Gut gewerkschaftlich organisiert
»Quebec und Newfoundland waren immer schon am besten gewerkschaftlich organisiert«, erklärt Riche. In Newfoundland mit seinen Minen, Papierfabriken, der Fischerei und Automobilindustrie bzw. dem breiten öffentlichen Sektor stießen Gewerkschaften seit jeher auf große Zustimmung. Die Organisationsrate liegt immer noch um die 35 Prozent. Für Nancy Riche liegen vor allem für Frauen die Vorteile einer Gewerkschaftsmitgliedschaft auf der Hand: »Wir brauchen nur auf die Löhne in der Privatwirtschaft zu schauen, während in unserer Provinz Frauen im nicht gewerkschaftlich organisierten Bereich nur 60 Prozent der Gehälter von Männern haben, sind es im gewerkschaftlich organisierten Bereich klar über 90 Prozent!«
Unzureichende Sozialhilfe
»Wir Linken leben in ständiger Angst vor der konservativen Regierung. Diese Regierung ist wirklich schlecht! Sie denken ähnlich wie die Republikaner in den USA«, führt Nancy Riche aus. Der kanadische Premierminister Stephen Harper steht einem Minderheitenkabinett vor. Dieses unterstützte George Bush in Afghanistan, fährt einen harten Kurs gegenüber SozialhilfeempfängerInnen und kürzte die Geld- und Sachleistungen für Familien mit Kindern. Angesichts des starken Druckes der Oppositionsparteien stimmte Harper aber einer Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu. Abhängig von Versicherungsdauer und Vordienstzeiten können nun bis zu 50 Wochen Arbeitslosengeld bezogen werden. Da die erforderlichen Versicherungszeiten und die Bezugsdauer von der regionalen Arbeitslosenrate abhängig sind und bei Selbstkündigung oder schuldhafter Entlassung generell keine Leistungen zustehen, ist die Arbeitslosenversicherung sehr umstritten. Nur 43,4 Prozent der kanadischen Arbeitslosen sind berechtigt, Leistungen zu beziehen. Und die Sozialhilfesätze, die sich in Provinzverantwortung befinden, sind als letztes Auffangbecken meist zu gering und unzureichend.
Premier Danny Williams ist auf Kriegsfuß mit der Bundesregierung, kürzte diese doch die Bundeszuschüsse zu den Sozialleistungen der Provinz. Williams ist zwar Politiker der Progressive Conservatives (Progressive Konservative), diese sind jedoch keine Teilorganisation der in Ottawa regierenden Konservativen, sondern riefen bei den jüngsten Wahlen sogar zur ABC-Kampagne auf (»anybody but conservative«/jeden außer die Konservativen). Nicht zuletzt deshalb stimmten bei diesen Wahlen zum kanadischen Parlament 34 Prozent der NeufundländerInnen für die Sozialdemokraten, der höchste Wert aller Provinzen. Freilich trug dazu auch ein Faktor bei, den wir bei so vielen sozialdemokratischen Parteien in Europa so bitter vermissen: attraktive KandidatInnen und klare sozialpolitische Botschaften.
»Danny Chavez« verstaatlicht
Nachdem in den 90er-Jahren alle großen Fischfabriken geschlossen hatten und unlängst auch die zum US-amerikanischen Konzern Abitibi-Bowater gehörende wichtigste Papierfabrik der Provinz nach 100 Jahren trotz der Inanspruchnahme vieler öffentlicher Fördermittel ihren Betrieb einstellte, reichte es dem Premier. Er verstaatlichte die Fabrik kurzerhand. Die Maßnahme ist rechtlich höchst umstritten und brachte Williams den Spitznahmen Danny Chavez ein. Die NeufundländerInnen waren begeistert. Für Nancy Riche ist die Maßnahme nicht weit reichend genug: »Ich wünschte, er hätte die Eigentumsrechte der Fabrik an die Arbeiter übertragen!«
Als weitere Maßnahme verteilt der Premier, in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Gewerkschaft, große Fördermittel an ArbeitnehmerInnen, die, wenn ihre Firmen pleite gehen, sonst um ihre Abfertigungsansprüche umfallen würden. Außerdem stellt Newfoundland die großzügigsten Sozialhilfesätze aller kanadischen Provinzen bereit. Williams ignoriert dabei die bundespolitische Vorgabe, dass Leistungen für Kinder nur an Erwerbstätige ausbezahlt werden sollten, nicht jedoch an SozialhilfeempfängerInnen.
Herausforderung Gesundheitspolitik
Eine andere Herausforderung stellt die Gesundheitspolitik dar: Die Leistungen des universalen kanadischen Gesundheitssystems gelten auch in Newfoundland and Labrador: Keinerlei Selbstbehalte bei Arztbesuchen jedweder Art oder im Krankenhaus, es gibt Lohnfortzahlung und Mutterschaftsgeld, die Bevölkerung ist zu 100 Prozent von der steuerfinanzierten Krankenversicherung erfasst. »Trotz des Prinzips der Universalität gibt es aber große regionale Unterschiede, und ich glaube, wir haben viel Arbeit vor uns, wenn wir das Gesundheitssystem in unserer Provinz auf den Stand anderer Regionen bringen wollen«, beschreibt Lorraine Michael die Situation in ihrer Provinz. Michael ist die Vorsitzende der NDP von Neufoundland and Labrador. »Als kleine Provinz haben wir Schwierigkeiten ausreichend Spezialisten zu finden, und das vergrößert das Problem der Wartezeiten.« Für immer mehr Leute entwickeln sich auch die hohen Medikamentenpreise zu einem finanziellen Problem: »Wir finden, dass zumindest alle, die finanziell nicht so gut dastehen, und alle Pensionisten vom freien Zugang zu Medikamenten erfasst sein sollten«, fordert Lorraine Michael als ersten Schritt.
Vielfältige Probleme
Besonders schwierig ist die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen im Norden. Viele Dörfer sind nur mit dem Schiff oder dem teuren Flugzeug erreichbar und sind zum Teil an die zwölf Stunden Schifffahrt voneinander entfernt. Die meisten EinwohnerInnen im entlegenen Norden sind Aboriginals. 75 Prozent der Inuit, welche die größte Gruppe an Ureinwohnern in Labrador stellen, leben von der Sozialhilfe, die Selbstmordrate ist sechsmal so hoch wie bei nicht-indigenen KanadierInnen, und Alkohol- und Drogenabhängigkeit wird ein immer größeres Problem. Die kanadischen UreinwohnerInnen »können diese Probleme selbst angehen, aber wir müssen ihnen alle notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen!«, fordert Lorraine Michael. »Die Leute wurden durch den Kolonialismus zerstört und leiden immer noch darunter. Sie haben ihr Land verloren und ihren Lebensstil. Wir schulden den Aboriginal People immer noch Unterstützung.«
Die Probleme Neufundlands sind also vielfältig und wahrscheinlich noch lange nicht gelöst, doch kann der Weg der dünn besiedelten Provinz zweifelsohne ein Vorbild für andere kanadische Provinzen und auch für uns hier in Europa sein, ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit anzustreben, und auch in der Krise ein klares Nein zum Rechtspopulismus auszusprechen.
Der Autor hielt sich im Rahmen einer Bildungskarenz fast vier Monate in der kanadischen Provinz Newfoundland and Labrador auf.
Weblinks
Kanadischer Gewerkschaftsbund Canadian Labour Congress (CLC)
www.clc-ctc.ca
wikipedia zu Neufundland und Labrador
de.wikipedia.org/wiki/Neufundland_und_Labrador
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Nicht kriminalisieren
Wenn Straftaten begangen werden ist es die Aufgabe der Polizei, die TäterInnen auszuforschen und zu bestrafen. Die TäterInnen (!) - nicht irgendein »ideologisches Umfeld«, das gleiche oder ähnliche Ziele auf vollkommen legalen Wegen verfolgt. Vorträge an Schulen, das Veranstalten von Seminaren, das Herstellen von Videos und Flugzetteln, aber auch Demonstrationen, Verhandlungen, Kundgebungen - gerade das sind die erwünschten Formen ziviler Einmischung in die Politik, die das Herzstück jeglicher Demokratie sind. Wer diese Betätigung zu kriminalisieren versucht, unterläuft nicht nur die Menschenrechte und Grundfreiheiten, sondern die Demokratie schlechthin!
Gerade wir GewerkschafterInnen wissen, wovon wir reden: Nach wie vor ist es in vielen Staaten der Welt schon ein Verbrechen, sich überhaupt politisch bzw. für Gewerkschaften einzusetzen. Auch in Österreich wurden während der Monarchie unter den verschiedensten Vorwänden gewerkschaftliche Aktionen kriminalisiert. »Ständestaat« und Nazis brauchten dazu keine Vorwände. In totalitären Staaten gibt es zweifelhafte, dehnbare Strafrechtsbestimmungen, wie »Beleidigung des Türkentums« gemäß § 301 des türkischen Strafgesetzbuches (bis zur tw. Entschärfung durch Gesetzesänderung 2008) oder die Bildung »staatsfeindlicher Verbindungen« nach § 100 des szt. StGB der DDR. Sie wurden und werden dann herangezogen, wenn der Staatsführung missliebige politische bzw. zivilgesellschaftliche Aktivitäten zu erfolgreich werden.
Schutz der freien Meinungsäußerung
Und in Österreich? Eigentlich hätte man gehofft, dass diese Zeiten hinter uns liegen. Auch das Strafgesetzbuch ist ein einfaches Gesetz und muss jene Menschenrechte und Grundfreiheiten respektieren, die durch die österreichische Bundesverfassung, die im Verfassungsrang stehende Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und ähnliche Grundrechtsgarantien verbürgt sind. Auch bei der Auslegung z. B. des § 278a StGB (»kriminelle Organisation«) muss daher der verfassungsrechtliche Schutz der freien Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit usw. berücksichtigt werden. Wenn österreichische Strafverfolgungsbehörden einen mehrere hundert Seiten langen Strafantrag verfassen, der genau diese brisante Problematik betrifft, ohne das verfassungsrechtliche Spannungsfeld auch nur in irgendeiner Weise anzusprechen, zeigt das einmal mehr, wie bedauerlich gering der Stellenwert der grundlegendsten Werte der Republik gerade bei deren Behörden immer noch ist. Man muss dann gar nicht erst den Vergleich zu eingestellten bzw. gar nicht eröffneten Strafverfahren gegen ranghohe Politiker bemühen, um zu sehen, welche Wirkungsrichtung die Staatsanwaltschaften dem Strafrecht bei »politischen Delikten« neuerdings (wieder) geben. Noch ist es nur ein Strafantrag, aber das ist schlimm genug: Betroffene TierrechtsaktivistInnen saßen monatelang in Untersuchungshaft, in einer Art staatlicher Kampagne wurde versucht, ihren Verein zu diskreditieren, aber auch durch zweifelhafte steuerliche Maßnahmen in die Knie zu zwingen usw. Eine gezielte politische »Gegenkampagne« gegen missliebige Organisationen der Zivilgesellschaft ist niemals Aufgabe des Staates!
Noch einmal: Wer Brandanschläge durchführt, ist strafrechtlich zu verfolgen. Man soll ihn wegen der Durchführung oder Beihilfe zu solchen Straftaten anklagen, überführen und verurteilen. Dazu bedarf es keiner Hilfskonstruktionen: Wer Straftaten auch nur organisatorisch, finanziell etc. wissentlich unterstützt, ist ohnedies Mittäter.
Eine Schande für Österreich
Aber es kann und darf nicht hingenommen werden, dass Bestimmungen des Strafgesetzbuches, deren einziges Anwendungsfeld die Erleichterung des Vorgehens gegen »genuin mafiöse Organisationen« zu sein hat (Klingenbrunner in juridikum 2008, 163), zur Unterdrückung von freier Meinungsäußerung und politischer Betätigung missbraucht werden. Zu Recht hat Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk (Der Standard v. 17./18. 10. 2009) gemeint, Österreich brauche solche Bestimmungen nicht. Eigentlich muss man es schärfer formulieren: Solche Strafrechtsregeln bzw. derartige Interpretationen sind eine Schande für Österreich! Wir GewerkschafterInnen sind gut beraten, die Entwicklung der Verfahren gegen die TierrechtsaktivistInnen genau zu verfolgen und lautstark gegen solche Vorgehensweisen aufzutreten - ehe ähnliche »Verfahren« auch gegen uns angewendet werden!
Info&News
Gefährliche Aktivitäten!
Vorwürfe gegen Martin Balluch: Aus dem Strafantrag gegen die TierrechtsaktivistInnen:
Martin Balluch habe im Wissen, dadurch eine Vereinigung zu fördern, die strafbare Handlungen begeht, sich an deren Aktivitäten beteiligt durch u. a.
* Ausforschen von Pelztierfarmen zu Zwecken der Dokumentation und der Entwicklung von Strategien,
* im Rahmen der »Anti-Jagd-Kampagne« durch Erteilen taktischer Ratschläge,
* durch organisationsinterne Verbreitung der angewandten Taktik und Bekanntmachung verübter Straftaten,
* durch das Mitwirken am Kunstsymposion »Das Tier als Subjekt« und
* Veranstalten eines Tierrechtskongresses und Referat dort,
* durch Betätigung als »Vordenker« durch Verbreitung der Ideologie und Entwicklung von Strategien,
* durch Archivierung von Bekennerschreiben und Berichten zu Anschlägen einer »Animal Liberation Front«.
Weblink
Europäische Menschenrechtskonvention:
www.echr.coe.int/NR/rdonlyres/F45A65CD-38BE-4FF7-8284-EE6C2BE36FB7/0/GermanAllemand.pdf
Info&News
Aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK):
Artikel 10
Freiheit der Meinungsäußerung
(1) Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schließt nicht aus, dass die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen.
(2) Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten.
Artikel 11
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
(1) Alle Menschen haben das Recht, sich friedlich zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen, einschließlich des Rechts, zum Schutze ihrer Interessen Gewerkschaften zu bilden und diesen beizutreten.
(2) Die Ausübung dieser Rechte darf keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. …
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Zukunft der sozialen Sicherheit in Österreich und in der EU
Werden wir noch Pensionen erhalten?«, »Inwieweit unterstützt uns die EU in Sachen Sozialpolitik?«, »Warum gibt es die Mindestsicherung?«, »Ist die Hacklerregelung sinnvoll?« und »Wer soll das alles finanzieren?« - Fragen wie diese standen im Zentrum der Diskussion »Zukunft der sozialen Sicherheit in Österreich und in der EU«. Am Beginn der Veranstaltung standen Impulsreferate des Vizekanzlers und Bundesministers für Finanzen Dr. Josef Pröll und des Bundesministers für Arbeit Soziales und Konsumentenschutz Rudolf Hundstorfer. Anschließend antworteten die Nationalratsabgeordneten Renate Cörgits (SPÖ), Beatrix Karl (ÖVP) und Karl Öllinger (Die Grünen) auf die Fragen von Katharina Klee, Chefredakteurin der Zeitung »Arbeit&Wirtschaft« .
Österreich sei mit 28 Prozent Sozialquote (gemessen am BIP) eines der sozialsten Länder der Welt, betonte eingangs BM Pröll. 70 Mrd. Euro würden zur Hälfte in die Finanzierung der Pensionen und Alteneinrichtungen fließen, 25 Prozent verschlinge das Gesundheitssystem, zehn Prozent dienten Familien und 15 Prozent würden für Invalidität, Arbeitsmarkt etc. aufgewendet. BM Pröll unterstrich mehrmals die Eigenverantwortung jedes Einzelnen und meinte, dass das soziale Netzwerke, dort greifen solle, wo das Indivi duum zu schwach sei.
Pensionssystem zukunftsfit machen
Die Gestaltung der Pensionen würde aufgrund der demografischen Entwicklung in Österreich in Zukunft schwer werden, da bis 2030 die Hälfte des Volkes über 65 Jahre alt sein würde. Deswegen sehe er es als seine Pflicht, das System zukunftsfit zu machen. Damit meine er aber nicht die Privatisierung des Pensionssystems, das mittels Umlageverfahren aus der Sozialversicherung und staatlichen Zuschüssen finanziert werde.
Mit der Verschuldung von 78 Prozent des BIP werde die zukünftige Absicherung kein einfaches Unterfangen werden. Das Problem sah Pröll jedoch nicht so sehr auf der Einkommens-, sondern eher auf der Ausgabenseite. Dort müsse gespart werden. So gehörte Österreich auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene viel klarer und einfacher strukturiert. Als wichtig bezeichnete der Vizekanzler zudem die Positiv-Bewertung von Arbeit in unserer Gesellschaft, sie dürfe auch Spaß machen und müsse honoriert werden: Verteilungsgerechtigkeit könne es ohne Leistungsgerechtigkeit nicht geben.
Als BM Hundstorfer das Podium betrat, appellierte er zuerst an die anwesenden Jugendlichen, ihre Schulausbildung bestmöglich abzuschließen, um bestqualifiziert in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Er bezeichnete die soziale Sicherheit als Grundpfeiler für eine funktionierende Gesellschaftspolitik. In Sachen Pensionen bleibe das Umlagesystem zukunftweisend, da es mehr Stabilität als das Kapitaldeckungsverfahren aufweise.
Für Reform des Steuersystems
Der Sozialminister stellte sich hinter die vor der vergangenen Nationalratswahl verlängerte »Hacklerregelung« , die seiner Meinung nach besser »Langzeitversichertenregelung« heißen müsse. Ihre Beibehaltung sei gerade jetzt notwendig, um Stabilität in eine so ungewisse Zeit zu bringen. 2013 müsse aber Schluss damit sein. Hundstorfer sprach sich klar für eine Reform des Steuersystems aus, das u. a. zu sehr auf Vollbeschäftigung aufgebaut sei und schon deshalb in Zeiten der Wirtschaftskrise stark ins Wanken geraten müsse. Als zusätzliche Einnahmequellen nannte er die Wiedereinführung der Börsenumsatzsteuer und die Besteuerung von Vermögen. Letztere sah er jedoch nicht als Allheilmittel für die Rettung der Staatskassen, weil sie in Summe keine großen Erträge abwerfe.
Die Pensionen sind sicher
Auf die zwei sehr enthusiastischen Referate der Minister folgten zahlreiche Fragen aus dem Publikum. U. a konnte Minister Pröll eine Schülerin beruhigen, die besorgt fragte, ob in Zukunft bis zu einem Alter von 79 Jahren gearbeitet werden müsse. Ein Hinaufsetzen des gesetzlichen Pensionsalters sei überhaupt nicht das Thema. Es gehe vielmehr darum, das faktische Pensionsalter an das gesetzliche heranzuführen.
Ein weiterer Höhepunkt des Tages war der RoundTable der SozialexpertInnen von SPÖ, ÖVP und den Grünen. Katharina Klee moderierte den Roundtable, und es gelang ihr, mit pointierten Fragen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei der Sozialpolitik aufzuzeigen. Renate Csörgits, Beatrix Karl und Karl Öllinger stellten sich auch den Ängsten und Wünschen der ZuhörerInnen. So war ihnen etwa die EU zu wenig Sozialunion. Das Podium bestätigte einhellig, dass sie weitgehend nur in ökonomische Bereiche wie etwa das Arbeitsrecht eingreife. Bei anderen Themen wie z. B. dem Pensionssystem gingen die Meinungen der ParteienvertreterInnen sehr wohl auseinander. So fand NAbg. Csörgits, dass dieses entweder durch den Versuch, die Menschen länger gesund im Arbeitsystem zu halten, zu stabilisieren sei, oder die Erhöhung der staatlichen Zuschüsse angedacht werden müsse. Beatrix Karl hob drei mögliche Wege hervor: Die Erhöhung des Pensionsalters, die Erhöhung der Beiträge oder die Erhöhung der staatlichen Zuschüsse. Zur Mindestsicherung betonten alle drei, dass diese nicht als soziale Hängematte des Staates Österreichs eingerichtet werden dürfe und werde. Hier überholte NAbg. Öllinger seine Kolleginnen nur ganz klar damit, dass er eine 14-malige Auszahlung forderte, weil die BezieherInnen sonst unter die Grenzen des geltenden Existenzminimums fielen.
Uns Jugendlichen bot die Veranstaltung zum Thema »Soziale Sicherheit in Österreich und der EU« viele und interessante Informationen - und die Beruhigung, dass auch wir noch auf sichere Pensionen vertrauen können.
Weblink
8. VWL-Perspektiven Seminar»Kapitalismus im Umbruch?!«
Mi. 20.10. bis Fr. 22.10.2010
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Datenquellen: EUROSTAT, lfd. Monat;
Anm.: Der Harmonisierte VPI ist der zentrale Indikator für die Währungspolitik
der EZB. Er stellt auch die beste statistische Basis für internationale
Vergleiche unter europäischem Gesichtspunkt dar.
EWU = Europäische Währungsunion; EWR = Europäischer Wirtschaftsraum.
Die Schweiz berechnet seit Jänner 2008 einen HVPI.
r = revidiert; p = vorläufig;
Vorbei an der Politik
Betrachten wir die bisherige Berichterstattung zu den Protesten an den österreichischen Universitäten, wird immer wieder auf zwei, vermeintlich genuin neue Phänomene hingewiesen. Das sind die Basisdemokratie und die Entstehung des Protests vorbei an den etablierten Strukturen der Politik. Beide Phänomene dienen als Erklärungsmuster für die ausgesprochene Dynamik der Proteste. Meines Erachtens sind diese Phänomene aber nur Ausdruck tiefer liegender Prozesse der Subjektformierung, die schon vor Beginn der Proteste begonnen haben und sich nun verschränken mit dem Ausbruch der Bewegung.
»Diese Zukunft hat keine Zukunft mehr« Das war das Statement eines Studierenden am zweiten Tag der Besetzung des Audimax. Diese Worte geben einen ersten Einblick in die Tiefe der Unzufriedenheit. Beinahe schon ein Jahrzehnt bekommen wir in regelmäßigen Abständen von den politischen Eliten die Stehsätze zu hören, dass wir in einer Wissensgesellschaft leben würden, dass Wissen die wichtigste Ressource der heutigen »postindustriellen« Gesellschaft sei, dass Europa zum wettbewerbsfähigsten auf Wissen basierendem Wirtschaftsraum der Welt werden müsse. Die Realität an den Orten, wo dieses Wissen »produziert« wird, spießt sich mit der vermeintlichen Systemrelevanz dieser Orte.
Das Empfinden, dass hier etwas nicht stimme, geht weit über das alltägliche Erleben von überfüllten Hörsälen hinaus. Es ist das Gefühl einer weit verbreiteten Perspektivenlosigkeit, nicht nur während des Studiums. Eine ganze Generation von AkademikerInnen ist davon betroffen. »Prekarität« ist der adäquate Begriff, der die biografischen Situationen eines großen Teils der Universitätsangehörigen umschreibt. Die Versprechungen einer Wissensgesellschaft und die des Bologna-Prozesses delegitimieren sich jeden Tag im konkret Erlebten. Dem Fass den Boden ausgeschlagen hat sicherlich die aktuelle Wirtschaftskrise. Die enormen Summen, die nun locker gemacht wurden für die Rettung maroder Finanzinstitute, ließen den Zweifel an den Verheißungen der Wissensgesellschaft noch einmal wachsen. Für viele war es klar, nicht die Wissensgesellschaft ist Realität, sondern eine finanzmarktorientierte Gesellschaft. Die Uni schien nicht systemrelevant zu sein. Die Politik verspielte damit ihre Glaubwürdigkeit.
Bildung statt Ausbildung
Ein weiterer Aspekt betrifft die Auswirkungen der Bologna-Studienarchitektur. Die Umstellung auf das BAC- und Mastersystem an der Akademie der bildenden Künste und die darauf folgenden Proteste markierten den Auftakt des aktuellen Protetszyklus1. Innerhalb dieser Neuausrichtung der studentischen Laufbahnen passiert eine massive Verschulung des Studiums. Hintergrund ist das Ziel, einen einheitlichen Hochschulraum in der EU zu schaffen, der die Mobilität der Studierenden fördern sollte. An sich ein begrüßenswertes Anliegen, doch wurde der Bologna-Prozess sehr schnell zu einem Vehikel, mit dessen Hilfe die Hochschulbildung im Interesse der ökonomischen Verwertbarkeit zugerichtet wurde.
Einhergehend damit begann eine schleichende Umdefinition der StudentInnen zu Bildungskunden. Die damit Einzug haltende »Kosten-Nutzen-Rechnung« erhöhte den herrschaftlich-bürokratischen (dem Wortsinn nach bedeutet Bürokratie »Herrschaft des Büros«) Druck, die Lehrveranstaltungs-Vitae zu normieren und zu kontrollieren. Dieser Druck wurde an Lehrende - ein großer Teil davon prekär beschäftigt, allein an der Uni Wien über 1.900 - und Studierende weitergegeben. Allerdings bildeten sich individuelle Muster von Dissidenz gegenüber diesen Normierungsversuchen und verbreiteten sich weit. Bürokratische Vorgaben, wie zum Beispiel die elektronischen Anmeldesysteme, wurden auf Basis autonomer und relativ kleinräumiger Agreements zwischen Lehrenden und StudentInnen umgangen. Dies schuf einen fragmentierten Raum vielfältiger Praxen, die aufgrund von schieren Notwendigkeiten, einen dissidenten Lernprozess der Selbstorganisation ermöglichten. Diese individualisierten Formen der Dissidenz2, so meine These, sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass trotz der katastrophalen Zustände an den Universitäten der Betrieb nicht zusammengebrochen ist.
Die »SelbermacherInnen«
Mit der Besetzung der Hörsäle wurde plötzlich ein größerer kollektiver Raum erschaffen, in dem diese Lernerfahrungen auf breiterer Basis in die Tat umgesetzt werden konnten. Die Besetzung der Räume wirkte hier katalytisch und eine enorme Beschleunigung der Prozesse war die Folge. Schnell wurden Praxen der Selbstorganisation an die neuen Möglichkeiten angepasst. Als ein Beispiel können die »squatting teachers« herangezogen werden, welche offene und kritische Lehre organisieren und so der bürokratisch-herrschaftlichen Zurichtung der Lehre in erweiterten Räumen entgegentreten.
Die etablierten Strukturen studentischer Politik, die selbst auf der Regelmäßigkeit bürokratischer Organisationen beruhten, konnten mit dieser Geschwindigkeit schlichtweg nicht mithalten. Nicht anders erging es der Uni-Leitung, den politischen Parteien oder anderen Interessenvertretungen. Die einen reagierten mit Solidarität, andere mit Entsetzen, doch bei allen herrschte eine vorsichtig abwägende Neugierde und ein »Nicht-Verstehen« der Dynamik vor.
Der Moment der Basisdemokratie, war ebenfalls Ausdruck der vorangegangenen Erfahrungen. Die Plena, insbesondere im Audimax, waren geprägt von einem oft zähen Ringen um kollektive Handlungsfähigkeit. Dabei zeigte sich, dass die zuvor erlernten individualistischen Praxen der Dissidenz kollidierten mit der notwendigen Herstellung von kollektiver Subjektivität. Selbstdarstellung und performative Inszenierungen lähmten viele Debatten. Schon am Beginn der Bewegung wurden Forderungen laut, wie: »Alle Macht den Arbeitsgruppen«. Diese Forderungen sind Ausdruck des Spannungsverhältnisses zwischen einer notwendigen Individualität und der persönlichen Befreiung von den oben genannten Zwängen und der erforderlichen Herstellung kollektiv-subjektiver Handlungsfähigkeit. Bis heute halten diese Diskussionen an.
Bisher gelang es den GegnerInnen der Proteste nicht, diese zu unterbinden. Vielmehr zeichnet sich im Moment eine Strategie ab, die versucht, die »wuchernde« Subjektivität Schritt für Schritt in gelenkte Bahnen zu bringen, um sie wieder zu objektivieren und herrschaftlich bearbeitbar zu machen. Dabei spielt der Faktor Zeit eine erhebliche Rolle. Das enorme Tempo welches die Bewegung zu Beginn hinlegen konnte ist auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten.
Es kocht weiter
Die strukturellen Zwänge der ökonomischen Reproduktion und des Studiums erzwingen eine Entschleunigung. Gleichzeitig können wir aber auch beobachten, dass die Bewegung beginnt in andere Bereiche der universitären Strukturen einzusickern.
Bei Institutsvollversammlungen, im Betriebsratskollegium, den Fakultäten, den Lehrenden und Forschendenversammlungen werden abseits der medialen Inszenierungen die Diskussionen weitergeführt. Es scheint, als ob das kollektive Lernen hier fortgesetzt wird und der »Auflauf weitergekocht« wird.
1 An mehreren Universitäten wurde schon zuvor die Bologna-Studienarchitektur implementiert.
2 Diese existierten auch schon vor der Einführung der Bologna-Studienarchitektur, kamen nun aber immer stärker in Widerspruch mit derselben.
Weblink
Uni Wien Lehrenden-Unterstützung:
unsereuni.at/?page_id=1883
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Unfähig und unzuverlässig
»Die junge Generation musste immer mit dem tief sitzenden Vorurteil der älteren Generationen leben, unfähig und unzuverlässig zu sein«, sagte der berühmte deutsche Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Doch werden die Jugendlichen dem »Null-Bock«-Stigma auch tatsächlich gerecht? »Wenn ich der Jugend von heute ein Etikett verpassen müsste, dann hieße dieses pragmatisch«, sagt der Wiener Jugendforscher Philipp Ikrath. »Die Jugendlichen heute haben keine großen Ideologien, sie wollen sich einfach bestmöglich an die gesellschaftliche Ordnung anpassen. Aber sie wissen, was auf sie zukommt. Wenn man sie nach Ihrer Pension befragt, sind sie sich bewusst, dass sie wenig oder keine Pension erhalten werden.
Der stoische Gleichmut der Jugend wird als ›Null-Bock‹-Haltung interpretiert.«
Null-Ahnung-Generation
Und was sagen die Jugendlichen zu den Vorwürfen? »Null-Bock-Generation ist vielleicht der falsche Ausdruck. Null-Ahnung-Generation trifft es wahrscheinlich eher«, sagt Nizi, gelernter Buchhändler aus Wien. »Weil wir keine Ahnung haben, wie gut es uns im Sozialstaat Österreich geht, und wir uns nicht anstrengen müssen. Aber auf der anderen Seite fordert und fördert uns niemand. Und die Älteren sehen, dass was schief läuft. Aber sie können nicht zwischen den Zeilen lesen und interpretieren alles falsch.«
Jung zu sein ist heutzutage alles andere als leicht. Die gute alte »Kernfamilie« ist passé, das Elternhaus gibt nur noch im seltensten Fall ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Das Leben ist schneller, komplexer und flexibler als vor 20 Jahren. Die Jugend fängt früher an und hört später auf. Bereits mit 14 Jahren muss die berufliche Laufbahn feststehen, um den richtigen Ausbildungsweg einschlagen zu können. Und trotz Ausbildung wird von den Jugendlichen immer eine gewisse Flexibilität und Belastbarkeit verlangt. Die Mühe mit der Zeit Schritt zu halten, ständiger Erfolgs- und Leistungsdruck und die Suche nach Sicherheit überschatten die Pubertät, die eigentlich dazu dienen sollte, den Charakter zu stärken und festigen. Aber »Null Bock« auf Bildung und Arbeit?
Während die bildungsnahen Jugendlichen im Wettbewerb bestehen wollen und von sich und der Umwelt extrem unter Leistungsdruck gesetzt werden, versuchen Lehrlinge und junge ArbeitnehmerInnen einfach ihre Sicherheit - sowohl materiell als auch emotional - mit aller Kraft festzuhalten und zu festigen, begleitet von ständiger Angst um Job oder Lehrplatz. Beides erfordert viel Zeit und Kraft und beides verhindert die Entwicklung und Entfaltung des Individuums.
Ältere sehen Jugend als Konkurrenz
Die ältere Generation ist dabei keine Hilfe - sieht sie die Jugend als Konkurrenz. »Die Menschen versuchen, sich so jung wie möglich zu inszenieren. Denn Jugend ist heute weniger eine Generation als ein Wert«, meint Ikrath. »Die Älteren haben Angst, von den Jungen verdrängt zu werden. Denn Werte wie Weisheit und Arbeitserfahrung zählen nicht mehr - heute werden »flexible, motivierte, belastbare« ArbeitnehmerInnen gesucht. »Es wird wahnsinnig viel verlangt«, sagt Isabelle (19), eine gelernte Informatikkauffrau. »Gleichzeitig wird man aber auf das Abstellgleis gestellt. Man gibt dir keine Chance, du wirst kaum gefördert und auf die Art kann man sich nicht weiterentwickeln.«
Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen erschweren das Jungsein noch mehr. Die Anzahl der Lehrlingsplätze sinkt kontinuierlich, die Jugendarbeitslosigkeit steigt, Bedürfnisse und Interessen der Jugend werden nicht wahrgenommen - weder von Wirtschaft und Politik noch von der Gesellschaft. Ende 2009 wurde auch das Institut für Jugendforschung geschlossen - ein erneuter Schlag in das kindliche Gesicht Österreichs.
Reform notwendig
Die Gleichgültigkeit und die stiefmütterliche Behandlung der Jugend schadet der Gesellschaft zunehmend. Die Schul- und Bildungsreform, die so dringend nötig ist, um eine moderne, gebildete Jugend mit Zukunft zu erziehen und auszubilden, wird aus Angst vor Veränderungen seit Jahren blockiert. Wenn Österreich im internationalen Wettbewerb weiterhin bestehen will - politisch, wirtschaftlich und kulturell - müssen tief greifende Änderungen vorgenommen werden - auch wenn es der »Wir haben es immer schon so gemacht, und daher ist es gut so«-Mentalität widerspricht.
Es geschah ohne Vorwarnung, ohne Pressekonferenz, ohne Strategie: Am 20. Oktober 2009 besetzten Studierende und Lehrende die Aula der Akademie der bildenden Künste in Wien - als Protest gegen die geplante Umstellung der Ausbildung auf die Bologna-Struktur. Zwei Tage später schwappte der Protest auf die Hauptuniversität Wien und nach und nach auf alle Unis Österreichs über. In Wien wurde der größte Hörsaal des Landes, das Audimax, besetzt. Innerhalb von Tagen wurde eine komplette Infrastruktur aus dem Boden gestampft: Die Studierenden haben in wenigen Tagen etwas erschaffen und geschafft, wozu Parteien und Verbände längst nicht mehr in der Lage sind: Ohne Organisationsstrukturen, ohne Funktionärsbasis, ohne PR-Konzept konnten sie mit einfachsten Mitteln die Massen mobilisieren: mit Web2.0 und Mobiltelefonen. Die Medien tauften die Bewegung »generation 09«. Mit Twitter, Trommeln und Transparenten brachten sie die Politik in Erklärungsnot. Ganz gleich, wie das Ergebnis der Proteste auch aussehen mag, die Jugendlichen haben bereits gewonnen. Mit diesen Aktionen hat die Jugend gezeigt, dass sie keineswegs apathisch und passiv ist, sondern durchaus imstande ist »Es reicht!« zu schreien und sich für ihre Rechte zu engagieren. Nur eben nicht auf parteipolitischer Basis, wie die hilflose ÖH gezeigt hat.
Politik? Ja bitte, aber anders!
»Einerseits sind die Jungen viel zu sehr mit ihrer eigenen Biografie beschäftigt, um die wenige Freizeit auch noch in die Partei zu investieren«, sagt Philipp Ikrath. »Auf der anderen Seite hat die Politik nicht begriffen, dass man heutzutage nicht mehr klassisch der Partei beitritt. Da jammern sie alle über die Politikverdrossenheit der Jugend und versuchen nicht einmal zeitgemäß zu sein, auf die Jungwähler attraktiv zu wirken!« Außer einer. »Der Strache, der macht das leider perfekt«, sagt Nizi. »Er stellt vor allem Parteien bloß und macht sich gleichzeitig zur einzig wählbaren Alternative.
Was kann ich schon machen?
Er geht in die Discos und spricht die Jungen direkt an. Und sagt genau, was er machen will.« »Es wird uns ja nicht einmal zugehört«, meint Isabelle: »Da gehen Tausende von Studenten auf die Straße, und die Politiker ignorieren das einfach! Wozu soll ich mich engagieren, wenn eh niemanden interessiert, was ich denke?« Nizi nimmt einen Schluck aus seinem Krügerl. »Ich mein, so wurscht is mir alles a ned. Aber was kann ich schon machen?«
Weblinks
Bundesminsterium für Wirtschaft, Familie und Jugend:
www.bmwfj.gv.at/Jugend/Forschung/jugendbericht
Österreichisches Institut für Jugendforschung (geschlossen):
www.oeij.at
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Drei Stunden als Papagei
Die Arbeit schließlich ist simpel. Eine Liste verbotener Wörter liegt neben dem Mikrophon. »Verkauf« ,»Versicherung« oder »anwerben« ist untersagt. »Erfolg«, »Produkt« und »beraten« erlaubt. Auf unserem Monitor sehen wir die Bühne. Junge Finanzkeiler, würde ich sagen, aus ganz Europa werden durch Pokale verschiedener Größe für ihren Einsatz belohnt. Zwischen jedem Land singt ein Chor von drei dürren Mannequins. Sie singen aber nicht wirklich, die Technik spielt das Playback ein.
Nachher gehe ich mit einem befreundeten Freiberufler essen. Er ist Arzt, aber heute habe ich in drei Stunden als Papagei mehr verdient, als er den ganzen Tag in einem Randbezirk Wiens. Zumindest darauf bin ich stolz. Auch sage ich nichts Genaues über die Arbeit, die Hofburg als Referenz muss genügen. Es wird dann zumindest ein schöner Abend.
Was bin ich?
Genau weiß ich nicht, was ich bin. Eine alte Neue Selbstständige, vielleicht. Ein EPU, ein Ein-Personen-Unternehmen, frei jedenfalls. Zum äußeren Zeichen meiner inneren Verbundenheit habe ich meine Rostschüssel durch einen neuen Fiat 500 ersetzt. An manchen Orten bin ich damit wer. An anderen wiederum schäme ich mich dafür. Denn Josef ist Physiker, beschäftigt sich aber seit rund 25 Jahren selbst. Er und seine Frau Elenore veranschaulichen Naturphänomene durch selbstgebaute Stationen, die sie an Bildungseinrichtungen vermieten oder verkaufen. Gelegentlich erfolgt der Transport mit dem Fahrradanhänger. Einmal hatte Josef Probleme mit dem Finanzamt. Es könne nicht sein, hieß es, dass man von so wenig lebe.
Die Ich-AG, ursprünglich ein Instrument der deutschen Arbeitsmarktpolitik, um ExistenzgründerInnen aus der Arbeitslosigkeit zu verhelfen, hat sich als Begriff durchgesetzt. Wenn er auch zur Benennung selbstständiger Arbeit falsch ist und auf einer unrichtigen Übersetzung beruht. So war aus dem Titel des zum Erfolg gepushten Buches »Reinventing Work: The brand 'you’«: »Selbstmanagement. Machen Sie aus sich die Ich-AG« geworden.
»Schon der Begriff ›Ich-AG‹ bestürzt«, schreibt die deutsche Sozialpsychologin Christine Morgenstern im Forum-Wissenschaft. »Die gesellschaftlichen Risiken, die durch veränderte Unternehmensstrategien entstehen, sollen von Einzelnen übernommen und abgefedert werden. Das Ich steht dem Kapital und seinen Modernisierungsschüben ungeschützt und allein gegenüber.« Der Verzicht auf staatliche Schutzfunktionen und kollektive Solidarisierung, etwa durch gewerkschaftliche Organisation, erzeuge das risikobewusste Individuum mit unbegrenzter Bereitschaft, sich wie ein Chamäleon den Arbeitsmärkten anzupassen. Ein schmiegsames und veränderungsorientiertes Ich, das gleichzeitig über hohe moralische Kompetenz verfügen soll. »Eine Persönlichkeit, die sich von der Schwarzarbeit abwenden, aber nicht fragen soll, welche Lücken Unternehmen nutzen, um keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen«, meint Morgenstern.
Zielschuldverhältnis
Die Zahl der Ein-Personen-Unternehmen (EPU) ist im Steigen. Unter uns sind Selbstständige mit Gewerbeschein, Neue Selbstständige und Freiberufler. Im Wesentlichen decken sich die Merkmale der Neuen Selbstständigen mit jenen von Selbstständigen mit Gewerbeschein: Wir sind persönlich und wirtschaftlich vom Auftraggeber unabhängig und verfügen über unternehmerische Strukturen wie Betriebsmittel oder ein Büro. Wir üben die Tätigkeit im Rahmen eines Werkvertrages aus. »Der Werkvertrag«, so die Definition, »zählt zu den Zielschuldverhältnissen, die mit Erbringung des Werkes erfüllt sind.«
»Manchmal«, erzählt ein Kollege, »stehen mir in der Früh die Haare zu Berge, und ich weiß nicht wieso.« Eine Form schlechten Gewissens treibe ihn zeitig aus dem Bett. Auch er ist freier Übersetzer. Gerne zitiert er den Satz »Begnadigen nicht hängen«, im Zusammenhang mit der vitalen Bedeutung der Beistrichsetzung. Er verdient wenig Geld, manchmal aber braucht er eines, dringend.
So hätte ihm ein »e« an falscher Stelle beinahe drei Monatseinkommen gekostet. Im Brief stünde eigentlich nichts, lautete der Auftrag, nur ein paar Sätze, die aber sofort, Ministerium, Flugzeug und wichtig. Chemische Verbindungen in Eile zu übersetzen kann gefährlich sein. Der Auftraggeber, ein weltweit tätiger Pharmakonzern, forderte Schadenersatz. Haftpflichtversicherung hat der Kollege keine. Nach längerem Briefwechsel, auch die Rechtspraktikanten großer Firmen wollen beschäftigt sein, einigte man sich: Kein Honorar und Schwamm drüber.
Animation bis Zahntechnik
Die rund 36.000 Neuen Selbstständigen Österreichs sind in den unterschiedlichsten Sparten tätig. Auf ihrer Website listet das Forum zur Förderung der Selbstständigkeit über 150 Berufe auf, von AnimateurIn, AutorIn, JournalistIn, Reinigungskraft, ÜbersetzerIn über Vortragende, WahrsagerInnen bis zu Zahntechniker- und ZivilingenieurInnen.
Die Einkünfte von Selbstständigen sind, laut Einkommensbericht des Rechnungshofes, bescheiden. So lag das mittlere Jahreseinkommen 2005 (vor Steuern, nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge) bei 10.632 Euro, (Frauen: 7.757, Männer: 12.248 Euro). Auch zwischen den Wirtschaftsbereichen bestehen große Unterschiede. So weist die Statistik mit 31.319 Euro jährlichem Medianeinkommen die Selbstständigen im Gesundheitsbereich als Spitzenreiter aus, zurückzuführen auf die gute Lage mancher selbstständiger MedizinerInnen. Am anderen Ende der Einkommensskala sind etwa Selbstständige in der Land- und Forstwirtschaft (Medianeinkommen: 7.242 Euro) und ausschließlich selbstständig Erwerbstätige in der Erbringung von öffentlichen und persönlichen Dienstleistungen (8.229 Euro).
Von den 454.000 in Österreich insgesamt selbstständig Beschäftigten sind 14 Prozent von Armut bedroht, im Vergleich zu elf Prozent bei HilfsarbeiterInnen (Quelle: Bericht zur Armut in Österreich der Statistik Austria). Besonders prekär ist die Situation bei Kunst- und Kulturschaffenden. Eine vom Bildungsministerium (bm:ukk) in Auftrag gegebene Studie zur sozialen Lage der KünstlerInnen zeigt eine dramatische Armut: 37 Prozent leben von einem Jahresgesamteinkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze (Gesamtbevölkerung: 12,6 Prozent, Erwerbstätige: acht Prozent).
KunstproduzentInnen sind ein gutes Beispiel dafür, meint die deutsche Politologin Isabell Lorey, »inwiefern ›selbst gewählte‹ Lebens- und Arbeitsbedingungen, mitsamt den Vorstellungen von Autonomie und Freiheit, mit politischen und ökonomischen Umstrukturierungen verbunden sind«. Als bisse sich eine Katze in den Schwanz, wolle der oder die kreativ Tätige Aus-sich-selbst-schöpfen. »Die Selbstverwirklichung wird zur reproduktiven Aufgabe für das Selbst«, schreibt die Wissenschafterin. »Arbeit soll die Reproduktion des Selbst gewährleisten.«
Nein sagen, geht schon
Ich ziehe die Selbstständigkeit, trotz allem Pessimismus, jeder Anstellung vor. »Nein« sagen: Das geht schon. Im Fall der »Finanzdienstleister« kann ich von dieser Freiheit keinen Gebrauch mehr machen. Sie feiern heuer nicht in der Hofburg. (Die Geschichten sind wahr, das »Ich« frei erfunden.)
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Abschottung gegen Globalisierung
Die soziale Frage bewegt vor dem Hintergrund von Sozialabbau und Krise immer mehr Menschen. Die extreme Rechte will dieses Potenzial nutzen und im Sinne ihres Weltbildes kanalisieren. Arbeitsplätze, öffentliche Leistungen und politische Rechte soll es nur noch für bestimmte Gruppen geben. »Ausländer raus« - nur dann sei das Sozialsystem zu finanzieren, lautet die zentrale Botschaft dieser Strömungen. Doch nicht nur der Arbeitsmarkt soll zur geschlossenen Gesellschaft erklärt werden. Der globalen Krise möchte diese Rechte durch nationale Abschottung begegnen. Was heimischen Unternehmen nutzt, sei gleichzeitig sozial - so lautet diese seltsame Logik auf den Punkt gebracht. Verteilungsgerechtigkeit und solidarische Interessenvertretung durch Gewerkschaften sind kein Thema. Vielmehr will die Rechte: Leistung, Privateigentum und Führerprinzip (auch) im Betrieb.
Und Österreich?
Radikale Kleingruppen wie der »Bund Freier Jugend«/»Junge Aktion« oder die »Nationale Volkspartei« unternehmen bereits gefährliche Versuche, die Strategien der NPD vor allem in Oberösterreich zu kopieren. Als das für Österreich bestimmende - und zugleich beklemmende - Element wirkt allerdings ein anderer Umstand. Nämlich der Wandel der Freiheitlichen weg von einer gescheiterten, neoliberalen Partei der »Fleißigen und Tüchtigen« und ihr neuerliches Erstarken als selbsternannte »soziale Heimatpartei«. FPÖ-»Vordenker« Andreas Mölzer dazu: »Insbesondere das in jüngster Zeit besonders betonte soziale Engagement der freiheitlichen Parteispitze hat ja dazu geführt, dass ein zunehmend großer Wählerbereich der FPÖ das Vertrauen zu schenken scheint. In Zeiten, in denen die Teuerung im Bereich der Lebensmittel, im Bereich der Energie und Kraftstoffe und im Bereich der medizinischen Versorgung breite Schichten der Bevölkerung belastet, ist die verstärkte sozialpolitische Orientierung naturgemäß ein Gebot der Vernunft. Wie bereits (…) ausgeführt, resultiert das freiheitliche soziale Engagement allerdings nicht aus der sozialistischen Ideologie des Klassenkampfes, sondern aus dem Dogma der nationalen Solidarität.«
Unter dieser nationalen Solidarität verstehen die Freiheitlichen: NichtösterreicherInnen sollen aus den Sicherungssystemen gelöst werden, es gilt, sie sozial, aber auch politisch (»Agitationsverbot«) und kulturell zu entrechten (»Moscheeverbot«) und schließlich »rückzuführen«. Auch andere Ideen weisen deutliche Parallelen zum neuen rechtsextremen Mainstream in Europa auf: Gegenüber Globalisierung, USA und EU möchte die FPÖ österreichische Unternehmen stärken. Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern wird ein Arbeitsdienst angeboten. Der Zusammenhalt der Gesellschaft wird auch von den Freiheitlichen primär über Ausgrenzung von MigrantInnen und sozial Schwachen definiert. Und für Gewerkschaften hat die »soziale Heimatpartei« wenig übrig: So fordert der Ring freiheitlicher Wirtschaftstreibender schon einmal Notgesetze, um in die KV-Autonomie der Gewerkschaften einzugreifen.
Anschlussfähig in der sozialen Frage
Extreme Rechte verfolgen heute das Ziel »anschlussfähig« an soziale Bewegungen zu werden. Dafür werden selbst Widersprüche in Kauf genommen. So erklärte die FPÖ z. B. während der Metallerlohnrunde, dass »die Krise jetzt keinesfalls dazu genützt werden dürfe, um Sozialdumping auf Kosten der Arbeitnehmer voranzutreiben.« Doch während MetallerInnen und StudentInnen den Schulterschluss übten, wollte die FPÖ die Wiener Uni räumen und diese soziale Bewegung somit zerschlagen lassen. Trotz dieses Lehrbeispiels für angewandete Demagogie fragt man sich, woran es liegt, dass Strache im ORF behaupten kann, dass es aufgrund der FPÖ in Österreich keine Linkspartei braucht, »die soziale Themen aufgreift (...)«, weil die Freiheitlichen dies ohnehin besorgen würden.
Auch ÖGB-Mitglieder wählen FPÖ
Rechtsextreme Strömungen verfügen zwar momentan weder auf europäischer Ebene noch in Österreich über wesentliche betriebliche Positionen. Studien belegen allerdings, dass selbst unter Gewerkschaftsmitgliedern zum Teil weit verbreitete rassistische Einstellungen, Vorurteile und Anfälligkeiten existieren. In Österreich ist dieser Aspekt besonders stark sichtbar: Die in diesen Fragen sich klar deklarierende FPÖ erhält einen hohen Anteil ihrer Stimmen aus dem Bereich der ArbeitnehmerInnen, wohl auch von ÖGB-Mitgliedern. Wie groß ist der Schritt vom rechten Protestwählen zum Protest gegen Minderheiten in den Betrieben und auf der Straße? Dass die FPÖ zunehmend Interesse hat, auch den öffentlichen Raum zu besetzen, belegt neben Anti-Moschee-Demonstrationen auch die Ankündigung, am 1. Mai 2010 in Wien demonstrieren zu wollen.
Konsequent für solidarische Prinzipien einzutreten, kann heute selbst für einen starken Gewerkschaftsverband bedeuten »Minderheit« zu sein. Trotzdem gilt es Kurs zu halten. Als positives Beispiel kann aktuell der Schweizer Gewerkschaftsverband genannt werden. Dieser hat - sowohl vor wie nach der Minarett-Abstimmung - öffentlich sichtbar eine klare Position gegen den Kulturkampf von Rechts vertreten und somit auch seine eigene Mitgliedschaft gegenüber Spaltungsversuchen verteidigt. Die Gewerkschaften müssen aber wahrscheinlich zunächst auch eingefahrene Haltungen überprüfen. Dazu gehört aber nicht nur der oft beklagte »Alltagsrassismus« an der Basis, sondern z. B. auch die Frage, ob eine inzwischen wieder klar rechtsextreme Partei wie die FPÖ heute noch eine zu akzeptierende Strömung/Fraktion im ÖGB darstellt. Immerhin hat der ÖGB in Richtung Rassismus und Antisemitismus beim jüngsten Bundeskongress sehr klare Beschlüsse gefasst.
Nicht wenige GewerkschafterInnen werfen sogar noch grundsätzlichere Fragen auf. Auch die Negierung gesellschaftlicher Gegensätze auf nationaler Ebene, »Standortlogik« sowie die Diskriminierung von MigrantInnen am Arbeitsmarkt können rechten Einstellungen in die Hände spielen. Wer um die »Lufthoheit« in der sozialen Frage kämpfe, müsse auch hier ansetzen.
Internationale Solidarität
Das Gegenmodell, nämlich »Internationale Solidarität«, haben Gewerkschaften theoretisch bereits in der Tasche. Doch bleibt es dort nicht allzu oft liegen? Welche Präsenz haben z. B. in mehreren Ländern durchgeführte Streiks und internationale Kampagnen in der gewerkschaftlichen Routine?
work@migration
Auch sehr bemerkenswerte Beispiele »gegen Rechts«, wie der Streik bei der britischen Ölraffinerie Lindsay/Britannien - der mit nationalen Parolen gegen ArbeitsmigrantInnen begann und erfolgreich mit internationaler Organisierung über staatliche und ethnische Grenzen hinweg zu Ende ging - wurden europaweit lediglich in kleinen (Gewerkschafts-)Kreisen heftig debattiert. Und ebenso fehlen wohl auch noch - trotz bemerkenswerter Ansätze wie der Interessengemeinschaft work@migration/GPA-djp - in der breiten Öffentlichkeit jene gewerkschaftlichen Gesichter, welche die multikulturelle Zusammensetzung der österreichischen Arbeitswelt und ihrer Interessenvertretungen widerspiegeln.
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Volkshochschule Ottakring:
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Grundlegendes Ziel in der GFK ist es:
Grundhaltung der GFK
Marshall Rosenberg war ein Schüler von Carl Rogers und dessen Grundwerte finden sich auch in der GFK. Es geht um Echtheit und Authentizität. Ich sage, was ich wahrnehme, fühle, brauche und vom anderen erbitte, ich rede nicht um den heißen Brei oder verstelle mich. Ich versuche mir selbst und meinem Gegenüber empathisch zu begegnen, d. h. mich und ihn wertschätzend anzusehen und die guten Gründe zu verstehen, die hinter jedem Verhalten stecken. Ich möchte verstehen und akzeptiere den Menschen erstmal so wie er ist. Als Ganzes, das heißt nicht, dass ich sein Verhalten mag, aber den Menschen und die »gute« Absicht hinter dem Verhalten, in der GFK Bedürfnisse oder Werte genannt. Ich habe das Grundvertrauen, dass jeder Mensch von Natur her ein mitfühlendes Wesen ist und möchte diesen Teil des Menschen stärken, auch wenn Konditionierungen und Erfahrungen, da einiges überdeckt oder verschlossen haben. Ich möchte einen partnerschaftlichen Umgang mit meinem Gegenüber pflegen, egal in welcher Rolle wir uns begegnen.
Giraffen- und Wolfssprache
Marshall Rosenberg hat für die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) auch das Bild der Giraffensprache gewählt. Giraffen sind die Landsäugetiere mit dem größten Herzen, Vegetarier und brauchen keine anderen Tiere zu töten, sie haben Weitblick und könnten sich auch verteidigen. Der Hufschlag einer Giraffe kann einen Löwen niederstrecken.
Bild für das »normale« Bewusstsein, das wir in unserem Alltag haben und das besonders in Konfliktsituationen die Oberhand gewinnt, ist die Wolfssprache. Dabei ging es nicht um eine Abwertung des Wolfes, sondern um ein Bild, das eine bestimmte Sichtweise der Welt beschreibt. Ein und dieselbe Situation kann man aus dem Bewusstsein der Giraffe oder des Wolfes betrachten, die Situation bleibt gleich, die persönliche Reaktion ändert sich entscheidend. Entweder ich spiele das Spiel »Du bist schuld an meinem Ärger«, oder ich übernehme Verantwortung für meine Gefühle und verstehe sie als Hinweise für meine unerfüllten Bedürfnisse und versuche, gut für mich zu sorgen. Entweder ich werte mein Gegenüber im Streit ab, oder ich verbinde mich mit den unerfüllten Bedürfnissen von mir und meinem Gegenüber. Giraffen sehen nur Giraffen, Wölfe nur Wölfe.
Dabei geht es bei den beiden Bildern nicht nur darum, immer mehr in das Bewusstsein der Giraffe zu kommen, sondern auch darum, den eigenen und fremden Wolf zu lieben und transformieren. Es geht nicht darum, ihn zu unterdrücken. Der Wolf ist oft Träger einer wichtigen Botschaft, die entschlüsselt gehört.
Der Rahmen der GFK ist die Absicht, einander zu verstehen und die Verbindung zu stärken. GFK ist fast immer Beziehungsarbeit, erst nach gemeinsamen Verstehen kommt der Blick auf die Lösungen, die dann oftmals von selbst kommen. Dazu gehört auch Mut, authentisch zu sein, angepasst an die Anforderung der Situation und meinem Gegenüber wertschätzend und empathisch zu begegnen. Fokus ist immer das Hier und Jetzt, nicht die Vergangenheit und nicht die Zukunft, nur wie es mir jetzt mit den Gedanken an Vergangenheit und Zukunft geht.
Es gibt drei Positionen auf die ich mein Bewusstsein lenken kann:
Diese drei Blickrichtungen sind wichtig im persönlichen Gespräch und in der Gesprächsvorbereitung. Was brauche ich, was mein Gegenüber, und wie könnte ich das sanft und ehrlich ausdrücken? Das Vier-Schritte-Modell der GFK kann bei allen drei Positionen hilfreich sein, zu mehr Verständnis und Ehrlichkeit zu kommen: Es hilft, meine inneren Wolfsbotschaften zu übersetzen, damit sie nicht den Wolf im Gegenüber anfeuern, und es hilft, mein Bewusstsein auf diese vier Aspekte zu lenken. Es geht jetzt nicht mehr darum, was ich zu einer bestimmten Situation denke, wie ich sie einschätze oder interpretiere, sondern nur um die Wahrnehmung (Fakten), meine Gefühle und Bedürfnisse dazu sowie meine Lösungsvorschläge. Viel Streit entsteht durch unterschiedliche Interpretationen der Wirklichkeit und dadurch, dass jeder Recht haben möchte. In der GFK versuchen wir, die Aufmerksamkeit woanders hin zu lenken, z. B. auf die innere Welt, Gefühle und Bedürfnisse. Gefühle sind in der Sichtweise der GFK nur Anzeiger für erfüllte oder unerfüllte Bedürfnisse. Aus Sichtweise der GFK stecken hinter jeder Aktion Bedürfnisse, wie z. B. Autonomie, Lernen, Sinnhaftigkeit oder Gemeinschaft. Bedürfnisse im Sinne der GFK sind abstrakte Wörter, positiv konnotiert, unabhängig von Zeit und Raum, nicht an eine Person gebunden. Jedes Bedürfnis kann auf viele Arten erfüllt werden. Die konkreten Handlungen dazu nennen wir in der GFK Bitten, Strategien oder Lösungsvorschläge. Sie sind immer konkret, beinhalten beobachtbares Verhalten, sind in Raum und Zeit konkretisiert und richten sich immer an eine Person: mich selbst oder ein Gegenüber. Wenn Bedürfnis und Bitte klar ausgesprochen sind, erhöht das auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie erfüllt werden.
Weblinks
Homepage des Autors:www.gfk-training.com
Vereins für GFK in Österreich
www.gewaltfrei.at
Center for Nonviolent Communication
www.cnvc.org
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Umfrage-Ergebnisse
58 Prozent der Beschäftigten in den genannten Telekom-Unternehmen haben sich an der Online-Umfrage beteiligt. 7.328 Beschäftigte wurden mittels individuellen Zugangscodes zur Befragung eingeladen, 4.261 sind dieser Einladung gefolgt und haben den Fragebogen beantwortet.
