von Verlagerungen unter Druck gesetzt.
Erfahrungen mit oftmals subtilen und schwer nachzuweisenden Drohungen vonseiten der UnternehmerInnen haben vor allem jene BetriebsrätInnen, die bereits mit Verlagerungen an ausländische Standorte konfrontiert waren oder knapp davor gestanden sind.
Mehr als ein Drittel der Befragten gesteht ein, angesichts der Reichweite von Internationalisierungsprozessen und der ihrer Meinung nach begrenzten Mitbestimmungsrechte überfordert zu sein.
Resignation und das Gefühl »wir sitzen sowieso am kürzeren Ast« trägt zur Überforderung bei. Abhängig dürfte eine erfolgreiche Mitbestimmung von den Unternehmensmerkmalen sein: In börsennotierten Unternehmen (trotz Aufsichtsrat) und bei Tochtergesellschaften internationaler Konzerne gestaltet sich Interessenvertretung schwieriger, wo hingegen Betriebsratsarbeit in Unternehmen mit Konzernzentralen in Österreich als wirkungsvoller eingeschätzt wird.
Internationale Kooperation
Bei vielen aktuellen Fragen der Interessenvertretung würde eine verstärkte internationale Kooperation Abhilfe schaffen, meinen die befragten BetriebsrätInnen. Deshalb fordern sie eine Verbesserung der Zusammenarbeit der ArbeitnehmerInnenvertretungen auf internationaler Ebene sowie Neuerungen bei der Gesetzeslage vor allem auf europäischer Ebene.
Derzeit haben nur 38 der befragten Unternehmen mit Betriebsstandorten im Ausland eine gemeinsame, internationale Konzernbelegschaftsvertretung (in der Regel einen Eurobetriebsrat). Diese finden sich wiederum großteils in börsennotierten Unternehmen, während Unternehmen ohne Börsennotierung und österreichische Konzerne durchwegs Aufholbedarf haben, wenn es um die Installierung internationaler Vertretungsorgane geht.
Gut vernetzt
Ist allerdings eine Eurobetriebsrätin oder ein Eurobetriebsrat im Amt, wird die reibungslose, länderübergreifende Zusammenarbeit gelobt. In Zukunft erwarten BetriebsrätInnen einen weiteren Ausbau sowie eine Intensivierung der internationalen Kooperation, denn nur eine möglichst gut vernetzte, grenzüberschreitende ArbeitnehmerInnenvertretung kann auf längere Frist global agierende Großkonzerne in die Schranken weisen.
INFO&NEWS
Die Studie der Arbeiterkammer Wien »Was haben die ArbeitnehmerInnen davon? Auswirkungen der Internationalisierung auf Beschäftigungsbedingungen bei Top-300-Unternehmen in Österreich« wurde von der FORBA (Hubert Eichmann, Jörg Flecker, unter Mitarbeit von Alfons Bauernfeind) durchgeführt.
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Eine Kurzfassung finden Sie auf:
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Hilflos gegen Neoliberalismus
In der Tat sind Gewerkschaften in der ecuadorianischen Bevölkerung nicht sehr populär. Neben der erwähnten Probleme hat eine reale Hilflosigkeit der Gewerkschaften angesichts des seit den achtziger Jahren dominanten neoliberalen Modells dazu beitragen. Das oft sinnentleerte Schlagwort vom Neoliberalismus wird in der Beschreibung der Arbeitswelt des Andenstaates hautnah.
»Seit den achtziger Jahren gab es bei uns aufgrund des Drucks des Internationalen Währungsfonds mehrere Arbeitsreformen. Die Mehrheit der Beschäftigten war bald mit Teilzeit- oder Stundenverträgen ausgestattet«, erläutert Arciniega. »Schlimmer noch war die Einführung eines umfassenden Systems von Subunternehmen, formal hatte die Mehrheit der Beschäftigten bald keine direkten Arbeitsbeziehungen mehr zu dem Betrieb, in dem sie arbeiteten.« Legendär ist das Netz von 300 »Terceriziadoras« bei dem größten Bananenunternehmer und rechtspopulistischem Politiker Alvaro Noboa. Unabhängige Nachforschungen ergaben, dass die Hälfte dieser Subunternehmen offiziell nicht registriert waren, eine staatliche Kontrolle dieser Betriebe gab es nicht. Für die Mehrheit der abhängig Beschäftigten bedeutet dies Arbeit ohne Sozialversicherung und ohne jede Arbeitsplatzsicherheit. Wer mochte sich unter diesen Bedingungen einer Gewerkschaft anschließen, die von den Unternehmern militant abgelehnt werden? »Eine Mitgliedschaft in der Gewerkschaft bedeutet oft automatisch die Kündigung, und die Unternehmen führen schwarze Listen über organisierte KollegInnen«, beschreibt Marcelo Arcos seine Erfahrungen. Er versucht, für die Landarbeitergewerkschaft FENACLE in den Hochtälern rund um die Hauptstadt Quito Arbeiterinnen und Arbeiter aus den Blumenplantagen zu organisieren.
Griff in die Trickkiste
Wo diese Drohungen nicht ausreichen, half bislang ein Griff in die juristische Trick-kiste des Neoliberalismus. Gewerkschaften können in Ecuador legal erst ab 30 Beschäftigten in einem Betrieb gegründet werden. Und da sind dann die Subunternehmen vor, die jeweils mehrere Gruppen von bis zu 29 Personen für einen Betrieb zur Verfügung stellen, damit es Gewerkschaften nicht geben kann.
Die Resultate dieser Politik sind fatal. Nach offiziellen Zahlen ist die Mehrzahl der ecuadorianischen Arbeitsbevölkerung heute in den offiziellen Sektor abgedrängt, als ambulante HändlerInnen, GelegenheitsarbeiterInnen oder Scheinselbstständige. Weniger als ein Fünftel ist noch in das Sozialversicherungssystem integriert, ein Arbeitsunfall oder Krankheit kann so den Absturz in absolutes Elend bedeuten. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten vertieft. Während sich insbesondere seit der offiziellen Einführung des US-Dollar im Jahr 2000 die ecuadorianischen Oberschichten eines ungebremsten Konsums erfreuen, reichen die offiziellen Mindestlöhne der arbeitenden Bevölkerung in Höhe von 200 Dollar im Monat für ein Leben oberhalb der knapp bemessenen Armutsgrenze nicht aus.
Die Unzufriedenheit mit der Zerstörung jedweder sozialer Sicherheit hat dazu beigetragen, dass sich Ecuador in die lateinamerikanischen Staaten mit »linken« Regierungen eingereiht hat. Ende 2006 stand der fortschrittliche Ökonom Rafael Correa dem bereits erwähnten Bananenkönig Alvaro Noboa bei den Präsidentschaftswahlen gegenüber. Die meisten ecuadorianischen Gewerkschaften nahmen ebenso deutlich Stellung wie die Mehrheit der Bevölkerung - gegen das neoliberale System, für einen Neuanfang unter Correa. Dessen heterogene »Bürgerbewegung« Alianza País dominiert seitdem die Politik des Andenstaates.
Guillermo Touma ist der langjährige Vorsitzende der Landarbeitergewerkschaft FENACLE und kennt die arbeitnehmerfeindliche Politik von Noboa aus direkter Erfahrung. Er führte seine Gewerkschaft in eine direkte Unterstützung für Correa und akzeptierte eine Kandidatur zur neuen verfassungsgebenden Versammlung, die neue Strukturen einer gerechteren Gesellschaft schaffen sollte, um »die lange Nacht des Neoliberalismus zu überwinden«, wie es Correa ausdrückte. »Es war eine sehr bereichernde Erfahrung, als Vertreter der Arbeiter in der verfassungsgebenden Versammlung mitzuwirken«, resümiert Guillermo Touma seine Erfahrungen: »Wir haben die Arbeits- und Gewerkschaftsrechte in der neuen Verfassung deutlich stärken und wichtige Akzente für die Armen setzen können, beispielsweise den freien Zugang zur medizinischen Versorgung und ein allgemeines Sozialversicherungssystem.«
Der größte Erfolg Toumas dürfte die Abschaffung des Subunternehmertums sein. Zunächst ging ein Schrei der Empörung durch die rechte Opposition und Presse, die Unternehmer drohten mit dem Abbau von Arbeitsplätzen. Doch die Realität in den vergangenen Monaten scheint eine andere: Die Zuckerrohrplantagen von San Carlos vergaben an 5.000 Arbeiter ebenso Direktverträge wie die internationale Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken in ihren ecuadorianischen Niederlassungen und die öffentlichen Betriebe.
Gewerkschaftsgründungen
Touma verweist auf erste neue Gewerkschaftsgründungen im Plantagensektor sowohl bei dem bekannten Bananen-Multi Dole als auch bei den bislang schwer zu organisierenden »russischen« Betrieben, die an der Pazifikküste bereits mehr als 7.000 Hektar Bananenplantagen aufgekauft haben. »Dies war nur möglich, weil die KollegInnen nun zum einen Direktverträge mit der Plantage haben, zum anderen aber auch, weil es eine politische Entscheidung des Arbeitsministers gibt, die Durchsetzung der Arbeitsgesetze im Interesse der Beschäftigten zu überwachen.«
Ende September wurde in Ecuador in einer Volksabstimmung über die Annahme der neuen Verfassung entschieden. Fast 64 Prozent der Stimmberechtigten haben die 444 vorgeschlagenen Artikel angenommen. Verbesserte Arbeitsverhältnisse, die Abschaffung der verhassten Subunternehmer, um fast 30 Prozent erhöhte Mindestlöhne, soziale Gerechtigkeit, kulturelle Vielfalt, Gleichberechtigung, Umweltschutz, Stärkung der Stellung des Präsidenten und zugleich mehr Bürgerbeteiligung, Schutz der nationalen Souveränität, kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung, transparente und effiziente Verwaltung und sogar das Recht auf "Sumak Kawsay", was auf Quechua in etwa "gutes Leben" bedeutet, sind in dem Grundgesetz als Staatsziele verbürgt.
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Onlinelexikon Wikipedia über Ecuador
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Drei Verbände
In Dänemark gibt es drei Gewerkschaftsdachverbände, zu denen zahlreichen Einzelgewerkschaften gehören, die sich die Mitglieder untereinander aufteilen. Insgesamt sind 75 Prozent der dänischen ArbeitnehmerInnen Mitglied einer Gewerkschaft. Der Dachverband LO (Landsorganisationen i Danmark) hat 1,3 Millionen Mitglieder. Die beiden größten Einzelgewerkschaften unter seinem Dach sind die HK Danmark, die unter anderem Privat- und Handelsangestellte organisiert, und die Arbeitergewerkschaft 3F. Insgesamt bilden die ArbeiterInnen die größte Gruppe innerhalb der LO.
Die FTF, der Zentralverband der Angestellten und Beamten, organisiert 450.000 Angestellte im privaten und öffentlichen Bereich und ist damit der zweitgrößte der drei Gewerkschaftsdachverbände Dänemarks. Er vereinigt Berufsgruppen wie LehrerInnen, Krankenschwestern, Bankangestellte oder PolizistInnen. Drei von vier FTF-Mitgliedern arbeiten im öffentlichen Dienst. Die AC (Akademikernes Centralorganisation) ist eine Organisation der AkademikerInnen und stellt den kleinsten der drei Dachverbände dar.
Der Mitgliedsbeitrag in Dänemark wird nicht wie in Österreich als Prozentsatz des Einkommens berechnet, sondern ist, wie zum Beispiel auch in Nordamerika, ein fixer monatlicher Beitrag, der noch dazu von Sektor zu Sektor variiert. Er kann bis zu zwei Prozent eines Durchschnittslohnes betragen. Nur Jugendliche und Teilzeitbeschäftigte bezahlen einen reduzierten Satz, für alle anderen gilt eine flat rate. Ein großer Teil des Mitgliedsbeitrages fließt in die Arbeitslosenversicherung.
Arbeitslosenversicherung
Die Versicherung gegen Arbeitslosigkeit ist in Dänemark freiwillig. ArbeitnehmerInnen, die Mitglied einer Gewerkschaft werden, schließen damit automatisch eine Arbeitslosenversicherung ab. Wer nicht Mitglied einer Gewerkschaft ist, kann seit längerem eine Versicherung auch auf dem freien Markt kaufen. Vielen erscheint jedoch das »Kombipaket« mit der Gewerkschaftsmitgliedschaft immer noch attraktiver.
Flexicurity-Konzept
Im Rahmen des Konzeptes der »Flexicurity«, das Flexibilität am Arbeitsmarkt mit einem hohen Niveau an Sozialleistungen verknüpft, bieten die Arbeitslosenversicherungen nach einer einjährigen Mitgliedschaft eine Ersatzrate bis zu 90 Prozent des Bruttolohnes (für GeringverdienerInnen mit Kind). Die Ersatzrate sinkt, je höher das Einkommen ist. Ein/e alleinstehende/r DurchschnittsverdienerIn bekommt allerdings immer noch eine deutlich höhere Ersatzrate als sie ein/e ÖsterreicherIn unter gleichen Umständen bekommen würde.
Den Betroffenen steht eine Vielzahl von privaten und öffentlichen Fortbildungs- und Umschulungsangeboten offen, die nach einer Arbeitslosigkeit von über einem Jahr verpflichtend werden. Auch müssen Stellen angenommen werden, die deutlich weniger Geld bringen als der letzte Job und mit langen Arbeitswegen verbunden sind. Die Sanktionen sind hart: Das Arbeitslosengeld kann auf einen Schlag für eine Dauer von fünf Wochen gestrichen werden. Dafür bietet der dänische Staat die meisten Stellenangebote in Europa, mit vergleichsweise hohem Lohnniveau und niedriger Arbeitslosigkeit. Auch ältere ArbeitnehmerInnen werden in gleicher Weise gefördert und können aus einer Vielzahl an Weiterbildungsangeboten wählen.
Kollektivverträge
Nicht nur bei der Arbeitslosenversicherung, sondern auch bei den Kollektivvertragsverhandlungen kommt den Gewerkschaften in Dänemark eine noch wesentlichere Rolle zu als in den meisten anderen europäischen Ländern. Schließlich wird der Arbeitsmarkt fast nirgendwo so wenig gesetzlich geregelt wie hier im Norden. So zählt Dänemark neben Zypern, Irland, Italien und Großbritannien zu den fünf europäischen Staaten ohne maximale tägliche Arbeitszeiten. Ohne die EU-Arbeitszeit-Richtlinie könnte in Dänemark die Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden noch deutlich überschritten werden. Hier kommt den Kollektivverträgen eine entscheidende Bedeutung zu.
Nach Abschluss der Kollektivvertragsverhandlungen muss sowohl die ArbeitnehmerInnen- als auch die ArbeitgeberInnenseite die Ergebnisse zur Abstimmung vorlegen. Lehnt eine Seite ab, ist der Kollektivvertrag gescheitert und es können Kampfmaßnahmen folgen.
Kündigungsfristen
Dass es in Dänemark generell keine Kündigungsfristen geben soll, kann übrigens getrost ins Reich der Legenden verwiesen werden. Das Problem bilden vielmehr die großen Unterschiede zwischen ArbeiterInnen und Angestellten. Die Kündigungsfristen für Erstere sind gesetzlich nicht abgesichert und müssen verhandelt werden. Das geschieht mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen, die aber den ArbeitgeberInnen in der Regel, durchaus im Sinne des Flexicurity-Konzeptes, ein rasches Kündigen von MitarbeiterInnen ermöglichen.
Anders verhält es sich bei den Angestellten, bei denen die Jobrotation auch niedriger ist als bei den ArbeiterInnen. Für die Angestellten ist die Kündigungsfrist durch das Angestelltengesetz geregelt und nach dem Dienstalter im Betrieb gestaffelt. Sie beträgt zwischen drei und sechs Monate und ist somit sogar länger als hierzulande.
Mitgliederschwund à la Dänemark
Trotz allem gehen auch in Dänemark die Mitgliederzahlen insgesamt zurück. Wenig zu klagen haben zwar die Angestelltengewerkschaft FTF und die Akademikergewerkschaft AC, weisen sie doch beide jährliche Zuwachsraten auf. Die ArbeiterInnengewerkschaft LO muss dagegen mit Verlusten von etwa 20.000 Mitliedern pro Jahr fertig werden.
Die Ursachen erinnern durchaus an die Probleme in anderen Ländern: Abnahme von traditionellen Beschäftigungsverhältnissen und Schwierigkeiten, Konzepte zu finden, um junge Beschäftigte an die Gewerkschaftsbewegung zu binden. Außerdem wurde auch das sogenannte Closed-Shop-Prinzip entsorgt. Dabei mussten bei bestimmten gewerkschaftlich organisierten Betrieben alle ArbeitnehmerInnen Mitglied einer Gewerkschaft sein. Ein weiteres Problem stellt auch das vermehrte Auftauchen von »gelben« Gewerkschaften dar, die sehr arbeitgeberfreundlich agieren und bei denen der Mitgliedsbeitrag nur 20 Prozent von jenem der traditionellen Gewerkschaften beträgt.
Herausforderungen
Um sich den neuen Herausforderungen und Realitäten zu stellen, wurde auch in Dänemark ein Fusionierungsprozess initiiert. So soll die hohe Anzahl der Einzelgewerkschaften mit zum Teil nur wenigen Tausend Mitgliedern gesenkt werden. 2007 beschlossen zum Beispiel die Dachverbände der Gewerkschaften für Bundesbedienstete und Gemeindebedienstete ihre Zusammenlegung.
Als weitere Maßnahme wurden 2007 auf Initiative der Metaller-Gewerkschaft erstmals Übereinkommen mit bestimmten ArbeitgeberInnen getroffen, die sich bereit erklärten, für ihre Beschäftigten die Gewerkschaftsmitgliedsbeiträge vollständig zu bezahlen.
Von der Gewerkschaftsbasis wird darüber hinaus mehr Aktionismus gefordert. Die bis jetzt letzten landesweiten Großdemonstrationen liegen immerhin schon zehn Jahre zurück. Damals erkämpften sich die dänischen Gewerkschaften übrigens nicht weniger als eine sechste Urlaubswoche.
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Gewerkschaft 3F/Deutsche Information zu Arbeit in Dänemark
forsiden.3f.dk/apps/pbcs.dll/artikkel?Dato=20070425&Kategori=TYSK&Lopenr=70425013&Ref=AR&profile=2644
Dachverband Landsorganisationen i Danmark
www.lo.dk
Gewerkschaft HR
www.hr4europe.com/europe.php?cpl=dk12de
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Bewusstsein schaffen
»Dass Überwachungen in Betriebsvereinbarungen geregelt werden müssen, und dass es bei uns ein relativ strenges Datenschutzgesetz gibt sind alles Umstände, die die Betriebsräte dem Management in solchen Betrieben erst einmal klar machen müssen. Wobei auffällt: Die US-amerikanischen Konzerne agieren mit ihren internen CSR-Richtlinien sehr oft so ›salopp‹, dass es nicht sofort zu den nötigen rechtlichen Anpassungen kommt. Die meisten japanischen Unternehmen weisen hingegen sehr dezidiert darauf hin, dass alle nationalen Rechtsbestimmungen implementiert werden müssen, bevor der Verhaltenscodex in Kraft tritt« so Eva Angerler von der GPA-djp. In manchen Bereichen und bei manchen Akteuren musste erst ein Bewusstsein für die Ansprüche der Arbeitnehmervertretung geschaffen werden.
Andere Länder ...
Doch nicht nur in unterschiedlichen Unternehmen gibt es unterschiedliche Sitten, große Unterschiede finden sich auch, beim Umgang mit CSR in verschiedenen europäischen Ländern. Während Deutschland, sonst eher Vorreiter, wenn es um Umweltstandards und Arbeitsrechte geht, keine nationale Strategie zum Thema erarbeitet hat, gibt es in Großbritannien einen CSR-Minister und eine eigene CSR-Internetsite der Regierung. Die Queen zeichnet Unternehmen unter anderem in der Kategorie Nachhaltigkeit aus. Jährlich müssen die Unternehmen Nachhaltigkeitsberichte legen. Das öffentliche Beschaffungswesen gehört zu einem der nachhaltigsten in ganz Europa, und die Ethical Trading Initiative (ETI) trägt zur Verbesserung der Arbeitsstandards in der Textilbranche weltweit bei.
Die französische Regierung reguliert CSR. Die Unternehmen reagieren allerdings mit Zurückhaltung. Allerdings sind auch französische börsennotierte Unternehmen verpflichtet, Umwelt- und Sozialberichte vorzulegen.
Die Niederlande haben nach einer groß angelegten Offensive in Sachen CSR aufgeholt. Das Wirtschaftsministerium erstellt jährlich ein Ranking der Sozialberichte der größten Unternehmen. Die Green Investment Directice befreit nachhaltige Finanzanlagen von der Steuer.
Österreich, wo Wirtschaftsministerium und Landwirtschaftsministerium CSR auf ihre Fahnen geheftet haben, ist in bestimmten Bereichen gut unterwegs: Die Internationale Norm ISO 26000 »Guidance on Social Responsibility« (deutsch: Leitfaden zur gesellschaftlichen Verantwortung) soll 2010 abgeschlossen und veröffentlicht werden. Sie wird von einer Arbeitsgruppe im österreichischen Normungsinstitut erarbeitet.
Schöne Worte?
Für viele BetriebsrätInnen stellt sich CSR zuerst einmal als »schöne Worte auf der Homepage« dar, und es braucht viel persönliches Engagement und auch Verhandlungsgeschick, um die angeblich so CSR-bewegten Unternehmen dazu zu bringen, soziale Verantwortung auch im eigenen Unternehmen mit Leben zu erfüllen. Doch CSR kann, zumindest theoretisch, eine ganze Menge mehr. Eva Angerler: »Wirtschaftliche, soziale und Umweltziele und die diesbezüglichen Zielkonflikte auszubalancieren wäre eine Revolution.« Wenn die Stakeholder in den Prozess miteinbezogen werden ist das eine gute Sache, allerdings nur dann, wenn die Programme durch Überprüfbarkeit und im Idealfall auch Vergleichbarkeit glaubwürdig sind.
Auf Initiative des Betriebsrats
Gute Ansätze sieht Eva Angerler dort, wo die CSR-Richtlinien nicht von der Chefetage aus, sondern in einem partizipativen Prozess erstellt werden und dadurch von Beginn weg fest im Unternehmen verwurzelt sind. Wie zum Beispiel beim Gesundheitsprogramm der Voest, einem Projekt, das auf Initiative des Betriebsrates ins Leben gerufen wurde, erstklassig funktioniert und die Verhältnisse im Betrieb nachhaltig verbessern half.
Ingrid Stipanovsky, Konzernbetriebsratsvorsitzende von Novartis Österreich, hat bereits seit dem Jahr 2000 Erfahrungen: »Es gibt internationale Projekte wie die Malariaprophylaxe und die Behandlung von Tuberkulose in Indien. Die dienen der Imagepflege.« Dann gibt es aber auch in der Novartis Vertriebsorganisation zum ersten Mal zwei Lehrstellen für Bürokaufleute. »Das ist eine sinnvolle Initiative, nachhaltig und volkswirtschaftlich sinnvoll«, so Stipanovsky - und sie kam nur durch die Hartnäckigkeit des Betriebsrates zustande: »Da haben wir das Unternehmen in die Pflicht genommen und auf die eigenen CSR-Richtlinien verwiesen. Wäre die Abteilung Forschung nicht geschlossen worden, hätten wir heute auch einen Betriebskindergarten.« Allerdings werden diese Maßstäbe nicht immer angelegt. So erfuhr die Belegschaft von den geplanten Schließungen und dem damit verbundenen Stellenabbau erst acht Tage vor der Öffentlichkeit. Die »frühzeitigen Konsultationen«, die in den CSR-Papieren von Novartis versprochen werden, stellte sich Stipanovsky jedenfalls ein wenig anders vor.
Auch sie ist für messbare Kriterien für CSR-Maßnahmen: »Ich fordere ein standardisiertes Monitoring, sodass ich die Auswirkungen von Maßnahmen beurteilen kann. Jeder stellt sich klarerweise so positiv und nachhaltig wie möglich dar, auch die Rahmenbedingungen unter denen CSR-Maßnahmen implementiert werden, sind selbst gewählt - und sollten messbar und vergleichbar sein. Das wäre auch für die KonsumentInnen wichtig bei ihrer Entscheidung.« Der Indikatoren-Katalog für CSR-Maßnahmen wird derzeit, so Eva Angerler, getestet: »Die Stakeholder haben diese Kriterien gemeinsam nach der UNO-Berichtsstruktur, Global Reporting Initiative, erarbeitet.« Geplant ist, Erfolge mittels Punktesystem sichtbar zu machen.
Forderungen
Die öffentliche Hand könnte eine Menge tun, damit CSR in Hinkunft nicht nur ein »grünes« Mäntelchen ist, sondern maßgeblich dazu beiträgt, wirtschaftliche, ökologische und soziale Interessen besser auszubalancieren: Wer z. B. in der Beschaffungspolitik statt Billigstbieterprinzip Anreize für ökologisch sinnvolle und sozial verträgliche Investitionen schafft, hat schon eine Menge erreicht. Unternehmen, die weltweit agieren, sollten sich - wenn sie sich CSR auf ihre Fahnen heften - verpflichten, in Entwicklungs- und Schwellenländern mehr als die nationalen Standards für ArbeitnehmerInnenrechte und Umweltschutz zu erreichen. Internationale Standards, z. B. die der ILO, bei denen es um Menschen- oder Kernarbeitsrechte geht, müssen zwingend eingehalten werden und die Unternehmen sollten verpflichtend darüber berichten. Im Fall von notwendigen »Umstrukturierungen« sollte das Management eines Betriebes im Sinne der Nachhaltigkeit im CSR-Programm Lösungen finden, die nicht notgedrungen mit Stellenabbau enden. Maßnahmen, die im Rahmen der CSR-Strategien gesetzt werden, sollten keine kurzfristigen PR-Gags sein, sondern tatsächlich nachhaltig positive Veränderungen bewirken.
Ein Vergleich der gesetzten Maßnahmen würde in diesem Bereich schnell Spreu vom Weizen trennen. Daher wünschen sich ArbeitnehmervertreterInnen und KonsumentenvertreterInnen ebenso wie die NGOs von der Wirtschaft Transparenz, Vergleichbarkeit und verpflichtende Mindeststandards für CSR. Damit CSR nicht nur schöne Worte auf teuren Homepages sind, sondern wirklich etwas mit Verantwortung zu tun hat.
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Union Busting ist Norm
80 Prozent der Unternehmen in den USA engagieren BeraterInnen, deren einzige Aufgabe es ist zu verhindern, dass sich die Beschäftigten gewerkschaftlich engagieren. Von ihren Führungskräften verlangen diese Unternehmen, regelmäßig mit den Beschäftigten Gespräche zu führen, in denen sie auf die Nachteile einer Gewerkschaftsmitgliedschaft hinweisen. In beinahe allen Unternehmen der USA werden gewerkschaftskritische Informationsblätter verteilt. Ein Drittel der Unternehmen entlassen MitarbeiterInnen, die Gewerkschaften unterstützen. Immerhin die Hälfte der Unternehmen drohen den Betrieb zu schließen, sollten sich die MitarbeiterInnen gewerkschaftlich engagieren. Gesetzlich verboten sind nach derzeitiger Gesetzeslage nur die letzten beiden Vorgehensweisen. Strafen, die dafür manchmal verhängt werden, nehmen die Unternehmen bewusst in Kauf.
Arbeitsrecht mit Lücken
Die gewerkschaftliche Organisierung eines Unternehmens beginnt in den USA in der Regel mit einer Unterschriftensammlung. Wenn mehr als 30 Prozent der ArbeitnehmerInnen eines Betriebs diese Petition unterzeichnet haben, kann eine geheime Wahl durchgeführt werden, in der über die Gewerkschaft abgestimmt wird. Unterzeichnen mehr als die Hälfte der Beschäftigten die Petition, kann diese Wahl auch entfallen. Nach derzeitigem Recht kann die Unternehmensführung jedoch auf der Abstimmung bestehen. Erst wenn mehr als 50 Prozent der Beschäftigten in der geheimen Wahl für die Gewerkschaft gestimmt haben, ist der/die ArbeitgeberIn gezwungen mit der Gewerkschaft zu verhandeln. Da die Gewerkschaft davor keinen Zugang zum Betrieb hat, verfügen die Unternehmen über ein Informationsmonopol gegenüber den MitarbeiterInnen, das sie in der Regel auch skrupellos nutzen, um die Beschäftigten einzuschüchtern. Und die Einschüchterung zeigt Wirkung: Der Organisationsgrad in der Privatwirtschaft liegt bei etwa acht Prozent und die einst mächtigen US-Gewerkschaften stehen Konzernen wie Wal-Mart beinahe ohnmächtig gegenüber.
Das neue von Wal-Mart so bekämpfte Gesetz soll nun keinesfalls alles verändern oder gar eine verpflichtende betriebliche Mitbestimmung wie in Österreich einführen. Dennoch könnte das neue Gesetz die gewerkschaftliche Arbeit wesentlich erleichtern. Wenn eine Gewerkschaft nachweisen kann, dass sie mehr als 50 Prozent der ArbeitnehmerInnen eines Betriebes organisiert hat, müsste der/die ArbeitgeberIn in Zukunft die Gewerkschaft auch ohne Wahl als Verhandlungspartner akzeptieren. Für den Fall, dass sich in Gehaltsverhandlungen Unternehmen und Gewerkschaft nicht einigen können, sieht der Gesetzesentwurf ein Mediationsverfahren vor. Außerdem sollen die Strafen verschärft werden, wenn ArbeitgeberInnen Beschäftigte diskriminieren, die bei einer gewerkschaftlichen Kampagne mitarbeiten.
Gewerkschaftsarbeit in den USA
Aggressive Methoden der Unternehmen verlangen energisches Handeln der Gewerkschaften. Der amerikanische Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO betreibt daher seit Mitte der 80er-Jahre ein Organizing-Institut. Unter dem Eindruck der sinkenden Mitgliederzahlen beschäftigten mittlerweile die meisten amerikanischen Gewerkschaften hauptamtliche OrganizerInnen, die in die Unternehmen geschickt werden, um dort Mitglieder zu werben: Profi-Lobbyisten gegen die Union-Buster, die professionelle GewerkschaftsbekämpferInnen sind. Keine leichte Aufgabe auch für Profis, denn die ständigen Negativ-Kampagnen der Unternehmen bleiben nicht ohne Wirkung. Die amerikanischen Gewerkschaften leiden unter schlechtem Image, und viele Beschäftigte sind durch die permanenten Drohungen ihrer ArbeitgeberInnen entmutigt. Obwohl gerade der Riese Wal-Mart immer wieder Ziel gewerkschaftlicher Kampagnen ist, gelingt es den Gewerkschaften nicht, im Unternehmen nachhaltig Fuß zu fassen.
Es gibt auch Erfolge
Dennoch gibt es auch Erfolge zu verzeichnen. Der amerikanischen Dienstleistungsgewerkschaft SEIU gelang es in den vergangenen Jahren ihre Mitgliederzahlen jährlich um fast 50.000 Mitglieder zu erhöhen. Ein Teil des Mitgliederzuwachses kam durch Fusionen mit anderen Gewerkschaften zustande. Die meisten Mitglieder konnten jedoch durch gezieltes Organizing im Gesundheitsbereich, bei Reinigungsunternehmen und im Sicherheitsbereich gewonnen werden. Erfolgreich im Organizing waren in den vergangenen Jahren auch die Lehrergewerkschaft, die Kommunikationsgewerkschaft, die Elektrogewerkschaft, die Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst und die Textilgewerkschaft.
Tom Woodruff von der Gewerkschaft SEIU schreibt über seine Erfahrungen mit Organizing, eine der zentralen Herausforderungen sei es, die eigene Organisation von der Wichtigkeit zu überzeugen. 50 Prozent aller Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen investiere die SEIU in ihre Organizing-Kampagne. Um diesen enormen Ressourcenaufwand zu ermöglichen, wurde die SEIU komplett reformiert - ein durchaus auch schmerzhafter Prozess. »Man kann nicht Teilzeit oder ohne Geld organisieren«, sagt Woodruff dazu. Die SEIU habe daher neues Personal eingestellt und ausgebildet. Hohe Anforderungen stelle die Ausbildung zu OrganizerInnen, viele schließen sie daher gar nicht erst ab. Wer die Ausbildung jedoch erfolgreich abschließt, könne mit einer fixen Anstellung bei der Gewerkschaft rechnen. Die Mitgliederwerbekampagnen der amerikanischen Gewerkschaften kommen trotz der professionellen OrganizerInnen ohne die Unterstützung von Gewerkschaftsmitgliedern nicht aus. Eine zentrale Aufgabe der OrganizerInnen, so Woodruff, sei es daher, Mitglieder einzubinden und zum Mitmachen zu motivieren. Auch wissenschaftliche Begleitung ist für die meisten Organizing-Kampagnen unverzichtbar. Untersucht wird die gewerkschaftliche Organisation einzelner Branchen genauso wie die Strategien der ArbeitgeberInnen.
Und der Erfolg gibt ihnen Recht. Auch wenn die alte Stärke aus der Zeit vor der Reagan-Ära wohl nicht zurückkommen wird. Die amerikanischen Gewerkschaften geben deutliche Lebenszeichen von sich und lassen sich nicht unterkriegen. Sollte der Employee Free Choice Act nun tatsächlich umgesetzt werden, würde das nicht nur Unternehmen wie Wal-Mart ärgern, sondern könnte auch den amerikanischen ArbeitnehmerInnen weiteren Aufwind geben.