Neben Stress durch technische Probleme und Zeitdruck betreffen die Klagen der Befragten zu
Der hohe Stressfaktor führt bei den Beschäftigten zu erheblichen Gesundheitsproblemen. Die Werte liegen hier zum Teil erheblich über denen des aktuellen Gesundheitsmonitors, einer repräsentativen Erhebung über die Gesundheitsprobleme aller ArbeitnehmerInnen Österreichs.
Diesen Gesundheitsmonitor erhebt das IFES vierteljährlich für die Arbeiterkammer Oberösterreich.
Die Beschäftigten klagen über sehr häufige oder häufige Beschwerden durch
Die Gesundheitsbelastung der Beschäftigten in der Telekom-Branche ist damit erheblich größer als im gesamtösterreichischen Durchschnitt.
Und das sind die Folgen
An gesundheitsfördernden Lösungen für die ArbeitnehmerInnen denkt derzeit anscheinend niemand. Langfristige Planungen scheinen unerwünscht zu sein, steigender Leistungsdruck für kurzfristige Finanzerfolge ist die Praxis. Viele Unternehmen setzen darauf, Beschäftigte abzubauen, um mehr Gewinn zu machen. Die Erfahrung zeigt jedoch: Das funktioniert höchstens kurzfristig. In Wirklichkeit können solche Handlungen Unternehmen schweren Schaden zufügen. Sie vernichten dadurch in Wirklichkeit Erfahrung und Motivation von MitarbeiterInnen, wertvolles Humankapital, das nicht so schnell wieder aufgebaut werden kann. Drei Punkte sind dabei entscheidend:
Wohin führt diese Entwicklung? Da brauchen wir uns nur in der Branche umzuhören. Immer wieder gibt es neue Sozialpläne, immer wieder gibt es Umstrukturierungen, immer wieder bleiben MitarbeiterInnen der Firmen auf der Strecke und verlieren ihren Arbeitplatz. Immer mehr MitarbeiterInnen fühlen sich wie im Frühkapitalismus: Wer nicht funktioniert, geht. Und aufmucken ist verboten.
Tod in Frankreich
Das Unternehmen France Telecom führte seit Monaten einen Nerven- und Wirtschaftskrieg gegen die eigenen MitarbeiterInnen. Verluste gibt es nur auf einer Seite, der Seite der Beschäftigten. Auf der gesamten Belegschaft lastete und lastet ein ungeheurer Druck, der durch die Aussichtslosigkeit, nach der Entlassung eine neue Stelle zu finden, noch verschärft wird. Dazu kamen Arbeitsstress, Konkurrenz und hohe Leistungserwartungen.
Mitte September dann der schreckliche Höhepunkt: Eine 53 Jahre alte Angestellte stürzte sich direkt nach einer Besprechung mit ihrem Vorgesetzten vom vierten Stock aus dem Fenster, das 24. Opfer und erstmals eine Frau. Der Fall sorgte für viel Aufmerksamkeit und ein großes mediales Echo. Didier Lombard, der Präsident von France Telecom, wurde zu Arbeitsminister Xavier Darcos zitiert. Tags darauf erklärte France Telecom, die Pläne für den Konzernumbau würden bis Ende Oktober auf Eis gelegt, Zwangsversetzungen bis Dezember eingestellt. Lombard gestand: »Ich habe das Leiden nicht ernst genug genommen.« Bei einem öffentlichen Auftritt wurde er mit »Mörder«-Rufen empfangen.
Der österreichische Weg
mobilkom austria zeigt seit 13 Jahren einen anderen Weg vor. Wir haben es geschafft, unser bisheriges Management Heinz Sundt, Boris Nemsic davon zu überzeugen - und auch bei Hannes Ametsreiter wird uns das gelingen -, dass unser gemeinsamer Weg der richtige ist. Wir sind der einzige Betreiber, bei dem es bis dato noch keine Massenkündigungen oder Outsourcing im großen Stil gab. Dies, obwohl in unserer Branche Sozialpläne an der Tagesordnung sind!
Unsere KollegInnen haben es trotz des härtesten Marktverdrängungswettbewerbs in Europa und zehn Jahre nachteiliger Regulierung - die nur der mobilkom austria, nicht den Mitbewerbern Kosten verursacht hat - geschafft, Jahr für Jahr hervorragende Ergebnisse zu erzielen. Der Vorsprung gegenüber unseren sehr starken Mitbewerbern wurde kontinuierlich ausgebaut.
Uns ist klar, dass gerade in Krisenzeiten besonders auf Kosten geachtet werden muss. Das kann aber nicht vor allem durch hartes Sparen bei den MitarbeiterInnen geschehen. Umso weniger, als die mobilkom austria laut internationalem Cost-Benchmark bereits jetzt zu den effizientesten Mobilfunkunternehmen im weltweiten Vergleich zählt. Das ist vor allem die Leistung aller MitarbeiterInnen! Sie sollen daher weiter in einem sicheren, verlässlichen Umfeld arbeiten können. Dafür zu sorgen, ist eine Kernaufgabe des neuen Managements.
Start up statt Burn-out
2010 starten wir unter der Schirmherrschaft von Generaldirektor Hannes Ametsreiter ein neues Projekt in der mobilkom austria: Wir nennen es » Start up statt Burn-out«. Das Ziel ist eine generelle Neuausrichtung im Gesundheitsmanagement der mobilkom austria. Der Grundgedanke des Programms ist es, dass alle bestehenden und auch neue Angebote in ein professionelles Gesundheitsmanagementkonzept einfließen. Betriebliche Gesundheitsförderung muss sich in Zukunft in allen Arbeitsprozessen der mobilkom austria wie ein roter Faden durchziehen.
Weblink
Arbeitsklimaindex mit Gesundheitsmonitor www.arbeitsklimaindex.at
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Blick zurück
Um die aktuelle Debatte besser einordnen zu können, ist ein Blick in die Vergangenheit durchaus sinnvoll. Denn in der Geschichte haben sich unterschiedliche Formen der Neid-Debatte herausgebildet. Schon im 19. Jahrhundert war die Arbeiterbewegung mit dem Vorwurf des Neids konfrontiert. Forderungen nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen wurden als Ausfluss eines unkontrollierbaren, der Vernunft unzugänglichen Affekts gewertet. Heute haben sich die Paradigmen dieser Debatte grundlegend gewandelt: Während früher die gesellschaftlichen Eliten ihre Interessen mit dem Neid-Vorwurf gepanzert hatten, so versucht man heute im Namen des neidvollen Blickes - Schlagwort Transparenz - das System staatlicher Transferleistungen infrage zu stellen. Die wesentliche Pointe des Neid-Diskurses hat sich damit verschoben.
Neid und Lohnkämpfe
Die Neid-Debatte hat also viele Gesichter. Auch der Sozialwissenschafter Emmerich Tálos von der Universität Wien unterscheidet zumindest zwei Arten innerhalb dieser Diskussion: »In ihrer ersten Form wirft die Debatte die Frage auf, ob die Reichen ihr Vermögen eigentlich zu Recht besitzen.« Dieser Diskussionsstrang reicht bis in die Ursprünge der Arbeiterbewegung zurück. Denn in der langen Geschichte von Lohnkämpfen wurde die Forderung nach besserer Bezahlung und kürzerer Arbeitszeit immer wieder unter dem Verweis abgeschmettert, man würde bloß den Fabriksbesitzern Vermögen und Stellung neiden. »Dieser Strang setzt sich bis zur aktuellen Diskussion über Manager-Gehälter fort. Wenn man das Gehalt eines Herrn Ackermanns kennt, stellt sich die Frage, welchen Bezug das zu einer erbrachten Leistung hat«, verdeutlich Tálos.
Dieser Strang der Neid-Debatte ist aber doppeldeutig: Auf der einen Seite existierte Neid als subjektives Gefühl in der Arbeiterbewegung tatsächlich, andererseits wurde der Vorwurf gezielt als Strategie der Eliten genutzt, um den berechtigten Forderungen nicht nachkommen zu müssen. Im Zentrum stand jedenfalls die Frage nach einer gerechten Verteilung gesellschaftlicher Güter. Die Forderungen der Schlechtergestellten wurden meist als Neid auf die Stellung der sozialen Eliten interpretiert.
Selbst in der Philosophie manifestierte sich diese Form der Neiddebatte. Auf konservativer Seite interpretierte Friedrich Nietzsche in »Zur Genealogie der Moral« Neid als Ressentiment der sozial Benachteiligten. In seiner Sichtweise würde man damit einer Sklaven-Moral folgen, die in krassem Gegensatz zur Herren-Moral stünde. Damit hatte Nietzsche die Grundlagen des Kampfes um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen infrage gestellt.
Dementgegen interpretierte Karl Marx den sozialen Neid der Arbeiterbewegung als Herausforderung für die Bewegung. Er sah darin eine naive Form des sozialen Protests gegen die Besitzenden in der Gesellschaft. So schreibt er in den ökonomisch-philosophischen Manuskripten: »Der Gedanke jedes Privateigentums als eines solchen ist wenigstens gegen das reichere Privateigentum als Neid und Nivellierungssucht gekehrt, sodass diese sogar das Wesen der Konkurrenz ausmachen.« Teile der Arbeiterbewegung vollziehen »nur die Vollendung dieses Neides und dieser Nivellierung von dem vorgestellten Minimum aus«.
Neid und Sozialschmarotzer
Eine neue Form der Neid-Debatte hat sich vor allem während der Krise des Keynesianismus im Übergang zum Neoliberalismus herausgebildet. »In ihrer zweiten Form äußert sie sich vor allem als Sozialschmarotzer-Debatte. Dabei wird gegen Empfänger von Sozialleistungen polemisiert«, erklärt der Politologe Tálos. Der Neid kehrt sich dabei gegen die untersten Schichten der Gesellschaft: Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld werden nun absurderweise das Objekt der Begierde. Ihnen wird unterstellt, sie würden die Leistungen zu Unrecht erhalten. Damit hat sich aber die wesentliche Stoßrichtung der Neid-Debatte verschoben: Denn während früher die gesellschaftliche Elite der Arbeiterklasse den Neid zum Vorwurf machte, wird er nun als Tugend erkannt. Im Namen einer Leistungsgerechtigkeit wird gegen den Sozialstaat gewettert. Man neidet dem sogenannten Sozialschmarotzer seinen Müßiggang und macht das System der Umverteilung dafür verantwortlich. Die strategische Richtung wendet sich damit gegen wesentliche Elemente des Wohlfahrtsstaates.
Neid und Wettbewerb
Dennoch zweifeln SozialwissenschafterInnen daran, dass der Neid als subjektiver Affekt tatsächlich ein gesellschaftlich relevantes Phänomen darstellt: »Der Neoliberalismus geht grundsätzlich davon aus, dass der Wohlfahrtsstaat überdehnt und überfinanziert sei, und dass dieser Individuen vom Wettbewerb abhalte. Die Neid-Debatte dient aber weniger dazu, tatsächlich den Neid zu schüren, als vielmehr auf diesen Weg die Mechanismen der Umverteilung anzugreifen«, meint dazu Tálos. Auch der Politikwissenschafter Ulrich Brand von der Universität Wien zeigt sich skeptisch: »Der Neoliberalismus verschärft die Konkurrenz und betont den Wettbewerb der Individuen miteinander. Dennoch zweifle ich daran, dass dies zu mehr Neid in der Gesellschaft führt. Aufgrund des verstärkten Wettbewerbs haben die Menschen möglicherweise sogar weniger Zeit, um sich gegenseitig etwas zu neiden.«
Solidarität versus Konkurrenz
Alle historischen Neid-Debatten kreisten also letztendlich um die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Neid an sich kann zwar bloß als ein subjektiver Affekt, als Missvergnügen über den Besitz oder die Stellung anderer interpretiert werden. Dennoch haben die Neid-Debatten eine wesentliche gesellschaftliche Relevanz: »Der Vorwurf des Neids ist ein Reflex der konservativen Eliten, um ihre eigene Position zu legitimieren. Gleichzeitig werden damit gegnerische Positionen delegitimiert«, erklärt Ulrich Brand.
Zwar hat sich die Funktion und der Zusammenhang des Neid-Begriffs - wie wir gesehen haben - stark verändert, doch die grundlegenden Paradigmen der Diskussion um soziale Gerechtigkeit sind für diese Diskussion immer bestimmend gewesen: Gemeinschaft versus Individuum, Solidarität versus Konkurrenz. Die hegemoniale Stellung des Neoliberalismus hat die Konkurrenz des Individuums für sakrosankt erklärt. Und obwohl gemeinschaftlich orientierte Positionen schon einige Rückschläge einstecken mussten, so ist der Schrei des Liberalismus noch nicht verstummt. Erst im Juni veröffentlichte Peter Sloterdijk in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen polemischen Essay über die Zukunft des Kapitalismus. Darin wettert er über die »Kleptokratie des Staates«, die es ermöglichen würde, »dass die Unproduktiven mittelbar auf Kosten der Produktiven leben«.
Um eine ehrliche Debatte zu ermöglichen, wäre es also sinnvoll, weniger von Neid als vielmehr von sozialer Gerechtigkeit zu sprechen.
Verschobene Paradigmen
Der Neoliberalismus hat die Paradigmen der Debatte deutlich verschoben, um weitere Attacken gegen Umverteilungsmechanismen zu lancieren. »Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass die Neid-Diskussion ein Sprechen über soziale Gerechtigkeit verunmöglicht«, meint dazu Brand. Doch gerade in ihrer neueren Form, der Sozialschmarotzer-Debatte, ist die Neid-Diskussion tief in die Poren der Gesellschaft eingedrungen.
Buchtipp
Attac Sommerakademie 2009
mit einem Beitrag von Ulrich Brand
2009, 102 Seiten, 14,90ISBN: 978-3-7035-1401-2
Vorbestellung:
ÖGB-Fachbuchhandlung, 1010 Wien, Rathausstr. 21, Tel.: (01) 405 49 98-132
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Tägliche Gewalt
An die Öffentlichkeit gelangen meist nur besonders schockierende Vorfälle. vida will die tägliche Gewalt, wie sie in den Betrieben passiert, sichtbar machen. Das reicht von Beschimpfungen und Belästigungen sowie Mobbing durch MitarbeiterInnen und Vorgesetzte bis zu Beleidigungen und körperlichen Attacken durch externe Personen. Genaues Datenmaterial zur Situation in Österreich gibt es bislang nicht - das Forschungsinstitut ifes führt nun im Auftrag von vida eine österreichweite Befragung unter den Beschäftigten im Verkehrs- und Dienstleistungsbereich durch, die bis Jänner 2010 abgeschlossen sein wird. Eine erste »Blitzumfrage«, die vida selbst unter 200 BetriebsrätInnen durchgeführt hat, zeigt großen Handlungsbedarf: 39 Prozent der Befragten gaben an, dass Gewalt in ihrem Betrieb bereits ein Thema gewesen sei.
Gegensteuern
Mit der Initiative gegen Gewalt im Job knüpft vida an eine europäische Sozialpartnervereinbarung an. Die Sozialpartner haben auf EU-Ebene im April 2007 eine autonome Rahmenvereinbarung gegen Belästigung und Gewalt abgeschlossen. Die Vereinbarung sieht vor, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände auf nationaler Ebene ein Bewusstsein für das Problem in den Betrieben schaffen. Zusätzlich ist es Ziel, Gewalt und Belästigung im Job zu verhindern, und für Unterstützung und gute Nachbetreuung der Opfer zu sorgen. Innerhalb von drei Jahren, also bis April 2010, ist die Rahmenvereinbarung von den Sozialpartnern in den Mitgliedsstaaten umzusetzen. In Österreich ist diese Umsetzung noch ausständig.
Was unter einer ausreichenden »Umsetzung« zu verstehen ist, darüber herrscht zwischen WKÖ und der Gewerkschaft bislang kein Konsens. Rolf Gleißner, stellvertretender Leiter der Abteilung Sozialpolitik in der WKÖ, plädierte bei der vida-Auftaktveranstaltung dafür, gemeinsame Informationsmaterialien zur Sensibilisierung in den Betrieben zu erarbeiten. Bernhard Achitz, Leitender Sekretär im ÖGB, forderte auch gesetzliche Verbesserungen ein. Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Büros in Brüssel, berichtete von konkreten Umsetzungsschritten in anderen Ländern: Die norwegischen Sozialpartner haben für ArbeitnehmerInnen, die von Gewalt bedroht sind, das Recht auf Arbeitsniederlegung eingeführt, so Röpke.
Aus Sicht von vida ist für die Umsetzung der Rahmenvereinbarung ein umfassendes Maßnahmenpaket nötig. »Eine gemeinsame Broschüre von WKÖ und ÖGB zum Thema reicht nicht«, stellte die stellvertretende vida-Bundesgeschäftsführerin Renate Lehner klar.
Prävention als das Um und Auf
Gewalt im Job entsteht nicht von heute auf morgen, meist handelt es sich um einen schleichenden Prozess, berichtete der Kriminalpsychologe Thomas Müller bei der Veranstaltung. »Drei Punkte ziehen sich durch. Eine mindestens sechs Monate andauernde negative Stress-Situation, fehlende Identifikation mit dem Betrieb, etwa nach einer Fusion. Und drittens private Probleme, zum Beispiel eine Scheidung oder der Verlust des Führerscheins«, erklärte Müller. Um gegenzusteuern sei eine persönliche, ehrliche Form der Kommunikation am Arbeitsplatz wichtig. Firmenchefs müssten sich mehr mit wertschätzender MitarbeiterInnenführung und Kommunikation befassen, sagte der Kriminalpsychologe.
vida sieht die Schulung der Führungskräfte als wichtigen Puzzlestein zur Prävention von Gewalt im Job; ebenfalls nötig sind Seminare für die Beschäftigten im Umgang mit Konflikten. »Die besten Konfliktmanagementseminare helfen aber nichts, wenn die Unternehmen zu wenig Personal einsetzen«, fügte vida-Vorsitzender Rudolf Kaske hinzu. Denn Letzteres führe nicht nur zu zusätzlichem Stress, sondern teils auch dazu, dass die Sicherheit der Beschäftigten, aber auch Dritter nicht gewährleistet sei.
Kein Zug ohne ZugbegleiterIn und mehr als eine Person auf Strecken und zu Zeiten, wo bekannt ist, dass es häufiger zu Gewaltvorfällen kommt, lautet deshalb eine Forderung der Gewerkschaft vida für den Bereich der EisenbahnerInnen. Für alle Branchen gilt: Ausreichend Personal ist eine Grundbedingung, um Gewalt am Arbeitsplatz hintanzuhalten.
Bessere Nachbetreuung
Bei gemeldeten Vorfällen müssen die Betroffenen eine Information über den Ausgang des jeweiligen Vorfalls erhalten. »Nichts ist schlimmer, als wenn die Beschäftigten Übergriffe melden und dann gibt es vom Arbeitgeber null Feedback«, so Kaske. Weiters verlangt vida, dass die ArbeitgeberInnen im Bedarfsfall die Kosten für therapeutische oder psychologische Hilfe bzw. einen Rechtsbeistand bezahlen.
Auf Gesetzesebene verlangt vida, dass Arbeitspsychologen/-innen als verpflichtende Präventivkräfte in den Betrieben vorgesehen werden. Sie sollen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen in Bezug auf psychische Belastungen als Anlaufstelle dienen. Derzeit ist im ArbeitnehmerInnenschutzgesetz der verpflichtende Einsatz von ArbeitsmedizinerInnen und Sicherheitsfachkräften in den Betrieben vorgesehen, während das Gesetz in puncto Arbeitspsychologen/-innen nur eine Kann-Bestimmung enthält. Die Daten zur Entwicklung der Invaliditäts- und Berufsunfähigkeitspensionen stützen die Forderung der Gewerkschaft - denn während dank Prävention die Pensionen wegen Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparats rückläufig sind, nehmen vorzeitige Pensionierungen aufgrund von psychischen Erkrankungen zu.
Zudem soll das Arbeitsinspektorat als Kontrollorgan für alle Arten der Gewalt im Betrieb zuständig sein.
Wer im Dienst ist, kann Gewaltsituationen weniger leicht ausweichen als in der Freizeit. Ein Kellner wird nicht einfach ein volles Lokal allein lassen, eine Nachtbuslenkerin muss ihre Linie fahren, auch wenn sie dabei immer wieder gefährlichen Situationen ausgesetzt sind. Um die ArbeitnehmerInnen besser zu schützen, verlangt vida eine Verschärfung der gesetzlichen Sanktionen bei physischer Gewalt an ArbeitnehmerInnen im Dienst.
Gewerkschaft hilft
vida unterstützt BetriebsrätInnen, die gegen die Gewalt im Job aktiv werden, mit einer Musterbetriebsvereinbarung. Die Vereinbarung sieht verbindliche Leitlinien für den Umgang mit Gewalt im Betrieb vor. Zusätzlich startet vida ab 2010 mit Konfliktmanagementkursen für BetriebsrätInnen und Mitglieder. Auf Initiative von vida hat der ÖGB mit November 2009 seinen Berufsschutz für Mitglieder um Kostenersatz für Hilfe bei körperlicher Gewalt im Job erweitert. Informationen zu den Service- und Hilfsleistungen der Gewerkschaft, zu der geltenden Rechtslage und den Forderungen von vida gibt es im Internet unter www.tatortarbeitsplatz.at.
Mehr Respekt
Mehr Respekt! Nicht nur der Kriminalpsychologe Thomas Müller unterstützt die vida-Initiative. Auch dem Schauspieler Wolfgang Böck ist der Einsatz der Gewerkschaft gegen Gewalt im Job ein Anliegen. »Freunde, Gewalt löst kein Problem. Mehr Respekt! Miteinander statt gegeneinander«, sagt Böck.
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2,7 Mio. Sozialschmarotzer?
Laut Finanzminister Pröll zahlen von den rund 5,7 Mio. in Österreich als Selbstständige (300.000 in Gewerbe und »neue Selbstständige«/WerkvertragsnehmerInnen), Bauern (97.000), ArbeiterInnen, Angestellten, freie DienstvertragsnehmerInnen und Beamte (3,42 Mio.) und PensionistInnen (1,88 Mio.) lebenden Menschen nur fast die Hälfte Steuern. Dies nimmt Pröll nun heuchlerisch zum Vorwand, »Steuergerechtigkeit« einzufordern oder die Frage zu stellen: »Wie gerecht ist der Sozialstaat?« Ein »Transfer-Konto«, das die staatlichen Sozialleistungen auflistet, soll angeblich »Transparenz« schaffen.
Warum zahlen so viele Menschen keine Steuern? Sind sie Steuerhinterzieher, sind sie faul? Nein! Die UnternehmerInnen zahlen ihnen nicht mehr, beschäftigen sie entweder nur geringfügig, als Teilzeitkräfte, »neue Selbstständige«, »Freie Dienstvertragler« oder als Vollzeitkräfte mit zu wenig Lohn. Auch die rund 400.000 echten Arbeitslosen (inkl. Schulungen und sonstiger AMS-Aktionen) können nichts für ihr Schicksal, weil sie nicht freiwillig arbeitslos wurden, sondern von den UnternehmerInnen gekündigt oder auch absichtlich in Frühpension geschickt wurden und werden (z. B. Post, Bahn, Siemens usw.).
Die viel gepriesenen Privatisierungen haben zwar die Gewinne der Unternehmen, nicht aber das Arbeitsplatzangebot steigen lassen. Die Unternehmensgewinne haben sich mit 12,1 Mrd. Euro im Jahr 2007 gegenüber 2003 vervierfacht. Gleichzeitig sind die Dividendenausschüttungen gestiegen, sie waren 2007 mit 3,2 Mrd. Euro ebenso viermal so hoch wie noch im Jahr 2003. Die Investitionen und die Anzahl der Beschäftigten stagnieren dagegen oder waren sogar rückläufig. Insgesamt ist der Personalaufwand je MitarbeiterIn in diesen Unternehmen in den vergangenen Jahren um rund zehn Prozent zurückgegangen, während sich die Bezüge der Vorstandsmitglieder beinahe verdoppelt haben.1
»Der österreichische Sozialstaat wäre schon prima - vorausgesetzt, man hat einen gut dotierten und halbwegs sicheren Arbeitsplatz«, so der Sozial- und Wirtschaftswissenschafter Emmerich Talos2 zusammenfassend zum »2. Armuts- und Reichtumsbericht«3, aus dem die Zahlen in Folge stammen.
Tatsächlich zeigt sich darin ein ganz anderes als das von Finanzminister Pröll vermittelte Bild: Die Reichen sind reich und werden immer reicher. Waren vor 30 Jahren die ArbeitnehmerInnenentgelte mit fast 37 Mrd. Euro doppelt so hoch wie die Bruttobetriebsüberschüsse und Selbstständigeneinkommen mit 19,8 Mrd. Euro, lagen 2006 die Vergleichszahlen 2006 bei 125 Mrd. Euro für die ersteren und bei 105,5 Mrd. Euro für die zweiteren. Eine rasante Aufholjagd zugunsten der Reichen: »Mit anderen Worten«, so die StudienautorInnen, »war und ist eine Umverteilung der Wertschöpfung von den ArbeitnehmerInnen hin zu den Selbstständigen und Unternehmen im Gang.« Im untersten Einkommensdrittel sind die Einkommen in den vergangenen zehn Jahren nur um insgesamt neun Prozent gestiegen, im obersten Einkommensdrittel dagegen um über 40 Prozent!
Vermögenseinkommen
Unter Vermögenseinkommen versteht man Zinsen, Gewinnausschüttungen, Einkommen aus Versicherungsverträgen und wieder investierte Gewinne. Auf den Vermögensmärkten werden keine Einkommen geschaffen, sondern nur umverteilt, denn jedes Einkommen auf den Finanzmärkten muss durch Arbeit und/oder Kapitaleinsatz geschaffen werden. In Summe betrugen in Österreich im Jahr 2005 die Vermögenseinkommen 62,65 Mrd. Euro, 25,5 Prozent des Bruttinlandsprodukts (BIP), 2006 bereits schon 74,4 Mrd. Euro oder 29 Prozent des BIP!
Was für unsereins die Arbeit für unser Auskommen ist, sind für die Vermögenseinkommen die Zinsen. Laut Nationalbank wurden für kleine Spareinlagen 2007 im Schnitt 1,74 Prozent Zinsen gewährt, für höhere deutlich mehr. Dadurch haben sich die großen Sparvermögen über 70.000 Euro in der Dekade 1993 bis 2003 auf rund eine Viertelmillion verdoppelt.
Geld vermehrt sich, wo vorhanden: So hat die Anzahl der Spareinlagen bis 10.000 Euro zwischen 2003 und 2007 um 1,1 Prozent abgenommen, die Anzahl jener über 100.000 Euro hat hingegen um 31,2 Prozent (!) zugenommen. Und dort, wo wenig Geld ist, in den privaten Haushalten, wird es durch die Zinspolitik der Banken weniger: »Die Zinsen für Kredite nichtfinanzieller Unternehmen waren im Durchschnitt um ein Prozent niedriger als jene der privaten Haushalte«, analysiert der Reichtumsbericht. Und weiter: »In Summe erwirtschafteten die inländischen Kreditinstitute dadurch im Jahr 2007 Nettozinserträge von jeweils mehr als sieben Mrd. Euro, das heißt, ihre Zinseinnahmen waren um jährlich sieben Mrd. Euro höher als ihre Zinszahlungen.« Aber noch mehr: »Auch wer persönlich keine Schulden zu haben meint, zahlt Zinsen: Etwa werden mit den Steuern die Zinsen der öffentlichen Schulden bezahlt, oder über die Preise von Waren und Dienstleistungen Zinsen von Unternehmenskrediten, oder über die Miete Zinsen für das Wohnbaudarlehen oder Investmentkapital, mit dem das Haus errichtet wurde.«
Und wie verhält es sich mit den von Finanzminister Pröll strapazierten Sozialeinkommen im Verhältnis zum Vermögen tatsächlich? Sie sind erstens gleich groß: 2006 machen die Vermögenseinkommen 74,4 Mrd. Euro, die Sozialeinkommen mit 70,6 Mrd. Euro sogar schon weniger aus. Und zweitens verteilen sich die Vermögenseinkommen auf eine viel geringere Zahl von Menschen als die Sozialeinkommen!
Arm und Reich in Österreich
Reichtum produziert Armut, denn er stammt aus der Wertschöpfung der großen Masse der Arbeitenden!
Nur kein Neid, aber gemäß der Forderung der jüngsten eindrucksvollen StudentInnenbewegung: »Reiche Eltern für alle«! Und wenn schon ein Konto von der Regierung, auf das kein Geld kommt, dann lieber ein Transparenz- statt ein Transferkonto!
1 Österreichische Gesellschaft für Politikberatung und Politikentwicklung (ÖGPP): Wichtige Kennzahlen börsennotierter Unternehmen in Österreich 2004-2008, A. Höferl, B. Hauenschild, Wien 2009
2 Standard, 20. 1. 2009
3 ÖGPP: 2. Armuts- und Reichtumsbericht für Österreich, Wien 2008
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Richtige Fragen - falsche Antworten
Die BefürworterInnen des Sozialstaates haben natürlich schnell begriffen, dass hier dem Sozialabbau das Wort geredet wird. Die Reaktionen fielen jedoch recht zurückhaltend aus, dabei besteht kein Grund defensiv zu sein. Arbeit soll sich lohnen? Ja, genau! Aber auch für die Handelsangestellte, die bei Vollzeit mit ihrem Nettogehalt gerade mal über die Armutsschwelle kommt. Und dann muss auch die Frage erlaubt sein, warum jene, die ihr »Geld für sich arbeiten« lassen können, und damit Einkommen ganz ohne Leistung beziehen, den geringsten Beitrag zur öffentlichen Finanzierung leisten.
Eine Diskussion über den Sozialstaat? Gerne! Aber nicht auf einer Basis wie jener des neunseitigen Papiers aus dem Joanneum Graz, das Finanzminister Pröll zur Grundlage seiner Forderung nahm. Dieses arbeitet, polemisch formuliert, mit schlecht recherchierten Zahlen und völlig realitätsfernen Beispielfamilien. Nachdem es harsche Kritik an den Berechnungen hagelte, korrigierten sich die StudienautorInnen selbst so massiv, dass die Schlussfolgerungen hätten revidiert werden müssen (siehe Kasten: Die »Studie« des Joanneum Graz von Franz Prettenthaler und Cornelia Sterner). Passiert ist das freilich nicht. Das wäre nicht im Sinne der Neiddebatte.
Der Sozialstaat spielt im Leben der Menschen in Österreich eine wichtige Rolle, und das keineswegs nur für die »Armen«. Wir alle profitieren in vielfältiger Weise von seinen Leistungen.
Wechselfälle wie Arbeitslosigkeit und Krankheit treffen fast jeden einmal im Laufe seines bzw. ihres Lebens. Daher ist die Teilung zwischen ZahlerInnen und EmpfängerInnen mehr als künstlich: Jede und jeder ist irgendwann sowohl das eine als auch das andere. Der Sozialstaat hilft, wenn Risiken wie Krankheit, Unfälle, Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit schlagend werden. Die Förderung von Familien mit Kindern - dazu gehören auch Kinderbetreuung und Schule - sind gerade für arbeitende Menschen besonders wichtig.
Und am Ende des Erwerbslebens ist es nur berechtigt, wenn diese auf die (Pensions-)Leistungen zurückgreifen, die sie selbst zu erwirtschaften mitgeholfen haben.
Reiches Österreich
Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt. Niemand sollte in Armut leben müssen. Aus diesem Grund sorgt der Sozialstaat für eine Umverteilung von Reich zu Arm. Kinder nicht in Armut aufwachsen zu lassen, und auch Kindern aus sozial schwachen Familien den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung zu sichern, sollte auch ein konservatives Anliegen sein.
Das bedeutet nicht, dass der österreichische Sozialstaat in seiner derzeitigen Form der Weisheit letzter Schluss ist. Soziale Problemlagen verändern sich, daher gilt es, den Sozialstaat immer weiterzuentwickeln. Eine Neiddebatte verstellt jedoch den Blick auf die Fakten und verhindert, dass Lösungen für die kommenden Herausforderungen gefunden werden.
Gesamtbild sehen
Eine Debatte darüber, dass jene, die ohnehin wenig haben, zu viel vom Staat bekommen, geht am eigentlichen Problem vorbei. Diese muss in die andere Richtung gehen. Vermögen tragen nirgendwo in der westlichen Welt so wenig zur öffentlichen Finanzierung bei wie in Österreich. Dabei profitieren gerade Menschen mit sehr großem Vermögen vom Sozialstaat.
Er stellt die Infrastruktur zur Verfügung, die notwendig ist, um Reichtum zu schaffen und zu vermehren. Er sichert den sozialen Frieden und macht es möglich, viel zu besitzen, ohne sich täglich darum sorgen zu müssen, ausgeraubt oder gar enteignet zu werden.
Wie einseitig die Debatte geführt wird, zeigt eine Reihe von Widersprüchen. Wer dafür eintritt, dass »Leistung sich lohnen muss«, müsste auch dafür eintreten, dass Geld arbeiten zu lassen zumindest steuerlich nicht günstiger sein soll als tatsächliche Arbeit: Vermögen geschenkt oder vererbt zu bekommen müsste entsprechend besteuert sein. Aber gerade die vermeintlichen Leistungs-AdvokatInnen sprechen sich laufend gegen eine höhere Besteuerung von Kapitalerträgen aus und frohlocken über die Abschaffung der Erbschafts- und Schenkungssteuer.
Wer Transparenz will, der sollte konsequent sein: Transferkonto ja, Abschaffung Bankgeheimnis nein? Durchsichtig wird spätestens an dieser Stelle etwas anderes: Es geht nicht um Transparenz, sondern um Interessenpolitik.
Wer zahlt?
Wem an Verteilungsgerechtigkeit gelegen ist, der muss sich zuerst fragen, ob die, die wirklich viel haben, einen angemessenen, solidarischen Beitrag leisten, bevor er/sie anfängt bei jenen zu sparen, die auf die Leistungen unseres Sozialsystems angewiesen sind.
Ansonsten könnte der Eindruck entstehen, dass jene, die am meisten von der staatlichen Politik in der Krise profitiert haben, deren Kosten auf die Schwächsten abwälzen wollen.
Info&News
Die »Studie« des Joanneum Graz (Franz Prettenthaler und Cornelia Sterner)
Die Idee des Transferkontos beruht auf einem neunseitigem Bericht des Joanneum Graz. Die StudienautorInnen Franz Prettenthaler und Cornelia Sterner vom Institut für Technologie und Regionalpolitik weisen dort scheinbar nach, dass es sich in Österreich nicht auszahlt, arbeiten zu gehen, da durch die Sozialleistungen für die unteren Einkommen letztlich alle Einkommensunterschiede aufgehoben würden. Um das zu »beweisen«, stellen die AutorInnen drei Beispielfamilien vor, die sich außer durch ihr Erwerbseinkommen nicht unterscheiden.
Die Berechnungen halten einer Überprüfung nicht stand. So sind (Landes- bzw. Gemeinde-)Sozialleistungen berücksichtigt worden, die den angeführten Familien nicht oder nur in sehr seltenen Ausnahmefällen zustehen. Der Kinderabsetzbetrag wurde doppelt berücksichtigt. Die Grundannahmen sind völlig realitätsfremd (zwei Erwachsene pendeln täglich 45 km für 475 EUR brutto im Monat und geben ihr einjähriges Kind ganztags in eine Kinderkrippe). Gestaltungsmöglichkeiten wie beim Kinderbetreuungsgeld werden völlig ignoriert. Nicht zuletzt sind (steuerliche) Begünstigungen, von denen hohe Einkommen stärker profitieren, (absichtlich?) nicht berücksichtig worden.
Die Kritik ließ die StudienautorInnen nicht unberührt: In der im Oktober 2009 publizierten Langfassung korrigierten sie ihre eigenen Werte zum Teil massiv. Die Nachrechnung der AK ergibt allerdings, dass das Gefälle zwischen den Familien noch größer ist, als vom Joanneum Graz dargestellt.
Weblink
Mehr Infos:
wien.arbeiterkammer.at/online/jetzt-den-sozialstaat-ausbauen-51249.html
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Die Arbeitslosigkeit ist heute das große zentrale Problem, das das Denken und Handeln der Gewerkschaften beeinflusst. Umso wichtiger jeder Versuch, die Arbeitslosigkeit und ihre Folgen mit wissenschaftlichen Erhebungsmethoden zu untersuchen. … Es ist die langdauernde Arbeitslosigkeit, deren Auswirkungen wir hier sehen. … Die(se) Zustände … ändern sich ständig zum Schlechteren. Sie müssen sich ändern, denn mit der Zeit wird die Arbeitslosenunterstützung von der Notstandsaushilfe abgelöst, bis auch diese einmal eingestellt wird. Das Inventar verschlechtert sich ständig. Neuanschaffungen und Reparaturen erfolgen nicht mehr. Von jedem Schilling mehr oder weniger an Unterstützung hängen aber nicht nur Ernährung und Kleidung, hängt auch die ganze Einstellung des Arbeitslosen zum Leben ab. Ein Versuch, die (oben gezeigten) Haltungsgruppen mit dem persönlichen Monatseinkommen zu vergleichen, ergibt im Durchschnitt:
In der Gruppe Betrag in Schilling
Ungebrochen 34
Resigniert 30
Verzweifelt 23
Apathisch 19
Versteht man jetzt, was der Kampf um die Arbeitslosenunterstützung bedeutet? »Schon eine Differenz von monatlich 5 S heißt, nur mehr mit Sacharin kochen zu können oder doch noch Zucker verwenden; die Schuhe in Reparatur geben zu können, oder die Kinder von der Schule zu Hause lassen zu müssen, weil sie nichts mehr an den Füßen haben; … 5 Schilling auf oder ab, das bedeutet die Zugehörigkeit zu einer anderen Lebensform.«
Käthe Leichter wurde Opfer des nationalsozialistischen Terrors. Maria Jahoda, eine der AutorInnen der Marienthal-Studie, entkam nach Großbritannien. Als Universitätsprofessorin von internationalem Ruf erinnerte sie in einem Fernsehinterview 1973 an die großen Fortschritte durch den Sozialstaat, warnte aber gleichzeitig davor, das Problem Arbeitslosigkeit auf die leichte Schulter zu nehmen:
Es hat sich im letzten halben Jahrhundert ungeheuer viel in der Welt verändert - für Arbeitende, für Arbeitslose und für die ganze Gesellschaft. Der wichtigste Zusammenhang ist, dass sich die Lebenshaltung aller Menschen, auch der Arbeitslosen, verbessert hat - obwohl es natürlich noch immer ein schreckliches finanzielles Problem für den einzelnen ist, die Arbeit zu verlieren. … Die Gewerkschaften und die Arbeiterparteien haben viel dazu beigetragen, das zustande zu bringen. Das wichtigste Resultat aber ist, dass es trotz dieser verbesserten Lebensbedingungen psychologisch genauso unerträglich ist, arbeitslos zu sein, wie es in den dreißiger Jahren war.
Zusammengestellt und kommentiert von Dr. Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at
»Ich sehe keine Armen«
»Überall liest man von Armut«, sagt meine Mutter, als wir durch Innsbrucks Altstadt spazieren: »Aber ich sehe keine armen Menschen.« Ich kann sie verstehen, denn auch ich sehe nur in Pelzmäntel gehüllte Italienerinnen. Mama erzählt von früher, als die Menschen gehungert haben und gefroren. Auf der Rückreise lese ich in der Zeitung: »Weil ein Elternpaar seine vier Kinder nicht versorgen konnte, brach es in einen Mülllagerraum eines Supermarktes in Wien-Liesing ein. Mit dem Obst, das nicht mehr verkauft werden durfte, wollten der Mann und die Frau die Familie ernähren.«
Beide Geschichten waren Michaela Moser von der Armutskonferenz wohl vertraut, als ich sie ihr wenige Tage später erzählte. »Österreich - Kein Weihnachtsmärchen« hieß die Veranstaltung in der ÖGB-Fachbuchhandlung, bei der sie am Podium saß.
Oh ja, viele Menschen würden ihr sagen, es gäbe keine wirkliche Armut in unserem reichen Land: »Aber Armut ist ein Verhältniswort.« Konkret bedeute Armut bei uns, dass eine halbe Million Menschen kaum Möglichkeit hat, an zentralen gesellschaftlichen Bereichen zumindest in einem Mindestmaß teilhaben zu können: Wohnen, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Sozialkontakte, Bildung. Wer verarmt, verliert Freiheiten. Arme seien heute nicht mehr dünn, sondern oft dick, weil sie sich ungesund ernähren. Oder aber sie greifen zu drastischeren Maßnahmen, wie das Elternpaar, das Obst gestohlen hat.
Die Geschichte dieses Paares steht auch im Online-Standard, die Kommentare dazu sind teilweise erschütternd. Vor allem wird immer wieder angezweifelt, dass die sechsköpfige Familie nicht mit den Sozialbezügen auskommt. Die »Leistungsgesellschaft« reagiert prompt auf die Brandrede unseres Finanzministers, der damit gerade in der angeblich stillsten Zeit des Jahres eine Neiddebatte angeheizt hat.
»Sichtbar werden!« heißt ein Projekt der Armutskonferenz, für das bei der Benefizveranstaltung in der Fachbuchhandlung Punsch und T-Shirts verkauft wurden. Sichtbar wurden an diesem Abend auch Betroffene. Der Augstinverkäufer und die Langzeitarbeitslose erzählten, welche Leistung es ist, täglich mit sehr wenig Geld auszukommen, und wie schwer es ist, dabei seine Würde zu bewahren. Es ist kälter geworden in dieser unserer Leistungsgesellschaft. Solidarität wird wieder zum Fremdwort in Zeiten der Ich-AGs. Immer öfter agieren die Menschen einsam statt gemeinsam. Die Wut brodelt, aber sie wird viel zu oft gegen Schwächere oder das geschwächte Selbst gerichtet. Ihre Wertvolle Energie wird selten gebündelt und genützt.
Reichtum sichtbar machen
Dabei sollten wir statt mit dem Finger auf jene zu zeigen, die - wie wir alle übrigens irgendwann einmal in unserem Leben - Leistungen vom Sozialstaat Österreich beziehen, auf jene deuten, denen wir zu verdanken haben, dass wir SteuerzahlerInnen 450 Mio. Euro zur Rettung des Landes Kärntens zahlen. Statt den Armen Sozialleistungen zu neiden und sie zur Arbeit zu rufen, sollten wir unseren Neid auf die Reichen richten, die ihr Geld arbeiten lassen. Jetzt zu Weihnachten treten sie bei Charityveranstaltungen gerne ans Licht, wir sollten aber das ganze Jahr über auch Reichtum sichtbar machen und unseren Anteil daran fordern. Statt Sozialschmarotzer sollten wir Kapitalschmarotzer rufen. Und ich wünsch mir zu Weihnachten: Reiche Eltern für alle. Die bringt nicht das Christkind, für die müssen wir schon selbst sorgen: Gemeinsam!
]]>Gewerkschaften
Es gibt in Slowenien nicht weniger als sieben bedeutende Gewerkschaftsbünde, die allerdings in der Regel eng kooperieren. Der größte Dachverband, der »Bund Freier Gewerkschaften« (ZSS), vereinigt nahezu die Hälfte aller Gewerkschaftsmitglieder auf sich. Wie in fast allen europäischen Ländern ging auch in Slowenien der gewerkschaftliche Organisationsgrad seit 1990 zurück, jedoch weniger stark als in den anderen MOEL. 2005 belief er sich auf 37 Prozent. Damit weist Slowenien einen weit über dem Durchschnitt der EU-27 (25 Prozent) liegenden Organisationsgrad und den höchsten unter den MOEL auf.
Seit der Unabhängigkeit (1991) haben die slowenischen Gewerkschaften sowohl ihren gesellschaftlichen Einfluss, also ihre Fähigkeit, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und öffentliche Proteste zu organisieren, eindrucksvoll unter Beweis gestellt, als auch ihren unmittelbaren politischen Einfluss auf gesamtwirtschaftliche Entwicklungen, v. a. über die Mitwirkung im Wirtschafts- und Sozialrat und über Kollektivverträge.
Die lohnpolitische Steuerung erfolgt in Slowenien über ein vierstufiges System sozialpolitischer Abkommen, bestehend aus einem dreiseitigen gesamtwirtschaftlichen Sozialpakt und aus jeweils zweiseitigen Kollektivverträgen (KV) für den privaten Sektor, auf der Branchenebene und auf der Unternehmensebene. Diese Abkommen stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander: Die Umsetzung der Regelungen der Sozialpakte beruht im lohnpolitischen Bereich (horizontale und vertikale Koordination) auf den hierarchisch geordneten KV. Und die KV niedriger Ebene nehmen Bezug auf die Vereinbarungen auf höherer Ebene.
1994 einigten sich Regierung und Sozialpartner über die systematische Zusammenarbeit und die Schaffung eines dreiseitigen Gremiums, des »Wirtschafts- und Sozialrats« (ESS). Von besonderer Bedeutung unter den zahlreichen Funktionen des Rats sind die Ausarbeitung von Entwürfen arbeitspolitischer Gesetze, die Aushandlung und der Abschluss von Sozialpakten und die Beratungen über die Höhe des gesetzlichen nationalen Mindestlohns.
Im Juli 2007 vereinbarten Regierung und Sozialpartner einen Sozialpakt, welcher die wirtschafts- und sozialpolitische Strategie für die ersten drei Jahre nach der Einführung des Euros (1. 1. 2007) festlegte. Am stärksten umstritten war das Kapitel über Lohnpolitik. Einige Arbeitgebervertreter hatten gefordert, dass Lohnverhandlungen nur noch auf der Betriebsebene geführt werden. Den Gewerkschaften gelang es jedoch, diesen Vorstoß abzuwehren und den Fortbestand des überbetrieblichen KV-Systems zu sichern.
Mindestlohn
Gemäß dem Mindestlohngesetz von 2006 setzt der Arbeitsminister nach Konsultation der Sozialpartner im Rat alljährlich die neue Höhe des Mindestlohns fest. In Bezug auf das Ausmaß der Anpassung sieht das Gesetz eine Anhebung nur in der Höhe der Inflationsprognose vor.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich die Relation zwischen Mindestlohn und durchschnittlichem Bruttolohn von 43,1 Prozent (2004/5) auf 39,7 Prozent (2007/8) verschlechterte. Ab August 2008 belief sich der gesetzliche Mindestlohn auf 589 Euro pro Monat (netto 425 EUR). Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten, die lediglich den Mindestlohn bezogen, betrug im März 2009 rd. drei Prozent. Der Bund Freier Gewerkschaften forderte die Anhebung des Mindestlohns über die Armutsrisiko-Schwelle (2007 netto 495 EUR für Ein-Personen-Haushalte).
Nach mehreren ergebnislosen Verhandlungsrunden, einer Großkundgebung der Gewerkschaften in Laibach und einem generellen Warnstreik einigten sich die Sozialpartner des privaten Sektors Ende Mai 2008 auf einen KV für 2008/09. Dieser beinhaltet u. a. die jährlichen Erhöhungen des niedrigsten Grundlohns der ersten Stufe der neunteiligen Lohnskala. Die Gewerkschaften setzten die Aufnahme einer Produktivitätsklausel in Bezug auf die Branchen-KV durch: Die Unternehmungen sind demgemäß verpflichtet, die Möglichkeit von zusätzlichen Lohnerhöhungen entsprechend der Zunahme der Arbeitsproduktivität der jeweiligen Branche im Vorjahr und unter Berücksichtigung der Gewinnsituation der Firma zu überprüfen. Unmittelbar betreffen die Regelungen des sektoralen KV jene rd. 40.000 Beschäftigten von Privatunternehmen, die nicht einem Branchen-KV unterliegen.
Der KV für den privaten Sektor und die meisten Branchen-KV sehen in einheitlicher Weise neun Lohnstufen vor, die nach Qualifikationsanforderungen (Stufe Eins = Tätigkeiten ohne Qualifikationsanforderung, Stufe Neun = Tätigkeit hoher Verantwortung) definiert sind. Der niedrigste Grundlohn der Stufe Neun beträgt das Dreifache des niedrigsten Grundlohns der Stufe Eins.
Branchenkollektivverträge
2007 bestanden in Slowenien 28 Branchen-KV im Bereich des privaten Sektors, drei für staatliche Wirtschaftsbereiche und neun im öffentlichen Dienst. Diese KV regeln nicht nur die Löhne und Gehälter der Beschäftigten, sondern auch die sonstigen Arbeitsbedingungen.
Gemäß dem Kollektivvertragsgesetz 2006 erklärt der Arbeitsminister jene Branchen-KV für allgemeinverbindlich, welche durch repräsentative Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände abgeschlossen wurden, deren Mitgliedsunternehmen im betreffenden Bereich mehr als die Hälfte der ArbeitnehmerInnen beschäftigen. In der Vergangenheit waren dank der Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer (GZS) alle Branchen-KV allgemeinverbindlich. Der Deckungsgrad der KV in Slowenien war daher außergewöhnlich hoch und lag bei ca. 95 Prozent.
Doch im Juni 2006 beschloss die Mitte-Rechts-Mehrheit im Parlament ein neues Wirtschaftskammer-Gesetz, welches für diese Organisation freiwillige Mitgliedschaft vorsieht. Seither ist die Mitgliederzahl in der Wirtschaftskammer stark rückläufig. Nur noch Arbeitgeberverbände mit freiwilliger Mitgliedschaft sind zum KV-Abschluss berechtigt.
Da sich die organisatorischen Kapazitäten der übrigen Arbeitgeberverbände noch im Aufbau befinden, ist in naher Zukunft mit einem deutlichen Absinken des Organisationsgrades der Arbeitgeberverbände zu rechnen. Somit besteht auch die Gefahr, dass in manchen Branchen ihr Erfassungsgrad unter die 50-Prozent-Schwelle sinkt, deren Überschreitung die Voraussetzung für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung darstellt. Der Deckungsgrad der KV wird sich also zweifellos erheblich reduzieren. Wie weit, wird zum einen von der Mitgliedschaftsdynamik auf der Arbeitgeberseite abhängen, und zum anderen von den Bemühungen der Gewerkschaften, ihre Präsenz in den Unternehmen zu verstärken, um kollektivvertragliche Arbeitsbedingungen entsprechend dem jeweiligen Branchenabkommen durchzusetzen. Über die Branchen-KV hinaus besteht die Möglichkeit, auf dezentraler Ebene KV abzuschließen, welche die besondere Situation des Unternehmens oder Betriebs berücksichtigen. Derartige Firmen-KV existieren v. a. in den erfolgreichen Groß- und Mittelunternehmen. Da es für Unternehmens-KV keine Registrierungspflicht gibt, ist ihre Zahl unbekannt. Experten schätzen sie auf mehrere Tausend.
Duales System
Die in Slowenien ebenfalls bestehenden Betriebsräte (duales System der betrieblichen Interessenvertretung) können Betriebsvereinbarungen in dem Rahmen abschließen, in dem das Gesetz oder ein bestehender Firmen-KV sie dazu ermächtigt. In der Praxis kooperieren Betriebsräte und Gewerkschaften und stimmen ihre jeweiligen betrieblichen Aktivitäten miteinander ab, weil die Gewerkschaften in der Regel die Mehrheit der Mitglieder des Betriebsrates stellen.
Die nächsten Jahre werden weisen, ob die Stabilität und Arbeitsmarktregulierungs-Effektivität des slowenischen Arbeitsbeziehungssystems, welche auf dem hohen kollektivvertraglichen Deckungsgrad beruhten, auch nach den neoliberal inspirierten Gesetzesbeschlüssen der Jahre 2004-08, insbesondere der Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft in der Wirtschaftskammer, bestehen bleiben werden.
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Wachsendes Entsetzen
Während der Statistiker emotionslos Zahlen aneinanderreiht, verfolgen in Frankreich die Öffentlichkeit und die Gewerkschaften seit Monaten mit wachsendem Entsetzen die Selbsttötungen der MitarbeiterInnen des Telecom-Konzerns mit. Die Selbstmordserie hatte zuletzt sogar die Regierung in Paris auf den Plan gerufen, die ein Viertel der Unternehmensaktien des früheren Staatsunternehmens hält. Die französischen Gewerkschaften gehen davon aus, dass ein Teil der Selbstmorde und Selbstmordversuche direkt auf die unmenschlichen Arbeitsbedingungen und den 2006 eingeleiteten Konzernumbau mit Zehntausenden Entlassungen und Versetzungen zurückzuführen ist. So sieht das Programm »time to move« schnellen Stellenwechsel vor, bei dem MitarbeiterInnen auf beliebige - und oft degradierende - Posten versetzt werden können. In den vergangenen Jahren hatte der Konzern außerdem 22.000 Stellen gestrichen.
Auf einen Zusammenhang zwischen den Suiziden und einer menschenfeindlichen Unternehmensführung weist auch der Inhalt von Abschiedsbriefen hin. »Der einzige Grund ist die Arbeit«, begründet ein Techniker im Juli in seinem Abschiedsbrief seinen Freitod, »der permanente Druck, die Überlastung, die fehlende Weiterbildung, die Desorganisation und das Management mit dem Terror.« Anfang September stößt sich während einer dienstlichen Sitzung ein Mitarbeiter in Troyes ein Messer in den Bauch. Er überlebt und erklärt später im Krankenhaus, dass er seine zwangsweise Versetzung nicht ertragen habe. Ende September wirft sich ein 51-jähriger Mitarbeiter auf eine Autobahn nahe Annecy. »Leiden am Arbeitsplatz«, formuliert er es in seinem Abschiedsbrief.
Nur eine Woche, nachdem der Statistiker Padieu den Franzosen versichert hatte, dass hier alles seine mathematische Richtigkeit habe, versuchte neuerlich ein 32-jähriger Angestellter in einem France-Telecom-Callcenter in Paris, sich während der Arbeit das Leben zu nehmen und nahm eine Überdosis Medikamente. Er hatte Glück, denn er wurde von Kollegen gerettet und ins Krankenhaus gebracht.
Anfang Oktober protestierten die Beschäftigten des Unternehmens schließlich mittels Streik. Konzernchef Didier Lombard wurde daraufhin ins Ministerium zitiert. Wirtschaftsministerin Christine Lagarde forderte ihn und die gesamte Unternehmenführung nachdrücklich auf, behutsamer mit den MitarbeiterInnen umzugehen. Der für seinen harten Sparkurs bekannte Vizechef des Unternehmens, Louis-Pierre Wenes, wurde auf Druck der Gewerkschaften entlassen.
»Nicht flexibel genug«
Wenes galt als Urheber der unpopulären Maßnahmen zum Konzernumbau. Er war federführend beim Abbau der 22.000 Stellen. Als er öffentlich sagte, die Selbstmorde beträfen nur eine Handvoll Leute, die nicht flexibel gewesen seien, war er ins Kreuzfeuer der Kritik geraten.
Didier Lombard gestand schließlich Fehler seitens der Konzernleitung ein. Er habe »wahrscheinlich bestimmten Anzeichen für die Stimmung und Lage der Beschäftigten nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt«, sagte Lombard in einem Interview. Im laufenden Konzernumbau sei »eine gewisse Zahl menschlicher Faktoren unterschätzt worden«. Um das Unternehmen leistungsfähiger zu machen, habe das Management »zu schnell große Veränderungen« durchsetzen wollen.
Die Selbstmord-Serie könnte dem Konzern nun aber teuer zu stehen kommen: Der ehemalige Staatsmonopolist erklärte bei der Vorlage seiner Geschäftszahlen Ende Oktober, die Bemühungen zur Entspannung der Situation könnten mit bis zu einer Milliarde Euro zu Buche schlagen. Auf Druck von Gewerkschaften und Öffentlichkeit seien die Restrukturierungsmaßnahmen nun auf Eis gelegt worden.
Fragebögen an die Beschäftigten
Konzern-Chef Lombard willigt schließlich auch in die von der Gewerkschaft geforderten »Stressverhandlungen« ein. Als erste Maßnahme wurden Fragebögen an alle Beschäftigten versandt. Die MitarbeiterInnen erhielten einen Multiple-Choice-Bogen mit 160 Punkten, darunter: »Ich werde an meinem Arbeitsplatz ungerecht behandelt.« »Bei der Arbeit werde ich ausgebeutet.« »In den sieben letzten Tagen stand ich kurz vor den Tränen.« Schon am ersten Tag beantworten 25.000 Personen den Fragebogen.
Dem Psychiater Christophe Dejours ist das zu wenig. »160 Fragen, wozu ist das gut, was macht man damit?«, fragt der Fachmann, der ein Buch zum Thema Arbeit und Selbstmord geschrieben hat. Der Fragebogen sei vor allem ein Zeichen der Kommunikation nach außen. Die Auswertung der Daten werde nichts bringen, »wir haben schon die Selbstmorde, das reicht«.
Für den Psychiater Dejours liegt die Hauptursache für die Suizide am Arbeitplatz in einer deutlichen Verschlechterung des alltäglichen Zusammenlebens. Ungerechtigkeiten oder Mobbing gab es immer schon - doch es gab früher auch Solidarität unter den Beschäftigten. Dazu kommt besonders in Krisenzeiten die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust. KollegInnen können vor diesem Hintergrund gegeneinander ausgespielt werden und das Zusammenleben wird vergiftet, analysiert Dejours. Vor allem die Führungskräfte werden immer mehr zu Einzelkämpfern um Geld und Karriere, das Miteinander bleibt auf der Strecke.
Dejours forscht seit mehreren Jahren über das Thema Selbstmord am Arbeitsplatz. Während sich früher Menschen zumeist bei sich zu Hause das Leben nahmen, beobachtet er seit knapp zehn Jahren eine Zunahme der Suizide am Arbeitsplatz, oft direkt vor den Augen der KollegInnen. Dejours plädiert für einen anderen Umgang mit dem Phänomen: Einen Selbstmord nachher zu verschweigen oder zu verleugnen sei die schlechteste Strategie. Es müsse vielmehr alle KollegInnen und Vorgesetzen die Möglichkeit gegeben werden, offen über den Tod zu sprechen, sei es mit ArbeitsmedizinerInnen, TherapeutInnen oder anderen professionellen HelferInnen. Schweigen schafft Schuldgefühle und diese - im schlimmsten Fall - weitere Suizide.
Nicht nur die Beschäftigten des Telecom-Konzerns leiden. Gleichzeitig mit France Télécom beginnen auch andere große Unternehmen sogenannte »Stressverhandlungen«, die die Arbeitsbedingungen verbessern sollen. In einigen von ihnen - darunter Renault, Peugeot, Novartis, LVMH und BNP - gibt oder gab es ebenfalls Selbstmordwellen.
Und auch eine ganz andere Berufsgruppe macht derzeit in Frankreich in der Selbstmordstatistik von sich reden: Die Polizei. Sie leidet an schlechten Arbeitsbedingungen, ihrem negativem Image bei der Bevölkerung und vor allem am enormen Druck »von oben«.
Diskussion entfacht
Die mediale Beachtung, die das tragische Phänomen in den vergangenen Monaten fand, hat immerhin dazu geführt, dass sich nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Arbeitgeber und Unternehmer notgedrungen mit der Problematik auseinandersetzen und Themen wie Mobbing, Arbeitsdruck, Burn-out und Entsolidarisierung diskutiert und ernst genommen werden.