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Service Employees International Union
www.seiu.us
LabourNet Germany
www.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/walmart-gew.html
Artikel über SEIU in »Die Welt«
www.welt.de/wirtschaft/article1229251/Wie_eine_Gewerkschaft_eine_Million_neue_Mitglieder_gewinnen_kann.html
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Auf Augenhöhe
Nach einer intensiven Projektentwicklungs- und -vorbereitungsphase, die u. a. einen Kick-off-Workshop und ein Kommunikationstraining umfasste, fand die Aktion selbst in drei Teilen statt. Über drei Wochen im April und Mai 2007 wurden Handelsbetriebe der Mariahilferstraße erstmals, an drei Tagen im Oktober ein weiteres Mal besucht. Den vorläufigen Abschluss fand »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« mit drei Aktionstagen im neu eröffneten Stadion Center im Zweiten Wiener Gemeindebezirk im November. Gemischte Zweierteams - nach Möglichkeit zusammengestellt nach den Kriterien männlich/weiblich, AK/GPA-djp, jung/erfahren - führten eine Vielzahl an Gesprächen, bei denen möglichst niedrigschwellig der persönliche Kontakt gesucht wurde, um die Institutionen AK und Gewerkschaft vorzustellen, die Notwendigkeit einer starken ArbeitnehmerInnenvertretung und die Möglichkeiten individuellen Engagements - von der einfachen Mitgliedschaft bis zur Gründung eines Betriebsrates - herauszustreichen. Im Kern ging es in dieser ersten Projektphase um die Herstellung einer sozialen Beziehung »auf gleicher Augenhöhe« ohne unmittelbaren äußeren Anlass wie z. B. drohende Kündigungen, Verletzungen des Arbeitsrechts oder ähnliches.
Abseits der Hochburgen
Die Praxis zeigte, dass diese neue Kommunikationsform besonders in dieser Branche auf fruchtbaren Boden fällt. »Gewerkschaftliche Stärke ist nirgendwo in Stein gemeißelt. Sie muss in Hochburgen gehalten, in schwach verankerten Firmen ausgebaut und in einer großen Zahl von Betrieben überhaupt erst hergestellt werden.«1 »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« ist definitiv eine Aktion außerhalb der Hochburgen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Handel ist vergleichsweise gering. Die Aktion erfasst demnach nicht nur schwach, sondern überwiegend gar nicht organisierte Betriebe. »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« erschließt somit ein enorm bedeutendes Tätigkeitsfeld, das sonst hinter dem traditionellen Handlungshorizont der dualen Vertretung durch Gewerkschaft und Betriebsrat weitgehend verborgen bleibt. Gleich an den ersten Aktionstagen gelangte das Team zu einer wichtigen Erkenntnis. Weniger die im Vorfeld erwartete allgemeine Politikverdrossenheit oder der ›BAWAG-Skandal‹ wurden diskutiert; es stellte sich heraus, dass viele, vor allem jüngere, ArbeitnehmerInnen in nicht organisierten Betrieben kaum einen Bezug zu Gewerkschaft und - in etwas geringerem Ausmaß - Arbeiterkammer haben.
Erfolgsgeschichte
Das gesamte Team war und ist gefordert: Es ging zunächst viel stärker darum, die Basisinformationen zu vermitteln. Nach wenigen Tagen und Mehrfachbesuchen in den Filialen waren die Teams bekannt, akzeptiert und wurden - bis auf wenige Ausnahmen - freundlich aufgenommen. Die Botschaften sind angekommen, die ersten Mitgliedsanmeldungen wurden gesammelt und motivierten weiter. Ab diesem Punkt kann »Wir sind gemeinsam für Sie unterwegs« ohne weiteres als ›Erfolgsgeschichte‹ bezeichnet werden. Der Ansatz greift, die Beschäftigten reagieren äußerst positiv auf die Gespräche und die vielschichtigen allgemeinen und speziellen Informationen, die sie dabei erhalten. Von der einfachen Einführung »Wer sind wir« und »Was tun wir für Sie« bis hin zu Kollektivverträgen, die auch an Nichtmitglieder verteilt wurden, und Fachberatungen zu Steuer-, Arbeitsrecht- und Pensionsversicherungsfragen, die bei Informationsveranstaltungen im Cafe Ritter, im Generali-Center (Mariahilferstraße) und am permanenten Projektstand im Stadion Center stattfanden.
Die Erfolgsgeschichte spiegelte sich auch in den hard facts wider: Allein in den ersten drei Wochen der Aktion wurden über 1.300 Gespräche geführt, insgesamt konnten 75 neue Gewerkschaftsmitglieder geworben werden. Das entspricht in Bezug auf die kontaktierten Personen immerhin einem Organisationsgrad von 3,5 Prozent im ersten Anlauf. Nicht eingerechnet sind dabei kontaktierte Personen, die bereits Mitglieder waren. Drei bis vier Betriebsratsgründungen sind bereits in Vorbereitung. Mit den beiden Aktionen im Herbst 2007 wurde das Beziehungsnetzwerk vertieft und erweitert.
Stadion Center
Während in der Mariahilferstraße bereits auf Bestehendes aufgebaut werden konnte, wird im Stadion Center buchstäblich Neuland betreten. Das Shopping Center wurde erst kurz zuvor eröffnet, Gewerkschaft und Arbeiterkammer zeigten Präsenz zum frühestmöglichen Zeitpunkt. An drei Tagen wurden 400 von gesamt 600 Beschäftigten im direkten Gespräch erreicht und 150 Intensivberatungen am Projektstand durchgeführt. Der Weg für künftige Kontakte, vor allem, wenn tatsächlich Probleme auftreten ist damit geebnet. Doch auch hier gilt: Ein kontinuierlicher politischer Diskurs mit Beschäftigten, unabhängig von gegebenen Anlassfällen, trägt zur Festigung der Basis bei.
Die unmittelbaren Erfolge des Pilotprojektes sind durchaus eindrucksvoll und wichtig. Sie markieren im besten Fall jedoch den Beginn einer kommunikativen Neuausrichtung gewerkschaftlicher Arbeit, die strategisch und inhaltlich permanent weiterentwickelt werden muss, um nachhaltige Effekte erzielen zu können. GPA-djp und AK-Wien sind mit einer Reihe von Aktionen auch 2008 und durchaus vergleichbaren Ergebnissen diesen Weg weiter gegangen.
Die wahre »Mächtigkeit« des Ansatzes wird sich allerdings erst in ihren mittel- und langfristigen Effekten zeigen. Am augenscheinlichsten dann natürlich im Organisationsgrad und an der Beteiligung bei AK-Wahlen, am tiefgehendsten wahrscheinlich in der Bildung eines Beziehungsnetzwerkes, einer »Community« mit hohem politischen Bewusstsein im Sinne von Empowerment und Organizing.
1 Heiner Dribbusch: Das »Organizing-Modell« - Entwicklung, Varianten und Umsetzung, in: Peter Bremme, Ulrike Fürniß, Ulrich Meinecke (Hrsg.): Never work alone, Organizing - ein Zukunftsmodell für Gewerkschaften, Hamburg 2007, S. 24.
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Damit gibt es nun eine echte Chance auf Verbesserungen bei den EBR-Rechten. Doch das Zeitfenster für eine positive Verabschiedung ist schmal. Alle Beteiligten sind sich einig: Bis Ende des Jahres, also noch unter französischer Ratspräsidentschaft, muss die Sache spruchreif sein und die Mitgliedsstaaten müssen im Ministerrat wie auch das Europäische Parlament grünes Licht signalisieren. Anderenfalls ist ein rascher Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens wohl kaum zu bewerkstelligen. In Anbetracht der anstehenden Europawahlen und der Neubestellung der Kommission im nächsten Jahr wäre die Tür wieder für längere Zeit geschlossen.
Vorschlag der Kommission
Auch wenn man nur teilweise mit ihren Vorschlägen zufrieden sein kann, so ist doch zu begrüßen, dass die Kommission endlich initiativ geworden ist. Der EGB unterstützt jedenfalls ausdrücklich die Ziele der EBR-Revision: Verbesserung der Rechtssicherheit für alle Beteiligten und Erhöhung der Effizienz in der EBR-Arbeit, bessere Anwendbarkeit der EBR-Richtlinie und Erhöhung der Anzahl an EBR-Gründungen sowie Harmonisierung des EU-Rechts zur Unterrichtung und Anhörung der ArbeitnehmerInnen. Der vorgelegte Kommissionsvorschlag enthält in diesem Sinn einige Klarstellungen und Verbesserungen zum bestehenden Rechtsbestand:
Gewerkschaftliche Forderungen
Bei aller Würdigung dieser Fortschritte bleibt aber anzumerken, dass dies alles deutlich hinter den Forderungen der Gewerkschaften zurückbleibt. Unklarheiten verbleiben und die EBR-Rechte werden nur ungenügend verbessert. Die bleibenden Defizite im Kommissionsvorschlag betreffen v. a. folgende Punkte:
Weitere Schritte notwendig
Deshalb sollte vor allem bei folgenden Punkten nachgebessert werden:
Überall hier ist der europäische Gesetzgeber gefordert, die EBR-Rechte weiter zu präzisieren und bestehende Schwächen der Richtlinie im Zuge des weiteren Gesetzgebungsverfahrens zu beseitigen.
Folgen der Einigung
In einigen Kernpunkten einigten sich die EU-Sozialpartner weiter zu gehen, als die Kommission. Insbesondere bei der Definition von Information und Anhörung hat der EGB seine Vorstellung weitgehend durchsetzen können. Die Unterrichtung muss so gestaltet werden, dass der EBR eine gründliche Prüfung der Auswirkungen einer geplanten Maßnahme vornehmen und gegebenenfalls Konsultationen darüber mit dem Management vorbereiten kann. Auch bei der Anerkennung der Rolle der Gewerkschaften, beim Umgang mit bestehenden Vereinbarungen sowie beim Anspruch für Fortbildungsmaßnahmen gab es weiterführende Klarstellungen. Damit sind zwar nicht alle Forderungen aus Gewerkschaftssicht erfüllt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass eine baldige Neufassung der EBR-Richtlinie bis vor kurzem noch als wenig realistisch eingeschätzt werden musste.
Die europäischen ArbeitgeberInnen haben jedenfalls ihre Blockadepolitik aufgegeben und den Gewerkschaften einige Zugeständnisse gemacht. Ein besseres Ergebnis wäre auch im formellen Sozialen Dialog nicht zu erwarten gewesen. Der nun vorliegende Kompromiss würde immerhin einige Fortschritte für Euro-Betriebsräte bringen. Nun liegt es am Europäischen Parlament, diesen Etappensieg im Ringen um mehr Mitwirkungsrechte in multinationalen Konzernen eventuell noch weiter aufzupolieren.
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Veränderte Rahmenbedingungen
Die Rahmenbedingungen für gewerkschaftliches Handeln haben sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. Europäische Gewerkschaften stehen vor einem zunehmenden Problem- und Anpassungsdruck. Ein Befund, der sich in den Beiträgen aller ReferentInnen während des Symposiums wieder fand. Arbeitsplätze werden abgebaut, Betriebe an kostengünstigeren Standorten wieder aufgebaut. Zunehmend mehr Menschen arbeiten in gewerkschaftlich schwach organisierten privaten Dienstleistungsbranchen. Viele Unternehmen haben sich von der Kultur der Sozialpartnerschaft längst verabschiedet und agieren zunehmend arbeitnehmerfeindlich. Immer weniger BetriebsrätInnen sind gewerkschaftlich organisiert, Gewerkschaften verlieren Mitglieder. Wie Gewerkschaften mit diesen Herausforderungen jedoch umgehen, gestaltet sich höchst unterschiedlich.
Organisierung
Nach dem Vorbild der USA starteten einige europäische Gewerkschaften vor wenigen Jahren die ersten Organizing-Kampagnen. Franziska Bruder, Organizerin bei der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, lässt gleich zu Beginn des Symposiums keine Missverständnisse aufkommen: »Organizing ist mehr als Mitgliederwerbung. Organizing heißt übersetzt nichts anderes als Organisierung. Der Begriff muss erst mit Bedeutung gefüllt werden.« So wie ein Teil der US-Gewerkschaften und Bruder Organizing verstehen, bedeutet das Aufbau von Gewerkschaft im Betrieb. Es geht um die Schaffung von Basisstrukturen und die Aktivierung der Beschäftigten. Das heißt: Nicht der Betriebsrat oder die Gewerkschaft entscheiden, was gut für die Beschäftigten ist, sondern sie selbst. »Im Idealfall«, so Franziska Bruder, »unterstützen die Gewerkschaft und - wenn es einen gibt - der Betriebsrat diesen Prozess. Wir organisieren die KollegInnen, weil sie ein Problem haben und nicht, weil wir eines haben.« Juri Hälker, derzeit tätig für die deutschen Gewerkschaften IG Metall und IG BAU, meint provokant: »Wir werben keine Mitglieder. Das machen bei uns die Mitglieder, nicht die Hauptamtlichen.« Damit soll verhindert werden, Beschäftigte in die Gewerkschaft »hinein zu labern«. Denn jemand, der dazu überredet wurde Gewerkschaftsmitglied zu werden, würde nicht lange Mitglied bleiben, schon gar nicht aktiv werden. Mitgliederwerbung sei nicht das Ziel von Organizing, sondern das Resultat.
Systematisches Vorgehen
Immer wieder betont Franziska Bruder, dass es sich bei Organizing um einen konfliktreichen Prozess handelt, auf den die Beschäftigten vorbereitet sein müssen. In der Auseinandersetzung mit einem Arbeitgeber muss klar sein, mit wem sie es zu tun haben, und was Ziel der Kampagne ist. Wichtige Bestandteile jeder Organizing-Kampagne sind daher ausführliche Recherche über das jeweilige Unternehmen und die Entwicklung einer strategischen Vorgehensweise gemeinsam mit den Beschäftigten. Anhand von zwei Organizing-Kampagnen in der Otto-Lagerwirtschaft und dem Hamburger Sicherheitsgewerbe erläutert Bruder, dass es immer um die Frage geht, wie die Beschäftigten - auch gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen - ausreichend Druck erzeugen können, um ihre Arbeitssituation zu verbessern. Die Antwort auf diese Frage könne in verschiedenen Kampagnen sehr unterschiedlich ausfallen.
»Das größte Hindernis für die Beschäftigten, aktiv zu werden, ist meistens Angst«, meint Juri Hälker, der neben seiner gewerkschaftlichen Tätigkeit auch an der Universität Duisburg-Essen Theorie und Praxis von Organizing lehrt. Die direkte Kommunikation mit den Beschäftigten sei daher das A und O beim Organizing. Eindrucksvoll schildert Hälker den Niedergang der vormals bedeutenden Gewerkschaftsbewegung in den USA. Zwar sind die Unterschiede zwischen den USA und Europa enorm. Doch für Hälker sind die USA keine andere Welt. Vielmehr versteht er die Situation, in der sich die US-Gewerkschaften heute befinden, als Warnung an europäische Gewerkschaften. Seiner Ansicht nach müssen diese dem negativen Mitgliedertrend und Einflussverlust rechtzeitig entgegensteuern und aus den Erfahrungen, die Gewerkschaften jenseits des Atlantiks in den letzten Jahrzehnten gemacht haben, lernen. Und das besser heute als morgen.
Organizing heißt Kulturwandel
Welche Funktion und Rolle Gewerkschaften in einer Gesellschaft haben, welche Strategien sie verfolgen, und welche Mittel und Methoden sie einsetzen, um an ihr Ziel zu gelangen, ist eng mit der gewerkschaftspolitischen Kultur verbunden. Das macht auch Roman Burger, Geschäftsleiter der Unia Zürich, mit seinem Vortrag bewusst. »Eines unserer zentralen Themen ist Migration«, so Burger. »Denn als Gewerkschaft haben wir die Aufgabe den Konkurrenzdruck unter den Beschäftigten zu verhindern, damit das Management sie nicht gegeneinander ausspielen kann. Nicht zuletzt deshalb müssen wir Menschen mit Migrationshintergrund organisieren.« An diesem Ziel ist auch die Personalpolitik der Unia ausgerichtet. Ein großer Teil der hauptamtlich Beschäftigten dieser Gewerkschaft hat selbst einen Migrationshintergrund und spricht mehrere Sprachen. Burger: »Ohne den radikalen Kurswechsel vor einigen Jahren wären wir nicht dort, wo wir heute sind. Um handlungsfähig zu sein und ernst genommen zu werden, muss eine Gewerkschaft nicht nur mehr Mitglieder, sondern auch aktive Mitglieder wollen.«
Im Laufe des Symposiums wurde deutlich, dass Organizing einen bewussten Reflexionsprozess erfordert. Denn es bedeutet, der Aktivierung der Beschäftigten und dem Aufbau von Gewerkschaft im Betrieb Priorität zu verleihen anstelle von stellvertretender Problemlösung. Dieser Umdenkprozess erfordert einerseits bildungspolitische Maßnahmen, andererseits ausreichend Ressourcen. Rudolf Silvan, Bildungssekretär in der Gewerkschaft Bau-Holz (GBH), macht es deutlich: »Offenbar ist es ein Tabu, aber es muss gesagt werden: Wir verlieren Mitglieder. Nun versucht die GBH neue Wege zu gehen. Es kann aber weder von Hauptamtlichen noch von BetriebsrätInnen erwartet werden, dass sie von heute auf morgen alles anders machen als bisher. Organizing ist daher immer ein bildungspolitischer Auftrag für die Gesamtorganisation.« Dass neue Methoden sowohl innerhalb der Gewerkschaft als auch in der Öffentlichkeit äußerst positiv aufgenommen werden, unterstreicht Nobert Bacher, der ein Mitgliederwerbeprojekt von GPA-djp und AK Wien auf der Mariahilferstraße begleitet hat: »Wir haben gemerkt, dass die involvierten haupt- und ehrenamtlichen KollegInnen gerne draußen bei den Leuten waren.« Werner Drizhal, Bildungssekretär in der GPA-djp, spricht abschließend die strukturelle Ebene an und betont die Rolle von BetriebsrätInnen und Mitgliedern innerhalb von Gewerkschaften. Dort sieht er - nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Beschlüsse am 16. ÖGB-Bundeskongresses im vergangenen Jahr - großen Handlungsbedarf. Drizhal gibt sich skeptisch: »Alle von uns, die beim vorigen Bundeskongress für mehr Mitbestimmung und Beteiligung gestimmt haben, müssen beurteilen, was aus diesem Vorhaben geworden ist.«
Erneuerung braucht Willen
Einig waren sich alle ReferentInnen darin, dass es bei Organizing nicht um die Frage geht, was Gewerkschaften für ihre Mitglieder tun, sondern was sie mit ihnen gemeinsam erreichen können. Gewerkschaftliche Erneuerung passiert nicht einfach, sondern braucht politischen Willen. Angesichts des wachsenden Problemdrucks drängt sich die Frage auf: Wann, wenn nicht jetzt?
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Zusätzlich zur konkreten Hilfe und Beratung sorgt die AK auch auf politischer Ebene dafür, dass die Rechte der ArbeitnehmerInnen gewahrt werden. Die AK setzt sich gemeinsam mit den Gewerkschaften erfolgreich für die Anliegen der ArbeitnehmerInnen gegenüber der Wirtschaft und Politik ein. Zum Beispiel gelang es der AK und dem ÖGB, dass die Regelung des Kinderbetreuungsgeldes im vergangenen Jahr flexibilisiert wurde: So ist es für Mütter und Väter nun leichter möglich, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen.
Verbesserungen
Auch auf einem anderen Gebiet setzen sich die AK und der ÖGB derzeit für die ArbeitnehmerInnen ein: Weil das Steuersystem die ArbeitnehmerInnen einseitig belastet und gleichzeitig alles teurer wird, wollen die AK und der ÖGB eine Steuerreform zugunsten der ArbeitnehmerInnen - damit die Nettolöhne steigen.
Denn am Ende des Monats bleibt vielen Menschen trotz Lohnerhöhung nichts in der Tasche, weil die kalte Progression längst alles aufgefressen hat. Entlastet werden sollen vor allem ArbeitnehmerInnen mit kleinen und mittleren Einkommen zwischen 1.200 Euro und 3.400 Euro brutto im Monat.
Blick nach vorn
Wie die Arbeit der AK aussieht, das bestimmen ihre Mitglieder: Sie wählen alle fünf Jahre ihre Vertretung. So entscheiden die ArbeitnehmerInnen, was die AK tun wird, und wie die politische Richtung aussehen soll.
Ab Jänner 2009 ist es wieder so weit: Die ArbeitnehmerInnen wählen bei den Arbeiterkammerwahlen ihre Interessenvertretung.
Warum ist Ihre Stimme wichtig?
Wer wählen geht, stärkt dadurch seine eigenen Interessen:
Wer darf wählen?
Alle Mitglieder der AK dürfen wählen, also sämtliche ArbeitnehmerInnen - dazu zählen seit 1. Jänner 2008 auch die freien DienstnehmerInnen.
Auch Lehrlinge, AK-Mitglieder in Karenz, im Präsenz- oder Zivildienst, geringfügig Beschäftigte und Arbeitsuchende können ihre Stimme abgeben, allerdings müssen sie sich rechtzeitig in die Wählerliste eintragen! Die Formulare dafür bekommen sie per Post zugeschickt.
Wie kann gewählt werden?
Sie haben drei Möglichkeiten, Ihre Stimme abzugeben - Details erhalten Sie rechtzeitig mit der Post zugeschickt.
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Jugend am Arbeitsmarkt
Schon lange wurden Unternehmen gefördert, die Jugendliche ausbilden und Lehrstellen zur Verfügung stellen. Das geschah bisher in einer Art Gießkannenprinzip, das nun von einer differenzierten, bedarfsgerechten Basisförderung abgelöst wird: Im 1. Lehrjahr, in dem in der Regel der meiste »Schulungsbedarf« anfällt, werden drei Lehrlingsentschädigungen als Förderung gegeben, im 2. Lehrjahr sind es zwei Lehrlingsentschädigungen und im 3. und 4. Lehrjahr jeweils eine Lehrlingsentschädigung als Ersatz für die frühere Basisförderung.
Damit sich wieder mehr Unternehmen am dualen Ausbildungsmodell beteiligen, werden neu gegründete Unternehmen und auch solche, die schon lange keine Lehrlinge mehr ausgebildet haben besonders gefördert.
Qualitätssteigerung
Um die Qualität der Lehrlingsausbildung in den Betrieben zu steigern, werden auch Förderungen für Weiterbildungsmaßnahmen der AusbildnerInnen ausbezahlt. Auch außergewöhnliche Leistungen bei Lehrlingen sind eine Investition in die Zukunft. Daher werden Lehrabschlussprüfungen mit ausgezeichnetem oder gutem Erfolg gefördert ebenso wie Lehrlinge, die eine über das gesetzlich vorgeschriebene Berufsbild hinausgehende Zusatzausbildung absolviert haben.
Bisher waren sowohl ArbeitgeberInnen als auch Lehrlinge im mehr oder minder rechtsfreien Raum unterwegs, wenn ein Lehrverhältnis vor der Zeit aufgelöst werden sollte. Was bisher in der Praxis gang und gäbe war, wird nun auf rechtlich sichere Beine gestellt: die beidseitige Auflösbarkeit des Lehrverhältnisses. Sie ist am Ende des ersten und am Ende des zweiten Lehrjahres möglich, sollte aber durch ein vorausgehendes Mediationsverfahren nach Möglichkeit verhindert werden.
Das AMS muss die betroffenen Jugendlichen auf alternative Arbeitsplätze vermitteln und so sicherstellen, dass die Ausbildung beendet werden kann.
Darüber hinaus hat sich die Arbeiterkammer auch für eine Qualifizierungsoffensive für Arbeitslose bis zum Jahr 2010 erfolgreich stark gemacht: Bis 2010 stehen für die Ausbildung von 10.000 FacharbeiterInnen insgesamt 121 Millionen Euro zur Verfügung.
Ausbildung unter der Lupe
Die AK hat seit vielen Jahren ein Bundesinstitut für Forschung, Innovation und Entwicklung (bifie) eingefordert: Seit diesem Jahr arbeitet dieses nun mit Zentren in Wien, Graz und Salzburg. Das bifie (www.bifie.at) ist als eigene Rechtspersönlichkeit überparteilich um die ständige Verbesserung des Schul- und Bildungswesens in Österreich bemüht und erarbeitet die wissenschaftlichen Grundlagen für die Qualität der österreichischen Bildungsstandards.
Seit 2007 wurde eine weitere langjährige Forderung der Arbeiterkammer hinsichtlich der Einrichtung einer gesetzlichen Interessenvertretung der Fachhochschul-Studierenden im Zuge einer Änderung des Fachhochschul-Studiengesetzes erfüllt.
Eine Erleichterung für Schüler und Schülerinnen, die mehr als zwei Nichtgenügend in den ersten Klassen der BMHS bekommen haben, hat die AK ebenfalls erreicht: Die Klasse darf auch mit mehr als zwei Fünfern wiederholt werden.
Plus für die Wirtschaft
Die Arbeiterkammer setzt sich als Sozialpartner für eine Verbesserung der Unternehmenskontrolle ein: Die Stärkung des Aufsichtsrates und eine verbesserte Kontrolle durch WirtschaftsprüferInnen soll, gemeinsam mit klareren Haftungsregelungen für die Unternehmensorgane, für mehr Transparenz und Kontrolle bei großen Wirtschaftsunternehmen sorgen.
Die Kosten auf Energie machen mittlerweile einen großen Teil des Haushaltseinkommens aus. Damit in diesem Bereich erhebliche Verbesserungen möglich wurden, hat die AK die Einrichtung einer Schlichtungsstelle bei Unklarheiten in den Abrechnungen durchgesetzt. Das senkt zwar nicht die Preise, erhöht aber die Transparenz um ein Vielfaches.
In Allianz mit der WKO hat die Arbeiterkammer die Schaffung einer neuen Berufsgruppe unterstützt: Die gewerblichen BuchhalterInnen beziehungsweise die selbstständigen BilanzbuchhalterInnen können dank dieser Initiative leichter als bisher ihren Beruf legal und existenzsichernd ausüben. Das kommt vor allem Frauen und unter ihnen wieder besonders vielen Widereinsteigerinnen zugute, nützt aber auch Kleinst- und Kleinbetrieben, die leichter zu leistbaren Beratungsdienstleistungen kommen.
Mit der Novellierung des Kartellgesetzes 2002/2005 hat die AK erreicht, dass mit der Schaffung einer eigenständigen Wettbewerbsbehörde eine schlagkräftigere Institution eingesetzt wurde, die Vergehen gegen das Kartellrecht schnell und effektiv ahndet. Letzter Erfolg: Auf Antrag der Bundeswettbewerbsbehörde wurden sechs Fahrschulbetreiber im Raum Innsbruck zu 70.000 Euro Geldstrafe verurteilt, weil sie Preisabsprachen getroffen haben.
Über die Grenzen hinaus
Eine besonderer Erfolg gelang der AK mit der Verhinderung der sogenannten Dienstleistungsrichtlinie (auch Bolkesteinrichtlinie) genannt: Diese EU-Richtlinie hätte eine weitere Liberalisierung und eine Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen ermöglicht. Gemeinsam mit den Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft hat die AK maßgeblich dazu beigetragen, dass diese Richtlinie, die eine eklatante Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in den betroffenen Berufsbereichen nach sich gezogen hätte, verhindert werden konnte. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sollten DienstleisterInnen grundsätzlich nur noch den Gesetzen des Landes unterliegen, in dem sie niedergelassen sind. Die sozialen Errungenschaften vieler Länder waren damit akut in Gefahr.
Auch die nahezu ständig laufenden WTO-Verhandlungen bedrohen österreichisches Arbeits- und Sozialrecht und drohen in geltende Kollektivverträge einzugreifen. Die AK sichert durch ihr Engagement das Arbeits- und Sozialrecht.
Abfertigung neu
Einer der größten Erfolge der AK war die Einführung der Abfertigung neu: Bereits nach einem Monat Dauer haben ArbeitnehmerInnen Anspruch auf eine Abfertigung. Diese wird vom/von der ArbeitgeberIn in eine Abfertigungskasse einbezahlt und verfällt auch nicht bei Selbstkündigung. Nach einiger Zeit kann man entscheiden, ob man die Abfertigung ausbezahlt haben will oder als »Rucksack« mitnimmt. So wurde auch der Entwicklung Rechnung getragen, dass nur wenige Menschen viele Jahre bei ein und demselben Arbeitsplatz bleiben.
Die Wirtschaft hat sich lange dagegen gewehrt: Letztendlich siegte die Vernunft, und die AK konnte sich mit der Forderung nach einem Recht auf Elternteilzeit durchsetzen. Auch der Ausbau von Kinderbetreuung und die Reform des Kinderbetreuungsgeldes tragen deutlich die Handschrift der AK.
Daneben wurde maßgeblich an der Pensionsreform 2004, der Arbeitszeitreform 2007, der Absicherung der freien DienstnehmerInnen und zahllosen Gesetzesentwürfen mitgearbeitet, die die Stellung der ArbeitnehmerInnen deutlich verbessert haben. Ohne die engagierte Grundlagenarbeit der AK hätten viele Gesetzesentwürfe im Bereich Bildung und Soziales weniger positive Ergebnisse gebracht.
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Je nach Problemstellung, Routine und persönlicher Erfahrung hat man das geeignete Buch schnell zu Hand - oder auch nicht.
Es soll hier nicht die Illusion vermittelt werden, dass mit digitalen (Rechts-)Informationssystemen alles ganz einfach und klar ist - aber sie können die Arbeit erleichtern. Wobei sich natürlich die Frage stellt, warum überhaupt Rechts-Informationssysteme? Wo es doch das Internet und seine Suchmaschinen, etwa Google, gibt.
»Franz Kafka« als Eingabe in das Suchfeld und die Ergebnisse werden ausreichen, um (fast) alles über Franz Kafka zu erfahren - sofern man die Zeit hat, viele Ergebnis-Dokumente zu lesen und zu bewerten. Wenn es aber um relevante Information aus dem Rechtsbereich geht, wo die Aktualität, die inhaltliche Richtigkeit, die Authentizität von Dokumenten entscheidend für die Zuverlässigkeit und Qualität der Information stehen, sollte man also themenspezifische Fachdatenbanken nutzen.
Fokus Arbeitswelt
Solche Fachdatenbanken, wie zum Beispiel das KVSystem oder SARA online vom ÖGB-Verlag decken zwar »nur« einen bestimmten Themenbereich ab. Sie wurden mit dem Fokus auf »Arbeitswelt und Nutzung im Umfeld der Arbeitswelt« konzipiert und entwickelt - für PraktikerInnen aus dem Bereich der Arbeitnehmervertretung -, genau das macht dieses Werkzeug besonders zuverlässig was die Inhalte betrifft und spart Zeit bei der Recherche. Die Anbieter stellen durch aufwendige inhaltliche und technische Betreuung die hohe Qualität der Information und Aktualität sicher.
Natürlich soll hier eine andere Online-Quelle - wer in den letzten Jahren ein Studium der Rechtswissenschaften absolviert hat, kennt und schätzt sie - das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) nicht verschwiegen werden. Dieses dient der Kundmachung der im Bundesgesetzblatt zu verlautbarenden Rechtsvorschriften sowie der Information über das Recht der Republik Österreich. Aus der Sicht von JuristInnen, die sich ständig mit der gesamten Rechtsmaterie auseinander setzen, ist RIS sicher das umfassendste digitale Rechtsinformationssystem, auch wenn auch da Lücken, z. B. im Bereich der Landesgesetzgebung, festzustellen sind. Für PraktikerInnen aus dem Bereich der ArbeitnehmerInnenvertretung ist ein Mehr an Information nicht unbedingt die bessere Information.
Das KVSystem
Ein Kollektivvertrag - wie er sich für die MitarbeiterInnen eines Unternehmens als wesentliche Rechtsgrundlage darstellt - ist eigentlich immer ein Bündel von Verträgen und Abschlüssen zwischen den Kollektivvertragspartnern: Rahmenkollektivverträge (auch branchenübergreifend wie zum Beispiel der Industrie-Rahmen-KV), Zusatzkollektivverträge für einzelne Branchen oder zu bestimmten Themen (sehr oft für mehrere Branchen verhandelt), Änderungen von Rahmen- und Zusatz-KVs, die Lohntabellen auf Basis der jeweils ausgehandelten Lohnerhöhungen ergeben gemeinsam den gerade gültigen »Kollektivvertrag«. Teilweise steuern die Gewerkschaften dieser Unübersichtlichkeit bereits organisatorisch entgegen. Die GPA-djp bietet ihren Mitgliedern bei mehr als 25 Branchen-KVs eine sogenannte »konsolidierte Fassung« an, in der alle diese Vereinbarungen in einem Dokument zusammengeführt sind.
Das KVSystem des ÖGB-Verlages nutzt die digitalen Möglichkeiten, um diese Bündelung für alle Branchen anzubieten. Die etwa 700 unterschiedlichen Branchen-KVs enthalten alle zum gewünschten Zeitraum relevanten Regelungen - ein branchenübergreifender Rahmen-KV findet sich dann in allen betroffenen Branchen-KVs. Unterstützt durch Schlagwort- und Volltext-Suche ist es dann egal, in welchem Einzeldokument die gewünschte Information enthalten ist. Insgesamt mehr als 3.000 AnwenderInnen und monatlich ca. 25.000 abgefragte KVs - davon sehr viele im Rechtsschutzbereich der Arbeiterkammern - zeigen, dass dieses Konzept ein richtiges ist.
SARA-online
Die Online-Gesetzes-Sammlung Recht und Arbeit (SARA) ist als eigenständiges Informationssystem Basis für künftige ExpertInnen-Systeme. Die mehr als 500 in SARA-online enthaltenen Rechtsnormen (Gesetze, Verordnungen usw.) würden den Rahmen jedes Buches sprengen. Mit der Gliederung in Sachgebiete und mit seinen Suchfunktionen bietet es sowohl weniger versierten AnwenderInnen als auch ExpertInnen den einfachen und raschen Zugang zu den Rechtstexten.