Denn selbst wenn die Selbstmordrate im statistischen Mittel bleibt, so ist jeder einzelne Tote am Arbeitsplatz eben nicht nur ein Kollateralschaden einer neuen Arbeitsorganisation, sondern direktes Opfer einer menschenfeindlichen Unternehmenspolitik.
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Doku auf ARTE:
www.arte.tv/de/Die-Welt-verstehen/Burnout/2892482.html
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Methoden der Winner
Evelyne K. ist seit mehr als zehn Jahren für eine Bausparkasse als Kundenberaterin tätig. Erst lange nach der üblichen Einarbeitungszeit hat sie begriffen, was Geschäftsanbahnung bedeuten kann: »Mehrere Jahre waren immer wieder dieselben Kollegen an erster Stelle bei den Umsatzzahlen. Das waren meist Summen, die ich mir nicht erklären konnte. Dann hab ich mitbekommen, dass diese Kollegen sich gezielt beispielsweise mit Empfangsdamen und TelefonistInnen anfreundeten. Auf diese Weise wurden die ›großen Fische‹ sofort an sie weitergeleitet, die kleineren Aufträge blieben für all jene von uns, welche die KollegInnen an den Schnittstellen nicht mit Geldgeschenken, Einladungen zum Essen oder in Nachtlokale umschmeichelten.« Damit nicht genug: Um ganz sicherzugehen, dass sie entsprechende Prämien kassieren würden, haben diese Kollegen jeweils kurz vor Ende des Beobachtungszeitraums (Pseudo-)Verträge abgeschlossen, die danach innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Kündigungsfrist wieder storniert wurden.
Konkurrenzkampf kostet Nerven
Als KollegInnen diese Machenschaften aufdeckten, passierte den findigen Verkäufern gar nichts. Diejenigen, die das alles ans Tageslicht gebracht hatten, wurden als unkollegiale Vernaderer hingestellt. Allerdings wurden kurz darauf nur noch Verträge in die Bewertung einbezogen, bei denen kein Rücktritt mehr möglich war. Evelyne K.: »Angesichts dieser tollen Erfolge unserer Super-Verkäufer habe ich sehr wohl an mir und meiner Arbeitsweise gezweifelt. Den Vorgesetzten war das natürlich nicht unrecht, dass die meisten anderen sich durch diese Ergebnisse stärker unter Druck fühlten.«
Statt gemeinsam gegen unlautere Methoden, Kürzungen, Shareholder-Value-Prinzip etc. eine Front zu bilden, stürzen sich so manche aus Angst vor Jobverlust in einen nervenaufreibenden Konkurrenzkampf mit Kollegen. Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt. So kann es schon passieren, dass eine Anzeigenverkäuferin erzählt, ihre alte Tante müsse ins Seniorenheim. Die Kollegin, die seit Jahren mehrere Seniorenheime als Kunden hat, stellt ihr eine Liste mit empfehlenswerten Einrichtungen zusammen. Um ein paar Tage später zu erfahren, dass sich besagte Tante bester Gesundheit erfreut - und die Kollegin an eines der Seniorenheime eine Anzeige verkauft hat.
Schlechtes Betriebsklima
Ob Konflikte und Intrigen hinter verbindlichem Lächeln versteckt werden oder lautstarke Auseinandersetzungen, Sticheleien und Ähnliches an der Tagesordnung sind - schlechte Stimmung belastet nicht nur die Betroffenen, sondern auch allgemein das Betriebsklima. Selbst dann, wenn dieses Verhalten im Unternehmen nicht allgemein üblich, sondern nur ein Einzelfall ist. Konflikte gibt es überall, für ein dauerhaft schlechtes Betriebsklima ist meist die Chefetage verantwortlich. Unruhestifter, Intrigen und mangelnde Konfliktkultur einfach auszublenden und zu hoffen, dass sich alles von selbst erledigt, kann genauso schaden wie ständiger Druck. Kompetenzstreitigkeiten, unklare Anweisungen sowie fehlender Kunden- bzw. Gebietsschutz im Verkauf führen mittelfristig nicht zu gesunder Konkurrenz, sondern zu Streitigkeiten, Intrigen und demotivierten MitarbeiterInnnen. Mangelnde Wertschätzung nach dem Motto »Nicht geschimpft ist genug gelobt« und Leitsprüche wie »Stress ist was für Schwache« oder »Druck macht aus Kohle Diamanten« wirken alles andere als leistungsfördernd. Aber auch Langeweile kann unter Umständen negative Auswirkungen haben. Wer unzufrieden, demotiviert oder unterfordert ist, hat für Intrigen und Bosheiten mehr Zeit als ausgelastete KollegInnen.
Selbst dann, wenn alle FirmenmitarbeiterInnen an einem Strang ziehen, ist Teamwork an sich schon eine Herausforderung: Die verschiedenen Generationen haben zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen von Leistung und Arbeitsqualität; mitunter prallen völlig verschiedene Charaktere und Kulturen aufeinander, wodurch manchmal schon Kleinigkeiten zu tagelangen Streitigkeiten und (unterschwelliger) Frontenbildung führen können.
Bei vielen Konflikten besteht die Gefahr, dass sie sich »wie von selbst« verschärfen. Spannungen und Stress machen die Beteiligten ungeduldig und bewirken immer neuen Ärger. Die Emotionen schaukeln sich hoch, ein Wort ergibt das andere, bis die Situation nur noch schwer kontrollierbar ist. Schuldzuweisungen, Verallgemeinerungen, Entweder-Oder-Standpunkte machen - ähnlich wie bei privaten Konflikten - dann alles nur noch schlimmer.
Noch diffiziler ist der Umgang mit verdeckten Problemen. Aus Angst um den Job wartet man vielleicht zu lange zu und beobachtet wie KollegInnen Intrigen spinnen, in wichtigen Angelegenheiten nicht die Wahrheit sagen, andere übervorteilen u. Ä. Wirklich talentierte IntrigantInnen arbeiten mit subtilen Methoden. Da reicht manchmal schon vielsagendes Schweigen, ein Blick oder ein Schulterzucken. Wer Derartiges beobachtet, steht vielleicht bald vor der Entscheidung, ob ihm Ethik und Moral oder der Job wichtiger sind. Welche Konsequenzen kann die Wahrheit haben? Steht man dann womöglich völlig allein da? Prinzipiell sinnvoll ist es - ähnlich wie bei Mobbing - alles genau und mit Datum zu notieren. Der Betriebsrat als Vertrauensperson kann hier eine wichtige Rolle spielen.
Idealerweise gibt es einen/eine ChefIn oder engagierte MitarbeiterInnen, die das Team zusammenhalten, Unterschiede erkennen, respektieren und möglichst ausgleichen. So kann man zwar keineswegs jegliche Konflikte vermeiden, aber auch Pedanten, Einzelgänger, Besserwisser u. Ä. zu wertvollen, respektierten Teammitgliedern machen.
Nicht im Stich lassen
Zum Glück sind auch noch in Zeiten wie diesen die meisten ArbeitnehmerInnen mit dem Betriebsklima und ihren KollegInnen zufrieden. So gehen laut dem aktuellen Arbeitsgesundheitsmonitor der AK OÖ 58 Prozent trotz Krankheit arbeiten - nicht aus Angst um den Job, sondern weil sie die Kollegen nicht im Stich lassen wollen.
Info&News
Mobbing oder schlechte Umgangsformen?
Nicht ausreden lassen, lächerlich machen, anschreien, ständig kritisieren, sexuelle Belästigung oder wie Luft behandeln - diese Verhaltensweisen können Mobbing sein, aber auch nur spontane Handlungen im Konfliktfall. Mobbing erstreckt sich über einen längeren Zeitraum - mindestens einmal pro Woche über ein halbes Jahr, bei intensivem Mobbing entsprechend kürzer. Dabei geht es gezielt darum, den Betreffenden aus dem Betrieb/der Abteilung hinauszuekeln. Das müssen nicht immer offen feindliche Handlungen sein, auch das gezielte Vorenthalten von Informationen, unerklärliches Verschwinden von Unterlagen, die Verbannung in ein winziges und dunkles Büro oder gar in den Keller sowie das Zuteilen sinnloser Tätigkeiten zählen dazu.
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»Konflikte am Arbeitsplatz erfolgreich bewältigen« Broschüre der AK-Salzburg
www.arbeiterkammer.at/bilder/d18/KonflikteamArbeitsplatz1.pdf
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Manfred Max-Neef war auf Einladung der Fachgruppe UBIT der Wirtschaftskammer in Wien und sprach über ein nachhaltiges und solidarisches Wirtschaftssystem nach der Krise. Arbeit&Wirtschaft hat mit ihm in Wien gesprochen.
Arbeit&Wirtschaft: Herr Prof. Max-Neef, Sie sprechen von einer Krise der Menschheit, während alle Welt von einer Finanzkrise redet und erfreut ist, dass sich die Börsen schon wieder erholen.
Manfred Max-Neef: Es muss uns klar sein, dass es noch nie in der Menschheitsgeschichte eine solche Anzahl an Krisen gab, die gleichzeitig ihrem Höhepunkt zustreben. Das sind die Klimakrise, die Energiekrise, eine Krise was die Schlüsselressourcen des Menschen wie Wasser, Luft, genetische Vielfalt, saubere Böden etc. angeht und nicht zuletzt die Tatsache, dass eine gigantische Spekulationsblase - 50-mal größer als die Realwirtschaft - sich aufgebaut hat und zu platzen droht.
Was sind die Wurzeln dieser Entwicklung?
Das ist zum einen das dominierende Paradigma, das schnelles wirtschaftliches Wachstum um jeden Preis propagiert - das fördert die Gier. Dazu kommt, dass wir seit Jahrzehnten die fossilen Ressourcen völlig unkontrolliert nutzen und damit ein unkontrolliertes wirtschaftliches Wachstum »füttern«.
Außerdem wird den Menschen seit langem eingeredet, Konsumerismus wäre der Weg zum kollektiven Glück der Menschheit. Dabei bleiben traditionelle Kulturen, Werte, Sprachen auf der Strecke, dafür wird ein »traditionelles ökonomisches Modell« eingeführt, das die Werte der dominanten Kultur unterstützt.
Darüber hinaus werden die Grenzen der Ressourcen von denen, die davon profitieren, einfach negiert. Aber auch die Grenzen dessen, was unsere Welt an Verschmutzung und Müllaufkommen ertragen kann werden nicht wahrgenom-men. Zuallerletzt: die mögliche Überbevölkerung. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass wir mehr werden, als die Erde ertragen kann. Schon jetzt verbrauchen wir 1,3 Erden, obwohl wir nur eine haben.
Wie wird diese Entwicklung weitergehen, wenn wir nicht einen anderen Weg gehen? Und wer wird am Schluss die Rechnung zahlen?
Die Klimaerwärmung wird uns durch das Steigen des Meeresspiegels und zunehmendes Wachstum der ariden Wüstengebiete viel produktives Land kosten. Land, auf dem hochwertige Nahrung produziert wurde. In den ärmeren Ländern wird das auch große soziale Probleme schaffen, durch massive Flüchtlingsströme, die aus den überfluteten Gebieten auswandern müssen. Die Ausbeutung von billigem Öl und Gas hat eine direkte Auswirkung auf die gesamte Welt: Wir sind daran gewöhnt, Autos, Plastik, chemische Produkte etc. ohne Überlegungen zu konsumieren. Das wurzelt in der Annahme, dass diese billige Energie ewig verfügbar sein wird.
Es werden aber neben Energie und Erdöl auch (und vor allem) sauberes Wasser, Wälder, landwirtschaftlich nutzbare Böden und Biodiversität extrem abnehmen. Wenn wir so weiter tun wie bisher, müssen wir damit rechnen, 50 Prozent der Pflanzen und Tiere auf der Welt für immer zu verlieren. Hier gegenzusteuern wird eine riesen Herausforderung für die Menschheit. Die Sache steht schlimmer als die meisten glauben.
Warum tut aber kaum jemand etwas dagegen?
Der Grund dafür ist die menschliche Dummheit: »Ich handle so, wie ich genau weiß, dass ich nicht handeln soll.« Man muss das Paradigma in der Wirtschaft völlig ändern. Man muss in der Wirtschaft eine Entwicklung machen, wie sie auch in anderen Bereichen längst gemacht worden ist. Die Ökonomie ist die einzige »Wissenschaft«, die mit Para-digmen aus dem 19. Jahrhundert arbeitet. Die neoklassische Ökonomie ist im 19. Jahrhundert stehen geblieben und unsere Politiker und die Manager arbeiten noch immer damit. Das ist verrückt!
Es herrscht immer noch - zumeist unwidersprochen - die Meinung, dass Wachstum der Schlüssel zur Lösung aller Probleme ist. Weil sich kaum jemand zu sagen traut, dass permanentes Wachstum in einer endlichen Welt unmöglich ist.
Aber es tut sich schon etwas: Unter den Politikern kaum, da habe ich die Hoffnung schon aufgegeben. Aber in der Zivilgesellschaft haben das schon sehr viele begriffen und agieren dementsprechend. Aber auch viele Unternehmer haben gesehen: Wer sich gut benimmt, kann trotzdem gute Geschäfte machen. Da sind viele schon auf dem richtigen Weg.
Was halten sie für die schlimmsten Auswüchse unseres Wirtschaftssystems neben der ökologischen Krise?
Nehmen sie ein Beispiel: Glauben sie im Ernst, dass es notwendig ist, 250.000 verschiedene Shampoos zu haben, glauben sie nicht, dass es reichen würde, wenn wir nur 30.000 hätten? Wäre die Welt schlechter? So wie wir wirtschaften ist das nicht nachhaltig - dieses Modell der Wirtschaft kann nur existieren mit permanenten Wachstum.
Und dieses permanente Wachstum, das wir auf Kosten der Ärmeren aufbauen, zerstört die Welt in der wir leben. Die Natur hält das was wir tun nicht mehr aus. Da müssen wir radikal umdenken. Nur Wachstum kann nicht funktionieren.
Aber ohne Wachstum wird es keine neuen Arbeitsplätze geben, wird uns eingebläut?
Wir haben heute mehr Sklaven als zur Zeit der Sklaverei und ein Großteil davon sind Kinder. Die Leute haben eine wirklich miserable Arbeit. Wir brauchen wieder mehr regionale Produkte und Produktion zu fairen Bedingungen. Die Arbeit geht uns nicht aus. Es ist nur eine Frage, wo man die Anstrengungen unternimmt etwas zu ändern. Schauen sie sich die verrückten Bankenrettungspakete an, die weltweit geschnürt wurden. Mit dem Geld könnte man leicht 566 Jahre eine Welt ohne Hunger garantieren. Das Geld war vorher nicht da, weil auf allen internationalen Konferenzen zur Bekämpfung des Hungers und der Armut auf der Welt hieß es: Da haben wir kein Geld dafür.
Und über Nacht war das Geld für die Banken da, und im nächsten Augenblick war es verschwunden - aber nicht um den Hunger zu bekämpfen.
Es gibt einige Mythen, die verhindern, dass es ein anderes, ein nachhaltigeres und ökologisch verträgliches Wirtschaf-ten gibt: Der erste Mythos ist der, dass Globalisierung der einzige wirksame Weg für die Entwicklung der ärmeren Länder ist. Die Länder - wie Südkorea und Taiwan -, die uns heute oft als Vorbilder und Beweis für diesen Mythos vorgehalten werden, die haben ihre wirtschaftliche Entwicklung und Vormachtstellung in der Region durch Handelsschranken, verstaatlichte Banken und die Verletzung von Patenten und Copyrights erreicht. Heute könnte kein Staat der Welt eine solche Entwicklung durchmachen, ohne zahlreiche Regelungen der WTO schwer zu verletzen.
Ein weiterer Mythos ist: Eine stärkere Integration der Weltwirtschaft ist gut für die Ärmeren. Ärmere Länder müssen sich an eine Unmenge von Regeln halten, die ihnen von internationalen Organisationen diktiert werden. Einer der stärksten Mythen ist der vom freien Welthandel. Wettbewerb wäre der effektivste Weg, eine prosperiende Welt zu erschaffen, tönen die sogenannten Experten. Und wer an dieser These zweifelt, macht sich der Häresie schuldig. Der freie Welthandel macht zwar da und dort Konsumgüter billiger, aber um den Preis enormer sozialer und ökologischer Kosten.
Die Globalisierung ist also nicht der richtige Weg, einen Ausgleich zwischen Arm und Reich auf der Welt zu schaffen?
Nein. Da sind wir gleich bei einem weiteren Glaubenssatz der heute dominierenden Wirtschaftslehre, der besagt, mehr Globalisierung schafft mehr Jobs. Die ILO (International Labor Organisation) hat 150 Millionen Arbeitslose auf der Welt und über eine Milliarde Unterbeschäftigte für das Jahr 2000 ermittelt. Das ist immerhin ein Drittel aller mögli-chen Arbeitskräfte.
Und dann gibt es noch einen fünften Mythos: Den von der demokratischen und verantwortungsvollen Organisation namens WTO (World Trade Organisation). Viele der Entscheidungen, die hinter verschlossenen Türen in Genf getroffen werden, betreffen Dinge wie Gentechnik, Umweltschutz, aber auch Arbeitsbedingungen. So hat die WTO zum Beispiel keine Regeln betreffend Kinderarbeit. Alles, was sie im Auge hat, ist der Vorteil der Unternehmen. Und lassen sie mich noch den letzten Mythos ansprechen: »den von der Unumkehrbarkeit der Globalisierung«. Natürlich sind Alternativen zum derzeitigen Wirtschaftssystem möglich. Alles, was durch politische Entscheidungen zustande ge-kommen ist, ist auch reversibel.
Aber es muss doch Wachstum geben, um eine positive Entwicklung zu garantieren?
Ich frage sie: Wachsen sie noch? Sie schütteln den Kopf. Aber sie entwickeln sich doch noch? Sehen Sie! Und genau so muss es in der Wirtschaft auch sein: Es geht nicht um Wachstum, sondern um Entwicklung.
Und wenn wir von Entwicklung sprechen, dann sprechen wir von Qualität und nicht von Quantität. Und ich habe fünf Leitsätze definiert, nach denen eine nachhaltigere Wirtschaft möglich ist:
1. Die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt.
2. Entwicklung dreht sich um den Menschen und nicht um Dinge.
3. Wachstum ist nicht dasselbe wie Entwicklung, und Entwicklung braucht nicht notwendigerweise Wachstum.
4. Wirtschaft ist nicht möglich ohne natürliche Ressourcen.
5. Die Ökonomie ist ein Sub-System eines größeren und endlichen Systems, der Biosphere. Daher ist ein permanentes Wachstum unmöglich.
Wie also kann ein neues Wirtschaftssystem aussehen, und welchen Regeln muss es folgen, damit es funktioniert und das für alle Menschen auf der Welt?
Die Eingrenzung der Geldflüsse, also das Gegenteil des grenzenlosen Geldverkehrs ist ein wichtiger Punkt. Wenn Geld lokal zirkuliert - an dem Ort an dem es »entstanden« ist, dann, das belegen Studien und ökonomische Modelle beweisen es, kann es einen Boom der kleinen Unternehmen schaffen. Und das schafft Arbeitsplätze.
Lokale Produktion und regionale Wirtschaft fördern - wo immer das möglich ist -, das bringt den Konsum näher an den Markt und verhindert so ökologische Mehrkosten. Die lokale Wirtschaft soll beschützt werden durch Zölle und Kontingente, ökologische Steuern auf Energieverbrauch, Verschmutzung und andere »negative« Auswirkungen.
Sie haben in ihren Arbeiten den sogenanten Kipppunkt entwickelt und erklärt. Was hat das mit dem Wirtschaftswachstum zu tun?
Die These vom Kipppunkt haben wir in vielen Ländern, auch in Österreich erforscht. Was wird zur Messung von wirtschaftlicher Leistung herangezogen? Das BIP. Hierbei wird alles addiert - aber nichts wird abgezogen, nicht die Umweltverschmutzung, nicht der Stress, nicht das Leid, das durch Kinderarbeit entsteht ..Wir haben ein System entwickelt, wo die positiven Auswirkungen addiert und die negativen abgezogen werden. So bekommt man ein genaueres Bild, denn ab einem bestimmten Punkt braucht man mehr Energie, um Probleme zu lösen, die durch das Wachstum entstanden sind.
Das heißt, unser Wachstum schafft Probleme, die wir mit noch mehr Wachstum versuchen zu lösen?
Ja, der Kipppunkt in Österreich war so in den frühen Achtzigerjahren erreicht. Bis dahin ging es, auch im Gefühl der Menschen, immer aufwärts; und seitdem stagniert das »Glücksgefühl« oder nimmt sogar leicht ab. Und das, obwohl die Wirtschaft immer schneller wächst. Kaum jemand würde heute sein Kind allein in die Volksschule laufen lassen, zu viel Verkehr macht das in den Städten unmöglich und auch am Land wird es immer weniger möglich, Kinder ein-fach loszuschicken. Die Menschen müssen immer mehr arbeiten, um die Folgen des Wachstums im Griff zu behalten und das macht Stress und vermindert auch das Glücksgefühl.
Wir danken für das Gespräch.
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Wikipedia über Manfred A. Max-Neef:
de.wikipedia.org/wiki/Manfred_Max-Neef
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Datenquellen: EUROSTAT, lfd. Monat;
Anm.: Der Harmonisierte VPI ist der zentrale Indikator für die Währungspolitik
der EZB. Er stellt auch die beste statistische Basis für internationale
Vergleiche unter europäischem Gesichtspunkt dar.
EWU = Europäische Währungsunion; EWR = Europäischer Wirtschaftsraum.
Die Schweiz berechnet seit Jänner 2008 einen HVPI.
r = revidiert; p = vorläufig;
Intellektueller Krieg
Im Jahr 1948 hatten laut dem Zeithistoriker Dieter Stiefel die USA noch das Problem zu lösen, wie sie viel Geld unter die Leute bringen, und das der argwöhnischen Bevölkerung verkaufen: »Die USA haben damals die Erfahrung gemacht, dass ihre - scheinbar selbstlos - ausgestreckte Hand mit Argwohn betrachtet wurde. Das war den USA beim Marshall-Plan wohl bewusst. Gleichzeitig mit dem Marshall-Plan rollte deshalb die größte Medienkampagne der US-Geschichte auf Europa zu.« Zu überzeugen waren die Menschen nicht nur in Westeuropa, sondern auch einfache SteuerzahlerInnen in den USA, die letztendlich die Rechnung zu begleichen hatten. Investiert wurde in die Kapitalgüterindustrie und nicht in Konsumgüter. Die Stabilisierung erforderte sogar eine Einschränkung von Konsum. Der Massenkonsum und damit die »Konsumdemokratie« kamen erst Ende der 1950er-Jahre nach Westeuropa, als Hinterlassenschaft des Marshall-Plans.
Wie der Marshall-Plan damals verkauft wurde, dokumentiert nun ein neu erschienenes Buch. Filme, Fotos, Plakate und Radiosendungen transportierten die Botschaften wie zum Beispiel Anti-Kommunismus, Produktivitätssteigerung und ein höheres Konsumniveau. Kaum ein Mensch konnte diesem intellektuellen Krieg entgehen. Millionen sahen die Filme, zehn Millionen besuchten Ausstellungen und die Plakate waren überall.
Führende US-Werbeagenturen wirkten mit und in Westeuropa die besten RegisseurInnen und GrafikerInnen - entweder aus Überzeugung, oder weil sie sich mit diesen Aufträgen über Wasser halten konnten. Der Erfolg: Die Propaganda unterstützte zweifellos die Akzeptanz des Marshall-Planes. Ob sie auch zu einer Änderung der Kulturen des alten Kontinents beitrug, ist umstritten.
Weblink
Weiteres Film- und Fotomaterial unter:
www.marshallplanimages.com
Arbeitsmarktschulungen
Bereits früh widmete sich das bfi der beruflichen Rehabilitation von Menschen. In dem 1975 in Linz gegründeten Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrum (BBRZ) bekommen Menschen nach einem Unfall oder einer schweren Krankheit die Möglichkeit einer beruflichen Neuorientierung und Ausbildung. Heute ist das BBRZ mit seinen zahlreichen Zweigstellen die größte österreichische Einrichtung ihrer Art.
Mitte der 1970er-Jahre begann das bfi Ausbildungszentren für FacharbeiterInnen-Intensivausbildungen zu errichten. Arbeitslose Personen bekommen eine komprimierte, fundierte Berufsausbildung und können so zu einem Lehrabschluss gelangen. Mit der Modularisierung dieser Ausbildungssysteme hat das bfi europaweit eine Vorreiterrolle eingenommen.
Zweiter Bildungsweg
Ein weiterer Schwerpunkt wurde auf das Nachholen von schulischen Abschlüssen und den Zugang zu einer universitären Ausbildung ohne Matura gelegt. Das bfi begann bereits in den 1980er-Jahren mit großem Erfolg Vorbereitungslehrgänge für die Hauptschulexternistenprüfung und die Studienberechtigungsprüfung anzubieten.
Nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995 startete das bfi seine transnationale Projekttätigkeit. Inzwischen dienten mehr als 200 Projektpartnerschaften der Zusammenarbeit bei Neuentwicklungen und dem Wissenstransfer. 1996 wurde die Fachhochschule des bfi Wien mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Projektmanagement und Logistik gegründet. Mit rund 1.550 Studierenden zählt sie zu den größten Österreichs.
Seit 1997 ermöglicht die Berufsreifeprüfung AbsolventInnen einer schulischen oder dualen Berufsausbildung den Zugang zu allen weiterführenden Bildungswegen. Mehr als die Hälfte aller Personen, die sich in Österreich auf die Berufsreifeprüfung vorbereiten, tut dies in Lehrgängen des bfi.
Ende der 1990er-Jahre führte der Lehrstellenmangel dazu, dass immer mehr Jugendliche ohne Chance auf eine Berufsausbildung blieben. Im Rahmen des Auffangnetzes für Jugendliche stellt das bfi jährlich über 3.000 Ausbildungsplätze zur Verfügung und ist damit einer der größten Lehrlingsausbilder in Österreich.
Nach 50 Jahren des Bestehens nimmt das bfi heute einen wichtigen Platz im österreichischen Bildungssystem ein. Das Angebotsspektrum erstreckt sich von der Basisbildung bis zur Fachhochschule. In bundesweit 160 Bildungszentren beschäftigt das bfi über 1.500 Angestellte und rund 6.000 freiberufliche TrainerInnen. Jährlich werden über 16.000 Veranstaltungen mit weit über zwei Millionen Unterrichtseinheiten für mehr als 180.000 TeilnehmerInnen abgehalten. Der Jahresumsatz beträgt 150 Millionen Euro. Diese Zahlen machen das bfi in Österreich zum größten Arbeitgeber und zur umsatzstärksten Einrichtung in der Weiterbildung.
In den vergangenen 50 Jahren haben die MitarbeiterInnen und TrainerInnen des bfi viel bewegt und unzähligen Menschen neue Chancen am Arbeitsmarkt und im Beruf eröffnet. Das große Engagement wird immer wieder durch überdurchschnittliche Erfolgsquoten und Zufriedenheitswerte der KursbesucherInnen honoriert. Das ist die wertvollste Auszeichnung, macht das bfi stolz und ist zugleich Auftrag, diesen Weg mit hohem Anspruch und Verantwortungsbewusstsein in der Zukunft fortzusetzen.
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»Defizit« - der große Bluff
Die Pharmaindustrie etwa schreibt weiterhin steigende Gewinne. So ist ja auch der Anstieg der Medikamentenausgaben von 1,97 Mrd. Euro im Jahr 2000 auf knapp drei Mrd. Euro im Jahr 2008 neben den Spitalskosten der größte Brocken für die Kostensteigerungen in den GKK. Zudem müssen die Kassen per Gesetz 74 Prozent der Spitalskosten tragen, obwohl sie keinen Einfluss auf die zu 100 Prozent von Ländern und Gemeinden geführten Spitäler haben.
Durch Maßnahmen, die seit der schwarz-blau-orangen Regierung wirksam sind, wie Senkung der Kassenbeiträge der Pensionsversicherung für ArbeiterInnen und Angestellte und des AMS oder durch die Verpflichtung zur Übernahme von Leistungen, die nichts mit der Krankenversorgung zu tun haben (z. B. Wochengeld), entgehen den Krankenkassen jährlich (!) zwischen 850 bis 900 Mio. Euro.2
Die Unternehmen schuldeten 2008 den GKK 955 Mio. Euro. Letztendlich bleiben viele Sozialversicherungsbeiträge uneinbringlich: Seit 2000 mussten die Kassen insgesamt 1,1 Mrd. Euro abschreiben - diese Summe ist fast ident mit dem Kassendefizit von 1,2 Mrd. Euro.3
Es gibt auch nicht den beschworenen Kostenanstieg. Die Gesundheitsausgaben sind in den vorigen Jahrzehnten nicht wesentlich stärker gestiegen als die Gesamtwirtschaft. Die Anteile am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sind weitgehend stabil geblieben.4 Was es aber gibt, sind Einnahmenrückgänge. Wären die Einnahmen der Kassen (+ 33 Prozent) genauso wie die Wertschöpfung der Wirtschaft (+ 41 Prozent) gestiegen, gäbe es kein Defizit!
Für Ingrid Reischl, Leiterin der Grundlagenabteilung der GPA-djp und neue Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), ist klar: »Das Gesundheitswesen kann nicht über Leistungskürzungen und Einsparungen konsolidiert werden. Ohne Reform der Einnahmenbasis geht sich die Rechnung für ein ausgeglichen gebarendes, qualitativ hochwertiges und bedarfsgerechtes Gesundheitswesen nicht aus. Von besonderer Bedeutung sind dabei Maßnahmen, die der seit langem zu beobachtenden Beitragseinnahmenerosion nachhaltig entgegenwirken und eine Dynamik der Einnahmen in zumindest gleicher Ausprägung wie dem Wachstum der Volkswirtschaft garantieren. Dabei ist zu überdenken, ob es angesichts der nachhaltig sinkenden Lohnquote richtig ist, die Krankenversicherungsbeiträge ausschließlich auf die Lohnsumme zu beziehen.«5
Sozialversicherung billiger
Die Sozialversicherung (Pflichtversicherung) ist auch wesentlich billiger als die privaten Versicherer (Versicherungspflicht). Haben diese Verwaltungskosten von zwei bis drei Prozent, so sind es bei den Privaten zwischen zehn und 25 Prozent, manchmal sogar mehr, weil ja mehr AnbieterInnen am Markt mehr teure Direktorenposten, mehr Werbung für den Verdrängungswettbewerb um nicht wirklich mehr Versicherte bedeuten.
Die angeblich so »teure« WGKK hat überhaupt nur noch 2,2 Prozent Verwaltungskosten. »Während der Verbraucherpreisindex (VPI) von 2000 bis 2008 um 18,3 Prozent gestiegen ist, wurde der Aufwand für die und der Personalstand in der Verwaltung im gleichen Zeittraum um drei Prozent bzw. 14 Prozent gesenkt«, weiß WGKK-Obfrau Reischl. So löst sich der Vorwurf der Ineffizienz in Luft auf.
Was u. a. auch den Kassen durch die Umverteilung von unten nach oben entgangen ist, macht die Entwicklung der Lohnquote, das ist der Anteil der Löhne am Volkseinkommen, sichtbar. Von 1993 bis 2008 ist diese Quote von 66 auf 56 Prozent gesunken. Für die vergangenen 15 Jahre aufgerechnet bedeutet dies eine Verschiebung von Arbeitseinkommen zu den Gewinnen von unvorstellbaren 98 Mrd. Euro! Dadurch wurde den Pensionskassen 15 Mrd. Euro, den Krankenkassen fünf Mrd. an Beiträgen entzogen.6
Das Ziel der Defizit-Propaganda
Bei der Sozialversicherung geht es in Summe um ein Volumen von über 40 Mrd. Euro jährlich! Dieser Bereich ist derzeit noch dem Zugriff privater Versicherer und sogenannter privater Gesundheitsanbieter entzogen. Deshalb wollen ihn die UnternehmerInnen und ihre politische Lobby für ihre Geschäftsinteressen öffnen.
Ein Instrument dazu ist der Hauptverband der Sozialversicherungsträger (HV). Seit Blau-Schwarz dominiert per Gesetz die Minderheit der ca. 400.000 UnternehmerInnen, Selbstständigen und Bauern (sieben Prozent) über die überwältigende Mehrheit von 5,3 Mio. (93 Prozent) der Versicherten, die aktiven und pensionierten ArbeitnehmerInnen. Mit der Begründung, dass sowohl ArbeitnehmerInnen als auch ArbeitgeberInnen Beiträge zur Sozialversicherung bezahlen, werden beide Gruppen gleichgestellt. Tatsache aber ist, dass die sogenannten »Arbeitgeberbeiträge« zur Sozialversicherung nicht von den UnternehmerInnen, sondern von den ArbeitnehmerInnen in den Betrieben erwirtschaftet werden. Mit dieser HV-Struktur wird der Selbstverwaltungsgedanke ad absurdum geführt und die ArbeitnehmerInnen-Versicherten praktisch enteignet. Über ihre Gelder verfügt die Minderheit der UnternehmerInnen entsprechend ihrer Interessen.7
Weil von der »Gesundheitsreform« auch die Ärzte/-innen betroffen sind, sagt Ärztekammerpräsident Walter Dorner treffend, worum es dabei geht: »Die Machtübernahme des Kapitals im sozialen Bereich.« Er warnt vor einer »fatalen Überschätzung« der Einsparmöglichkeiten der Krankenkassen, die zu Warteschlangen, staatlicher Zuteilungs- und Billigmedizin führe. Die Folge: »Wer Geld hat, bleibt gesund, und wer weniger hat, wird kränker.« Dorner sieht eine »spekulative Verschiebung« im Gesundheitssystem weg von medizinischen Leistungen hin zu zweifelhaften Monsterinvestitionen, die den PatientInnen wenig brächten. Er verwies in diesem Zusammenhang auf die eben erst bekannt gewordenen »exorbitant hochgeschraubten Gewinnerwartungen von 17 Prozent« des Gesundheitssektors von IT-Konzernen wie Siemens, die wohl in Projekten wie der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) ihre Ursache hätten.8 Mit dem »Kassendefizit« wird Gehirnwäsche betrieben. Die Machenschaften und Gewinnabsichten privater »Gesundheits«Anbieter werden in den Medien, hinter der große private Interessengruppen stehen (z. B. zu 50 Prozent der deutsche WAZ-Konzern bei der Kronen Zeitung, oder Raiffeisen bei Kurier, Profil & Co.), kaum thematisiert! Doch genau über diese Zusammenhänge zum Schaden breitester Bevölkerungsschichten soll und muss geredet werden.
Das System ist krank
Die Versicherten müssen aufgeklärt und den Nutznießern auf Kosten der Allgemeinheit entgegengetreten werden, damit die im Gewand der smarten »Gesundheitsbringer« auftretenden Experten als das entlarvt werden, was sie sind: Marktschreier ihrer eigenen Gewinnerwartungen. Wenn etwas krank ist, dann nicht die Kassen, sondern so ein Gesundheitssystem, wie die Autoren des Buches »Zukunft Gesundheit« feststellen.
1 BM für Gesundheit, Sanierungskonzept des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, 14. 9. 2009 - siehe www.hauptverband.at/media/DB/571356_MRV%20Kassensanierung%2014.9.2009.pdf); APA 15. 9. 2009
2 Ärztemagazin 14/2008; WGKK-Aussendung, APA, 29. 9. 2009
3 Parlamentarische Anfrage von Metallergewerkschafter Franz Riepl an Sozialminister Rudolf Hundstorfer, Standard, 6. 11. 2009
4 Martin Rümmele/Andreas Freitag: Zukunft Gesundheit. So retten wir unser soziales System. Wien 2009
5 Interview, Oktober 2009
6 Hintergrund Sozialtransfers, Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen, Mag. Andereas Schieder, Oktober 2009, sowie Statistik Austria
7 Struktur siehe: www.hauptverband.at
8 ÖÄK-Präsident Walter Dorner lt. ÖÄK-Aussendung 26. 3. 2008 und Standard, 17. 7. 2008
Weblinks
Mehr Infos unter:
www.hauptverband.at
www.zukunftgesundheit.at
www.prosv.akis.at
www.bmg.gv.at
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Die Angst geht um
Die Ängste vor einer Inflation sind wahrscheinlich aktuell in der Bevölkerung stärker ausgeprägt als die Deflationsängste. Grund dafür ist ein unscharfes Bewusstsein, dass hohe Staatsschulden - genauer eigentlich: eine hohe Neuverschuldung des Staates - inflationär sein können. Die konkreten Erfahrungen liegen aber weit in der Vergangenheit zurück. Die Frage ist zunächst, wo die kritische Schwelle anzusetzen ist - keinesfalls ist jede Zunahme der Inflation in der derzeitigen Situation der Preisstabilität Grund zur Besorgnis. Die überaus stabilitätsbewusste Europäische Zentralbank (EZB) definiert Preisstabilität damit, dass sich die Bewegungen der Verbraucherpreise innerhalb eines Spielraums von null und plus zwei Prozent halten. Im Lichte der historischen Erfahrung Österreichs ist dies eine etwas übervorsichtige Definition, denn in der langen Periode der größten Prosperität der österreichischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1950 bis 1975) wurde eine durchschnittliche Inflation von 3,5 Prozent in Österreich als normal angesehen. Wir galten damit als »preisstabil« im internationalen Vergleich. Weniger harmlos als diese moderate (»schleichende«) Inflation war die »galoppierende« Inflation (über 15 Prozent Jahresinflation), die einigen europäischen Ländern (Italien, Großbritannien, Schweden) in den 1970er- und 1980er-Jahren schwer zu schaffen machte. Man nannte dieses Phänomen »Stagflation«, da hohe Preissteigerungen mit Stagnation von Produktion und Beschäftigung einhergingen.
Hyperinflation 1921/22
Katastrophal in ihrer Wirkung ist eine »Hyperinflation« (50 Prozent pro Monat und mehr), wie sie Österreich 1921/22 als Folge des Ersten Weltkriegs erlebt hat. Die Kaufkraft von einer Million Kronen 1914 betrug 1922 gerade noch 70 Kronen.Was waren die Ursachen für die Beschleunigung der Inflation über jene kritischen Werte hinaus? In der Zeit der Stagflation war es ein Ineinandergreifen von Preis-/Lohnspirale und Abwertung der Währung, welches das Tempo der Inflation in den betroffenen Ländern zum Galopp beschleunigte. Durch eine restriktive Politik wurde die Inflation wieder auf ein tolerierbares Ausmaß reduziert, allerdings mit hohen Kosten bei Wachstum und Beschäftigung. In den Fällen der Hyperinflation tritt ein exzessives, nicht mehr kontrollierbares Staatsdefizit als weitere Ursache hinzu, die zu einem sehr drastischen Wechselkursverfall und zur explosionsartigen Zunahme der Geldmenge führt.
Entwarnung
Ein Vergleich dieser Erfahrungen mit der aktuellen Situation zeigt, dass heute keines der auslösenden Momente einer stärkeren Inflationsbeschleunigung vorhanden ist. In der Eurozone werden von der Lohnentwicklung in den nächsten Jahren nahezu keine Inflationsimpulse ausgehen. Seit mehr als zehn Jahren nehmen die Löhne real und nominell - wenn überhaupt - nur schwach zu. Wenn die Gewerkschaften in den nächsten Jahren trotz gestiegener Arbeitslosigkeit wieder moderate Reallohnsteigerungen erreichen sollten, so ist dies mit dem von der EZB gesetzten Inflationsziel problemlos vereinbar. Vonseiten des Wechselkurses werden sicher keine Inflationsimpulse ausgehen. Denn angesichts des immer noch hohen Leistungsbilanzdefizits der USA wird der Euro mittelfristig gegenüber dem Dollar weiter aufwerten. Vom Wechselkurs ist also keine preissteigernde, sondern eine preisdämfende Wirkung zu erwarten. Die jährlichen Staatsdefizite sind krisenbedingt zwar im Durchschnitt der Eurozone in den nächsten Jahren nach Maßstäben der jüngeren Vergangenheit hoch, aber durchaus unter Kontrolle, ihre Finanzierung ist aus den laufenden Ersparnissen möglich. Das Staatsdefizit für sich genommen, das heißt ohne Hinzutreten der beiden anderen Inflationstreiber Wechselkurse und Lohn-/Preisspirale, wirkt nicht inflationär.
Etwas anders stellt sich die Situation für die USA dar. Dort geht von einem abwertenden Dollar ein Inflationsdruck aus, der jedoch durchaus moderat ist. Dazu kommt, dass der Wettbewerb auf den Märkten der USA sehr scharf ist und die Wechselkurseffekte nur zum Teil in Form von Preissteigerungen weitergegeben werden. Daher es ist sehr unwahrscheinlich, dass daraus eine massivere Beschleunigung der Inflation resultieren könnte. Die USA werden also ziemlich preisstabil bleiben, auch wenn die Inflationsrate etwas höher sein könnte als in Euro-Europa.
Die Gefahr einer Deflation ist nicht akut. Prognosen und aktuelle Wirtschaftsdaten deuten darauf hin, dass es zu keiner weiteren Verschärfung der Krise kommt, sondern 2010 eine gewisse Erholung zu erwarten ist. Sie sollte aber deswegen nicht bagatellisiert werden. Die negative Wirkung der Deflation besteht in der nominellen Konstanz der Schulden bei nominell sinkenden Unternehmenserträgen und - in extremeren Formen der Deflation - auch Haushaltseinkommen (Löhnen). Der Effekt auf die Schulden tritt schon deutlich vor der Null-Schwelle ein, da die Produktpreise der Unternehmungen immer um einen Mittelwert streuen, und wenn dieser z. B. nur ein Prozent ist, ist ein größerer Teil der Unternehmungen mit sinkenden Preisen konfrontiert. Daher ist ein gewisser Sicherheitsabstand notwendig (» Schmiermittel-Inflation«). Die EZB erkennt dies zwar im Prinzip an, indem sie bis zu zwei Prozent Inflation als akzeptabel betrachtet, doch ist damit der Korridor der tolerierbaren Inflation eng. Eine Obergrenze von drei Prozent würde mehr Spielraum geben.
Ängste reduzieren
Seitens der Politik wäre es wichtig, hier durch klare Aussagen die Ängste zu reduzieren. Wenn sich die Inflation nach 2010 wieder um die zwei Prozent einpendelt, ist dies nur eine Rückkehr zur Normalität. Notwendig wären klare Aussagen, dass absolute Preisstabilität kein sinnvolles Ziel ist, bzw. dass auch zwei bis drei Prozent Inflation kein Problem sind - im Gegenteil. Ein Risiko, dass einer der potenziellen Inflationstreiber virulent werden könnte, ist nicht erkennbar. Solche Aussagen wären auch deshalb wichtig, weil selbsternannte Gurus herumlaufen und im Brustton der höheren Weisheit Inflationsängste bestärken, nur durch eine kräftige Inflation sei das Staatsschuldenproblem zu lösen.
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Dass es sich bei der »Register-Arbeitslosigkeit« nicht um das tatsächliche Ausmaß der Arbeitslosigkeit handelt, ist bekannt - mit den geläufigen AMS-Zahlen werden ausschließlich jene Personen erfasst, die sich auch beim AMS gemeldet haben. Die »Reservearmee« der Arbeitslosen müsste u. a. um SchulungsteilnehmerInnen, PensionsvorschussbezieherInnen, Arbeitslose im Krankenstand etc. erweitert werden, um das »zusätzliche« Arbeitskräfteangebot abzuschätzen, dem derzeit keine (existenzsichernden) Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Es stellt sich somit die Frage, ob die Arbeitslosenversicherung (ALV) der Herausforderung gewachsen ist, der steigenden Zahl an arbeitssuchenden Personen z. B. durch Qualifizierungsmaßnahmen eine neue Perspektive für den Arbeitsmarkt zu geben, ohne dass arbeitslose Personen der »Armutsfalle« ausgeliefert werden. Die Problemlage des AMS ist augenscheinlich: Sinkende Beitragsleistungen stehen stark steigenden Ausgaben gegenüber. Die ALV ist vorwiegend (ca. 90 Prozent) über Beiträge finanziert, der Rest wird aus dem allgemeinen Budget abgedeckt.
Aus der aktuellen WIFO-Studie »Umverteilung durch den Staat in Österreich« (9/09) geht eindeutig hervor, dass die Leistungen der Arbeitslosenversicherung eine hohe Umverteilungswirkung zugunsten von einkommensschwächeren Haushalten aufweisen. Demnach fließen über 80 Prozent der »passiven« Leistungen (Arbeitslosengeld und Notstandshilfe) und »aktiven« Aufwendungen (u. a. Qualifizierungen, Beschäftigungsförderung) aus der ALV in das unterste Einkommensdrittel. Insgesamt sind 60 Prozent der Haushalte »Nettoempfänger« , d. h. die in Anspruch genommenen Leistungen übersteigen die Beitragsleistungen. Somit kann die ALV als »progressivste« Versicherungsleistung gesehen werden, die für die einkommensschwächsten Haushalte eine wesentliche und oft die einzige Existenzgrundlage darstellt.
Die Ergebnisse der WIFO-Studie wie auch aktuellere Berechnungen mit AMS-Daten bestätigen, dass die wesentlichsten Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung, nämlich Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, seit Jahren in ihrem realen Wert verlieren. Die inflationsbereinigten Verluste zwischen 2000 und 2008 belaufen sich auf minus fünf Prozent beim durchschnittlichen Arbeitslosengeld und sogar auf minus acht Prozent bei der Notstandshilfe. Die wesentlichen Gründe für diesen Rückgang sind dabei v. a. die Entwicklung der Einkommen und jene im Leistungsrecht:
Angesichts eines durchschnittlichen Arbeitslosengeldes (ALG) in der Höhe von 773 Euro und eines durchschnittlichen Notstandshilfebezugs (NH) von 596 Euro von einer »sozialen Hängematte« zu sprechen, kommt einer Verhöhnung der Betroffenen und einer Verharmlosung des sozialen Konfliktpotenzials gleich.
Gerade die deutlich niedrigeren Leistungsniveaus (2008) der Frauen (ALG = 690 EUR; NH = 520 EUR) sind Ausdruck einer nach wie vor schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Familie - die sich v. a. in einem sehr hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigungen niederschlägt - wie auch einer mittelbaren Diskriminierung durch das Leistungsrecht (»Anrechnung des Partnereinkommens«). Das Verarmungsrisiko von Frauen liegt damit deutlich höher als jenes der Männer.
Nicht nur aus einer Individualperspektive sind die Leistungen aus der ALV von besonderer Bedeutung. Makroökonomisch spielen das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe gerade in Krisenzeiten als »automatische Stabilisatoren« eine tragende Rolle, indem sie einen wertvollen Beitrag leisten, die Konsumausgaben der privaten Haushalte auf einem möglichst stabilen Niveau zu halten. Während Exporte und Investitionen aktuell im zweistelligen Bereich wegbrechen, verhindern die Konsumausgaben einen noch drastischeren Wirtschaftsabschwung. Thesen, dass Sozialleistungen oft eine »Brückenfunktion« zwischen verschiedenen Lebenssituationen oder Lebensabschnitten haben, sind bekannt. Dass Sozialleistungen »tragende« gesellschaftliche und ökonomische »Säulen« darstellen, wird in Diskussionen oft elegant ignoriert!
Neue ökonomische Theorie
Verfolgt man den wissenschaftlichen Diskurs zur »idealen« Höhe der Arbeitslosenunterstützung sowie des erfolgreichen Designs von Arbeitsmarktpolitik, so fällt auf, dass auch hier traditionelle Paradigmen aufzubrechen scheinen. Empirisch können die »traditionell« formulierten mikroökonomischen Vorbehalte gegen eine großzügigere Ausgestaltung des Leistungsrechts im Rahmen der ALV, die zu niedrigerer Beschäftigung und niedrigerem Wirtschaftswachstum führen würden, nicht ausreichend belegt werden. Im Gegenteil: Es ist theoretisch und praktisch sogar belegbar, dass höhere passive Leistungen zu einem besseren »Matching« von Arbeitsangebot und -nachfrage beitragen können und damit Produktivität und Wachstum fördern.
Resümee
Angesichts der steigenden Betroffenheit von Arbeitslosigkeit sind zunehmend mehr Haushalte von Leistungen des AMS abhängig. Eventuelle Kürzungen dieser (Sozial-)Leistungen treffen daher in der Regel Haushalte mit niedrigem Einkommen unverhältnismäßig stark. Das wäre nicht nur konjunkturpolitisch falsch, sondern sozialpolitisch absolut unverantwortlich. Unmittelbare Leistungsverbesserungen scheinen insbesondere im Bereich der Notstandshilfe unumgänglich zu sein. Die steigende Zahl der NotstandshilfebezieherInnen als Indikator für sich verfestigende Arbeitslosigkeit in Kombination mit niedrigen Leistungsniveaus müssen endlich als ökonomisches und gesellschaftliches Warnsignal wahrgenommen werden.
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Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung:
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Arbeitsplätze in Gefahr
»Millionen Arbeitsplätze durch Klimawandel gefährdet« lautet der Titel einer Aussendung der Vereinten Nationen. So einfach ist die Sache allerdings nicht, wie bereits im zweiten Satz klargestellt wird, da die Auswirkungen auf Arbeitsmärkte abhängig von regionalen Bedingungen und den jeweiligen Sektoren sehr unterschiedlich sind. Während zum Beispiel in der Landwirtschaft in heißen Regionen ein Rückgang der Produktivität droht, werden kühlere Regionen durch einen Anstieg der Temperaturen überhaupt erst fruchtbar. Während einerseits Arbeitsplätze vernichtet werden, können also andererseits auch neue entstehen - das Problem ist, dass sie nicht zur gleichen Zeit und am gleichen Ort geschaffen werden.
Veränderung für Landwirtschaft
Betrachtet man die einzelnen Sektoren, sind natürlich jene besonders betroffen, die in engem Zusammenhang mit klimatischen Bedingungen stehen: Neben Forstwirtschaft und Fischfang unterliegt in erster Linie die Landwirtschaft besonders starken Veränderungen. Eine vom Europäischen Gewerkschaftsbund in Auftrag gegebene Studie kommt zu dem Ergebnis, dass eine Erwärmung von zwei Grad Celsius im südlichen Europa dazu führen könnte, dass 20 Prozent weniger Wasser zur Verfügung stehen und extreme Hitzewellen die Ernten um bis zu 30 Prozent verringern. Weltweit leben rund 22 Prozent der Bevölkerungen in ländlichen Gegenden und hängen direkt oder indirekt von der Landwirtschaft ab - dem Sektor, der gleichzeitig die höchste Konzentration an Armut aufweist: Drei Viertel jener Menschen, die weniger als einen US-Dollar täglich zur Verfügung haben, arbeiten in und von der Landwirtschaft. Dass für diese Menschen schon marginale Einbußen lebensbedrohend sind, liegt auf der Hand.
Ein Sektor, in dem die Folgen des Klimawandels auch in Österreich bereits spürbar sind, ist der Tourismus. Das Abschmelzen der Gletscher - in den letzten 150 Jahren haben Österreichs Gletscher rund 60 Prozent ihrer Masse eingebüßt - und mangelnder Schneefall stellen Wintertourismus-Regionen vor ernsthafte Probleme. Die dadurch verlorenen Arbeitsplätze können in den meist ländlichen Gebieten gerade im Winter kaum durch andere Arbeitsmöglichkeiten ersetzt werden. Global betrachtet ist der Tourismus einer der wichtigsten Wirtschaftszweige überhaupt: 2004 wurden weltweit 263 Mrd. Euro durch Tourismus umgesetzt.
Auch auf den Arbeitsmärkten in den Bereichen Energiewirtschaft, Gesundheit, Versicherungen und Infrastruktur wird es zu Verschiebungen in Zusammenhang mit dem Klimawandel kommen. Und schlussendlich werden auch Lebensräume und somit Arbeitsplätze dadurch vernichtet, dass ganze Regionen unbewohnbar werden: Rund 330 Mio. Menschen werden durch den Anstieg des Meeresspiegels und Überflutungen zu Umweltflüchtlingen werden.
In einigen der betroffenen Sektoren - insbesondere Landwirtschaft und auch im Tourismus arbeiten mehrheitlich Frauen - warnt die ILO davor, dass negative Veränderungen in diesen Sektoren sich besonders stark auf Frauen auswirken und somit eine generelle Verschlechterung der Lebenssituation von Frauen nach sich ziehen werden. Und generell werden unter den Folgen des Klimawandels jene am meisten leiden, die ihn am wenigsten verursacht haben: die Menschen in Entwicklungsländern.
»Green Jobs« für die Zukunft
Der Kampf gegen den Klimawandel muss endlich ernsthaft aufgenommen werden, die finanziellen Mittel dafür - momentan ist die Rede von rund 100 Mrd. US-Dollar - müssen bereitgestellt werden. Allerdings sollten diese Aufwendungen nicht lediglich als Kosten, sondern vielmehr als Investition in die Zukunft verstanden werden: Es bietet sich die Chance, das Wirtschaftssystem in Richtung Nachhaltigkeit umzugestalten und gleichzeitig sinnvolle Arbeitsplätze in zukunftsträchtigen Wirtschaftszweigen zu schaffen.
Das ist auch der Grundtenor einer Studie mit dem Titel »Green Jobs: Towards decent work in a sustainable, low-carbon world«, die unter anderem von ILO und ITUC veröffentlicht wurde. Mit der Schaffung von »Green Jobs« können der Klimawandel samt seiner Folgen und Arbeitslosigkeit gleichzeitig bekämpft werden.
Sozial und umweltverträglich
Green Jobs tragen dazu bei, Umweltauswirkungen in verschiedenen wirtschaftlichen Sektoren bis auf ein nachhaltiges Niveau zu minimieren: durch die Umstellung der Energieproduktion auf erneuerbare Energiequellen, sinnvolle Abfalltrennung und Recycling, die Isolierung von Gebäuden etc. Allerdings sind Jobs, die der Umwelt gut tun nicht automatisch auch gut für jene, die sie ausführen - das Recycling von Computerschrott in Entwicklungsländern Afrikas ist ein gutes Beispiel dafür: ArbeiterInnen, unter ihnen viele Kinder und Jugendliche, brechen die Geräte mit bloßen Händen auf, um an die verwertbaren Metalle zu kommen und verbrennen die wertlosen Kunststoffteile. Dass sie dabei gefährlichen Chemikalien ausgesetzt sind, wissen sie oft gar nicht. Eine nachhaltige Wirtschaft kann aber soziale und Umweltkosten nicht länger voneinander trennen - weshalb die Green Jobs-Initiative auch für die Schaffung von menschenwürdigen Arbeitsplätzen im Sinne der ILO eintritt.
Für menschenwürdige Arbeit
Der internationale Gewerkschaftsbund ITUC hat, um die Umsetzung der Green Jobs-Strategie voranzutreiben, eine eigene Task Force eingerichtet, die sich aktiv in den Diskussionen um die Gestaltung des Kyoto-Nachfolgeabkommens einbringt. Erstmals sollen so die sozialen Auswirkungen des Klimawandels und die Rechte von betroffenen ArbeitnehmerInnen Eingang in ein multilaterales Umweltabkommen finden. Präsent sein wird die ITUC am Klimagipfel in Kopenhagen: Gemeinsam mit dem Dänischen Gewerkschaftsbund organisiert sie den World of Work (WoW) Pavillon. Damit ein fairer Wandel hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft wahr werden kann.
Weblinks
Weitere Infos:
climate.ituc-csi.org
www.1000000taten.at
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Scham macht krank
Die Liste lässt sich fortsetzen, die gesellschaftliche Stigmatisierung von Arbeitslosigkeit - eigentlich Erwerbslosigkeit - macht alles noch schlimmer. Viele Betroffene schämen sich. Dieser Stress führt unter anderem dazu, dass Erwerbslose mehr als doppelt so häufig an psychischen Störungen leiden wie Erwerbstätige. Nach einer Studie der Europäischen Kommission bestehen in fast allen EU-Ländern und den USA signifikante Zusammenhänge zwischen Arbeitslosigkeit und erhöhter Herz-Kreislauf-Mortalität sowie Suizidraten. Die Frage, ob diese Zahlen dadurch entstehen, dass so mancher eben aus gesundheitlichen Gründen arbeitslos wurde, ist mit Hilfe entsprechender Studien geklärt: Erwerbslosigkeit ist ein Risikofaktor. Wie stark die Belastung tatsächlich ist, wurde unter anderem an der Arbeitsmedizinischen Ambulanz der MedUni Wien vier Jahre hindurch an mehr als 300 Jobsuchenden (darunter zwei Drittel Langzeitarbeitslose) untersucht. Es zeigte sich, dass bereits nach sechs Monaten Erwerbslosigkeit der Alkoholkonsum drastisch zunimmt, Blutdruck und Gewicht unabhängig von Alter und Geschlecht ansteigen, während die körperliche Leistungsfähigkeit sinkt. Der Stress-Indikator Cortisol im Blut stieg im Laufe des Untersuchungszeitraums deutlich an. Dr. Evelyne Wohlschläger, Co-Autorin der Untersuchung: »Vielfach fördert Arbeitslosigkeit die Ausprägung von Konfliktmustern, die ohne aktive und professionelle Intervention von den Betroffenen nur sehr schwer zu durchbrechen sind.«
Frustration und Resignation führen zu Veränderungen im Ernährungs- und Bewegungsverhalten, Aktivitäten werden eingeschränkt. So sind 43 Prozent der weiblichen Erwerbstätigen körperlich aktiv, aber nur 29 Prozent der erwerbslosen Frauen. Bei den Männern ist dieser Effekt weniger ausgeprägt. Sozialer Rückzug und sinkende Aktivität über längere Zeit können körperliche und psychische Probleme verursachen bzw. verstärken. Das Ganze ist ein Teufelskreis, der bei Menschen, die wegen einer Krankheit den Job verloren haben, besonders deutlich ist.
Messbare Erfolge
Mit einem speziellen Interventionsprogramm wurde versucht, den Belastungen durch die Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken: körperliches Training dreimal pro Woche, Ernährungs- und Suchtberatung, Coaching mit Potenzialanalyse etc. Nach drei Monaten war der Blutdruck bei allen Belastungsstufen in der Interventionsgruppe deutlich niedriger als in der Kontrollgruppe. 95 Prozent fühlten sich besser als vorher, der Medikamentenverbrauch sank. Acht Monate danach hatten die Teilnehmer des Gesundheitsprogramms dreimal häufiger eine neue Anstellung gefunden als die Personen der Vergleichsgruppe.
Projekt (F)itworks
Ähnlich gute Erfolge verzeichnete ein zweijähriges Modellprojekt zur Gesundheitsförderung Arbeitssuchender mit rund 1.000 TeilnehmerInnen der Schulungsgruppen der Personalservice GmbH itworks (gemeinnützige Arbeitskräfteüberlassung).