Für spezielle Anwendergruppen gibt es eigene Informationspakete auf der Basis von SARA-online - andere und anders strukturierte Inhalte, gleiche Funktionalität, z. B.
Service für BetriebsrätInnen
Die meisten Gewerkschaften bieten den BetriebsrätInnen ihres Betreuungsbereiches den Gratiszugang zu diesen beiden Rechts-Informationssystemen als Service an. Ein Angebot, das zunehmend angenommen wird, wie steigende Zugriffszahlen zeigen. Und damit kommt auch der produktive Kreislauf für die schrittweise Weiterentwicklung der digitalen Rechtssysteme zustande: Aus dem Feedback von möglichst vielen AnwenderInnen leiten sich die nächsten inhaltlichen und funktionalen Verbesserungen ab - zur optimalen Unterstützung von Betriebsrat und Personalvertretung.
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Das KVSystem im Überblick
Zugang über www.oegbverlag.at
SARA-online im Überblick
Zugang über www.oegbverlag.at
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Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB-Verlag)
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Sozialpartner im Betrieb
BetriebsrätInnen sind die Sozialpartnerschaft auf betrieblicher Ebene. Sie sind die aktive Verbindung zwischen Beschäftigten und Unternehmensleitung. Täglich übernehmen sie wichtige Aufgaben, und es kommt ihnen besondere Verantwortung zu, nämlich die, sich für die Rechte ihrer KollegInnen im Betrieb einzusetzen. Immerhin sind die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der ArbeitnehmerInnen zu wahren. Keine leichte Aufgabe und sie wird zunehmend schwieriger.Umso wichtiger sind für BetriebsrätInnen zuverlässige Informationen, Hilfsmittel zur Vereinfachung ihrer Tätigkeit und Unterstützung von erfahrenen, kompetenten AnsprechpartnerInnen aus Gewerkschaften und ÖGB. Neben den Gewerkschaften bietet die Betriebsarbeit - im ÖGB-Referat Organisation und Koordination - ein umfangreiches Informations- und Serviceangebot für BetriebsrätInnen.
Wir sehen unsere Hauptaufgabe in der Förderung und Unterstützung der betrieblichen ArbeitnehmerInnenvertretung. Unsere ExpertInnen stellen Kontakte zu den jeweiligen Gewerkschaften und Institutionen her. Wir bearbeiten schriftliche und telefonische Anfragen zu allen Formen der betrieblichen Interessenvertretung und vielem anderem. Bei der Entwicklung unserer Broschüren und Formulare bildet das Arbeitsverfassungsgesetz die Grundlage. Unser Ziel ist es, unsere Serviceleistungen ständig zu verbessern. Dementsprechend fließen Bedürfnisse, Anregungen, Probleme der täglichen Arbeit von BetriebsrätInnen sowie Bildungswünsche in unsere Arbeiten ein.
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Weite Teile unseres umfangreichen Informations- und Serviceangebots für BelegschaftsvertreterInnen bieten wir auch auf unserer Homepage www.betriebsraete.at an. Dort finden Sie Infos zu den verschiedenen Formen der betrieblichen Interessenvertretung, Gesetzestexte, Artikel für Betriebsratszeitungen und vieles mehr. Mandats- und Terminrechner für die Betriebsratswahl sowie alle notwendigen Formulare und Broschüren stehen für Sie zum Download bereit. Außerdem sind die Seminarangebote des ÖGB/VÖGB, aber auch sämtliche Skripten über diese Seite zugänglich. Übrigens wussten Sie, dass Sie sich mit einer Teilnahme am Seminar »Der BR im Netz« gleichzeitig eine fertige Betriebsratshomepage sichern?
Wir freuen uns darauf, Sie beim Abenteuer Verantwortung zu unterstützen!
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Das erste Grundsatzdokument der Freien (sozialdemokratischen) Gewerkschaften
Aus dem Beschluss des zweiten Parteitags der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs 1891
(Ausführungsbeschluss zum Aufruf des Gründungsparteitags 1889 »allüberall Gewerkschaften unter Einschluss der männlichen und weiblichen Hilfsarbeiter« zu gründen)
Der Parteitag … erklärt, dass die Gewerkschaftsorganisation in Rücksicht auf die gegenwärtigen Produktionsverhältnisse … wie auch in Hinsicht auf die politischen Verhältnisse den Arbeitern in Österreich zu empfehlen ist. … Jede Gewerkschaft muss die Unterstützung der Arbeitslosen sowohl am Orte wie auf der Reise, die Ansammlung eines Widerstandsfonds in irgendeiner Form, die Arbeitsvermittlung sowie die Gewährung von Rechtsschutz in ihr Statut aufnehmen. Die einzelnen Gewerkschaften haben alle Angehörigen eines Industriezweiges, also auch die nicht qualifizierten Arbeiter und die in dem betreffenden Produktionszweige beschäftigten Frauen, einzubeziehen. … Eine auf vernünftige Grundlage gestellte Gewerkschaftsorganisation wird den Streik in sehr vielen Fällen von vornherein überflüssig machen, weil die Arbeitgeber einer geschlossenen Organisation gegenüber eher zu Verhandlungen und zur Nachgiebigkeit geneigt sein werden.
Das erste Grundsatzdokument der christlichen Gewerkschaften
Aus der Enzyklika »Rerum Novarum« (Über die Arbeiterfrage) von Papst Leo XIII. 1891
36. Endlich können und müssen … die Arbeitgeber und die Arbeiter … zu einer gedeihlichen Lösung der Frage durch Maßnahmen und Einrichtungen mitwirken, die den Notstand möglichst heben und die eine Klasse der andern näher bringen helfen. … Den ersten Platz aber nehmen in dieser Hinsicht die Arbeitervereinigungen ein …
40. Die verschiedensten Genossenschaften und Vereinigungen treten in unserer Zeit, zumal in den Arbeiterkreisen, in viel größerer Zahl auf als früher. … wir müssen auf die allgemeine, durch Tatsachen gestützte Meinung hinweisen, … dass sie darauf ausgehen, ein gewisses Arbeitsmonopol an sich zu reißen und die charakterfesten Arbeiter, die den Beitritt ablehnen, in Not und Elend bringen. Damit sehen sich christlich gesinnte Arbeiter vor die Wahl gestellt, entweder Mitglieder von Bünden zu werden, die ihrer Religion Gefahr bringen, oder aber ihrerseits Vereine zu gründen, um mit gemeinsamen Kräften gegen jenes schmähliche System der Unterdrückung anzukämpfen. Jeder, der nicht die höchsten Güter der Menschheit aufs Spiel gesetzt sehen will, muss das letztere als höchst zeitgemäß und wünschenswert betrachten.
Die historischen Grundsatzdokumente der österreichischen Gewerkschaftsbewegung entstanden in einer Zeit heftiger Auseinandersetzungen um den Weg der Gesellschaft: Der Papst empfiehlt die Gründung katholischer Gewerkschaften zur Abwehr der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung.
Trotzdem sind schon damals - mit unterschiedlicher Gewichtung - jene Gemeinsamkeiten zu erkennen, die 1945 die Gründung des überparteilichen ÖGB ermöglichten: Die Anerkennung des Rechts der ArbeitnehmerInnen, gegen ungerechte Bedingungen anzukämpfen, die Betonung der solidarischen Unterstützung und das Setzen auf Verhandlungslösungen, wo immer das unter Wahrung der ArbeitnehmerInneninteressen möglich ist.
Zusammengestellt und kommentiert von Historikerin Dr. Brigitte Pellar.
brigitte.pellar@aon.at
Arbeit&Wirtschaft: Was ist das Ziel von BR:next?
Christian Jammerbund: BR:next ist die Kommunikation mit einer Zielgruppe, die es bisher für uns nicht gegeben hat - nämlich jüngere, aber erwachsene BetriebsrätInnen der »zweiten Reihe«. Die sind leider oft alles andere als überzeugte GewerkschafterInnen.
Das Ziel von BR:next könnte man als »gewerkschaftspolitische Aktivierung bereits bestehender MultiplikatorInnen« sehen. Die BetriebsrätInnen, die wir ansprechen wollen, sind ja bereits in ihrer Zielgruppe beliebt und verankert, sie wurden ja gewählt. Aber sie sind eben noch keine MultiplikatorInnen der Gewerkschaftsidee. Dies soll mit Vernetzung, Vermittlung von Wissen und gewerkschaftlicher Ideologisierung erfolgen.
Das weiter gefasste Ziel von BR:next lautet natürlich: Wir wollen als Gewerkschaft und ÖGB auf diesem Weg innerhalb der nächsten drei Jahre nachhaltig im Mitgliedersegment der jungen ArbeitnehmerInnen stärker werden. Das »Aktivieren« der jungen BetriebsrätInnen ist dabei natürlich ein wichtiger Schritt. Wenn wir die Beschäftigten selbst erreichen wollen, müssen wir erst mal die »Alpha-Tiere« aus dieser Zielgruppe erreichen.
Seit wann gibt es die Initiative BR:next?
Zu Jahresbeginn 2007 fanden Kick-off-Events in Leoben und Graz statt. Im Mai 2007 startete die BR:next-Seminarreihe zu den Themen Arbeitsrecht, Arbeitsverfassung und Kommunikation. Parallel dazu läuft nun eine Projektevaluierung, um weitere junge BetriebsrätInnen ins Boot zu holen und eine neue und umfassende Betreuungsschiene aufzubauen.
Bei uns in der Steiermark war der Auslöser für die Idee von BR:next, als wir feststellen mussten, dass 50 Prozent der aktiven und der Ersatz-BetriebsrätInnen zwischen 19 und 30 Jahren nicht Mitglied der GPA-DJP sind bzw. waren. Nur rund ein Drittel dieser KollegInnen haben jemals eine Schulung oder einen Kurs besucht. Das heißt für die anderen zwei Drittel war die GPA-DJP bis zum Start von BR:next eine »fremde Organisation«!
Dies war auch das Ergebnis einer Umfrage der SOZAK aus dem Jahr 2006: Die meisten jüngeren BetriebsrätInnen stufen sich selbst als sehr wichtig im eigenen Betrieb bzw. im eigenen Betriebsrats-Gremium ein, aber als »völlig unwichtig« für die Gewerkschaftsbewegung.
Wie kommt ihr an eure Zielgruppe heran?
Vor dem ersten Mailing zu unseren BR:next-Kick-off-Events wurden alle steirischen Betriebsratsvorsitzenden darüber informiert, dass wir ein neues Projekt starten, das dezidiert auf die 2. Ebene jüngerer BetriebsrätInnen abzielt. Wir baten die älteren und etablierten BetriebsrätInnen auch um ihre Mithilfe bei der Kommunikation mit dem »Nachwuchs«.
Kommunikation im Sinne von Erfahrungsaustausch ist ein Kernelement von BR:next - während bekanntlich die älteren Betriebsratsvorsitzenden die GPA-DJP dazu nutzen, sich mehrmals im Jahr zu treffen und auszutauschen und aus dem eigenen Betrieb zu berichten, haben jüngere BetriebsrätInnen diese Möglichkeit ja nicht.
Welche Infrastruktur und Hilfsmittel bietet ihr an?
BR:next soll dazu dienen, eine Kommunikationsplattform zur Verfügung zu stellen, real bei Seminaren und Events sowie virtuell mittels Internet-Plattform im Stil von StudiVZ, einem Social Network, zu der auch nur junge BetriebsrätInnen Lese- und Schreibzugriff haben.
Ein ganz wichtiges Kommunikationstool ist auch der BR:next-USB-Stick, der mittlerweile schon zu einiger Bekanntheit gelangt ist. Wir haben ihn als »mobilen Werkzeugkoffer« an die jungen BetriebsrätInnen, die Mitglieder sind, verteilt. Er enthält Argumentationshilfen und Nachschlagewerke für die Arbeit im Betrieb, aber auch für gewerkschaftspolitische Themen. Das Besondere an diesem Stick: Es ist ein selbst entwickeltes Update-Tool enthalten, ein Programm, das jeden Stick durch Synchronisation mit einem Server auf dem neuesten Stand hält. Dieses System - wir nennen es USBSync - findet übrigens bald auch in anderen Bereichen in der GPA-DJP Einsatz.
BR:next hatte von Anfang an einen neuen, innovativen und modernen Auftritt der GPA-DJP als Kernstück in sich. Sei es beim eigenen BR:next-Briefpapier und Kuverts, sei es durch Give-Aways und kleine Geschenke, die Wertschätzung vermitteln.
Damit verbunden ist auch ein großes Stück interner Bewusstseinsbildung - nämlich zu erkennen, wie weit weg manche junge BetriebsrätInnen anfangs sind, und wie viel Fingerspitzengefühl es erfordert, mit diesen kritischen erwachsenen KollegInnen, die mittelfristig die GPA-djp von morgen sein werden, in Kontakt zu treten.
Das Interview führte Barbara Lavaud.
TESTIMONIALS
Rene Pauly, BR bfi Steiermark:
»BR:next ist für junge BetriebsrätInnen die einmalige Gelegenheit, mit viel Spass und jugendlicher Idee ein Netzwerk von unbeschreibbarem Wert aufzubauen!«
Sandra Höllinger, BR BAWAG:
»Durch BR:next lernst du viele junge BetriebsrätInnen kennen, mit denen Du deine Ideen und Erfahrungen austauschen kannst!«
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Eine neue Version der Kommunikationsplattform für junge BetriebsrätInnen in der GPA-DJP
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ist am 1. Oktober online gegangen!
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Vertragliches Niemandsland
Auch wenn die Kategorien, in denen diese Vertretung stattfindet, strukturell unterschiedlich sind, bleibt ihre Rolle auf Bittgänge und Proteste beschränkt. Ob es sich nun um angestellte InteressenvertreterInnen handelt, die freie Kulturschaffende vertreten, oder angestellte ArbeitnehmervertreterInnen, die angestellte und freie KünstlerInnen vertreten, oder um freie, die sowohl angestellte wie freie Kulturschaffende vertreten: Alle haben mehr oder weniger mit dem Problem zu kämpfen, dass sich die Kunstproduktion im vertraglichen Niemandsland bewegt. »Als Interessenvertreter gibt es im freien Bereich keine legale Handhabe, man kann Politiker nur um Weitblick ersuchen, was bei Blinden vergebliche Liebesmühe ist«, ätzt etwa Peter Paul Skrepek, freischaffender Musiker, Kabarettist und Präsident der Musikergewerkschaft im ÖGB.
Weil es keine Kollektivverträge gibt, braucht die Durchsetzung von Interessen viel mehr Solidarität der Betroffenen. Aber in der Praxis nehmen zum Beispiel viele StudiomusikerInnen das Honorar, das sie angeboten bekommen - auch wenn es unter der Mindestgage liegt. »Ein Teufelskreis«, skizziert Skrepek die Lage der Kulturnation: »Die Kunstproduzenten zahlen schlecht, weil sie es nicht besser können - sie haben selbst kein Geld. Aber während es Sporthilfe und Förderung für Bergbauern gibt, wartet man traditionellerweise beim Künstler, bis er tot ist«, kämpft Skrepek seit Jahren für ein Gesetz, das Kunstschaffende in die Lage versetzt, am Markt teilzuhaben und für legale Möglichkeiten die Interessen von KünstlerInnen durchzusetzen.
Ein anderes Problem ist die Unwägbarkeit der Arbeitszeit. »Ich 'schreibe‘ ja auch, wenn nicht schreibe, nicht am Schreibtisch sitze, ihn nur umkreise, oder durch den Wald renne, um darüber nachzudenken, warum ich einen Knoten im Hirn habe … Lesetouren mache ich eigentlich bis auf wenige Ausnahmen nur in Blöcken - vergangenes Jahr waren es drei volle Monate, sie kosten sehr viel Substanz; Tage oder Wochen, bis man wieder zu Hause Konzentration aufbauen kann - und das alles ist Zeit, die man eigentlich dazuzählen muss«, berechnet Schriftsteller Robert Menasse seinen Stundenlohn »gefühlsmäßig« mit einem Euro.
Prekäre Verhältnisse für AutorInnen
Wie ergeht es erst MalerInnen, freien MusikerInnen und AutorInnen, die weniger erfolgreich sind als ein Menasse, ein Michael Köhlmeier oder eine Sabine Gruber? »AutorInnen sind überhaupt das Schlachtfeld der prekären Verhältnisse«, weiß auch Schriftsteller Gerhard Ruiss und Geschäftsführer der IG-Autoren, ein Lied der vergeblichen Kämpfe für Mindesthonorare und soziale Absicherung der schreibenden Zunft zu singen: »Künstlersein bedeutet ein Leben entlang der sozialen Deklassierung.« Und für InteressenvertreterInnen hohe Investitionen in Zeit, Energie und soziale Kompetenzen: »Besonders viel Geschick, Eloquenz, Unbestechlichkeit, Störrischheit und eine Eselsgeduld«, so Ruiss, der für Entwicklung eines eigenen VertreterInnensystems plädiert. »Und es muss klar sein, dass bei Verhandlungen immer nur ein Kompromiss herauskommen kann. Weil wir uns in einer zunehmend verrechtlichten Welt bewegen und zugleich nicht in die Rechtssysteme eingebunden sind, ist es umso wichtiger für KünstlervertreterInnen aller Sparten über eine große Bandbreite an Wissen zu verfügen.«
Am Ende ist man aber auch hier auf den Goodwill der VerhandlungspartnerInnen angewiesen: »Wenn der ORF die Hörspielhonorare halbiert, wie es vor ein paar Jahren beschlossen wurde, können wir leider nichts machen - so wenig wie gegen die allgemeine Verarmung und Verelendung in der Kunst, die mit der Reduktion des Bildungsgeldes eingesetzt haben.« Seine Energie setzt Ruiss seit Jahren für einen Passus im Urheberrechtsgesetz ein, das beruflichen Interessenvertretungen die Gesamtvertragsfähigkeit einräumt: »Damit wären wir gesetzlich legitimiert, Verträge und Honorarregelungen abzuschließen.«
Vor sich selbst schützen
LiteratInnen, KomponistInnen, MalerInnen sind prinzipiell selbstständig und somit vogelfrei. Nur im Lehrbereich und an Museen bzw. im vergleichsweise hoch subventionierten Theater- und Musikbereich existieren Angestelltenverhältnisse. Trotzdem reduziert sich die Arbeitszeit beispielsweise am Theater nicht auf einen fixen Proben- und Abendspielplan. Dazwischen heißt es für die DarstellerInnen abseits vom Rampenlicht sich theoretisch mit dem nächsten Stück auseinandersetzen, Sekundärliteratur lesen, recherchieren, Text lernen, memorieren, Fitness betreiben, damit der Körper funktioniert. »Ich habe nicht nur dafür zu sorgen, dass Probenabkommen eingehalten werden, sondern ich habe auch die KollegInnen vor sich selbst zu schützen. Theater ist Selbstausbeutung, weil Theaterleute für die aktuelle Premiere über ihre Grenzen hinaus arbeiten und nicht an die nächsten Jahre denken«, beschreibt Günther Wiederschwinger, 47, Schauspieler und seit 1995 künstlerischer Betriebsrat am Wiener Volkstheater, den Alltag hinter den Kulissen. Freilich müsse man das eigene »Künstler-sein« in der Betriebsratsarbeit ausschalten und KollegInnen auch wider besseres Wissen vertreten. Auch als legitimierter Betriebsrat sei man Kündigungen gegenüber machtlos: Weil es am Theater keine gibt. »SchauspielerInnen haben Verträge, die verlängert werden oder nicht«, so Wiederschwinger. Und mit dem Faktor Qualität lasse sich schwer argumentieren: »Am Theater ist die Lautstärke der DarstellerInnen auf der Bühne messbar, mehr aber nicht.«
Interessenvertretung fürs Kunst-Gewerbe jeder Art erfordert schließlich ein hohes Ausmaß an Sensibilität und Vorsicht: Zum einem, weil die Klientel aus eigenwilligen EinzelkämpferInnen besteht und jede/r individuelle Aufmerksamkeit fordert. Zum anderen, weil ein/eine KünstlerIn in der Rolle als InteressenvertreterIn außer Konkurrenz handelt und auf persönlichen Erfolg besser verzichten sollte, um nicht BuchhalterIn in eigener Sache zu sein: »Wer KünstlerInnen vertritt und gleichzeitig künstlerisch aktiv ist, kommt schnell in den Geruch der Selbstbedienung und Selbstbegünstigung«, weiß Ruiss, der sich deshalb als Schriftsteller über viele Jahre »zurückgehalten« hatte: »Ich bin für Gewaltentrennung, auch aus Gründen der Psychohygiene, wegen der Burn-out-Gefahr«.
Auch am Theater ist künstlerische Betriebsratsarbeit kein Honiglecken. »Am Abend steht man selbst auf der Bühne, am Tag wird geprobt und profitieren kann man von gewerkschaftlichen Angeboten nicht«, so Wiederschwinger. Zwar hat es die Gewerkschaft geschafft, dass Betriebsräte ab einer gewissen Unternehmensgröße freigestellt sind, aber nicht am Theater: »In unserem Metier kann man sich nicht so einfach dienstfrei stellen, und auch keine Fortbildungslehrgänge belegen«, erklärt Wiederschwinger, »aber man kann sich in Gesprächen mit GewerkschaftskollegInnen Hilfe holen.«
Nicht freigestellt, sondern vogelfrei
Wer nicht angestellt ist und trotzdem für die Rechte von freien und angestellten Künstlerinnen reitet, verdoppelt die Selbstausbeutung. »Freie Kunstschaffende müssen ihr geringes Einkommen, das sie aus der Kunst erwirtschaften, in die Interessenvertretung investieren«, vermerkt Skrepek, der vor zwanzig Jahren mit der »Musikergilde« auch eine private Initiative auf Vereinsbasis gestartet hat, und schließt zynisch: »Wer als Freischaffender Tausende KünstlerInnen vertritt, die freischaffend sind, wird nicht freigestellt - der ist ja schon frei.«
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Schlaflose Nächte
Wenn es sich jedoch um Krisensituationen wie Personalabbau handelt, dann beginnt für so manchen engagierten Betriebsrat eine Zeit der schlaflosen Nächte. »Das arbeitet in dir weiter. Du liegst im Bett und kannst nicht schlafen, weil du weißt, dass es am nächsten Tag wieder eine Versammlung gibt, ohne dass du wirklich etwas machen kannst«, sagt Latsunas, der seit fünf Jahren seine KollegInnen vertritt, und diese Erfahrung selbst gemacht hat, als die Belegschaft der BAWAGP.S.K mit dem Plan eines massiven Personalabbaus konfrontiert wurde. Konkret soll das Unternehmen bis 2009 um 300 bis 400 Angestellte reduziert werden.
Grenzen der Betriebsratstätigkeit
Zwar ist es dem Betriebsratsteam bis dato gelungen, verschiedene Sozialpakete zu entwickeln und Kündigungen zu vermeiden, aber im Moment waren alle gleichermaßen schockiert: »Es ist emotional sehr belastend, wenn viele Menschen mit ihren Ängsten auf einen einstürmen und hohe Erwartungen haben. Tatsächlich kann man nicht alles regeln, die Welt nicht retten, man kann manchmal einfach nur da sein, mehr nicht - das muss man verarbeiten. Das ist ein Lernprozess«, zieht Latsunas eine bittere Bilanz über die Grenzen der Betriebsratstätigkeit: »Uns ist die Hilflosigkeit jedenfalls so an die Nieren gegangen, dass einige im Team sich mittels Supervision Unterstützung geholt haben.«
Zwar sei man durch die beiden Ausbildungskurse der GPA-djp gewerkschaftspolitisch bestens gerüstet, was aber fehle, meint er, sei psychologisches Werkzeug. »Ich persönlich hatte Glück und konnte mich mit einer Kollegin austauschen. So habe ich nicht alles nach Hause getragen, denn irgendwann will die Partnerin auch ihre Ruhe haben.«
Alle stehen unter Druck
Latsunas Befindlichkeit ist ein Beispiel von vielen. Und solche Krisen sind nur ein herausragender Aspekt und die Konsequenz einer sich rasant verändernden Arbeitswelt. Die Globalisierung bringt neue Management- und Produktionskonzepte, Flexibilisierung der Zeit, leistungsabhängige Entlohnung und anderes mehr. Das Klima ist härter geworden, es weht ein kalter Wind. In den Unternehmen zählen ausschließlich Zahlen und das, was messbar ist. Der Druck nimmt überall zu. Von den MitarbeiterInnen wird immer mehr verlangt, Zeit zum Durchschnaufen, wie früher, gibts keine mehr. Latsunas: »Wir als Betriebsratskörperschaft haben noch keine Lösung gefunden, diesen Druck von den Kollegen wegzunehmen. Auch die Führungskräfte stehen unter Druck und geben ihn weiter.«
Feuerwehr und Aufsichtsrat
Dementsprechend wandelt sich auch die Rolle des Betriebsrats. Immer öfter stehen ArbeitnehmervertreterInnen vor der Situation, schnell und effizient reagieren zu müssen: Bei einer Kündigung, aber auch bei Einstellungen müssen sie sich in kurzer Zeit, also in maximal sieben Tagen, umfassend Informationen beschaffen, mit allen Beteiligten sprechen, termingerecht eine Sitzung einberufen, relevante rechtliche Beschlüsse aufzeigen und auch formulieren.
Die Liste der Anforderungen wird immer länger: Sie müssen nicht nur Feuerwehr spielen, sie müssen unterschiedliche Interessen auf verschiedenen Ebenen vertreten - vom Aufsichtsrat über Gewerkschaft bis zur Arbeitnehmerbank. Sie sollten Allroundtalente sein, das heißt ansatzweise ArbeitsrechtlerInnen, ArbeitsmedizinerInnen, Betriebssoziologen/-soziologinnen, ProjektmanagerInnen, OrganisationsberaterInnen - um nur einiges zu nennen sein. Und sie müssen sich mit sogenannten weichen Fortbildungsinhalten anfreunden, die da sind: Konflikttraining, Themenbildung, Supervision und Coaching.
»Gleichzeitig ist es für ArbeiternehmervertreterInnen zunehmend schwierig, ihren betriebspolitischen Ort zu finden und eine angemessene Rollenidentität zu entwickeln«, schreibt Erhard Tietel in der Zeitschrift »Supervision« in seinem Artikel über »Betriebspolitik im Wandel: Betriebsräte als Grenzgänger«.
Ansturm an Erwartungen
Ähnlich skizziert auch ÖGB-Mobbingberaterin und Supervisorin Ilse Reichart die wachsende Belastung, die schon in der Funktion des Betriebsrates beginnt, der den Einzelnen betreuen soll und das Ganze nicht aus dem Auge verlieren darf. Und der eine Schnittstelle zwischen Belegschaft, Geschäftsführung und Gewerkschaft bildet. »Dies ergibt nicht zu unterschätzende Spannungs- und Konfliktfelder«, so Reichart.
Die psychische Anforderung, einem Ansturm an Erwartungen ausgesetzt zu sein, engagiert zu sein, helfen zu sollen, und unterm Strich nur wenig bewegen zu können, führt mitunter direkt in emotionale Erschöpfung bis zum Burn-out oder zu psychosomatischen Beschwerden - womöglich mit Endstation Herzinfarkt. In einem Fall beispielsweise erlitt ein Betriebsrat einen Hörsturz: »Ich konnte nichts hören« - kommentiert er heute die psychische Überforderung in einer angespannten betrieblichen Situation doppeldeutig.
Psychische Belastungen
Gestützt auf seine jahrelange Erfahrung hat Norbert Gulmo, Betriebsschlosser und Betriebsratsvorsitzender in einem großen deutschen Privatunternehmen, nebenbei ein Psychologiestudium abgeschlossen, seine Doktorarbeit den psychischen Belastungen und Bewältigungsmöglichkeiten von Arbeitnehmervertreterinnen gewidmet und jene Stressfaktoren, die gesundheitsschädlich und bei Betriebsräten verstärkt vorzufinden sind, herausgearbeitet.
Ganz oben auf der Liste der psychischen Belastungsproben befindet sich die »gedankliche Weiterbeschäftigung«. »Je intensiver diese ist, desto höher die Beeinträchtigung von Gesundheit und Befinden«, stellt er fest, weil dieses fortwährend »Im-Kreis-denken« auch dazu führt, dass die betroffenen Personen »häufiger und mehr Symptome an sich« selbst wahrnehmen. Als weitere schädigende Faktoren nennt Gulmo »Zeitdruck, soziale Stressoren und Unsicherheit«. Ein Triumvirat, das den Betriebsrat ins Out treiben kann, vor allem, wenn die zentrale Ressource »Vertrauen« und somit die soziale Unterstützung der Belegschaft zu wenig manifest ist. Damit wächst nämlich die Angst, in die »Verlustspirale« zu geraten - gemeint sind damit Vertrauensverlust und Verlust des Amtes und somit langfristig auch des Kündigungsschutzes. Gefürchtete oder eingetretene Verluste können zu emotionaler Erschöpfung führen - und das gar nicht so selten: Gulmos Untersuchung zufolge ist jedes 5. Betriebsratsmitglied davon betroffen, wobei Frauen stärken daran leiden und mehr psychosomatische Beschwerden aufweisen als Männer.
Sozialer Stress
Wie auch immer die BetriebsrätInnen ihre Aufgabe anpacken, so kristallisiert sich als Gemeinsamkeit und Fazit der Gulmo-Arbeit heraus: dass ArbeitnehmervertreterInnen einem »signifikant höheren sozialen Stress ausgesetzt sind, aber gleichzeitig weniger soziale Unterstützung« bekommen. Letztere gehört für Gulmo zu den wichtigsten Ressourcen eines Betriebsrats, einer Betriebsrätin.
Im Gegenteil, je größer die Verunsicherung der Belegschaft, desto schneller heißt es: »Der macht eh nix für uns«, meint Supervisorin Reichart. Umso mehr plädiert sie für Förderung von Zusammenarbeit der BetriebsrätInnen untereinander, für den Aufbau von Netzwerken, für Prävention und Prophylaxe. BetriebsrätInnen müssen vor allem wissen, wie man sich wofür am besten Hilfe holt. Denn viele fühlen sich in der veränderten Arbeitswelt allein gelassen mit ihrer sozialen Verantwortung, und übrig bleibt das Gefühl, hilflose HelferInnen zu sein, die den Anforderungen nicht mehr nachkommen können.
Im Abwehrkampf
»Wir BetriebsrätInnen von heute kennen die guten Zeiten, in denen InteressenvertreterInnen Rechte erstreiten konnten, bestenfalls vom Hörensagen: Wir führen nur noch einen Abwehrkampf«, sagt Latsunas. »Dabei ist ein Betriebsrat idealistisch und möchte die Welt verbessern. Aber wir kämpfen nicht mehr um soziale Errungenschaften wie in den Sechziger- und Siebzigerjahren, sondern versuchen mühsam, das Erreichte zu bewahren. In dieser Situation befinden sich alle sozial Denkenden in Europa. Trotzdem erringen wir immer wieder kleine Erfolge, und dann weiß man wieder, warum man sich das Ganze antut.«
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Die Gulmo-Untersuchung
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Die Zukunftsakademie der AK Oberösterreich richtet sich an Führungskräfte in Betriebsratskörperschaften, Gewerkschaften, ÖGB und AK. Für Freigestellte ist die Teilnahme empfehlenswert, sollte aber genau überlegt werden. Matis: »Die Geschäftsführung muss einverstanden sein. Schließlich ist man in der zweijährigen Ausbildungszeit etwa eine Woche pro Monat nicht im Betrieb.«
Fundierte Ausbildung
»Arbeitgeber lassen sich nicht gerne etwas wegnehmen«, meint Johann Matis: »Man braucht eine gute Ausbildung, damit man halbwegs auf gleicher Höhe ist und handeln kann.« Einen fundierten rechtlichen »background« liefert die Betriebsräteakademie (BrAk) in Wien, Niederösterreich und der Steiermark. In 14 Wochen werden in 460 Unterrichtseinheiten neben Arbeitsrecht, Wirtschaft und Politik auch soziale Kompetenz vermittelt. Johann Matis hat die Zeit auf der BrAk viel genutzt. Mehrere Jahre hindurch hat er den komplizierten Kollektivvertrag (KV) mit der Berufsvereinigung der Arbeitgeber für Gesundheit und Sozialberufe (BAGS) mitverhandelt. »Man kann unterschiedlicher Rechtsauffassung sein, aber man darf nichts in den Raum stellen, das nicht stimmt«, meint Matis.
Die Kompetenz, mitzuverhandeln und Entscheidungen zu treffen, kann auch auf der Sozialakademie (SOZAK) erworben werden. Die ehemalige Heimhilfe Michaela Guglberger war 2001 im zehnmonatigen Lehrgang im Karl-Weigl-Bildungsheim in Mödling. Heute verhandelt sie als vida-Bundesfachgruppensekretärin mit der BAGS einen KV, der rund 70.000 Personen betrifft.
Zur Ausbildung an ZAK, BrAk oder SOZAK werden die Teilnehmenden von den Einzelgewerkschaften nominiert. »Es werden hohe Ansprüche gestellt«, erklärt Sabine Letz, Geschäftsführerin des Verbands Österreichischer Gewerkschaftlicher Bildung (VÖGB): »Daher ist es wichtig, die Gewerkschaftsschule bzw. die notwendigen Basiskurse der jeweiligen Gewerkschaft absolviert zu haben.«
Voraussetzung Gewerkschaftsschule
Die Gewerkschaftsschule dauert zwei Jahre und steht allen Mitgliedern offen. Je nach Standort findet der Unterricht ein- oder zweimal pro Woche am Abend statt. Zusätzlich sind Wochenend- bzw. Samstag-Seminare verpflichtender Bestandteil des Lehrplans. Die Ausbildung beginnt im September und endet im Juni, unter Berücksichtigung der Schulferien.
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Die Zukunftsakademie der Arbeiterkammer Oberösterreich:
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Gewerkschaftsschule
Umfassende Basis-Ausbildung für GewerkschafterInnen.
Jedes Jahr im Herbst starten Abendlehrgänge in allen Bundesländern. Die Gewerkschaftsschule findet je nach Bundesland ein- bis zweimal wöchentlich statt und dauert zwei Jahre. Alle Mitglieder können daran teilnehmen.
Schwerpunkte Gewerkschaftsschule:
* Arbeits- und Sozialrecht, Politik,
* Betriebs- und Volkswirtschaft,
* Rhetorik und Kommunikation,
* Praktische Gewerkschaftsarbeit
Die AbsolventInnen erhalten ein Zertifikat. In manchen Bundesländern besteht auch die Möglichkeit, zusätzlich Prüfungen zu absolvieren.
BrAk - BetriebsrätInnenAkademie
Kompakte Vollzeit-Ausbildung für ArbeitnehmervertreterInnen.
Die BrAk findet in Wien, Hirschwang/NÖ und Graz/Stmk.statt, Hirschwang und Graz sind auch für TeilnehmerInnen aus anderen Bundesländern offen. Die TeilnehmerInnen der 14-wöchigen Ganztages-Ausbildung werden von den Gewerkschaften nominiert und durchlaufen ein Aufnahmeseminar.
Schwerpunkte BrAk:
* Arbeitsrecht, Politik,
* Betriebs- und Volkswirtschaft,
* Praktische Betriebsarbeit, Kommunikation
Am Ende des Lehrgangs stehen Wissensüberprüfungen.
SOZAK - Sozialakademie
Vertiefende Vollzeit-Ausbildung für ArbeitnehmervertreterInnen.
Die Sozialakademie erstreckt sich als durchgehende Vollzeit-Ausbildung über zehn Monate. Die Auswahl der TeilnehmerInnen für den Lehrgang in Mödling/NÖ erfolgt mittels Nominierung durch die Gewerkschaften und einem Aufnahmeseminar.
Schwerpunkte Sozialakademie:
* Recht, Wirtschaft, Soziales,
* Nationale und internationale Politik/Gewerkschaftspolitik,
* Soziale Kompetenz, Kommunikation, Projektarbeiten, Political English
Nach erfolgreich abgeschlossenen Prüfungen und Projektarbeiten wird ein Abschlusszertifikat an die AbsolventInnen überreicht.
ZAK - Zukunftsakademie
Berufsbegleitende Spezialausbildung für Führungskräfte.
Die Zukunftsakademie umfasst 72 Ausbildungstage auf vier Semester verteilt. Sie ist ein berufs- bzw. funktionsbegleitender Lehrgang für erfahrene ArbeitnehmervertreterInnen, die bereits über eine gewerkschaftliche Ausbildung verfügen. BewerberInnen werden von den Gewerkschaften nominiert und nach einem Aufnahmeseminar ausgewählt. Die ZAK findet in Linz/OÖ statt.
Schwerpunkte ZAK:
*Organisationstheorie und -entwicklung,
* Führungsmodelle und -theorien,
*Kommunikation und Konflikt in Training und Theorie,
* Projekt- und Veränderungsmanagement,
* Marketing und Herstellung von Öffentlichkeit,
* Sozial- und Gesellschaftstheorie,
* Gewerkschaftssoziologie
Mit dem Abschlusszertifikat der Zukunftsakademie erwirbt man gleichzeitig die Zugangsberechtigung zum Projektstudium - einem speziellen sozialwissenschaftlichen Studium mit akademischem Abschluss.
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Bis vor einigen Jahren war die Aufgabenteilung klar. Die ArbeitgeberInnen schafften den ArbeitnehmerInnen Arbeit an und diese wurde erledigt. Kam es dabei zu Missverständnissen oder Schwierigkeiten, war der Betriebsrat als »Retter in der Not« zur Stelle und vermittelte zwischen Unternehmensführung und Arbeitnehmerschaft. Auf dem Weg von der Industrie- in die Dienstleistungsgesellschaft hat sich die Rolle der Beschäftigten von weisungsabhängigen BefehlsempfängerInnen zu selbstständigen TeamarbeiterInnen gewandelt. Früher kümmerte sich der Betriebsrat um alle, heute soll er sich um jede/n Einzelne/n kümmern. Die Anliegen der ArbeitnehmerInnen sind von Betrieb zu Betrieb, von Abteilung zu Abteilung, ja sogar von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz höchst unterschiedlich.
Veränderte Arbeitswelt
Das ArbVG trat am 1. Juli 1974 in Kraft und wurde seither nicht mehr wesentlich verändert. Die Arbeitswelt hat sich aber umso mehr gewandelt. Wir verstehen darunter wirtschaftliche Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit still und heimlich eingestellt haben, oft auch übersehen oder nicht wahrgenommen wurden. Beispiele sind Globalisierung, neue Kommunikationstechnologien, Weiterbildung, geänderte Betriebsformen, Outsourcing, Restrukturierungen, Leasing-MitarbeiterInnen, Übertragen der Kosten- und Gewinnverantwortung auf die Beschäftigten, individualisierte Belegschaft, übergeordnete Betriebsratsgremien und noch vieles mehr.
Globalisierung geht alle an
Freilich meint man oft, dass die Globalisierung nur die »Big Player« betrifft und dieses Schlagwort für heimische Klein- und Mittelbetriebe wenig Bedeutung hat. Doch Preisdruck, Produktionskosten, Qualitätsanforderungen und Expansionen bzw. Fusionen stehen damit in Zusammenhang. Somit sind längst so gut wie alle Unternehmungen davon betroffen. Eine hohe Fluktuation bei Eigentümern und Geschäftsführern macht es in der Betriebsratsarbeit schier unmöglich, längerfristige Vorhaben zu verfolgen, da man sich ständig an neue Charaktere und Strategien gewöhnen muss.
Geringer Handlungsspielraum
Ein geringerer Handlungsspielraum lässt sich zum Teil auf die verschärften Konkurrenzverhältnisse innerhalb einer oder mehrerer Branchen zurückführen. BetriebsrätInnen bekommen immer öfter als Antwort auf ihre Forderungen, dass dafür kein Geld zur Verfügung stünde oder sie nicht umsetzbar wären. Und doch wäre vieles möglich, um den arbeitenden Menschen ein angenehmes Arbeiten und ausreichend Freizeit zu ermöglichen. Betriebsklima und MitarbeiterInnenzufriedenheit könnten verbessert, und gleichzeitig Fehlzeiten durch Krankenstände verringert werden. Oft ist der Betriebsrat auf sich allein und im Härtefall auch aufs Abstellgleis gestellt. Wahnwitzige Spekulationen und enorme Gewinnerwartungen sind für die betriebliche Interessenvertretung ebenso schädlich wie der »große Ausverkauf« staatlicher Unternehmen in den vergangenen Jahren, deren Verkäufe in sozialer wie wirtschaftlicher Hinsicht oft nicht nachvollziehbar sind.
Immer öfter werden innerbetriebliche Wertschöpfungsketten oder sogenannte »Business Units« geschaffen. Eine solche Aufteilung eines Unternehmens in viele Einzelunternehmen ist eigentlich schon pervers. Das Unternehmerrisiko wird auf BereichsleiterInnen abgewälzt. Der interne Konkurrenzdruck, besser als die anderen Abteilungen dazustehen, wächst. Nicht nur in Österreich wirken sich wechselnde Umfeldbedingungen für ein Unternehmen auf sehr viele andere Unternehmen aus (Zulieferer, Konkurrenz usw.). Somit ergibt sich eine Art Billardkugel-Effekt. Betroffen sind aber immer ArbeitnehmerInnen, und deren Interessen werden vom Betriebsrat vertreten.
Atypische Beschäftigung
Atypische Beschäftigungsformen nehmen zu. Der Trend geht weg von der »sicheren« klassischen Beschäftigung zu freien DienstnehmerInnen und ähnlichem. Diese neuen Beschäftigten sind also keine BefehlsempfängerInnen mehr, sondern eigenverantwortliche und selbstbestimmte »ManagerInnen«.
Das macht es aber notwendig, die Betriebsratsarbeit neu auszurichten. Der bzw. die Vorsitzende kann nicht mehr sozusagen im »Alleingang« den Betriebsrat nach außen wie nach innen vertreten. Aufgrund der Erweiterungen des Aufgaben- bzw. Zuständigkeitsbereiches ist es wichtig, dass die Betriebsratskörperschaft als Team an einem Strang zieht - und zwar jede/r Einzelne an jener Stelle, an der er/sie am effizientesten und besten ist. So könnte z. B. jemand aus der Buchhaltung für den Betriebsratsfonds zuständig sein, ein Organisationstalent sich um Veranstaltungen kümmern etc. Am besten wäre, aus jedem Bereich des Unternehmens ein Mitglied ins Boot zu holen, um so die gesamte Belegschaft zu erreichen.
Für Betriebsräte ergibt sich ein ganz neues Bild der betrieblichen Interessenvertretung. Konnte man früher gemeinsam etwas durchsetzen, was offensichtlich allen zugute kam, muss der Betriebsrat heute oft ArbeitnehmerInnen vor sich selbst schützen. Wenn sie z. B. zu viele Überstunden leisten. Das bringt zwar mehr Geld, birgt aber auch das Risiko von Burn-out. Die Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen muss mit Arbeitszeitmodellen oder ähnlichem auf dieses Gleichgewicht achten. Dabei geht es nicht um Bevormundung, sondern vielmehr um Schutz.
Starker Wandel
Die betriebliche Interessenvertretung hat sich stark gewandelt. Die veränderten Rahmenbedingungen in der Wirtschaft wirken sich auf die Unternehmungen aus. Sie hinterlassen für ArbeitnehmerInnen und BetriebsrätInnen spürbare Wirkung. Ein neues Rollenbild für BetriebsrätInnen entsteht und muss entstehen.
Diese neue Situation für die Belegschaftsvertretung nahmen wir zum Anlass, und luden am 10. Juni 2008 zu einer Diskussion in der Sozialakademie. Unter dem Titel »betriebsRATLOS« sprachen Wilhelm Haberzettl (Gewerkschaft vida), Barbara Budweis (Manpower), Werner Luksch (Mobilkom), Ingrid Stipanovsky (Novartis), Georg Michenthaler (IFES) und Marco Samhaber (Sozialakademie) über ihre Erfahrungen sowie die Aufgaben und Visionen der Betriebsratarbeit. Diese Veranstaltung wurde mitgefilmt und in einen etwa halbstündigen Mitschnitt auf DVD verwandelt.
Die Schlüsse
Die wichtigsten Ergebnisse unserer Projektarbeit und der Diskussion: Um der Zeit und den Bedürfnissen angemessene Betriebsratsarbeit zu leisten ist es wichtig, das Unternehmen und dessen Kultur genau zu kennen, Erfahrungen zu sammeln und auch eine fundierte und hochkarätige Ausbildung zu haben. Hierfür gibt es in der Gewerkschaftsbewegung zahlreiche Möglichkeiten. So zum Beispiel die Gewerkschaftsschulen, BetriebsrätInnenakademie, Zukunftsakademie und Sozialakademie. Aufgrund eigener Erfahrung kann unser Projektteam nur bestätigen, wie hervorragend und wichtig eine fundierte und weit gefächerte Ausbildung ist, wie wir sie auf der Sozak in Mödling genießen durften. Dafür soll und muss Geld und Arbeit investiert werden, um den dort vorhandenen hohen Standard zu wahren und auszubauen. Wo wenn nicht dort werden BetriebsrätInnen auf allerhöchstem Niveau auf die Zukunft vorbereitet?!
INFO&NEWS
Die DVD zur Diskussion »betriebsRATLOS« erhalten Sie bei
manuel.lehner@gpa-djp.at
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Unterschiedliche Rechtsgrundlagen
Was für Unternehmen und freie Berufe kaum in Zweifel gezogen wird, gilt auch für die Vertretung von ArbeitnehmerInneninteressen: Ein erfolgreiches Zusammenwirken von freiwilliger und gesetzlicher Interessenvertretung ist möglich und verstärkt das Gewicht gegenüber dem Staat und den Verhandlungspartnern in der Wirtschaft. Gerade die Unterschiedlichkeit von privaten Verbänden und Selbstverwaltungskörpern bewirkt, dass nicht Doppelgleisigkeit, sondern ein »Verstärkereffekt« erreicht wird: In privaten Verbänden - wie politischen Parteien, dem ÖGB oder der Industriellenvereinigung - schließen sich BürgerInnen eines Landes mit gemeinsamen Interessen freiwillig zusammen. Ihre Rechtsgrundlage ist die Vereinsfreiheit, die in unserer demokratischen Verfassung als Grundrecht verankert ist. In Selbstverwaltungskörpern (wie Gemeinden, Kammern oder Sozialversicherungsträgern) sind alle BürgerInnen zusammengefasst, die ihnen der Staat entsprechend ihren Aufgaben zuordnet.
Aus einem privaten Verband kann man austreten, wenn man sich nicht mehr mit dessen Zielen identifiziert. Einem gesetzlich eingerichteten Selbstverwaltungskörper gehört man dagegen so lange an, solang man die Voraussetzungen dafür erfüllt - also zum Beispiel in der Gemeinde X lebt oder ArbeitnehmerIn ist.
Gemeinsame Interessen
Mit welchem Ziel sich BürgerInnen in privaten Verbänden zusammenschließen, ist allein ihre freie Entscheidung; der Staat darf sich nicht einmischen. Es besteht nur die Verpflichtung, das Gemeinwohl gemäß den Gesetzen zu respektieren. Der Staat hat nur öffentliche Interessen zu verfolgen. Seine Aufgabe ist es, das Gemeinwohl zu verwirklichen, das gilt auch für die von ihm eingerichteten Selbstverwaltungskörper. Sie haben die Aufgabe, »die möglicherweise widerstreitenden Interessen ihrer Mitglieder im internen Bereich aufeinander abzustimmen und nach außen hin in allen Angelegenheiten eine gemeinsame Stellungnahme zu beziehen« (Karl Korinek, der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofs). Es sind diese gemeinsamen Interessen, die sie gegenüber dem Staat und anderen Interessengruppen zu vertreten haben. Der Österreichische Gewerkschaftsbund und seine Gewerkschaften einerseits und die Arbeiterkammern andererseits haben nicht nur unterschiedliche Rechtsgrundlagen und damit verschiedene Aufgabenschwerpunkte, ihnen stehen auch unterschiedliche Mittel für die Durchsetzung von ArbeitnehmerInneninteressen zur Verfügung.
Ferdinand Hanusch, Gewerkschafter, Sozialminister und dann erster Direktor der AK in Wien, formulierte die Aufgabenteilung 1920: »Die Kammern können und werden die Gewerkschaften nicht ersetzen, das ist nicht ihre Aufgabe; was sie aber können ist, den Gewerkschaften das geistige Rüstzeug für den täglichen Kampf zu schaffen, wie es die Handels- und Gewerbekammern für die Unternehmerklasse besorgen.« Diese Aufgabenteilung ist unverändert aktuell.
Karl Maisel, Sozialminister von 1945 bis 1956 und dann bis 1964 AK-Präsident machte außerdem auf die unterschiedlichen Spielräume der beiden ArbeitnehmerInnenorganisationen aufmerksam: »Als gesetzlich festgelegte Interessenvertretungen haben sie (die Arbeiterkammern) weder die Befugnis noch die Möglichkeit, soziale Kämpfe auszutragen, etwa einen Streik auszurufen. Das ist und bleibt ureigenste Angelegenheit der Gewerkschaften und kann von Arbeiterkammern nicht besorgt werden.«
Zusammenarbeit bewährte Praxis
Die Zusammenarbeit von ÖGB und AK war von Anfang an bewährte und selbstverständliche Praxis. Im Paragraph 6 des AK-Gesetzes wurde dafür 1992 erstmals auch eine gesetzliche Grundlage geschaffen. Dort heißt es: »Die Arbeiterkammern sind berufen, die kollektivvertragsfähigen freiwilligen Berufsvereinigungen (= Gewerkschaften und ÖGB) und die Organe der betrieblichen Interessenvertretung zu beraten sowie zur Förderung der sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer zu unterstützen und mit ihnen zusammenzuarbeiten.«
Weil die Arbeiterkammern ein Teil der österreichischen Gewerkschaftsbewegung sind, ist es selbstverständlich, dass GewerkschafterInnen bei den AK-Wahlen kandidieren und als gewählte KammerrätInnen in den AK-Vollversammlungen vertreten sind. Damit ist die Zusammenarbeit von AK und ÖGB in die demokratische Kontrolle eingebunden.
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Kettenreaktion
Was mit Zahlungsausfällen im amerikanischen Subprime-Hypothekensektor seinen Anfang nahm, wirkt in Schockwellen um den gesamten Globus. Längst sind Russland und weite Teile Asiens involviert. Wie so oft in Zeiten wachsender wirtschaftlicher Instabilität werden große Mengen an Kapital aus den Schwellenländern abgezogen. Obwohl in keiner Weise an den Ursachen des Konjunkturabschwungs beteiligt, werden die Menschen in den betroffenen Gebieten einmal mehr zu Leidtragenden.
In den USA und in Europa schwächt die Krise zunehmend bislang solide Institute, außerhalb des Bankensektors geraten aufgrund der rigider werdenden Kreditvergabe immer mehr Industriebetriebe unter Druck. Mit den Worten »Millionen Amerikaner könnten ihren Arbeitsplatz verlieren«, warb Präsident Bush in einem dramatischen Appell für das rund 700 Milliarden Dollar schwere Rettungspaket der US-Regierung. Der Chef des Internationalen Währungsfonds warnt vor einem langfristigen Abschwung der Weltwirtschaft, der deutsche Finanzminister erwartet »überaus negative Auswirkungen« auf die Konjunktur und die Entwicklung am Arbeitsmarkt. Von den USA über Europa bis Asien werden die Wachstumsprognosen nach unten korrigiert, eine weltweite Rezession wird immer wahrscheinlicher.
Lange Zeit wurde die Krise massiv unterschätzt, erst im Verlauf des Sommers mehrten sich die Stimmen, die vor massiven Folgen für die Weltwirtschaft warnten, Vergleiche mit der Depression der 30er Jahre wurden laut.
Diejenigen, die stets die Effizienz liberalisierter Märkte gepredigt haben, sind kleinlaut geworden. Statt auf die »unsichtbare Hand« vertrauen angesichts der Situation auf den Finanzmärkten selbst eingefleischte Börsianer lieber auf die schützende Hand des Staates. Hier zeigt sich ein altbewährtes Muster: Verluste aus den Spekulationsgeschäften sollen von der Allgemeinheit aufgefangen werden, die zuvor eingefahrenen Gewinne bleiben in privaten Taschen.
Krise im System
Kaum einmal drei Jahre vergingen seit der Liberalisierung der Finanzmärkte und der Freigabe des internationalen Kapitalverkehrs ohne gröbere Krise. In der Vergangenheit forderte der globale Kapitalmarkt dabei seine Opfer vorrangig an der Peripherie. Neu ist, dass das Epizentrum des Crash direkt an der Wall Street liegt.
Die Logik der Finanzmärkte, die kurzfristige Jagd nach hohen Renditen, gab in den letzten 30 Jahren zunehmend die Rahmenbedingungen für Politik, Gesellschaft und Wirtschaft vor. Der völlig freie Kapitalverkehr erwies sich dabei als hervorragendes Instrument, die Interessen der Konzerne und Kapitaleigner durchzusetzen.
Die Drohung mit Arbeitsplatzverlagerung machte die Nationalstaaten erpressbar. Der »Standortwettbewerb« wird zum einen via Steuerwettbewerb ausgetragen, im Bereich der Unternehmensbesteuerung wurde innerhalb der EU ein regelrechter Dumpingwettbewerb entfacht. Zum anderen putzen sich die Standorte heraus, um für die Vermögen attraktiv zu sein. Das bedeutet in aller Regel: hohe Zinsen, kaum Steuern auf Vermögen, ein schlanker Staatshaushalt und nicht zuletzt Zurückhaltung bei den Löhnen. Einer relativ kleinen Gruppe gelang es so, immer größere Vermögen anzuhäufen, während die Reallöhne der großen Mehrheit stagnierten oder gar rückläufig waren.
Radikaler Umbau notwendig
Verantwortlich für diese Entwicklungen ist die Politik der Deregulierung seit den 1970er Jahren. Es liegt in der Hand der politischen Entscheidungsträger, die Spielregeln erneut zu ändern und effektive Regulierungen umzusetzen. Die Vorschläge dafür liegen längst auf dem Tisch.
Der Ruf nach Kontrolle der Finanzmärkte stand am Beginn von Attac. Seit Jahren fordern Globalisierungskritiker und Ökonomen außerhalb des Mainstreams die Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen. Damit soll die Spekulation eingedämmt und die Kurzfristorientierung der Märkte verringert werden. Globalisierte Finanzmärkte brauchen globale politische Regulierung. Ebenso alt wie dringlich ist daher die Forderung nach Einrichtung einer internationalen Aufsichtsbehörde. In den vergangenen Jahrzehnten wurden Finanzgeschäfte zunehmend außerhalb der Reichweite nationaler Bankenaufsichten abgewickelt.
Schritt zur Stabilisierung
Die Schließung dieser »rechtsfreien« Zonen bzw. wirtschaftliche Sanktionen gegen Steueroasen wären ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung des internationalen Finanzsystems. Banken und Fonds müssen wieder wirkungsvoll reguliert, Finanzprodukte (etwa Derivate), ähnlich wie Medikamente, einer Zulassungspflicht unterworfen werden - unabhängige, öffentliche Rating-Agenturen könnten diese Aufgabe übernehmen. Kapitalanlagegesellschaften (Hegde- und Private-Equity-Fonds) sollten EU-weit einheitlich geregelt werden, sie sollten für ihre Spekulationsgeschäfte keine Kredite erhalten dürfen. Das Verursacher-Prinzip muss auch auf Schäden, die durch die Finanzmarktakteure ausgelöst werden, ausgedehnt werden.
Die Dominanz der Finanzmärkte, die Herausbildung immer größerer Spekulationsblasen sind auch das Ergebnis jahrzehntelanger Ungleichverteilung. Während das explodierende Kapital auf der Suche nach immer wahnwitzigeren Renditen immer wahnwitzigere Risiken einging, fehlen ebendiese Gelder für reale Investitionen, für Ausgaben in Bildung, Gesundheit und Infrastruktur. Demokratische Politik darf sich nicht länger von den Finanzmärkten die Regeln diktieren lassen, sondern muss selbst den Rahmen vorgeben. Die Finanzmärkte müssen auf ihre eigentliche Aufgabe, die Finanzierung der Realwirtschaft, zurückgeführt werden. Leider zielen die bisherigen Vorschläge auf internationaler und EU-Ebene vorrangig auf Schadensbegrenzung. Ob eine wirklich substanzielle Veränderung in der Architektur der internationalen Finanzmärkte erreicht werden kann, wird freilich auch vom öffentlichen Druck von uns allen abhängen. Argumentationshilfe dafür bietet das neue Buch von Attac Östereich »Crash statt Cash - Warum wir die globalen Finanzmärkte bändigen müssen.«
Alternativen für stabile Finanzmärkte
Beginnend mit einer Analyse der historischen Entwicklung, zeigt das Buch die zunehmende Verselbstständigung der Finanzmärkte seit der Liberalisierung und die Mechanismen, über die Finanzmärkte zur zunehmenden sozialen Ungleichheit und zur wirtschaftlichen Ineffizienz beitragen. Die einzelnen Beiträge beleuchten die Rolle mächtiger Fonds und die Machtverschiebung zugunsten der Aktienbesitzer (Shareholder) sowie die Folgen und Risiken der Verlagerung der öffentlichen Pensionssysteme auf die Finanzmärkte. Anhand der »Mechanik der aktuellen Immobilienkrise« wird deutlich, dass Krisen ein integraler Bestandteil deregulierter Finanzmärkte sind und einem gemeinsamen Grundmuster folgen.
Der letzte Abschnitt widmet sich ausführlich den Alternativen. Neben einer Palette von Vorschlägen zur Re-Regulierung werden auch notwendige Maßnahmen im Bereich der Steuerpolitik und der gesamtgesellschaftlichen Umverteilung benannt. Keine der vorgeschlagenen Maßnahmen ist das Wundermittel, das die Lösung aller Probleme verspricht, aber jede für sich ist ein Schritt zu einer wirtschaftlich effizienteren und sozial gerechteren Gestaltung der Finanzmärkte.
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Auf den Begriff Organizing besteht kein Copyright. In der wörtlichen Übersetzung bedeutet er nichts anderes als Organisierung. Nicht überall, wo Organizing draufsteht, ist auch Organizing drin. Hier sollen die Grundzüge jenes Organizingmodells skizziert werden, welches in den USA vor allem von den Gewerkschaften SEIU und UNITE-HERE entwickelt wurde. Die bisherigen Organizingprojekte von ver.di und IG BAU sowie das Organizingkonzept der IG Metall beziehen sich auf dieses Modell.
Organisierung weißer Flecken
Das von den US-amerikanischen Gewerkschaften konzipierte Organizing enthält einige grundlegende Kernelemente. Diese sind geprägt von gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die in den USA für Gewerkschaften tendenziell ungünstiger sind als in Europa. In der Regel bedeutet Organizing die Organisierung von weißen Flecken, Unternehmen, in denen es keine gewerkschaftliche Repräsentanz oder Betriebsräte gibt. Folglich verbietet sich eine schematische Übernahme. Organizingstrategien in Europa müssen spezifischen nationalen Bedingungen sowie den zu organisierenden Branchen angepasst werden.
Da in den USA eine umsatzstarke Union-Busting-Branche1 existiert, die Hunderte von Millionen US-Dollar jährlich umsetzt, müssen die Gewerkschaften mit starker Gegenwehr der Kapitalseite rechnen. Daraus resultiert eine Orientierung auf ein ausgeklügeltes und systematisches Organizing, welches im ersten Schritt eine gründliche Recherche der Unternehmen vornimmt. Diese Vorgehensweise eignet sich auch für den Kontext in der BRD. Ziel ist es, ein Relationsnetz der Beziehungen und Verflechtungen des zu organisierenden Unternehmens in Wirtschaft und Gesellschaft zu erstellen. In kurzer Zeit erschließen sich den OrganizerInnen so neuralgische Punkte, an denen das Unternehmen gepackt werden kann. Ein Beispiel: Behindert eine Reinigungsfirma eine Betriebsratswahl, kann in der Recherche festgestellt werden, dass das Unternehmen stark von Aufträgen der Kommunen abhängig ist. Hier ist politischer Druck möglich. Eine solch offensichtliche Relation lässt sich leicht erkennen, auch ohne ausgefeilte Organizingtechnik. Ihre wahre Stärke stellt die Unternehmensrecherche bei komplizierteren Verflechtungen unter Beweis, die unter normalen Umständen auch erfahrenen GewerkschafterInnen kaum in den Blick gekommen wären.
Kommunikation und Themenfindung
GewerkschafterInnen agitieren (was in vielen Fällen sehr O. K. ist) - OrganizerInnen hören zu. Kommunikation ist das wichtigste Kernelement des Organizingansatzes. Organizer suchen die Themen der Beschäftigten. Diese sind in der Regel betriebsbezogen. GewerkschafterInnen, die den Anspruch haben Belegschaften in überbetriebliche Auseinandersetzungen (z. B. Flächentarif) und gesellschaftspolitische Kämpfe zu führen, sollten vorab unter Beweis stellen, dass sie mit den KollegInnen im Betrieb zur erfolgreichen Problembearbeitung fähig sind. Durch diese entsteht jenes Selbstbewusstsein und Vertrauen, auf welches die Gewerkschaften bei den notwendigen politischen Mobilisierungen gegen Kapital und Politik zwingend angewiesen sind. Gewerkschaften, die in den Betrieben als schwach oder unglaubwürdig gelten, wird dieses nicht gelingen.
OrganizerInnen agieren nicht für die Lohnabhängigen, sondern mit ihnen. Gemeinsam mit den betroffenen KollegInnen werden Probleme identifiziert, analysiert und Lösungswege erarbeitet. Ziel ist, dass möglichst viele Beschäftigte gemeinsam aktiv werden. Ist das Vorgehen von Erfolg gekrönt, ist es der Erfolg aller Beteiligten. Geht der Schuss nach hinten los, gilt dies auch. Ärgern sich KollegInnen über Verlauf oder Ausgang einer Kampagne, dann lässt sich schwerlich über die Gewerkschaft schimpfen. Denn die Gewerkschaft, das sind in diesem Modell die KollegInnen selbst. Diese Erfahrung machen auch Noch-icht-Mitglieder, welche bei vielen Organizingkampagnen bewusst mit einbezogen werden. Wichtig sind in diesem Zusammenhang niedrigschwellige Beteiligungsmöglichkeiten. Organisierte wie unorganisierte KollegInnen lernen durch diese, aktiv und erfolgreich zu sein. Schritt für Schritt wächst so das Selbstbewusstsein und die Beteiligten werden mutiger und entschlossener. KollegInnen in Betrieben, in denen Gewerkschaften nicht interventionsfähig sind, können sich mit dieser Methode zu streikbereiten Belegschaften entwickeln.
Organizing fragt: Was ist der Konflikt? Ohne Konflikt kein Organizing. Und: Wer ist der Gegner? Ohne klar definierte Gegner kein Organizing. Und: Was ist das Ziel? Ohne konkretes Ziel kein Organizing. Im Ergebnis geht es darum, ein klares, erreichbares und messbares Ziel durchzusetzen. Druck zur Durchsetzung dieses Zieles wird oft durch direkte Aktion erzeugt. Darüber hinaus sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Kampagnenplanung
Neben der Aktivierung der betroffenen KollegInnen werden oft Bündnisse mit Dritten angestrebt. Die so erarbeiteten Interventionsmöglichkeiten, im Betrieb und ggf. auch außerhalb, bilden die nach und nach sichtbar werdenden Säulen, um die herum eine sorgfältig geplante Kampagne konzipiert ist. Alle Züge bis zum Matt des Gegners werden vor dem Start der öffentlich sichtbaren Kampagne geplant. Konkret eingeplante Zwischenziele ermöglichen Erfolgserlebnisse, die motivieren und die Basis der Aktivisten systematisch erweitern. Dies gelingt auch deshalb, weil OrganizerInnen wissen, wie wichtig es ist die Erfolge mit den KollegInnen ausgiebig zu feiern! Erfolgreiches Organizing lebt von Begeisterung und ist Gewerkschaftsarbeit, die Spaß macht.
Wenn das Ende der Kampagne erreicht ist, haben die KollegInnen und die beteiligten OrganizerInnen ihr Ziel erreicht. Was bleibt, ist eine selbstbewusstere und zukünftig interventionsfähige Belegschaft. Diese hat eine plastische Vorstellung vom real existierenden Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit bekommen. Und das Gefühl dafür, dass dieser auch erfolgreich bearbeitet werden kann. Im organisierten Betrieb ist eine gewerkschaftliche AktivistInnenstruktur entstanden, die von ihrer Gewerkschaft Unterstützung und Koordination einfordert, aber deutlich weniger Stellvertreterpolitik erwartet. Diese gewerkschaftlichen Aktiven haben eine Politisierung erlebt, die, das zeigen die bisherigen Erfahrungen in der BRD, auch zu einer verstärkten Beteiligung an überbetrieblichen und gesellschaftspolitischen Kampagnen der Gewerkschaften führen. Ach ja - normalerweise steigt der gewerkschaftliche Organisationsgrad im so organisierten Betrieb signifikant an. Das lässt sich in so einem Organizingprozess aber auch kaum vermeiden.
1 Union Buster, das sind Firmen die mit einer Vielzahl von Strategien gewerkschaftliche Organisierung in Betrieben zu verhindern helfen. Auch in der BRD finden sich zunehmend Unternehmen, die nach diesem Vorbild extrem gewerkschaftsfeindlich agieren.
]]>Um sechs Uhr früh stehe ich auf, ziehe mir - seit kurzem wieder - Laufgewand und -schuhe an und laufe locker etwa eine Stunde. Dann geht es unter die Dusche. Zwischen halb acht und acht Uhr verlasse ich meine Wohnung in Schwechat.
Der heutige Arbeitstag beginnt um neun Uhr mit einem Willkommensgespräch mit einem neuen Kollegen. Die Personalvertretung lädt seit ca. einem Jahr neue MitarbeiterInnen ein und stellt die Personalvertretung mobilkom austria, AK und Gewerkschaft und ihre Leistungen vor. Heute dauert dieses Gespräch ein bisschen länger als eine Stunde.
Im Anschluss schaut noch ein ehrenamtlicher Personalvertreter bei mir vorbei, der dringend Rat braucht. Für diese engagierten KollegInnen ist es sehr wichtig, dass wir sie mit ihren Fragen nicht allein lassen. Hätte ich keine Zeit gehabt, hätte ein anderer freigestellter Personalvertreter weitergeholfen. Zwischendurch verschicke ich unseren Newsletter - in meinem E-Mail-Verteiler finden sich nicht nur KollegInnen, sondern auch interessierte Menschen aus meinem Netzwerk. Seit fast zehn Jahren beginnen wir jede Aussendung mit dem Satz »Unterstütze dich selbst, indem du deine Personalvertretung unterstützt.« Die KollegInnen verstehen diese Botschaft.