Das Projekt (F)itworks startete 2007 in Zusammenarbeit mit dem AMS, der Wiener Gebietskrankenkasse und einigen Gesundheitseinrichtungen. Gesundheitskurse und -sprechstunden, Gesundheitstage mit Schnupperangeboten kamen bei der Mehrzahl der TeilnehmerInnen sehr gut an. Vor dem Projekt hatten 70 Prozent der Männer und 84 Prozent der Frauen körperliche (z. B. Kopf- oder Kreuzschmerzen) oder psychische Probleme (Schlaflosigkeit, Unruhe, Depressionen). Danach fühlte sich die Mehrheit ausgeglichener, weniger verspannt, Probleme wie Kreuzschmerzen waren deutlich reduziert. 91,4 Prozent der anonym Befragten bezeichneten die Gesundheitskurse als sehr gut. Itworks plant, einen Großteil der Angebote weiterzuführen.
In einer großen Metaanalyse über die psychosozialen Folgen von Arbeitslosigkeit haben Wissenschafter der Universität Erlangen-Nürnberg festgestellt, dass nach rund neun Monaten ohne Job das Maximum der Belastung erreicht ist. Danach setzt häufig eine Verbesserung und Stabilisierung ein. Über die Auswirkungen von Erwerbslosigkeit über mehr als 2,5 Jahre, wo sich auch bei finanziell besser Gestellten der Geldmangel bemerkbar machen dürfte, gibt es noch zu wenig Datenmaterial. Wie man nach dem ersten Schock über den Jobverlust mit der neuen Situation umgeht, ist von entscheidender Bedeutung. Wem es gelingt, das Mehr an Zeit positiv zu nützen, der wird in jeder Hinsicht weniger Probleme haben. Mag. Maria Hintersteiner untersuchte in ihrer Diplomarbeit1 die Lebensgestaltung Erwerbsloser.
Die Arbeitslosen von Marienthal
Weltbekannt ist die 1933 entstandene Erhebung von Marie Jahoda, Hans Zeisel und Paul Lazarsfeld »Die Arbeitslosen von Marienthal«. Betroffene konnten das Übermaß an freier Zeit nicht nützen, alles verlangsamte sich, das Interesse an Kultur, Politik und gemeinsamen Aktivitäten ging deutlich zurück. Dieses überwiegend triste Bild war vermutlich schon damals nicht wirklich repräsentativ. Denn - so gaben auch Jahoda und Lazarsfeld zu bedenken - die aktiven, positiver eingestellten Menschen hatten wahrscheinlich schon davor mit der ersten Auswanderungswelle den Ort verlassen. Dementsprechend fand Maria Hintersteiner in ihrer aktuellen Arbeit, dass Menschen ganz unterschiedlich mit Erwerbslosigkeit umgehen. Rund ein Drittel beginnt relativ rasch, die gewonnene Zeit zu nutzen, ja sogar zu genießen. Sie engagieren sich sozial, kulturell oder politisch, werden künstlerisch tätig etc. Die zweite Gruppe versucht, die positiven Seiten zu sehen, setzt aber den Fokus auf Jobsuche und Weiterbildung. Der Rest ist voll auf die Erwerbsarbeit konzentriert, fühlt sich für die Arbeitslosigkeit verantwortlich und sucht verzweifelt nach einem Job. Hier stimmt der Eindruck mit den Ergebnissen der Metaanalyse der Uni Erlangen überein: Am meisten leiden jene, für die Arbeit einen besonders hohen Wert hatte.
Phasen der Depression oder Untätigkeit kommen zwar immer wieder vor. »Während der Arbeitslosigkeit war mein Haushalt unordentlicher als je zuvor«, ist nur eines der typischen Zitate. Doch es ist keineswegs unausweichlich, dass Erwerbslose krank, übergewichtig, depressiv und antriebslos werden. Dass der Tagesablauf nur durch Fernsehen und Essen strukturiert wird, ist nicht unbedingt typisch. Für diese Gruppe der Erwerbslosen wären Gesundheitsprogramme unter Mitwirkung des AMS, die derzeit nur punktuell durchgeführt werden, sicher hilfreich.
Erwerbslosigkeit als Chance
Schon Marie Jahoda hat festgestellt, dass Erwerbsarbeit neben dem Einkommen auch sogenannte latente Funktionen hat. Zeitstruktur, Sozialkontakte, Teilhabe an kollektiven Zielen, Status und Identität, regelmäßige Aktivität zählen dazu. Sozialkontakte werden aus Geldmangel weniger, viele haben das Gefühl, über ihre aktuelle Situation mit erwerbstätigen Freunden und Bekannten nicht wirklich reden zu können. Zusätzlich wird vor allem Langzeitarbeitslosen von AMS & Co. immer wieder vermittelt, dass sie sich nur mehr bemühen müssten, um wieder dazuzugehören. Aber wem es gelingt, neue Kontakte zu knüpfen, Wertschätzung zu erleben, neue Ziele zu finden - kurz, wer sich weiter als wertvolles Mitglied der Gesellschaft betrachten kann, für den kann Erwerbslosigkeit auch eine Chance sein.
Begriff Arbeit überdenken
Last but not least wäre es - auch angesichts sinkender Beschäftigungszahlen - erstrebenswert, den Begriff Arbeit neu zu überdenken, der Stigmatisierung Erwerbsloser als Tachinierer, Unfähige, Unzulängliche entgegenzuwirken.
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www.oesb.at/2432.0.html
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1 Erfahrungshorizonte bei Tätigkeiten Erwerbsarbeitsloser unter Einschluss von Muße
]]>Schlüssel Qualifizierung
Umso interessanter ist die Frage, wie dem Risiko der Arbeitslosigkeit sinnvoll entgegengewirkt werden kann. In Österreich, wie in den meisten westlichen Industrieländern, werden Qualifizierungsmaßnahmen als ein entscheidendes Mittel angesehen, Menschen wieder in Arbeit zu bringen bzw. in Beschäftigung zu halten. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass (Weiter-)Bildung und Qualifizierung vor Arbeitslosigkeit schützt. Ein Blick auf die Arbeitslosenzahlen scheint diese Annahme zu bestätigen: Es gibt also einen starken Zusammenhang zwischen der höchsten abgeschlossenen Schulbildung und dem Risiko arbeitslos zu werden. Die Daten für den September dieses Jahres weisen ein beinahe siebenmal so hohes Arbeitslosigkeits-Risiko für Männer mit Pflichtschulabschluss aus als für jene mit akademischer Ausbildung, Universität oder Fachhochschule. Frauen mit Pflichtschulabschluss haben zwar ein geringeres Arbeitslosigkeitsrisiko als Männer gleicher Qualifikation, ihre Lehrabschlüsse führen hingegen häufiger in die Arbeitslosigkeit (5,1 Prozent Frauen, 5,8 Prozent Männer). Aber egal, ob Mann, ob Frau: Je höher der Bildungsabschluss, umso geringer ist das Risiko arbeitslos zu werden.
Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt seit Ausbruch der Finanzkrise mit in Betracht gezogen werden: So ging die Beschäftigung bei den PflichtschulabsolventInnen in Österreich um 6,8 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal zurück. Bei den Hochqualifizierten hingegen stieg die Beschäftigung im Vergleichszeitraum ebenso um 6,8 Prozent an. Folgt daraus, dass verstärkte Aus- und Weiterbildung ein Königsweg ist, Arbeitslosigkeit zu beseitigen? Und dass, wie es die Humankapitaltheorie behauptet, die unzureichend (aus-)gebildeten Arbeitskräfte für das Risiko der Arbeitslosigkeit selbst verantwortlich sind? Dazu gibt es eine Reihe von Einwänden. Beginnen wir am Anfang, bei der Schule.
Bildungsvererbung
Vielfach wird angenommen, dass der erreichte Bildungsabschluss einen geeigneten Maßstab für Ehrgeiz und Leistung des oder der Einzelnen darstellt. In Österreich werden Bildungsabschlüsse jedoch im höchsten Maße vererbt, das heißt der Bildungsabschluss sagt in erster Linie etwas über die Herkunft, über armes oder reiches, bildungsnahes oder bildungsfernes Elternhaus aus. Auswertungen des EU-SILC belegen eine enge Verknüpfung von Bildungsressourcen der Eltern mit den Bildungsentscheidungen und Erwerbschancen der Kinder und zeigen eine deutliche Armutsspirale für bildungsferne Haushalte auf. Somit setzt sich auf dem Arbeitsmarkt eine Entwicklung fort, die viel früher begonnen hat, nämlich mit der Geburt in ein entsprechendes Elternhaus.
LLL: vom Faktum zur Forderung
Aller Bildungsvererbung zum Trotz: »Lebenslanges Lernen« ist seit jeher ein Faktum: ArbeitnehmerInnen lern(t)en schon immer am Arbeitsplatz, sei es, um neue Produktionsmethoden anwenden zu können oder um ihnen geläufige Produktionsschritte effizienter zu gestalten. Schon 1962 hat der Ökonom K. J. Arrow den Begriff des »Learning by Doing« geprägt. Doch dieses Lernen war zielgerichtet.
Die heute globalisierte und zunehmend dynamische Wirtschaft erfordert hingegen häufige Berufs- und/oder Qualifikationswechsel: Ein immer größerer Teil der Gesellschaft wird von diesen Veränderungsprozessen ergriffen, die es erschweren, konkrete Lern-/Qualifikationsziele festzumachen. »Lebenslanges Lernen« wird so vom Faktum zur Forderung: Der Forderung nach der Bereitschaft, sich auf gänzlich neue Tätigkeiten umzustellen, sich auf neue Berufe einzulassen. Dabei entstehen aber neue Problemgruppen, wie Rudolf Tippelt, Professor für Erwachsenenbildung an der Universität München, herausstreicht, etwa bei jenen, bei denen der »Imperativ des lebenslangen und lebensbegleitenden Lernens in unversöhnlichem Widerspruch zu eigenen vorwiegend negativen Lernerfahrungen in Schule und Ausbildung steht.« Beschäftigungszahlen allein sagen noch nichts darüber aus, ob die ArbeitnehmerInnen gemäß ihrer Qualifikation beschäftigt werden. Im Laufe der letzten Jahre ist eine zunehmende »überqualifizierte« Beschäftigung festzustellen: Was bis vor wenigen Jahren bspw. Aufgaben und Jobs für HAK-AbsolventInnen waren, wird nun immer häufiger von AbsolventInnen eines Betriebswirtschaftsstudiums erledigt. Die Bezahlung entspricht jedoch immer noch der eines/r HAK-AbsolventIn. Denkt man diese Entwicklung konsequent weiter, zeigt sich: Wenn Personen mit Lehrabschluss immer öfter in Hilfstätigkeiten zu finden sind, dann bleibt für jene mit Pflichtschulabschluss keine Beschäftigung mehr übrig: Unternehmen profitieren von besseren Abschlüssen, ohne dafür zu zahlen. Die Bildungsanstrengung der Einzelperson kann nicht Beschäftigung durch »lebenslanges Lernen« erreichen und sichern. Auf individueller Ebene wirkt sie eher als ein Signal gegenüber ArbeitgeberInnen und verbessert die eigene Position im Wettbewerb um Arbeitsplätze. Dementsprechend werden neben der Humankapitaltheorie andere Theorien wie die Signaltheorie und die Arbeitsplatzwettbewerbs-Theorie vertreten.
Den bedeutenderen Einfluss auf die Beschäftigung und somit auf die Wirkung der Bildungsanstrengungen haben die Unternehmen und ihre Investitionsentscheidungen in Finanz- oder Sachkapital bzw. in Arbeitskräfte, für sie: »Humankapital«. Im Zusammenhang mit dem Aufkommen des Konzepts der »Wissensgesellschaft« wird argumentiert, dass Investitionen in die Qualifikation der Beschäftigten Wachstum und damit mehr Beschäftigung erzeugen. Diese Botschaft scheint jedoch noch keineswegs im ausreichenden Maß bei den Unternehmen angekommen zu sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass Weiterbildung zwar, wie eine von der AK beauftragte Untersuchung erwiesen hat, hohe Produktivitätszuwächse und Erträge bringt, dennoch aber die Hälfte der Unternehmen in Österreich gar nicht in die Weiterbildung ihrer Beschäftigten investiert?
Fazit
Schlussendlich stellt das »lebenslange Lernen« die/denEinzelne/n zunehmend vor einen Widerspruch: Zwar ständig aufgefordert zu werden, immer länger zu lernen, bei gleichzeitig immer ungewisser werdenden Ziel und Nutzen dieses Lernens. Hier sind die Unternehmen, aber vor allem der Staat gefordert: Unternehmen, indem sie ihre Verantwortung für die Weiterbildung ihrer MitarbeiterInnen wieder verstärkt übernehmen, und der Staat, indem er seinem bildungs- und sozialpolitischen Auftrag umfassend für alle Lebensphasen - »von der Wiege bis zur Bahre« - ungeachtet der sozialen Herkunft seiner BürgerInnen nachkommt.
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Lokalaugenschein
Ein eisiger Wind weht durch die Herbststraße, dennoch stehen rund zwei Dutzend Männer an den verschiedenen Kreuzungen. Ich geselle mich zu einer Gruppe von acht Männern, stelle mich kurz vor und frage, ob jemand Deutsch spricht und sich mit mir unterhalten will. Kaum miteinander ins Gespräch gekommen, laufen meine Gesprächspartner plötzlich weg. Ich schaue auf und erkenne weit entfernt einen Streifenwagen, der sich nähert. Zwei Männer winken mir, ihnen zu folgen. Sie haben keine Lust kontrolliert zu werden, obwohl sie sich ausweisen können. Wenn sie in der Herbststraße ihre Papiere zeigen müssen, ist dies mit einer Strafe von sieben Euro verbunden. Deswegen ziehen sie sich lieber in die Seitengassen zurück. Die Verwaltungsstrafe, das erfahre ich später, wird ihnen wegen »Störung der öffentlichen Ordnung« verhängt.
Nach einer kurzen Runde um den Häuserblock gelangen wir zum Ausgangspunkt zurück. Meine Gesprächspartner kommen aus Rumänien und Serbien, sie halten sich bereits ein halbes bis eineinhalb Jahre in Österreich auf. Alle verfügen über eine Schlafgelegenheit bei Verwandten, die ihren ordentlichen Wohnsitz in Wien haben. Für die Lebenshaltungskosten braucht der 35-jährige Samel 500,- pro Monat, alles was er darüber hinaus verdient, schickt er seiner Familie in Rumänien, wo seine Frau mit dem 16-jährigen Sohn lebt.
In Rumänien liegt der Durchschnittslohn bei 200 EUR. Dieses Einkommen reicht nicht aus, um sich eine Zukunft aufzubauen. Ein 24-jähriger Mann erzählt: »Wenn ich in Rumänien arbeite, kann ich mir nichts leisten und muss immer bei meinen Eltern wohnen. Wenn du eine eigene Familie gründen, ein Haus bauen und ein Auto kaufen willst, musst du nach Österreich oder sonst wohin. Ich bin hierher gekommen, weil meine Tante hier wohnt, und ich ein halbes Jahr in einer Firma arbeiten konnte. Leider hat mir der serbische Chef in den letzten zwei Monaten kein Geld bezahlt, und so habe ich dort aufgehört und versuche seither so Arbeit zu finden. Ein-, zweimal die Woche bekomme ich einen Job.«
»Arbeiten nicht Zapzarap«
Ein anderer, der frühmorgens eine Dose Bier in der Hand hält, beschwert sich: »Wir wollen hier arbeiten und nicht Zapzarap machen. Wir stellen uns in der Kälte auf die Straße, weil wir ehrliche und fleißige Leute sind. Leider gibt es für uns keine legale Arbeit. Das verstehen wir nicht. Wir leben alle in der EU. Gehört die Türkei zur EU? Gehört China zur EU? Gehört Afrika zur EU? Die dürfen hier arbeiten, aber wir nicht. In Italien dürfen wir arbeiten, in Spanien, in Finnland und Dänemark, aber sonst nirgendwo. Erst 2011 wird es für uns erlaubt sein, normal in Österreich zu arbeiten, bis dahin müssen wir schwarz arbeiten.«
Ein rund 40-jähriger Mann aus Polen, den ich am nächsten Tag treffe, erzählt: »Ich bin Elektriker, ich kenne eine Firma, die mich sofort aufnehmen würde, aber leider bekomme ich keine Beschäftigungsbewilligung. In der Zeitung habe ich gelesen, dass Schwarzarbeit die Wirtschaft ruiniert. So ein Blödsinn. Wir arbeiten schnell und billig. Wenn eine Firma ein Haus baut, arbeitet einer und zwei schauen zu, das ist sehr teuer. Viele Österreicher können sich keine Firma leisten, sie wären ruiniert, wenn sie uns nicht hätten. Wenn ich für Österreicher arbeite, vereinbare ich eine Pauschale, wenn ich für andere arbeite, rechne ich nach jedem Arbeitstag ab, weil ich sonst kein Geld bekomme.
Wir verlangen für eine Stunde acht bis zehn Euro, je nach dem was zu tun ist. Für weniger arbeiten wir nicht. Wir leben hier, zahlen für Wohnung und Essen. In der Triesterstraße stehen fast nur Rumänen, die arbeiten sogar für vier Euro pro Stunde. Die können nichts, können nur einfache Arbeiten machen, wie Gipsplatten in den 4. Stock tragen.«
Hoffnung auf 2011
Aus diesen und ähnlichen Gesprächen lassen sich folgende Schlüsse ziehen:
Weblink
IQUAL - Institut für qualitative Arbeits- und Lebensweltforschung:
iqual.rokell.com
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80 Prozent Qualifizierungskurse
150 unterschiedliche Bildungsträger führen im Auftrag des AMS Schulungen für Jobsuchende durch. Der Wettbewerb um die vom AMS ausgeschriebenen Bildungsmaßnahmen ist naturgemäß groß - und läuft wie überall sonst zum Teil über den Preis. Rund 80 Prozent der AMS-Kurse sind Qualifizierungsmaßnahmen, die der fachlichen Aus- und Weiterbildung dienen (Computer- oder Sprachkurse u. ä.). Selbst in diesem Bereich ist mitunter das Lernziel durch unzureichendes Equipment und Platzmangel gefährdet. Hinzu kommen frustrierte Jobsuchende, Verständigungsschwierigkeiten mit MigrantInnen oder extrem unterschiedliches Ausgangswissen der KursteilnehmerInnen. Nicht selten besuchen Langzeitarbeitslose Kurse mehrmals und daher widerwillig, gesundheitlich schwer angeschlagene 57-Jährige müssen zum Bewerbungstraining usw. Theoretisch werden die Kurse vom AMS-Berater und den Arbeitssuchenden gemeinsam ausgewählt. Praktisch landet so mancher Jobsuchender dann dort, wo grad ein Platz frei ist. Überlastete AMS-BeraterInnen, System- und Organisationsmängel führen unter anderem dazu, dass ein vom AMS ausgebildeter 54-jähriger Berufsorientierungstrainer keine fixe Anstellung findet (weil er zu alt ist) - und dann vom AMS in einen Berufsorientierungskurs geschickt wird!
Im »Deppenkurs«
Fälle wie dieser - vom AMS als bedauerliche Einzelfälle bezeichnet - kommen gar nicht so selten vor. Dementsprechend sind TrainerInnen täglich mit Widerstand konfrontiert. Trainerin Helga S., 48: »Das gibt sich zwar manchmal nach kurzer Zeit, weil dann doch das Positive überwiegt - die Tage bekommen wieder eine Struktur, Kontakte, Erfolgserlebnisse etc. Trotzdem, manche TeilnehmerInnen bleiben einfach weg oder sind die meiste Zeit im Krankenstand. Oder sie sabotieren auf die eine oder andere Weise den Unterricht.« Was außerdem die Arbeit erschwert: In den meisten Kursen sind die Leute bunt zusammengewürfelt, AkademikerInnen sitzen neben HilfsarbeiterInnen, BerufsanfängerInnen neben 55-Jährigen. »Das ist rein gruppendynamisch schon eine Herausforderung, wenn man den Leuten dann noch was beibringen soll …«
Um ihre Arbeitswilligkeit zu beweisen, müssen Arbeitssuchende alle sechs Monate einen der Aktivierungs-Kurse besuchen. Vor diesen sogenannten »Deppenkursen« flüchten nicht wenige in die Krankheit. Wer zum dritten Mal persönliches Telefonmarketing oder Lebenslauf schreiben übt, seine Stärken und Schwächen analysiert, ist verständlicherweise nicht mehr besonders motiviert. Karl F., 61, seit fünf Jahren arbeitslos: »Zusätzlich bekommt man immer wieder vermittelt, dass ich irgendwas falsch machen muss, weil ich keinen Job finde. Und wenn ich Erfolgsmeldungen des AMS lese, frag ich mich, wer das glauben soll. So lange die Arbeitslosenzahlen nicht wirklich sinken, ist das keine Vermittlungs-, sondern eine Rotationsquote. Die Firmen stellen billigere Leute ein und zum AMS kommt dann der, der mehr verdient hat.«
Auf der Internet-Plattform für Erwerbsarbeitslose www.soned.at können Betroffene ihren Frust loswerden. So schreibt dort eine Doris: »Heute sitz ich von 12.45 bis 16.45 da rum außer kartenspielen und mensch ärger dich nicht am pc 5 rauchpausen sonst nix produktives …« Die TrainerInnen sitzen zwischen den Stühlen: Sie müssen sowohl dem Leistungsdruck der jeweiligen Bildungseinrichtung als auch dem Frust und Widerstand der Arbeitssuchenden standhalten.
Supervision als Luxus
In vielen Kursen werden die TrainerInnen (und KursteilnehmerInnen) mit schwerwiegenden Problemen und Schicksalsschlägen konfrontiert. Trainerin Sabine K., 42: »Viele haben eigentlich gar nicht die Kraft zur Arbeitssuche. Sie sind depressiv, stehen noch unter dem Schock des Jobverlustes oder sind traumatisiert, wie manche MigrantInnen, die flüchten mussten und deren Ausbildung hier nicht anerkannt wird.« So mancher Jobsuchende ist aber auch einfach froh, unter Gleichgesinnten über seine Probleme reden zu können, weil Arbeitslosigkeit überall anders stigmatisiert ist. Um einen Kurs halbwegs am Laufen zu halten, sehen sich viele TrainerInnen in die Sozialarbeiter- oder Therapeuten-Rolle gedrängt. Trotzdem ist bei den meisten Einrichtungen die früher übliche Supervision dem Sparstift zum Opfer gefallen. Diese professionelle Unterstützung müssten sich die TrainerInnen dann bei Bedarf selbst finanzieren.
Anstellung ist besser
Nach wie vor sind sehr viele TrainerInnen (noch) nicht angestellt - zum Teil durchaus freiwillig. Viele haben ein zweites Standbein, freier Coach oder TrainerIn. Katja S., 43, hat sieben Jahre mit Jobsuchenden gearbeitet: »Einen Fulltime-Job mit Fixanstellung wollte ich nie, das hätte ich unter diesen Bedingungen auf die Dauer nicht verkraftet. So hatte ich zwischen den AMS-Projekten immer wieder ein paar Wochen Pause.« Außerdem befürchten viele, bei einer Fixanstellung finanziell schlechter auszusteigen.
»Diese Mär höre ich immer wieder«, meint Anita Stavik, Sekretärin im Bereich Interessenvertretung der GPA-djp, »aber man kann in einer aktuellen Broschüre von work@education konkrete Einkommensvergleiche zwischen Angestelltenverhältnis und freiem Dienstvertrag nachlesen. Die Vorteile: 20 Prozent der 38,5 Stunden werden für Vor- und Nachbereitung eingerechnet, Urlaubsanspruch, fünf Tage Bildungsfreistellung etc.«
Knappe Ressourcen
So mancher fragt sich jetzt schon, woher das Geld für diese »Anstellungswelle« kommen soll bzw. wo dieses eingespart werden wird. Denn die Situation ist jetzt schon keineswegs rosig. Computer und Drucker funktionieren wochenlang gar nicht, aus Platzmangel müssen Einzelgespräche zu viert geführt werden. »Ich musste mir dann mit einer Kollegin und ihrem Klienten einen Raum teilen«, erzählt Sabine K., die schon für mehrere Bildungseinrichtungen tätig war. »Und in die Cafeteria durften wir aus versicherungstechnischen Gründen nicht gehen.«
Mit einem Zehn-Punkte-System für TrainerInnen, Zielvorgaben, Standards und Feedbackmöglichkeiten für alle TeilnehmerInnen will das AMS Qualität garantieren und gibt einen guten Teil der Verantwortung für drastische Sparmaßnahmen an die Bildungseinrichtungen weiter. AMS-Sprecherin Dr. Beate Sprenger: »Unsere Kurse wurden von den TeilnehmerInnen auf einer Skala von 1 bis 6 im Durchschnitt mit der guten Note 1,9 bewertet. In Einzelfällen verläuft vielleicht nicht immer alles optimal. Das muss man dann thematisieren. Wenn tatsächlich einmal jemand in einem ungeeigneten Kurs sitzt, dann sollte sich der Trainer oder die Trainerin an den Vorgesetzten wenden.« Selbstverständlich finden sich nicht alle TrainerInnen sofort stillschweigend mit der Situation ab, wenden sich zum Teil sogar direkt an die AMS-BetreuerInnen. Sabine: »Nur wenn du dann jedes Mal hörst, tut mir leid, aber das geht eben nicht anders, mir sind die Hände gebunden, dann gibst du‘s irgendwann auf und versuchst eben, das Beste daraus zu machen.« Einen formellen, direkten Draht zum AMS, ähnlich wie jener für die KursteilnehmerInnen in Form der Feedbackbögen, gibt es für TrainerInnen nicht. Die guten Noten für das AMS können sich viele Jobsuchende leicht erklären: »Nach mehreren Wochen gemeinsam im Kurs kennt man schließlich die Schrift der TeilnehmerInnen. Von Anonymität kann da keine Rede sein.« Theoretisch kann die Bewertung auch online auf der AMS-Website erfolgen. Tatsächlich werden, so eine Trainerin »die Bögen vorzugsweise dann ausgeteilt, wenn die Stimmung in einem Kurs gerade gut ist.«
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Arbeitsplätze ohne Perspektive
Eine detaillierte Untersuchung der sogenannten Problemgruppen des Arbeitsmarktes soll jedoch nicht der Gegenstand dieses Artikels sein. Zum einen, weil sie entgegen vieler Behauptungen nicht die große Mehrheit der Arbeitslosen stellen, und zum anderen auch, weil die meisten Menschen aus eigener Erfahrung wissen, dass es sehr wohl gelingen kann, dass Menschen auch in problematischen Konstellationen in Beschäftigung sind.
Der Fokus soll vielmehr sein, dass der Arbeitsmarkt selbst Merkmale aufweist, welche die Arbeitslosigkeit immer wieder reproduzieren. Es gibt eine Reihe von Gründen, warum nicht alle angebotenen Arbeitsplätze jahresdurchgängige Beschäftigung ermöglichen. Außerdem gibt es Arbeitsplätze, welche für die Beschäftigten keine langfristige Perspektive bieten; oft gibt es nicht einmal eine mittelfristige, weil es entweder beabsichtigt ist diese Arbeitsplätze immer wieder neu zu besetzen, oder weil die hohe Fluktuation wegen der schlechten Arbeitsbedingungen zu erwarten ist. Es ist jedenfalls festzuhalten, dass auch Arbeitsplätze problembehaftet sein können, und dass Problemkumulierungen in manchen Branchen eher die Regel als die Ausnahme darstellen.
Scheinbar träger Markt
Wenn man nur die regelmäßig veröffentlichten Arbeitsmarktkennzahlen betrachtet, ergibt sich - außer in Zeiten einer schweren Wirtschaftskrise - das Bild eines scheinbar ziemlich trägen Marktes: Die jahresdurchschnittlichen Beschäftigungs- bzw. Arbeitslosenzahlen verändern sich im Zeitablauf nur sehr langsam. Die Veränderungen zur Vorperiode liegen meist im einstelligen Prozentbereich, oft sogar nur im Promillebereich. Mit solchen oder ähnlichen Kennzahlen wird immer wieder versucht, das Bild eines eher rigiden Marktes zu erzeugen und irgendeine Forderung in Richtung weiterer Flexibilisierung zu untermauern.
Der österreichische Arbeitsmarkt ist aber von starken Fluktuationen geprägt. Das zeigen andere Kennzahlen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich alle auf die sozialversicherungspflichtige unselbstständige Beschäftigung, weil die Flexibilität von geringfügiger Beschäftigung und freien Dienstverträgen als bekannt vorausgesetzt werden kann.
Nach der Zählung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger gab es im Juli 2008 erstmals über 3,5 Mio. Arbeitsplätze. Allerdings waren nur etwas mehr als 2,4 Mio. davon ganzjährig von denselben Personen besetzt. Das heißt, dass etwa ein Drittel aller Arbeitsplätze im Jahresverlauf von Fluktuationen betroffen ist. Das beinhaltet einerseits Arbeitsplätze, die vom Markt verschwinden, wie auch solche, die neu besetzt werden. Als ungefährer Richtwert wird angenommen, dass in entwickelten Volkswirtschaften pro Jahr etwa zehn Prozent der Arbeitsplätze verloren gehen - und durch neue ersetzt werden.
In diesem Fall ist die Fluktuation, von Ausnahmen abgesehen, eine unvermeidlich Folge der wirtschaftlichen Dynamik. Dazu kommen Arbeitsplätze, die im Jahresverlauf (teilweise sogar mehrfach) neu besetzt werden.
Ein Viertel wechselt
Insgesamt wurden im Jahr 2008 mehr als 1,6 Mio. Beschäftigungsverhältnisse beendet. In rund einem Viertel der Fälle gelang den Betroffenen der direkte Arbeitsplatzwechsel, und ein weiteres Viertel der Beendigungen führte in die registrierte Arbeitslosigkeit. Somit waren in knapp der Hälfte aller Fälle die von einem Arbeitsplatzverlust Betroffenen danach weder beschäftigt noch offiziell als arbeitslos registriert, das entspricht definitorisch einem zumindest vorübergehenden Ausscheiden aus dem Arbeitsmarkt.
Aus der Perspektive der Betroffenen wird dies aber oft ebenfalls als Arbeitslosigkeit erlebt. Ein beträchtlicher Teil des Mangels an Beschäftigungsmöglichkeiten bzw. dauerhaften Arbeitsplätzen wird aus den Statistiken der Arbeitslosen somit gar nicht sichtbar. Je nach Interessenlage wird beim Arbeitsplatzwechsel bzw. -verlust von Chancen und Risiken gesprochen. Die oben genannten Zahlen - welche sowohl insgesamt als auch in den Anteilen für andere Jahre auch als typisch gelten können - zeigen jedoch, dass für die Betroffenen die Risiken klar überwiegen.
15 Wochen arbeitslos
Die Arbeitslosenzahl lag im Jahr 2008 im Jahresdurchschnitt bei 212.000. Dieser Jahresdurchschnitt wird durch unterschiedlich lange Arbeitslosigkeitsepisoden erzeugt. Insgesamt waren 776.000 Personen im Verlauf des Jahres von Arbeitslosigkeit betroffen. Vier von zehn Betroffenen hatten sogar mehr als eine Arbeitslosigkeitsepisode in dem Jahr. Die durchschnittliche Dauer betrug knapp 15 Wochen. Etwa drei von vier Arbeitslosen waren auch im jeweiligen Folgejahr von Arbeitslosigkeit betroffen.
Es spricht wenig dafür, dass es so etwas wie typische Arbeitslose gibt, denn die Risiken von Brüchen im Erwerbsleben sind von der Branche bzw. dem konkreten Arbeitsplatz genauso abhängig wie von persönlichen Merkmalen. Zunehmend spielt auch die Biografie eine eigenständige Rolle, was die zukünftigen Erwerbschancen betrifft. Viele ArbeitnehmerInnen sind selten oder nie von Arbeitslosigkeit betroffen, während für andere die Arbeitslosigkeit ein regelmäßig wiederkehrender Begleiter des Erwerbslebens ist.
Saisonale Schwankungen
In den Saisonbranchen ist die Zahl der Arbeitsplätze mit ganzjähriger Beschäftigung in Österreich begrenzt: In der Bauwirtschaft ist jeder zweite Arbeitsplatz von den Saisonschwankungen betroffen und im Beherbergungs- und Gaststättenwesen sogar zwei von drei. Aber auch in den wirtschaftlichen Dienstleistungen und im Bereich Kunst und Unterhaltung bieten weniger als zwei Drittel der Arbeitplätze jahresdurchgängige Beschäftigung; im Handel sind es nur gut 70 Prozent. Für die übrigen Beschäftigten sind jährlich wiederkehrende Berufsunterbrechungen eine Begleiterscheinung der branchenspezifischen Saisonalität. Dazu kommt, dass auch Unternehmen in Branchen ohne ausgeprägte Saisonschwankungen, mehr und mehr aus Kostenüberlegungen dazu übergehen, auf Auslastungsschwankungen mit vorüberge-henden Kündigungen zu reagieren.
Aus dem Blickwinkel der Betroffenen ist das Arbeitslosigkeitsrisiko allerdings sehr ungleich verteilt. Je geringer die schulische und berufliche Qualifikation, umso mehr ist man auch mit der Arbeitslosigkeit konfrontiert. 44 Prozent der Arbeitslosen des Jahres 2008 hatten lediglich einen Pflichtschulabschluss und weitere 38 Prozent eine abgeschlossene Lehre.
Prinzipiell lässt sich also feststellen, dass eine höhere Qualifikation das Risiko der Arbeitslosigkeit stark verringert. Allerdings haben PflichtschulabsolventInnen, aber insbesondere auch Personen mit Lehrabschluss oft auch genau jene Arbeitsplätze, die eine Ganzjahresbeschäftigung nicht bieten können - z. B. in der Bauwirtschaft und im Tourismus. In solchen Fällen kann nicht unterschieden werden, ob die Qualifikation tatsächlich der ausschlaggebende Faktor ist.
Ausreichend gute Arbeitsplätze
Die Arbeitslosigkeit durch eine Qualifikationsoffensive zu reduzieren kann damit letztlich nur gelingen, wenn es ausreichend gute Arbeitsplätze gibt, um die Menschen den höheren Qualifikationen adäquat zu beschäftigen. Überdies sollten es Ganzjahresarbeitsplätze sein, welche auch Perspektiven bieten.
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Diskrepanzen am Arbeitsmarkt
Eine Studie über Diskrepanzen am regionalen Arbeitsmarkt im Ballungsraum Hamburg stellt beispielweise fest, dass, »je größer die Zahl der Arbeitslosen und/oder der offenen Stellen in einer Region ist, desto größer wird auch die Zahl der neuen Beschäftigungsverhältnisse sein, weil aus der Sicht der Arbeitsnachfrage (d. h. der Unternehmen) die Wahrscheinlichkeit zunimmt, dass innerhalb kurzer Frist geeignete BewerberInnen gefunden werden. Aufgrund sinkender Erträge führt eine anhaltende Zunahme der Arbeitslosenzahl bei konstanter Zahl der offenen Stellen allerdings zu einer immer geringeren Zunahme der Beschäftigungsverhältnisse.«
Entlassungswelle rollt
Bei vielen Konzernen rollt trotz guter Konjunktur eine neue Entlassungswelle. Der Kapitalmarkt erwartet satte Renditen. InvestorInnen schauen nicht auf die Zahl der MitarbeiterInnen, sondern auf den Gewinn. Wenn man von Unternehmensführern hört »Strukturen müssen schlanker und effektiver werden«, ist meist Feuer am Dach. So sollten etwa bei der deutschen Firma Henkel mit weltweitem Abbau von Arbeitsplätzen pro Jahr 150.000 Mio. Euro eingespart werden. Um die Rendite zu steigern, hat der Konzern zwischen 2001 und 2004 schon einmal insgesamt 4.500 Jobs abgebaut.
»Die Gier des Kapitalmarktes ist unersättlich und zwingt die Unternehmen zu handeln«, sagt Gustav Horn, vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen deutschen Hans-Böckler-Stiftung, und schlägt vor, das Kapital langsamer zu machen, den Kapitalverkehr stärker als bisher besteuern, um einen schnellen Abzug von Kapital kostspieliger zu machen und das kurzfristige Denken in Quartalen müsste langfristigen Planungen und Entscheidungen weichen.
Viele produzierende Unternehmen haben ihren »Unternehmenszweck« verlassen und sind in erster Linie zu Finanzkapitalisten geworden. Sie setzen bei stagnierender Wirtschaft auf Bewertungsgewinne als Profitquelle, etwa wenn es einem Investor gelingt, durch Lohnkürzungen den Unternehmenswert zu steigern. So stellt Wirtschaftsexperte Stephan Schulmeister fest: »Das Profitstreben des ›non-financial business‹ hat sich somit in den vergangenen 25 Jahren von der Realkapitalbildung zu Finanzveranlagung und -spekulation verlagert. Dieser ›schleichende‹ Prozess stellt die ›strukturelle‹ Hauptursache für das langsame Anwachsen der Arbeitslosigkeit dar.«
Arbeitslosigkeit kann nur dann verringert werden, so Schulmeister weiter, »wenn der Kapitalstock rascher wächst als das Arbeitsangebot«. Läuft es umgekehrt, sind Arbeitsproduktivität und Realeinkommen entsprechend niedriger. Reallohnsenkungen oder Ausweitung von Niedriglohnsektoren setzen eine entsprechende Nachfragestruktur sowie ein entsprechend hohes Angebot an schlecht qualifizierten Arbeitskräften voraus.
Durch die neoliberale Brille
Die Wirtschaftseliten betrachten die Welt mit »neoliberaler Brille« mit mehreren gravierenden Folgen. Um nur eine zu nennen: Steigende Arbeitslosigkeit wird nicht als Mangel an Arbeitsplätzen infolge unzureichender Realkapitalbildung wahrgenommen. Zudem wird die »Abstinenz« des Staates von einer aktiven Wirtschaftspolitik nicht als zusätzliche Krisenursache erkannt. Schulmeister führt als Beispiel dafür die Politik in Deutschland an, die auf den Anstieg der Arbeitslosigkeit mit der Reduktion der Arbeitslosenunterstützung (Hartz IV) und der massiven Förderung prekärer Arbeitsverhältnisse reagiert hat (Ich-AGs, Ein-Euro-Jobs etc.).
»Die Arbeitslosen wurden dadurch billiger, die Arbeitenden auch, die Zahl sozialversicherter Jobs sank, jene der atypischen Jobs stieg. Mit all diesen Maßnahmen passte sich das System an den Mangel an (produktiven) Arbeitsplätzen als Folge unzureichender Realkapitalbildung an. Produktionstheoretisch betrachtet: Die Arbeitslosigkeit soll durch Schaffung von ›workingpoor-Arbeitsplätzen‹ verringert werden, welche mit wenig Kapital ausgestattet auch wenig produktiv sind.
Für einen nachhaltigen Erfolg dieses Rezepts sind allerdings Sozialstaat und Gewerkschaften in Deutschland (noch) zu stark, das Bildungssystem (noch) zu gut, die Einkommensverteilung (noch) nicht ungleich genug und die Wirtschaft generell (noch) nicht ›finanzkapitalistisch‹ genug.«
Matchingprozess am Arbeitsmarkt
Die »Fürsorge« des Staates, eine bestimmte Zahl von Arbeitslosen in Weiterbildungsprogrammen unterzubringen, ist gerechtfertigt. Unternehmen klagen über den Mangel an qualifizierten «freien« Arbeitskräften in ausreichender Zahl. Letztlich verhilft die staatliche Weiterbildung, dass Unternehmen auf einen gut »gewachsenen« Topf an Humankapital zurückgreifen können, ohne selbst Mittel in die Hand nehmen zu müssen. Leiharbeitsvermittler Trenkwalder beschreibt die Zukunft der Arbeit als eine »neue Herausforderung an den Matchingprozess am Arbeitsmarkt - entscheidend ist der richtige Mitarbeiter zur richtigen Zeit am richtigen Ort«. Mit anderen Worten, eine bestimmte Quantität an Arbeitlosen ist günstig, wenn nicht sogar notwendig, diese Anforderungen zu bedienen. Vergleichbar etwa mit einem Wühlkorb für Textilien, je mehr im Korb ist umso eher findet sich die richtige Größe, die gefällige Farbe oder das gewünschte Muster.
Unternehmen in Warteposition
Stellt sich die Frage, ob nicht auch Betriebe in der Qualifizierung zukünftig eine deutlich veränderte Rolle übernehmen und sich an der Entwicklung von lokalen arbeitsmarktpolitischen Qualifizierungsprogrammen beteiligen sollten. Geht man davon aus, dass Abeitslosenzahlen steigen und so die Weiterbildungs- und Qualifizierungsprogramme aufgefüllt werden, dann sind Unternehmen jetzt in »Warteposition«. Verbessert sich nämlich die Wirtschaftslage steht ein mit staatlichen Mittel besser ausgebildetes »Arbeitslosenheer« zur Verfügung. Je größer die Zahl der BewerberInnen auf eine offene Stelle ist, desto größer ist im Regelfall auch die Vielfalt, und umso eher wird der Arbeitgeber/die Arbeitgeberin seine/ihre speziellen Vorstellungen in einem/einer der BewerberInnen wiederfinden.
Arbeitslosigkeit wird aus staatlicher und wirtschaftlicher Perspektive mit »verlorenem« Konsumpotenzial verknüpft. Einmal sind es die sinkenden Steuereinnahmen dann die schleppende Konjunktur. Nicht Einzelschicksale spielen eine Rolle, sondern die Gesamtmenge an Arbeitslosen ist strategisch von Bedeutung.
Einerseits ist der Konsum die Zentrifuge der Rendite, andererseits kann man die Arbeitslosigkeit nicht so weit treiben, dass der Konsum verflacht, denn Arbeitslose sind keine guten KäuferInnen. Auch die Gefahr, dass zu viel Arbeitslosigkeit den sozialen Frieden, das soziale Gleichgewicht aus der Balance bringen könnte, wird das Gewissen der Jobkiller nicht »beunruhigen«, denn schon Paul. F. Lazarsfeld hat in seiner berühmt gewordenen Studie »Die Arbeitslosen von Marienthal« festgestellt, dass «Arbeitslose, vor allem Langzeitarbeitslose, nicht aufrührerisch sind, sondern dass die Arbeitslosigkeit auf sie eine lähmende Wirkung ausübte und den psychologischen Raum des Arbeiters noch weiter einengte.«
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Homepage von Stephan Schulmeister:
stephan.schulmeister.wifo.ac.at
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Steigende Ausschüttungsquote
Die Arbeiterkammer hat im September eine Untersuchung zur Ausschüttungspolitik heimischer Unternehmen im Krisenjahr 2009 durchgeführt. Es wurden in diesem Zusammenhang sowohl die im ATX notierten Konzerne als auch bedeutende österreichische Kapitalgesellschaften analysiert.
Während die ATX-Konzerne aufgrund der aufkommenden Krise bereits im Bilanzjahr 2008 deutliche Gewinnrückgänge (-19 Prozent ) hinnehmen mussten, wurden im Krisenjahr 2009 Ausschüttungen in nahezu unveränderter Höhe von 2,2 Mrd. Euro vorgenommen. Damit könnten für die Beschäftigten in diesen Unternehmen spielend vier gute Lohnrunden finanziert werden. Die effektive Ausschüttungsquote steigt damit erneut deutlich von 29,9 Prozent auf 33,3 Prozent der Jahresüberschüsse an.
Unter Konzerndruck
Die Ausschüttungsquote bei den untersuchten Einzelabschlüssen von rund 250 bedeutenden österreichischen Kapitalgesellschaften liegt mit 80 Prozent deutlich über jenen der ATX-Konzerne. Nicht einmal ein Viertel der erwirtschafteten Gewinne verbleibt demnach in den Unternehmen. Noch höher liegen die Ausschüttungen in der Metallbranche. Rund 90 Prozent der erzielten Gewinne werden sofort an die AktionärInnen bzw. an das Mutterunternehmen weitergereicht.
In Konzernverbünden ist es Usus geworden, dass fast der ganze Gewinn an das Mutterunternehmen fließt. Diese gängige Praxis des »Aussaugens« von produktiven, solide aufgestellten Töchterunternehmen kann sich besonders in wirtschaftlich schwierigen Zeiten als Bumerang erweisen: In Zeiten der Hochkonjunktur und eines bei der Kreditvergabe großzügigen Bankensektors stellen Dividendenzahlungen kein unmittelbares Problem für den Bestand der Töchterunternehmen dar. Bei Geldbedarf durfte man mit Geldflüssen von der Mutter (Cash Pooling) rechnen. In Krisenzeiten kommen aber auch Muttergesellschaften in finanzielle Schwierigkeiten, der Druck auf die Tochtergesellschaften erhöht sich.
Kein Umdenken zu erwarten
Die in die AK-Untersuchung einbezogenen rund 250 Kapitalgesellschaften beschäftigen 164.000 Menschen. Von diesen Unternehmen haben 80 Prozent bzw. rund 200 Kapitalgesellschaften Dividenden in Höhe von 4,1 Mrd. Euro beschlossen: Diese Ausschüttungen machen etwa die Hälfte der gesamten Personalkosten aus. Ein genereller Verzicht auf Ausschüttungen würde 80.000 Arbeitsplätze in diesen Unternehmen finanzieren, allein die Hälfte des Ausschüttungsvolumens könnte bereits rund 40.000 Arbeitsplätze sichern. Doch von Arbeitgeberseite ist derzeit kein Umdenken in Richtung verantwortungsvolle, nachhaltige Unternehmensführung zu erwarten: Während viele ArbeitnehmerInnen um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze bangen und die Arbeitslosenzahlen stark ansteigen, freuen sich AktionärInnen über fette Dividenden. Sieht so Verteilungsgerechtigkeit aus?
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Wer Anspruch hat
Alle unselbstständigen Erwerbstätigen und freien DienstnehmerInnen haben bei Arbeitslosigkeit Anspruch auf Arbeitslosengeld. Allerdings nur, wenn das Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze von brutto 357,74 Euro (Stand 2009) liegt. Seit 1. 1. 2009 können sich auch selbstständig Erwerbstätige im Rahmen eines »Opting-in-Modells« gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit versichern lassen. Wie lange Arbeitslosengeld bezogen werden kann, hängt von der Dauer der vorangegangenen Beschäftigung und vom Alter ab. Grundsätzlich haben alle ArbeitnehmerInnen Anspruch, die innerhalb der letzten zwölf Monate insgesamt 28 Wochen über der Geringfügigkeitsgrenze gearbeitet haben.
Nach 20 bzw. maximal 52 Wochen ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft. Dann kann auf Antrag Notstandshilfe gewährt werden. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass eine soziale Notlage vorliegt und der/die Betroffene arbeitsfähig und arbeitswillig ist. Anders als beim Arbeitslosengeld ist bei Bezug der Notstandshilfe jede Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze zumutbar, es gibt keinen Entgelt- oder Berufsschutz. Bei der Beurteilung, ob eine Notlage vorliegt, wird das gesamte Haushaltseinkommen, also auch das des Partners/der Partnerin, herangezogen. Verdient diese/r mehr als 488 Euro, dann wird das PartnerInneneinkommen (abzüglich Freibetrag) von der Notstandshilfe abgezogen. In den meisten Fällen mit der Konsequenz, dass diese dann wegfällt. Betroffen sind von dieser Anrechnung des PartnerInneneinkommens vor allem Frauen, die damit ihr eigenständiges Einkommen und ihre Selbsterhaltungsfähigkeit verlieren. Die Folge ist, dass wesentlich weniger Frauen als Männer Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung beziehen und diese auch niedriger ausfallen.
Der Grundbetrag des Arbeitslosengeldes beträgt 55 Prozent des täglichen Nettoeinkommens. Berechnungsgrundlage ist für Personen, die in der ersten Jahreshälfte arbeitslos werden, das Einkommen des vorvorigen Jahres (seit dem Arbeitsmarktpaket II aufgewertet um die Inflationsrate), und für Personen, die im zweiten Halbjahr arbeitslos werden, das Einkommen des Vorjahres. Wenn der sich daraus ergebende Grundbetrag unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz, also unter 772 Euro liegt, kann man zusätzlich einen Ergänzungsbetrag bis 60 Prozent - bzw. wenn unterhaltspflichtige Angehörige vorhanden sind bis 80 Prozent - des täglichen Nettoeinkommens beantragen.
Die Notstandshilfe beträgt 95 Prozent des vorher bezogenen Grundbetrages des Arbeitslosengeldes, wenn dieser den Ausgleichszulagenrichtsatz nicht übersteigt. In den übrigen Fällen gebührt als Notstandshilfe 92 Prozent des Grundbetrages des Arbeitslosengeldes.
Laut Sozialbericht waren 2007 eine Mio. Menschen (= 13 Prozent der Bevölkerung) in Österreich armutsgefährdet. Laut EU-SILC lag die Armutsgefährdungsquote 2007 bei knapp über 900 Euro für einen Einpersonenhaushalt. Dieses Einkommen erreichen viele Arbeitslosengeld- und NotstandshilfebezieherInnen bei weitem nicht. Je nach Dauer der Arbeitslosigkeit steigt die Gefahr, in die Armut abzurutschen. Von den rund einer Million armutsgefährdeten Personen lebten rund 400.000 (das sind fünf Prozent der Bevölkerung) in manifester Armut1. Von den ganzjährig Arbeitslosen hatten 52 Prozent ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle, rund 37 Prozent waren manifest arm.2
Dass arbeitslos zu werden auch subjektiv als Risikofaktor für Armut wahrgenommen wird, bestätigt die aktuelle Eurobarometerbefragung3. Mehr als die Hälfte der EuropäerInnen sagen, dass sie Arbeitslosigkeit für die Hauptursache von Armut in ihrem Land halten.
1 Definition laut EU-SILC-Befragung 2007. Manifest arm ist jemand dann, wenn er/sie sich zwei oder mehr der folgenden Dinge nicht leisten kann: die Wohnung angemessen warm zu halten, regelmäßige Zahlungen (Miete, Betriebskosten) rechtzeitig zu begleichen, notwendige Arzt- oder Zahnarztbesuche in Anspruch zu nehmen, unerwartete Ausgaben (z. B. für Reparaturen) finanzieren, neue Kleidung zu kaufen, jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine vergleichbare vegetarische Speise zu essen, Freunde oder Verwandte einmal im Monat zum Essen einzuladen.
2 EU-SILC-Erhebung 2007, bei der (im Jahr 2007) 6.806 Haushalte befragt wurden.
3 Commission, Eurobarometer Survey on Poverty and social Exclusion, 2009
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Ursachen der Arbeitslosigkeit
Die Frage nach Ursachen von Arbeitslosigkeit kann einen ersten Ansatzpunkt für Lösungen bieten. Es gibt verschiedenste Gründe für Arbeitslosigkeit. Ein geringes Maß an Arbeitslosigkeit entsteht durch normalen Arbeitsplatzwechsel, der ein wenig Zeit braucht, und damit kommt es zu kurzfristiger Arbeitslosigkeit.
Darüber hinaus gibt es Entwicklungen im Außenhandel und in der Technologie, die dazu führen, dass gewisse Produkte woanders oder mit anderer Technologie hergestellt werden. Die Menschen aus diesen schrumpfenden Branchen brauchen dann Zeit und Unterstützung, um in neue Gebiete zu wechseln.
Ungleichgewichtige Entwicklung
Derzeit steigt die Arbeitslosigkeit jedoch aus einem anderen Grund, nämlich als Folge von ungleichgewichtiger Entwicklung im internationalen Handel, zunehmender Ungleichheit der Einkommensverteilung, und weil unverantwortliche Entscheidungen auf den Finanzmärkten zu schweren Fehlentscheidungen von Unternehmen geführt haben.
InvestorInnen haben von Produktionsbetrieben Renditen verlangt, wie sie an den Börsen durch die Spekulationsblase möglich waren. Renditen von 15 bis 25 Prozent im Jahr lassen sich aber nicht aus dem regulären Wachstum einer Wirtschaft erzielen. Langfristig kann die Kapitalverzinsung nicht über der Wachstumsrate der Wirtschaft liegen, außer es gelingt den Unternehmen, von den Lohnabhängigen zu den KapitaleignerInnen umzuverteilen.
Diese Umverteilung funktioniert nur, wenn die ArbeitnehmerInnen durch hohe Arbeitslosigkeit so stark unter Druck gesetzt werden, dass sie Zugeständnisse machen müssen. Dabei ist es nicht notwendig, dass die Unternehmen einen koordinierten Plan haben.
Rückkehr zum Realismus
Es reicht, wenn jedes Unternehmen nur Projekte umsetzt von denen es so hohe Rendite erwarten kann und alle anderen ebenfalls ertragreichen Projekte unterlässt. Allein durch die eingeschränkte Investitionstätigkeit kommt es dann zu Arbeitslosigkeit, die Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen erzeugt. Wenn jedoch alle Unternehmen Druck auf die Löhne ausüben, dann sinkt gleichzeitig auch die Kaufkraft ihrer eigenen Kunden/-innen. Statt höherer Profite produzieren sie nur mehr Arbeitslosigkeit. Der Kern der Krisenbewältigung liegt daher in einer Rückkehr zu realistischen Gewinnerwartungen bei den Unternehmen und der kurzfristigen Stabilisierung der Kaufkraft durch koordinierte Konjunkturmaßnahmen der Staaten.
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Buchtipp
Manfred Füllsack
Arbeit. Profile (UTB), Band 3235
Utb GmbH, 2008,128 Seiten, 10,20, ISBN-10: 3-8252-3235-2
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Acht Wochen Arbeitslosengeld
Meine Betreuerin war nett und hat mir doch gleich vermittelt, dass sie nur wenig für mich tun könnte. Wenn ich weiter als Journalistin arbeiten wolle, müsse ich mich schon selbst darum kümmern. Dann gab sie mir ein Formular zum Ausfüllen fürs Arbeitslosengeld. Ich müsse noch warten, erklärte sie mir, weil das Dienstverhältnis im Einverständnis aufgelöst worden war. Ich bezog es nicht länger als acht Wochen. Viel war es nicht, erinnere ich mich, ein Taschengeld.
Das Gefühl arbeitslos zu sein, habe ich nicht vergessen. Morgens, wenn mein Partner das Haus verließ, beneidete er mich oft, dass ich noch länger liegenbleiben durfte - ich beneidete ihn noch mehr: Er konnte/durfte/musste zur Arbeit gehen. Ich nicht. Und so werkte ich in der Wohnung herum, brachte meine Bewerbungsunterlagen in Ordnung, studierte Stellenanzeigen und aktivierte Netzwerke.
Schon bald setzte die Verunsicherung ein. Nutzlos kam ich mir vor. Während mein Mann mir abends von der Arbeit erzählte, konnte ich allerhöchstens ein erfolgloses Bewerbungsgespräch schildern, mehr nicht. Überhaupt hatte ich damals den Eindruck, dass FreundInnen und Ver-wandte von fast nichts anderem reden konnten als von der Arbeit. Ich fühlte mich ausgeschlossen, verlor die Lust auszugehen und zwang mich, trotzdem Termine wahrzunehmen, um zumindest neue Kontakte zu knüpfen, oder die bestehenden um Unterstützung bei der Arbeitssuche zu bitten.
Sehr bald beschloss ich schließlich, eine Fortbildung zu machen, den Journalismus an den Nagel zu hängen und eine Gastgewerbekonzessionsprüfung zu machen. Die geplante Flucht in die Selbstständigkeit wurde mir vom AMS gefördert, so weit ich mich erinnere. Ohne private Rücklagen und die Unterstützung meiner Eltern wäre das nicht gegangen. Kaum hatte ich die Ausbildung abgeschlossen, stellte sich aber endlich ein neuer Job ein.
Kein Honiglecken
Das alles ist etwa zehn Jahre her. Seither waren viele meiner FreundInnen und Bekannten zumindest einmal arbeitslos. Für die meisten war es ein ziemlicher Einschnitt in ihrem Leben, fast allen war die Situation peinlich und unangenehm. Für alle war es eine Umstellung, plötzlich mit viel Zeit und wenig Geld auskommen zu müssen. Der Job ist weg, die Fixkosten bleiben. Und Zukunftsangst kommt dazu. Arbeitslosigkeit ist kein Honiglecken.
Und darum werde ich wütend, wenn in einem der reichsten Länder der Erde in Zeiten wie diesen, wo viele unschuldig ihren Arbeitsplatz verlieren, Sozialschmarotzerdebatten vom Zaun gebrochen werden. Ich werde wütend, wenn Unsummen da sind, um Banken zu retten, aber das Geld angeblich nicht reicht, um Menschen vor der Armutsfalle zu schützen. Wir können uns eine Anhebung des Arbeitslosengeldes leisten, wir können uns die Mindestsicherung leisten. Im Einsatz für mehr Gerechtigkeit werden wir noch lange nicht arbeitslos.
Fristlos entlassen
Inmitten der Container und Lastwagen, die sich in eine der Fähren einschiffen, zeigt mir Salvatore Palumbo seinen ehemaligen Arbeitsplatz. Er ist Ende 30, Metallarbeiter von Beruf. Doch derzeit besteht seine Arbeit darin, wieder seine Anstellung bei Fincantieri zurückzubekommen. Am 30. August 2007 wurde er fristlos entlassen. Der offizielle Grund: Er hätte im Bereich des Werftbeckens, sein Arbeitsbereich, nicht gearbeitet, sondern sei »in flagranti« beim Angeln erwischt worden. Der wahre Grund: Seit seiner Einstellung bei Fincantieri im Jahr 2001 machte er unermüdlich und unerschrocken auf Sicherheitsmängel aufmerksam.
1.200 tödliche Arbeitsunfälle im Jahr
Er tat dies in einem Land, in dem in den vergangenen Jahren mehr als 1.200 Menschen jährlich durch Arbeitsunfälle ums Leben kamen (der Fall der sieben verunglückten Thyssen-Arbeiter im Dezember 2007 machte europaweit auf diese Zustände aufmerksam). Salvatore wuchs in einem Arbeitervorort von Palermo, Borgonovo, auf. Sein Vater arbeitete für das Fährunternehmen Tirrenia, oft war er nicht da. Sein Onkel Giuseppe, der Bruder seiner Mutter, wurde zu einer Art Ersatzvater. Salvatore war keine acht Jahre alt, als dieser geliebte Onkel bei der Arbeit ums Leben kam. Ein großer Schock. Salvatore erzählt ohne Pause, stringent und mitreissend. Schon im Kindergarten lernt er seine zukünftige Frau Angela kennen, als sie mit ihrer Familie in den Norden, nach Bologna, geht, folgt er ihr. Mit 17 geht er zum Militär nach Padua. Nach zwei Jahren beim Militär geht er zu Angela nach Bologna, er wird Facharbeiter, Metallarbeiter. Als er genügend Erfahrung hat, arbeitet er selbstständig. Er und Angela heiraten, der älteste Sohn wird geboren. Es geht ihnen gut in Bologna, seine Frau arbeitet für eine Wäschefirma, gemeinsam verdienen sie Ende der 90er-Jahre rund 3.500 Euro im Monat.
Doch das Heimweh nagt. Als sie nach Weihnachten wieder die Fähre in den Norden nehmen, meint er zu seine Frau, wie es denn wäre, hier am Hafen in der Werft zu arbeiten. Sie entscheiden zurückzukehren. 2001 bewirbt er sich bei Fincantieri Palermo und bekommt etwas zu hören, was im Süden Italiens (und nicht nur dort) zum traurigen Standard gehört: »Haben Sie eine Empfehlung?« Salvatore gibt nicht auf, er meldet den Zwischenfall bei der Zentrale des Unternehmens in Triest. Mit Erfolg, doch man fragt ihn auch, ob er denn tatsächlich in Palermo für Fincantieri arbeiten will, die Niederlassung dort sei auf dem absteigenden Ast.
Verheerende Hygienebedingungen
Trotzdem tritt Salvatore seine Arbeit an, zu groß ist der Wunsch, wieder nach Sizilien zu kommen. Die zwei jüngeren Söhne werden geboren. Nach und nach merkt er, worauf er sich eingelassen hat. »Beruflich und menschlich bin ich im Norden erwachsen geworden.« Schon nach 20 Tagen Arbeit bei Fincantieri macht er - zunächst anonym - auf untragbare Verhältnisse aufmerksam: Dort, wo der Schiffsrumpf gebaut wird, herrschen verheerende hygienische Verhältnisse. Theoretisch müssten die Toiletten jede Stunde gereinigt werden. Ein Subunternehmen ist dafür verantwortlich, doch seitdem Fincantieri diesem Unternehmen statt einer Mio. Euro nur noch 700.000 Euro jährlich zahlt, sind die Klos unbenutzbar - die menschlichen Bedürfnisse werden am oder nahe beim Arbeitsplatz erledigt. Die Gesundheit der Arbeiter leidet.
Neben mangelnder Hygiene gibt es viele Sicherheitsprobleme: Ungeeignete Leitern, Löt- und Malereiarbeiten werden ohne die notwendigen Absaugegeräte durchgeführt. Wenn sich ein Arbeiter verletzt, wird ihm nahegelegt, sich aus anderen Ursachen krank zu melden, damit die Sta-tistik geschönt werden kann.
Bedroht und versetzt
2002 explodiert eine Sauerstoffleitung, das schadhafte Teil der Leitung war nicht ersetzt worden, nur mangelhaft repariert. Ein Arbeiter wird schwer verletzt. Zwei Jahre danach stürzt Enzo, Salvatores Kollege und bester Freund, von einer Leiter und stirbt vor seinen Augen. Enzo war verheiratet, seine kleine Tochter war drei Monate alt, als er verunglückte. Salvatores Engagement wird noch intensiver. Er wird bedroht und 2007 wird er von der Werft abgezogen und in das Hafenbecken versetzt, obwohl er nachweislich unter Klaustrophobie leidet, muss er einen Monat unter Tage arbeiten.
Kurz darauf wird er fristlos gekün-digt. Er hatte die illegale Anwesenheit eines Fischerbootes angezeigt, die Betriebsleitung behauptet, er hätte statt zu arbeiten geangelt. Salvatore hat sogar den Beweis, dass er recht hat: wenige Tage später spürt er die Fischer auf, sie geben an, sich dort befunden zu haben. Als er mir seine Geschichte erzählt, zeigt er mir Dokumente und Fotos, die seine Version belegen. Auf den Fotos sind haarsträubende Dinge sind zu sehen, ungesicherte Starkstromkabel ganz nahe an kleinen Wasserpfützen. Kurz vor der Entlassung bietet ihm Fincantieri 25.000 Euro und eine Anstellung in Genua, er weigert sich. Er legt seine Beweise vor, bei einem »Versöhnungstermin« zwischen ihm und Fincantieri beim Arbeitsamt der Provinz Palermo erscheint kein Vertreter von Fincantieri. Das Gericht verhindert zudem die Anwendung des sog. Art. 700, der besagt, dass ein Arbeiter wieder angestellt wird, so lange um die Rechtmäßigkeit der Kündigung gestritten wird.
Salvatore gibt nicht auf. Gemeinsam mit einem Kollegen stellt er ein minutiöses Dossier zusammen, das die unsicheren Arbeitsbedingungen dokumentiert. In Kenntnis der lokalen Praxis des »Unter-den-Tisch-fallen-lassens« legen sie das Dossier zunächst der städtischen Polizei vor und lassen es sich bestätigen. Dann gehen sie zu den Carabinieri und später zur Gesundheitsbehörde. Um ein Zeichen zu setzen, steigt Salvatore im Juni 2008 auf die Säule, die zum Gedenken des von der Mafia ermordeten Staatsanwaltes Giovanni Falcone errichtet worden war. Kurz darauf führen die Behörden erfolgreich eine Razzia bei Fincantieri durch, viele der Sicherheitsmängel werden angezeigt.
Kein Arbeitslosengeld
Die Arbeitskollegen helfen Salvatore moralisch und finanziell, er erhält nämlich keinerlei Arbeitslosengeld. Ein halbes Jahr nach seiner Entlassung, im Dezember 2007, wird er Mitglied des »Rete nazionale per la sicurezza sui posti di lavoro« (Nationales Netzwerk für Sicherheit am Arbeitsplatz). Dieses Netzwerk versucht, Basisgewerkschaften, Betroffene, Hinterbliebenenverbände, lokale Netzwerke und Unterstützer, wie Intellektuelle und Journalisten, zusammenzuführen. Salvatore wird Vertreter für Sizilien.
Salvatore kämpft weiter
Es ist Abend geworden, Salvatore hat mir das Hafenbecken gezeigt, in dem er unter Tage arbeiten musste. Wir fahren beim Haupteingang der Werft vorbei, einige Arbeiter stehen davor, grüßen Salvatore, der Wärter drückt ein Auge zu, »ich habe Verständnis für euer Anliegen«. In den Seitenstraßen gibt es viele Graffitis, »Stellt Salvatore wieder ein«, »Padroni Assassini«.
Sein Kampf geht weiter. Im Sommer bietet ihm Fincantieri 40.000 Euro, damit er seinen Kampf um Wiedereinstellung aufgibt, er lehnt ab. Der Prozess um seine Wiedereinstellung geht erst am 18. Februar 2010 weiter.
Weblink
Solidaritätskampagne (italienisch):
retesicurezzalavorosicilia.blogspot.com/2009/05/campagna-di-solidarieta-al-lavoratore.html
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Haltet durch!
»Haltet durch, solidarisiert euch untereinander«, motivierte Sabine Oberhauser in einer kurzen Ansprache die Studierenden und erntete Jubel und Applaus. Die ÖGB-Vizepräsidentin betonte, dass die BesetzerInnen des Audimax »ein Vorbild für das, was jeder einzelne Mensch machen kann«, seien. Sie meinte weiter: »Wir können zeigen, was geht, wenn die Macht vom Volke ausgeht.«
Die protestierenden Studierenden erhielten auch Unterstützung von Hochschullehrergewerkschaft und PersonalvertreterInnen der Uni Wien. »Die Studierenden haben recht«, heißt es in einer Aussendung. Der Aufstand sei »nur noch eine Frage der Zeit gewesen«. Noch weiter geht der wissenschaftliche Betriebsrat der Universität Wien: Er ersuchte alle Bediensteten, die Forderungen der Studierenden mitzutragen und sie »bei ihren Protestaktionen zu unterstützen«.
Die GewerkschafterInnen unterstützen die Forderungen der Studierenden nach einer De-mokratisierung der Universitäten, genügend und attraktiven Arbeitsplätzen für Lehre und Forschung, leistungsfördernden Studienbedingungen, zeitgemäß ausgestatteten und vor allem ausreichend vielen Hörsälen, Seminarräumen und Labors sowie der Sicherstellung der Studierbarkeit in Mindeststudienzeit.
Wissenschaftsminister Johannes Hahn brauchte am längsten, um auf den Protest zu reagieren und verabschiedete sich dann lieber nach Brüssel. Eine noch von ihm angekündigte Dialogveranstaltung soll am 25. November unter dem Titel »Dialog Hochschulpartnerschaft« in der Aula der Wissenschaften in Wien stattfinden. Rund 50 VertreterInnen der verschiedensten Hochschulpartner werden dazu eingeladen. Seitens der Regierung wird neben Nochminister Hahn Unterrichtsministerin Claudia Schmied teilnehmen. Die protestierenden StudentInnen können VertreterInnen schicken. Währenddessen forderten die Grünen einen parlamentarischen »Gipfel«. In einem Brief an Nationalratspräsidentin Barbara Prammer sprach Bundessprecherin Eva Glawischnig von einem »Gebot der Stunde, seitens der Politik den Dialog mit den Studierenden zu suchen«.
Keine Überraschung
Dabei müsste es diese Überraschung über die Proteste gar nicht geben, denn bereits im Jänner dieses Jahres schrieb die Unikonferenz in einem offenen Brief an über 300.000 Personen, die unmittelbar betroffen sind: »Die uniko hat in den letzten Wochen und Monaten in den Medien mehrfach auf diese drohende Entwicklung hingewiesen und wird die Öffentlichkeit über diese, einer gedeihlichen Entwicklung der Universitäten zuwider laufende Haltung der Bundesregierung vorbehaltlos informieren. Wir fürchten aber, dass diese Information allein nicht ausreicht. Wir bitten Sie daher um Ihre aktive Unterstützung: Sprechen Sie auch selbst mit PolitikerInnen, EntscheidungsträgerInnen und JournalistInnen und zeigen Sie, dass die Finanzierung von Forschung und Lehre ein Anliegen aller Universitätsangehörigen ist, das überdies im Interesse der gesamten Volkswirtschaft, gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, liegt.«
Massive Kritik hagelt es auch seit Jahren von ExpertInnen am neuen Bologna-Studiensystem. Seit zehn Jahren werden europäische Universitäten auf das neue »Bologna-Studiensystem« mit den Abschlüssen Bachelor, Master und PhD (Doktorat) umgestellt. In Österreich werden mittlerweile rund 80 Prozent der Studien in dieser Form angeboten. Derzeit schließen die meisten nach dem Bachelor-Abschluss sofort ein Master-Studium an. Das Studium ist somit bis zum Abschluss einfach aufwendiger geworden. Der Philosoph Konrad Paul Liessmann, Professor an der Uni Wien, bezeichnete das neue Studiensystem als »starren Schematismus, der wie ein Schimmelpilz die europäischen Universitäten überzieht, mit aufgeblähten Verwaltungen, exzessiven Modularisierungen, überflüssigen Akkreditierungen, verwirrenden Zertifizierungen und zahllosen Reglementierungen«.
"Bologna ist wie Coca-Cola"
Liessmann, der sich im Audimax Fragen und Diskussionen der Studierenden stellte, sagte ferner, dass »der Bologna-Prozess, an seinen eigenen Kriterien gemessen, gescheitert ist. Weder begünstigt er Mobilität zwischen europäischen Universitäten, noch macht er das Studium besser und die Studienzeiten sind auch nicht verkürzt. Und für Bachelors siehts in der freien Wirtschaft auch nicht sehr rosig aus, sie werden als zweitrangige Absolventen wahrgenommen.« Patrick Prager, der seit drei Wochen im Audimax die Stellung hält, leitet den Bachelor historisch her: »Diese Bezeichnung bedeutet Fußritter oder auch Edelknecht. Nomen est omen. Das ist symptomatisch für den ganzen Bologna-Prozess. Unter dem Deckmantel der Reform wird aus Bildung Ausbildung, aus selber denken wird nachplappern. Bologna ist wie Coca-Cola: Das wurde dereinst ja auch als Medizin verkauft, heute wissen wir, dass es ganz im Gegenteil Zuckerwasser ist.«
Martin Haiden, ein Bachelor, mittlerweile bei einer überregionalen Tageszeitung als Onli-neredakteur tätig, findet, dass »diese Proteste auf jeden Fall zu unterstützen sind, denn es werden und wurden Versprechungen seitens der Regierungen nicht gehalten, es gibt viel zu wenig Personal, überfüllte Hörsäle und eine Gesprächsverweigerung seitens der Regierung, die scheinbar nicht gecheckt hat, dass die Uni eine Investition in die Zukunft ist«. Er findet es auch gut, wenn sich der ÖGB mit den Studierenden solidarisiert, »aber was tut der ÖGB eigentlich für all die Studierenden, die während des Studiums in prekären Jobs in einer Art Lohnsklaverei gehalten werden? Und ich kenne keinen Studierenden, der nebenher nicht noch ein, zwei Jobs macht, um über die Runden zu kommen. Und dann, mit dem Bachelor, geht das ganz unverändert weiter.« Auf die Zukunft der Universität angesprochen, findet er harte Worte. »Die Unipolitik ist kurzsichtig, zukunftsfeindlich, die wichtigste Ressource des Landes wird leichtfertig verspielt. Angeblich soll der Bachelor praxisnah sein, wie die FHs, ist aber de facto eine Abwertung. Der Bachelor ist gleich Matura plus ein Jahr Zeitung lesen. Aber was soll man von einer Regierung erwarten, deren Kanzler Numerus Klausel, statt Numerus Clausus sagt, und der Vizekanzler die Proteste als Aktionismus verunglimpft? Das spricht doch Bände ...«
Viele AbsolventInnen der Uni Wien haben oft Probleme, adäquate Jobs zu finden, dabei handelt es sich aber nicht nur um AbsolventInnen von sogenannten Orchideenfächern, sondern gerade um Studien wie Publizistik, die sich um gesteigerte Praxisorientierung bemühen.
Generation Praktikum
Ein Betroffener ist Frank Gerharter, einer der ersten Absolventen der neuen Studienordnung: »Es gibt immer jemanden, der billiger arbeitet, das heißt, die Arbeitgeber drücken den Lohn und die Arbeitsbedingungen. Man erledigt also als Praktikant um 500 Euro einen Vollzeitjob um 1.500 Euro ohne jegliche arbeitsrechtliche Versicherung. Und braucht noch einen Zweitjob, z. B. in der Gastronomie, um über die Runden zu kommen. Früher hieß der Magistertitel, dass man Meister seines Faches ist, während man sich heute die von der ›Wirtschaft‹ eingeforderten, extra zu bezahlenden, aber um nichts besseren als die früher von der Uni angebotenen, Zusatzqualifikationen wie Orden an die Brust heften muss.«
Weblink
Protesthomepage:
unsereuni.at
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Das Waldviertel?
»Die Region gilt als strukturschwach, wirtschaftlich benachteiligt, wegen der Grenze, sagt man: Vor 1989, weil sie geschlossen war, danach, weil sie offen ist. Dabei war es seit mindestens 200 Jahren die Abhängigkeit von Zentralräumen, die das Waldviertel schwächte und es immer noch tut«, schreibt Karl A. Immervoll, seit 1983 Betriebsseelsorger im Oberen Waldviertel in einem Aufsatz.
Die Zahlen sind alarmierend: Von den vier Bezirken Niederösterreichs mit stärkstem Anstieg an vorgemerkten Arbeitslosen des Monats September liegen drei im Waldviertel: Gmünd (+24,8 Prozent), Zwettl (+13,7 Prozent) und Waidhofen/Thaya (+12,8 Prozent). »Die 1.800 neuen Arbeitsplätze, die für das Waldviertel in den letzten zwei Jahren zusätzlich geschaffen worden sind, gibt es nicht«, kommentierte der SP-Bundesrat Karl Boden die Situation. Es seien statistische Zahlenspielereien. Die Einkommen der Region liegen unter dem niederösterreichischen Durchschnitt, weitere Abwanderungswellen sind nicht auszuschließen.
»Für das Waldviertel als periphere Region Österreichs können mehrere Probleme konstatiert werden«, heißt es in der Studie der AK-Niederösterreich »Waldviertel: Alles gleich, oder doch verschieden?«, die Ende Oktober in Schrems vorgestellt wurde. Eines der zentralsten Themen ist der Bevölkerungsrückgang, der seit 1951 zu verzeichnen ist. »Vor allem Perspektivenlosigkeit als Kombination aus mangelnden Jobaussichten und Ausbildungsmöglichkeiten haben zu diesem Schwund geführt«, konstatiert Studienautor Jürgen Figerl.
Regionalwährung
Im Korb des Pfarrcafés, das nach der Sonntagsmesse in Heidenreichstein veranstaltet wird, liegen Münzen, Euroscheine und lila und grüne Scheine: »Der Waldviertler«. Im Jänner 2005 war die Regionalwährung von einer kleinen Gruppe engagierter Waldviertler, darunter der Betriebsseelsorger Karl A. Immervoll und der nunmehrige Betreiber der Schuhfabrik Gea in Schrems, Heini Staudinger, ins Leben gerufen worden. Derzeit werden neue Scheine gedruckt, Zentrum der Neuauflage ist Heidenreichstein, wo an der lokalen Volksbank die Rechengeschäfte abgewickelt werden. Die Idee dahinter: Das Abfließen des Geldes zu verhindern und die lokale Wirtschaft zu fördern. Ähnlich wie im Tiroler Wörgl 1932 die Krise durch das »Freigeld« erfolgreich bekämpft werden konnte, hofft man auch in Heidenreichstein, mit dem Gutscheinsystem das Monopol des herrschenden Geldes zu brechen.
Ausbeutung
»Ich behaupte: Das Waldviertel wird systematisch beraubt«, sagt Karl A. Immervoll, der vom Orgelspiel während der Messe ins Pfarrcafé kommt. »Als erstes geht das Geld weg, als zweites die Arbeitsplätze und als drittes die Leute.«
Verstärkt wird diese Tendenz durch die Konzernbetriebe und Großmärkte. Nach einer vorsichtigen Kalkulation bedeutet das für eine Kleinstadt wie Heidenreichstein (mit knapp 5.000 EinwohnerInnen) und deren Umland jährlich mindestens zwölf Mio. Euro, Geld, das nicht annähernd zurückfließt, meint Karl A. Immervoll.
Auffallend ist die hohe Anzahl der geringfügig Beschäftigten in Horn, vermerkt die erwähnte AK-Studie. Warum gerade hier? »Weil es in Horn ein riesiges Einkaufszentrum gibt«, sagt Karl A. Immervoll. »Wo alle aus dem Waldviertel hinfahren. Riesige Mengen an Geld werden hingetragen, ohne dass Arbeitsplätze entstehen.« Auch die verkauften Produkte kommen nicht aus der Region.
»Was derzeit durch die Mechanismen der neoliberalen Markwirtschaft dem Waldviertel täglich an Geld verloren geht, kann niemals durch Förderungen ausgeglichen werden«, meint der Pastoralassistent, der mit Arbeitslosen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen in der Region viele Projekte initiiert hat, von der Eggenburger Lehrwerkstätte, der Heidenreichsteiner Arche bis zu Waldviertel: Arbeit und Integration. In den 27 Jahren seiner Arbeit im Oberen Waldviertel sind so mehr Arbeitsplätze entstanden als etwa in einem mittleren Betrieb.
Hier ticken die Uhren anders
So zum Beispiel die Schuhfabrik Gea in Schrems, die vor 25 Jahren mit Fördermitteln des damaligen Sozialministers Alfred Dallinger als Initiative für Arbeitslose entstanden war. Die hier produzierten Schuhe haben »10.000 Kilometergarantie«. »Eines Tages werden wir merken, dass Arbeit und gute Produkte einen realen Nutzen und einen Wert haben«, sagt der alternative Unternehmer Heini Staudinger. Zusammengearbeitet wird mit Firmen in Tschechien und Ungarn. Rund zwei Drittel der Arbeit an einem Schuh werden im Waldviertel geleistet.
Die Schuhwerkstatt ist eine der vielen Initiativen aus der »Blütezeit« des Waldviertels, den 80er-Jahren. »Autobusweise sind damals die Leute hergekommen, um die vielen Sozialinitiativen kennenzulernen. Hier gab es die ersten Berufsorientierungskurse, die ersten Ar-beitsloseninitiativen und die ersten Selbstverwaltungsbetriebe, erinnert sich Karl A. Immervoll.
Derzeit wird von der Betriebsseelsorge Oberes Waldviertel in Zusammenarbeit mit ÖGB und AK unter dem Titel »Was möchtest du von Herzen gerne tun?« eine neue Aktion gestartet. »Denn ich erlebe, dass die Arbeitslosen bemüht sind, einen Arbeitsplatz zu finden, koste es was es wolle. Bei vielen müsste man aber sagen: Vergiss es, du bekommst keinen Arbeitsplatz in dem System.« Vor allem Menschen mit einfacherer Bildung fallen heraus. »Dabei sind das Menschen mit Fähigkeiten, die so verloren gehen«, sagt Karl A. Immervoll. So haben etwa sämtliche Vereine im Waldviertel mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen. »Aber wer wird sich ehrenamtlich engagieren, wenn er sich die Existenz nicht leisten kann?«
Im Waldviertel ticken die Uhren anders: In Zeiten der Hochkonjunktur wird es als letztes, in Zeiten der Krise als erstes erfasst. Interessant, so belegt die Studie der AK-Niederösterreich, dass sogar in früheren, konjunkturell guten Zeiten (2005 bis 2007) in der Region Gmünd und Waidhofen an der Thaya die sogenannten Stellenandrangziffern gestiegen waren. Die Arbeitslosenquote in den beiden Bezirken war im Zeitraum 2000 bis 2008 um zwei bis drei Prozentpunkte höher als in Restniederösterreich.
Seit Anfang September gibt es in der Region einen mobilen Sozialmarkt. Als politisches Programm etwas dürftig, meinen die Leute aus der Umgebung.
Ein gutes Leben ist möglich
Im Oberen Waldviertel wird es demnächst nicht nur die neu gedruckten Scheine der Waldviertler Regionalwährung mit dem Slogan »Ein gutes Leben ist möglich« geben. Mit einer eigenen Netzwerkstatt sollen die einzelnen Initiativen noch besser miteinander kommunizieren.
Arbeitsmarkt öffnen
Mit einem Pilotprojekt, das von der Fachhochschule St. Pölten begleitet wird, soll ein soziales Netzwerk entstehen, um die von Arbeitslosigkeit und Armut bedrohten Familien zu stützen.
Ganz dringend bedürfe es einer Öffnung des Arbeitsmarktes für Bereiche, die nicht dem ökonomischen Zwang unterworfen sind, meint Karl A. Immervoll. »Denn der sogenannte erste Arbeitsmarkt hat weder die Kapazität noch den Willen, für alle Platz zu machen.«
Weblinks
Studie der AK-Niederösterreich über die aktuelle Situation im Waldviertel:
noe.arbeiterkammer.at/online/waldviertel-51027.html
Waldviertler Alternativen
www.waldviertler-alternativen.at
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Rudolf Kaske: Natürlich geht es uns besser als manch anderen europäischen Ländern - trotzdem besteht kein Grund zum Jubeln. Vergleiche mit Deutschland oder Spanien interessieren vielleicht die Politik, die Arbeitslosen hierzulande weniger, sie bleiben ja trotzdem weiter arbeitslos. Und jetzt wo der Winter vor der Türe steht, haben wir natürlich berechtigte Sorge, dass die Arbeitslosigkeit in den bekannten Branchen wieder steigt. Im Tourismus und am Bau gibt es immer Wellenbewegungen.
Wir haben gerade jetzt die Oktoberzahlen zum Tourismus bekommen. Da stellen wir fest, dass knapp 44.000 Menschen arbeitslos sind. Das bedeutet eine Zunahme von 8,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Wir wissen auch, dass aufgrund der engen Finanzlage viele Bauvorhaben derzeit noch nicht realisiert werden. Das bedeutet, dass die Winterarbeitslosigkeit zusätzlich steigt.
Die Situation der KollegInnen im industriellen Bereich ist nach wie vor angespannt - Mitte November waren 37.140 ArbeitnehmerInnen in Kurzarbeit. Und wöchentlich erreichen uns Hiobsbotschaften wie der Quelle-Konkurs, von dem in Österreich 1.100 MitarbeiterInnen betroffen sind. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf den Dienstleistungsbereich - mittel- bis langfristig, das betrifft nicht nur den Tourismus, sondern auch den Handel. Man hört ja bereits erste Prognosen zum Weihnachtsgeschäft: Die Wirtschaftskammer geht von einer »schwarzen Null« aus. Schauen wir einmal - abgerechnet wird nach Weihnachten.
Ich glaube aber, dass die Sorge der Menschen steigt - das macht sich auch bemerkbar im Arbeitsklimaindex der AK Oberösterreich: Sorge um den Arbeitsplatz und Angst vor Ar-beitslosigkeit. Das ist nicht unberechtigt. Auch wenn wir im internationalen Vergleich gut dastehen, ist mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit zu rechnen. Das sage nicht ich, das sagen die ForscherInnen von Synthesis. Laut deren Untersuchung werden wir wahrscheinlich 2010 mit der höchsten Arbeitslosenrate seit 1953 konfrontiert sein. Das heißt also rund 400.000 Erwerbsarbeitslose.
Du betonst »erwerbsarbeitslos«?
Mir gefällt der Begriff erwerbslos eigentlich wesentlich besser, weil er umfassender ist. Die Menschen arbeiten ja in der Familie, freiwillige Arbeit etc.
Im Jahr 2008 hatten wir ca. 3,3 bis 3,4 Mio. unselbstständig Erwerbstätige. Wenn ich den sogenannten öffentlichen Dienstleistungbereich wegrechne, kann man sagen, dass eigentlich nach Köpfen gerechnet, und nicht nach Durchschnitt, jeder Dritte zumindest einmal einen Tag im Jahr arbeitslos war. Es waren ca. 800.000 Menschen, die zumindest einmal im Jahr arbeitslos waren. Berechne ich es mittels der Beschäftigungsverhältnisse, so waren es sogar 1,1 Mio. Beschäftigungsverhältnisse. Manche Menschen haben bzw. brauchen ja mehr als ein Beschäftigungsverhältnis, um über die Runden zu kommen. Das ist eine erschreckende Zahl, wenn man Industrie, Handel und Dienstleistung hernimmt. Da haben nicht nur ein paar einfach Pech gehabt, sondern jede/r Dritte. Das ist eine dramatische Entwicklung.
Auch finanziell gesehen …
Wir haben ja ein gutes Sozialversicherungssystem, das sich in den vergangenen Jahren auch dank der Gewerkschaften gut entwickelt hat. Aber wir müssen dieses System auch armutsfest machen. Der ÖGB wird gemeinsam mit den Gewerkschaften am 23. November eine Initiative zur Erhöhung des Arbeitslosengeldes starten. Da geht es um eine Erhöhung der Nettoersatzrate, die derzeit bei 55 Prozent liegt, im EU-Schnitt sind es 64 Prozent. Das Arbeitslosengeld muss auf EU-Niveau angehoben werden, in einem ersten Schritt muss eine Erhöhung auf 60 Prozent erfolgen. Jeder kann sich ausrechnen, dass man mit 55 Prozent eines mittleren bzw. kleineren Einkommens nur schwer oder nicht über die Runden kommt. Da müssen wir eine Überbrückung schaffen, die verhindert, dass Menschen in die Armutsfalle geraten.
Aus ähnlichen Gründen setzt sich der ÖGB für die Mindestsicherung ein. Nun fragen manche - z. B. in der Wirtschaftskammer - wer soll das bezahlen?
Dazu möchte ich anmerken, dass es eigentlich kaum Diskussionen über die Bankenpakete oder Konjunkturpakete gegeben hat. Da kann ich es nicht gelten lassen, dass es heißt, wir können uns Arbeitsmarktpakete nicht leisten. Ganz offen: Vorschläge unseres Herrn Finanzministers à la Transferkonto schüren nur Neid. Man weiß doch, was an Sozialleistungen ausgegeben wird. Außerdem möchte ich betonen, dass sich z. B. im Pensionssystem die ArbeitnehmerInnen 90 Prozent ihrer Pension selbst finanzieren. Dem gegenüber stehen die Pensionen der Bauern und UnternehmerInnen, die sich nur zu 40 Prozent selbst finanzieren. Da bleibt die Frage der Verteilungsgerechtigkeit ein spannendes Thema, daher lasse ich solche Argumente nicht gelten. Noch dazu, wo wir ja immer gerne stolz darauf hinweisen, dass wir eines der reichsten Länder dieser Welt sind. Abgesehen davon, dass Sozialleistungen, Arbeitslosengeld, Pensionen auch eine konjunkturelle Stütze sind. Denn es ist nachgewiesen, dass gerade dieses Geld - notgedrungen - gleich wieder in den Konsum fließt - darüber sollte die Wirtschaft eigentlich froh sein.
Im Zuge der Krise sind viele Arbeitsplätze verschwunden, Unternehmen sind in Konkurs gegangen, abgewandert, etc. Was tut man mit den Menschen?
Das ist eine der großen Herausforderungen der näheren Zukunft. Allein im Automobilzuliefererbereich schätzen ExpertInnen, dass rund 30.000 Arbeitsplätze verloren gehen, die nie wieder kommen werden. Der Schlüssel für die Zukunft dieser ArbeitnehmerInnen ist Qualifikation. Hier muss Geld vom Staat in die Hand genommen werden für Qualifizierungsoffensiven und Arbeitsstiftungen, wie z. B. bei Quelle. Die Menschen müssen schnell wieder fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden, um Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Das wird nicht einfach in den nächsten Jahren.
Die Qualifizierungsmaßnahmen des AMS werden häufig kritisiert. Wie sinnvoll ist es, wenn Menschen immer wieder in die gleichen Maßnahmen geschickt werden?
Diese Anwürfe höre ich immer wieder. Ich finde es auch nicht wünschenswert, dass jemand fünfmal in eine Maßnahme »Wie bewerbe ich mich richtig« geschickt wird. Davon halte ich nichts. Das abzustellen ist auch ein erklärtes Ziel der ArbeitnehmerInnenvertretung im AMS-Verwaltungsrat. Der Punkt ist aber, dass manche Maßnahmen, die nachhaltig wirken sollen - und das wollen wir - mehr Geld kosten. Das AMS hat zwar jetzt ein wenig mehr an finanzieller Zuwendung von der Bundesregierung bekommen, gleichzeitig hat uns aber die Arbeitslosigkeit wie eine Welle überschwappt. Ich glaube, dass man, wenn man effektivere, nachhaltige Maßnahmen will, mehr Geld in die Hand nehmen muss. Und das fordern wir auch. Mit den vorhandenen finanziellen Mitteln, aber auch mit den Personalressourcen im AMS wird das nicht zu bewerkstelligen sein. Da muss man sich nur Deutschland oder die skandinavischen Länder anschauen - dort wird ein Vielfaches an BeraterInnen und TrainerInnen eingesetzt. Der Schlüssel zu effektiver Arbeitsmarktpolitik liegt in der Qualität und der Nachhaltigkeit.
Was könnten denn sinnvolle, nachhaltige Qualifizierungsmaßnahmen sein?
Wir stehen in unserer Gesellschaft vor spannenden Herausforderungen. Eines meiner Lieblingsthemen ist die Generationenfrage: Wir werden - und das ist gut so - immer älter. Heute haben wir, wie bekannt, 300.000 80-Jährige, 2050 werden das geschätzt eine Million sein. Das heißt natürlich nicht, dass wir dann den dreifachen Betreuungsbedarf haben werden, aber er wird in etwa doppelt so groß sein wie heute. Die Gesellschaft hat sich geändert, früher hat die Betreuung vor allem in der Familie stattgefunden, heute geht man von professioneller Betreuung aus. Hier entsteht ein Bedarf, der gedeckt werden muss - dafür müssen aber auch die Mittel bereitgestellt werden. Das heißt einerseits Qualifizierungen und Schulungen, die finanziert werden müssen. Andererseits muss es auch darum gehen, den Vereinen und Institutionen, die die Betreuung anbieten, ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen, dass sie ihr Personal anstellen und fair bezahlen können. Gerade der überaus wichtige Pflegebereich soll keine Fluchtbranche werden mit schlechten Arbeitsbedingungen und ebensolcher Entlohnung.
Ein Problemfeld sind auch ältere ArbeitnehmerInnen, die sich ja besonders schwer tun, einen neuen Job zu finden.
Heute werden schon 45- bis 50-Jährige zum alten Eisen gezählt und gar nicht einmal so selten wird versucht, die KollegInnen mit den verschiedensten Methoden - z. B. Mobbing - los zu werden. Da muss die Wirtschaft umdenken. Neben Leistung müssen auch Know-how, Erfahrung und Wissen zählen. Da sind die Unternehmen gefragt, Ältere müssen länger beschäftigt werden.
Wenn die Älteren länger beschäftigt werden, was ist dann mit den Jungen, die auf den Arbeitsmarkt streben?
Natürlich ist es extrem wichtig, die jungen Menschen am Arbeitsmarkt zu integrieren - Stichwort: Ausbildungsgarantie. Denn wenn das Arbeitsleben mit Arbeitslosigkeit beginnt ist das politscher Sprengstoff. Aber Erfahrung muss auch etwas wert sein. Ich bin mir sicher, dass es gelingen kann, den Bogen zu spannen zwischen ausreichenden Ausbildungsplätzen für die Jungen, ohne die Älteren vom Arbeitsmarkt zu verdrängen.
Du kommst ursprünglich aus der Tourismusbranche, in der es ausreichend Arbeitsplätze für die Jugend gäbe. Die wollen aber nicht. Und so finden sich in den Tourismusregionen immer mehr Lehrlinge aus den neuen deutschen Bundesländern.
Die Situation der Jugendlichen in Thüringen etwa und in Österreich kann man nicht vergleichen. Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit im Osten der Bundesrepublik gilt dort bereits seit Jahren das Motto: Besser einen schlecht bezahlten Job in Österreich als gar keinen daheim. In den neuen Bundesländern beträgt die Jugendarbeitslosigkeit in manchen Landstrichen bis zu 50 Prozent. Da geht es um eine Chance zur Ausbildung, die es dort gar nicht gibt. In Österreich schaut das anders aus. Hier sind Tourismusausbildungsplätze für viele junge Menschen nicht erste, sondern dritte oder vierte Wahl. Das hat mehrere Gründe: Die Ausbildungsqualität ist im Tourismus in einigen Betrieben ein Problem, das spricht sich herum. Dann steht der Tourismus in Konkurrenz mit anderen Branchen, in denen es überschaubare Ausbildungsbedingungen gibt. Im Tourismus gibt es oft Dienstplanprobleme, d. h. die ArbeitnehmerInnen wissen oft nicht, wie ihre Wochenarbeitszeit aussieht, geschweige denn die Monatsarbeitszeit und können auch Urlaube etc. oft nur sehr schwer planen. Es ist leider auch noch immer so, dass es in dieser Branche doch einige ArbeitgeberInnen gibt, die in ihren MitarbeiterInnen moderne Lohnsklaven sehen.
Warst du selbst jemals erwerbsarbeitslos?
Ich habe das Glück, dass meine Berufslaufbahn in den goldenen 1970ern begann. Das war die Zeit von Bruno Kreisky, der ja gesagt hat, dass ihm ein paar Milliarden Schulden weniger schlaflose Nächte bereiten als ein paar Hunderttausend Arbeitslose. Davon habe eben auch ich profitiert. Ich war in meinem Berufsleben noch keinen Tag arbeitslos, vermisse es aber nicht. Ich habe in meiner Familie und im Freundeskreis aber Arbeitslosigkeit in unterschiedlicher Ausformung kennengelernt. Ich weiß, wie schlimm das für die Menschen ist, wie sehr es psychisch belastet. Die Betroffenen fühlen sich aus der Gesellschaft ausgeschlossen. So hat ein Verwandter seiner Familie längere Zeit verschwiegen, dass er seinen Job verloren hat und ist jeden Tag wie gewohnt aus dem Haus gegangen. Arbeitslosigkeit kann krank machen. Es ist eine schwierige Erfahrung, die leider immer mehr Menschen machen müssen.
Der ÖGB hat sich ja nicht immer auch um Arbeitslose gekümmert.
In den vergangenen Jahren gab es ein notwendiges Umdenken. Wir sind nicht nur eine Organisation der ArbeitsplatzbesitzerInnen, wir müssen uns auch um jene kümmern, die erwerbslos sind.
Wir danken für das Gespräch.
Zur Person
Rudolf Kaske
vida-Vorsitzender und Vorsitzender der vida-Sektion Private Dienstleistungen Geboren: 22. Mai 1955 in Wien
1970-1973: Kochlehre im Hotel Intercontinental, Jungkoch
1970-1974: Jugendvertrauensrat im Hotel Intercontinental
1995-2006: Vorsitzender der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, Persönlicher Dienst
Mitglied des Verwaltungsrates und Präsidiums des AMS, Kammerrat der AK Wien
Seit 2003 stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB)
Weblink
Gewerkschaft vida:
www.vida.at
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Datenquellen: EUROSTAT, lfd. Monat;
Anm.: Der Harmonisierte VPI ist der zentrale Indikator für die Währungspolitik
der EZB. Er stellt auch die beste statistische Basis für internationale
Vergleiche unter europäischem Gesichtspunkt dar.
EWU = Europäische Währungsunion; EWR = Europäischer Wirtschaftsraum.
Die Schweiz berechnet seit Jänner 2008 einen HVPI.
r = revidiert; p = vorläufig;
Nachbesserungen
Die Nachbesserungen betreffen neue Bestimmungen zum Verfahrensrecht bei künftigen EBR-Gründungen, zusätzliche Vorgaben über Inhalte, die nun in einer EBR-Vereinbarung enthalten sein müssen. Weiters wurde die Stellung der ArbeitnehmerInnenvertretungen und Gewerkschaften verbessert, Klarstellungen hinsichtlich der Definitionen zur zeitgerechten Information und transnationalen Anhörung getroffen und erweiterte Grundlagen geschaffen, um die Arbeit im EBR effektiver zu gestalten. Eine neue Anpassungsklausel für bestehende EBR-Gremien bei Fusionen und Strukturänderungen im Konzern runden die Neuerungen im EBR-Recht ab.
So weit, so gut: Die nachgebesserte Rechtsgrundlage ist noch lange kein Garant für eine bessere Praxis. Es liegt nun gewissermaßen ein neuer Werkzeugkasten mit nachjustierten Instrumenten vor. Es liegt nun an den Euro-BetriebsrätInnen selbst, diese in Kooperation mit den Gewerkschaften aktiv zu nutzen.
Handeln im Konzern
Alle bisherigen Erfahrungen zeigen, dass der Auf- und Ausbau der Kooperation innerhalb des EBR in der Praxis ein anspruchsvolleres Projekt darstellt. Sorgfältige Vorbereitung, intensive Zusammenarbeit, viel Kommunikation und eine gehörige Portion Engagement waren stets notwendig, um die Möglichkeiten im EU-Recht für die Belegschaften in multinationalen Konzernen auch in einer länderübergreifenden ArbeitnehmerInnenvertretung zu nutzen.
Damit der EBR eine faktische Rolle bei der Unternehmensführung einnehmen und effektiv arbeiten kann, müssen Voraussetzungen erfüllt sein, die nicht von einem auf den anderen Tag gelegt werden können. Dazu zählt die Schaffung kontinuierlicher und intakter Kommunikations- und Vertrauensbeziehungen zwischen Belegschafts- und Gewerkschaftsvertretungen aus den unterschiedlichen Ländern. Dazu zählt die Herstellung entsprechender Verbindlichkeiten mit dem Management hinsichtlich konkreter Abläufe, wie die vereinbarte transnationale Information und Anhörung im Unternehmen gelebt wird. Sich mit KollegInnen anderer Muttersprache möglichst unkompliziert austauschen zu können und mehr, muss gelernt werden.
Jeder EBR durchläuft eine Entwicklungsphase, die manchmal mehr, manchmal weniger Zeit beansprucht. Kein EBR gleicht in der Praxis einem anderen. Zu unterschiedlich sind die Unternehmensstrukturen und -kulturen. Es gibt in diesem Sinn auch kein »Patentrezept« für eine erfolgreiche Arbeitsweise. Jeder EBR hat seine eigene Geschichte. Die Entfaltung seiner Potenziale ist keine Selbstverständlichkeit und bedingt eine aktive Herangehensweise. Eine engagierte Führung im EBR mit kompetentem Vorsitz und funktionierendem Leitungsgremium ist ebenso gefragt, wie die Sicherstellung des notwendigen materiellen Supports im Unternehmen wie auch der sachverständigen Unterstützung von gewerkschaftlicher Seite.
Gelingt es dabei nicht, dem EBR »wirkliches Leben« und interessenpolitische Dynamik »einzuhauchen«, so kann es geschehen, dass er auch nach Jahren immer noch auf dem Niveau eines rein »symbolischen« oder »passiven« EBR verharrt, der in der Praxis weit unter den Anforderungen, Rechten und Möglichkeiten selbst der elementaren Mindeststandards der EU-Richtlinie verbleibt. Die Unternehmensleitungen haben in solchen Fällen leichtes Spiel, den EBR an den Rand des Geschehens zu rücken und ihn von den in der Richtlinie explizit formulierten Zielen einer geregelten Information und Konsultation fernzuhalten.
Aus- und Weiterbildung
Ziel muss es sein, den EBR möglichst rasch in die Lage zu versetzen, einen spürbaren interessenpolitischen »europäischen Mehrwert« zu produzieren. Dies geschieht nur, wenn mit entsprechender Sorgfalt, zugleich aber auch mit der notwendigen Konsequenz und Beharrlichkeit an die Entwicklung einer guten Praxis im EBR herangegangen wird. Dem EBR müssen genügend Zeit und entsprechende Ressourcen zur Verfügung stehen, damit er sein Mandat effizient ausüben und die dafür notwendige internationale Vernetzung auch schaffen kann.
Die EBR-Mitgliedschaft bringt in diesem Sinn vielfältige und anspruchsvolle Anforderungen mit sich. Die Gewerkschaften können hier Ressourcen, Sachverstand und Unterstützung anbieten. Bewährtes Know-how für die Betriebsratsarbeit »zu Hause« reicht für europäische Interessenvertretung nicht immer aus. EBR-Arbeit unterscheidet sich in vielen Aspekten von der gewohnten Betriebsratsarbeit:
Wichtig für den EBR
Dazu zählen u. a.:Kenntnis der landesspezifischen Gewerkschafts- und Mitwirkungsrechte in der EU; Weiterbildung in wirtschaftlichen und sozialpolitischen EU-Themen; Überblick zu Arbeitsbedingungen in unterschiedlichen Standorten des Konzerns; Arbeitstechniken im EBR und Kenntnisse moderner Kommunikationstechniken sowie soziale Kompetenzen und Management der Interkulturalität im EBR.
Vor dem skizzierten Hintergrund hat die GPA-djp ihre EBR-Bildung und Unterstützung mit neuen Angeboten konzipiert. Das Herzstück dabei ist eine Weiterbildungs-, Coaching- und Vernetzungsplattform für EBR-Mitglieder. Dafür wurden maßgeschneiderte Angebote der GPA-djp entwickelt:
EBR-Biennale als Höhepunkt
Das erste Bildungs- und Vernetzungsforum stand unter dem Motto »Der Euro-Betriebsrat bei Umstrukturierungen und Veränderungen im Konzern«. Als nächstes auf der Tagesordnung: »Die EBR-Organisation organisieren: Entwicklung des EBR zu einem effizient arbeitenden Team als mitgestaltender Akteur im Konzern«. - Höhepunkt dieses EBR-Netzwerks in der GPA-djp wird die alle zwei Jahre stattfindende EBR-Biennale, eine zweitägige Top-Level-Konferenz für EBR-Mitglieder sein. Dabei auf der Agenda: »Gewerkschaftliche Kulturen zwischen Kooperation und Konkurrenz in anderen Ländern kennen- und verstehen lernen«.
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Trainings- und Beratungsnetz:
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Einig im Befund
Der Sozialpartnerbeirat für Wirtschafts- und Sozialfragen hat in den vergangenen Monaten unter dem Titel »Wege aus der Krise« umfassende Vorschläge zur Reform der Finanzmärkte erarbeitet. In der Analyse der Ursachen der Krise sind sich die Sozialpartner ebenso einig wie bei den Maßnahmen, die nun folgen müssen. Entfesselte, unregulierte Finanzmärkte haben den Crash verursacht - Gegenmittel können daher nur strengere Regeln und bessere, europaweit koordinierte Kontrolle sein.
Die Sozialpartner schlagen Maßnahmen vor, die in zwei Richtungen gehen: Die Krankheit behandeln und künftige Ausbrüche verhindern. »Mit einem Bild aus der Medizin ausgedrückt, laboriert die Wirtschaft an einer schweren Lungenentzündung und hat dagegen Antibiotika bekommen«, sagte WKO-Präsident Christoph Leitl in Bad Ischl. »Es ist wichtig, die Medikamentierung nicht vorzeitig abzusetzen, sprich Maßnahmen zur Überwindung der Krise nicht frühzeitig einzustellen. Das birgt die Gefahr eines enormen Rückfalles in sich.«
Auch ÖGB-Präsident Erich Foglar warnte davor, sich zu früh zurückzulehnen: »Die positiven Effekte der Konjunktur-, Arbeitsmarkt- und Bankenpakete wären zunichte gemacht, wenn wir zu früh wieder mit dem Sparen beginnen.« Die Hauptleidtragenden wären die ArbeitnehmerInnen, die für die Krise am allerwenigsten können. Foglar sieht die Talsohle der Krise erreicht, es stehe allerdings noch ein sehr schweres Jahr 2010 bevor, in dem mit weiter steigender Arbeitslosigkeit und sinkender Beschäftigung zu rechnen sei.
Nach der Krise darf es keine Rückkehr zum Status quo geben, sonst steuert die Welt auf die nächste Krise zu, konstatieren die Sozialpartner. »Es handelt sich nicht um einen Betriebsunfall, sondern um einen Systemfehler«, sagte Foglar und forderte mehr Verantwortung im Finanzsektor ein: »Es geht um Stabilisierung, Regulierung und verbesserte Kontrollinstanzen. Der Finanzsektor muss sich wieder auf seinen Kernbereich konzentrieren: Finanzieren statt Spekulieren.« Gertrude Tumpel-Gugerell, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB), teilte die Grundauffassung der Sozialpartner, dass es keinesfalls eine Rückkehr zum Zustand vor der Krise geben dürfe: »Es ist wichtig, die Krise zu überwinden, es ist aber auch nötig, alles dafür zu tun, dass eine solche Krise nicht mehr eintreten kann.« Die Reformen zur Stabilisierung des Finanzmarktes, die die G-20 beschlossen haben, müssten nun in die tägliche Praxis umgesetzt werden - »nicht verzögert und nicht verwässert«.
Der Bad Ischler Dialog ist auch ein Forum für ExpertInnen. Dabei gingen die Meinungen über den aktuellen Statuts der Weltwirtschaft doch ein wenig auseinander. »Die aktuelle Krise ist vorbei, wir sind am Boden angekommen, ein weiteres Abfallen ist nicht zu befürchten«, meinte Henning Klodt vom Institut für Weltwirtschaft. Er räumte allerdings ein, dass die Gefahr der nächsten Krise überhaupt nicht gebannt sei. Für Karl Pichelmann, Generaldirektor der EU-Finanzdirektion, ist die Freude, dass der Wirtschaftsabschwung zu Ende ist, bescheiden. »Wir sind ziemlich hart aufgeschlagen.« Auch jetzt sei kein steiler Wachstumspfad zu erwarten, sondern eine »Wellblechkonjunktur«, also immer wieder kurze Phasen des Aufschwungs, auf die wieder solche des Abschwungs folgen würden.
Mit Migration gegensteuern
»Eine Verschlechterung auf dem Arbeitsmarkt geht immer sehr schnell, eine Verbesserung immer nur schleppend«, sagte Michael Landesmann vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Erschwerend kommt dazu, dass nun langsam eine Phase kommt, in der auch die Bevölkerungsentwicklung stark wirkt. Hier muss, so Landesmann, migrationspolitisch gegengesteuert werden.
Den traditionellen Abschluss des Bad Ischler Dialogs der Sozialpartner machen die GeneralsekretärInnen von ÖGB, AK, WKO und Landwirtschaft. »Für die Menschen bedeutet die Krise Arbeitslosigkeit, weniger Einkommen, auch Spekulationsverluste bei Privatpensionen, Zukunftsängste und Entsolidarisierung - ihnen wird bei aller Notwendigkeit eine europäische Ratingagentur im täglichen Leben ziemlich egal sein«, sagte der Leitende Sekretär des ÖGB, Bernhard Achitz. »Wir haben schon viel für die Menschen erreicht, von Arbeitsmarkt- und Konjunkturpaketen bis zu Steuersenkungen. Aber wir dürfen hier nicht nachlassen.« Auch für AK-Direktor Werner Muhm wird die Arbeitsmarktpolitik eine zentrale Herausforderung der nächsten Zeit. Dabei würden nicht alle am gleichen Strang ziehen, kritisierte Muhm vor allem die Industrie, die die Ausbildungsplätze für junge Menschen um 40 Prozent zurückgeschraubt hat. Dabei hat die Wirtschaftspolitik gerade für die Industrie am meisten gemacht, darunter Gruppenbesteuerung, Köst-Senkung oder Forschungsförderung. Ein »ungeheures Ungleichgewicht«, das beseitig werden muss.
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Sozialstaat Opfer der Krise
Aus der Studie geht eindeutig hervor, dass die Einkommenssituation der Haushalte mit niedrigem Einkommen durch verschiedene Staatsausgaben - insbesondere Sozialausgaben - wesentlich verbessert wird. Ohne staatliche Hilfe würde das untere Einkommensdrittel der Haushalte nur 14 Prozent der (entsprechenden) Markteinkommen erzielen, aber durch die staatliche Umverteilung verfügen sie über 23 Prozent der Einkommen. Viele dieser Haushalte mit niedrigen Verdienstchancen sind zu einem großen Teil von diesen staatlichen Leistungen - Geld und Sachleistungen! - abhängig. Das zeigt sich auch anhand von Daten zur Armutsgefährdung in Österreich: Wären durch die »Verteilungsgerechtigkeit des Marktes« vier von zehn Menschen armutsgefährdet, so ist es real - also nach staatlicher Intervention - nur noch einer.
Der Sozialstaat ist ein Opfer der Wirtschaftskrise, da die Einnahmen (Steuern, Sozialversicherungsbeiträge etc.) im Gleichklang mit der Wirtschaft schrumpfen, aber gleichzeitig auf der Ausgabenseite die Zahl der LeistungsbezieherInnen und die Ausgabenerfordernisse steigen (z. B. durch stark gestiegene Arbeitslosigkeit). Jetzt nur die »TäterInnen« (internationales Finanzsystem, so mancher realwirtschaftlicher Konzern) zu unterstützen und beim »Opfer« den Sparstift anzusetzen wäre geradezu absurd. Es wäre aber auch ein schwerer sozial- und wirtschaftspolitischer Fehler, da Leistungen wie Arbeitslosengeld, Notstandshilfe, Sozialhilfe, Familienleistungen oder Pensionen ganz wesentlich dazu beitragen, dass die Konsumausgaben der privaten Haushalte gerade in der Wirtschaftskrise stabil bleiben. Während Exporte und Investitionen aktuell im zweistelligen Bereich wegbrechen, verhindern gerade die durch den Staat stabilisierten Konsumausgaben eine noch drastischere Wirtschaftskrise. Die Stärke des österreichischen Sozialstaats besteht eben u. a. darin, dass die Sozialausgaben einerseits automatisch in wirtschaftlichen Abschwungzeiten antizyklisch stabilisierend wirken, und andererseits in verschiedenen Bereichen existenz- und lebensstandardbedrohende Lebensumstände (z. B. Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter) zumindest entschärfen. Kürzungen der Sozialausgaben treffen daher in der Regel Haushalte mit niedrigem Einkommen unverhältnismäßig stark, sind deshalb sozialpolitisch problematisch und verzögern den Wirtschaftsaufschwung.
Strukturelle Verbesserung
Schafft man es, die Mittel zur öffentlichen Aufgabenerfüllung zu erhöhen, kann man hohe Leistungsniveaus aufrechterhalten bzw. den Sozialstaat strukturell verbessern. Die AK Wien wird in den nächsten Ausgaben der Zeitschrift Aktuell näher auf die einzelnen Kapitel dieser Studie eingehen.
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Der Text stammt aus Aktuell Nr. 6/09: Verteilungsgerechtigkeit - Österreich auf dem Prüfstand.
]]>Susan George: Es sind Ideen, die die Geschichte lenken. »Think Tanks« sind das Mittel, Ideen auf die Agenda zu bringen. Die meisten vertreten eine Ideologie, aber beim Transnational Institute ist es zumindest eine großzügige, im Gegensatz zu den »Think Tanks« des rechten Flügels. Soziale Gerechtigkeit ist nicht unbedingt ein Teil der Wissenschaft, aber es ist empirisch nachzuweisen, dass Gesellschaften mit höherer sozialer Gerechtigkeit erfolgreicher sind, gemessen nach vielen Kriterien, etwa besserer Gesundheit, höherem Bildungsniveau, weniger Haftinsassen oder längerer Lebenserwartung.
Gewerkschaften sind ein wichtiger Teil der Bewegung für globale Gerechtigkeit. Wie kann ihre Rolle im Kampf der neuen Formen von Ausbeutung gestärkt werden, wenn die Mitgliederzahl sinkt?
Die Gewerkschaften haben es noch nicht verstanden, dass es in einer globalisierten Welt, wo gewöhnliche Arbeitskräfte immer weniger gebraucht werden, beinahe ein Privileg ist, ausgebeutet zu werden. Es tut mir leid, so brutal zu antworten, aber Millionen von Menschen werden nicht mehr gebraucht. Jene mit regulärer, solid verankerter Anstellung sind heute in der Minderheit. Die Gewerkschaften sollten sich öffnen, auch gegenüber der prekären Arbeit, der Gelegenheitsarbeit, den Arbeitslosen, den Ausgeschlossenen, all jenen, die arbeiten wollen, denen es aber unter angemessenen Bedingungen nicht möglich ist. Das ist der Weg, um eine Bewegung zu schaffen, und die Anliegen der arbeitenden Menschen auf die Agenda zu bringen, national und international. Wenn die Zahl der Mitglieder sinkt, hat das einen oder mehrere Gründe. Wer die Frage nach dem »Warum« beantwortet, findet einen Weg, dem zu begegnen.
Wenn man die Köpfe der Menschen besetzen kann, werden ihre Herzen und Hände folgen, zitieren Sie Antonio Gramsci, und weiter, die ideologische Arbeit der Rechten wäre absolut brillant. Ist die Öffentlichkeitsarbeit, sind die Aktionen der Gewerkschaften zeitgemäß?
Leider nicht. Wie die Linke, haben sich auch die Gewerkschaften auf ihre traditionelle Arbeit konzentriert und nicht bemerkt, wie die Rechte daran gearbeitet hat, all die Forderungen und Leistungen der Arbeitnehmervertretungen über mehr als hundert Jahre als radikal und unfair erscheinen zu lassen. Schauen Sie nach Frankreich: Hier fährt sie gut damit, die Bahnbediensteten als »privilegiert« zu bezeichnen, sie hat viele ArbeitnehmerInnen dazu gebracht, die extreme Rechte zu wählen. In den USA ist es sogar jetzt, mit einem demokratischen Kongress, extrem schwer, den »Employee Free Choice Act« durchzubringen, der das Recht auf Gewerkschaftszugehörigkeit verankert. Die UnternehmerInnen können es verweigern und das erscheint der Mehrheit als »normal«.
In den vorigen 30 Jahren haben die Linke und die Gewerkschaften traditionelle Methoden angewendet, wie Straßendemos. Wirklich notwendige und originelle Ideen werden nicht verfolgt. Etwa solche, wie beim englischen Luftfahrtkonzern Lucas Aerospace in den 1970er-Jahren. Oder Ideen am Rande zur Radikalität, wie Werksbesetzungen, gewaltlose Entführungen von Managern ...
Das verschärft europaweit das Problem der Aufspaltung zwischen der sanftmütigen, milden Sozialdemokratie, die bei jeder Privatisierung mitgemacht und schrittweise ihre traditionell offensiven Kämpfe aufgegeben hat, und der »left of the left«, die offensivere Aktionen will und meint, dass die traditionelle Arbeiterbewegung sie im Stich lässt.
Im Oktober 2001 haben Sie am Attac-Kongress »Globalisierung ist kein Schicksal. Eine andere Welt ist möglich.« teilgenommen. Worin bestanden die größten Erfolge der Bewegung für globale Gerechtigkeit?
Ich habe ein Buch mit dem Titel »Eine andere Welt ist möglich, sofern ...« geschrieben, wobei das wichtigste Wort »sofern« ist. Aus irgendeinem Grund haben die Herausgeber auf Deutsch dafür optiert, dem Buch den englischen Titel »Change it!« zu geben. Und, sofern ich mich recht erinnere, wurden auch ein oder zwei Kapitel ausgelassen. Die Tatsache, dass eine alternative Globalisierungsbewegung überhaupt existiert, ist ein Erfolg.
Das Prinzip der internationalen Besteuerung wird immer mehr akzeptiert. Mit der Finanzkrise gelten viele unserer Ideen als vernünftig, etwa die Banken unter Kontrolle zu bringen oder Steueroasen zu schließen. Aber die G-20 haben die Natur der Krise nicht verstanden, wir werden mehr davon brauchen, bevor eine wirkliche Veränderung stattfindet.
Ich bin gespannt, was in Kopenhagen zum Klimawandel geschieht. Das ist die wichtigste Sache der Welt. Wenn er sich einmal vollzogen hat, gibt es kein Zurück. Kein »Oh! Wir hatten Unrecht, jetzt ändern wir uns«. Wir werden Millionen Umweltflüchtlinge haben, völlig neue Probleme mit Nahrung, Wasser, Krankheit und Arbeit. Gewerkschaften sollten massiv für eine ökologische Umkehr kämpfen, weil eine grüne Wirtschaft fantastische Arbeitsmöglichkeiten bietet - gute Arbeitsplätze, die nicht so leicht ausgelagert werden können.
Und die Rückschläge der Bewegung?
Der Lissaboner Vertrag, das neoliberalste Dokument seit dem »Washington Konsens«. Wir verpassen die Chance für ein soziales, demokratisches und ökologisches Europa. Das ist eine Tragödie. Auch haben wir weder die Schulden des Südens aufgehoben noch unsere Beziehungen zu den armen Ländern verändert.
Und natürlich: Der Vertrag verpflichtet uns zur Steigerung unserer militärischen Kapazität. Wir bekommen eine Marktgesellschaft, die auf freier Bewegung des Kapitals, der Verschlechterung der ArbeitnehmerInnenrechte, einer undemokratischen unverantwortlichen Führerschaft und einem der Nato, und damit den USA, unterstehenden Militär beruht.
Ihr »satirisches« Buch »Lugano-Report« wurde von einigen LeserInnen für Wirklichkeit gehalten. Was könnte die Dominanz des Neoliberalismus »gefährden«?
Ja, der »Bericht« ist heute wahrer als vor zehn Jahren, als ich ihn geschrieben habe. Es wird mehr Krisen geben. Der neoliberale Kapitalismus wird einige Privilegien aufgeben müssen, aber sie könnten durch unterschiedliche Formen von Faschismen ersetzt werden. Ich vertraue aber der Intelligenz der Menschen, die bereit sind, in neuen Bahnen zu denken, sich zu organisieren und Grenzen zu überschreiten, um Allianzen zu bilden.