11.00 Uhr
Jetzt ist es allerhöchste Zeit für den erweiterten Zentralausschuss. Dort treffen sich fünf freigestellte PersonalvertreterInnen, der Geschäftsführer mobilkom sozial, eine Assistentin und je nach Anlass eine bzw. einer der nicht freigestellten PersonalvertreterInnen. Regelmäßige interne Besprechungen sind besonders wichtig und gehören zu meinem Alltag. Bei dieser Besprechung werden Termine, das wöchentlich mitgeführte Arbeitspapier über offene bzw. neue Aufgaben, Berichte über Veranstaltungen und Neuigkeiten besprochen sowie die Aufgaben an die Verantwortlichen verteilt. Einen großen Teil unseres Erfolges in der Personalvertretung macht das Freigestellten-Team aus. So übernimmt mein Stellvertreter Alexander Weimann, wenn ich abwesend bin. Zentralausschuss-Mitglied Renate Richter ist erst seit kurzem freigestellt. Sie betreut den Bereich Familie und Frauen. Derzeit absolviert sie die Betriebsräteakademie (BrAk) von AK und ÖGB. Waldemar Doroszewicz ist unser Rechtsspezialist. Gerhard Bayer ist für den größten Bereich in der mobilkom - den Vertrauenspersonenausschuss (VPA) Wien, Niederösterreich und Burgenland und damit für ca. 2.300 KollegInnen - zuständig. Milan Petrovic, sein Stellvertreter, springt überall ein, wo Not am Mann ist. Adrian Wurm ist Geschäftsführer von mobilkom sozial, dem gemeinsam mit dem Management gegründeten Personalvertretungsfonds.
Meine Aufgaben sind die Führung und Organisation der Personalvertretung; wenn es um mehr als einen VPA-Bereich geht, bin ich offizieller Sprecher. Um 13 Uhr freuen wir uns auf das gemeinsame Mittagessen in der Kantine. Am Nachmittag haben der Arbeitszeitthemenverantwortliche in der Personalvertretung und ich einen Termin mit dem Bereichsleiter HR (= Personalabteilung) und seinem Assistenten. Thema ist ein neues Arbeitszeitmodell für eine Gruppe.
Dann folgt ein MitarbeiterInnenfördergespräch mit einer Assistentin. Solche Gespräche führe ich mit AssistentInnen und freigestellten PersonalvertreterInnen dreimal im Jahr - es besteht aus Rückblick, Standortbestimmung und Vorschau aus beider Sicht. Wir vereinbaren dabei weitere Schritte und Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen.
Die AssistentInnen spielen in unserem Personalvertretungsteam eine wichtige Rolle. Sie betreuen die 3.000 KollegInnen. Dabei beantworten sie Fragen zu unseren vielen Einkaufsvergünstigungen, organisieren Termine zu unseren Angeboten am Arbeitsplatz und noch vieles mehr. Die ehrenamtlichen und die freigestellten PersonalvertreterInnen decken die große Anzahl an arbeitsrechtlichen Anfragen ab, die wir mit Unterstützung der ExpertInnen der AK und Gewerkschaft alle beantworten. Wir sind ein sehr gut eingespieltes Team.
Auf das zweistündige Fördergespräch folgt ein Termin mit einem Politiker. Das ist einer von vielen wichtigen Netzwerk-Terminen. Mein Netzwerk besteht aus KollegInnen im Unternehmen, PolitikerInnen, JournalistInnen und ArbeitnehmervertreterInnen sowie AK, Gewerkschaften und vielen anderen BetriebsrätInnen. Ganz besonders freue ich mich über unsere gute Zusammenarbeit mit anderen BetriebsrätInnen in der Telekommunikationsbranche. So eine gute Zusammenarbeit würde ich mir mit einigen Personalvertretern im eigenen Konzern wünschen.
16.15 Uhr
Weil ich ein wenig früher dran bin, bearbeite ich noch Mails übers Handy. So bleibe ich am Laufenden und kann sofort reagieren. Dann kommt mein Gesprächspartner. »Ausverkauf nicht mit uns« ist unser Thema. Wir setzen uns dafür ein, ein wichtiges Infrastrukturunternehmen wie die Telekom mit einer Sperrminorität von mindestens 25 Prozent und einer Aktie in Staatsbesitz zu erhalten. Unternehmensanteilsverkäufe bergen die Gefahr von Abwanderung und damit vom Verlust inländischer Wertschöpfung bzw. von Arbeitsplätzen. Durch Privatisierungen entledigt sich der Staat wirtschaftspolitischer Gestaltungsmöglichkeiten und setzt die Zukunft kommender Generationen aufs Spiel. Um auch in Zukunft Maßnahmen im österreichischen Interesse setzen zu können, müssen die Entscheidungszentralen in Österreich bleiben. Der Staat hat dabei eine wichtige strategische Rolle. Meine Forderung ist, dass die ÖIAG eine offensive, strategische Eigentümerfunktion für alle ihr zugeordneten Unternehmensanteile wahrnimmt. Wir brauchen eine zukunftsorientierte Unternehmenspolitik für die Beschäftigten und den Wirtschaftsstandort Österreich. Ich wünsche mir, dass ManagerInnen von Unternehmen mit Staatsbeteiligung ihre Gehälter offenlegten. Man müsste sie auch bei Erfolglosigkeit absetzen können - ohne großzügige Abfertigungspakete. Wir brauchen ManagerInnen, die im österreichischen Interesse handeln.
18.00 Uhr
Schließlich mache ich mich auf den Weg nach Schwechat, am Heimweg erledige ich offene Rückrufe. Um 18.30 Uhr bin ich am Fußballplatz in Mannswörth; ich trainiere bis 20 Uhr die II Mannschaft mit den jugendlichen Burschen. Das ist ein ganz wichtiger Ausgleich zum sehr harten Personalvertretungsjob. Wenn ich schließlich zwischen 21 und 22 Uhr heim komme, denke ich mir: Es war ein guter Tag ;-) Ich bin stolz, Vorsitzender einer so transparenten und ehrlich arbeitenden Personalvertretung zu sein.
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A&W: Die aktuelle Finanzmarktkrise war auch Thema bei den Sozialpartnergesprächen in Bad Ischl Anfang Oktober. Was sind die Positionen von AK und ÖGB?
Hundstorfer: Wir brauchen ein intensives Konjunkturpaket, um gegenzusteuern. Dabei muss den Menschen sehr rasch genügend Geld zukommen, sei es in Form einer Steuerreform oder von Steuergutschriften. Wir halten es auch für notwendig, aufzuarbeiten wie es zu dieser Krise gekommen ist. Es müssen in Europa und weltweit Regulative entwickelt werden und die Manager-Entlohnung einer - salopp formuliert - ethischen Überprüfung unterzogen werden. Da kann jeder Staat auch für sich was tun. Das Wichtigste ist aber, dass ein Abfedern dieser Krise nicht auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen und PensionistInnen geschieht. Zukünftige Sozialbudgets können nicht zur Finanzierung solcher Aktivitäten herangezogen werden.
Tumpel: Es geht nicht, dass - gerade im Finanzsektor - diese ungeheuren Gewinne, die in der Vergangenheit kassiert worden sind, die in die Taschen einiger weniger gesteckt worden sind, nicht angetastet werden, und dass die Lasten auf die ArbeitnehmerInnen aufgeteilt werden. Wir brauchen, um dem Wirtschaftsabschwung entgegenzuwirken, nicht nur die Stärkung der privaten Kaufkraft. Hier haben AK und ÖGB bereits im April gemeinsam ein Lohnsteuersenkungsprogramm entwickelt, damit den Menschen mehr in der Tasche bleibt. Auch der Staat muss jetzt zusätzlich investieren, z. B. in den Ausbau der Bahn oder anderer Infrastrukturbereiche, neue Technologien wie Breitband, in ein Ganztagesschulprogramm, in die flächendeckende Versorgung mit Kindergärten, und Wärmedämmung in Wohn- und Bürobau etc. Damit kann überall in Österreich Arbeit geschaffen werden und Nachfrage erzeugt werden - und das ist derzeit ganz, ganz dringend notwendig.
A&W: Was sind Eure Forderungen an eine künftige Regierung?
Tumpel: Sie muss als erstes etwas gegen diese Krise unternehmen - das ist das wichtigste Ziel und das darf nicht auf dem Rücken der Beschäftigten passieren. So wichtig die Bankenrettung insgesamt ist - auch im Interesse der SparerInnen - es werden auch die großen Vermögen dadurch geschützt. Da müssen schon alle, die jetzt von der Funktion des Staates als Schutzschild profitieren, etwas beitragen.
A&W: Kollege Hundstorfer, es stehen KV-Verhandlungen vor der Türe.
Hundstorfer: Darf ich korrigieren: Es finden permanent Verhandlungen statt. Immerhin haben wir 750 Kollektivverträge, man liest aber nur von wenigen. So etwa von der Industrie, die jetzt im Herbst verhandelt. Es ist klar, dass das unter den aktuellen Rahmenbedingungen nicht einfacher geworden ist, aber wir werden trotzdem einen - so hoffe ich - vernünftigen Abschluss erzielen können. Immerhin weiß die Industrie, wie die gesamte Wirtschaft, den Menschen muss Geld übrig bleiben, sonst gibt es keine Nachfrage. Da sind sich alle einig, dass es trotz der aktuellen Probleme ordentliche Lohnabschlüsse geben muss. Wir dürfen nicht auf die Rezepte des Jahres 1929 zurückfallen.
A&W: Das klingt zuversichtlich. Die Sozialpartnerschaft scheint gut zu funktionieren. Ihr konntet verschiedene Positionspapiere erarbeiten und einiges umsetzen - woran liegt das?
Hundstorfer: Der Eindruck trügt nicht. Wir haben als Sozialpartner ein nicht unwesentliches Paket entwickelt und dieses Paket wurde auch zu 99 Prozent abgearbeitet - mit Ausnahme der Gesundheit. Dabei finden wir ein paar echte Highlights, die uns jetzt helfen. Das Jugendbeschäftigungspaket etwa mit seiner Ausbildungsgarantie bis zum 18. Lebensjahr ist erstmals eine rechtliche Basis, dass Ausbildungseinrichtungen zur Verfügung gestellt werden müssen. Wir haben derzeit 19.000 Jugendliche, die noch keine Lehrstelle haben. Das hängt zwar an der praktischen Umsetzung, aber der wahre Fortschritt ist, dass es einen gesetzlichen Rahmen gibt und es gemacht werden muss.
Tumpel: Wir haben eigentlich noch ein Paket vom Vorjahr offen. Wir haben 2007 bei der Bad Ischler Tagung als Sozialpartner ein gemeinsames Bildungspapier entwickelt. Darin findet sich eindeutig die Forderung nach einem Vorschuljahr, um frühzeitig mit der Bekämpfung von Schwächen und der Förderung von Stärken zu beginnen. Es haben sich auch alle für ein breiteres Schulsystem ausgesprochen, die Teilung bzw. Spezialisierung soll erst später stattfinden. Das wurde bislang nicht umgesetzt. Beim Gesundheitspaket ist ein Aspekt noch offen: die notwendige Bewältigung der Krankenkassensituation.
Unser aller Erfahrung als Sozialpartner ist, dass wir zwar die anerkannten Berufskrankheiten durch entsprechende Maßnahmen reduziert haben, dass es aber eine Vielzahl krank machender Faktoren in der Arbeitswelt gibt und zwar nicht nur in Bereichen der Schwerarbeit. Hier haben wir als Sozialpartner auch gemeinsam einen Ansatz gefunden. Wir wollen die Lebensqualität der Leute verbessern. Wir sind also zur Übereinkunft gekommen, dass man berufsbedingt krank machende Faktoren nicht nur erforschen, sondern auch durch entsprechende Maßnahmen reduzieren soll. Wir haben gemeinsam schon einiges im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz umgesetzt. Das ist ein richtiger neuer Weg.
A&W: Stärken diese Erfolge die Sozialpartnerschaft?
Hundstorfer: Wir liefern der jeweiligen Regierung fertige Konzepte. Diese Konzepte beruhen auf einem Grundkonsens der wesentlichen relevanten Gruppen dieses Landes. Das erleichtert natürlich die Umsetzung. Das ist das Geheimnis. Wenn sich die ArbeitnehmerInnenseite, die Wirtschaft und die Landwirtschaft einigen, dann ist Substanz dahinter. Wir ersetzen aber keine Regierung. Aber wir freuen uns über die Erfolge.
Tumpel: Es ist schön, wenn wir aus den Betrieben Zuspruch bekommen. Kürzlich hat mir eine Verkäuferin in einem Einkaufszentrum erklärt, dass sie als Teilzeitkraft vom Mehrarbeitszuschlag, den die Sozialpartner initiiert haben, profitiert. Sie hat dann auch noch ergänzt, dass sie jetzt endlich einen Vertrag über eine bestimmte Stundenanzahl haben und mit fixen Beträgen rechnen können.
A&W: Das ist auch ein gutes Gegenargument gegen jene, die im Wahlkampf eine Kürzung der Arbeiterkammerumlage gefordert haben.
Tumpel: Unsere Mitglieder stehen zu uns, und dieses wertvolle Dreieck aus ÖGB, AK und BetriebsrätInnen gewährleistet doch, dass wir in Österreich mehr für die ArbeitnehmerInnen durchsetzen können als in vielen anderen Ländern.
A&W: Wie steht ihr zu dem Thema »Betriebsratskaiser«? Gibt es ihn noch?
Hundstorfer: Natürlich gibt es mächtige Vorsitzende. Die wird es immer geben. Das sind meist herausragende Persönlichkeiten. Aber den typischen Betriebsratskaiser gibt es sicher nicht mehr.
Tumpel: Ich erinnere mich noch an einige solcher »Kaiser«, als ich in der Gewerkschaftsbewegung angefangen habe - ich muss aber auch sagen, dass die meistens einen starken Rückhalt in der Belegschaft hatten. Das hatte nicht immer nur einen negativen Beigeschmack. Aber die Zeiten haben sich geändert. Heute müssen sich die BetriebsrätInnen öfter der Kritik der Belegschaft stellen.
A&W: Wie wird sich die Zukunft des Betriebsrates ändern bzw. welche Aufgaben werden auf ihn zukommen?
Hundstorfer: Es kommt einiges auf den Betriebsrat zu. Die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führen zu massivem Druck. Alle reden von Kostenreduzierung. Wenn ich daran denke, was einige KollegInnen mitmachen, die für Automobilzuliefererfirmen arbeiten mit Kurzarbeit usw. Das ist das eine, das zweite ist, dass sich in den letzten Jahren sehr viele Firmen aufgesplittet haben. Das bedeutete eine Verschiebung von Betriebsratskörperschaften. Das Thema Konzernbetriebsrat hat einen ganz anderen Stellenwert. Hier stehen wir vor neuen Herausforderungen. Die Frage des Europabetriebsrates wird immer bedeutsamer, immerhin sind immer mehr österreichische Firmen in Europa tätig. Da ist die Frage der Mitbestimmung teilweise ein unterentwickeltes Thema. Das was wir in der Arbeitsverfassung haben, ist beim Europabetriebsrat nicht gegeben. Hier kommt einiges auf uns zu.
A&W: Bestehen hier Pläne, die Position des Europabetriebsrates zu stärken?
Hundstorfer: Die Sozialpartnereinigungen auf europäischer Ebene reichen nicht aus. Wir probieren, auf europäischer Gewerkschaftsebene im Europaparlament noch etwas zu verbessern. Was wir ursprünglich wollten - eine umfassende Mitbestimmung - konnten wir nicht durchsetzen.
Tumpel: Man muss den Frauen und Männern dankbar sein, die sich für die wichtige Funktion des Betriebsrats zur Verfügung stellen. In schwierigen Zeiten sind die Aufgaben des Betriebsrates auch schwerer. Wenn es weniger zum Verteilen gibt, ist es schwer Verbesserungen durchzusetzen. Auch das Ansteigen der Leiharbeit macht diese Aufgabe nicht einfacher. Ich habe nämlich bei allen Betriebsbesuchen noch keine Betriebsrätin, noch keinen Betriebsrat getroffen, die oder der sich nicht um diese KollegInnen kümmern würde. Die ArbeitnehmervertreterInnen sind unverzichtbar für AK und ÖGB - ohne sie sind wir nichts.
A&W: Atypisch Beschäftigte werden mehr und sind eine Herausforderung für den Betriebsrat. Was planen AK und ÖGB in Hinblick darauf?
Hundstorfer: Dass man in Hinblick auf die atypisch Beschäftigten noch viel tun muss, ist klar. Wir haben es geschafft, dass die freien DienstnehmerInnen in die Sozialversicherung aufgenommen wurden - ein erster wichtiger Schritt. Was die Leiharbeit betrifft: In den meisten Industriebetrieben findet der Einstieg mittlerweile über Zeitarbeit statt. Nach einer gewissen Zeit werden die KollegInnen dann oft von der Stammfirma engagiert. Der Betriebsrat kann da nicht wegschauen.
A&W: Was ist notwendig, damit die BetriebsrätInnen mehr Schulungen und Weiterbildungskurse in Anspruch nehmen können bzw. dürfen?
Hundstorfer: Unsere Antwort auf dieses Problem war die kürzere Betriebsräteakademie, die BrAK. Die wurde für all jene gegründet, die z. B. nicht auf die Sozialakademie gehen können. Es wird immer KollegInnen geben, die unser Bildungsangebot nicht nutzen können oder wollen. Wir können Kurse nur noch teilnehmerInnenfreundlicher gestalten. Das ist ein permanenter Prozess.
Tumpel: Wir versuchen, gemeinsam den Wünschen der BetriebsrätInnen gerecht zu werden. Ich muss auch sagen, die Qualität der TeilnehmerInnen ist hervorragend, sowohl bei neuen BetriebsrätInnen als auch bei erfahrenen KollegInnen. Diese Menschen sind ungeheuer interessiert und engagiert.
A&W: Eine Frage zur Jugend: Wird sich die Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre auch auf die BR-Wahlen auswirken bzw. welche möglichen Folgen könnten sich für die Jugendarbeit ergeben?
Tumpel: AK und ÖGB haben als Organisationen schon lange Erfahrungen mit der Jugend. Bei der Wahldurchführung hängt es von der Betriebsgröße ab.
Hundstorfer: Ich versteh die Frage: Wenn jemand für den Nationalrat wahlberechtigt ist, warum nicht auch für den Betriebsrat? Wir führen da noch Diskussionen, denn die spezielle Funktion des Jugendvertrauensrats ist uns und der ÖGJ ein großes Anliegen. Mein Zugang ist: Sollen die Jungen, doch zweimal wahlberechtigt sein. Der Jugendvertrauensrat ist sehr zielgerichtet.
Es ist ein generelles Problem, sich in unserer Gesellschaft für andere zu engagieren: Wir suchen Mutige: Menschen, die es wagen, sich für andere einzusetzenund die Sonnen- und Schattenseiten dieses Engagements in Kauf nehmen. Und da wollen wir bei der Jugend beginnen.
A&W: Wie können ÖGB und AK als Sozialpartner die Betriebsräte bei KV-Wechsel dahingehend unterstützen, nicht die alleinige Verantwortung zu tragen - sprich Kernkompetenzen auf die betriebliche Ebene zu verlagern?
Hundstorfer: Gemeinsam unterstützen AK und ÖGB die BetriebsrätInnen laufend. Wir haben ein hervorragendes Netzwerk, die KollegInnen bekommen rechtliche Beratung. Wir haben als Gewerkschaft auch den politischen Lobbyismus. Wo wir allerdings nicht dabei sind ist vor Ort, wo der Betriebsrat Situationen wie einem KV-Wechsel ausgesetzt ist. Wir können die KollegInnen nur unterstützen, wenn sie mit ihren Problemen zu uns kommen. Wir sind auch auf die BetriebsrätInnen als Partner angewiesen. Wir wollen niemanden allein lassen. Die KollegInnen wissen aber, dass wir ihnen zur Seite stehen und nehmen uns zu Recht in Anspruch.
A&W: Was würdet ihr einer Betriebsrätin, einem Betriebsrat wünschen?
Tumpel und Hundstorfer: Einen langen Atem, eine positive Lebenseinstellung und viel Spaß bei der Arbeit.
A&W: Wir danken für das Gespräch!
Das Interview führte A&W-Chefredakteurin Katharina Klee gemeinsam mit Bianca Unterluggauer von der Projektgruppe »betriebsRATLOS« (siehe Artikel Seite 14) des 58. SozAk-Lehrganges. Kollegin Unterluggauer ist seit 1. Oktober 2008 Bundesfrauensekretärin und Wiener Landessekretärin in der Gewerkschaft der ChemiearbeiterInnen.
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Viele Vorurteile
Ganz automatisch führt das dazu, dass sie oft Kritik ausgesetzt sind. Nicht jede/r ist kulturinteressiert, der Betriebsausflug gefällt nicht allen, die Weihnachtsfeier war ein Reinfall, die Kündigung war gerechtfertigt, die Schutzhandschuhe sind lästig, der Betriebsrat soll sich nicht in meine Überstunden einmischen, der Sozialplan ist ein Witz. Und überhaupt: Freigestellt, Betriebsratskaiser, denen gehts nur um die Macht, die machen halt so Karriere, weil sie es anders nicht schaffen würden, die packeln mit dem Chef, wer braucht die schon, ich kann mir meins schon selbst ausverhandeln. Mit solchen Vorurteilen sind fast alle BeschäftigtenvertreterInnen irgendwann einmal konfrontiert.
Hochachtung und Respekt
Wie viel Einsatz diese Aufgabe erfordert, ist nur wenigen bewusst - nicht einmal allen, die sich für die Wahl in die ArbeitnehmerInnenvertretung aufstellen lassen. Die meisten lernen es aber schnell. Sie absolvieren Schulungen, die Wissen bringen, aber Zeit fordern. Das kranke Kind des Kollegen, die Scheidung der Kollegin gehen sie plötzlich genauso viel an, wie Fragen des Marktes, Outsourcing oder Arbeitszeitformen. Viel zu oft läutet das Handy. Nicht immer können sie helfen oder mitgestalten und immer öfter brennen sie so sehr für ihre Aufgabe, dass sie ausbrennen.
Ich habe Hunderte von ihnen kennengelernt in den vergangenen 15 Jahren und nicht alle waren mir sympathisch - aber bis auf ganz wenige Ausnahmen haben alle meine Hochachtung. Sicher gibt es KollegInnen, die im Lauf der Jahre durch ihre Funktion korrumpiert werden - aber dazu müssen sie immer wieder gewählt werden. Ohne den Glauben und den Wunsch nach Solidarität und Gerechtigkeit ist dieses Engagement nicht möglich. Die meisten aber lassen sich auf das Abenteuer Verantwortung ein, weil sie an eine bessere Welt glauben, weil Solidarität und Gerechtigkeit zu ihren Werten gehört. Werte, die sie auch in einer immer egozentrischeren Gesellschaft leben wollen. Und so leben sie ein Wert-volles Leben. Ich habe Respekt vor den Mutigen.
12 | Verstärkereffekt
ÖGB und AK vertreten gemeinsam erfolgreich die Interessen der Beschäftigten.
14 | Interessen der betriebsRATLOS
Eine Projektgruppe des 58. Lehrgangs der Sozialakademie über das Rollenbild von BetriebsrätInnen.
16 | Bestens vorbereitet!
Verschiedene VÖGB-AK-Speziallehrgänge unterstützen ArbeitnehmervertreterInnen bei ihren Aufgaben.
17 | Auf Augenhöhe
Ein Streifzug durch das Bildungsangebot von AK und ÖGB maßgeschneidert für BelegschaftsvertreterInnen.
18 | Im Abwehrkampf
Die psychischen Belastungsproben für BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen wachsen.
20 | Mein Tagesablauf
Werner Luksch, Zentralbetriebsrat der mobilkom austria AG, über einen Tag in seinem Leben.
22 | Ohnmächtig und vogelfrei
Bei der Interessenvertretung von KünstlerInnen ist Selbstausbeutung angesagt und Bittgänge stehen auf der Tagesordnung.
27 | Abenteuer Verantwortung
Informations- und Serviceangebot der Betriebsarbeit im ÖGBReferat Organisation und Koordination.
28 | Zugang zum Recht
Schneller und einfacher Zugang zu umfassenden Rechtsinformationen für ArbeitnehmervertreterInnen.
30 | Erfolge der AK
Die engagierte Sozialpartnerin vertritt Interessen der ArbeitnehmerInnen gegenüber der Regierung.
32 | Wir haben die Wahl
2009 sind wieder Arbeiterkammerwahlen in allen Bundesländern, entscheiden Sie mit.
34 | EBR-Revision vor Ziel
Nachbesserungen der Kommissionsvorschläge durch die EU-Sozialpartner lassen EGB-Forderungen offen.
36 | Aktive Mitglieder
Das 7. Symposium Impulse für die gewerkschaftliche Bildungsarbeitzum Thema »Mitgliederwerbung«.
38 | Das ist Organizing
Das Organizing-Modell wurde in den USA vor allem von den Gewerkschaften SEIU und UNITE-HERE entwickelt.
40 | Für Sie unterwegs
Ein gemeinsames Projekt von AK-Wien und der GPA-djp Region Wien beschreitet neue Wege der Mitgliederbetreuung.
42 | Ein bisschen Politik
Gewerkschaften sind bei US-Konzernen wie der Supermarktkette Wal-Mart alles andere als beliebt.
44 | Fassadenbegrünung CSR
Corporate Social Responsibility ist in aller Munde. Nicht immer geht es dabei um Verantwortung, oft um PR.
46 | Weltmeister Dänemark?
Drei Viertel der dänischen ArbeitnehmerInnen sind Gewerkschaftsmitglieder. Aber auch dort gibt es Mitgliederschwund.
48 | Wende in Ecuador
Der Neoliberalismus setzte den ehemals starken ArbeitnehmerInnenvertretungen im lateinamerikanischen Staat stark zu.
50 | Ohne Grenzen
BetriebsrätInnen der 300 größten österreichischen Unternehmen beurteilen die Auswirkungen der Internationalisierung.
Interview
_8 | Soziale Partner
ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer und AK-Präsident Herbert Tumpel zu Finanzkrise, Sozialpartnern und BetriebsrätInnen.
24 | Jetzt kommt BR:next
Interview mit Christian Jammerbund, Regionalsekretär in der GPA-djp Steiermark zur Initiative für junge BetriebsrätInnen.
Standards
_4 | Standpunkt: Die Mutigen
_5 | Veranstaltung
_6 | Aus AK & Gewerkschaften
26 | Historie
59 | Internationale Meldungen
61 | Buchtipps
62 | Man kann nicht alles wissen
Erklärungen aller grün-markierten Worte.
Meinung
52 | Das große Debakel
Aus AK und Gewerkschaften
32 | Wir haben die Wahl
55 | Die Bewährungsprobe
Wirtschaft&Arbeitsmarkt
53 | Der große Crash
57 | Beschleunigte Teuerung
60 | Verbraucherpreise
13 | Gesundheit ist mehr
Auch in der betrieblichen Gesundheitsvorsorge wird Gesundheit nicht mehr lediglich als das Fehlen von Krankheit gesehen.
15 | Ausgebrannt
Immer mehr Menschen leiden unter Burn-out. Wie es entsteht, wen es trifft, und was zu tun ist.
18 | Stress und Burn-out
Ein Handbuch für Führungskräfte, BetriebsrätInnen und ArbeitsmedizinerInnen gibt wertvolle Tipps zur Prävention in Betrieben.
20 | Unter Konkurrenzdruck
Beschäftigte in der Telekommunikations-Branche erkranken überdurchschnittlich oft an Burn-out.
22 | Ausgegrenzt und isoliert
Nicht alles, was einem die Arbeit vermiest, ist Mobbing. Aber es kommt immer öfter vor. Und hat schreckliche Folgen.
24 | Gesundheit erhalten
Der Zugang zur Berufsunfähigkeits- und Invaliditätspension ist nach wie vor äußerst schwierig.
26 | In der Textilindustrie
Aus Studien zur Arbeit über Zeitdruck und Stress in der Arbeitswelt anlässlich des ÖGB-Bundeskongress 1991.
27 | Recht auf Gesundheit
Historischer Abriss über den Aufbau des ArbeitnehmerInnenschutzes in Österreich, der den Beginn der Sozialgesetzgebung darstellt.
28 | Deadline
Der Abgabetermin ist fällig und Sie haben das Werk kaum begonnen? Wie Sie die Panik bekämpfen bzw. vermeiden.
30 | Gesundheitsrisiko Arbeit
Laut Statistik Austria leidet mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen unter belastenden Arbeitsbedingungen.
Interview
_8 | Die Reset-Gesellschaft
Der Kriminalpsychologe Dr. Thomas Müller analysiert, warum der Arbeitsplatz immer öfter zum Tatort wird.
34 | Koste es, was es wolle!
Filmemacher Erwin Wagenhofer beschäftigt sich nach »We feed the world« in seinem neuesten Streifen mit der Geldwirtschaft.
Standards
_4 | Standpunkt: Unter Druck
_5 | Buchtipps
_6 | Aus AK & Gewerkschaften
45 | Internationale Meldungen
Aus AK und Gewerkschaften
32 | Und nun an die Arbeit
Gesellschaftspolitik
36 | Paläste des Proletariats
Wirtschaft&Arbeitsmarkt
38 | KonsumentInnen 2008
40 | Die im Dunkel …
42 | Trübe Aussichten
44 | Verbraucherpreise
Da alle Menschen imstande sein sollten, ein gutes Leben zu führen und ihre Grundbedürfnisse zu decken, steht menschenwürdige Arbeit im Mittelpunkt eines internationalen Aktionstages am 7. Oktober 2008. Menschenwürdige Arbeit umfasst sowohl Bereiche wie Migration, Gleichstellung, Diskriminierung und Kinderarbeit als auch Themen wie gerechte Löhne, Vereinigungsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung, soziale Sicherheit, ArbeitnehmerInnenschutz etc.
Rund um den Welttag für menschenwürdige Arbeit werden Aktivitäten mit drei Hauptthemen verknüpft:
Am 7. Oktober soll die Kampagne samt gesammelter Unterschriften Spitzen-PolitikerInnen der EU präsentiert werden.
Mehr Infos: www.wddw.org
]]>Wachstum dank Wetterlage
Der WIFO-Konjunkturtest vom Juli 2008 zeigt, dass derzeit die Erzeuger von Vorprodukten, Kraftwagen und Kraftwagenteilen sowie von Nahrungs- und Genussmitteln besonders die konjunkturelle Verlangsamung spüren. Durchschnittlich ist die Lage bei kurzlebigen Konsumgütern, während die Erzeugung von Investitionsgütern und langlebigen Konsumgütern ebenso relativ gering betroffen erscheint. Außerhalb der Produktion trugen vor allem Bauwirtschaft und Tourismus zum kräftigen Wachstum bei. Beide Branchen profitierten von der relativ warmenWetterlage im Winter. Es gab in den Schiregionen auch genug Schnee.
Internationales Umfeld
Ihren Ausgang nahm die aktuelle Wachstumsverlangsamung in den USA, wo die Immobilienkrise die Wirtschaft an den Rand einer Rezession brachte. Diese konnte bislang nur durch Wirtschaftspolitik verhindert werden. Drastische Zinssenkungen der amerikanischen Zentralbank (»Fed«) und massive Steuererleichterungen stimulierten die Investitionen der Unternehmen und die Konsumbereitschaft der Haushalte.
In China und Indien wächst das BIP weiterhin mit Raten knapp an zehn Prozent pro Jahr. Europa leidet dagegen unter einer Reihe wachstumsdämpfender Faktoren. Die Exporte spüren nicht nur die Schwäche der US-Nachfrage. Die Krise der US-Wirtschaft schlug sich auch in einer Schwäche des Dollars nieder, was eine massive effektive Aufwertung des Euros bedeutet. Darüber hinaus bewirkte die internationale Finanzkrise, dass sich die Kreditbedingungen für UnternehmerInnen und Haushalte verschlechtern. Einige Länder, wie z. B. Irland und Spanien, leiden unter einer Immobilienkrise ähnlich der in den USA. Und nicht zuletzt treibt der starke Anstieg der Rohstoffpreise, allen voran Erdöl und Agrarprodukte, die Inflation in die Höhe. Damit werden die Realeinkommen der Haushalte reduziert, was sich in schwächerem Konsum niederschlägt.
Der Euro ist aber derzeit nicht die Ursache für steigende Preise. Im Gegenteil, dank starkem Euro sind die importierten Rohstoffe nicht noch viel teurer. Denn die meisten Rohstoffe werden international nach wie vor in Dollar gehandelt. Und ein Anstieg des Euro-Wechselkurses verbilligt die in Dollar verrechneten Importe. Hätten wir also nicht den starken Euro, hätten sich Benzin und Lebensmittel noch viel mehr verteuert!
Für Österreichs Wirtschaft mag es ein kleiner Trost sein, dass sie rascher als der Durchschnitt der Eurozone wächst, was vor allem den Geschäften mit den boomenden neuen EU-Mitgliedern zu verdanken ist. Aber die Wachstumsverlangsamung fällt dennoch spürbar aus. Sie begann etwa zur Jahresmitte und gegen Ende des Jahres 2008 wird sich das Wachstum gegenüber Jahresbeginn halbiert haben. Die WirtschaftsforscherInnen rechnen damit, dass die Konjunkturschwäche bis ins kommende Jahr reichen wird.
Wettbewerbsprobleme in Österreich
Zu den bekannten internationalen Ursachen der Preisanstiege wie der wachsenden Nachfrage der Boomstaaten in Asien, veränderten Konsumgewohnheiten, Produktionsausfällen durch Naturkatastrophen und verstärkten Einsatz von Biosprit kommen aber in Österreich auch hausgemachte Faktoren. Wie Untersuchungen der AK ergeben haben, fielen bei einigen Produkten die jüngsten Preissteigerungen drastischer aus als in vergleichbaren Ländern, und viele Produkte sind auch teurer als in Deutschland - sogar in Filialen derselben Handelskette! Hier muss etwas mit dem Wettbewerb faul sein. Dies wird auch von WissenschafterInnen und der Österreichischen Nationalbank bestätigt. Deshalb hat die AK auch die Notbremse gezogen und mit einem »Preisantrag« den Wirtschaftsminister dazu gezwungen, die Preiskalkulation wichtiger Handelsketten zu untersuchen. Weiters werden von der AK Verbesserungen im viel zu zahnlosen Preisgesetz gefordert sowie Maßnahmen zum Dämpfen der Benzinpreise.