Es gäbe gute Nachrichten, haben Sie in Ihrem Buch »Change it!« geschrieben: »Es ist genug Geld da.« Wohin ist das Geld mit der Krise verschwunden?
Das Geld ist noch da, aber es ist in Steueroasen und an der Pyramidenspitze konzentriert. Weniger als zehn Millionen Menschen besitzen über 40 Trillionen Dollar: 40.000.000,000.000. Es ist auch unter Kontrolle der transnationalen Unternehmen. Die Staaten kommen ihm auf die Spur, sobald Banken in Schwierigkeit sind. Normale ArbeiterInnen werden die Schulden jahrzehntelang bezahlen. Wir sollten die Banken verstaatlichen und Kredite zum Allgemeingut machen.
Sie nannten einmal das Beispiel von Thomas Clarkson, der im 18. Jahrhundert durch Boykott erreichte, dass kein von Sklaven hergestellter Zucker mehr verkauft wurde. Worin liegt die Macht der KonsumentInnen heute?
Thomas Clarkson hat auch die Gesellschaft gegen die Sklaverei gegründet. Sie hat den Kampf gewonnen und Großbritannien dazu gebracht, nicht mehr am Sklavenhandel zu partizipieren. Er konnte das noch erleben. Alle Kämpfe, die es wert sind, brauchen eine lange Zeit. KonsumentInnen können immer noch Wunder bewirken, sofern sie politisiert sind. Sie haben eine große Rolle in Südafrika gespielt.
Wir danken für das Gespräch.
Das Interview führte Gabriele Müller
Zur Person
Dr. Susan George
Sie ist Autorin von 14 Büchern, Präsidentin des Transnational Institute, TNI, in Amsterdam und Ehrenpräsidentin von Attac-Frankreich.
Unter ihren Büchern sind: »Wie die andern sterben. Die wahren Ursachen des Welthungers.« »Sie sterben an unserem Geld. Die Verschuldung der Dritten Welt.« »Der Lugano-Report oder Ist der Kapitalismus noch zu retten?« »WTO: Demokratie statt Drakula. Für ein gerechtes Welthandelssystem« und »Change it! Anleitung zum politischen Ungehorsam.« In Frankreich war sie führend an der Verhinderung des Multilateralen Investitionsabkommens MAI und der daraus entstehenden Bewegung »GATS-freie Zonen« beteiligt. Susan George wurde in den USA geboren und lebt in Frankreich.
27. Oktober 2009, 19 Uhr, Bildungszentrum der AK-Wien. Susan George im Gespräch mit Armin Thurnher: Das Versprechen, der freie Welthandel bringe Wohlstand für alle, hat sich als Lüge erwiesen. Während trotz Krise die Reichen immer reicher werden, nimmt die Armut weltweit zu.
Weblinks
Transnationales Institut:
www.tni.org
11. Wiener Stadtgespräch:
www.wienerstadtgespraech.at/susan-george
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Betriebsratsgründung ist oft Kampf
90 Jahre alt ist das Betriebsrätegesetz. In vielen Betrieben herrscht aber immer noch Willkür. Obwohl das Arbeitsverfassungsgesetz vorsieht, dass in Betrieben mit mehr als fünf Beschäftigten ein Betriebsrat einzurichten ist, gleicht der Weg dorthin oft einem harten Kampf. Dank und Anerkennung für BetriebsrätInnen gibt es selten. Noch weniger für jene, die schon vor der Wahl auf der Strecke blieben, gekündigt oder aus der Firma gemobbt wurden. »Dass es möglich ist, ArbeitnehmerInnen ihrer Rechte zu berauben, ohne auch nur die geringste Strafe zu kassieren, zeigt akuten Handlungsbedarf«, sagt ÖGB-Landesvorsitzender Dr. Johann Kalliauer. Mit der ersten Verleihung von Betriebsrats-Awards will der ÖGB Oberösterreich Bewusstsein schaffen. »Das Arbeitsverfassungsgesetz muss geändert werden. Es darf nicht sein, dass KollegInnen ihre Existenz aufs Spiel setzen müssen, nur um einen Betriebsrat zu installieren.«
Aus der Firma gemobbt
Heidi Wesetslintner passt so gar nicht ins klassische Bild eines Betriebsrates. Sie ist kein »Betriebskaiser«, freigestellt, mit eigenem Büro, bester Infrastruktur und hohem Status im Betrieb. Wesetslinter ist Buchhalterin. Sie und einige Kollegen wollten es sich nicht mehr gefallen lassen, dass ihnen der Chef, dessen Hobby teure Rennpferde sind, Jahr für Jahr die kollektivvertragliche Lohnerhöhung vorenthält. Was liegt da näher, als die Wahl eines Betriebsrates? Mit Widerstand hat sie gerechnet. Was dann aber alles in Bewegung gesetzt wurde, um Wesetslintner und ihre Kollegen Reinhold Leitner und Christian Kneißl loszuwerden, überstieg ihre Vorstellungskraft. Ungezählte (gewonnene) Gerichtsverfahren, Schmuddelkampagnen und persönliche Angriffe später, sahen sich die rechtmäßig gewählten BetriebsrätInnen gezwungen, ihr Amt zurückzulegen. Der Gesundheit war es nicht mehr zumutbar, in die Firma zu gehen. Der Betriebsrats-Award in der Kategorie »Zivilcourage« soll ein Zeichen der Anerkennung für Menschen wie Heidi Wesetslintner sein. Menschen, die den Mut aufgebracht haben, bei einer Betriebsratswahl zu kandidieren, die aber wegen Widerstand des Unternehmens sogar aus dem Betrieb gemobbt wurden.
»Soziales Engagement und Ehrenamt werden vom Land Oberösterreich hoch geschätzt, zweifellos wichtige Ehrenämter - von der Feuerwehr bis zur Rettung - gewürdigt. Doch das zentrale Ehrenamt für ArbeitnehmerInnen, der Betriebsrat, wird leider von offizieller Seite gern vergessen«, skizziert Kalliauer die Idee hinter dem Betriebsrats-Award. Der Award wurde in fünf Kategorien verliehen. Rund 50 engagierte, aber auch von Unternehmen verhinderte, BetriebsrätInnen wurden von Gewerkschaftsmitgliedern für den Award nominiert.
Einen breiten Buckel
Als Rückgrat der Gewerkschaftsbewegung ehrte ÖGB-Präsident Erich Foglar die ausgezeichneten ArbeitnehmervertreterInnen. Eine, die neben Rückgrat auch noch einen breiten Buckel mitbringt, ist Margit Wenigwieser. Die Betriebsratsvorsitzende der Lederfabrik Vogl weiß, dass frau sich auf die Füße stellen muss, wenn sie etwas erreichen will. Ihr wurde der Betriebsrats-Award in der Kategorie »Neugründung« verliehen. Ein Grüppchen Männer und Frauen wollte gemeinsam einen Betriebsrat in der Innviertler Lederfabrik ins Leben rufen. Als aber der erste Gegenwind spürbar wurde, sprangen die Männer schnell wieder ab. Übrig blieben mutige Frauen. »Dann machen wir es halt allein«, war Wenigwiesers Reaktion. Eine Alleinerzieherin von sechs Kindern lässt sich nicht so schnell unterkriegen, nur weil die Männer abspringen. Heute bemühen sich Betriebsrat und Geschäftsleitung um konstruktive Zusammenarbeit.
Der Betriebsrats-Award wurde in mehreren Kategorien verliehen, um sowohl etablierte BetriebsrätInnen vor den Vorhang zu holen, die viel für ihre KollegInnen erreicht haben, als auch junge Betriebsräte zu ehren, die unter schwierigen Bedingungen einen neuen Betriebsrat gegründet haben. Die GewinnerInnen wurden von einer Jury unter Vorsitz von Sozialminister Rudolf Hundstorfer ausgewählt. Neben ÖGB-Landeschef Johann Kalliauer kürten die ehemalige ÖGB-Vizepräsidentin Irmgard Schmidleithner, FCG-Frauenvorsitzende Monika Gabriel, ÖGB-Kampagnensekretär Willi Mernyi und der Betriebsseelsorger Hans Gruber die Sieger.
1. Sozialplan für LeiharbeiterInnen
Zu den bittersten Aufgaben eines Betriebsrates gehört das Verhandeln eines Sozialplans. Im Fall des Austria Tabak Werks in Linz kam dazu, dass die Firma hoch profitabel arbeitete. Unter Finanzminister Karl-Heinz Grasser, der heute für seine originellen Privatisierungsabenteuer bekannt ist, wurde die ATW zu einem Schleuderpreis privatisiert. Mit dem Ergebnis, dass ein Werk nach dem anderen zugesperrt wurde. Was bleibt, ist ein Sozialplan, der Härtefälle abmildert. Es ist die Leistung der beiden Betriebsräte Ferdinand Breiteck und Andreas Wildberger, dass unter anderem eine freiwillige Abfertigung, Weiterbildung in der Kündigungsfrist und eine betriebliche Vorruhestandsregelung den Verlust des Arbeitsplatzes erträglicher machen. Beispielgebend ist der Sozialplan, weil er erstmals auch LeiharbeiterInnen mit einbezieht. Diese Pionierarbeit wurde mit dem Betriebsrats-Award in der Kategorie »Fortschritt« ausgezeichnet.
Betriebsrat im Widerstand
Immer wieder wehren sich BetriebsrätInnen erfolgreich gegen Lohnkürzungen, Arbeitsplatzabbau oder Arbeitszeitverlagerungen. In der Kategorie »Widerstand« wurde ein Betriebsrat ausgezeichnet, der am eigenen Leib erfuhr, was es bedeutet, ins Kreuzfeuer zu geraten. Nach der Übernahme der Büromöbelfirma Hali durch die Firma »fun at work« war für die Beschäftigten der Spaß vorbei. Weil er sich im Interesse seiner KollegInnen gegen die einseitige Kündigung von Betriebsvereinbarungen und finanzielle Verschlechterungen wehrte, wurde Betriebsratsvorsitzender Josef Jungreithmayr zum Ziel persönlicher Angriffe und Schikanen. Jungreithmayr und sein Team geben nicht auf. Aktuell läuft ein Verfahren am Landesgericht Wels, weil die Firma um Zustimmung zur Kündigung des Betriebsrates angesucht hat. Parallel zum Rechtsstreit fuhrwerken die neuen Eigentümer in der Firma ungebremst weiter. Erst kürzlich trennten sie sich von allen Monteuren am Hauptsitz Eferding. Ihre Arbeiten hat eine Fremdfirma übernommen. BetriebsrätInnen müssen KämpferInnen sein.
Gerade wenn es darum geht, einen neuen Betriebsrat zu errichten, ist Durchhaltevermögen gefragt. Dass es mit Herzblut und Engagement machbar ist, auch in gewerkschaftsfernen Kreisen Erfolge zu feiern, zeigt das Beispiel von Karl Loitelsberger. Er gründete erstmals in der Geschichte des Unternehmens Wolf Systembau einen Betriebsrat. Nur sechs Kollegen von Karl Loitelsberger waren Gewerkschaftsmitglieder. Heute, nur fünf Jahre nach seiner ersten Wahl, sind von den 365 Arbeitern 265 bei der Gewerkschaft.
Strenge Strafen
90 Jahre hat das Betriebsrätegesetz am Buckel. Dass es noch immer Unternehmen gibt, die Rechte der ArbeitnehmerInnen torpedieren, dass es noch immer Menschen gibt, die ihre Arbeit verlieren, weil sie Demokratie einfordern, ist eine Schande. BetriebsrätInnen leisten einen großen Beitrag zum gedeihlichen Miteinander in Betrieben, zum sozialen Frieden. Ihnen gebührt Dank und Anerkennung. Und jenen, die sie verhindern wollen, strenge Strafen.
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www.betriebsraete.at
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Es geht um Existenzsicherung
Im Vergleich zu den Mindestlöhnen fristet der Begriff der living wages ein Schattendasein - er erscheint beispielsweise nicht unmittelbar in den einschlägigen internationalen Vereinbarungen auf (siehe Kasten) obwohl sich diese Texte inhaltlich sehr wohl auf die anzustrebende Existenzsicherung von Löhnen beziehen. Im Unterschied zu gesetzlich fixierten Mindestlöhnen haben living wages die Existenzsicherung eines gesamten Haushaltes zum Ziel, weshalb ihre Höhe von den jeweiligen Lebenshaltungskosten sowie der Größe der Familie abhängt.
In den USA reicht der staatlich fixierte Mindestlohn von 5,85 US$ pro Stunde für eine Existenzsicherung bei weitem nicht aus. Daher setzen sich seit den 1990er-Jahren Basisbewegungen dafür ein, living wages in kommunalen Gesetzesinitiativen vorzuschreiben. 1994 wurde in Baltimore der erste solche Erlass beschlossen, in der Zwischenzeit sind rund 140 Städte und Gemeinden gefolgt. Die Vorschriften gelten für Gemeindebedienstete sowie für Unternehmen, die entweder durch öffentliche Gelder unterstützt werden oder Aufträge der öffentlichen Hand ausführen. Die Höhe der living wages ist gewöhnlich so angesetzt, dass durch einen Vollzeitjob die Armutsgrenze für eine vierköpfige Familie erreicht werden kann. Zusätzlich schreiben einige der Gesetze auch bestimmte Sozialleistungen oder die Unterstützung von Gewerkschaften vor.
Auf internationaler Ebene findet sich die Forderung nach living wages in einigen Verhaltenskodizes wieder, mit denen sich immer mehr multinationale Unternehmen zur Einhaltung bestimmter Mindeststandards verpflichten. Sie reagieren damit auf den zunehmenden Druck von KonsumentInnen, Gewerkschaften und NGOs, die ausbeuterische Arbeitsbedingungen nicht tolerieren wollen. Aber auch wenn Verhaltenskodizes einen wichtigen Beitrag zur weltweiten Verbesserung von Arbeitsbedingungen darstellen: Sie umfassen immer nur die ArbeitnehmerInnen eines bestimmten Unternehmens oder einer Branche und sie sind rechtlich nicht bindend. Unternehmen unterzeichnen ihre Einhaltung auf freiwilliger Basis.
Eine verbindliche Umsetzung existenzsichernder Löhne für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weltweit steht indes noch aus, wäre aber zur Reduzierung der working poor dringend notwendig.
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»SozialschmarotzerInnen«?
Würden sie sich mit der Vorgeschichte vieler dieser Menschen auseinandersetzen, würden so manche wohl ihre Meinung ändern. Der Glaube, dass Asylsuchende unberechtigterweise das österreichische Sozialsystem ausnutzen wollen, ist weit verbreitet. Im Internet kursieren Fehlinformationen en masse, in denen behauptet wird, AsylwerberInnen würden viel mehr Sozialleistungen beziehen, als arbeitslose ÖsterreicherInnen. Nicht nur, dass die NGO »Asylkoordination« diese Behauptung ausräumen konnte, indem sie nachrechnete, wie knapp bemessen die Hilfe für AsylwerberInnen eigentlich ist: Das Hauptproblem, mit dem sich diese Menschen konfrontiert sehen, besteht vor allem darin, dass sie nicht arbeiten dürfen. Absurd - denn zumindest so lange das Asylverfahren läuft, halten sich Asylsuchende legal in Österreich auf.
Keine Arbeit
Würde man Asylwerbenden den Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen, so wären sie nicht mehr in derselben Weise abhängig von der - allen Flüchtlingen zustehenden - Grundversorgung, sondern würden darüber hinaus noch Steuern und Sozialabgaben zahlen, eine höhere Kaufkraft haben und somit zur positiven wirtschaftlichen Entwicklung Österreichs beitragen. Schon aus diesem Grund kann ein Arbeitsverbot nicht im Sinne Österreichs sein. Dazu kommt, dass viele von denen, die in Österreich um Asyl ansuchen, hoch qualifiziert sind. Sie verfügen oftmals über sehr gute Ausbildungen und haben nicht selten Universitätsabschlüsse, die bei uns aber kaum anerkannt werden. Gerade im Krankenpflegebereich wäre es von Vorteil, Menschen mit Qualifikationen in diesem Bereich arbeiten zu lassen. Doch dies ist derzeit leider nicht erlaubt.
Die einzigen Tätigkeiten die AsylwerberInnen im Moment offenstehen, sind saisonale Arbeiten und Arbeit als ErnthelferInnen, die jedoch mit Quoten geregelt sind. Häufig werden diese Jobs an ausländische ArbeiterInnen vergeben, die nur für die Saison nach Österreich kommen. Eine andere Option, für AsylwerberInnen ist gemeinnützige Arbeit, wie Straßenreinigung, Park- und Sportanlagenbetreuung und Ähnliches. Doch auch für diese Arbeiten gibt es keine gerechten Löhne, sondern es wird lediglich ein »Anerkennungsbeitrag« von drei bis fünf Euro pro Stunde ausgezahlt.
Häufig hört man, dass es nicht richtig sein könne, in Zeiten wachsender Arbeitslosigkeit den Arbeitsmarkt gerade für AsylwerberInnen zu öffnen. Dabei wird gerne vergessen, dass das Recht auf Arbeit ein Menschenrecht ist - es mutet doch eher seltsam an, dass gewisse Gruppen von diesem Menschenrecht ausgeschlossen bleiben. Und auch das neue Fremdenrechtsgesetz, das derzeit im Parlament diskutiert und höchstwahrscheinlich beschlossen wird, scheint auch wenig dazu geeignet, Hoffnung auf Verbesserung der Situation aufkeimen zu lassen. NGOs wie »Asylkoordination« und »Asyl in Not« stellen große Mängel an dem Gesetz fest und rufen zu Protestaktionen dagegen auf.
AsylwerberInnen
Wer sich mit Asyl und AsylwerberInnen beschäftigt, sollte sich auch über die Begriffe im Klaren sein. Asylsuchende sind keine MigrantInnen. Sie haben ihre Länder normalerweise nicht freiwillig verlassen, um sich anderswo ein besseres Leben aufzubauen. Die meisten von ihnen wurden vertrieben, mit dem Tod bedroht, politisch verfolgt, eingesperrt und nicht selten gefoltert. Viele hatten keine Wahl, als ihre Länder zu verlassen - einfach nur um ihre nackte Existenz zu retten. Sie vertrauen sich, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, der Willkür oftmals krimineller Schlepper und MenschenhändlerInnen an. Dies geschieht nicht selten unter Lebensgefahr. Betreten sie schließlich europäischen Boden, werden sie erneut als illegal kriminalisiert, verfolgt und als BetrügerInnen, die das System ausnutzen wollen denunziert.
Schon 1951 wurde, vor dem Hintergrund der Geschehnisse während und nach dem 2. Weltkrieg, die sogenannte Genfer Flüchtlings-Konvention (GFK) von den Bevollmächtigen der Vereinten Nationen beschlossen. Danach ist als Flüchtling anzusehen, wer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner/ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner/ihrer politischen Überzeugung das Land verlassen muss, dessen Staatsangehörigkeit er/sie besitzt und dessen Schutz er/sie nicht in Anspruch nehmen kann oder auch aus Angst nicht will. In jedem Fall müssen sich die Unterzeichnerstaaten der GFK an das Refoulment-Verbot halten, d. h. Flüchtlinge dürfen nicht in Staaten, in denen ihnen Verfolgung droht aus- bzw. an der Grenze abgewiesen werden; allerdings in sogenannte »sichere Drittstaaten«. Nicht selten werden Asylsuchende aus Österreich in solche sicheren Drittstaaten abgeschoben und in der ganzen EU herumgereicht.
Wirtschaftsflüchtlinge
Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt. Da scheint es nicht weiter verwunderlich, dass viele Menschen aus ärmeren Ländern, sich ein besseres Leben bei uns erträumen. Von Menschen in Afrika, Asien oder Lateinamerika hört man immer wieder, dass viele von ihnen sich ein Leben in Europa schier paradiesisch vorstellen. Nicht zuletzt die Medien propagieren dieses Bild weltweit. Und so versuchen dann manche dieser Menschen, nach Europa zu reisen und sich hier ein besseres Leben aufzubauen. Bedenkt man die reale Situation vieler Menschen besonders in den Ländern des Südens, wird schnell klar, dass eine Erweiterung der GFK erwogen werden sollte.
Die bisherigen Bedingungen, um als Flüchtling anerkannt zu werden, greifen viel zu kurz. Menschen, die aus wirtschaftlicher Not, vor Hunger, Dürre und Umwelt- und Naturkatastrophen fliehen, sollten ebenfalls als Flüchtlinge anerkannt werden. Auch sie versuchen nichts weiter, als ihr Überleben zu sichern. Diese Menschen als »Wirtschaftsflüchtlinge« abzutun erscheint kurzsichtig - besonders da Hunger in der Welt ein wachsendes Problem darstellt und auch Wasser als Ressource immer weniger wird.
»Das Boot ist voll«?
Dass Österreich besonders großzügig sei bei der Vergabe von Asyl, oder dass hier unverhältnismäßig viele AsylwerberInnen leben, wie gerne behauptet wird, entspricht nicht der Wahrheit. Wir befinden uns weltweit nur an 43. Stelle im Ranking der Asylländer. In Wahrheit sind es vor allem die Entwicklungsländer, die als Auffangbecken für Flüchtlinge fungieren. An erster Stelle steht Pakistan, mit zwei Mio. aufgenommenen Flüchtlingen, gefolgt von Syrien, mit 1,5 Mio. vertriebenen Irakern im Land. An dritter Stelle folgt der Iran mit 963.500 Flüchtlingen und schließlich Deutschland, als größtes Asylland Europas mit 579.000 Flüchtlingen.
Es würde sich lohnen
In Österreich leben derzeit 30.773 Flüchtlinge. Davon warten 11.000 Menschen seit über drei Jahren auf eine Entscheidung über ihre Anerkennung als Flüchtling. Etwa 200 davon warten sogar bereits seit über zehn Jahren auf ihren Bescheid - das behindert bei der Integration und ist unmenschlich und frustrierend für die Betroffenen. Eine abstruse Situation - bedenkt man die Verschwendung von Talenten und Ressourcen - und auch die Kosten sind nicht unbeträchtlich. Würde man den Arbeitsmarkt für diese Menschen öffnen, würde dies sowohl dem österreichischen Staat als auch den betroffenen Menschen helfen - es würde sich für alle lohnen.
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64 türkische Kurden
»Eine unvorstellbare fast 28-stündige Tortur ließen 64 Kurden freiwillig über sich ergehen«, berichtete die Kronenzeitung am 12. Oktober 2009 unter dem Titel »Geschleppte Kurden: Zukunft als Arbeitssklaven«. Im Vorabend-TV wurden der volle Urinbehälter und die Gemüsekisten im Lkw gezeigt, hinter denen die jungen Männer bei Tiefkühltemperatur nach Österreich importiert worden waren. Die »Illegalen« hätten alle um Asyl angesucht, meldete der Boulevard.
»Es gibt viel Gerede über sklavenartige Praxis und Zwangsarbeit«, meinte der ILO-Beauftragte gegen Zwangsarbeit Roger Plant, in einem Interview der ILO-online. Stichhaltiges Datenmaterial aber fehle. Oft steht die »illegale Einreise« im Zentrum der öffentlichen Diskussion. Das aber entspricht nicht der Realität. Ein Großteil der undokumentierten MigrantInnen wird erst nach der legalen Einreise durch die bestehenden Regelungen im Zielland illegalisiert, wissen die Opferschutzorganisationen.
Kosten des Zwangs
Weltweit fristen rund 12,3 Mio. Menschen ein Leben als ZwangsarbeiterInnen, schätzt die Internationale Arbeitsorganisation, ILO. Laut dem im Mai 2009 veröffentlichten Bericht »Die Kosten des Zwanges« ist rund die Hälfte der Betroffenen unter 18 Jahren. »Zwangsarbeit verursacht unsägliches Leid. Und die Opfer werden auch noch bestohlen«, so ILO-Generalsekretär Juan Somavia. Jährlich würden ZwangsarbeiterInnen weltweit um rund 15 Mrd. Euro Lohn gebracht. Nicht nur die Finanzen und die Wirtschaft sind in der Krise: auch der Arbeitsmarkt. Ähnliche Faktoren, vor allem Gier, konstatiert die ILO, erlaubten es ArbeitgeberInnen und ZwischenakteurInnen, Profite auf Kosten der Armen zu schlagen.
Einbehalten des Reisepasses, Androhung oder Anwendung physischer Gewalt, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Einbehalten des Lohnes, Drohung einer Anzeige bei der Behörde, wenn der oder die Betroffene illegalen Einwanderungsstatus hat, und nicht zuletzt die Schuldknechtschaft sind laut ILO eindeutige Hinweise auf Zwangsarbeit.
Rund 20 Prozent aller Zwangsarbeit, so die ILO in ihrem »Global Report 2005« entsteht aus Menschenhandel, dem »Anwerben auf illegale, missbräuchliche Weise durch Mittel wie Zwang, Erpressung oder Täuschung mit dem Ziel der Ausbeutung. Menschenhandel schließt unterschiedliche Praktiken wie Zwangsarbeit, Prostitution und verschiedene Formen der sexuellen Ausbeutung ein.
Bis vor kurzem konzentrierte sich die Bewegung gegen den Menschenhandel in Europa und den USA auf den Handel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Erst in der letzten Zeit wird der Zwangsarbeit und Zwangsknechtschaft vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt. In Europa konzentriert sich die Zwangsarbeit auf den informellen Sektor, wie Pflege, Hausarbeit, Bau, Landwirtschaft und Vertragsreinigung. In den USA bieten »Sweatshops« und die Landwirtschaft eine Basis zur Ausbeutung.
Die Länder Asiens und des Pazifiks vereinen traditionelle und neue Formen der Zwangsarbeit. Laut ILO (2005) sind rund 9,5 Mio. in Asien im traditionellen landwirtschaftlichen Bereich eingesetzt. Immer öfter aber auch in Hausarbeit, im Bergbau, in Steinbrüchen und Teppichknüpfereien. Der größte Teil der Millionen von ZwangarbeiterInnen in Indien, Pakistan und Nepal gehört zu den »niedrigen« Kasten, der indigenen Bevölkerung oder ethnischen Minderheiten.
Gesetze
Seit 2000 gibt es mit dem UN-Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels ein internationales Rechtsinstrument. Fast alle EU-Länder haben unterzeichnet und ihre nationalen Gesetze angepasst. In Österreich bieten Artikel 104a, Strafgesetzbuch, »Ausbeuterischer Menschenhandel«, Artikel 217, »Grenzüberschreitender Handel in Prostitution« und Artikel 166 »Ausbeutung eines Fremden«, Fremdenpolizeigesetz, rechtliche Handhabe. Die Frauenberatungsstelle LEFÖ und die Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels, IBF, verweisen auf das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG). Paragraph 72 ermöglicht den befristeten Aufenthalt aus humanitären Gründen. Demnach kann Zeuginnen und Opfern von Menschenhandel eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis gewährt werden. Hierbei handelt es sich aber nur um eine Kann-Bestimmung, deren Anwendung den Behörden überlassen bleibt.
Zahlen
Der zweite »Globale Bericht über Menschenhandel« des UN-Büros gegen Drogen und Verbrechen (UNODC) liefert Daten aus 155 Ländern. Der Bericht vermehre zwar das partielle Wissen um die Kräfte, die an den modernen Sklavenmärkten beteiligt sind, kommentiert UNODC-Exekutivdirektor Antonio Maria Costa. Anders als bei der Drogenkontrolle, wo bereits umfassende Daten der gesamten Wertschöpfungskette vorliegen, gibt es beim Menschenhandel keine internationalen Standarddaten. »Das fragmentierte Wissen und isolierte Maßnahmen intensivieren das Verbrechen«, meint Costa. Die Präventivmaßnahmen müssten berücksichtigen, dass »ein asiatischer Vater seine Tochter unter anderen Umständen verkauft, als es die Kräfte sind, die ein afrikanisches Kind zum Militärdienst führen. Kinderbettelei in Europa ist anders als in Australien.«
Schicksale
Im August berichtete die Wochenzeitung »Falter« von der Menschenrechtsaktivistin Joana Adesuwa Reiterer. Die Nigerianerin hatte ihren damaligen Mann Tony in Benin kennengelernt. Erst in der kleinen Wohnung in Hernals merkte sie, dass Tony, der angebliche Leiter eines Reisebüros, mit nigerianischen Frauen handelte. Ein freundlicher Mann gab der weinenden Frau auf der Parkbank die Telefonnummer der Wiener Frauenhäuser.
Heute hilft die ehemalige Gattin eines Menschenhändlers mit ihrem 2006 gegründeten Verein »Exit« nigerianischen Zwangsprostituierten. Durch Beratung und Videos klärt sie über das menschenverachtende System auf.
Publik wurde das Thema auch durch den Film »Ware Frau: Auf den Spuren moderner Sklaverei von Afrika nach Europa«, der Politikwissenschafterinnen Mary Kreutzer und Corinna Milborn. Sieben Frauen berichten, wie sie den Menschenhandel überlebt haben. Rund 100.000 Frauen aus Nigeria arbeiten als Prostituierte außerhalb des Landes. Als Besonderheit wird wahrgenommen, dass es »Frauen sind, die über andere Frauen herrschen«. Die beteiligten Männer werden so im System unsichtbar.
»Wir alle sind Menschenhändler und Menschenhändlerin durch Auslassung«, meinte die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz in ihrer Rede zur Verleihung des Concordia-Preises an die beiden Filmproduzentinnen. »Es geht um die Rolle unserer Kultur und Wirtschaft in den komplexen Zusammenhängen der globalen Verstrickungen.«
Weblinks
Internationale Arbeitsorganisation:
www.ilo.org
AntiSlavery International:
www.antislavery.org
Globale Allianz gegen Frauenhandel:
www.gaatw.net
Digitale Bibliothek von Terre des Hommes:
www.childtrafficking.com
UNO-Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels:
www.unodc.org/unodc/index.html
Verein Exit
www.adesuwainitiatives.org/page/
Informationen zu Kindersklaven:
www.tdh.de
Informationen zur Sklaverei:
www.amnesty.org
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Einkommenstransparenz gefordert
Mehr Transparenz fordern ÖGB, Frauen- und Sozialministerium: So sollen in Betrieben die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen zuerst sichtbar gemacht und dann beseitigt werden. Diese Unterschiede sind nach wie vor eklatant: Laut Einkommensbericht des Rechnungshofs 2008 verdienten weibliche Angestellte 49 Prozent der mittleren Männereinkommen. Der Anteil der Teilzeit Arbeitenden steigt, 89 Prozent aller Teilzeit-beschäftigten sind weiblich. Vergleicht man nur Vollzeitbeschäftigte, bringen es Frauen beim Einkommen auf durchschnittlich 78 Prozent der Männer, bleibt noch immer ein Rückstand von 22 Prozent (2006/07). Laut Lohnsteuerstatistik 2007 der Statistik Austria beträgt der Unterschied sogar 26,2 Prozent. Die schlechtesten Einkommen gibt es in der Dienstleistungsbranche, hier sind auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern am größten.
Mit der Initiative »gleich = fair« fordern Frauen- und Sozialministerium, dass Unternehmen im Gleichbehandlungsgesetz dazu verpflichtet werden sollen, anonymisiert das Einkommen für die verschiedenen Bezugsgruppen offenzulegen. ÖGB-Präsident Erich Foglar: »An sich gibt es in den Kollektivverträgen keine Unterschiede mehr zwischen Männern und Frauen. Aber in der Praxis werden Frauen sehr wohl niedriger eingestuft und schlechter bezahlt. Es gibt sogar Unternehmen, wo es verboten ist, den ArbeitskollegInnen das Gehalt mitzuteilen.« Derzeit ist geplant, nur Firmen mit mindestens 25 MitarbeiterInnen zur Transparenz zu verpflichten - obwohl gerade im öffentlichen Dienst und bei Großunternehmen die Einkommensunterschiede tendenziell geringer sind und ein großer Teil der österreichischen Betriebe weniger als 25 MitarbeiterInnen hat.
Kein Betriebsrat zur Kontrolle
In kleineren Firmen gibt es auch häufiger keine BetriebsrätInnen - die übrigens theoretisch auch heute schon das Recht haben, in Gehaltslisten u. ä. Einsicht zu nehmen und so zu prüfen, ob Arbeitnehmerinnen benachteiligt werden. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek will diese Möglichkeit ausweiten und konkretisieren: »Wir möchten, dass BetriebsrätInnen betriebsintern die Gehälter bzw. die Einstufung prüfen und Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter vorschlagen. Zwei Jahre später soll dann nachgeschaut werden, wie weit die Frauen aufholen konnten.« Transparenz wäre auch für nicht angestellte MitarbeiterInnen sinnvoll, denn hier sind die Männer ebenfalls im Vorteil. So verdienten laut Journalistenreport 2007 fünfmal mehr männliche als weibliche freiberufliche Journalisten über 5.000 Euro monatlich.
Dr. Dr. Guido Strunk, Senior Scientist am Forschungsinstitut für Gesundheitsmanagement und Gesundheitsökonomie und sein Team haben erstmals 2005 die Karriereverläufe von Männern und Frauen verglichen. Fazit: Es gab - trotz gleicher Voraussetzungen große Einkommensunterschiede, die weiblichen Teilnehmerinnen gelangten deutlich seltener in Führungspositionen als ihre Kollegen. Kurzum: Eine Frau muss ein Mann sein, um Karriere zu machen. In einem kürzlich veröffentlichten Update dazu untersuchten Guido Strunk und Anett Hermann die Karrieren von 94 WU-AbsolventInnen mit 26 identischen Voraussetzungen (Alter, Abschlussjahr, Noten, Ehrgeiz etc.) und fanden nach wie vor dramatische Einkommensunterschiede.
Im ersten Berufsjahr waren die Gehälter der Frauen nur geringfügig niedriger, im Lauf von zehn Jahren verdienten Männer mit den gleichen Voraussetzungen durchschnittlich 70.000 Euro mehr als Frauen. Rechnet man jene Frauen heraus, die im Vergleichszeitraum in Karenz waren, liegt der Einkommensunterschied immer noch bei stolzen 61.000 Euro. Das heißt: Kinder spielen zwar eine Rolle, aber offenbar nicht die entscheidende. Und auch Frauen, die bewusst Karriere statt Kinder wählen, fallen hinter die Männer zurück.
Als besonders karriererelevant stellte sich die tatsächlich geleistete Wochenarbeitszeit heraus. Je mehr Wochenarbeitszeit, desto höher das Gehalt. Und hier übertrafen die Männer die Frauen deutlich. Es besteht allerdings die Möglichkeit, so die Studie, »dass die geringere Wochenarbeitszeit von Frauen mehr die Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen widerspiegelt als die Leistungsbereitschaft.«
Flache Karrierekurven
Strunk stellte auch fest, dass die Chancen auf Karriere und gute Bezahlung in größeren Unternehmen besser sind. Leider wirkt sich dieser Umstand bei Frauen deutlich weniger aus als bei ihren männlichen Kollegen. Unabhängig von der Größe eines Unternehmens verlaufen weibliche Karrieren flacher als männliche. Mit einem Satz: Frauen können sich noch so anstrengen, die Chance, dass der genauso qualifizierte Kollege bevorzugt wird, ist groß. Manche haben es dann eben satt, fortwährend gegen Widerstände zu kämpfen bzw. zu argumentieren. Strunk wirft in seiner Untersuchung die Frage auf, ob die »typisch weiblichen Eigenschaften« (weniger Risikobereitschaft und Ehrgeiz, mehr Harmoniebedürfnis etc.) nicht eher eine Folge fehlender Chancengleichheit als deren Ursache sind.
Auch die EU sieht punkto Einkommensschere Handlungsbedarf und empfiehlt den Mitgliedsstaaten unter anderem folgende Lösungsansätze:
Es dürfen Wetten abgeschlossen werden, wie lang es dauert, bis der Equal Pay Day im Dezember begangen werden kann.
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Forderungen der ÖGB-Frauen:
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Sozialhilfe und Mindestsicherung
Da die bestehende Sozialhilfe je nach Bundesland unterschiedlich geregelt ist, und die ausgezahlten Leistungen oft aus mehreren Teilleistungen bestehen, ist ein Vergleich mit der neuen Mindestsicherung nicht leicht möglich und wenn, dann für jeden Einzelfall unterschiedlich. Wie viel an Sozialhilfe jemand derzeit bekommen kann, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab: wo man wohnt, wie groß die Wohnung ist, wie viele Kinder man hat, ob man arbeitsfähig ist etc. In den meisten, aber nicht allen Bundesländern können zusätzliche Geldleistungen für Heizkosten oder andere Anschaffungen auf Antrag gewährt werden. Erst die Praxis wird zeigen, welche dieser Leistungen die Länder über den Sockelbetrag der Mindestsicherung hinaus weiter auszahlen werden. Durch das Verschlechterungsverbot bleibt zwar gewährleistet, dass niemand schlechter gestellt wird. Die große finanzielle Verbesserung für die Menschen, die auf diese Hilfe angewiesen sind, bleibt aber aus.
Eine Million unter der Armutsgrenze
Auch 14-mal im Jahr ausbezahlt, wäre die Mindestsicherung im Übrigen noch weit davon entfernt, eine »soziale Hängematte« zu sein. Laut EU-SILC1 liegt die mittlere Armutsgefährdungsquote für Österreich bei etwas mehr als 900 Euro. Diesen Betrag würde auch die 14-mal ausbezahlte Mindestsicherung deutlich unterschreiten.
Im Schnitt werden pro SozialhilfebezieherIn und Monat derzeit 179 Euro ausgegeben. Das bedeutet, dass nur die wenigsten SozialhilfebezieherInnen ihren Lebensunterhalt tatsächlich aus der Sozialhilfe decken. Daran wird sich auch durch die Einführung der Mindestsicherung wohl nicht viel ändern.
Einer der Hauptkritikpunkte an der derzeitigen Sozialhilfe ist die hohe Zugangsbarriere. Etwa eine Million Menschen leben in Österreich unter der Armutsgrenze.2 Nur jede/r Sechste davon bezieht auch tatsächlich Sozialhilfe. Das bedeutet, die Zahl der EmpfängerInnen von Geldleistungen der offenen Sozialhilfe (ohne SeniorInnen- und Pflegeheime) steht in keinem Zusammenhang mit der Zahl der Einkommensarmen. Laut Berechnungen der Armutskonferenz unterscheiden sich diese Zahlen auch nach Bundesländern ganz erheblich.
Viele wissen nicht Bescheid
Während in Wien jede dritte Person, die unter der Armutsgrenze lebt, zumindest einmal eine Leistung aus der offenen Sozialhilfe bekommt, ist es im Burgenland nur jede 43. Person, in Kärnten jede 41. Von den Einkommensarmen, die keine Sozialhilfe beziehen, ist ein Teil nicht anspruchsberechtigt.3 Aber auch die Anspruchsberechtigten erhalten nur zum Teil eine Geldleistung.
Das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik hält in einer Studie fest, dass 49 bis 61 Prozent der Anspruchsberechtigten - etwa 150.000 Personen - keine Sozialhilfe beziehen. Die Gründe da-für sind unterschiedlich: Viele Betrof-fene wissen nicht über ihre Ansprüche Bescheid, sie finden sich im Dickicht der unterschiedlichen Bestimmungen nicht zurecht, sie schämen sich oder haben Angst vor dem möglichen Regress. Oft sind auch grobe Mängel im Sozialhilfevollzug dafür verantwortlich, dass Menschen um ihre Unterstützung umfallen.
Reform nicht gelungen
Die Mindestsicherung sollte den Sozialhilfevollzug grundsätzlich reformieren, für die Betroffenen mehr Rechtssicherheit, raschere Entscheidungen und einen niederschwelligeren Zugang erreichen. Dieses Ziel wurde mit der vorliegenden Regelung eindeutig verfehlt.
Die zwölf Auszahlungen stellen einen Mindeststandard dar. Darüber hinaus kann jedes Land die Mindestsicherung durch Zuschüsse erhöhen. Die Mindestsicherung ersetzt nicht die Sozialhilfe, sondern fügt sich in das bestehende System der neun Bundesländerregelungen ein. Durch den deutlich niedriger als vorgesehen angesetzten Mindeststandard wird die Zielsetzung, die unterschiedlichen Leistungshöhen (bisher aufgrund unterschiedlicher Sozialhilfegesetze) zu harmonisieren, verfehlt werden.
Für die betroffenen Menschen werden weiterhin mehrere Stellen zuständig sein.
Unter dem Motto: »Trampolin statt Hängematte« sollen in Zukunft für BezieherInnen der Mindestsicherung dieselben Bedingungen gelten wie für Arbeitslosengeld- und NotsstandshilfebezieherInnen. BezieherInnen der Mindestsicherung müssen dem AMS zur Verfügung stehen und arbeitswillig sein, ansonsten kann die Leistung um die Hälfte gekürzt werden. Diese Maßnahme erscheint im Hinblick auf ihre existenzgefährdende Wirkung überzogen und ist daher abzulehnen.
Zwei wesentliche Verbesserungen bringt die neue Regelung immerhin: MindestsicherungsbezieherInnen haben in Zukunft Anspruch auf eine e-card, und damit unbeschränkten Zugang zu medizinischen Leistungen. Die stigmatisierenden Sozialhilfekrankenscheine gehören damit der Vergangenheit an. Dieser Schritt stellt daher eine wirkliche Verbesserung für die Betroffenen dar und erfüllt eine wichtige gewerkschaftliche Forderung.
Eine weitere Verbesserung ist die Begrenzung des Regresses, weil gerade die Rückzahlungsverpflichtung bei Aufnahme einer Berufstätigkeit vielen Menschen den Wiedereinstieg ins Berufsleben erschwert hat. In Zukunft wird es klare Ausnahmen für die Vermögensverwertung (z. B. benötigtes Kfz, Hausrat etc.) und einen fixen Vermögensfreibetrag in Höhe der fünffachen Leistungshöhe für Alleinstehende geben (2009: 3.665 Euro). Damit Menschen Armut überwinden können, wäre es wichtig, diese Grenze zu erhöhen. Vor allem für Mehrpersonenhaushalte erscheint die Grenze äußerst niedrig.
Thema Armutsbekämpfung bleibt
Das Thema Armutsbekämpfung wird uns in den kommenden Monaten leider noch stärker beschäftigen. Die dramatisch steigenden Arbeitslosenzahlen sind ein eindeutiges Alarmzeichen. Begleitend zur Mindestsicherung sollten laut Regierungsprogramm auch mindestsichernde Elemente in der Arbeitslosenversicherung ausgebaut werden. Die bislang erfolgten Schritte sind nach Ansicht der GPA-djp nicht ausreichend.
Die im Rahmen des Arbeitsmarktpakets II festgelegte Aufwertung der Bemessungsgrundlage beim Arbeitslosengeld bringt für Arbeitslose nur minimale Verbesserungen. Die von Gewerkschaftsseite geforderte deutliche Anhebung der Ersatzrate beim Arbeitslosengeld und Verbesserungen bei der Notstandshilfe wurden nicht einmal ansatzweise umgesetzt.
1 Erhebung zur Ermittlung der Armutsgefährdungsquote
2 Quelle: Statistik Austria (2009): Einkommen, Armut und Lebensbedingungen. Ergebnisse aus EU-SILC 2007
3 Z. B. Personen, deren Einkommen unter der EU-SILC-Schwelle, aber über der jeweiligen Landes-Sozialhilfe-Schwelle liegt
Weblinks
Alle Infos vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz:
www.bmsk.gv.at/cms/site/dokument.html?channel=CH0052&doc=CMS1218182092804
Armutsgefährdungsquote bei Statistik Austria:
www.statistik.at/web_de/statistiken/soziales/armut_und_soziale_eingliederung/index.html
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Angst vor der Zukunft
Der genaue Blick auf die Daten des Arbeitsklima Index gibt Auskunft über die Ursachen der sinkenden Arbeitszufriedenheit. So ist die Zahl der PessimistInnen unter den unselbstständig Erwerbstätigen stark gestiegen: Im Jahr 2009 sehen 46 Prozent schwarz für die wirtschaftliche Zukunft Österreichs, am Ende des Jahres 2007 waren es nur 19 Prozent gewesen. Dementsprechend auch die Einschätzung der Arbeitsplatzsicherheit. Zwei Drittel der Beschäftigten waren zum Beginn des Jahres 2009 der Meinung, die Jobs seien in Österreich »sehr« oder »ziemlich unsicher«.
Der eigene Arbeitsplatz wird nach wie vor als sicherer eingestuft, aber auch hier ist ein eindeutiger Trend festzustellen: Im Frühjahr 2009 hielt jede/r Fünfte seinen Job für zumindest »ziemlich unsicher«, ein Jahr zuvor war nur jede/r Achte dieser Meinung gewesen.
Die Krise ist männlich
Die Sicherheit des eigenen Arbeitsplatzes wird von den Geschlechtern unterschiedlich eingeschätzt. Männer beantworten diese Frage seit Jahren deutlich optimistischer als Frauen. Die Krise hat allerdings dazu geführt, dass sich das zumindest kurzfristig umgekehrt hat: Von Herbst 2008 bis ins Frühjahr 2009 schätzten 77,8 Prozent der Männer ihren Arbeitsplatz als sicher ein. Bei den Frauen waren es hingegen 78,6 Prozent. Dieser Befund deckt sich auch mit dem Verlauf der Wirtschaftskrise, die vor allem männerdominierte Produktionsbranchen getroffen hat. Seit Frühsommer 2009 hat sich das Verhältnis wieder »normalisiert«, Männer schätzen ihre Arbeitsplätze wieder sicherer ein als Frauen (81,6 zu 80,6 Prozent).
Auch die Frage nach Einschätzung der Chancen, im Fall des Falles wieder eine annehmbare Arbeitsstelle zu finden, wird negativer beantwortet. Zwar stieg im ersten Halbjahr 2008 die Zahl der optimistischen ArbeitnehmerInnen noch an: nach 50,7 Prozent im Frühjahr auf mehr als 55 Prozent im Sommer. In den Monaten danach folgte der Absturz - Anfang 2009 waren nur noch 47 Prozent der unselbstständigen Beschäftigten der Meinung, dass sie - wenn notwendig - wieder leicht einen annehmbaren Arbeitsplatz finden würden.
Nach Geschlechtern differenziert stellt sich das Bild folgendermaßen dar: Männer sind bei dieser Frage seit Jahren kontinuierlich optimistischer als Frauen. Die Zahl der Optimisten ist seit Frühjahr 2008 zwar deutlich gesunken, es waren aber stets mehr Männer zuversichtlich, wieder einen zu Job zu finden. Bei den Arbeitnehmerinnen waren hingegen stets die Pessimistinnen in der Überzahl, nur kurz vor Ausbruch der Krise im Sommer 2008 - als die Jobaussichten sehr gut bewertet wurden - hatten die Optimistinnen mit 50,1 Prozent eine knappe Mehrheit.
Krise auch in den Geldbörsen
Die Zufriedenheit mit dem Einkommen ist ebenfalls in der Krise in Bewegung geraten. Hatten zu Jahresbeginn 2008 noch mehr als 61 Prozent der Befragten angegeben, sie seien mit ihrem Einkommen »sehr« beziehungsweise »ziemlich zufrieden«, so sank dieser Wert zum Jahresende auf 55,8 Prozent. Er ist seitdem wieder auf 60 Prozent angestiegen. Bei dieser Entwicklung ist auch der Verlauf der Inflationsrate, die im Jahr 2008 deutlich höher lag als heuer, mitzudenken.
Die regionale Entwicklung der Arbeitszufriedenheit weist ebenfalls einige auffallende Trends auf. In den vergangenen Jahren war stets ein West-Ost-Gefälle gemessen worden, die Arbeitszufriedenheit war prinzipiell im Westen und Norden höher als im Osten und Süden. Die Wirtschaftskrise hat sich vor allem im Norden und Süden bemerkbar gemacht. In den Bundesländern Oberösterreich und Salzburg sank der Arbeitsklima Index vom Herbst 2007 von 115 Punkten auf 109 Punkte im Frühjahr 2009. Noch dramatischer der Rückgang in den südlichen Bundesländern Steiermark und Kärnten mit 106 Indexpunkten im Frühjahr 2009 nach 114 Indexpunkten im Herbst 2007. Im Westen (Tirol und Vorarlberg) als auch im Osten (Wien, Niederösterreich, Burgenland) hat sich die Krise hingegen weniger stark ausgewirkt. Der Index blieb dort relativ stabil.
Die unterschiedliche Entwicklung des Arbeitsklima Index lässt sich aus den strukturellen Unterschieden zwischen den Regionen erklären. Dort, wo es große, meist exportorientierte Industriebetriebe gibt - wie etwa in Oberösterreich oder der Steiermark - war der Einbruch der Arbeitszufriedenheit größer als in den übrigen Bundesländern. Tirol und Vorarlberg mit ihrem höheren Dienstleistungsanteil wurden ebenso wie Wien und Niederösterreich mit vielen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von der Krise weniger getroffen.
Index hat sich bewährt
Der Arbeitsklima Index hat sich seit seiner Einführung Mitte der Neunzigerjahre zu einem stabilen und zuverlässigen Messinstrument für die Stimmung unter den Beschäftigten in Österreich entwickelt. Seine Zuverlässigkeit hat er auch in der aktuellen Wirtschaftskrise bewiesen, die vorliegenden Ergebnisse weisen den Weg für künftige Politik im Interesse der ArbeitnehmerInnen.
Jobsicherheit: Die Wirtschaftskrise hat die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes unter den ArbeitnehmerInnen deutlich erhöht. Einerseits wird die wirtschaftliche Zukunft Österreichs deutlich negativer gesehen als vor der Krise, zudem wird der persönliche Arbeitsplatz als gefährdeter erlebt. Die Angst um den Job ist vor allem bei Männern spürbar größer geworden, Frauen scheinen hier generell realistischer zu sein. Auch die Chancen auf einen neuen Arbeitsplatz werden deutlich negativer bewertet als noch vor der Krise.
Einkommen: Die Zufriedenheit mit dem Einkommen ist in den ersten Monaten der Krise deutlich gesunken. Dieses Ergebnis ist besonders bedenklich, wenn sie vor dem Hintergrund der Entwicklung seit Beginn der Arbeitsklima-Messungen Mitte der Neunzigerjahre gesehen wird. Die mittlerweile 13 Jahre umfassenden Daten zeigen, dass die Zufriedenheit mit dem Einkommen auch in Zeiten guter Wirtschaftsentwicklung nicht zunimmt. Der kontinuierliche Trend des Arbeitsklima Index nach oben spiegelt sich nicht in einer vergleichbaren Aufwärtsentwicklung der Einkommenszufriedenheit wider. Die derzeit laufenden Kollektivvertragsverhandlungen werden daran wohl nichts ändern, wird doch die Arbeitgeberseite nicht müde, auf die in diesem Jahr besonders schwierige wirtschaftliche Situation hinzuweisen, die angeblich kaum Spielraum für höhere Einkommen gebe. Für die VerhandlerInnen der Arbeitnehmerseite eine schwierige Situation.
Info&News
Was ist der Arbeitsklima Index?
Der Arbeitsklima Index ist ein wissenschaftliches Instrument, um wirtschaftliche und soziale Veränderungen aus Sicht der Beschäftigten zum Thema zu machen. Der Index bildet damit ein Gegengewicht zu den üblichen makroökonomischen Maßzahlen, die die Anliegen und Interessen der Beschäftigten nicht abbilden können.
Für den Arbeitsklima Index werden regelmäßig rund 1.000 Personen befragt. Er ist damit für alle Beschäftigten repräsentativ. Die Arbeiterkammer Oberösterreich veröffentlicht die Ergebnisse viermal im Jahr, die Ergebnisse stoßen in Presse und Öffentlichkeit auf großes Interesse.
Weblink
Mehr Infos unter:
www.arbeiterkammer.com
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In den 1970ern Arbeitskräfteersatz
Zu Beginn der Entwicklung der Leiharbeitsbranche war der Ad-Hoc-Ersatz charakteristisch: geringe Nutzungsintensität, punktuelle, auf wenige Arbeitsbereiche beschränkter Einsatz und eine vergleichsweise kurze Einsatzdauer. Betriebe nutzten Leiharbeit, um kurzfristigen Personalausfall zu kompensieren. Stand in den 1970er- und 1980er-Jahren Leiharbeit als Arbeitskräfteersatz im Mittelpunkt, hat sie zwischenzeitlich quantitativ stark an Bedeutung verloren.
Leiharbeit als Anpassungsinstrument - als Flexibilitätspuffer - an reale Schwankungen des Auftragsvolumens gehört ebenfalls zur klassischen Typologie. Durch Leiharbeit reduzieren Unternehmen vor allem Such- und Einstellungskosten, denn Verleihfirmen übernehmen die Selektion und Rekrutierung potenzieller Arbeitskräfte, jedoch mit dem Risiko der »Verfügbarkeit« von Arbeitskräften in ausreichendem Umfang. Oft ist der kurzfristige Bedarf so höher, als einzelne Verleihfirmen Leiharbeitskräfte zur Verfügung stellen können.
Heute strategisches Instrument
Unternehmen nutzen neuerdings Leiharbeit nicht mehr nur als Anpassungsinstrument, sondern als strategisches Instrument. Sie wird eingesetzt, um ungewisse Entwicklungen der Märkte auf Profitabilität und damit die Kapitalrendite zu kontrollieren. Damit wird Leiharbeit zum Instrument des Finanzmarktkapitalismus. Die Leiharbeitskräfte werden zu einem festen Bestandteil der Belegschaft und dauerhaft für die gleichen Arbeiten wie die Stammkräfte eingesetzt. Disponenten der Verleihfirmen übernehmen Teile der Steuerung und Kontrolle der Arbeit, entweder in Form des On-Site-Managements oder durch regelmäßige Besuche im Betrieb. Zur Stabilisierung der Profitabilität im Falle eines unerwarteten Auftragseinbruchs können die Leiharbeitskräfte unmittelbar an die Verleihfirma zurückgeschickt werden. Durch Leiharbeit wird ein erheblicher Teil des Beschäftigungsrisikos »ausgelagert«, der gesetzliche Kündigungsschutz faktisch ausgehebelt. Gerade Leiharbeit diesen Typs kann zum neuen bevorzugten Instrument der kapitalorientierten Beschäftigungsformen werden.
Leiharbeit bleibt unfreiwillig
Die Angst um den Arbeitsplatz lässt viele in den sauren Apfel beißen, für viele ist Leiharbeit besser als Arbeitslosigkeit. Allerdings wählen nur wenige freiwillig dieses Beschäftigungsverhältnis. Laut einer Sora-Umfrage haben sich 55 Prozent der Befragten für Leiharbeit entschieden, weil sie sonst keine Arbeit gefunden hätten. Lediglich 20 Prozent davon sind der Ansicht, damit die für sie passende Beschäftigungsform gefunden zu haben. LeiharbeiterInnen bekommen als Erste grobe Konjunkturschwankungen, ausgelöst durch die Finanzmarktkrise, zu spüren.
Niederschlag findet diese »Zwangslage« im Arbeitklima-Index. Seit 1997 vierteljährlich erhoben ist er Maßstab für den wirtschaftlichen und sozialen Wandel und lässt relevante Schlüsse auf die Befindlichkeit aller Beschäftigten zu und die zeigt sich relativ düster. Der jüngst veröffentliche »Resignationsindex« hat gegenüber dem Vorjahr um weitere vier Punkte zugelegt und hält bei einem Höchststand von 65 Punkten. Deutlich erkennbar, dass viele ArbeitnehmerInnen ihre Erwartungen an die berufliche Tätigkeit nach unten geschraubt haben und nicht mehr an eine positive Veränderung ihrer Arbeitsbedingungen glauben. Rund zehn Prozent der Beschäftigten müssen zur Gruppe der völlig Resignierten gezählt werden. Wenn Krisen aufziehen, stehen LeiharbeiterInnen meist ganz vorne auf der Liste der »Freisetzungen«, ihnen bläst der eisige Wind als Erste ins Gesicht. Aber auch der Stammbelegschaft wird durch LeiharbeiterInnen täglich vorgeführt, wie schnell sich die Arbeitsverhältnisse ändern können.
Leiharbeit ist im Kommen
ExpertInnen gehen davon aus, dass es zu einer verstärkten Zunahme von Leiharbeit nach der »Krise« kommen wird. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie des Deutschen Otto-Brenner-Institutes der IG-Metall. Die Ursachen dafür sind dreierlei. Zum einen sind viele Unternehmen in den vergangenen »guten« Zeiten bezüglich Leiharbeit auf den Geschmack gekommen. Für Unternehmen, die sich an kurzfristigen Renditen orientierten, hat sich die strategische Nutzung des Instruments Leiharbeit als kurzfristige Absicherung der Kapitalrendite und der Profitabilität bewährt. Dass kurzfristige Kosteneinsparungen möglicherweise langfristige Folgekosten in Form von sinkender Mitarbeiterloyalität, einer Überalterung der Belegschaften, Qualitätsproblemen entstehen können, wird unter dem Druck der Kurzfristigkeit kaum wahrgenommen.
Zum anderen stehen, bedingt durch die Krise, neue Rationalisierungen bevor. Arbeitsabläufe werden zerlegt, betriebliches Wissen der Arbeitskräfte wird entwertet, Erfahrungswissen betrieblicher FacharbeiterInnen wird in Daten und Informationssysteme verlagert und so nicht nur Produktionsfluss und Warenfluss, sondern auch Arbeit gesteuert. Anlernzeiten für LeiharbeiterInnen verringern sich, die qualifizierten Arbeitskräfte sind einfacher austauschbar und die Barrieren für strategische Nutzung der Leiharbeit werden durchlässig.
Zu guter Letzt fördert strategische Nutzung von Leiharbeit Schließungsprozesse, die für Verleihfirmen zunehmend mehr qualifizierte Arbeitskräfte verfügbar machen. Je mehr Betriebe die neuen Nutzungsstrategien einsetzen, desto größer ist die Verfügbarkeit auch an qualifizierten Leiharbeitskräften. Verleihfirmen spielen bereits auf dem »Klavier«, es mehren sich Anzeichen dafür. Direkt vom Arbeitsmarkt werden aus diesen Berufsgruppen kaum noch Arbeitskräfte rekrutiert. Damit sinken für Arbeitskräfte, die in der aktuellen Krise arbeitslos werden, die Chancen, direkt in ein reguläres Arbeitsverhältnis zurückzukehren. Während minder ausgebildete Leiharbeitskräfte in großer Zahl betriebsbedingt gekündigt werden, versuchen die Verleihfirmen qualifizierte Arbeitskräfte zu halten. Die Verleihfirmen warten nur darauf, arbeitslos gewordene FacharbeiterInnen als potenzielle Leiharbeitskräfte zu rekrutieren, um für den »neuen« Aufschwung, für wirtschaftliche bessere Zeiten gerüstet zu sein.
Bis zu einem Drittel Leihpersonal
Schwankende Anforderungen von Kunden/-innen, Rendite und Kostenvorgaben können nur bedient werden, wenn sich die Belegschaft bis zu einem Drittel aus Leihpersonal zusammensetzt. Sie werden nur bezahlt, wenn es Arbeit gibt und können einfach entlassen werden. Die Leiharbeit wird zum strategischen Management-Instrument. Ursprünglich gedacht für Boomzeiten, oder um kurzfristig Personal einzustellen, wird die Leiharbeit mehr und mehr zu anderen Zwecken genutzt.
Reservearmee
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass eine wachsende Zahl von Unternehmen versucht, Leiharbeit verstärkt zur Profitsteigerung zu nutzen. LeiharbeiterInnen werden, reduziert auf ihre strategische Nutzung, zu einer »Reservearmee« und führen dem Stammpersonal ihre Ersetzbarkeit direkt vor Augen, einem positiven Arbeitsklima nicht gerade dienlich.
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Studie des Otto-Brenner-Institutes:
www.igmetall.de/cps/rde/xchg/internet/style.xsl/view_1765.htm
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Der Schlüssel zum Lohnzettel
Die Lohnabrechnung muss folgende Angaben enthalten:
Aufstellung über die SV-Beiträge
Krankenversicherung (KV): Unterscheidet sich bei ArbeiterInnen und Angestellten um einen minimalen Prozentsatz. ArbeiterInnen zahlen 3,95 Prozent und Angestellte 3,83 Prozent für die Krankenversicherung. Die Aufgaben der Krankenversicherung reichen von der Früherkennung und Behandlung von Krankheiten bis hin zur Rehabilitation.
Arbeitslosenversicherungsbeitrag (AV): Beträgt drei Prozent für alle ArbeitnehmerInnen. Mit der Arbeitslosenversicherung sichern sich Arbeitnehmer für den Fall der Arbeitslosigkeit ab, sie bekommen dann monatlich Arbeitslosengeld.
Arbeiterkammerumlage (AK): Aufgrund der Pflichtmitgliedschaft in der Arbeiterkammer muss diese Umlage geleistet werden. Ausnahmen sind: Arbeitslose, Lehrlinge, Zivildiener/Grundwehrdiener und Karenzierte. Sie zahlen keine AK-Umlage. Zurzeit beträgt die AK-Umlage 0,5 Prozent.
Pensionsversicherungsbeitrag (PV): Liegt bei 10,25 Prozent. Die Leistungen aus der Pensionsversicherung sind die Pensionen, die den Lebensstandard auch nach der Erwerbstätigkeit sichern sollen.
Der Wohnbauförderungsbeitrag beträgt ein Prozent und ist je zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer zu tragen. Die ArbeitnehmerInnen zahlen also 0,5 Prozent. Dieser Beitrag wird für den geförderten Wohnbau verwendet. Keinen Wohnbauförderungsbeitrag zahlen unter anderem:
Lohnsteuer: Jedem/r ArbeitnehmerIn wird die Lohnsteuer vom Bruttolohn abgezogen. Die Lohnsteuer wird mit der Lohnsteuerbemessungsgrundlage (siehe nächsten Punkt) berechnet. Die Höhe der Abgaben schwankt dabei je nach Gehalt. ArbeitnehmerInnen, deren Einkommen im Jahr unter 11.000 Euro liegt, zahlen keine Lohnsteuer. Liegt der Bruttoverdienst jährlich beispielsweise bei 21.000 Euro so werden 36,50 Prozent an Lohnsteuer abgeführt, bei einem Verdienst von über 60.000 Euro jährlich liegen die Abgaben bei 50 Prozent.
Bemessungsgrundlage für die Lohnsteuer: Betrag für den Lohnsteuer bezahlt werden muss.
Bruttolohn
- Sozialversicherungsbeitrag
- Gewerkschaftsbeitrag
= LSt.-BM-Grundlage
In Summe beträgt die Höhe der SV-Beiträge für ArbeitnehmerInnen 18,2 Prozent und bei Angestellten 18,07 Prozent.
Individuelle Bezüge wie Zulagen, Überstunden, Prämien und Pendlerpauschale sind in diesen angegebenen Beträgen nicht mitgerechnet. Genauso wenig die Betriebratsumlage und der Gewerkschaftsbeitrag, den viele ArbeitnehmerInnen mittels Gehaltsabzug einzahlen. In so einem Fall wird der Gewerkschaftsbeitrag auch auf der Gehaltsabrechnung ausgewiesen. Der Mitgliedsbeitrag beträgt derzeit ein Prozent des Bruttoeinkommens.
Die Gewerkschaften verhandeln jährlich den Kollektivvertrag (KV). Die jährliche Lohnerhöhung, Weihnachts- und Urlaubsgeld sind nur durch den KV gesichert und nicht durch ein Gesetz. Gibt es einen Betriebsrat im Betrieb, wird auch die Betriebsratsumlage in der Höhe von maximal 0,5 Prozent abgezogen. Der Betriebsrat dient als direktes Sprachrohr zur Geschäftsleitung, aber vor allem auch zur Arbeiterkammer und den Gewerkschaften.
Doch nicht nur ArbeitnehmerInnen zahlen Beiträge an die Sozialversicherung, sondern auch die ArbeitgeberInnen. Die sogenannten Lohnnebenkosten, die der Arbeitgeber für seine Beschäftigten bezahlt, werden vom Bruttogehalt berechnet und an die Sozialversicherung überwiesen. Diese fallen aber deutlich höher aus als die Arbeitnehmerausgaben. Nämlich insgesamt 30,73 Prozent.
Lohnnebenkosten des Arbeitgebers:
Als weitere Lohnnebenkosten werden zum Beispiel auch das Urlaubs- und Weihnachtsgeld, Feiertagsentgelt und Karenzgeld bezeichnet.
All die genannten Beispiele sind direkte oder indirekte Lohnbestandteile. Eine Verringerung dieser würde zu Einkommensverlusten und zu einer Verschlechterung der sozialen Absicherung führen. Erscheinen die Abzüge trotzdem noch zu hoch, gibt es die Möglichkeit, über Freibeträge monatlich einen Teilbetrag zurückzubekommen.
Info&News
Eine Projektgruppe des 58. Lehrgangs der Sozialakademie von AK und ÖGB erstellte einen Folder und eine Informationsbroschüre, die die Abgaben und Leistungen, die sich daraus finanzieren lassen, erklärt. So zum Beispiel werden in der Broschüre direkte und indirekte Steuern, Lohnnebenkosten und vieles mehr genau beschrieben. Infos unter: Tel.: 01/534 44/149 Dw., E-Mail: servicecenter@oegb.at
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Nähere Infos finden sie unter
www.bmf.gv.at
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Beteiligt am Produktivitätszuwachs
In den Kollektivvertrags(KV)-Verhandlungen wird jeweils die Erhöhung der nominellen »Geld«-Löhne für die einzelnen Wirtschaftsbranchen festgelegt. Dabei streben die Gewerkschaften eine Abgeltung des Kaufkraftverlustes durch Inflation und darüber hinaus eine Reallohnerhöhung als Beteiligung der ArbeitnehmerInnen am Produktivitätszuwachs an.
Bei der einen Komponente, der Inflation, wird die Verbraucherpreisentwicklung (VPI) während der zu Ende gehenden Periode, aber auch die erwartete Preisentwicklung während der künftigen Periode aufgrund der jeweilig aktuellen Preisprognose berücksich-tigt. Gerade die vergangenen zwei Jahre (seit 2007) haben gezeigt, dass damit ein beträchtliches Unsicherheitsrisiko verbunden ist. Die enorm starken Preisschwankungen auf den internationalen Rohstoffmärkten, vor allem dem Ölmarkt, haben massive Auswirkungen auf die Verbraucherpreise in Österreich und der EU gehabt, die nicht vorhergesehen wurden.
Achterbahn der Verbraucherpreise
Am Beispiel der KV-Abschlüsse in der Metallindustrie seit 2007 kann man zeigen, wie sehr deshalb die erwartete und die tatsächliche Reallohnentwicklung auseinanderlaufen können. Die unerwartet starke Beschleunigung der Inflation im Jahr 2008 hatte zur Folge, dass die aus dem KV-Abschluss vom Oktober 2007 erwartete Reallohnerhöhung von 1,5 Prozent praktisch ganz verloren ging. Beim darauffolgenden KV-Abschluss vom Oktober 2008 kehrte sich diese Entwicklung um. Durch die unerwartet starke Verlangsamung der Inflation ist die reale Erhöhung der KV-Löhne nun etwa doppelt so hoch (drei Prozent) wie erwartet (1,5). Details dazu siehe Kasten.
Von der achterbahnartigen Bewegung der Verbraucherpreise waren die Kollektivvertragslohnabschlüsse der einzelnen Gewerkschaften in ganz unterschiedlichem Ausmaß betroffen. Bei späterem Zeitpunkt (z. B. den KV-Abschlüssen im Mai 2008 im Baugewerbe) wirkte sich die Beschleunigung der Inflation weniger aus. Andererseits führte der Rückgang der Inflationsrate und der Prognosen im Jahr 2009 dazu, dass die KV-Lohnerhöhungen schon deutlich unter dem Metallabschluss vom Oktober des Vorjahres lagen (z. B. Elektroindustrie im Mai 2009 mit 2,2 Prozent, Nebenbedingungen).
Kern der Sozialpartnerschaft
Unangetastete Geltung der Einzelheiten der KV-Vereinbarung während der Vertragsdauer ist ein wesentlicher Stabilitätsvorteil und damit ein Kernbestandteil des österreichischen Systems der Arbeitsbeziehungen und der Sozialpartnerschaft. Voraussetzung dabei ist, dass in unterschiedlichen Situationen immer die gleichen Prinzipien angewendet werden. Was nicht angeht ist, dass ein Prinzip dann in Frage gestellt wird, wenn seine Anwendung nicht zum eigenen Vorteil gereicht. Gerade dies haben einzelne Vertreter von Industrieseite in letzter Zeit versucht.
Mit dem Hinweis auf den Rückgang bei Aufträgen und Produktion wurden für 2009/2010 Forderungen nach einer »Nulllohnrunde« erhoben, vorgeblich auch, um die ohnehin sinkende Beschäftigung nicht noch zusätzlich zu gefährden. Tatsächlich aber würde der Verzicht auf Lohnerhöhungen für das Jahr 2010 einen Rückschlag für die ohnehin noch auf unsicheren Beinen stehende Erholung der Wirtschaft mit sich bringen.
Das geringe Wachstum des privaten Konsums war der Hauptgrund für die viel beklagte »Schwäche der Binnennachfrage« im Konjunkturzyklus 2003/2009. Dass trotz des starken Rückgangs der Beschäftigung der private Konsum 2009 nicht eingebrochen ist, sondern sogar leicht zugenommen hat, ist dem Reallohnzuwachs in diesem Jahr zuzuschreiben, der durch eine Lohnsteuersenkung zum richtigen Zeitpunkt verstärkt wurde. 2010 gibt es keinen weiteren Impuls aus einer Steuersenkung.
Die Beschäftigung wird im nächsten Jahr noch einmal sinken. Eine Reallohnerhöhung ist daher die Voraussetzung dafür, dass das Niveau des privaten Konsums zumindest aufrecht erhalten werden bzw. bei einem Rückgang der Sparquote leicht zunehmen kann.
In der Rezession 2009 steigt die Lohnquote (Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen) deutlich an. Damit wird aber nur ein Teil des Rückgangs der vergangenen Jahre wettgemacht. Mit 68,8 Prozent erreicht die Lohnquote 2009 noch nicht den Wert von 2000 (70,3 Prozent), und schon gar nicht jenen von 1995, des letzten Jahres mit einer Normallage (72,9 Prozent).
Langfristig liegen die Löhne daher weiterhin hinter der Produktivitätszunahme zurück. Ausreichend Spielraum für eine Reallohnerhöhung 2010 besteht nicht zuletzt auch deshalb, da sich die internationale Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft im vorigen Konjunkturaufschwung (2005/08) um gut fünf Prozent verbessert hat.
Neues Wachstumsmodell gefordert
Seit den 90er-Jahren hat sich die Wirtschaft weltweit zunehmend nach einem Wachstumsmodell entwickelt, das angetrieben wurde von den Nachfrageeffekten der Finanzblase, d. h. von einer immer höheren Verschuldung der Finanzinvestoren und der Haushalte, mit starker Zunahme der Ungleichheit der Vermögens- und (weniger) der Einkommensverteilung. Beide Grundlagen sind mittel- und langfristig nicht tragfähig:
Gefordert ist nun ein neues Wachstumsmodell: ein gleichgewichtiges Wachstum auf der Angebots- und Nachfrageseite der Wirtschaft, d. h. wachsende (Konsum-)Nachfrage gestützt auf eine Zunahme der realen Löhne und Gehälter parallel zur Produktivität. Darüber hinaus muss eine Reform der Finanzmarktregulierung die Bildung neuer Finanzblasen verhindern und dafür sorgen, dass der Finanzsektor auf seine dienende Funktion gegenüber der Realwirtschaft zurückgeführt wird.
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Die mühsamen ersten Schritte zu überbetrieblichen Kollektivvertragsverhandlungen für das Gewerbe wurden vor dem Ersten Weltkrieg im Rahmen der Gehilfenausschüsse der Zwangsgenossenschaften getan. Rechtsgrundlage dafür war eine Bestimmung der Gewerbeordnung, die es diesen Ausschüssen erlaubte, mit den »Prinzipalen« (also den ArbeitgeberInnen, die in den Genossenschaften das Sagen hatten) verbindliche Vereinbarungen abzuschließen. Das gelang in der Praxis immer erst, wenn sich die Mehrheit der Gehilfen einer Gewerkschaft angeschlossen hatte (Frauen waren bis 1918 nicht zugelassen).
Ausgewählt und kommentiert von Dr. Brigitte Pellar
brigitte.pellar@aon.at
und vieles mehr
Jede Teilnehmerin/jeder Teilnehmer an der TOP-Infomesse erhält einen Beratungsscheck für eine arbeitsrechtliche Erstberatung im Wert von EUR 100,-.
Wir ersuchen um Anmeldung bei Kollegin Irene Aahs - Telefon: 05 0301-21258, Fax: 05 0301-71258, E-Mail: irene.aahs@gpa-djp.at
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Projektplattform Menschenwürdige Arbeit:
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Der erste Lohn
Der erste Lohn vom Ferialjob mit 16 wurde in den Urlaub investiert. Vier endlose Wochen malte ich mir in dem staubigen Büro aus, was ich mit diesem (sehr) kleinen Vermögen in den Ferien alles anstellen werde, meinem Geld, selbst verdient. Nicht einfach nur Taschengeld - das Gehalt fürs Tochter sein -, sondern Lohn fürs Früh aufstehen, fürs nicht Baden gehen, fürs Lernen und Dinge richtig machen, fürs Unterordnen - für die Bereitstellung meiner Arbeitskraft. Ich habe viel gelernt in diesem ersten Job von und über Menschen, Ämter und Büroarbeit. Und Arbeiten hat mir durchaus Freude gemacht.
Ich hab mir dann schließlich von dem Geld ein Paar Schuhe gekauft in Frankreich. Sündteure Ledersandalen, die im Grunde aus drei Riemchen bestanden haben. Jenseits aller Vernunft. Wie viel exakt ich damals verdient hatte, weiß ich nicht mehr. Aber an das Gefühl, als ich meinen ersten Lohn bei der Bank einlöste, kann ich mich noch so genau erinnern wie an die Sandalen: Ich war erwachsen.
Der Lohn der Arbeit, das ist ja allgemein bekannt und wird gerne betont, liegt nicht nur im Arbeitsentgelt. Es geht auch um die Arbeit selbst, das gute Gefühl, sie gut zu erledigen - ganz egal ob in der Produktion, im Handel oder in der Dienstleistung. So ist es mir in diesen Tagen auch wunderbarer Lohn für meine Arbeit (& Wirtschaft), wenn ich Ihnen begegne und Sie unsere Zeitschrift loben. Auch Ihre Anregungen waren bislang stets Lohn-end. Aber wie wir alle, bin ich auf Geld angewiesen, um mein Leben zu bestreiten und meine Zukunft zu sichern - auf Geld für die Bereitstellung meiner Arbeitskraft, meines Wissens, meiner Erfahrung.
Und genauso geht es wohl auch der Kindergärtnerin, die das große Leid eines kleinen Buben lindert, dem Fabriksarbeiter, der am »Auto des Jahres« mitgearbeitet hat, dem Supermarktverkäufer, der der Kundin das Gesuchte präsentiert, der Ärztin, die ein Leben rettet. Sie alle freuen sich sicher über Dank, Wertschätzung, Anerkennung, ein Lächeln, sie freuen sich, dass sie ihren Job gut erledigt haben, aber letztendlich brauchen Sie alle faire Löhne und Gehälter. Auch und gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Immerhin haben 17 ATX-Unternehmen heuer insgesamt 2,2 Mrd. Euro an Dividende an ihre AktionärInnen ausgeschüttet. Und es ist nicht Leistung, die sich hier für diese bezahlt macht - es ist Gewinn, mit dem man Arbeitsplätze retten könnte, Löhne zahlen könnte, KV-Erhöhungen finanzieren.
Leistung muss sich lohnen
»Leistung muss sich lohnen«, forderte der Finanzminister erst vor kurzem in einer Grundsatzrede, und da möchte man ja auch gerne zustimmen. »Leistungsgerechtigkeit« verlangt er für mehr »Verteilungsgerechtigkeit« und lässt all jene unerwähnt, die ein Einkommen ohne Leistung haben.
Sicher: Arbeit muss sich lohnen. Aber die Zahl jener, für die sich ihre Arbeit wenig lohnt, weil sie mit dem Einkommen nicht auskommen, steigt, und auch die Arbeitslosenzahlen wachsen konstant. Für andere wiederum hat sich lebenslange Arbeit in der Pension nicht wirklich gelohnt. Immer mehr Menschen sind armutsgefährdet. Hier muss nach wie vor der Staat Verantwortung tragen. Denn unser reiches Österreich kann und muss sich den Sozialstaat leisten. Eine Gesellschaft kann nämlich nicht nur auf Leistung fixiert sein. Sie muss auch auf ausreichend Solidarität und Menschlichkeit schauen.
Denn auch das lohnert sich.
Billige Bananen
Von 1.303 Mio. US-Dollar im Jahr 2007 stiegen die ecuadorianischen Bananenexporte 2008 auf 1.640 Mio., diese Tendenz der zweistelligen Zuwachsraten setzte sich, trotz globaler Wirtschaftkrise, auch 2009 fort. Die Banane ist längst kein Luxusgut mehr in den nördlichen Industriestaaten von Europa bis Japan, von den USA bis Russland. Obwohl einmal um die Welt geschifft, wird sie preisgünstiger angeboten als einheimische Früchte wie Äpfel oder Pfirsiche. Hungerlöhne sind die andere Seite des Millionengeschäfts.
Zwar ist die Plantagenwirtschaft »produktiver« als die kleinbäuerliche Struktur, aber keineswegs in sozialer Hinsicht und in Bezug auf die Umwelt. Die hochmodernen Plantagen schaffen Reichtum - für ihren Besitzer -, aber nur wenige Arbeitsplätze, etwa 0,6 pro Hektar. Hier leistet ein Kleinbetrieb fast doppelt so viel, insbesondere wenn er sich an ökologischen Kriterien oder denen des fairen Handels orientiert. Nur unter diesen Bedingungen garantiert die Bananenproduktion in Ecuador ein gesichertes und ausreichendes Einkommen. Kleinbauern, die im herkömmlichen System arbeiten, das von Mittelsmännern und wenigen Exporteuren kontrolliert wird, schaffen den Sprung über die Armutsgrenze ebenso wenig wie die ArbeiterInnen in den Plantagen.
Das ecuadorianische Agrobusiness scheint außerhalb jeder gesetzlichen Regelung. Zwar existieren einige Gesetze, Kontrollen des Arbeits- oder Umweltministeriums sind aber exotische Ausnahmen, ebenso wie die Existenz von Gewerkschaften. Die große Mehrheit der ArbeiterInnen verfügt über keine schriftlichen Verträge, ist dem Sozialversicherungssystem nicht angeschlossen und erreicht selbst im - durchaus nicht üblichen - Fall der Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes von 218 Dollar im Monat keineswegs die Armutsgrenze von aktuell 521 Dollar.
Gelber Exportschlager
Auf gut 200.000 Hektar erwirtschaften 6.500 Betriebe Bananen, ganz überwiegend für den Export. 71 Prozent aller Betriebe sind kleiner als 20 Hektar, machen zusammen aber nur 23 Prozent der Anbaufläche und 16 Prozent der Produktion aus. Demgegenüber verfügen 3,5 Prozent der Betriebe über mehr als 100 Hektar, kontrollieren 31 Prozent der Fläche und 45 Prozent der Produktion der gelben Frucht. Allein die sieben Plantagen über 1.000 Hektar, die sich in den Händen der nationalen Bananenkonzerne Wong und Noboa befinden, machen zehn Prozent der Anbaufläche aus.
Und was hat das alles mit Europa zu tun?
Zollwahnsinn
Ecuador ist der zweitwichtigste Lieferant für den europäischen Markt, mit 26 Prozent knapp nach Kolumbien. Bemerkenswert oder besser: skandalös ist, dass die EU Bananen aus Ecuador und anderen lateinamerikanischen Ländern mit einem hohen Zoll belegt: 176 Euro (etwa 240 Dollar) pro Tonne. Dieser Zoll auf ecuadorianische Bananeneinfuhren füllte die Kassen Brüssels mit etwa 350 Mio. Dollar allein im Jahr 2008 - ohne dass die EU auch nur einen Handschlag dafür hätte tun müssen; zwischen 2006 und 2008 waren das 883 Mio. US-Dollar. Zum Vergleich: Das gültige Abkommen zu EU-Entwicklungsmitteln mit Ecuador für die sieben Jahre von 2007 bis 2013 sieht lediglich 159 Mio. vor.
Diese Zahlen drücken eine perverse Ungleichheit aus, noch krasser erscheint dies auf Produzentenebene. Die übliche Kiste von 18 Kilo weist Produktionskosten im konventionellen Anbau von 3,58 US$ auf, im fairen Handel 4,59 - gegenüber einem Einfuhrzoll von 4,69 Dollar pro Kiste. Die Europäische Union kassiert also mehr, als sämtliche Produktionskosten in Ecuador ausmachen. Zentral im fairen Handel ist das zusätzliche Premium von einem Dollar, den zertifizierte Produzenten pro verkauften Karton erhalten - letztlich lächerlich gering im Vergleich zum EU-Zoll. Da erhalten die hehren Worte zur Förderung des fairen Handels der EU mehr als einen schalen Beigeschmack.
Was passiert mit den EU-Bananenzöllen, die ja auch auf Importe aus Kolumbien, Costa Rica und anderen lateinamerikanischen Ländern erhoben werden? Die etwa 2,6 Mrd. Dollar aus den vergangenen drei Jahren wanderten in den EU-Haushalt und fördern dort letztlich die Agrarsubventionen, die im internationalen Rahmen für großen sozialen und wirtschaftlichen Schaden sorgen.
Doppeltes Unrecht
Innerhalb der Welthandelsorganisation WTO hat es mehrere Schiedssprüche gegen die EU-Zollregelung gegeben, doch fehlt die Durchsetzungsfähigkeit der politisch und ökonomisch Schwächeren. Die EU hat in Verhandlungen angeboten, den Zollsatz in den kommenden Jahren sukzessive auf 114 Euro pro Tonne runterzufahren, was immer noch gut drei Dollar pro Kiste entspräche. Dies sind allerdings verbale Zugeständnisse geblieben, weshalb der ecuadorianische Präsident Rafael Correa den Rückzug seines Landes von den Verhandlungen über einen »Freihandelsvertrag« entschied. In Ecuador setzte daraufhin eine interessante Debatte zum Thema ein, die eine bloße Senkung der Zölle als wenig hilfreich begreift. Den Zoll zahlen die Importeure, seine Reduzierung füllt zunächst deren Taschen. Die Zölle haben eine gewisse Schutzfunktion für die kleine europäische Bananenproduktion und die ehemaligen Kolonien in Afrika und der Karibik (AKP-Staaten), die in ihrer Mehrzahl gegenüber den von multinationalen Konzernen dominierten lateinamerikanischen Produktionsstandorten nicht »wettbewerbsfähig« sind.
Eine Reduzierung des EU-Zolls würde letztlich nur einen Kampf um Preise und Märkte herbeiführen und die Sozial- und Umweltstandards weiter absenken, so fürchten Gewerkschaften und Produzentengenossenschaften. Leistungsfähige Großplantagen, die mit internationalen Fruchthändlern und Supermarktketten eng vernetzt sind, werden mit Sicherheit zu den Gewinnern gehören. Kleinbäuerliche Betriebe in den AKP-Staaten, aber auch in Ecuador sowie die ArbeiterInnen der Plantagen weltweit dürften die VerliererInnen sein.
Forderungen der Gewerkschaft
»Wie kann man garantieren, dass die ArbeiterInnen und KleinproduzentInnen ihren Teil von den neuen Gewinnen erhalten?« fragen die ecuadorianische Landarbeitergewerkschaft FENACLE und das unabhängige Agrarforschungszentrum SIPAE in einem Brief an Präsident Correa. Ihr Vorschlag geht in die Richtung, die eingesparten Zölle für soziale und ökologische Projekte zu verwenden. Offenbar lassen sich ecuadorianische Bananen auf dem europäischen Markt trotz des hohen Einfuhrzolls gut verkaufen. Eine Preissenkung mache von daher keinen Sinn, wichtiger wäre der Transfer der bisherigen Zolleinkünfte nach Ecuador.
Doppeltes Einkommen
Die Senkung des EU-Zolls auf 114 Euro würde auf Basis der letztjährigen ecuadorianischen Importe eine Ersparnis von 125 Mio. Dollar ausmachen, etwa dreimal sowie wie das jährliche Budget des ecuadorianischen Landwirtschaftsministeriums. Damit ließen sich Kontrollen der Arbeits- und Umweltgesetze ebenso finanzieren wie Umstellungsprozesse zur biologischen Bananenproduktion. Für die ökologisch und Fair-Trade orientierten KleinproduzentInnen könnte der Zoll aufgehoben, seine Einsparung direkt an die ProduzentInnen zurückgeführt werden: Sie würden damit - kostenneutral - ihre Einkommen mehr als verdoppeln.
Weblink
Internet-Lexikon wikipedia zu Ecuador:
de.wikipedia.org/wiki/Ecuador
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Dem Himmel so nahe
Aber damit ist er nicht allein: Pfarrerin zu sein ist schon ungewöhnlich - auch wenn in der evangelischen Religion durchaus üblich. Aber Seelsorgerin auf einem Flughafen - die Arbeitsumgebung der Bayerin Gabriele Pace ist nicht alltäglich: Während im Minutentakt die Flugzeuge den Münchner Flughafen in alle Himmelsrichtungen verlassen, ist sie für die Passagiere da - um zu beten oder Trost zu spenden.
Wir arbeiten, um leben und überleben zu können: als ManagerIn, KrankenpflegerIn, LehrerIn, FabriksarbeiterIn, InstallateurIn, VerkäuferIn oder Bäuerin und Bauer. Doch es gibt auch Berufe abseits der Klassiker, die unsere europäische Arbeitswelt beherrschen.
Um das tägliche Brot zu verdienen, nehmen Männer und Frauen zum Teil die bizarrsten, zum Teil die gefährlichsten Jobs an. Die meisten, weil sie es müssen; viele, weil sie es wollen. Geld verdienen und im selben Augenblick seine Würde verlieren - ein guter Tausch? Andere reizt der Nervenkitzel, die Abenteuerlust oder der Gedanke, möglichst schnell viel Bares auf die Hand zu bekommen. Einen gefährlichen Beruf auszuüben bedeutet aber nicht automatisch, auf einen Schlag viel Geld zu verdienen. Oft ist das Gegenteil der Fall.
Millionen Menschen setzen täglich ihr Leben aufs Spiel, nur um knapp überleben zu können. Sie arbeiten unter den extremsten und schlechtesten Arbeitsbedingungen, in einer gesundheitsschädigenden Umgebung, haben keinerlei Rechte, und erhalten einen Minimallohn.
Der Job der MinenarbeiterIn gilt als besonders gefährlich, gesundheitsgefährdend und schlecht bezahlt. Während in den USA und Europa der Beruf MinenarbeiterIn aufgrund von Ressourcenausbeutungen deutlich zurückgegangen ist, graben in Asien, Russland und in Südamerika immer noch Tausende MinenarbeiterInnen in den Tiefen der Berge nach Rohstoffen. Vor allem die lateinamerikanischen BergarbeiterInnen sind für ihre schlechten Arbeitsbedingungen bekannt. Als Paradebeispiel dafür gelten die »mineros«, die in den Minen nahe der berühmten bolivianischen Stadt Potosí nach Silber graben. Die mineros, meist indigener Abstammung, arbeiten trotz der Giftgase ohne die in Europa üblichen Arbeitsschutzvorschriften und erhalten rund vier Dollar am Tag. Oft werden Kinder und Frauen eingesetzt, die sich aufgrund ihrer Größe in den engen Stollen viel besser bewegen können. Dabei werden mineros selten mehr als 38 Jahre alt, die meisten sterben an Silikose - der Staublunge -, ersticken oder werden während Sprengungen durch Felsplatten erschlagen.
Für 70 Euro in die Hölle
Ähnlich gefährlich und noch schmutziger sind die Arbeiten in den Abwasserkanälen in Entwicklungsländern wie z. B. Indien. Hunderte von Tagelöhnern, meist Angehörige der untersten Kaste, waten nackt und ohne Schutzausrüstung metertief in den Exkrementen der Kanalisation des Molochs New Delhi und säubern die verstopften Abflussrohre. Dabei sterben pro Jahr fast rund hundert Arbeiter: Die meisten ertrinken in Fäkalien, ersticken an den gefährlichen Gasen oder erliegen chronischen Krankheiten wie Tuberkulose oder Hepatitis. Die Entlohnung für das Schuften in der Hölle: 70 Euro im Monat.
Das älteste Gewerbe der Welt ist gleichzeitig auch menschenunwürdigste und florierendste: die Prostitution. Escort-Girls oder »Edel-Huren«, die diesen Beruf freiwillig und mit »Leidenschaft« ausüben, können wöchentlich oder gar täglich mehr verdienen als ein gewöhnlicher Angestellter in einem ganzen Monat. Zwangsprostituierte hingegen werden nicht nur gezwungen, ihren Körper zu verkaufen, sie müssen auch oft ihren gesamten Lohn an den Zuhälter abliefern.
»Easy money« trotz Lebensgefahr
Andere setzen ihr Leben aufs Spiel und verdienen Spitzengehälter. So wie die Liechtensteinerin Simone Bargetze: Im Schatten des Schauspielers riskiert sie in Actionszenen ihr eigenes Leben. Springen, stürzen, klettern, fallen, Messerstechereien, Schlägereien - Stuntfrauen und -männer setzen alles um, was SchauspielerInnen sich nicht trauen oder nicht können. Wichtig ist dabei die Vorbereitung: Selbst der kleinste Treppensturz muss präzise eingeübt werden, die Todesgefahr schwebt bei jeder Übung und bei jedem Stunt mit. Für Adrenalinjunkies ein Traumberuf. Die Gagen sind abhängig vom Budget der Filmgesellschaft und vom Stuntrisiko. Bargetze hat es geschafft: Sie ist eine der berühmtesten Stuntfrauen in Hollywood. Trotzdem bleibt es ein undankbarer Job, denn die Anerkennung bekommen immer andere. Königskrabbenfischer in Alaska haben den Ruf, den gefährlichsten Job der Welt auszuüben. Je nachdem wie die Saison ausfällt, kann ein Fischer in wenigen Tagen ein Jahresgehalt verdienen, zwischen 25.000 (rund 17.000 Euro) und 50.000 (73.450 Euro) Dollar. Für den Reichtum in kurzer Zeit setzen die Fischer allerdings ihr Leben aufs Spiel: Härteste körperliche Arbeit bei arktischen Temperaturen und 20-Stunden-Schichten, Kampf gegen Wind und Wellen, Packeis, das das Schiff zum Kentern bringen kann, und die ständige Gefahr, vom schweren Krabbenfangkorb aus Stahl getroffen und getötet zu werden.
Auch die Frauen und Männer des amerikanischen Sicherheitsunternehmens Blackwater hegen wohl weniger den Wunsch, aus idealistischen Gründen für den Weltfrieden zu kämpfen als in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen: Sie dürfen sich über sechsstellige Jahresgehälter freuen; ihr Einsatzgebiet umfasst neun Länder. Lukrativstes Einsatzgebiet der Schattenarmee, die keinem Rechtssystem und keinem Militärkommando untersteht, ist der Irak. Tagessätze von 450 (306 Euro) bis 650 (440 Euro) Dollar sind dort durchaus üblich.
Jobs können hart und anstrengend, gefährlich und herausfordernd sein. Oder einfach schräg und ungewöhnlich: Berufsfelder, von denen man sich kaum vorstellen kann, dass sie existieren. Der Schlussmacher Bernd Dressler hat es vorgemacht: Man kann jede seiner Fähigkeiten zu Geld machen. Oder einfach nur etwas Phantasie haben, wie bei diesen Jobs: Viel Einfühlsamkeit und Pietät erfordert der anspruchsvolle und abwechslungsreiche Beruf des Tatortreinigers.
Hingegen müssen die FoodstylistInnen mit Kreativität und Stressresistenz aufwarten, wenn sie zubereitete Speisen so präparieren müssen, dass sie auch fotogen sind. Oder WorterfinderInnen, die vor allem in Frankreich und Island gebraucht werden, um eigene Wörter zu erfinden, nur um den Siegeszug der Anglizismen zu stoppen.
Der beste Job der Welt
Wenig Mitleid muss man mit Ben Southall haben. Die Job Description des Briten klingt Otto Normalbürger gegenüber wie blanker Hohn: Southall ist noch bis Ende des Jahres sogenannter »Island Caretaker«: Er muss ein halbes Jahr in einer Villa mit Verpflegung am australischen Great Barrier Reef verbringen. Sein Arbeitsalltag besteht aus »schwimmen, schnorcheln, Freundschaften mit den Einheimischen schließen und das tropische Queensland-Klima und den Lifestyle dort genießen« und das Erlebte auf einem Blog festhalten. Für die schwere Arbeit erhält er neben Kost und Logis insgesamt 78.000 Euro. Der »Best Job In The World« ist eine Werbekampagne des Tourismusverbands Queensland. Wollen wir hoffen, dass Southall diese Arbeitsbedingungen ohne bleibende Schäden überlebt.
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Tageszeitung- und Rollendrucker
Bei Beginn der Verhandlungen wurde rasch klar, dass die ArbeitgeberInnen in sich äußerst inhomogen agierten.
Die Verhandlungskurien für den Bereich Tageszeitung kamen rasch voran und erreichten im Konsens ein für beide Seiten akzeptables Verhandlungsergebnis.
Etwas schwieriger liefen die Verhandlungen bei den großen Rollendruckern, doch auch hier wurde schlussendlich ein Ergebnis erzielt, das wir als Gewerkschaftskurie gerade noch akzeptieren konnten.
Am schwierigsten sind die Verhandlungen im Bereich Bogendruckereien. Hier sind sich die Verhandler der ArbeitgeberInnen völlig uneins. Es befinden sich in diesem Segment große, mittlere und ganz kleine Druckbetriebe im nationalen Wettbewerb, die sich durch falsche Investitionspolitik in den vergangenen zehn Jahren die Druckpreise völlig ruiniert haben. Es gab insgesamt drei Verhandlungsergebnisse bzw. Übereinstimmung zwischen den Verhandlungskurien der ArbeitgeberInnen und der Gewerkschaft. Diese vermeintlichen Endergebnisse wurden aber jeweils vom Hauptvorstand des Verbandes Druck & Medientechnik mit Mehrheit abgelehnt.
So eine Blamage hat es in der langen Geschichte der grafischen Sozialpartnerschaft noch nie gegeben und das führt auf beiden Seiten zu internen Verwerfungen. Ein Teil der Mitglieder des Arbeitgeberverbandes (Tageszeitungen und ein Teil der Rollenbetriebe) würde am liebsten sofort aus ihrem Verband austreten und bleiben nur, da durch einen Austritt die Gesamtsituation verschärft würde und eine Satzung des Kollektivvertrages unmöglich wird.
Sollte dieser Fall eintreten, dann ist der Arbeitgeberverband am Ende, da kein Unternehmen einen Verband benötigt, der keine arbeitsrechtliche Bedingungen, Löhne und Gehälter mit der Gewerkschaft ausverhandeln kann.
Völlige Fehleinschätzung
Als Dienstleister für die grafischen Betriebe wäre der Verband völlig unnötig, da die Wirtschaftskammern dies sicher besser können. Das ist leider einer kleinen, aber wichtigen Minderheit von Verbandsfunktionären im Verband völlig egal, sie vertreten die Meinung: Ohne Kollektivvertrag würden ihre Betriebe besser wirtschaften. Eine völlige Fehleinschätzung - die auch die meisten ArbeitgeberInnen so sehen - trotzdem setzte sich diese kleine Gruppe gegen die Mehrheit bisher durch. Warum eigentlich?
Konfliktsituation
Der Hauptvorstand des Verbandes besteht aus 32 Mitgliedern, wobei neun Mitglieder zugleich Landesinnungsmeister sind und ein Mitglied Bundesinnungsmeister ist. Diese haben eine Doppelfunktion. Einerseits sind sie normale Mitglieder des Hauptvorstandes, andererseits sind sie Funktionäre der jeweiligen Landeswirtschaftskammer bzw. Bundeswirtschaftskammer und besitzen dadurch Sonderrechte. Eines dieser Sonderrechte ist, dass ihre Stimme - sollte es zu einem Kollektivvertragsabschluss kommen - bei den Satzungsverhandlungen wichtig ist.
Als der Hauptvorstand bei seiner bis jetzt letzten Sitzung dem Verhandlungsergebnis zwischen Gewerkschaft und Verband mit einfacher Mehrheit die Zustimmung gab, verweigerten sechs der »Landesfürsten« die Zustimmung bei der notwendigen Satzung.
Damit wurde das positiv abgestimmte Verhandlungsergebnis ad absurdum, und die sechs »Renegaten« nahmen den Arbeitgeberverband in Geiselhaft. Dass sich solch eine Vorgehensweise unsere Gewerkschaft nicht gefallen lassen kann, verstehen sogar hartgesottene ArbeitgeberInnen. Daraufhin beschloss das Gewerkschaftspräsidium, dass das Ende der Fahnenstange längst erreicht sei und die Kollegenschaft informiert und mobilisiert werden müsse.
Am 29. September kam es in Wien zu der größten Demonstration, die die älteste Teilgewerkschaft des ÖGB je abgehalten hat. Über 2.000 KollegInnen aus ganz Österreich nahmen an dieser mächtigen Kundgebung teil und übergaben dem Präsidenten des Arbeitgeberverbandes eine Protestresolution und drohten mit gewerkschaftlichen Maßnahmen, sollte es in den kommenden sechs Wochen zu keinem akzeptablen Kollektivvertragsabschluss kommen.
Derzeit finden in den österreichischen Druckereien Informations- und Betriebsversammlungen statt, um die Kollegenschaft zu informieren. Zusätzlich werden jene sechs »Landesfürsten« die sich im Glauben befinden, sie könnten ihren Verband und die Gewerkschaft GPA-djp in Geiselhaft nehmen - um ihren arbeitnehmerfeindlichen Forderungen zum Durchbruch zu verhelfen -, besonders betreut.
Situation der Beschäftigten
• Seit 1. April 2009 sollten die jährlichen Lohn- und Gehaltserhöhungen bereits in Kraft sein.
• Seit sieben Monaten warten die Beschäftigten auf die Abgeltung der Inflation und eine kleine Reallohnerhöhung aus dem Jahr 2008.
• Seit 1. Juli 2009 gibt es keinen gültigen Kollektivvertrag.
• Seit vier Monaten versuchen einzelne Arbeitgeberprinzipale, die gewerkschaftlichen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte für ihre Beschäftigten zu verschlechtern, wobei manche ArbeitgeberInnen durchaus erfolgreich sind.
• Seit vier Monaten können ArbeitgeberInnen, die keine Mitgliedschaft zum Verband Druck & Medientechnik haben, das kollektive Arbeitsrecht zuungunsten ihrer MitarbeiterInnen verschlechtern und jene Betriebe in Bedrängnis bringen, die Mitglieder des Arbeitgeberverbandes sind, da bei diesen Betrieben die Nachwirkung des grafischen Kollektivvertrages gilt.
Sollte sich die Unvernunft einzelner Mitglieder des Verbandes Druck & Medientechnik in den nächsten Wochen nicht ändern, dann wird es in vielen grafischen Betrieben zu Arbeitskämpfen und Streiks kommen müssen, da dieser soziale Interessenkonflikt in der Zwischenzeit zu einem gesamtgewerkschaftlichen Thema geworden ist.
Die gewerkschaftliche Verhandlungsführung hat in den vergangenen sieben Monaten Augenmaß, Verständnis für die wirtschaftliche Situation der Betriebe und Verantwortung gezeigt. Auf die Erpressung einzelner ArbeitgeberfunktionärInnen werden die Betriebsräte, die Beschäftigten gemeinsam mit ihrer Gewerkschaft die notwendigen Antworten geben. Es sollten sich aber auch dann jene Arbeitgebervertreter nicht zu Wort melden, die jetzt genüsslich zu dieser Situation geschwiegen haben.
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Reiner Hoffmann: Lohnzurückhaltung oder gar Nullrunden sind gerade in der jetzigen ökonomischen Situation die völlig falsche Antwort. Natürlich versuchen die ArbeitgeberInnen vor dem Hintergrund der Krise, ihre Lohnkosten zu reduzieren, vergessen dabei aber, dass wir gerade jetzt eine Stärkung der Binnennachfrage benötigen. Nulllohnrunden würden letztlich dazu beitragen, dass die ArbeitnehmerInnen die Zeche für die Krise bezahlen, die sie nicht zu verantworten haben.
Wir brauchen Realeinkommenssteigerungen. Natürlich sind wir uns als GewerkschafterInnen bewusst, dass auf der betrieblichen Ebene viele Kompromisse geschlossen werden, wenn es um Beschäftigungssicherung geht. Aber das muss an mindestens zwei Kriterien gebunden sein: Erstens müssen die Unternehmen ihre wirtschaftliche Situation offenlegen und die Lohnzurückhaltung kann nur befristeter Natur sein. Gleichzeitig müssen im qualitativen Bereich Zugeständnisse gemacht werden, beispielsweise bei der wirksamen Durchsetzung von Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechten der ArbeitnehmerInnen oder bei Arbeitszeitmodellen, die als Überbrückung dienen, um Beschäftigung zu sichern.
Solche Lösungsansätze funktionieren immer dann, wenn wir starke betriebliche Interessenvertretungen und starke Gewerkschaften haben. Andernfalls werden die ArbeitnehmerInnen schlicht und ergreifend über den Tisch gezogen.
Eine der Ursachen dieser Krise ist, dass es in den vorigen zehn Jahren eine zunehmende Umverteilung gab. Die Einkommen aus Kapital haben erheblich zugenommen, während die Einkommen aus Arbeit stark zurückgegangen sind. Was gesamtwirtschaftlich dann den negativen Effekt hat, dass die Reichen immer reicher werden und ihr Geld spekulativ anlegen, während die ArbeitnehmerInnen weniger Kaufkraft haben, um damit zu konsumieren, um die Binnennachfrage zu stärken und um letztlich damit auch Arbeitsplätze zu sichern.
Dieses Phänomen betrifft ganz Europa, aber betrifft es alle Länder im gleichen Ausmaß?
Man kann drei Gruppen ausmachen. Positive Erfolge hatten wir in der letzten Zeit in den neuen Mitgliedsstaaten der EU, in Mittel- und Osteuropa. In diesen Ländern hatten wir deutlich höhere Wachstumsraten und damit auch deutlich höhere Produktivitätsgewinne und daher sind auch die Löhne deutlich höher gestiegen als in anderen westeuropäischen Ländern. In der Krise zeigt sich allerdings nun, dass dieser Prozess nicht einfach fortgeschrieben werden kann. Diese Länder sind leider auch damit konfrontiert, dass sie deutlich schwächere betriebliche Interessenvertretungen und Gewerkschaften haben als viele westeuropäische Länder. Zu der zweiten Gruppe gehören u. a. Spanien und Italien, die in den Vorjahren sehr gute Realeinkommenssteigerungen hatten. Das hat dazu beigetragen, dass auch dort die Lohnstückkosten gestiegen sind, was sich dann wiederum auf die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit ausgewirkt hat.
Und wir haben Länder - dazu gehört insbesondere Deutschland -, wo wir eine sehr moderate Lohnpolitik betrieben haben, nicht ganz freiwillig, sondern vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosigkeit. Die Löhne sind daher nicht in dem Maße gestiegen, wie sich die gesamtwirtschaftliche Produktivität entwickelt hat. Das führt gesamtwirtschaftlich zu einer Schwächung des Binnenmarktes.
Welche Tendenzen gibt es auf dem europäischen Arbeitsmarkt?
Es ist uns zwar gelungen, seit einigen Jahren in ganz Europa mehr als sechs Mio. Arbeitsplätze zu schaffen, diese Arbeitsplätze haben jedoch nichts mit guter Arbeit zu tun, sondern wir können im Gegenteil eine Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse beobachten. Viele Arbeitsplätze sind im Niedriglohnbereich entstanden, mit befristeten Arbeitsverhältnissen oder mit Teilzeitbeschäftigung. Das hat überall in Europa eine Spaltung im Arbeitsmarkt hervorgebracht. Damit ein-her geht Lohnungerechtigkeit und ein Auseinanderklaffen der sozialen Schere. Hier gibt es erheblichen Korrekturbedarf.
Das bedeutet, dass wir auch und gerade mit der Lohnpolitik zu einer gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung beitragen müssen. Ein zweiter Aspekt ist die Steuerpolitik. Die Einkommen der Arbeit-nehmerInnen haben darunter gelitten, dass eine ungerechte Steuerpolitik bei den Massensteuern die Einkommen überproportional stark belastet haben. Auch hier müssen wir ebenso wie bei der Lohnpolitik gegensteuern, um ein höheres Maß an sozialer Gerechtigkeit zu erreichen.
Sind von der Prekarisierung und den Teilzeitjobs nicht ganz besonders die Frauen betroffen?
Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen hat kürzlich eine Studie zur Lohnentwicklung in Europa herausgegeben. Eines der zentralen Ergebnisse ist, dass die ungleiche Entlohnung von Männern und Frauen in Europa nach wie vor ein ganz zentrales Problem ist. Im europäischen Durchschnitt verdienen Frauen 15 Prozent weniger als Männer, in Deutschland 25 Prozent weniger. Dies ist ein gesellschaftlicher Skandal, vor allem wenn wir uns vergegenwärtigen, dass das Gebot der Lohngleichheit in den europäischen Gründungsverträgen von 1957 verankert ist!
Die Ursache ist, dass Frauen erstens viel häufiger in den sogenannten Niedriglohnsektoren arbeiten, insbesondere im Bereich personenbezogene Dienstleistungen und Einzelhandel. Zweitens sind Frauen viel häufiger von Kurzarbeit betroffen. Das alles obwohl Frauen nicht schlechter qualifiziert sind als Männer, im Gegenteil, Frauen verfügen über ein sehr hohes Qualifikationspotenzial. Das passt nicht zum europäischen Sozialmodell, hier besteht ganz dringender Handlungsbedarf.
Du hast erwähnt, dass es Firmen gibt, wo die Arbeit besser verteilt wird - wo geschieht das derzeit?
Wir haben gegenwärtig zwei Instrumente, die genutzt werden, um Entlassungen vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise zu vermeiden: Das eine ist die Kurzarbeit, die zum Teil sehr extensiv genutzt wird. In Deutschland machen mittlerweile über 1,5 Mio. ArbeitnehmerInnen davon Gebrauch. Hier gelingt es häufig, Vereinbarungen zu finden, die 80 bis 90 Prozent des Nettoeinkommens sichern, bei einer Reduzierung von bis zu 50 Prozent der Arbeitszeit. Das sind Maßnahmen, die man erfolgreich betreiben muss, weil die Einkommensverluste minimiert werden und das Beschäftigungsniveau in den Betrieben erhalten bleibt.
Neben dem Instrument der Kurzarbeit werden aber auch Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen genutzt, wo für einen begrenzten Zeitraum Lohnbestandteile nicht ausbezahlt werden, z. B. bei Zahlungen des Weihnachts- oder Urlaubsgeldes. Hier wird aber vereinbart, dass diese Einkom-mensverzichte nicht fortgeschrieben werden und die Einkommensbestandteile wieder ausbezahlt werden, sobald es dem Unternehmen wirtschaftlich wieder besser geht. Diese Maßnahme kann dazu beitragen, die Einkommenssituation zu stabilisieren. Sie kann auch stärkere Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnen, oder aber im Bereich qualitative Arbeitspolitik und Arbeitszeit zu vernünftigen Lösungen führen. Das gelingt allerdings nur dann, wenn wir vernünftige Tarifverträge haben, wenn wir starke Gewerkschaften haben und starke betriebliche Interessenvertretungen.
Wie verhalten sich die ArbeitgeberInnen in der Krise?
Die Tendenz in Europa ist, dass die Arbeitgeber sich zuhauf aus ihrer tariflichen Verantwortung verabschieden, indem sie aus den Arbeitgeberverbänden austreten und somit nicht mehr tarifgebunden sind.
Wir haben eine deutliche Schere bei der Einkommenssituation der ArbeitnehmerInnen, die tarifgebunden sind und jener, die es nicht sind. Hier werden z. T. Hungerlöhne gezahlt, die unter 7 Euro 50 in der Stunde liegen. Es gibt ganze Branchen, die praktisch tarifvertragsfrei sind, weil die Arbeitgeber sich ihrer Verantwortung als Tarifpartner entziehen. Da hilft auf Dauer nur, dass Druck ausgeübt wird.
Das muss auch über eine gesetzliche Regelung und Mindestlöhne erfolgen. Es kann nicht angehen, dass wir immer mehr Menschen in Europa haben, die mit ihrem Erwerbseinkommen keine vernünftige Lebensgrundlage mehr haben - eine Familie gut zu ernähren und ihr auch kulturelle Möglichkeiten und Bildung zu eröffnen, die natürlich vom Einkommen abhängig sind. Ein zunehmender Teil der ArbeitnehmerInnen fällt durch den Rost und daran müssen wir dringend was ändern.
In welchen Ländern ist der Rückzug der ArbeitgeberInnen aus den Verbänden besonders stark?
Das ist besonders deutlich in Deutschland. Wir hatten hier einen Tarifdeckungsgrad von 75 bis 77 Prozent, heute sind wir bei 65 Prozent. In GB sind die ArbeitnehmerInnen, die unter Tarifverträgen arbeiten, bereits nur noch bei 40 Prozent. Das erklärt auch, warum unter eine Labour-Regierung in den 90er-Jahren der Mindestlohn eingeführt wurde, weil es einfach kein anderes Mittel mehr gab, die Lohnabwärtsspiralen zu stoppen.
Wie tricksen die ArbeitgeberInnen in Ländern, wo es einen Mindestlohn gibt, z. B. in Frankreich?
Dort spielt der Mindestlohn eine wesentlich größere Rolle. Der Tarifdeckungsgrad ist in Frankreich noch relativ hoch, das hat damit zu tun, dass in vielen Branchen die verhandelten Vereinbarungen für allgemein verbindlich erklärt werden. Dadurch kommt ein viel größerer Anteil in den Genuss von Tariflöhnen.
Man muss darüber nachdenken, ob es sinnvoll ist, die Löhne für allgemein verbindlich zu erklären, wenn sich die ArbeitgeberInnen aus den AG-Verbänden zurückziehen. Für die Gewerkschaften ist das nicht ganz unproblematisch, weil wir mit unserer Tarifpolitik den Beschäftigten in Unternehmen einen Anreiz geben, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Dieser Anreiz würde dann wegfallen, wie sich am Beispiel Frankreich zeigt, wo der gewerkschaftliche Organisationsgrad außerordentlich niedrig - deutlich unter zehn Prozent - ist. In Österreich und in Deutschland ist der Organisationsgrad relativ hoch - wenn auch rückläufig.
In dieser Zeit des Neoliberalismus, der darin besteht, immer höhere Profite in immer kürzeren Fristen zu erzielen - also die Shareholder-Value-Mentalität, die uns wirtschaftlich und sozial überhaupt nicht weiterführt -, da seh ich durchaus Chancen, dass Gewerkschaften und progressive Kräfte in Europa dieser Geisterfahrt endlich mal ein Ende setzen werden!
Man muss sich im Klaren sein, dass die nicht erwirtschafteten Löhne und auch die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen dazu beitragen, dass wir in 15 bis 20 Jahren einen wesentlich höheren Anteil an Altersarmut haben werden, und dem muss man jetzt vorbeugen - dem kann man nicht mit Nulllohnrunden begegnen.
Wie will der EGB verhindern, dass ArbeitnehmerInnen verschiedener EU-Länder gegenein-ander ausgespielt werden?
Es gibt zwei Maßnahmen, die in der letzten Zeit mit zunehmendem Erfolg praktiziert werden: Zum einen das Instrument der Europäischen Betriebsräte, wo wir in den transnationalen Unternehmen grenzüberschreitende betriebliche Interessenstrukturen haben aufbauen können.
Gerade bei Opel kann man ganz deutlich sagen, dass durch den EBR eine Standortsicherungspolitik betrieben werden konnte, und kein Opel-Standort in Europa bislang geschlossen wurde. Das hat den Personalabbau nicht verhindern können, aber es wurden die Lasten über die verschiede-nen Standorte in Europa verteilt. Es wird sich zeigen, ob mit der neuen Eigentümerstruktur diese europäische Zusammenarbeit weiterhin funktionieren kann - die Grundlagen dafür sind jedenfalls geschaffen.
Ein zweites Instrument ist die stärkere grenzüberschreitende Koordinierung der Tarifpolitik. Das soll dazu beitragen, dass wir keine Lohnkonkurrenz gegeneinander machen. Die Tarifpolitik - mit Bezug auf die unterschiedliche wirtschaftliche Situation - soll zwei Kriterien gerecht werden: Erstens dem Ausgleich für die Preissteigerung und zweitens der Ausschöpfung der Produktivitätsgewinne.
Wir glauben, dass die Lohnkoordinierung noch viel effizienter vorangetrieben werden sollte, weil das ein Instrument ist, um diesem Absenkungswettlauf Einhalt zu gebieten. Gerade die grenz-überschreitende Zusammenarbeit zwischen Österreich, Deutschland, Ungarn, Tschechien usw. wurde deutlich intensiviert. Am Ende des Tages bleibt die Tarifpolitik natürlich in den Händen der nationalen Gewerkschaften, aber die engere Verzahnung und Koordinierung bleibt das erklärte Ziel aller im EGB zusammengeschlossenen Gewerkschaften.
Wir danken für das Gespräch.
Zur Person
Reiner Hoffmann
30. Mai 1955 geboren in Wuppertal
1972 bis 1974 Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann bei der Hoechst AG
1982 Abschluss als Diplom-Ökonom an der Universität Gesamthochschule Wuppertal
1983 Assistent beim Wirtschafts- und Sozialausschuss (WSA) der Europäischen Gemeinschaft, Brüssel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Wuppertal
1984 bis 1994 Mitarbeiter der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf, in verschiedenen Positionen
1994 bis 2003 Direktor des Europäischen Gewerkschaftsinstituts (EGI), Brüssel
Seit 2003 stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB)
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Wichtige Impulse der EU
Neu geregelt wurde, dass Unternehmen in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht mehr reinschreiben dürfen, was sie wollen. Nicht vorher vereinbarte nachträgliche Preiserhöhungen, hinausgeschobene Liefertermine, Ausschluss von Gewährleistung waren ab sofort nicht mehr zulässig. Dazu kam noch die Einführung einer Verbandsklage, die es klagsberechtigten Verbänden wie der Arbeiterkammer ermöglicht, gegen widerrechtliche Vertragsbestimmungen vorzugehen. Ein weiteres Ziel des Gesetzes war es, KonsumentInnen vor Überrumpelungen und Überraschungen zu schützen. So wurde ein Rücktrittsrecht bei Haustürgeschäften ermöglicht und bei Kostenvoranschlägen die grundsätzliche Verbindlichkeit und Unentgeltlichkeit festgelegt. Mit dem Beitritt Österreichs zur EU haben sich diese Rahmenbedingungen für die österreichische Konsumentenpolitik sehr stark geändert. Auch wenn Österreich bereits ein durchaus respektables Konsumentenschutzniveau hatte, sind trotzdem von EU-Richtlinien eine Reihe wichtiger und positiver rechtspolitischer Impulse ausgegangen.
Viele bleiben auf der Strecke
Nach und nach gewannen allerdings neoliberale Vorstellungen Oberhand. Der Staat sollte weniger regeln und die KonsumentInnen lediglich in die Lage versetzen, sich vernünftig zu verhalten, vor allem auf Basis von mehr und besserer Information - ein Leitbild der mündigen KonsumentInnen entstand. Die EU-Politik wollte einen Binnenmarkt, eine forcierte Liberalisierung und Privatisierung bisher öffentlicher Dienstleistungen wie Telekom, Post, Eisenbahnwesen etc.
Die Situation der KonsumentInnen hat sich auch dadurch seit 1979 dramatisch verändert. Ihre wirtschaftliche und rechtliche Position wurde geschwächt. Aus BürgerInnen wurden KonsumentInnen. Aufgaben, die früher der Staat übernommen hat (z. B. Altersvorsorge, Infrastruktur) werden auf die Menschen abgewälzt. Sie müssen selber schauen, wie sie klar kommen, wie sie ihr Altersrisiko selber versichern, wie sie sich selber gegen Ungerechtigkeiten wehren, wie sie in einer immer komplexer werdenden Welt den Überblick wahren können. Viele sind überfordert, müssen Lehrgeld bezahlen, bleiben auf der Strecke.
Ein negativer Nebeneffekt dieser Liberalisierung war eine völlige Intransparenz des Angebots. Angebote und Preise sind kaum zu durchschauen. Bei den Telefontarifen etwa werden die Tarifmodelle immer unübersichtlicher. Es gibt mehrmals jährlich ausgerufene Aktionen. Häufig werden die wahren Kosten durch versteckte Nebenkosten verschleiert. So kosten im Bereich der Telefonie Umstieg, Ausstieg, SMS, Mailbox etc. extra. Bei Flugreisen kommen neben dem Flug Flugservicepauschale, Sicherheitsgebühren, Kerosinzuschläge, Ticketbearbeitungsgebühren, Abflugsteuer, Flughafengebühren etc. dazu. Banken verlangen Schließungsgebühren bei Sparbüchern, Gebühren bei vorzeitiger Tilgung eines Kredites, für Zinsanpassungen, für die Verwendung von Zahlscheinen etc.
Es bedarf neuer mutiger Schritte im Konsumentenrecht. Antworten auf die neuen Herausforderungen sind notwendig. Was allerdings bisher angeboten wurde, ist nicht gerade ermutigend.