Arbeitsmarktlage wird schlechter
Doch damit allein wird weder den KosumentInnen ausreichend geholfen noch die Talfahrt der Konjunktur gebremst. Zwar waren die Beschäftigungsdaten bislang erfreulich - auch wenn ein großer Teil des Zuwachses an Beschäftigten auf einen statistischen Effekt zurückzuführen ist: Seit Jahresbeginn müssen Arbeitskräfte vor Arbeitsbeginn angemeldet werden. Aber die Entwicklung am Arbeitsmarkt folgt üblicherweise der Produktionsentwicklung mit einer Verzögerung von etwa einem dreiviertel Jahr. Gegen Jahresende muss also wieder mit einer längeren Periode der Verschlechterung der Arbeitsmarktlage gerechnet werden. Nimmt man dazu die Tatsache, dass die Realeinkommen heuer schrumpfen, dann ist klar, dass überfällige Maßnahmen zur Stärkung der Inlandsnachfrage notwendig sind. Einerseits um die Umverteilung der vergangenen Jahre zulasten der ArbeitnehmerInnen zu stoppen, andererseits, um die Kaufkraft der Klein- und MittelverdienerInnen zu stärken. Diese sind
von den jüngsten Preiserhöhungen besonders betroffen, da sie einen größeren Teil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie verwenden müssen als Reiche.
Ein Maßnahmenpaket, um dem Konjunkturabschwung entgegenzusteuern, muss neben der Teuerungsbekämpfung auch eine rasche spürbare Lohnsteuersenkung enthalten. Eine Reduktion der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel wäre sinnvoll, wenn sie an die KonsumentInnen weitergegeben wird. Auch eine kräftige Lohnrunde ist gefordert, um die Realeinkommensverluste auszugleichen. Diese Maßnahmen müssen durch Investitionen in Aus- und Weiterbildung flankiert werden. Auch müssen die Übergangsfristen für die Arbeitsmarktöffnung gegenüber den neuen EU-Ländern bis 2011 verlängert werden, um den Arbeitsmarkt nicht weiterem Druck auszusetzen. Die Wirtschaftspolitik muss bereit sein, aus Fehlern zu lernen. Zu Beginn des Jahrzehnts, als die Weltkonjunktur in einer Krise war, war man in Europa nur auf Stabilisierung und Kostensenkung bedacht. So wurde die Eurozone zwar zum Exportweltmeister und die Profite brachten über Jahre Rekordergebnisse. Der Preis dafür war allerdings eine tiefe und bis heute andauernde Schwäche der Binnennachfrage, da die Arbeitslosigkeit hoch blieb und die Einkommen kaum anstiegen. Wer Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung oder Lohnzurückhaltung zur Kostensenkung für UnternehmerInnen oder ein weiteres Hinausschieben einer Steuerreform fordert, gefährdet den für 2009 prognostizierten Wiederaufschwung und nimmt in Kauf, dass aus der momentanen Wachstumsverlangsamung eine veritable Rezession wird.
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Zu den Bestimmungsgründen der Schattenwirtschaft werden in der internationalen Debatte u. a. hohe Steuerlasten und hohe Sozialversicherungsabgaben gezählt, wiewohl die Wirtschaftswissenschaft keinen wirklich eindeutigen Befund vorlegen kann. Für die Entscheidungsfindung in der Politik steht fest, dass aus der Schattenwirtschaft eine ganze Reihe von sicherheitspolitischen Folgeproblemen entstehen können, wie finanzstrafrechtliche Vergehen, illegaler Aufenthalt, Schlepperei etc.
Schattenwirtschaft in Österreich
Der Linzer Ökonomie-Professor Friedrich Georg Schneider hat zur Schätzung der Schattenwirtschaft eigene Methoden entwickelt, die u. a. im angesehenen Journal of Economic Literature 2000 vorgestellt wurden. In der Wirtschaftswissenschaft gelten Unterschiede in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung zwischen Ausgaben und Einnahmen, Abweichungen bei der Nachfrage nach Währungsmittel, Diskrepanzen in der Beschäftigungsstatistik zwischen ILO- und nationalstaatlichen Methoden sowie ansonsten unerklärbare Schwankungen im Stromverbrauch als Indikatoren von schattenwirtschaftlichen Aktivitäten. Die ÖsterreicherInnen haben laut Schneider beim Pfusch kein großes Unrechtsbewusstsein. 63 Prozent sehen es als Kavaliersdelikt an, Dinge ohne Rechnung erledigen zu lassen. Die aktuellen, laufenden Studien des Linzer Ökonomen sind auch dazu geeignet, Vergleiche über die Schattenwirtschaft in Europa und im Lissabon-Prozess zu tätigen (siehe Tabelle links).
Die in Dublin angesiedelte »European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions« hat sich nun ebenso dieses Problems angenommen und eine Reihe von interessanten Perspektiven zu diesem Thema erarbeitet. Auch Eurobarometer und Eurostat legen nun einige Daten zu diesem Thema vor. Heute beläuft sich der Prozentsatz von Menschen im produktiven Erwerbsalter ohne formelle Arbeit nach Eurostat in Polen, Belgien und der Slowakei auf über 10,9 Prozent. In Österreich beträgt dieser Prozentsatz derzeit 7,6 Prozent. In der EU-27 leben insgesamt 9,3 Prozent der Menschen im Alter von 18 bis 59 Jahren in Haushalten, wo niemand regulär arbeitet. Diese Bilanz zu Europa-50 und zum »europäischen Sozialmodell« ist mehr als ernüchternd.
Kampf gegen Schwarzarbeit
Mühseliges Schrittwerk, wie die Sozialpolitik in der EU nun einmal ist, wird man aufgrund der EUROFOUND-Studien zum Thema zusammenfassend sagen müssen:
1. Allein die gesetzlichen Grundlagen unterscheiden sich in der EU-27 schon gewaltig. Am zahnlosesten dürften die Bestimmungen in Bulgarien sein.
2. Der deutsche Mini-Job-Ansatz, die französischen Dienstleistungsschecks sowie die italienischen, schrittweisen Legalisierungsversuche waren allesamt keine großen Erfolge.
3. Die Politikansätze der EU-27 lassen eine Zunahme von Prävention, Legalisierung und Früherkennung erkennen, während die Verschärfung der Strafbestimmungen rückläufig ist.
4. Während in Deutschland (Zoll), Schweden (National Economics Crimes Bureau), Finnland (Polizei), und Polen (Polizei) keine Scheu davor besteht, auch (bewaffnete) Organe der Staatssicherheit mit dem Kampf gegen die Schwarzarbeit zu betrauen, sind in vielen anderen Staaten lediglich die Arbeitsinspektorate mit diesen Aufgaben betraut.
Schwarzarbeit und undeklarierte Arbeit werden leider auch in Zukunft zum Alltag der erweiterten Union gehören.
Die »offene Koordinierung der Sozialpolitik« ist dabei wieder einmal hoffnungslos überfordert. Wenn in EU-Staaten heute bis zu 40 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) in der Schwarzarbeit entstehen, wird Europa auch noch im Jahr 2100 die USA und andere führende westliche Demokratien nicht eingeholt haben, wie es noch der europäische Rat von Lissabon im März 2000 als Ziel verkündete.
WEBLINKS
EUROBAROMETER (2008), 284 EB67.3
Undeclared work in the European Union
ec.europa.eu/public_opinion/archives/eb_special_en.htm
EUROFOUND (2008), Tackling undeclared work in the European Union
www.eurofound.europa.eu/publications/htmlfiles/ef0813.htm
Friedrich Schneider, Internetauftritt bei Repec/Ideas
ideas.repec.org/e/psc166.html
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Trutzburg der Arbeiterschaft
Der architektonische Superblock wurde zur Trutzburg der Arbeiterschaft, zum sichtbaren Zeichen für die neuen Machtverhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg, zum Symbol des »roten Wien« und einer großen Aufbruchszeit, von der die Wiener SPÖ bis heute lebt. Denn die roten Politiker der Zwischenkriegszeit hatten das existenzielle Problem der Menschen erkannt: »Wir wohnten weit draußen im Ottakring, in einer Zinskaserne, die von oben bis unten mit armen Leuten angefüllt war. Mein Vater, meine Mutter, wir drei Kinder wohnten in einer Küche und einem Zimmer und hatten noch einen Bettgänger dazu!« Der Beginn der Lebensgeschichte der Josefine Mutzenbacher ist für damals symptomatisch: Sechs Personen auf 22 bis 28 Quadratmeter, Toilette und Wasser am Gang, waren in der Zwei-Millionen-Stadt Wien noch im Jahr 1890 für die Hälfte der Bevölkerung üblicher Wohnungsstandard, und der galt europaweit als der schlechteste.
Sozialer Wohnbau
Als 1922 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei in Wien an die Regierung kam, wurde sozialer Wohnbau politisches Programm, mit dem Effekt, dass die Wählerzustimmung bis auf 60 Prozent kletterte. Die Partei hielt nicht nur ihr Wahlversprechen, sondern übertrumpfte es: Statt der 25.000 angekündigten, neuen kommunalen Wohnungen wurden zwischen 1923 und 1934 insgesamt 63.000 mit Fließwasser und Toiletten errichtet. Die Einführung einer Wohnbausteuer, ein nach Einkommen gestaffeltes Steuersystem vom Länderbank-Direktor Hugo Breitner entwickelt, und u. a. eine Luxussteuer für Vermögende machte die Finanzierung möglich. »Zwei Prozent der Reichen haben mit ihren Steuerabgaben Wohnungen für 500.000 arme Menschen finanziert«, hat Mag. arch. Sophie Hochhäusl im Rahmen ihrer Diplomarbeit »Masterplan in Paradise - 110 Jahre kommunaler Wohnbau in Wien und wo stehen wir heute?« recherchiert. Der Größenunterschied zu den früheren Wohnungen war gering - man kam auf 35 bis 42 Quadratmeter pro Wohnung, aber weil die Mieten niedrig waren, fielen die UntermieterInnen und BettgeherInnen (die sich in den Betten einquartierten, wenn die MieterInnen bei der Arbeit waren) weg, und so wurde zumindest für einen Teil der Bevölkerung Privatheit möglich.
Hofburg des Volkes
Auch sollte die architektonische Konzeption der »Burgen des Proletariats« ein neues Selbstbewusstsein der Sozialdemokraten de-monstrieren - und bei den BewohnerInnen wecken: So wurde etwa der von Architekt Karl Ehn genial konzipierte Karl-Marx-Hof als »Hofburg des Volkes« bezeichnet, erinnert sich Kurt Tremel, Mietervertreter seit 1981 und Bewohner seit der Kindheit: »Die Partei veranstaltete öffentliche Feste. In den Innenhöfen gabs bis zum 34er Jahr regelmäßig Theaterauftritte, Varieté und Musikveranstaltungen.« Heute ist der Karl-Marx-Hof eine Touristen- und vor allem Architekturattraktion, damals war es den WienerInnen wohl gar nicht bewusst, dass es sich bei diesem Projekt um die weltweit längste kommunale Wohnanlage handelt. Einen Kilometer zieht sich der Baukörper die Heiligenstädterstraße entlang und sein zentraler Hof entspricht in seiner Dimension dem Hof des Schlosses Schönbrunn. Auch das Entrée mit Rundbögen von mehr als 16 Metern Spannweite wirkt immer noch imposant. Man hatte sich bewusst für einen traditionellen Ziegelbau entschieden, obwohl Beton in Mode gekommen war, und bot mit 1.325 Wohnungen Platz für 5.500 Menschen und zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen: Zwar präsentiert sich der Karl-Marx-Hof im Vergleich zu manchen anderen kommunalen Wohnbauten schmucklos minimalistisch, ist aber gerade deshalb von beeindruckender Ästhetik und entfaltet sich im Detail: Das beginnt bei den schmiedeeisernen Toren, die, feingliedrig gestaltet, die Handwerkskunst der Zeit repräsentieren, setzt sich in den, vom Jugendstil geprägten Details der Eisentore des Waschsalons fort und mündet in den von bürgerlichen Kunstwerten geprägten Skulpturen, wie den Vasen von Josef Franz Riedl.
Ringstraße des Proletariats
Nicht nur der Karl-Marx-Hof, die gesamte Bautätigkeit des roten Wien war die monumentale Anti-These zur bürgerlichen Stadtplanung der Ringstraßen-Ära und gilt international als historisch vorbildlich für soziales Wohnen. Wobei die ersten Gemeindebauten aus den Strukturen der gründerzeitlichen Zinshäuser entstanden sind, wie der älteste Bau an der »Ringstraße des Proletariats«, dem Wiener Gürtel, zeigt. Otto-Wagner-Schüler Hubert Gessner wurde im zweiten Bauabschnitt als Architekt für den Metzleinsthaler Hof beauftragt, und er war es, der den Typus der Wiener Gemeindebauten schuf: Licht, Luft, Reinlichkeit war die Devise, begrünte Innenhöfe statt dunkler Hinterhöfe, womit ein halböffentlicher Raum geboren wurde, ein Ort der Begegnung und ein Platz für künstlerische Gestaltung. »Kunst am Bau«, schreibt Genoveva Kriechbaum im Bildband »Versailles der Arbeiter«, »wurde zu einem essenziellen Kriterium des Typus »Gemeindebau«. Auch der Reumann-Hof trägt Gessners Handschrift: Eine 180 Meter lange Fassade demonstriert die Kraft des roten Wien, ein 16 Etagen hoher Mittelblock in der Anlage sollte das erste Hochhaus der Stadt werden, aus finanziellen Gründen blieb es bei neun Stockwerken, wurde aber mit einem markanten Dachaufbau ausgestattet. Allerdings brachte der mit Jugendstilementen versehene »Volkswohnpalast« im Sinne Victor Adlers, der das »Recht der Arbeiter auf Schönheit« betont hatte, dem Architekten viel Kritik ein. Vor allem sein berühmter Zeitgenosse Josef Frank machte sich über die »heroischen Fassaden«, hinter denen sich Kleinstwohnungen ducken, lustig und lieferte als Gegenstück den schmucklosen, nur durch Balkone rhythmisch gegliederten Leopoldine-Glöckel-Hof.
Wie einen Volkspalast legte Gessner auch den zwischen 1926 und 1933 entstandenen Karl-Seitz-Hof mit ursprünglich 1.173 Wohnungen an, nach Vorbild Otto Wagners: Symmetrie und Harmonie im Blockrastersystem mit vielen Innenhöfen und platzartigen Kreuzungspunkten. Eine innere Hauptstraße als Zentralachse, eine kreisförmige Arena als Gegenpol und ein neungeschossiger Uhrenturm mit kunstgewerblichem Bauschmuck wie Vasen und Fliesen sind die Insignien eines »kleinen Welttheaters«, wie es dem Architekten vorschwebte. An der Konzeption des Sandleiten-Hofes wiederum arbeiteten mehrere Architektenteams, das Ergebnis war eine Stadt in der Stadt, voller jugendstilartiger Formen, wobei das nahezu 100.000-Quadratmeter-Terrain nur zu einem Drittel gestaltet wurde, und mit villenartigen Gebäuden und Infrastruktur bestückt. Der Rabenhof wiederum, einer der größten kommunalen Wohnbauten der Stadt, wurde mit traditionellen und kleinstädtischen Motiven, wie Erkerfenstern und runden Balkonen versehen.
Ein Prozent Grünfläche
Bei aller stilistischer Verschiedenheit hatten die Gemeindebauten doch eines gemein: Mindestens 50 Prozent des Areals musste Grünfläche sein. De facto wurden es oft fast 70 Prozent. Bis in die späten 1980er Jahre ist man diesem Konzept treu geblieben. Aber jetzt ist vieles anders: »Beim Gasometer wurde die Grünfläche auf zwei Prozent reduziert und durch Shoppingcenter und Parkplätze ersetzt«, so Sophie Hochhäusl, »im 35-stöckigen Mischek-Tower ist die Grünfläche auf ein Prozent geschrumpft. Dafür freuen sich die Bewohner über die schöne Aussicht.«
BUCHTIPP
Gerald/Genoveva Kriechbaum:
Karl-Marx-Hof
Versailles der Arbeiter. Wien und seine Höfe.
Holzhausen Verlag,
Wien 2008, 176 Seiten, EUR 29,-
ISBN: 978-3-85493-150-8
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Die Bedeutung von Konsumentenschutz hat über alle Branchen zugenommen. Dies weist daraufhin, dass VerbraucherInnen heute im gesamten Angebot ein höheres Risikopotenzial sehen. Deutlich gestiegen ist die Bedeutung des KonsumentInnenschutzes beim Zugang zu Behörden und Gerichten, ebenso bei Wohnen, Reisen und Urlaub. Eine dominante Erwartung dahinter ist, die Schutzstandards sollten so gut sein, dass auch dem passiven Verbraucher nichts passieren kann. Der Staat soll Verbrauchersicherheit ausbauen und gewährleisten.
Das persönliche Urteil zählt
Allerdings hat die Beachtung von Produktkriterien beim Einkauf insgesamt abgenommen. Die Beachtung des Preises hat das Achten auf Qualität überholt. Das verwundert auch nicht, da die Teuerung natürlich der Mehrheit zusetzt. Zusehends wichtiger wird den Verbrauchern die Herkunft der Produkte. Sie dient offenbar als Indikator für ökologische und soziale Qualität bei der Herstellung.
Problematisch ist jedoch, dass man bei größeren Anschaffungen in erster Linie dem persönlichen Urteil und der Beratung im Geschäft vertraut. Diese herausragende Bedeutung des »persönlichen Urteils« ist übrigens bei allen soziodemographischen Gruppen gleich hoch. Fehlkäufen sind damit Tür und Tor geöffnet.
Reklamationsunwilligkeit
Mit der Mängelbehebung sieht es nicht gut aus. Der Anteil der unwilligen Unternehmen ist mit knapp 20 Prozent hoch, wobei die Unübersichtlichkeit der Märkte in der Stadt zu mehr Unfreundlichkeit gegenüber Kunden/Kundinnen führt: Am Land berichten 14 Prozent der Befragten von behebungsresistenten Unternehmen, in Wien 23 Prozent. Bei Versicherungen ist übrigens die Unzufriedenheit mit der Schadensabwicklung größer geworden.
Warenkennzeichnung
Die Zufriedenheit mit der Warenkennzeichnung ist mit 53 Prozent (sehr gut und gut) nicht überragend. Das »Ablaufdatum« ist das wichtigste Kennzeichnungselement, jedoch nur 58 Prozent beachten es immer. Eine neue »Ernährungswert-Kennzeichnung« bei Lebensmittel in Form einer Ampel würden 61 Prozent begrüßen. Auch die Preisauszeichnung finden 42 Prozent ungenügend. Verschlechtert hat sich die Nutzung der Grundpreisauszeichnung, oft ist sie zu klein gedruckt und nicht einheitlich angeordnet. Mit den modernen Geräten sind auch die Probleme mit Bedienungsanleitungen gestiegen, vor allem Frauen und Ältere geben hier Probleme an. Bei der Bedienung der Geräte selbst hat ein Viertel der VerbraucherInnen Probleme. Die Geräte haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer mehr Zusatzfunktionen bekommen - 47 Prozent nutzen diese Funktionen gar nicht oder kaum. Das heißt, das Angebot produziert hier also an der Hälfte der VerbraucherInnen vorbei.
BUCHTIPP
Ihre Rechte als Konsument - Reihe: Ratgeber
Peter Kolba, Hans-Peter Lehofer, Annemarie Kosesnik-Wehrle
Vertragsfallen und Rücktrittsrechte - Produkthaftung und Schadenersatz - Gewährleistung - E-Commerce
ÖGB-Verlag, 2006, 472 Seiten
Preis: EUR 21,-/sfr 36,90 (inkl. Ust., exkl. Versandkosten)
ISBN: 978-3-7035-1241-4
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Arbeit&Wirtschaft: Herr Wagenhofer, In ihrem neuen Dokumentarfilm »Let`s Make Money« haben Sie recherchiert, was mit unseren Ersparnissen, die uns als Bankeinlage Zinsen bringen sollen, passiert. Mit dem Ergebnis, dass die Menschen in der Dritten Welt mit schlecht entlohnter Arbeit unsere finanziellen Vorsorgen und Versicherungen bezahlen. Was hat Sie veranlasst, sich diesem Thema zu widmen?
Klaus Wagenhofer: Vor einigen Jahren habe ich in einer Bank folgenden Werbespruch gelesen: Lassen Sie Ihr Geld arbeiten! Das wollte ich mir genauer ansehen. Denn Geld kann bekanntlich nicht arbeiten. Arbeiten können Menschen, Maschinen, Tiere. Wenn man den Werbespruch der Bank ernst nimmt, so bedeutet das: Jemand anderer muss für mich arbeiten, und meist sprechen wir dann von Ausbeutung.
Welche Recherche in Zusammenhang mit »Money« hat sie am meisten betroffen, berührt oder wütend gemacht?
Es gibt viele wütend machende Momente; aber an erster Stelle steht die Ignoranz, mit der wir diese Tatsachen täglich hinnehmen und die sich noch dazu im legalen Rahmen befinden. Da wäre etwa die Spekulation mit sogenannten »Vermögenswerten«, wie den Grundnahrungsmitteln, die Millionen von Menschen in den Hunger treibt, nur weil man damit auf den Börsen der Welt »Geld« verdienen kann. An einem ganz normalen Handelstag werden Weizenmengen gehandelt, wie sie in 200 Jahren nicht wachsen. Das treibt die Preise in die Höhe und führt zu Hungerkatastrophen. Seit unserem vorigen Film »We feed the world«, über die Produktion von und dem Handel mit Nahrungsmittel ist der Weizenpreis um 250 Prozent in die Höhe geschnellt! Das hat mit dem Markt nichts zu tun, weil in diesen drei Jahren nicht 250-mal soviel Weizen gebraucht, sondern weil damit 250-mal so viel spekuliert wurde. Ein anderes obskures Beispiel ist, dass unser ehemaliger Finanzminister mit seinem neuen beruflichen Umfeld auf einer Steueroase gelandet ist. Der Mann, der für das Steueraufkommen jahrelang verantwortlich war, veranlagt nun mit seinem Unternehmen in Jersey, um Steuerzahlungen hierzulande zu vermeiden.
Wie sieht unsere Zukunft aus, wenn sich die Geldspirale weiterdreht?
Es ist schwer vorauszusagen, besonders die Zukunft - hat bekanntlich Wilhelm Busch gesagt. Aber alle Menschen mit denen wir in den vergangenen drei Jahren gesprochen haben, sehen diesbezüglich die Zukunft düster, egal, ob sie von diesem System profitieren oder ob sie benachteiligt werden. Die Vorboten sind längst da: hohe Inflation, Geldentwertung. Es ist klar, dass nicht nur die Preise steigen, wenn die »Geldsuppe« von den Notenbanken immer mehr verdünnt wird, um die Zockerei auf den Finanzmärkten irgendwie auszubügeln. Der höchst verschuldete Staat - oder die Gesellschaft - der Welt sind die USA, die angeblich letzte und einzige Supermacht der Erde. Wenn man sich das genau überlegt, dann stimmt da etwas nicht, oder? Geldentwertungen hat es immer schon gegeben, aber am Ende bezahlen dafür immer der sogenannte kleine Mann und die sogenannte kleine Frau!
Woher kommt die Gier der vergleichsweise reichen westlichen Welt, immer mehr an sich zu raffen?
Die Gier steckt in uns wie der Hass oder die Liebe. Die Frage für mich ist, warum die Gier so zugenommen hat, bei gleichzeitig noch nie da gewesenem materiellem Wohlstand? Da scheint etwas ziemlich falsch gelaufen zu sein. Geld allein macht uns eben nicht glücklich. Wir sehnen uns nach Dingen, die man für Geld gar nicht haben kann, nach einer »Erfüllung« in Bereichen, in denen wir uns nicht weiterentwickelt haben. Die Liebe, zum Beispiel, ist so ein Notstandsgebiet.
Wäre Tauschhandel eine Alternative zur Geldwirtschaft?
Das glaube ich nicht. Geld an sich ist eine sehr gute Erfindung. Das Problem daran ist, wie wir heute damit umgehen! Die globale Geldwirtschaft wurde seit den siebziger Jahren - Stichwort Washingtoner Konsens - komplett dereguliert, das heißt, alle zuvor sehr achtsam eingesetzten Regulierungsmaßnahmen wurden abgeschafft. Diese Regulierungsmaßnahmen waren aber sinnvoll und die Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und den darauf folgenden 2. Weltkrieg. Man wollte einen solchen Crash und eine solche Katastrophe in Zukunft verhindern. Heute gilt nur noch eine Regel: Das Kapital muss sich ständig vermehren, koste es was es wolle.
Wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Dr. Sibylle Fritsch für Arbeit&Wirtschaft
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1. Burn-out zum Thema des ArbeitnehmerInnenschutzes machen
Burn-out ist bei ArbeitgeberInnen und Belegschaft oft ein Tabuthema. Vor allem die Beschäftigten haben Angst, Burn-out-Symptome einzugestehen, da sie mit geringer Belastbarkeit gleichgesetzt werden. Umso wichtiger ist es, dass sich der betriebliche ArbeitnehmerInnenschutz um das Thema Burn-out kümmert.
2. Geschäftsführung und Belegschaftsvertretung informieren sich selbst
GeschäftsführerInnen und BelegschaftsvertreterInnen sollten über Vorgänge und Belastungen im Unternehmen Bescheid wissen. Immerhin geht es bei Burn-out-Prävention um die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Und auch der Betriebsrat oder die Personalvertreterin brauchen ein Grundwissen, um ArbeitgeberInnen bei Burn-out-Prävention zu unterstützen und notfalls Maßnahmen einzufordern.
3. Führungskräfte schulen
Ein logischer zweiter Schritt ist dann die Schulung der Führungskräfte. Sie sind jedenfalls - genauso wie die BelegschaftsvertreterInnen - notwendige PartnerInnen für alle funktionierende Maßnahmen gegen Burn-out und für ein gesundheitsförderliches Arbeiten.
4. Die Arbeitsorganisation überdenken und verändern
Um herauszufinden, wo die Burn-out-Gefährdungen im Betrieb liegen, müssen die Beschäftigten ermuntert werden, offen und ohne Nachteile zu befürchten, Defizite in der Arbeitsorganisation darzulegen. Nur so kann die Arbeitsorganisation verbessert werden.
5. Wertschätzung ausdrücken
Neben der Arbeitslast und der Qualität des Teamgefühls ist die Wertschätzung, die MitarbeiterInnen von ihren Vorgesetzten
wie auch von ihren KollegInnen erfahren, einer der wichtigsten Faktoren zur Verhinderung von Ausbrennen am Arbeitsplatz.
6. Teamprozesse unterstützen und begleiten
Es ist erwiesen, dass ein gutes Betriebsklima und die Unterstützung von Vorgesetzten Stress und Burn-out mindern. Burn-out sollte aktiv im Team angesprochen werden.
7. Arbeitspensum prüfen - Überstunden abbauen
Im Rahmen seiner Fürsorgepflicht muss der Arbeitgeber darauf achten, dass das Arbeitspensum nicht zu einer dauerhaften Überlastung führt und Beschäftigte zunehmend Überstunden leisten. Vorgesetzte sollten zum Beispiel auch mal die zu eifrigen MitarbeiterInnen anweisen, ihre Urlaube zu konsumieren.
8. MitarbeiterInnen qualifizieren und fördern
Im Arbeitsalltag vieler Beschäftigter stehen neue Anforderungen immer wieder auf der Tagesordnung. Das heißt aber auch, dass sie dafür qualifiziert werden müssen.
9. Hierarchische Strukturen abbauen
Bürokratische und hierarchische Strukturen begünstigen Burn-out, setzen der Kreativität und Motivation immer wieder Grenzen und führen zu Frustrationen. Stattdessen sollten Spielräume angeboten werden, die eigenständiges Denken, Planen und Entscheiden ermöglichen.
10. Entlastung schaffen
Emotionale Erschöpfung und geringere Leistungsfähigkeit machen sich in Burn-out-Krisen auch im Kundenkontakt bemerkbar. Eine Betroffene, ein Betroffener kann das ganze Betriebsklima negativ beeinflussen. Gemeinsam sollte mit Offenheit und Taktgefühl nach Lösungen gesucht werden: Möglicherweise bringen die zeitweilige Zuweisung einer anderen Arbeit, ein Kuraufenthalt, ein Stress- und Kompetenztraining oder therapeutische Beratung Entlastung und Hilfe.
11. Umstrukturierungen transparent machen
Unsicherheit, Angst vor "Freisetzung" und steigende Arbeitsanforderungen können dazu beitragen, dass sich Stress- und Burn-out-Symptome verstärken. Werden die Beschäftigen aber an den Prozessen der Umorganisation beteiligt, können diffuse Ängste und Befürchtungen reduziert und auf eine realistische Basis gestellt werden.
12. Fair bleiben
Das Erleben unfairer Situationen, das Begünstigen Einzelner, sei es durch Gehaltsunterschiede oder unterschiedliche Behandlung der Urlaubswünsche, wird von den andern sehr belastend erlebt.
Neue EU-Politik
Von der EU-Politik Österreichs fordert die AK mehr soziale Verträglichkeit, den Einsatz für die ArbeitnehmerInnenrechte und die Verhinderung von Lohn- und Sozialdumping. Ein wichtiger Ansatzpunkt für eine bessere EU-Politik durch Österreichs PolitikerInnen ist der Bereich der öffentlichen Dienstleistungen: Leistbare und qualitativ hochwertige öffentliche Dienstleistungen sind zentraler Bestandteil des europäischen Sozialmodells. Die Wettbewerbskriterien sind auf diese nicht uneingeschränkt anzuwenden. Es darf keine Verpflichtung zur Ausschreibung für ungeeignete Sektoren (z. B. soziale Dienste) geben.
Dem um sich greifenden Steuerdumping auf der EU-Ebene muss die neue Regierung entschieden entgegenarbeiten - Österreichs Stimme muss in diesem Bereich klar und deutlich gehört werden. »Niemand darf zurückgelassen werden. Alle Kinder müssen am gleichen Stand ihre Schulkarriere beginnen können«, betont AK-Präsident Herbert Tumpel. Die Bundesarbeitskammer fordert daher eine flächendeckende Versorgung von Kindergärten für Kinder ab zwei Jahren, die Erstellung eines nationalen Bildungsplanes für Kindergärten und vor allem auch ein gebührenfreies Vorschuljahr mit individueller Förderung aller Fünfjährigen im Kindergarten. Ebenfalls im Forderungskatalog: Ausbau der Ganztagsschulen und eine spürbare Erleichterung für all jene, die Bildungsabschlüsse im Erwachsenenalter nachholen wollen.
Gute Arbeit für alle
Das Erreichen der Vollbeschäftigung auf guten Arbeitsplätzen, von denen man leben kann, bleibt weiter ein zentrales Ziel. In den letzten Monaten haben sich die Beschäftigungszahlen durchaus erfreulich entwickelt. Weil aber viele dieser Arbeitsplätze Teilzeitjobs waren, gibt es immer mehr ArbeitnehmerInnen, die von ihren Jobs nicht leben können. Um in Zeiten schwächeren Wachstums wenigstens dieses Niveau halten zu können oder die Beschäftigungszahlen sogar noch verbessern zu können, fordert die AK die zukünftige Bundesregierung auf, die Übergangsfristen gegenüber Bulgarien und Rumänien, und auch die Fristen gegenüber den EU-8 in Anspruch zu nehmen.
Die siebenjährige Übergangsfrist soll Österreich die Möglichkeit geben, sich auf offene Arbeitsmärkte vorzubereiten. Das ist bisher nur teilweise geschehen. Wichtige Maßnahmen zum Schutz von Lohn- und Sozialdumping sind noch offen. Daher muss sichergestellt sein, dass die Vorbereitungsmaßnahmen intensiviert werden. Darüber hinaus wird die künftige Regierung auch daran zu messen sein, welche Maßnahmen sie für die Ausbildungsplätze von Jugendlichen ergreift: Die Bundesarbeitskammer fordert ein ausreichendes Angebot von Maßnahmen der überbetrieblichen Ausbildung bis zum Lehrabschluss und die Fortsetzung und konsequente Umsetzung des von den Sozialpartnern vereinbarten Jugendbeschäftigungspaketes.
Weil in Zeiten der Wissensgesellschaft Bildung wichtiger ist denn je, fordert die AK ebenfalls die Möglichkeit von 35 Stunden Weiterbildung pro Jahr in der Arbeitszeit für alle ArbeitnehmerInnen. Für ArbeitnehmerInnen in Bildungskarenz fordert die AK einen Kündigungsschutz analog zur Elternkarenz. Und weil die Arbeitswelt ab einer bestimmten Hierarchiestufe nach wie vor männlich dominiert wird, fordert die AK, entsprechend dem skandinavischen Vorbild, eine verbindliche Quote von Frauen in den Aufsichtsräten.
Frauenförderung
Die Einkommensschere zwischen Männern und Frauen wird größer statt kleiner. Diese ist im Sinne der Gleichberechtigung schnellstens zu schließen. Und damit das Schlagwort von der Vereinbarkeit zwischen Familie und Beruf nicht länger Schlagwort für fromme Sonntagsreden bleibt, fordert die AK eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung ohne Kostenbarriere für alle. Und was für die Kleinsten wichtig ist, sollte auch für die schulpflichtigen Kinder in einem verstärkten Ausmaß möglich sein: Die ganztägige schulische Betreuung muss endlich ausgebaut werden. Darüber hinaus sollen Anreize geschaffen werden, damit sich auch Väter verstärkt in die Kindererziehung einbringen
Schärferes Wettbewerbsrecht
Die Preise explodieren und treiben die KonsumentInnen immer häufiger in die Armutsfalle. Mittlerweile muss eine zweiköpfige Familie monatlich 100 Euro mehr für Lebensmittel, Energie und Verkehr ausgeben. Dass alles teurer wird, ist bekannt. Leider ist auch klar: Es gibt einen Österreich-Aufschlag, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Hier ist der Wirtschaftsminister in die Pflicht zu nehmen: Ein Preisgesetz mit Biss soll Abhilfe schaffen, wenn es zum Beispiel um die Möglichkeit geht, Preise täglich mehrfach zu ändern: Das gehört abgeschafft!
Bei den Mieten fordert die Bundesarbeitskammer einen Stopp der für September geplanten Steigerung der Kategoriemieten, eine Inflationsanpassung bei allen Mieten nur in Fünfjahresabständen bzw. erst bei einem Indexschwellenwert von zehn Prozent, die Entkoppelung von der Inflationsrate, klare Mietenbegrenzung bei den Richtwertmieten, Streichung der Überwälzung von Hausverwaltungskosten und der Grundsteuer.
Kaufkraftsteigerung
Doch auch die Kaufkraft muss nachhaltig gesteigert werden: Die Inlandsnachfrage ist ein wichtiger Wirtschaftsmotor und muss gestärkt werden. Die Reallöhne liegen unter jenen von 2005 während das BIP um neun Prozent gewachsen ist - die ArbeitnehmerInnen brauchen einen gerechten Ausgleich dieser Verluste.
»Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verlangen berechtigterweise einen fairen Ausgleich«, erklärt AK-Präsident Herbert Tumpel: »Eine Preislawine sondergleichen, eine kalte Progression, die jede noch so gute Lohnerhöhung auffrisst sowie schlechte Konjunkturaussichten, ein Wiederansteigen der Arbeitslosigkeit, ein Stagnieren des privaten Konsums können niemanden mehr kalt lassen. Die künftige Regierung muss für mehr Gerechtigkeit sorgen und der heraufziehenden Wachstumsschwäche gegensteuern.« Tumpel fordert, dass sich die neue Regierung vor allem um diese zentralen Themen kümmert.
In Hinblick auf den Arbeitsmarkt fordert die AK neben der Verlängerung der Übergangsfristen für ArbeitnehmerInnen aus den neuen Mitgliedsstaaten eine ganze Anzahl an Maßnahmen für bessere und sicherere Arbeitsplätze: Um das hohe Niveau österreichischer Arbeitskräfte auch in der Zukunft zu sichern und gleichzeitig jungen Menschen eine Chance auf einen gelungenen Start ins Berufsleben zu geben, sind mehr und bessere Lehrstellen notwendig.
KonsumentInnenpolitik
Dieses Themenfeld war der AK immer schon ein wichtiges Anliegen: Sie fordert zur Durchsetzung kollektiver Verbraucherinteressen die schnelle Einführung von Gruppenklagen.
Eine weitere Forderung der Arbeiterkammer, die vermutlich alle KonsumentInnen ohne lang nachzudenken unterstützen, ist eine Herkunftsbezeichnung sowie Verbesserungen im Gütezeichenbereich für alle Produkte - auch für innergemeinschaftliche.
Gesundheit und Pflege
Pflege und Gesundheit sind Bereiche, die nicht nur für die Besserverdienenden abgesichert sein müssen: Eine nachhaltige Sicherung des österreichischen Gesundheitssystems auf dem bestehenden hohen Niveau ist eine unabdingbare Forderung an die zukünftige Regierung. Doch auch hier darf die kommende Regierung den Blick nicht von den oft erschütternden Verhältnissen der Billigarbeitskräfte in diesem Bereich verschließen: Daher fordert die AK Qualität und Schutz vor Dumpingkonkurrenz in der 24-Stunden-Pflege.
Integration und Migration
Dass dieses Thema im Wahlkampf heiß werden wird, ist zu befürchten. Dabei wäre man der Lösung der vielfältigen Probleme mit der Schaffung eines Staatssekretariats für Integration bereits einen entscheidenden Schritt näher. Die AK fordert im Bezug auf Migration und Integration von der neuen Regierung eine effektive politische Koordination aller Themenbereiche und die Behandlung des Themas als wichtige Querschnittsmaterie.
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Für diejenigen, die alle Forderungen
der AK im Detail nachlesen wollen:
www.akstmk.at/pictures/d72/RegierungsforderungenderBAKEndfassung.pdf
oder
www.arbeiterkammer.at/www-13469.html
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Insgesamt gaben 56 Prozent der Arbeitenden an, unter physisch und bzw. oder psychisch belastenden Arbeitsbedingungen zu leiden. Mit 63 Prozent waren mehr Männer von Belastungsfaktoren betroffen als Frauen mit 47 Prozent, so Statistik Austria. Dies könne damit begründet werden, dass körperlich beschwerliche Arbeitsbedingungen angestiegen sind. Generell am stärksten belastet war die Gruppe der Selbstständigen und Mithelfenden in der Land- und Forstwirtschaft (66 Prozent), knapp gefolgt von den Unselbstständigen mit manuellen Tätigkeiten
(65 Prozent). Außerhalb der Land- und Forstwirtschaft waren 56 Prozent Selbstständige betroffen sowie 48 Prozent der Unselbstständigen mit nicht-manuellen Tätigkeiten.
32 Prozent (1,3 Mio.) der ÖsterreicherInnen waren mindestens einem psychischen Belastungsfaktor ausgesetzt. Neun von zehn der Betroffenen standen unter Zeitdruck: Von allen erwerbstätigen Männern fühlten sich 33 Prozent im Arbeitsalltag gehetzt und 24 Prozent der Frauen. 2,2 Prozent der Männer und 2,5 Prozent der Frauen nannten Belästigungen oder Mobbing als Belastungsgrund. 0,7 Prozent der Männer sowie 0,9 Prozent der Frauen litten sogar unter Gewalt oder der Androhung von Gewalt.
42 Prozent (1,7 Mio.) der ÖsterreicherInnen sahen sich mit mindestens einem körperlichen Belastungsfaktor konfrontiert. Mit 19 Prozent am häufigsten wurde dabei das Hantieren mit schweren Lasten und bzw. oder schwierige Körperhaltungen genannt. 15 Prozent mussten unter dem Einfluss von Chemikalien, Dämpfen oder Rauch arbeiten, acht Prozent waren von Lärm oder Vibrationen beeinträchtigt. Mit 48 Prozent waren Männer häufiger physischen Belastungen ausgesetzt als Frauen (35 Prozent).
13,3 Prozent der Erwerbstätigen litten an berufsbedingten Beschwerden: Zwei Drittel klagten über Knochen-, Gelenks- oder Muskelprobleme, am häufigsten gaben in der Landwirtschaft Tätige eine Gesundheitsbeschwerde an. 0,8 Prozent der Erwerbstätigen hatten mit Stress, Angstzuständen oder Depressionen zu kämpfen - am schwersten waren höher bzw. hoch qualifizierte Angestellte davon betroffen. Während der zwölf Monate vor der Statistik Austria-Befragung verletzten sich
5,1 Prozent der erwerbstätigen Personen zumindest einmal bei einem Arbeitsunfall. Die Mehrheit (55 Prozent) blieb der Arbeit daraufhin zwischen vier Tagen und drei Monaten fern, fünf Prozent noch länger. 15 Prozent fehlten zwischen einem und drei Krankenstandstagen. Mit 6,4 Prozent hatten öfters Männer einen Arbeitsunfall als Frauen (3,4 Prozent).
Die Befragung fand von Jänner bis September 2007 unter 19.600 Personen ab 15 Jahren statt.
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Sie schaffen es nie
Am Schreibtisch liegt ein Berg sorgfältig recherchierten Materials. Jetzt locker drauflos. Sie hatten ja die Grundidee Ihrer Arbeit samt rotem Faden im Kopf. Bis vor dem Anruf. Wo er denn bliebe, der Beitrag. Einmal habe man noch Geduld, und dann das Besetztzeichen. »Piep«, denken Sie und holen sich eine Zigarette. Da Sie schon in der Küche sind, stecken Sie eine Kaffeekapsel in die neue Espressomaschine. Es funktioniert nicht. Sie telefonieren mit der Freundin, die Ihnen das Gerät empfohlen hat. »Blöde Ziege«, denken Sie. »Die stiehlt mir die Zeit.« In Ihrem Kopf rumort es. Das geöffnete Dokument am Bildschirm ist leer. »Piep«, macht es. »Was wollte ich gerade tun?« In Ihren Kopf schiebt sich ein Bild. Streng blickt die Lehrerin aus der Vergangenheit. »So«, sagt sie, »so schaffst du’s nie.«
Wenn Sie jetzt einen Last-Minute-Flug buchen oder die Auftraggebende beschimpfen, sind Sie im unteren Bereich der möglichen Bewältigungsstrategien von Stress angelangt. Denn Flucht oder Kampf mag unseren Ahnen bei primären Stressoren wie Hunger, Kälte und Feinden geholfen haben: Im Fall der Bedrohung durch Abgabefrist wäre ihre Anwendung problematisch.
Zunächst einmal durchatmen. Es kann Ihnen nichts geschehen.
Dass Sie wegen eines kleinen Anrufs plötzlich große Angst haben, ist neurobiologisch völlig normal. Die Vorgänge im Kopf, erklärt der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther, erfolgen ähnlich der Bewegung eines Fahrstuhls: Im Obergeschoß sind die umsichtigsten Lösungen zu finden, im Keller die einfachsten. Durch Nutzung des präfrontalen Cortex, des Frontallappenteils der Großhirnrinde in der oberen Etage, lösen wir Probleme kreativ und vorausschauend. Stress kann die Nervennetze in unserem Frontalhirn in gehörige Erregung versetzen. »Bei steigendem Druck stürzen wir Stockwerk für Stockwerk ab«, beschreibt der Neurobiologe die dramatischen Ereignisse, die ein simpler Anruf aus-lösen kann.
Gerald Hüther: »Statt neue Ideen zu entwickeln, greifen wir zu gewohnten Handlungen, die sich vielleicht in der Vergangenheit bewährt haben.« Sie rufen jetzt die Sekretärin des Auftraggebers an? Mit einer komplizierten Geschichte bitten Sie um Verständnis und Aufschub. Leider haben Sie in der Aufregung vergessen, dass Sie diese Ausrede erst vor kurzem angewendet hatten. Das Gesuch wird strikt abgelehnt. Ein Mail verstärkt Ihr Empfinden, das sich großes Unheil über Ihnen zusammenbraut. »Es geht dann noch tiefer zu den Kindheitsmustern«, bestätigt der Neurobiologe. Dann kommt es zu einem Verhalten, das wir an uns nicht wirklich schätzen. Die entsprechenden Verschaltungen sind im Gehirn gut gebahnt. Unter Druck laufen sie wie von allein ab.«
Konstruktive Lösungen
Wir lassen Sie nun allein mit ihren kindlichen Reaktionsmustern und wenden uns konstruktiveren Lösungsmöglichkeiten zu. Das Schlaueste wäre, im Allgemeinen vorausschauend zu denken. »Ein Problem achtsam anschauen, warten und überlegen. Dinge nicht so lange vor uns herschieben, bis wir nur noch in Panik geraten können. So können wir unser Gehirn besser nutzen«, rät Hüther.
»Kreativ ohne Stress: Das ist das Beste, was man sich wünschen kann«, meint Wolf Schneider, Seminarleiter für kreatives Schreiben. Fällt dem ehemaligen buddhistischen Mönch dennoch nichts ein, so »falle ich mit der Tür ins Haus und sage die Kernidee gleich am Anfang. Oder nenne den Impuls, der mich bewegt hat, den Text überhaupt schreiben zu wollen«. Wenn dennoch Probleme auftreten, schreibt Wolf Schneider einfach alles auf, was er sagen will, um später alles Überflüssige zu streichen.
Durchatmen
Mit der Reihenfolge der Gedanken zu spielen, ist auch eine Methode, der Panik zu entkommen, wenn man vor Zeitdruck keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können glaubt. Wenn ein Gedanke den nächsten jagt handelt es sich meist nicht um die besten. Beruhigen Sie die Lehrerin in Ihnen mit: »Ich schaff das schon.« Trinken Sie Tee und stellen Sie das Telefon und den E-Mail-Eingang auf lautlos. Schreiben Sie die anstehenden Arbeiten auf und legen Sie den Zettel in die Ablage für morgen. Räumen Sie jetzt nicht die Wohnung oder das Büro auf. Was wollten Sie gerade tun?
Atmen Sie wieder durch und wiederholen Sie den Satz, der Ihnen Mut gibt. Sie schaffen das schon. Es fallen Ihnen wieder die Techniken ein, die Sie sich zur effizienteren Erledigung ihrer kreativen Arbeiten angeeignet haben. Sie brauchen gar nicht mehr unter www.kreativesdenken.com und ähnlichen Adressen googeln. Sie haben bereits sämtliche Informationen am Schreibtisch und im Kopf. Nun strukturieren Sie das Material und arbeiten wie gewohnt. Wenn die Arbeit fertig ist, prüfen Sie eingegangene Nachrichten auf ein Ultimatum des Auftraggebers. Herrscht Ruhe an dieser Front haben Sie noch Zeit. Wenden Sie eine Ihrer bewährten Entspannungstechniken an. Ein kurzer Spaziergang, eine Runde laufen, Musik, Schoko oder Kopfstand?
Lesen Sie Ihren Text noch einmal kritisch durch, aber geraten Sie dabei nicht wieder in Entsetzen. Schicken Sie das Ding einfach ab. Denken Sie an den Satz der Kreativitätstrainerin Heike Thormann: »Druck und andere Blockaden sind Gift für Ihre Kreativität. Es mag sein, dass Sie auch unter Stress zu Ideen kommen. Die besten werden es aber kaum sein. Schlafen Sie drüber und lassen Sie Ihr Gehirn die Arbeit tun.«
Ja zum Stress
Sie sind nun ausgeschlafen und merken, dass Sie die Mücke mit einem Elefanten verwechselt haben? Wozu machen Sie sich eigentlich Notizen wie: »Der psychosoziale Stress entsteht durch das Empfinden des Einzelnen und seine Interpretation der auf ihn einwirkenden Umstände. Er basiert auf eigener Wertvorstellung, individueller Meinung und Erfahrung. Wie Stressoren empfunden werden, entscheidet über die Belastung. Aus: ›Ja zum Stress. Höchstleistungen bringen und im inneren Gleichgewicht bleiben.‹ Wolfgang Stehling«
Stress ist Einstellungssache. Übertriebener Perfektionsanspruch, übersteigerter Ehrgeiz oder Minderwertigkeitsgefühle können aus kleinen Stressoren große Belastungen machen. Bei der entsprechenden Einstellung kann Druck auch positiv sein. Auch wie man ihn bewältigt, hat Folgen auf die neuronalen Verknüpfungen im Gehirn. »Offenbar ist Stress auch eine Anpassungsreaktion, die den Umgang des Organismus mit alten und neuen Herausforderungen optimiert«, meint der Stressberater Stehling.
Im Allgemeinen entstehen unter Druck kaum kreative Ergebnisse, belegt Teresa Amabile, Leiterin für Unternehmensmanagement an der Harvard Business School in einer Studie. Die befragten WissenschafterInnen und UnternehmensmitarbeiterInnen fühlten sich wie der Hamster im Laufrad. Gekennzeichnet waren diese Zustände durch fehlenden Fokus und ein gehetzt-sein mit vielen Aufgaben- und Situationswechseln. Als Gegenbeispiel nennt Amabile eine NASA-Mission, in der Ingenieure binnen kurzem ein Luftfilter konstruierten, um die Besatzung vor dem Tod zu retten. Einige Lehren der erfolgreichen Mission lassen sich auch für kleine Aufgaben, wie das Erfüllen von Deadlines, gewinnen: Druck wird erträglich, wenn es um das Erreichen eines Zieles geht und die Dringlichkeit als wichtig und sinnvoll empfunden wird. Konzentration, Gelassenheit und konsequentes Verfolgen der eigenen Ziele machen langfristig resistent gegen äußeren und inneren Druck.
BUCHTIPP
Gerald Hüther
»Biologie der Angst: Wie aus Stress Gefühle werden.«
Vandenhoeck & Ruprecht
Göttingen, 1997
EUR 16,40
ISBN-10: 3525014392
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Tel.: (01) 405 49 98-132
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Arbeitsinspektionsgesetz 1947
Nach der Niederlage des Faschismus 1945 erfolgte schrittweise der Neuaufbau des österreichischen Sozialsystems. Eine starke Gewerkschaftsbewegung sowie die Wiedererrichtung von Arbeiterkammern und Betriebräten waren dafür maßgebend. Das gilt auch für den Teilbereich des ArbeitnehmerInnenschutzes. Das Arbeitsinspektionsgesetz löste 1947 die unter der nationalsozialistischen Herrschaft erlassenen Arbeitsaufsichtsvorschriften ab. Arbeitsinspektorate wurden als staatliche Organe zur Überwachung der Arbeitsverhältnisse errichtet.
Die Sozialversicherung war unter dem NS-Regime zu einem Instrument der Arbeitsmarktpolitik und der Finanzhilfe für die Aufrüstung degradiert worden. Die Fonds der österreichischen Sozialversicherung hatte man ins »Reich« verschleppt, sodass sich die Institute, die die Zweite Republik wieder übernahm, als leistungsunfähig erwiesen.
Sozialversicherungsgesetz 1956
Als erster Reformschritt wurden die Leistungen der österreichischen Sozialversicherung verbessert und zugunsten der Anspruchsberechtigten geändert. Verwaltet wurden die Institute - und damit auch die Unfallversicherung - allerdings bis 1948 weiter von staatlich eingesetzten Kommissionen. Die gesetzliche Grundlage für selbstverwaltete Sozialversicherungsträger wurde 1947 geschaffen. Die deutschen Sozialversicherungsvorschriften waren als vorläufiges österreichisches Recht beibehalten und durch neue Gesetze verbessert worden.
1956 löste das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz alle diese Bestimmungen ab. Es regelte erstmals gemeinsam die Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung für ArbeiterInnen und Angestellte in Industrie, Bergbau, Handel, Gewerbe, Verkehr und Land- und Forstwirtschaft. Es folgten 1967 die Unfallversicherung öffentlich Bediensteter und 1977 die Unfallversicherung für SchülerInnen und Studierende.
Die rechtlichen Grundlagen des betrieblichen ArbeitnehmerInnenschutzes waren bis in die 1970er Jahre Bestandteil der Gewerbeordnung, ergänzt um die Allgemeine Dienstnehmerschutzverordnung von 1951. Erst seit 1973 gilt ein eigenes Gesetz, dessen letzte einschneidende Reform im Rahmen der Einbeziehung der ArbeitnehmerInnenvorschriften der EU erfolgte.
Elektronische Revolution
Im Zuge der »elektronischen Revolution« wurden ab den 1980er Jahren in vielen Bereichen - wenn auch keineswegs in allen - als besonders gesundheitsbelastend bekannte schwere, körperliche Tätigkeiten reduziert. Die geistigen, nervlichen und seelischen sind aber gestiegen. Nach wie vor stellt außerdem der Einsatz verschiedener chemischer Substanzen und Verbindungen eine große Gesundheitsbedrohung dar. Gewerkschaftsbewegung und Arbeiterkammern setzen sich deshalb dafür ein, dass ArbeitnehmerInnenschutz als umfassender Gesundheitsschutz verstanden und umgesetzt wird.
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Infos zum ArbeitnehmerInnenschutz
www.help.gv.at/Content.Node/294/Seite.2940100.html
Sicherheitsvertrauenspersonen
www.betriebsraete.at
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Eine Arbeiterin am Abnähautomaten darf für das Schließen eines Abnähers 51 Hundertstel Minuten brauchen. Das bedeutet:
117,65 Stück in der Stunde,
941,18 Stück am Tag,
20.376 Stück im Monat,
2,211.764,70 Stück in 10 Jahren.
Eine Arbeiterin erhält für das Flachbügeln einer Tasche 27 Hundertstel Minuten als Zeitvorgabe. Das bedeutet, sie muss
222,22 Stück in der Stunde,
1.777,78 Stück am Tag,
38.488,89 Stück im Monat,
4,777.777,80 Stück in 10 Jahren bügeln.
Drei Arbeiterinnen in der Wäscheindustrie verpacken Unterwäsche, wobei zwei Arbeiterinnen die Wäsche in die Schachteln geben und die dritte Arbeiterin die Schachteln weiterbefördert. Das bedeutet bei der Zeitvorgabe von 0,59 Stück pro Sekunde:
2.177,65 Stück in der Stunde,
16.941,20 Stück am Tag,
366.776,98 Stück im Monat,
39,811.820,00 Stück in 10 Jahren.
Dieser Beitrag erschien im Katalog zur AK-Ausstellung »Krank durch Arbeit? Gesundheit und Umweltschutz am Arbeitsplatz«, die in Zusammenarbeit mit dem ÖGB und der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt gestaltet wurde. Sie wurde erstmals beim ÖGB-Bundeskongress 1991 präsentiert, bei dem aktuelle Fragen zum ArbeitnehmerInnenschutz ein Schwerpunktthema bildeten. Eine der Forderungen:
Ersetzen der erschöpfenden Aufzählung der Berufskrankheiten im Gesetz durch eine Beispielliste, um beim ArbeitnehmerInnenschutz flexibler auf die rasante technologische Entwicklung reagieren zu können. Der Computer hatte damals in den Büros und Produktionsbetrieben Österreichs gerade erst seinen Einzug gehalten.
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Berufsunfähigkeit kein Schlupfloch
Zahlen und Fakten bestätigen die behauptete Zunahme nicht. Eine von der Arbeiterkammer im Zusammenhang mit der von Sozialminister Erwin Buchinger initiierten Reform der Invaliditätspension erstellte Studie kommt zur Erkenntnis, dass die Zahl der gesundheitsbedingten Pensionen sogar gesunken ist. Nämlich um insgesamt rund 20.000 im Zeitraum zwischen 2000 bis 2006. Die Zahl der Neuzuerkennungen ist in derselben Zeit um ca. 2.000 zurückgegangen. Und das, obwohl gleichzeitig das Antrittsalter für die vorzeitige Alterspension angehoben worden ist.
Diese Entwicklung macht deutlich, dass der Zugang zu dieser Pensionsart keineswegs einfach ist und von einem ausufernden Anstieg keine Rede sein kann. Mit jedem Pensionsantrag auf Invaliditäts- bzw. Berufsunfähigkeitspension ist eine genaue medizinische Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen verbunden, und die Zahl der über diesen Weg zuerkannten Pensionen widerspiegelt vielmehr die massiven Belastungen und gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die gegenwärtige Arbeitswelt. Jeder krankheitsbedingten Pension liegt also eine massive Erkrankung oder Beeinträchtigung zugrunde. Konkret erfordert die Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension bzw. einer Invaliditätspension, dass die Arbeitsfähigkeit eines/einer Versicherten so weit gesunken ist, dass sie weniger als die Hälfte gesunder Versicherter mit vergleichbarer Berufsausbildung sowie gleichwertigen Fähigkeiten und Kenntnissen beträgt bzw. im Falle von angelernten Berufen weniger als die Hälfte einer zumutbaren Tätigkeit. Menschen, die über diesen Weg aus dem Erwerbsleben ausscheiden müssen, den Vorwurf zu machen, sie würden ein Schlupfloch nutzen, um nicht mehr arbeiten zu müssen, ist durchaus als zynisch zu bezeichnen.
Schwerarbeitspension
Gesundheitliche Dauerbelastungen am Arbeitsplatz gehören heute immer mehr zum beruflichen Alltag. Eine Pensionierung vor dem Regelpensionsalter begründen sie jedoch keineswegs. So wird etwa durch die restriktive Regelung der Schwerarbeitspension, nur für eine kleine Gruppe Schwerarbeit leistender Menschen ein Ausscheiden vor dem Regelpensionsalter ermöglicht. Beispielsweise profitieren Frauen, bevor ihr gesetzliches Pensionsantrittsalter an das der Männer angeglichen ist, de facto nicht von dieser Möglichkeit. Außerdem werden psychisch belastende Tätigkeiten, die gegenwärtig zunehmen und auch oft den Ausschlag für die Zuerkennung einer krankheitsbedingten Pension geben, bei den Anspruchsvoraussetzungen für die Schwerarbeitspension völlig unzureichend berücksichtigt.
Zugangserleichterungen notwendig
Um eine Schwerarbeitspension in Anspruch nehmen zu können, ist es erforderlich, zehn Schwerarbeitsjahre innerhalb der letzten 20 Jahre vor Pensionsantritt vorweisen zu können. Dass die meisten Menschen eher in jungen Jahren schwer arbeiten und später in andere Tätigkeiten wechseln, weil sie Schwerarbeit nicht mehr schaffen, ignoriert die aktuelle Regelung zur Gänze.
Die arbeitsweltbedingten gesundheitlichen Risiken, die gleichzeitig bestehende Anforderung, länger im Erwerbsleben zu bleiben wie auch die Unsicherheit der Menschen hinsichtlich ihrer Alterssicherung machen im Pensionssystem vielfältige Maßnahmen erforderlich. Im Bereich der Berufs- und Invaliditätspensionen ist es etwa notwendig, Zugangserleichterungen insbesondere für ältere, gesundheitlich erheblich beeinträchtigte Menschen zu schaffen, deren Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt unrealistisch ist. Sie werden oft jahrelang zwischen Arbeitsmarktservice und Pensionsversicherung hin und her geschoben. Eine verbesserte Koordinierung dieser Institutionen wäre zudem sinnvoll und im Interesse der Betroffenen. Unbedingt notwendig ist auch eine deutliche Anhebung der Pensionsleistung, das veranschaulichen die durchschnittlich ausbezahlten Leistungen: 2006 betrug die durchschnittliche Höhe der Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspensionen für Frauen 513 Euro, die der Männer 976 Euro.
Altersgerechte Arbeitswelt
Neben direkten Maßnahmen im Pensionssystem müssen auch die Arbeitsbedingungen so verändert werden, dass Menschen länger und gesund im Erwerbsleben bleiben können. Das erfordert eine alternsgerechte und lebensphasengerechte Gestaltung der Arbeitswelt. Dazu gehört z. B. eine an unterschiedlichen Bedürfnissen orientierte Regelung der Lebensarbeitszeit, passende Arbeitsabläufe und spezifische Bildungsangebote.
Der Prävention muss bei der Weiterentwicklung des Pensionssystems bzw. im Hinblick auf eine Reform der Berufsunfähigkeits- und Invaliditätspension, die wohl wesentlichste Bedeutung zukommen. Immerhin muss es weiterhin vorrangig sein, möglichst alle Menschen möglichst lange gesund im Arbeitsleben zu halten. Einer Berentung, als letzten Schritt, sind alle geeigneten Maßnahmen voranzustellen, die zu einer gesundheitlichen Wiederherstellung führen bzw. eine möglichst hohe Lebensqualität der Betroffenen garantieren können. Die Aufrechterhaltung der engen Verknüpfung im institutionellen Bereich von Behandlung, Rehabilitation und Sachleistungserbringung ist dafür Voraussetzung.
Gesundheitsförderung wichtig
Daher müssen bisherige Maßnahmen im Bereich der Prävention bzw. der Gesundheitsförderung ausgeweitet und auf eine breitere Basis gestellt werden. Prävention kann nicht auf die Vermeidung von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen reduziert werden. Gerade im Hinblick auf die angestrebte Senkung der Zahl der Berufs- und Invaliditätspensionen, hat die Vorbeugung arbeitsbedingter Erkrankungen besondere Relevanz. Im Unterschied zu Berufskrankheiten, die im ASVG genau definiert und aufgelistet sind, werden arbeitsbedingte Erkrankungen durch mehrere zusammenwirkende Faktoren ausgelöst.
Das können z. B. Umgebungseinflüsse wie etwa Lärm oder Staub sein, oder auch unpassende psychische und physische Anforderungen einer Tätigkeit, etwa starker Zeitdruck oder unzureichende Arbeitsmittel. Die in Folge entstehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen können oft zu chronischen Erkrankungen führen. Sehr häufig betreffen sie das Herz-Kreislauf-System, den Stütz- und Bewegungsapparat sowie den Verdauungstrakt. Aber auch Störungen des Allgemeinbefindens sind unter dem Aspekt einer arbeitsbedingten Erkrankung zu sehen, da sie als Frühsymptom einer erst später an den Tag tretenden Erkrankung wahrgenommen werden sollten. Indem psychische Erkrankungen zu einer der Hauptursachen für krankheitsbedingte Pensionierungen geworden sind, widerspiegelt sich die Bedeutsamkeit arbeitsbedingter Erkrankungen und gleichzeitig ihr Stellenwert hinsichtlich erforderlicher Präventionsmaßnahmen. Verschiedene internationale Studien sprechen von einem Anteil von 30 bis 50 Prozent, den arbeitsbedingte Erkrankungen am gesamten Krankheitsgeschehen ausmachen. Sie verursachen logischerweise auch entsprechende volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Kosten. So werden nach Schätzungen rund 1,6 Prozent des BIP für Kosten infolge arbeitsbedingter Erkrankungen ausgegeben.
Die von Gewerkschaftsseite geforderte Einführung eines eigenen Präventionsgesetzes wäre im Zusammenhang mit der notwendigen Vorbeugung arbeitsbedingter Erkrankungen ein wesentlicher Schritt. Insbesondere das Ziel einer umfassend umgesetzten und nachhaltig wirksamen betrieblichen Gesundheitsförderung wäre damit auf eine gute Basis gestellt und insgesamt ein wesentlicher Beitrag zur Wahrung der sozialen Sicherungssysteme geleistet.
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Infos und Formulare zur Berufsunfähigkeits- und Invaliditätspension:
www.help.gv.at/Content.Node/128/Seite.1280000.html
Arbeit und Alter
www.arbeitundalter.at
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»Es hat alles ganz harmlos angefangen«, berichtet eine, die selbst Opfer war: »Irgendwie sind Zettel mit Nachrichten verschwunden, und ich bin daher immer öfter mit meiner Arbeit nicht zeitgerecht fertig gewesen oder habe Fehler gemacht, aber ich dachte, das war nur ein Versehen.« Die Fehler häuften sich, niemand in der Abteilung half, niemand gab Auskunft. Die gemobbte Frau S. fing an, sich einzuigeln und auf Ansprache heftig zu reagieren. Die Zimmerkollegin verlangte mit einer Ausrede bei passender Gelegenheit ihre Versetzung in ein anderes Zimmer. Der Bitte wurde stattgegeben. Jetzt saß Frau S. allein im Zimmer und war noch mehr vom Informationsfluss und jeglichem Kontakt zu den KollegInnen abgeschnitten. Das war der Zeitpunkt als sich die Migräneanfälle häuften, und die Schilddrüse verrückt zu spielen begann. Frau S. wurde immer öfter krankgeschrieben und begann Fehler zu machen, die nicht ohne Folgen blieben,
Mobbing hat Methode
Statt spätestens jetzt zum Betriebsrat oder Vorgesetzten zu gehen, igelte S. sich ein, hatte noch weniger Kontakt und auch bei unbeteiligten KollegInnen eine »schlechte Nachred«. Erst nach ihrer Kündigung wandte sie sich an eine Beratungsstelle und arbeitete das Geschehen auf. Geblieben ist ein labiler Gesundheitszustand und die Erfahrung, dass es schon reichte, im privaten Gespräch nicht immer mit dem Strom geschwommen zu sein. Sie wurde zum Opfer, weil sie andere Interessen und Vorlieben hatte als die anderen KollegInnen und das auch artikulierte.
Dr. Brigitte Schmiedl-Mohl, seit 1992 mit dem Phänomen Mobbing befasst, sieht genau hier einen entscheidenden Unterschied zu anderen unfreundlichen Vorkommnissen am Arbeitsplatz und auch zum sogenannten eskalierten Konflikt, bei dem beide Seiten verlieren: »Mobbing ist immer zielgerichtet und hat Methode. Es geht darum, jemanden zu entfernen. Auch ›Unterwerfungsgesten‹ des Gemobbten helfen nichts. Letztendlich gewinnt eine Seite und die andere verliert.« Die Folgen des Mobbings sind für die Betroffenen verheerend: »Das Spektrum ist sehr breit und da Mobbing immer starke Persönlichkeiten trifft, halten es viele auch sehr lange aus. Ich kenne Fälle, da hat das Mobbing acht Jahre gedauert.« Die Expertin: »Das Spektrum der gesundheitlichen Störungen ist breit: Meist beginnt es mit einer akuten Belastungsreaktion, manche Menschen sind wie starr vor Entsetzen, wenn sie begreifen, was ihnen da widerfährt, manche kippen in nahezu ›hysterische‹ Verhaltensweisen.« Klassisch sind Schlafstörungen. In den durchwachten Nächten gehen die Opfer das Geschehen immer wieder in Gedanken durch und suchen einen Ausweg. Dieser Schlafentzug zehrt zusätzlich an den Ressourcen. Wer bis hierher noch keine Fehler gemacht hat, wird nun beginnen welche zu machen.
In der Mobbingfalle
Nach und nach eskaliert die Lage und das Opfer hat immer weniger Kontakte im Beruf - die totale Isolation beginnt: »Mit der Zeit reagieren die Opfer schon auf kleine Reize enorm.« Dazu kommen für die meisten Menschen, die in die Mobbingfalle geraten sind, Alpträume. Viele Opfer entwickeln im Laufe des Mobbingverlaufs Depressionen oft mit extremen Panikattacken oder anderen Angststörungen kombiniert. Was wie eine Reise durch ein psychologisches Lehrbuch klingt, ist nur ein Ausschnitt aus dem unsäglichen Leid, das Mobbingopfern und ihren Familien zugefügt wird. Denn dass bei derartigen Verläufen Partnerschaften zerbrechen und Kinder leiden können, liegt auf der Hand. Neben psychischen Schäden zeigen sich mit Fortdauer des Mobbings auch schwere Erkrankungen, wie Hochdruckerkrankungen, Diabetes und anderes. »Wenn ein Mobbingverlauf bis zum Ende geführt wird, dann entstehen beim Opfer so gut wie immer Spätschäden in körperlicher wie auch in psychopathologischer Sicht.«
Auffällig ist, dass Mobbing häufiger im öffentlichen Dienst und in solchen Bereichen auftritt, in denen ein geringeres Kostenbewusstsein in der Leitungsebene herrscht: »Richtiges Mobbing ist ein Fulltime-Job, der der eigentlichen Arbeit abgeht. Mobbing kostet die Firmen vom ersten Tag an viel Geld.« Das sei auch ein Grund, so Dr. Schmiedl-Mohl, warum in privatwirtschaftlichen Unternehmen Mobbing immer nur zeitlich sehr begrenzt vorkommt: »Das wird von Firmenleitungen manchmal ›zugelassen‹, wenn zum Beispiel Unternehmen oder Abteilungen zusammengelegt werden und man damit spekuliert, dass Einzelne nicht ins Team passen und daher entfernt werden.« Danach wird das aber ganz schnell und sehr radikal beendet.
Wo es aber keine klare Kostenrechnung gibt, kommt Mobbing immer wieder vor, wenn jemand nicht ins Team zu passen scheint, sich die politischen Verhältnisse ändern, Änderungen schlecht gemanagt werden, oder wenn Jobverlust droht und keine schnelle und klare Kommunikation von oben erfolgt.
Bewusstsein entwickeln
In Skandinavien und Frankreich steht Mobbing unter Strafe. In Österreich gibt es diesen Tatbestand in den Gesetzesbüchern nicht, allerdings kann man bei gut dokumentierten Mobbingverläufen den Dienstgeber, der es zugelassen bzw. nicht verhindert hat - und somit seiner Fürsorgepflicht nicht nachgekommen war -, zur Verantwortung ziehen. Vor den Gerichten Recht zu bekommen, ist für Mobbingopfer allerdings alles andere als leicht.
Verbessern kann sich das Klima in Unternehmen und Organisationen nur dann, wenn Vorgesetzte ein Bewusstsein entwickeln, dass Mobbing auch in ihrem Unternehmen auftreten kann und sofort darauf reagieren. Die Botschaft muss klar sein: Mobbing wird nicht geduldet und hat Folgen für die, die mobben. Um es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, ist es wichtig, auch erste Anzeichen ernst zu nehmen: »Auch Dahingesagtes wie ›den mach ma fertig‹ oder ›die muss weg‹ muss man ernst nehmen«, so Schmiedl-Mohl und sie betont: »Jeder kann zumindest Mitläufer werden, weil so gut wie jeder in so einer Situation Angst hat, selbst zum Opfer zu werden.«
Opfer können am Anfang eines Mobbingverlaufs noch etwas tun, um das Ruder herumzureißen: sich dem Betriebsrat oder, falls nicht vorhanden, dem Vorgesetzten anvertrauen, von Anfang an ein Mobbingtagebuch führen, im dem alle Vorkommnisse dokumentiert werden (ist auch im Fall gerichtlicher Verfahren als Beweismittel hilfreich) oder sich an eine der Hilfsorganisationen wenden. Um nicht total zusammenzubrechen, sollten sie sich in der Freizeit ausgiebig einem entspannenden Hobby widmen: Gartenarbeit und Spaziergänge in der Natur helfen ebenso wie Sport, Stress abzubauen und füllen die leeren Speicher - zumindest vorübergehend - wieder auf.
INFO&NEWS
Wie erkenne ich Mobbing
Der Arbeitspsychologe Heinz Leymann hat folgende Kennzeichen festgelegt:
• Die Schikanen passieren mindestens einmal pro Woche
• Die Situation zieht sich mindestens über ein halbes Jahr hin
• Die Schikane erfolgt nicht zufällig, sondern geplant
• Das Opfer kann sich nur ungenügend wehren
• Mobbing ist gezielt gerichtet
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Mehr Infos unter:
ÖGB-Mobbingberatung:
www.oegb.at/
Arbeiterkammer FAQ zum Thema Mobbing
www.arbeiterkammer.at/www-413-IP-938-AD-938.html
Hier gibt es Hilfe
www.mobbing.fida-taumer.at/mbstellen.htm
Netzwerk gegen Mobbing:
www.mobnet.at/
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Der Mobilfunkmarkt in Europa ist längst gesättigt. Neue Kundschaft gewinnt man nur noch, indem man die Preise der Konkurrenz unterbietet. Der beinharte Kampf zwischen den Anbietern geht auch an den MitarbeiterInnen nicht spurlos vorüber. »Die Arbeitsbedingungen unter dem extremen Wettbewerbsdruck in der Telekom-Branche machen die Beschäftigten krank«, formulieren es mobilkom-Betriebsratschef Werner Luksch und der Obmann des Zentralbetriebsrats von T-Mobile, Johannes Hofmeister.
Arbeitszeitgesetz nicht eingehalten
Was Gewerkschaften und BetriebsrätInnen schon lange vermuten, bestätigt nun eine Umfrage des Instituts für Empirische Sozialforschung (IFES). Die Ergebnisse sind alarmierend: Die Häufigkeit, mit der MitarbeiterInnen der Telekom-Unternehmen über burn-out-artige Beschwerden klagen, liegt um ein Vielfaches über dem allgemeinen Gesundheitsmonitor der AK Oberösterreich. Die ArbeitnehmerInnen in den Telekomunternehmen stehen unter enormen Arbeitsdruck. Zeit zum Ausspannen bleibt kaum, stattdessen ist Mehrarbeit an der Tagesordnung. Für rund ein Viertel aller Beschäftigten in der Telekom-Branche sind zwei oder sogar mehr Zehn-Stunden-Tage in der Woche die Regel. Fast die Hälfte arbeitet zumindest einmal in der Woche länger als zehn Stunden. Damit wird in den Telekom-Unternehmen das Arbeitszeitgesetz fortlaufend gebrochen. Mit mehr als 42 Stunden im Schnitt arbeiten Telekom-Beschäftigte rund fünf Stunden mehr als ArbeitnehmerInnen in Österreich generell. Für viele von ihnen ist die Arbeitszeit auch schwer berechenbar. Etwa 20 Prozent der Befragten klagen über unregelmäßige Arbeitszeiten.
Stressintensive Arbeit
Zu den Mehrstunden kommt, dass die Tätigkeit selbst oft als belastend wahrgenommen wird. Stress ist an der Tagesordnung. Zwar ist knapp die Hälfte der Beschäftigten in der Branche mit dem Arbeitsumfang zufrieden, bei der Arbeitsbelastung herrscht hingegen eine hohe Unzufriedenheit. Jede/r zweite Beschäftigte klagt über sehr starken oder starken Stress, hervorgerufen durch technische Probleme. Ein knappes Drittel meint, oft seien die Zeitvorgaben zur Erfüllung der gestellten Aufgaben einfach zu knapp. Neben Stress durch technische Probleme und Zeitdruck wird auch die ununterbrochene Bildschirmarbeit als krankmachend empfunden. Etwa die Hälfte der Befragten empfindet diese Belastung als stark oder sehr stark. Ein Drittel fühlt sich besonders unter Druck gesetzt durch die Notwendigkeit, sich permanent zu konzentrieren.
Erhebliche Gesundheitsprobleme
Der hohe Stressfaktor ist für die Beschäftigten nicht nur unangenehm, sondern hat für viele ernsthafte Auswirkungen: Sie leiden an Gesundheitsproblemen. Die Werte liegen hier zum Teil erheblich über denen des aktuellen Gesundheitsmonitors, einer repräsentativen Erhebung über die Gesundheitsprobleme aller ArbeitnehmerInnen Österreichs. Besonders häufig klagen die Befragten über Beschwerden durch Muskelverspannungen im Schulterbereich. Die Hälfte aller Beschäftigten ist davon betroffen. Im Vergleich dazu liegt dieser Wert im allgemeinen Gesundheitsmonitor nur bei 14 Prozent. Auch Rücken- und Kreuzschmerzen sind unter den BildschirmarbeiterInnen der Handy-Branche überdurchschnittlich weit verbreitet. 37 Prozent der Befragten leiden darunter. (Monitor: 16 Prozent). Fast ein Drittel der MitarbeiterInnen leidet zudem an Augenproblemen (Monitor: vier Prozent). Dazu kommen verstärkt Kopfschmerzen und Migräne: 23 Prozent (Monitor: acht Prozent), Erschöpfung, Mattigkeit, rasche Ermüdung und Niedergeschlagenheit: 41 Prozent (Monitor: acht Prozent). Besonders besorgniserregend ist, dass auch Burn-out-Symptome übermäßig stark verbreitet sind. Etwa ein Drittel fühlt sich von der Arbeit ausgelaugt, abends verbraucht oder müde und abgespannt (Monitor: etwa 15 Prozent).
Einkommen nicht leistungsgerecht
Wer unter Hochdruck und auf Kosten der eigenen Gesundheit arbeitet und regelmäßig Mehrstunden leistet, möchte zumindest ordentlich bezahlt werden. So empfinden das auch die Beschäftigten in der Telekommunikation. Angesichts ihrer Kompetenz und der stressintensiven Arbeit fühlen sich zwei Drittel der Beschäftigten nicht angemessen entlohnt.
Wenn der Markt gesättigt ist, wird aus dem Konkurrenzkampf der Unternehmen leicht ein Überlebenskampf und ein beinharter Verdrängungswettbewerb. Das wissen auch die Beschäftigten in der Telekom-Branche. Fast die Hälfte von ihnen sorgt sich daher um die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes. Auch die Hoffnung, dass sich diese Situation entspannen könnte, ist gering. Nur 16 Prozent rechnen damit, dass ihre Arbeitsplätze in Zukunft sicherer sein werden. Ganz im Gegenteil: Jede/r Zweite ist sicher, dass der jetzt schon hohe Arbeitsstress weiter zunehmen wird. Mit verbesserten Aufstiegsmöglichkeiten und wachsender Einflussnahme auf das Arbeitsgeschehen rechnet nur jede/r Vierte.
Vertrauensdefizit
Wer mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden ist und um den Arbeitsplatz fürchtet, verliert am Ende oft das Vertrauen in den/die ArbeitgeberIn. Jede/r dritte Beschäftigte der Telekombranche misstraut der Geschäftsführung. Ganz oder einigermaßen zufrieden ist nur ein Drittel. Nicht als Verantwortliche, sondern offenbar als selbst Betroffene werden die unmittelbar Vorgesetzten wahrgenommen. Mit ihnen sind fast zwei Drittel sehr oder einigermaßen zufrieden.
Für die BetriebsrätInnen der Telekomunternehmen ist die Situation klar. Das Management sei gefordert, hier Abhilfe zu schaffen, sagen sie und fordern Schutz der Gesundheit und mehr Personal: »Wenn die Geschäftsführungen die Ergebnisse der Befragung ernst nehmen, dann müssen sie zunächst einmal dafür sorgen, dass das Arbeitszeitgesetz eingehalten wird.« Mehr und regelmäßigere Überprüfungen durch die Behörden könnten dazu beitragen, die Verstöße abzustellen. Gleichzeitig könne es nicht sein, dass die MitarbeiterInnen den Wettbewerbsdruck ausbaden müssen, und die gleiche Arbeit auf immer weniger Köpfe aufgeteilt wird. Wenn die Arbeit in der Telekom-Branche nicht krank machen soll, dann brauchen die Unternehmen mehr MitarbeiterInnen. Als berechtigt und als Auftrag für die kommende Lohn- und Gehaltsrunde sehen sie auch die Einkommensforderungen der Beschäftigten. Leistungsgerechte Löhne werden daher eine zentrale Forderung von BetriebsrätInnen und Gewerkschaft sein. Insgesamt sehen sie ihre schon bisher vertretenen Verhandlungspositionen gestärkt.
Die Unsicherheiten wirken sich auch nachteilig auf die Unternehmen aus. Sie führen zu starker Personalfluktuation, die mit hohen Kosten für die Unternehmen verbunden ist, weil Ausbildungsleistungen und Imagewerte verloren gehen. Nur eine Belegschaft, die an die Zukunft des Unternehmens und die Qualität des Managements glaubt, bringt kontinuierlich hohe Leistungen. Es muss daher auch im Interesse der ManagerInnen aller Telekom-Unternehmungen liegen, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten zu verbessern und eine Kommunikationskultur des Vertrauens zu schaffen.
BUCHTIPPS
Jürgen Tenckhoff
Alter(n) in globalen Unternehmen der Telekommunikationsbranche
Aus der Reihe:
»Gesellschaft und Kommunikation. Soziologische Studien«
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Was ist Burn-out?
»Ausbrennen kann nur, wer einmal gebrannt hat.« Burn-out (ausgebrannt sein) ist in allen Arbeitsbereichen und in allen Gesellschaftsschichten verbreitet, und die Zahl der Betroffenen steigt stetig vor allem bei jenen Menschen, die sich stark engagieren oder in unsicheren Arbeitsverhältnissen stehen.
Hintergrund dieser Entwicklung ist die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch lange Arbeitszeiten, steigenden gesellschaftlichen und persönlichen Leistungsdruck, unsichere Arbeitsverhältnisse (freie Dienstverträge und Werkverträge) etc. Die Folge sind chronische körperliche Symptome aufgrund enormer Stressbelastung und dadurch eine Burn-out-Gefährdung. Wer seine/ihre Ziele erreichen kann, wer genügend Anerkennung von Vorgesetzten und KollegInnen erhält, wer eine angemessene faire Bezahlung bekommt und - das ist sicherlich einer der wichtigsten Faktoren - wer neben den Zeiten der Anspannung und Hochleistung auch Erholungsphasen hat, ist trotz hohem Engagement noch lange nicht durch Burn-out gefährdet.
Umgekehrt sind jene ArbeitnehmerInnen, die sich »ins Zeug legen«, aber ihre Vorstellungen nicht umsetzen können, die wenig über ihre Arbeitsmethoden bestimmen können und zugleich hohe Verantwortung für das Ergebnis haben und finanziell als auch emotionell keine Anerkennung für ihre Leistungen bekommen, höchst burn-out-gefährdet.
Die Tätigkeit als Faktor
Nicht nur die organisatorischen und sozialen Rahmenbedingungen der Arbeit, sondern auch die Tätigkeit selbst spielt bei der Entstehung von Burn-out eine wesentliche Rolle. Gerade jene KollegInnen, die in der Arbeit die Rolle des »Puffers« zwischen verschiedenen Wünschen und Interessen haben (z. B. zwischen Kunden/Kundinnen und Geschäftsführung, zwischen KollegInnen, AbteilungsleiterInnen zwischen Geschäftsführung und ArbeitnehmerInnen), sind sehr stark gefährdet. Unschwer ist zu erkennen, dass Frauen mit ihrer Doppelbelastung im Arbeits- und Privatleben besonders betroffen sind.
Wichtig ist, dass sich die Stress-Überlastung bei jedem Menschen in individuellen Symptomen zeigt (z. B. Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Angstzustände, Flucht aus der Firma etc.) und daher die Vorphase zu Burn-out oft zu spät wahrgenommen wird. Im Grunde muss es im Interesse des Arbeitgebers liegen, die Burn-out-Gefährdung im Betrieb zu verringern. Burn-out schafft nämlich nicht nur persönlichen psychischen und physischen Schaden, sondern mindert die Qualität der Arbeit.
Wer unter Stress arbeitet, macht zwangsläufig Fehler. Das Betriebsklima verschlechtert sich. Überstunden und Krankenstände häufen sich. Im schlimmsten Fall scheiden die Betroffenen gänzlich aus dem Betrieb aus. Für kostensparend kalkulierende und verantwortungsbewusste UnternehmerInnen sollte eine Burn-out-Prophylaxe daher zum täglichen Geschäft dazugehören.
Ursachen für Burn-out
Die Grundursache von Burn-out in Betrieben liegt oft in einer »Störung« von Informations- und Kommunikationsprozessen wie z.B.:
Harmoniebedürfnis und Konfliktvermeidungsstrategien lassen Angst vor Misserfolg und Unsicherheit vermuten. Unbekannte Aufgabengebiete und Herausforderungen werden umgangen, neue Erfahrungen vermieden. So entsteht keine kreative Dynamik und die persönliche Entwicklung stagniert.
Wenn die zwischenmenschliche Kommunikation erfolgreich verbessert werden soll, muss beim Verhalten des Einzelnen, bei den Umgangsformen in der Gruppe und bei den Beziehungen, Stil und Regeln der Organisation angesetzt werden. Ursachen für »Störungen« liegen niemals allein beim Einzelnen. Betriebsspezifische Formen der Kooperation, Führung, Qualifikation oder Hierarchie bestimmen das persönliche Verhalten mit.
Angebote für individuelle Verhaltensänderungen wie Erlernen von Entspannungstechniken, Rauchen aufhören, gedanklich anderer Umgang mit belastenden Situationen (z. B. sie als Herausforderung interpretieren) etc. sind zwar für ein Stück des Weges zielführend, jedoch in den seltensten Fällen eine nachhaltige Strategie für die Ursachenbewältigung. Denn: Was nützen die Entspannungstechniken, wenn sich am Arbeitsdruck und an der Organisationsstruktur nichts ändert?
Kommunikationstrainings, Organisationsentwicklung, Teamentwicklung und Einzelcoachings stärken die kommunikativen und sozialen Kompetenzen des Einzelnen und von Gruppen. Damit sind eine Reihe von Fähigkeiten gemeint, die die Bewältigung sozialer Situationen verbessern helfen. Sensibilität für alle Aspekte der Kommunikation bei sich selbst und anderen gehört dazu. Toleranz, Offenheit und Konfliktfähigkeit sind ebenfalls soziale Kompetenzen.
Eine nachhaltige Prävention von Burn-out muss daher nicht nur individuell ansetzen, sondern ein längerer Prozess sein, der vor allem die Rahmenbedingungen und die eingefahren Muster in der Betriebsstruktur berücksichtigt.
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Burn-out entsteht nicht über Nacht, sondern entwickelt sich über einen längeren Zeitraum, in dem ein Ungleichgewicht zwischen großer Anstrengung und dem damit erzielten Effekt erlebt wird - oder anders gesagt: Verausgabung gepaart mit Frustration.
Psychische Belastungen und Burn-out sind Themen, die uns in der Arbeitswelt in den nächsten Jahren vermehrt beschäftigen werden - das zeigen uns sowohl Statistiken als auch zahlreiche Gespräche mit BetriebsrätInnen. Menschen, die aufgrund von psychischen Erkrankungen in Invaliditäts- und Erwerbsunfähigkeitspension gehen, sind mit ca. 30 Prozent bereits die größte Krankheitsgruppe, knapp gefolgt von Muskel- und Skeletterkrankungen, die auch zu einem beträchtlichen Teil Folgeerscheinungen von psychischen Belastungen sind.
Arbeit kann krank machen
Aus dem ersten österreichischen Fehlzeitenreport 2007 geht hervor, dass 40 bis 50 Prozent der Krankenstandstage arbeitsbedingt sind. Psychische Erkrankungen verursachen vier Prozent der Fehlzeiten - sie sind aber die am schnellsten wachsende Gruppe der Erkrankungen. Wir können wohl davon ausgehen, dass die Fehlzeiten aufgrund psychischer Belastungen in den nächsten Jahren weiter ansteigen.
Burn-out entsteht oft, wenn Menschen über längere Zeit den beruflichen und privaten Anforderungen nicht mehr nachkommen können. Der Anstieg der beruflichen Anforderungen ist ein allgemeiner Trend - wir sollen immer und überall erreichbar sein, mit Handy, Laptop und Blackberry allzeit bereit. Wenn dann noch die privaten Anforderungen steigen, zum Beispiel durch Probleme mit den Kindern, Beziehungskrisen oder Pflegebedarf in der Familie, brennen Menschen förmlich aus.
Von den steigenden Anforderungen im beruflichen Alltag sind alle ArbeitnehmerInnen betroffen. Es gibt aber Persönlichkeiten, die eher dazu neigen, sich mit den beruflichen Anforderungen auch zu überfordern. Burn-out trifft vor allem Menschen, die in ihrem Beruf ein überaus starkes Engagement zeigen, sich selbst unter hohen Erfolgs- und Durchhaltedruck setzen und somit an die Grenzen ihrer Kräfte gehen bzw. diese letztendlich überschreiten. Das Phänomen zieht sich zunehmend durch alle Berufsgruppen und steht auch in einem Zusammenhang mit dem jeweiligen sozialen Umfeld.
Für Burn-out-Gefährdete ist Leistung wichtig. Wenn zu dieser persönlichen Einstellung der Leistungsdruck durch das Unternehmen dazu kommt, wird es gefährlich. Vorgesetzte und KollegInnen erkennen das Problem nicht und schaufeln den/die KollegIn noch weiter mit Arbeit zu. Es scheint einfach schick zu sein, viel und bis zur Erschöpfung zu arbeiten.
Die Burn-out-Sprirale
Bis zur völligen Burn-out-Erschöpfung gibt es zwölf Stufen, der Übergang ist aber fließend und nicht bei allen Betroffenen gleich. Abhängig davon, in welcher Stufe die Betroffenen sich befinden, ist ein Ausstieg aus der Burn-out-Spirale leichter bzw. schwerer zu bewältigen.
Wenn Menschen vom beginnenden Burn-out über viele Zwischenstufen (Arbeit überbewerten, keinen Urlaub mehr machen, ständig an die Leistung denken, keine Pausen machen, Freunde und Familie vernachlässigen usw.) in eine totale Erschöpfung geraten, werden sie für sehr lange Zeit krank. Sie brauchen dann medizinische und psychotherapeutische Unterstützung, es kommt häufig zu längeren Krankenhausaufenthalten bis hin zu Berufsunfähigkeit. Burn-out ist längst keine ManagerInnen-Krankheit mehr und ist inzwischen leider auch viel zu häufig unter ArbeiterInnen zu finden.
Aus Gesprächen mit BetriebsrätInnen und Mitgliedern ist schon seit Längerem klar, dass Burn-out bereits ein Problem des betrieblichen Alltags ist. Dennoch fehlen in Österreich statistische Aussagen, wie viele Menschen denn eigentlich davon betroffen sind, und was denn nun genau zu Burn-out führt. Deshalb hat sich der ÖGB dazu entschlossen, gemeinsam mit den Business-Doctors und Karmasin Motivforschung eine österreichweite Online-Umfrage zu Burn-out durchzuführen.
Die Befragung erfolgte im Winter 2007/2008. Die ersten Ergebnisse der Auswertung liegen nun vor und geben einen guten Einblick, welche Arbeitsbedingungen Burn-out fördern beziehungsweise entgegenwirken können.
ÖGB: Burn-out-Umfrage
Die Burn-out-Umfrage hat anhand eines international anerkannten Testverfahrens (MBI: Maslach Burn Out Inventory) drei Dimensionen untersucht:
Sind Erschöpfungszustand und Zynismus verstärkt ausgeprägt, die berufliche Leistungsfähigkeit aber eingeschränkt, sprechen wir von einer Burn-out-Gefährdung. Das traf bei 19 Prozent aller Befragten zu. Oder anders gesagt: fast jede/r fünfte der Befragten ist Burn-out-gefährdet. Fast die Hälfte aller Befragten (nämlich 49 Prozent) zeigen eine hohe Ausprägung auf den Dimensionen Erschöpfung und Zynismus. 31 Prozent zeigen eine geringe berufliche Leistungsfähigkeit.
Weiters haben wir untersucht, was nun Burn-out-Gefährdete (also Personen mit zunehmender Erschöpfung, verstärktem Zynismus und eingeschränkter Leistungsfähigkeit) von nicht Burn-out-gefährdeten Befragten unterscheidet - einerseits haben wir soziodemographische Merkmale (wie Alter, Geschlecht, Kinder usw.) abgefragt, und andererseits hat uns interessiert, welche Arbeitsbedingungen nun Burn-out verstärken bzw. vorbeugen können (z. B. Arbeitszeiten, Handlungsspielräume, Entscheidungsmöglichkeiten usw.).
Soziodemographische Erkenntnisse:
Handlungsmöglichkeiten
Wie diese Studie zeigt, kann Burn-out nicht nur auf persönliche Verhaltensweisen reduziert werden. Besonders bei den Arbeitsbedingungen kann ein Betrieb vorbeugen. Betriebe sollten daher - im Sinne der Fürsorgepflicht der ArbeitgeberInnen - auf zwei Ebenen ansetzen:
1. Bei den betroffenen Personen selbst durch individuelle Unterstützungsangebote im Umgang mit Stress und konkrete Hilfsangebote im Akutfall. Wichtig ist auch der Umgang mit Burn-out-Betroffenen, die nach einer längeren Abwesenheit wieder in den Betrieb zurückkommen (sensibles Wiedereingliederungsmanagement).
2. Bei den Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel den Informations- und Mitsprachemöglichkeiten, dem persönlichen Handlungsspielraum der MitarbeiterInnen, beim Feedback und der Anerkennung, aber auch bei Arbeitszeit, der mengenmäßigen Arbeitsbelastung oder bei der Über- bzw. auch Unterforderung bei den Arbeitsaufgaben.
Unterstützung in diesem Prozess können ArbeitspsychologInnen bieten. Sie müssen im Bedarfsfall im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Präventionszeit (ArbeitnehmerInnenschutzgesetz § 82a, Absatz 5) eingesetzt werden.
Nur die Spitze des Eisbergs
Der Großteil des Eisbergs schwimmt unter Wasser. Prävention durch Aufklärung und Änderungen der Arbeitsbedingungen können hier am meisten bewirken und schlimme persönliche Schicksale vermeiden.
Denn Personen mit diagnostiziertem Burn-out sind meist für längere Zeit (meist sechs Monate bis ein Jahr) nicht mehr arbeitsfähig, brauchen psychotherapeutische Betreuung und einen gut begleiteten Wiedereinstieg ins Arbeitsleben.
Ein Prozess, der nicht nur persönliches Leid verursacht, sondern auch viele Kosten für Betrieb und Gesellschaft.
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Weitere Einblicke in die Ergebnisse der Burn-out-Umfrage des ÖGB
sowie persönliche und betriebliche Beratungsangebote auf
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Einschlägige IFES- Forschungen der letzten zehn Jahre - seien es MitarbeiterInnenbefragungen in heimischen Betrieben, sei es der im Auftrag der AKOÖ erhobene und analysierte Arbeitsklimaindex - zeigen, dass sich die Schwerpunkte des Themas »betriebliche Gesundheit« merklich verschoben haben. Im Folgenden sollen nun einige zentrale Aspekte dieses Wandels und sich abzeichnende Weiterentwicklungen dargestellt werden.
1. Wandel der Arbeit
Der Fokus der herkömmlichen betrieblichen Gesundheitsvorsorge richtete und richtet sich stark auf körperliche Gesundheitsgefährdungen durch industrielle und gewerbliche Produktion sowie Dienstleistung. Gesetzliche Schutzmaßnahmen sollen Gefahren für Leib und Leben der Beschäftigten minimieren; eigens eingerichtete Arbeitsinspektorate sind berechtigt, ihre Einhaltung jederzeit zu kontrollieren. Die größte Schutzbedürftigkeit wird demnach bei jenen Personen, etwa ArbeiterInnen, gesehen, die in ihrer beruflichen Tätigkeit besonderen körperlichen Beanspruchungen (Hitze, Staub, Lärm usw.) oder Gefährdungen ausgesetzt sind. Die Gesundheit von Büroangestellten wiederum sieht man hauptsächlich in einer inadäquaten Arbeitsplatzgestaltung, etwa in einer falschen Sitzposition des Bürosessels und - seit neuerem - etwa in den Belastungen für die Augen durch PC-Arbeit gefährdet - siehe Bildschirmpause. Gesetzliche Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen sollen überdies die Regeneration von ArbeitnehmerInnen ermöglichen. All diesen sinnvollen und notwendigen Schutzmaßnahmen ist gemeinsam, dass sie fast ausschließlich körperliches Wohlbefinden und Unversehrtheit im Auge haben und psychosomatische Befindlichkeitsstörungen vernachlässigen.
Als in den 1970er Jahren die Gewerkschaften unter der Losung »Humanisierung der Arbeitswelt« zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen aufriefen, war die Arbeitswelt in vieler Hinsicht noch von körperlicher Schwerarbeit geprägt.
In der Zwischenzeit ist nicht nur der Anteil an manuellen Tätigkeiten kontinuierlich zurückgegangen, die Tätigkeitsfelder von ArbeiterInnen unterscheiden sich in vielen Bereichen von jenen früherer Tage. So ist etwa ein besonders risikoreicher Berufszweig, der Bergbau, in Österreich fast völlig ausgestorben. ArbeiterInnen in der modernen industriellen Produktion sind vielfach zu SteuerungstechnikerInnen komplizierter Maschinen geworden, bei denen statt Kraft gleichbleibende Konzentration gefordert wird. Damit verändert sich das hergebrachte Belastungs- und Beanspruchungsprofil und damit die Art des Gesundheitsrisikos.
2. Neue Gesundheitsgefährdungen
Einschlägige Forschungen des IFES zeigen, dass immer mehr Beschäftigte durch Gesundheitsrisiken betroffen sind, die weniger deren körperliche als vielmehr psychische, seelische und soziale Befindlichkeit berühren. Als besonders markante Risikofaktoren seien an dieser Stelle nur Folgende genannt:
Die gesundheitlichen Folgen dieser - und anderer - Entwicklungen äußern sich vielfach nicht so offensichtlich wie die Staublunge des Bergmanns oder die Rückenschmerzen des Büroangestellten. Bevor etwa bei einem/einer chronisch überlasteten MitarbeiterIn ein Burn-out-Syndrom diagnostiziert wird, hat sie/er möglicherweise bereits eine jahrelange Krankheitsgeschichte hinter sich, die im Betrieb nicht aufgefallen ist, weil die Leistung scheinbar ja immer gestimmt hat.
Unsere Forschungen der letzten Jahre deuten - zusammengefasst - darauf hin,
3. Neue Lösungen
Diese Erkenntnisse verdanken wir nicht zuletzt dem Umstand, dass in vielen Betrieben die Sensibilisierung für diese »neuen« Gesundheitsgefährdungen gewachsen ist, und dass gesundheitsbezogene Fragestellungen ein immer wichtigerer Bestandteil von MitarbeiterInnen-Befragungen werden. Es besteht also ein sichtlich gesteigertes Interesse seitens der Personalverantwortlichen, einen umfassenden Blick auf die gesundheitliche Situation ihrer Beschäftigten zu gewinnen.
Zunehmender Druck entsteht aber auch seitens der innerbetrieblichen Interessenvertretungen, wie etwa das Beispiel einer aktuellen, von den Personalvertretungen und Betriebsräten aus sechs Telekommunikations-Unternehmen initiierten, betriebsübergreifenden Gesundheitserhebung zeigt. Motor einer veränderten Problemwahrnehmung und einer stärkeren Fokussierung auf psychosomatische Gesundheitsrisiken ist jedoch auch ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein der Beschäftigten selbst.
Wenn »Befunde« aus spezifischen Gesundheitserhebungen nun einmal auf dem Tisch liegen, ist seitens der Unternehmen das Bemühen zu erkennen, korrigierend einzugreifen. Vielfach dringt man aber nicht bis zum Kern der Problematik vor und glaubt, mit Oberflächenkosmetik das Auslangen zu finden. Keine nachhaltigen Lösungen sind etwa unzumutbare Belastungen finanziell abzugelten, oder den MitarbeiterInnen Stresstests oder Zeitmanagement-Seminare anzubieten.
4. Fazit und Perspektiven
Unsere Forschungsprojekte in österreichischen Unternehmen zeigen, dass das Problembewusstsein für berufliche Gesundheitsrisiken sowohl bei den Interessenvertretungen, den Beschäftigten, aber auch den Personalverantwortlichen - jenseits der rein körperlichen Gefährdungen - wächst. In der Regel bestehen die Maßnahmen darin, potenziell krank machende Faktoren zu identifizieren und die MitarbeiterInnen dabei zu unterstützen, besser mit diesen Bedingungen leben zu können. Ein nächster Schritt müsste jedoch sein, diese Faktoren zu beseitigen, Belastungen möglichst auszuschalten oder zumindest zu reduzieren.
Gesundheit ist allerdings weit mehr als nur das Fehlen von Krankheit! Nach der allgemein anerkannten Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beinhaltet Gesundheit eine Reihe von Positivindikatoren wie z. B. soziale Partizipation, Selbstwirksamkeit und Sinnfindung, also Rahmenbedingungen und Ressourcen, die Gesundheit in einem umfassenden Sinne überhaupt erst hervorbringen.
Zentral gehören dazu etwa im sozialen Gefüge »Arbeit«:
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Institut für empirische Sozialforschung (IFES)
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Hohes Arbeitstempo
Im Jahr 2005 waren 60 Prozent der ArbeitnehmerInnen durch sehr hohes Arbeitstempo und 62 Prozent durch knappe, unaufschiebbare Termine belastet. Parallel dazu ging eine erhebliche Verringerung des Anteils an Beschäftigten, die nie mit hohen Tempo arbeiten mussten (von 36 Prozent im Jahr 1991 auf 21 Prozent im Jahr 2005) bzw. die nie an knappe Termine gebunden waren (von 31 Prozent im Jahr 1991 auf 19 Prozent im Jahr 2005), einher. Das bedeutet, dass die Arbeit immer schneller und unter größerem Zeitdruck bei gleichzeitig immer weniger Möglichkeiten zeitweise unter geringerem Druck zu arbeiten, ausgeführt werden muss. Wir haben es also - zumindest seit 1991 - mit zunehmender Arbeitsverdichtung bei fortschreitender Arbeitsintensivierung zu tun.
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