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Selbst- und Fremdansprüche
Als Grundlagenforschung stellt die Studie »Betriebsratsrealitäten - BetriebsrätInnen und ihre Praxis zwischen Selbstansprüchen und Fremdansprüchen« die BetriebsrätInnen als ExpertInnen ihrer Praxis in das Zentrum der Untersuchung. Ziel ist es, ein schärferes Bild von der Situation der BetriebsrätInnen und den Herausforderungen vor denen sie stehen zu bekommen. Diese sind gewaltig, denn BetriebsrätInnen sind wichtige AkteurInnen der betrieblichen Interessenvertretung und müssen als solche den Veränderungen in der Arbeitswelt begegnen. Sie sind konfrontiert mit unterschiedlichsten und sich wandelnden Erwartungen und Ansprüchen: KollegInnen, die Chefin/ der Chef, GewerkschaftsfunktionärInnen - sie alle haben Erwartungen an die BetriebsrätInnen. Und dann sind da auch noch die eigenen Ansprüche die jede/r an sich selbst und das eigene Handeln hat. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Selbstansprüchen, Fremdansprüchen und tatsächlichen Handlungen wird somit erstmals in einer qualitativen Studie gemeinsam mit den Betroffenen erforscht. Im Zeitraum Dezember 2008 bis Juni 2009 wurden qualitative Interviews mit BetriebsrätInnen im Einzelhandel durchgeführt. Die Sicht der BetriebsrätInnen wurde dabei eingebunden in eine Analyse der herrschenden Machtverhältnisse und erweitert durch Interviews mit RegionalsekretärInnen der GPA-djp.
Ein Schwerpunkt der Studie liegt auf dem Verhältnis zwischen BetriebsrätInnen und Gewerkschaft, ihrer gemeinsamen Praxis und deren gesellschaftliche Einbettung.
Handelsbedingungen
Die Studie fokussiert sich auf die GPA-djp Schwerpunktbranche Handel. Der Handel erfuhr in den vergangenen Jahrzehnten unter dem Einfluss neoliberal gestalteter Globalisierung enorme Veränderungen. Auf der einen Seite gab es massive Konzentrationsprozesse wie zum Beispiel im Lebensmitteleinzelhandel, auf der anderen Seite auch eine starke Internationalisierung der Branche. Einhergehend damit lassen sich veränderte Organisationsstrukturen, z. B. starke Zentralisierung und Professionalisierung des Personalwesens in großen Ketten, aber auch der Einzug neuer Managementstile beobachten. Auf Betriebsebene kommen diese Veränderungstendenzen zumeist als flexiblere Arbeitszeiten und in Form ausgedünnter Personaldecken an. Der Druck auf die ArbeitnehmerInnen stieg in den vergangenen Jahren enorm an, und die Veränderungen fordern die bisherigen Praxen der BetriebsrätInnen und der Gewerkschaft heraus. So berichteten viele InterviewpartnerInnen, dass es schwieriger würde, angesichts veränderter Arbeitszeitregelungen, geltende rechtliche Bestimmungen zur Arbeitszeit durchzusetzen. Die starke Filialisierung des Einzelhandels macht es für die Gewerkschaft und BetriebsrätInnen auch schwieriger, flächendeckend funktionierende Vertretungsstrukturen aufzubauen. Ausgehend von diesen wahrgenommenen Problemlagen erforscht die Studie, welche Praxen unter den veränderten Bedingungen in die Krise geraten, und wo Potenziale zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit brachliegen.
Kern der Ergebnisse ist, dass manche aus der Vergangenheit übernommenen Momente einer gewerkschaftlichen Kultur mit den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen kollidieren. Dies betrifft sowohl die Arbeitsteilung zwischen betriebsbetreuenden RegionalsekretärInnen der GPA-djp und den BetriebsrätInnen als auch die Verbindung der drei wichtigen gewerkschaftlichen Handlungsfelder Betrieb, Branche und das Feld der politisch/rechtlichen Regulation sowie bisherige Problemlösestrategien wie etwa den starken Fokus auf den Rechtsweg.
Kontinuität und Veränderung
Ein erster Schritt zur Erweiterung der gemeinsamen Handlungsfähigkeit muss in der Schaffung von autonomen Denk- und Reflexionsräumen bestehen, in denen abseits des Drucks der alltäglichen Arbeit die eigene Praxis reflektiert, strategische Fragen gemeinsam diskutiert und neue Wege der Zusammenarbeit erprobt werden können.
Deshalb beschlossen Auftraggeber, WissenschafterInnen und Betroffene auch in der Präsentationsform der Studienergebnisse einen ungewöhnlichen Weg zu gehen. Ab Herbst 2009 sollen die Ergebnisse gemeinsam mit allen Beteiligten in unterschiedlichen Workshops und Veranstaltungen diskutiert werden, um so den Austausch und einen gemeinsamen, expansiven Lernprozess zu fördern.
Damit kann ein Grundstein gelegt werden, verborgene Mechanismen der Macht und ungenützte Potenziale zur Steigerung der Durchsetzungsfähigkeit offenzulegen und die emotionale und organisatorische Bindungskraft zwischen BetriebsrätInnen und Gewerkschaft zu stärken.
Diese Zusammenarbeit von Gewerkschaft und Wissenschaft kann auch aufzeigen, inwiefern betriebsnahe Gewerkschaftsforschung, die in Österreich eher selten betrieben wird, dazu beitragen kann, in einer Verbindung von Theorie und Praxis die österreichische Gewerkschaftsbewegung bei den Herausforderungen in Zeiten, die von Umbrüchen geprägt sind, zu unterstützen.
1 Vgl. dazu exemplarisch: Brinkmann Ulrich et.al. 2008: Strategic Unionism: Aus der Krise zur Erneuerung? Umrisse eines Forschungsprogramms. Wiesbaden
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Blog der GPA-djp-Bildungsabteilung:
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Arbeit statt Armut
Einigkeit herrscht am Podium, dass Armut bekämpft werden muss und die Chance, sich am Arbeitsmarkt zu beteiligen, dabei eine wichtige Rolle spielt. Für Küblböck und Foglar ist klar, dass das Arbeitsmarktpaket II noch nicht ausreiche. Für Banken sei mit einem Fingerschnippen genug Geld zur Verfügung gestanden, die Investitionen in Arbeitsplätze hingegen seien im Vergleich dazu viel zu gering.
»Ich habe keine Sorge, dass uns die Arbeit ausgeht«, meint Foglar. Dafür müsse man aber auch aus standortpolitischen Überlegungen massiv in Bildung, Forschung und Entwicklung investieren. Im Gesundheitsbereich, aber auch im Verkehrssektor und Umweltbereich gibt es ebenfalls viel Potenzial für neue Arbeitsplätze. »Wir haben uns verspekuliert. Wir haben nicht in die Realwirtschaft investiert, sondern in Zockerprodukte.« Raus aus der Krise gehe es daher nur mit sozialer Gerechtigkeit. Dafür müssen Vermögen besteuert und Arbeit entlastet werden.
»Jeder soll eine Arbeit haben, von der man auch leben kann«, ergänzt Küberl. Deshalb sei es an der Zeit, sich neben Maßnahmen wie der Kurzarbeit auch Modelle zum Ausbau des zweiten Arbeitsmarktes zu überlegen, um jene Menschen aufzufangen, die trotz aller Bemühungen nicht in Arbeit gehalten werden können. Wichtig wäre, dass Langzeitarbeitslosen die Chance gegeben wird, nach einem Jahr Arbeitslosigkeit für einige Monate wieder zu arbeiten, damit sie ihre Fähigkeiten nicht verlieren. »Denn Armut ist eine Wucht, die ungeheuer negative Konsequenzen hat.« Arme haben nicht nur weniger Chancen am Arbeitsmarkt, sie sind auch öfter krank und haben schlechtere Wohnungen.
Unumstritten ist die Wichtigkeit grundlegender Reformen im Bildungsbereich, beginnend im Kindergarten. »Bildung und Qualifizierung sind die Schlüsselfaktoren für einen Arbeitsplatz« und dafür müsse man auch genügend Geld in die Hand nehmen, betont Foglar. Es sei wichtig, gerade jetzt gering qualifizierte Menschen in Ausbildung zu bekommen. Denn wenn sie nicht schon arbeitslos sind, so sind sie die potenziellen Arbeitslosen der Zukunft. Beginnen solle Bildung vermehrt bereits im Kindergarten, der mehr als nur Aufbewahrungsstätte für Kinder sein muss.
Bildung als Schlüssel
Für Hüther wiederum ist wichtig, dass das Bildungssystem die Integration fördert. Ein Bildungssystem brauche aber auch den Leistungsgedanken und die Individualisierung. Er sieht im demografischen Wandel die Chance, in Zukunft ein besseres LehrerInnen-SchülerInnen-Verhältnis herzustellen. Dies hätte bereits in Sachsen und Thüringen die Pisa-Testergebnisse erheblich verbessert.
Einig waren sich Foglar und Hüther, dass die Spaltung im Bildungssystem nach nur vier Schuljahren viel zu früh sei und sich negativ auf die Bildungschancen auswirke. Für Küberl ist der Gradmesser eines funktionierenden Bildungssystems, dass kein Euro mehr für Nachhilfe ausgegeben werden muss. Viel zu kurz komme das Erlernen von Fertigkeiten, um mit der Informationsflut produktiv umgehen zu können. Die Kinder sollten in Kindergarten und Schule auch lernen, kritikfähig zu werden und Kreativität zu leben.
Als einziger Diskussionsteilnehmer sieht Hüther keine Notwendigkeit für einen Systemwechsel. Für ihn ist die Marktwirtschaft Ausdruck einer Freiheitsgesellschaft und das Erbe der Aufklärung. Wichtig sei es aber, das Haftungsprinzip bei Regelverstößen klar einzufordern. Dann sei der Standortwettbewerb ein wichtiges Prinzip, das vor allem schwächer entwickelte Volkswirtschaften unterstütze und keineswegs zur Absenkung sozialer Standards führe.
»Natürlich braucht die Marktwirtschaft eine Reform damit sie sozialer und nachhaltiger wird«, widerspricht Küberl. »Soziale Verantwortung darf nicht nur ethischer Anspruch sein, sondern sie braucht Regeln.«
Karin Küblböck möchte weg vom jetzigen Wirtschaftsmodell, weg vom Druck des Standortwettbewerbs, hin zu mehr Verteilungsgerechtigkeit. »Vor allem sollte darüber nachgedacht werden, welche Bereiche nicht dem freien Markt überlassen werden sollen: Für mich gehören die Bereiche Verkehr, Energie sowie auch die Banken zu den öffentlichen Gütern, die wir aus dem Markt rausnehmen müssen.«
Wege aus der Krise
Auch für Foglar führt kein Weg an einem Systemwechsel vorbei. Er fordert faire und gleiche Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU, aber auch weltweit. Dazu gehören verbindliche Standards bei Steuern, das Austrocknen sämtlicher Steueroasen, aber auch die Verbindlichkeit der ILO-Kernarbeitsnormen und harmonisierte Umweltstandards. Kurz: »Kein Steuerdumping, kein Lohndumping, kein Umweltdumping mehr.« Bisher vernachlässigt worden sei der europäische Binnenmarkt mit immerhin 490 Millionen Menschen; darin stecke viel Entwicklungspotenzial für die Zukunft, sind sich Foglar und Küblböck einig. Das Rezept dafür: Durch höhere Löhne die Kaufkraft stärken.
Die Chance zur Veränderung ist für Küblböck durchaus spürbar, noch nie habe sie so viel Aufbruchstimmung erlebt. Allerdings brauche es viel politischen Druck. Denn sonst, ergänzt Foglar, bestehe die große Gefahr, »dass wir durch die Krise durchtauchen und danach geht es weiter wie bisher. Das darf auf keinen Fall passieren.«
Weblinks
Nachbericht Bundeskongress
www.bundeskongress.at
Caritas
www.caritas.at
Österreichisches Forschungsinstitut für Internationale Entwicklung
www.oefse.at
Institut der deutschen Wirtschaft Köln
www.iwkoeln.de
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Der Do-it-yourself-Staat
»Österreich liegt im Bereich E-Government in der öffentlichen Verwaltung europaweit an der Spitze«, aber: »Zufriedengeben werde man sich damit nicht«, bejubelte der damalige Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) im Juni 2008 die Erfolge bei der Einführung der Selbstbedienung. In Bereichen wie Gesundheit (E-Help), Klimaschutz (Kampf gegen CO2) und Bildung »werden wir in Zukunft noch Gas geben müssen«. Hier sei noch finanzielles Einsparungspotenzial möglich, meinte er.
Das Wort »Einsparungspotenzial« zeigt recht gut, worum es geht. Nämlich, Sparen an den Serviceleistungen gegenüber den BürgerInnen. E-Government ist Selbstbedienung - d. h. der/die Einzelne soll keine Beamten belästigen, sondern wenn er/sie schon was benötigt, das automatisiert selbst tun. Wie schon beim Lebensmitteleinzelhandel, den Tankstellen oder bei den Banken vorexerziert: sich selbst bedienen, Arbeit selbst verrichten, um diesen Unternehmen Personalkosten (= Arbeitsplätze) zu ersparen.
Weitere Selbstbedienungsformen
Und nach diesem betriebswirtschaftlichen Modell wird nun auch in der öffentlichen Verwaltung gearbeitet. Da gibt es die Bürgerkarte, mit der Menschen ihre Amtsgeschäfte teuer und kompliziert von zu Hause aus in Selbstbedienung durchführen sollen, etwa den Lohnsteuerausgleich automatisiert einbringen, oder Anfragen elektronisch durchführen.
Aber das ist erst der Anfang: Die Wiener Polizei hat bei Diebstahlsmeldungen das Selbstausfüll-Formular eingeführt, beim Grundbuch wurde - geschickt vom Justizministerium versteckt im Budgetbegleitgesetz 2009 - die Möglichkeit, mündlich sein Gesuch vorzubringen abgeschafft. Ein jahrhundertealtes Recht übrigens. Wenn man als WohnungseigentümerInnen oder HäuslbauerInnen seine Hypothek abgezahlt hatte, konnte man mit der Löschungserklärung von der Bank zum Grundbuchsgericht gehen und dort mündlich die Löschung eintragen lassen. Jetzt geht es nur noch schriftlich. Wegen der strengen Schriftform braucht man einen Notar und das kostet ein paar Hundert Euro. So verschiebt man das Geld der BürgerInnen zu den Rechtsberufen. Ähnliches passierte ja auch mit der Geschworenengerichtsbarkeit. Dieses republikanische Recht der Mitwirkung der BürgerInnen an der Rechtsprechung wurde auf Schwerstdelikte reduziert, weil das der Verwaltung Zeit und Personal sparen hilft.
Das arrogante Selbstverständnis des Staates, welches hier hervorkommt, hat mit der »Res publica« und ihrem Prinzip, dass der Staat den BürgerInnen zu dienen hat, nichts mehr zu tun. BürgerInnen werden zu Selbstbedienungskunden/-innen reduziert. Die Ämter und Behörden erscheinen wie Kafkas Schloss und der Ratsuchende wird zum lästigen Subjekt, mit dem man nicht mehr auf Augenhöhe verkehrt, und der anonym verwaltet wird.
Der EU-Plan des »Internet der Dinge«
Und es kommt noch weit mehr auf uns zu. Im heurigen Juni hat die EU-Kommission einen Aktionsplan veröffentlicht, das »Internet der Dinge«. Das Internet spielt in diesem visionären Rahmenplan die zentrale Rolle - es soll »von einem Computernetz zu einem Netz untereinander verbundener Gegenstände, von Büchern und Autos über Elektrogeräte bis hin zu Lebensmitteln« werden.
Ein solches Internet der Dinge soll angeblich die Lebensqualität verbessern. Etwa mit Gesundheitsüberwachungssystemen den Alten helfen, »dem Stromversorger die Fernüberwachung elektrischer Geräte zu ermöglichen«, VerbraucherInnen informieren, wenn bei einem Tiefkühlprodukt die Kühlkette unterbrochen wurde, das Auto sicherer zu machen und sogar der Natur helfen, indem Bäume vernetzt werden, um etwa ihre Abholzung zu vermelden.
Ein Märchen
Wie hübsch diese schöne neue Welt werden soll, zeigt ein konkretes Beispiel in einer vier Jahre alten Studie der ITU (International Telecommunication Union, eine Teilorganisation der UNO) kurz nacherzählt: Die spanische Studentin Rosa streitet sich im Jahr 2020 mit ihrem Freund. Im Zorn beschließt sie übers Wochenende in die französischen Alpen zum Schifahren zu brausen. Ihr Auto sagt ihr auf dem Weg dahin, dass sie die Reifen tauschen muss, einer droht schadhaft zu werden. Sie fährt also in ihre Lieblingswerkstätte und sogleich wissen die dortigen Roboter, was mit dem Auto zu tun ist. Währenddessen hat die Getränkemaschine schon Eiskaffee - Rosas Lieblingsgetränk - vorbereitet und von ihrem Konto abgebucht. An der Grenze werden Führerschein- und Reisepassdaten automatisch an die Grenzkontrolleinrichtungen übertragen.
Um allein zu sein, hat Rosa vorher alle Verbindungen auf »privat« gestellt, ihr Freund kann so keine Geoinformationen über sie abfragen. Auf einmal erhält sie einen Videoanruf von ihrem Freund. Da er sich bei ihr entschuldigt, hebt Rosa die Geoinformationensperre auf. So kann sie ihr Freund, der mit seinem Auto nachkommen will, automatisiert geführt finden, und beide können ein schönes Wochenende genießen. Die UNO und all die Regierungen stellen sich unser Leben in zehn Jahren als eine wunderschöne Konsumgüterwelt vor. Die Technik dahinter ist nicht neu, wir kennen sie von Zutrittskarten, Diebstahlssicherungen und den fälschungssicheren biometrischen Reisepässen: Sensorbestückte RFID-Chips in mikroskopischer Form, die mit passenden Lese- und Schreibgeräten (Tag Reader) auch aus einer Distanz von 100 Metern noch maschinengerecht »kommunizieren« können.
Die Reisepässe waren ein erster Türöffner, ein zweiter Türöffner in die Haushalte hinein wird bald kommen: das »Smart Metering«, also der fernauslesbare, fernsteuerbare Elektrozähler, mit dem alle Haushalte in der EU zwangsbeglückt werden.
Privatsphäre wird sich ändern ...
Natürlich sieht die EU-Kommission auch gewisse Gefahren im Internet der Dinge, das massiv in die Privatsphäre der Menschen eindringt. Welcher ethische und rechtliche Rahmen gilt? So ein Vorgehen ist nämlich an sich verfassungswidrig, das Recht auf die eigene Wohnung wird damit ausgehebelt. Artikel 9 StGG (Staats-Grundgesetz) sagt: »Das Hausrecht ist unverletzlich« und Artikel 8 der Menschenrechtskonvention ebenso: »Jedermann hat Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs.«
Aber: »Andererseits wird sich mit dem Aufkommen des Internet der Dinge sicherlich auch unsere Vorstellung von der Privatsphäre ändern«, heißt es aus der EU-Kommission. Als Beleg dient hier die Nutzung der Mobiltelefone und sozialer Internet-Netzwerke durch die jüngeren Generationen.
Die Auswirkungen
Tatsächlich könnte das alles sehr problematisch werden. Heute leben wir schon mit der Rufdatenerfassung, der Vorratsdatenspeicherung bei der Internetnutzung, der Auslieferung unserer Bankdaten an die USA, also mit einer kommerziellen und staatlichen Datensammelwut in nie gesehenem Ausmaß. Bei einer Maschine-zu-Maschine-Fernüberwachung im eigenen trauten Heim wird das alles noch weitaus problematischer. Wenn Dritte in den Wohnungen der BürgerInnen sammeln und herumschalten können, vielleicht durchaus in vorgeschobener wohlgemeinter Absicht, läuft das auf eine kollektive Zwangsentmündigung hinaus. Gute Nacht republikanische Demokratie!
Weblinks
EU Aktionsplan Internet der Dinge:
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2009:0278:FIN:DE:DOC
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Modernisierungsimpuls
Auch wenn die anfangs überzogenen südafrikanischen Erwartungen wohl nicht zur Gänze in Erfüllung gehen werden, zumindest für die Infrastruktur des Landes hat die Weltmeisterschaft einen wichtigen Modernisierungsimpuls gebracht. Zehn große Stadien wurden entweder neu errichtet oder ausgebaut (fünf davon sind bereits fertig), der neue Flughafen in Durban sowie die Anlagen für den Hochgeschwindigkeitszug zwischen Johannesburg und Pretoria sind in Bau, massive Investitionen in Telekommunikations- und Transporteinrichtungen wurden getätigt. All das soll hunderttausend neue Arbeitsplätze bringen, und zusätzliche Jobs entstehen im Tourismussektor und bei der Polizei: Allein zehntausend neue PolizistInnen sollen dafür sorgen, dass die immer noch hohe Kriminalitätsrate bis zur WM deutlich sinkt. Als ein lange geforderter Beitrag zur Verkehrssicherheit ging vor wenigen Wochen ein neues Autobusnetz in Johannesburg in Betrieb, und zwar - eine gesellschaftspolitisch umstrittene Entscheidung - in kommunaler, nicht privater Trägerschaft!
Streik im Stadion
Auch die Gewerkschaften machten sich die politische Euphorie und den wirtschaftlichen Boom vor allem in der Baubranche zunutze - wenngleich auf ihre eigene Art. Schon 2007 war es beim Bau des Moses-Mabhida-Stadions in Durban zu einem Ausstand gekommen, in dem es im Konflikt mit dem Bauunternehmen vor allem um Sicherheitsfragen ging. Kleinere Streiks folgten. Im heurigen Juli kam es dann zu einem klassischen, landesweiten Lohnkampf, wobei den Arbeitern der Termindruck zugute kam, unter dem die Baufirmen stehen. Mit Ende des Jahres 2009 müssen nämlich sämtliche Stadien fertiggestellt und der FIFA übergeben worden sein.
Rund 70.000 vorwiegend von der südafrikanischen Bergarbeitergewerkschaft vertretene BauarbeiterInnen bestreikten nicht nur die Stadion-Baustellen, sondern auch die großen Bauprojekte im Verkehrsbereich. Nach einer Woche endete der Streik mit einem durchschlagenden Erfolg der Gewerkschaften - in diesem Ausmaß dem ersten in einer Branche, die traditionell durch prekäre Arbeitsverhältnisse, niedrige Löhne und einen hohen Anteil an ausländischen Arbeitsmigranten geprägt ist. Neben einer verbesserten sozialen Absicherung (allerdings nur für längerfristig Beschäftigte) stimmte die Arbeitgeberseite letztlich einer Lohnerhöhung um zwölf Prozent zu, was um etwa fünf Prozentpunkte über der Verbraucherpreisinflation liegt. Ein bemerkenswerter Erfolg, allerdings ausgehend von einem durchschnittlichen Monatslohn, der bei ungelernten ArbeiterInnen ca. 2.500 Rand (umgerechnet etwa 230 Euro) nicht übersteigt. Das ist zwar deutlich höher als in anderen Sektoren (beispielsweise in der Landwirtschaft), dafür werden aber in der Regel die zu leistenden Überstunden nicht bezahlt.
Ein »Bildungserlebnis«
Über die Streiks bei den Stadionbauten wurde auch in den österreichischen Medien berichtet - ein »Bildungserlebnis«, wie es der Wiener Sporthistoriker Gerald Hödl bezeichnet: »Die Information über Arbeitskämpfe in Südafrika hätte - wie in den Jahren zuvor - nie den Weg in unsere Zeitungen gefunden, hätten die Streiks nicht die zukünftigen Schauplätze des WM-Turniers betroffen.« Tatsächlich ist das Interesse der Medien an Südafrika seit der Beendigung des sog. Rassenkonflikts stark gesunken - was auch mit der Tatsache zusammenhängt, dass aus Afrika generell hauptsächlich Negativmeldungen berichtet (und erwartet) werden, positive Entwicklungen aber selten Eingang in die Schlagzeilen finden. Auch die Bedeutung des friedlichen Machtwechsels am Kap der guten Hoffnung im Jahr 1994 und des seit damals geleisteten gesellschaftspolitischen Aufbaus wird deshalb in der Regel unterschätzt.
Erste demokratische Wahl 1994
Nicht nur ist in Südafrika der von vielen prophezeite Bürgerkrieg nach Jahrzehnten der Diskriminierung der schwarzen Mehrheitsbevölkerung (»Apartheid« als afrikanische Form des Nationalsozialismus) ausgeblieben. Mit den ersten demokratischen Wahlen in der Geschichte des Landes im April 1994 und der Bildung einer Koalitionsregierung unter dem langjährigen politischen Häftling Nelson Mandela wurde stattdessen ein Prozess zur Errichtung einer »nicht-rassistischen« und »nicht-sexistischen« Demokratie in Gang gesetzt, der weltweit seinesgleichen sucht. Ausdruck dessen war Mandelas historische Versöhnungspolitik zwischen Schwarz und Weiß ebenso wie die von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu geleitete Versöhnungskommission zur Aufarbeitung der schweren Menschenrechtsverbrechen der Apartheidepoche oder das Bestreben der neuen Regierung, an die Stelle der früher politisch geschürten Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarben, Sprachen und Kulturen, Weltanschauungen und Religionen das Bekenntnis zu einer einheitlichen »südafrikanischen Nation« auf Basis der Menschlichkeit (»Ubuntu«) zu setzen. Ein politischer Prozess, der freilich nur gelingen kann, wenn er auch die Umwandlung der von der Rassendiskriminierung früherer Jahrzehnte geschaffenen ungleichen Besitz- und Vermögensverhältnisse einbezieht.
Die Rückgabe von seinerzeit beschlagnahmtem Grund und Boden an die ursprünglichen schwarzen BesitzerInnen (oder ihre Nachkommen) ist deshalb ebenso Verfassungsauftrag wie die bevorzugte Behandlung der früher aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen (»affirmative action«) oder die gesetzliche Umschichtung von privatem Aktienbesitz. Verbunden mit einer Bildungsreform hat all dies dazu geführt, dass die früher bestehende Gleichung von weiß = reich, und schwarz = arm im heutigen Südafrika nicht mehr gilt. Eine boomende, leider nicht immer auch sozial eingestellte schwarze Mittel- und Oberschicht hat sich ebenso herausgebildet wie sich die Gruppe der »armen Weißen« vergrößert hat.
Globalisierungsfalle
Der Verlust ihrer früheren, an die »richtige« Hautfarbe gekoppelten Privilegien wird von so manchen weißen SüdafrikanerInnen - nicht zuletzt auch von jenen europäischen bzw. österreichischen Einwanderern, die in den 1960er- und 1970er-Jahren genau wegen dieser Privilegien nach Südafrika ausgewandert sind - beklagt. Die wirklichen Probleme Südafrikas und seiner fast 45 Mio. EinwohnerInnen liegen allerdings woanders. Durch die rasche Öffnung der jahrzehntelang relativ abgeschotteten Volkswirtschaft ab Mitte der 1990er-Jahre hat das Land vermutlich eher die Nachteile als die Vorteile der ökonomischen Globalisierung zu spüren bekommen. Auch die wenig entwicklungsfreundlichen Bedingungen der EU im Bereich des Außenhandels haben das stark exportorientierte Südafrika nachhaltig enttäuscht.
Folgen der Finanzkrise
Steigende Arbeitslosigkeit, das Anhalten der Kriminalität und eine Verschärfung von Verteilungskonflikten sind die Folgen, derzeit noch verstärkt durch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise, die das Land mit Verzögerung treffen. Kein Wunder, daß Südafrika deshalb im Rahmen der G-20, der es als eines der wirtschaftlich leistungsfähigsten Länder Afrikas angehört, für eine stärkere Kontrolle globaler wirtschaftlicher Institutionen und für mehr Schutz für schwächere Volkswirtschaften eintritt.
Weblinks
Dokumentations- und Kooperationszentrum Südliches Afrika:
www.sadocc.at
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Datenquellen: EUROSTAT, lfd. Monat;
Anm.: Der Harmonisierte VPI ist der zentrale Indikator für die Währungspolitik
der EZB. Er stellt auch die beste statistische Basis für internationale
Vergleiche unter europäischem Gesichtspunkt dar.
EWU = Europäische Währungsunion; EWR = Europäischer Wirtschaftsraum.
Die Schweiz berechnet seit Jänner 2008 einen HVPI.
r = revidiert; p = vorläufig;
Neue europäische Region
Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), die Konföderation der Gewerkschaftsverbände der Slowakischen Republik (KOZ SR) und deren Fachgewerkschaften engagieren sich im Projekt ZUWINBAT, das bedeutet ZUkunftsraum WIen - Niederösterreich - BratislavA - Trnava. Die wachsende Entwicklung und Nähe der nur 60 km voneinander entfernt liegenden Hauptstädte führen zu einer immer stärkeren Vernetzung im entstehenden Ballungsraum Wien-Bratislava und erfordern von allen Partnern im sozialen Dialog entsprechende Initiativen zur Gestaltung dieser neuen Situation. Der gemeinsame Arbeitsmarkt, die soziale Komponente, Fragen der Migration etc. werden zunehmend auch zu politischen Themen dieser neuen europäischen Region.
Arbeitsrechtliche Beratung
Das Projekt bemüht sich, nicht nur Antworten auf diese Herausforderungen zu finden, sondern vor allem die Optimierung der Kooperation zwischen allen, die an der Gestaltung des gemeinsamen Arbeits- und Wirtschaftsraumes im Großraum der Bundesländer Wien und Niederösterreich und der Region Bratislava und Trnava beteiligt sind, zu erreichen.
Schwerpunkte des Projektes sind vor allem die Arbeits- und Sozialrechtsberatung für slowakische ArbeitnehmerInnen in ihrer Muttersprache, ein Ausbau der grenzüberschreitenden Sozialpartnerschaft, Errichtung eines Multiplikatoren-Netzwerkes in beiden Ländern, ein intensiver branchenspezifischer Austausch im Bereich Tourismus, Verkehr, Handel, bei Gleichbehandlungsthemen und die Organisation jugendspezifischer Aktivitäten.
Beim Projekt ZUWINBAT geht es in erster Linie um die Vorbereitung auf die Arbeitsmarktliberalisierung in Hinblick auf April 2011. Für die slowakischen und österreichischen Gewerkschaften ist es von großer Bedeutung, umfassendes Wissen über den Nachbarn zu erwerben. Wichtig dabei ist der Aufbau von Netzwerken. Das EU-Projekt ZUWINBAT bietet die Chance, in der Zukunft Probleme gemeinsam zu lösen und mögliche Vorurteile zu beseitigen. Aus Österreich beteiligen sich die Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida und die GPA-djp mit dem Bereich Handel am Projekt.
Die Welt mitgestalten
Es ist unsere Welt - das heißt, dass wir für sie auch mitverantwortlich sind, dass wir uns für sie interessieren und sie weiterentwickeln müssen - durch Kontakte zu unseren Nachbarländern, durch den Kampf gegen Diskriminierung, durch den Kampf für gerechte Löhne und menschenwürdige Arbeit. Die Welt um uns herum ist unsere Welt, gerade deswegen sollten wir sie mitgestalten.
Weblinks
ZUkunftsraum WIen - Niederösterreich - BratislavA - Trnava:
www.zuwinbat.at
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Working Poor in USA
Das Mindesteinkommen in den USA ist seit 1979 real um 1,50 Dollar gesunken, während der Bildungsgrad der Betroffenen gestiegen ist. Laut OECD-Bericht »Einkommensverteilung und Armut 2008« verfügen 17,1 Prozent der AmerikanerInnen über weniger als die Hälfte des jährlichen Medianeinkommens in den USA, leben also unter der Armutsgrenze. Die Vereinigten Staaten sind damit an drittletzter Stelle vor der Türkei und Mexiko (Österreich: 6,6 Prozent). Auch die Armutsquote bei Vollerwerbstätigen ist mit rund elf Prozent in den USA deutlich höher als in den meisten anderen westlichen Industrieländern.
Gewerkschaften stärken
Das Recht zur Bildung von Gewerkschaften ist in den USA zwar gesetzlich verankert, tatsächlich wurde die Arbeit der Gewerkschaften in den vergangenen Jahren massiv behindert. Wahlwerbung auf Firmengelände war meist verboten, wer als GewerkschaftsvertreterIn kandidieren wollte, wurde mit Kündigung bedroht. Ein Großteil der ArbeitgeberInnen verteilte Werbematerial gegen die Gewerkschaften. Nur 7,5 Prozent der in Privatunternehmen Beschäftigten sind derzeit gewerkschaftlich organisiert. Was nicht unbedingt mangelndes Interesse bedeutet. Denn laut den 2006 und 2007 durchgeführten Analysen »What Workers want« und »What Workers say« würden sich mehr als die Hälfte der befragten ArbeitnehmerInnen, die derzeit nicht organisiert sind, an Gewerkschaftswahlen beteiligen. »Der Wunsch nach gewerkschaftlicher Vertretung«, so Harvard-Ökonom und EPI-Experte Richard B. Freeman »ist größer als je zuvor.«
Mit Hilfe des Employee Free Choice Acts soll die Macht der Gewerkschaften gestärkt werden. Der Gesetzesentwurf wurde 2007 bereits vom Repräsentantenhaus beschlossen, danach allerdings im Senat durch Filibustern (Dauerreden) verhindert. Stimmt der Kongress diesmal zu, so würde für ArbeitnehmerInnen nicht nur der Beitritt zu einer Gewerkschaft erleichtert, sondern unter anderem auch die Kündigung von GewerkschafterInnen deutlich erschwert bzw. Einschüchterung bestraft. EPI kämpft an vorderster Front für diesen Gesetzesentwurf zur Stärkung der Gewerkschaften. 40 prominente Wirtschaftswissenschafter, darunter drei Nobelpreisträger, haben ein von EPI-Präsident Lawrence Mishel und zwei Wirtschaftsprofessoren verfasstes Statement für den Employee Free Choice Act unterschrieben. Sie erwarten sich dadurch mittelfristig eine Erhöhung der Kaufkraft in den unteren Einkommensschichten sowie eine Stärkung der Demokratie.
Als hochkarätig besetzte Lobby unterstützen die EPI-Experten auch den American Recovery und Reinvestment Act (ARRA). Das Konjunkturprogramm (Gesamtvolumen: 787 Mrd. Dollar) zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise wurde kurz nach Barack Obamas Amtsantritt vom Kongress verabschiedet. Es enthält neben Steuersenkungen, Infrastrukturinvestitionen und Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit auch die derzeit viel diskutierte Gesundheitsreform. John Irons, Leiter des Bereichs Forschung und Politik bei EPI sieht bereits erste Auswirkungen: »Obwohl es der Wirtschaft nach wie vor außergewöhnlich schlecht geht, hat sich immerhin das Tempo des Rückgangs verlangsamt.« Das aktuelle Budgetdefizit führt er nicht auf die ARRA-Ausgaben zurück, sondern auf die Kosten der militärischen Einsätze in Afghanistan und im Irak.
Gegengewicht
Als Gegengewicht zu den etablierten, meist konservativ-republikanischen Institutionen wurde 2003 das Center for American Progress (CAP) von ehemaligen hohen Funktionären der Clinton-Regierung gegründet. CAP ist zwar offiziell politisch unabhängig, aber zum Teil sind Clintons Parteikollegen noch immer in den Führungspositionen. Wer die Website von CAP besucht, findet dort unter den Zielen auch typisch amerikanische Stehsätze wie »Wiederherstellung von Amerikas globaler Führungsrolle« - neben umweltfreundlicher Energiepolitik, Gesundheitseinrichtungen und Wirtschaftswachstum für alle. Aber auch die Themen Armut(-sbekämpfung) und Frauenrechte finden sich an prominenter Stelle.
Begrenzte Möglichkeiten
Das staatliche Mindesteinkommen in den USA beträgt heute nur noch 30 Prozent des Durchschnittseinkommens (früher 50 Prozent) und ist damit auf dem Niveau von 1956. Angesichts derartiger Missstände formulierte die CAP-Task-Force für Armut vor rund zwei Jahren zwölf Schritte, um die Armut in den USA im Verlauf von zehn Jahren zu halbieren. Die Empfehlungen reichen von einem Ausbau der Arbeitslosenversicherung über die Kinderbetreuung bis zur Verbesserung des Bildungssystems und wurden zum Teil im Recovery Act berücksichtigt. Besonders bedenklich sei, dass immer mehr Kinder und Jugendliche von Armut betroffen sind. Das wirkt sich naturgemäß auf Bildung und Gesundheit negativ aus, wodurch spätere Armut fast schon vorprogrammiert ist. Im Gegensatz dazu ist laut OECD die Altersarmut in den meisten Ländern gesunken, die größten Einkommenszuwächse gab es in der Gruppe der 55- bis 75-Jährigen.
Ist Österreich im Vergleich zu Amerika eine Insel der Seligen? Ohne Transferleistungen wäre laut Statistik Austria die Armutsgefährdung durch niedriges Einkommen mit zwölf Prozent in Österreich doppelt so hoch wie derzeit. Für den Lebensstandard ist im Übrigen nicht nur das Einkommen entscheidend, sondern auch die Kosten für Bildung, Kinderbetreuung, medizinische Versorgung etc. spielen eine Rolle.
Amerika kann von Europa lernen
Punkto Gewerkschaften könnte laut Richard Freeman Amerika von Europa lernen. Wenn Präsident Obamas Arbeitsmarktreformen tatsächlich umgesetzt werden, dann prophezeit er die Wiederauferstehung der Gewerkschaften. Obwohl in den USA nicht geplant ist, dass GewerkschaftsvertreterInnen irgendwann in Aufsichtsräten sitzen, würden diese mehr Einblick in die Unternehmenspolitik und in Geschäftsabläufe bekommen. Gewerkschaftliche Pensionsfonds nutzen bereits jetzt Aktienstimmrechte und thematisieren die Höhe von Managervergütungen. Außerdem haben sie einige Rücktritte in Aufsichtsräten erzwungen.
Info&News
Denkfabriken (Think Tanks) definiert der Duden als Institutionen zur wissenschaftlichen, praxisorientierten Zukunftsforschung und für wirtschaftliche Weiterentwicklung. Sie sind keineswegs immer objektiv und (politisch) unabhängig. Einer der ältesten Think Tanks ist die 1916 gegründete Brookings Institution in Washington. Die bekannteste dürfte wohl der Club of Rome sein, der 1968 nach der Idee eines italienischen Industriellen entstanden ist und 1973 für »Die Grenzen des Wachstums« den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten hat. Unabhängige Think Tanks werden durch Stiftungen, Spenden von Privatpersonen und Organisationen finanziert. Das parteiunabhängige EPI beispielsweise erhält auch Gelder von Gewerkschaften.
Weblinks
Economic Policy Institute:
www.epi.org
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Klimaerwärmung
Laut Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) wird die Durchschnittstemperatur auf der Erde bis 2100 um 1,8 bis vier Grad Celsius steigen. Das wird die Umwelt für Menschen, Tier- und Pflanzenwelt schwerst bis nicht mehr reparierbar beeinflussen. Das kann eine Verschiebung der Klimazonen, ein Abschmelzen der Gletscher und des Eises in der Arktis, eine daraus resultierende Erhöhung des Meeresspiegels zwischen 18 und 59 cm und eine Erwärmung der Meere zur Folge haben. Durch den Klimawandel sei ein Fünftel der Arten vom Aussterben bedroht, Hungerkatastrophen, Dürreperioden und Überschwemmungen (auch in Europa), wären an der Tagesordnung. Weitere Folge: Trinkwasserverknappung. Allein ein Grad Temperaturanstieg würde Wassermangel für 400 Mio. bis 1,7 Mrd. Menschen bedeuten.
Der Klimabericht des Ex-Weltbank-Chefökonomen Nicholas Stern (»Stern-Report«) kam schon vor zwei Jahren zu dem Schluss, dass die Konzentrationen von Treibhausgasen in der Atmosphäre unter 550 ppm (parts per million) gehalten werden müssen, um schwerwiegende Folgen für die Weltwirtschaft zu vermeiden. Betrug diese Konzentration vor der industriellen Revolution 280 ppm Kohlendioxidäquivalente, so sind es heute bereits 430 ppm. Jährlich wird mit einem Anstieg um zwei ppm gerechnet. Wenn der Anstieg der Emissionen innerhalb von 15 Jahren gestoppt wird, kann der Anstieg der Erderwärmung auf zwei bis drei Grad Celsius begrenzt werden. Die Kosten für diese Maßnahme würden bei ca. einem Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen. Wenn die Staaten allerdings nicht handeln, könnte das langfristig eine Weltwirtschaftskrise verursachen, mit Verlusten von fünf bis 20 Prozent des globalen BIP.
Ausweg aus der Klimakrise?
Nun, die Weltwirtschaftskrise haben wir schon jetzt, verursacht durch die »ganz normale« kapitalistische Marktwirtschaft. Die Auswirkungen, die Nicholas Stern beschreibt, basieren allerdings auf der gleichen Wirtschaftsweise, die Natur und Mensch immer rücksichtloser ausbeutet. Allerdings könnte ein Umschwenken auf nachhaltiges Wirtschaften, das die soziale, ökologische und ökonomische Dimension im Sinne Ressourcen schonender Bereitstellung von langlebigen Produkten und Dienstleistungen sowie eine Abwendung von der an der Profitmaximierung ausgerichteten Über- und Wegwerfproduktion zum Ziel hat, ein Ausweg sowohl aus der durch die Finanz(markt)krise entstandenen allgemeinen Krise als auch aus der »Klimakrise« sein.
Klimabörse
Doch wie schaut die Realität aus? Statt wirksame Reduktionsmaßnahmen zu setzen, geben die Regierungen den Industrielobbys nach und machen die Klimapolitik zunehmend zu einer weltweiten »Klimabörse«, lassen also auf dem Gebiet des »Klimaschutzes« ähnliche Zustände zu wie zuvor in der Wirtschaftspolitik mit den jetzt sichtbaren fatalen Ergebnissen am Finanzmarkt und in der Realwirtschaft. So wurden der Industrie erhebliche Zukäufe von Verschmutzungsrechten (Emissionshandel) erlaubt. Ergebnis: Weltweit steigen die Treibhausgasemissionen trotz aller Klimaprogramme, Konferenzen und Absichtserklärungen weiter an. Zwar hat jetzt US-Präsident Barack Obama einen Wechsel in der Klimapolitik der USA angekündigt, oder der G-8-Gipfel sich darauf geeinigt, die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzen zu wollen. Doch was passiert im Vorfeld der UNO-Klimakonferenz im Dezember 2009 in Kopenhagen, wo eine erweiterte Klimakonvention und ein neues Klimaabkommen, anschließend ans Kyoto-Protokoll beschlossen werden soll?
Da wurden im Juli beim EU-Umweltministertreffen im schwedischen Åre eine CO2-Steuer befürwortet und neue Schlupflöcher für die Industrie diskutiert, um Eigenleistungen möglichst gering zu halten oder unnötig zu machen: wie »Klimazölle« (Einführung von Importabgaben auf Waren aus Ländern mit schwächeren Klimaschutzregelungen als jene in der EU) oder die Ausstellung von Waldschutzzertifikaten. So können sich die einen Konzerne weiter billig freikaufen, während andere den Regenwald weiter abfackeln und Plantagen errichten.
Lauwarm
Auch Österreich, das sich immer noch gerne als »Umweltmusterland« bezeichnet, ist von den internationalen Klimaschutzzielen (Kyoto-Ziele) weit entfernt. Dabei betrifft die laufende Erwärmung des Klimas den Alpenraum und damit auch Österreich nachweislich stärker als die meisten anderen Teile der Erde.
Der Klimaschutzbericht 2009 des Umweltbundesamtes zeigt: Anstatt die CO2-Emissionen gegenüber 1990 um 13 Prozent zu verringern, stiegen sie bis 2007 um elf Prozent! Mit 88 Mio. Tonnen liegen die Treibhausgasemissionen in Österreich schon im Jahr 2007 etwa acht Mio. CO2-Äquivalente über dem Kyoto-Ziel. Bis 2020 ist laut Österreichs Klimastrategie aus 2007 eine Emissionsminderung von 16 Prozent vorgesehen (ohne Emissionshandel). Doch mit den derzeit geplanten Maßnahmen werden die Vorgaben nicht erreicht werden, ist mit Emissionen knapp unter dem Niveau von 2007 zu rechnen.Der Verkehrssektor ist laut Umweltbundesamt mit rund 5,4 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten der Sektor mit der größten Abweichung zum sektoralen Ziel der Klimastrategie. Daher ist ein wichtiger Weg zu mehr Klimaschutz für Sylvia Leodolter, Leiterin der Abteilung Umwelt & Verkehr der AK-Wien, die Einführung einer flächendeckenden Lkw-Maut. Laut Wegekostenrechnung bezahlt ein Lkw-Frächter auf ehemaligen Bundesstraßen nur 47 Prozent, auf Landes- und Gemeindestraßen gar nur 13 Prozent der Straßeninfrastrukturkosten. Gemäß VCÖ-Berechnungen kostet die Frächterlobby die Steuerzahler im Jahr 4,4 Mrd. Euro, während sie selbst nur 0,9 Mrd. Euro für die Straßenbenutzung bezahlen.
Arbeitsklima
Eine große Möglichkeit zum Klimaschutz beizutragen, Klimaschutz und Schaffung von Arbeitsplätzen zu vereinbaren, sieht die AK in der Wärmedämmung. Dabei kritisiert AK-Präsident Herbert Tumpel den Etikettenschwindel der Bundesregierung: »Für die thermische Gebäudesanierung finden sich im Bundesbudget 2009 ausgabenseitig insgesamt 86 Mio. Euro - 50 Mio. davon kommen aus einer Sonderdividende des Verbunds, 36 Mio. werden durch Rücklagenauflösungen des Klima- und Energiefonds aufgebracht. Der fehlende Rest auf die versprochenen 100 Mio. - 14 Mio. - findet sich nicht im Budget wieder. Sie sollen aus dem laufenden Budget des Klima- und Energiefonds gedeckt werden. Es handelt sich also nicht um zusätzliche Mittel, sie haben lediglich ein neues Mascherl. Die Regierung wird hier noch mehr Geld in die Hand nehmen müssen.« Außerdem fordert die AK, dass energetisch hocheffiziente Fernwärme-Hausanschlüsse künftig genauso gefördert werden wie thermische Sanierungsmaßnahmen im mehrgeschossigen Wohnbau. Zudem fordert der ÖGB in seinem neuem Grundsatzprogramm ein staatliches CO2-Management: Wegen ihrer Bedeutung für Beschäftigung, Technologieentwicklung, Energie- und Umweltpolitik müssen Maßnahmen im Inland gegenüber Zukäufen von CO2-Zertifikaten im Ausland Vorrang haben.
Wie sagte ÖVP-Umweltminister Nikolaus Berlakovich unlängst: »Es stimmt, dass in vielen Staaten mehr beim Thema Klimaschutz passiert als in Österreich. Es muss mehr getan werden.« Na dann!?
Weblinks
Energiesparbroschüre zum Download:
wien.arbeiterkammer.at/bilder/d46/Energiesparbroschure.pdf
Mehr Infos unter:
www.umweltbundesamt.at
www.ipcc.ch
www.unfccc.int
www.zamg.ac.at
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Entwicklungszusammenarbeit
Lange Zeit war davon die Rede, dass Tourismus in den Entwicklungsländern eine gute Fördermaßnahme für die wirtschaftliche Entwicklung der Länder des Südens sein könne. Angeblich werden Arbeitsplätze geschaffen, die Infrastruktur ausgebaut und die lokale Wirtschaft angekurbelt. Allerdings sind viele Einheimische gar nicht für die Arbeit im Tourismus ausgebildet. Daher bringen internationale Hotelketten ihre MitarbeiterInnen einfach mit - das vereinfacht vieles, doch die BewohnerInnen des Landes gehen leer aus. Der Bau von Straßen wäre sicherlich ein großer Vorteil für die Länder, wo gute Straßen rar gesät sind. Allerdings finden sich die touristisch interessanten Gebiete oft weit weg von den Ballungsräumen der häufig bereisten Länder. Eine Straße, die nur in einen einsamen Nationalpark führt, wird außer von Touristenbussen kaum frequentiert, ist also keine tatsächliche Verbesserung für die BewohnerInnen des Landes.
»All inclusive«
Die TouristInnen essen, trinken und schlafen in den großen (europäischen oder nordamerikanischen) Hotelketten. Außerhalb ihrer Hotels konsumieren und kaufen sie kaum etwas - abgesehen von dem einen oder anderen Souvenir vielleicht. Besonders problematisch sind in diesem Zusammenhang die »All-inclusive«-Hotels. Diese Konzerne bringen den Entwicklungsländern so gut wie gar keine Vorteile. Ironischerweise verursacht diese Form des Tourismus oft sogar noch Kosten für die bereisten Länder - teure Touristenattraktionen müssen nämlich auch in der Nebensaison - oder wenn das Land gerade nicht dem gängigen Trend am Tourismusmarkt entspricht - erhalten werden. Und diese Kosten werden normalerweise nicht von den Hotelketten oder Fluglinien getragen, sondern bleiben an den jeweiligen Ländern hängen. Die Länder sind von der Willkür des Marktes und der Touristenbranche abhängig - Preisdumping ist die verheerende Folge davon.
Mittlerweile ist also klar geworden, dass insgesamt die volkswirtschaftlichen Effekte durch Tourismus enttäuschend sind - Deviseneinnahmen fließen zum Großteil wegen tourismusbedingter Importe wieder ab. Die Länder des Südens haben keine Kontrolle über die touristische Entwicklung, die geschaffenen Arbeitsplätze sind meist unqualifiziert und saisonal, Zerstörungen gewachsener Kulturen sind an der Tagesordnung, Ressourcenverschwendung die Regel. Trickle-down-Effekt - also eine Verbesserung der Lebenssituation und Verminderung der Armut der Bevölkerung - ist normalerweise kaum auszumachen. Dazu kommt, dass Tourismus ohnehin nur für wenige Entwicklungsländer in Frage kommt - wo er allerdings betrieben wird, neigt er dazu, alle anderen Wirtschaftsformen zu verdrängen und Monostrukturen zu bilden - immer ein gefährliches Spiel.
Lösung Ökotourismus?
In den vergangenen ein bis zwei Jahrzehnten hat sich ein Lösungsansatz herauskristallisiert - der Ökotourismus. Es soll sich dabei um eine auf Belange von Umwelt und lokaler Bevölkerung besonders Rücksicht nehmende Form des Tourismus handeln. Doch es gibt auch berechtigte Zweifel am »Öko-Prinzip«. Vor allem, da es auch keinen Konsens darüber gibt, was unter Ökotourismus nun wirklich zu verstehen ist. Darüber hinaus ist nicht klar, ob die getätigten Maßnahmen auch wirklich den gewünschten Effekt erzielen. Sprechen wir zum Beispiel im Zusammenhang mit Ökotourismus von Flugreisen in naturnahe Gebiete, wie Nationalparks, dann ist diese Form des Tourismus eigentlich gar nicht als »ökologisch« zu bewerten, denn Flugzeuge sind Klimakiller der Sonderklasse und nichts davon, was TouristInnen an ihren Urlaubszielen machen, egal wie sie sich verhalten, wird die negativen Folgen des Fluges aufwiegen können. Ökotourismus bezieht sich oft also nur auf umweltverträgliches Verhalten am Urlaubsort - sicherlich trotz allem ein löbliches Ziel. Die tatsächlichen positiven Effekte für den Umweltschutz sind jedoch unter den gegebenen Umständen eher vernachlässigbar gering.
Alles »Öko« oder was?
Ökotourismus oder nachhaltiger Tourismus hat es inzwischen aus der »Müsliecke« herausgeschafft, und weltweit geben bereits um die 30 Prozent aller TouristInnen ökologischen Angeboten den Vorzug. Meist handelt es sich dabei um Reisen in die Natur. Diese wird dabei durch übermäßigen Gebrauch jedoch häufig stark geschädigt. Beispielsweise wurden in Nepal ganze Wälder abgeholzt, um die ÖkotouristInnen auf ihren Trekkings mit Holz zu versorgen. Reisen in die Laichgebiete von Meeresschildkröten, deren Einnahmen dazu genutzt werden sollen, die Lebensräume der Tiere zu schützen, tragen indirekt dazu bei, die Ökosysteme der betroffenen Gegenden zu zerstören. Probleme gibt es auch im Kulturbereich: historische Stätten sollen von der ansässigen indigenen Bevölkerung befreit werden, um touristischen Projekten Platz zu machen. So geschehen zum Beispiel in Kuelap in Peru. Dabei schreckte die nationale Kulturbehörde übrigens nicht vor Drohungen und gewaltsamen Übergriffen auf die Bauern zurück.
Ein Fußabdruck im Paradies …
Viele EuropäerInnen leben auf zu großem Fuß - wir hinterlassen einen viel zu großen ökologischen Fußabdruck. Gemeint ist damit die Fläche der Erde, die wir verbrauchen, um unseren Lebensstandard dauerhaft zu erhalten. Würden alle Menschen auf der Erde auf ebenso großem Fuß leben wie wir - wir bräuchten 2,5 Erden! Europa und die USA beanspruchen ein Vielfaches der vorhandenen Biokapazität. Doch was hat das alles mit unseren Reisen zu tun? Die Ökosysteme der bereisten Länder werden zur Gänze verändert, Land, Luft und Bevölkerung leiden unter dem massiven Ressourcenverbrauch - dem viel zu großen Fußabdruck - der TouristInnen. Ein Beispiel dafür ist der Golftourismus als Wasser- und Landschaftsfresser Nummer 1. Die Fläche eines Golfplatzes entspricht ungefähr 40 Reisfeldern mit einer Jahresproduktion von 500.000 kg Reis. Das für die Rasenbesprenkelung verbrauchte Wasser würde den täglichen Bedarf an Trinkwasser von 15.000 EinwohnerInnen in Manila decken oder 65 ha Ackerland bewässern. Aber auch Duschen, Swimming Pools und Wassertoiletten - touristische Minimalausstattung also - verursachen Wasserknappheit, die jedoch nur die lokale Bevölkerung zu spüren bekommt.
Grundsätzlich ist es natürlich eine positive Entwicklung, Tourismus ökologisch und nachhaltig betreiben zu wollen. Wir dürfen uns jedoch nichts vormachen: Fernreisen sind grundsätzlich nicht ökologisch - die Abgase machen uns einen Strich durch die Rechnung. Und: Unser Besuch in Thailand, Indonesien oder Costa Rica wird im Moment der Bevölkerung weniger helfen, als er sie vielleicht sogar belastet.
Schauen wir genau hin!
Es wäre blauäugig zu glauben, dass immer »Öko« drin ist, nur weil es draufsteht. Definitiv bedarf es genauer Überlegungen und Diskussionen von Umweltschutzorganisation, NGOs aus Norden und Süden, um irgendwann sagen zu können, welche Möglichkeiten es gibt, um tatsächlich so ökologisch wie möglich zu reisen.
Weblinks
Institut für Integrativen Tourismus und Entwicklung:
www.respect.at
Ökologischer Fußabdruck:
www.mein-fussabdruck.at
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Sexuelle Ausbeutung
Überall in Afrika arbeiten Kinder wie Kofi für ihre reicheren Verwandten. Oft werden die Kinder massiv ausgenutzt - doch es kann noch schlimmer sein. Vor allem wenn man ein Mädchen ist. Davon kann Sarai, 14, ein Lied singen. Schauplatz ist Malawi, ein Binnenstaat im Südosten Afrikas. Sarai arbeitet für eine Familie, in der es acht Kinder gibt. Die beiden Ältesten des Hauses sind 16 und 17 - älter als sie. Sarais Arbeit besteht vor allem darin, dem Herrn des Hauses die Freizeit zu versüßen. Weder die Frau des Hauses, noch Sarais Familie wollen davon etwas wissen. Hauptsache ist, dass Sarai zur Schule gehen kann - und alle sind zufrieden. Sarai ist klar, dass wenn man sie aufs Land zurückschickt, der Traum von einer Schulausbildung für sie vorbei ist. Also beißt sie die Zähne zusammen. Sogar sie weiß, dass es Kinder gibt, denen es schlechter ergeht.
Grundsätzlich gibt es die UN-Kinderrechtskonvention, in der die Rechte von Kindern festgeschrieben sind. Die Konvention wurde übrigens - mit Ausnahme der USA und Somalias (!) - von allen Ländern der Erde ratifiziert. Trotz dieser Schutzmaßnahmen ist es bisher nicht gelungen, dem Problem ein für alle Mal einen Riegel vorzuschieben. Weiterhin werden KinderarbeiterInnen überall auf der Welt ausgebeutet. Zu viele Betriebe aber auch Einzelpersonen profitieren von der Arbeit der Kinder, als dass wirklich konsequente Maßnahmen gesetzt würden. Zu viele Kinder sind an Kriegsschauplätzen als Soldaten - oder besser als Kanonenfutter - im Einsatz. Darauf verzichtet man nicht gern. Und besonders Mädchen werden dazu noch häufig Opfer von sexuellem Missbrauch.
Recht auf Bildung
Kinder haben laut der UN-Konvention das Recht auf Bildung und Ausbildung. Nun könnte man also annehmen, dass Kofi Recht erhält, wenn er die Schule besuchen kann. Doch er hat morgens schon viele Stunden schwere körperliche Arbeit getan, und nach der Schule muss er wieder - oft bis spät in die Nacht hinein - arbeiten. In der Schule fallen ihm da natürlich die Augen zu. Außerdem gibt es das Recht der Kinder auf Erholung und Freizeit. In Kofis Tagesplan bleibt dafür denkbar wenig Zeit. Langfristig leidet da natürlich die Gesundheit. Dabei wäre das Recht auf Gesundheit ebenfalls in der Konvention festgeschrieben. Weltweit gefährden etwa eine viertel Milliarde Kinder täglich ihre Gesundheit - für einen Hungerlohn.
Ursachen von Kinderarbeit?
Kinder sind billige Arbeitskräfte - sie sind folgsam und wehren sich kaum. Leichte Opfer für ausbeuterische Konzerne, PlantagenbetreiberInnen oder internationale Hotelketten. Dazu kommt natürlich, dass alle arbeiten müssen, wenn eine Familie mit dem Überleben kämpft. Oft lockt darüber hinaus ein Versprechen auf Ausbildung - die es sonst nicht geben würde. Allerdings haben KinderarbeiterInnen oft keine sehr hohe Lebenserwartung. Sie arbeiten in Steinbrüchen, in Kohlenminen oder hantieren mit gefährlichen Chemikalien. Die Behörden der Länder, in denen Kinderarbeit besonders häufig vorkommt, stecken oft mit Unternehmen unter einer Decke - da sie bestochen wurden, um die Augen fest zuzumachen.
Proteste gegen Kinderarbeit werden häufig unterdrückt - dafür sorgen korrupte Militärregierungen. Und schließlich sind auch wir, die BewohnerInnen der reichen Länder des Nordens, mitschuldig - indem wir Billigprodukte aus Kinderarbeit kaufen. Immer wieder deckt die Polizei Fälle von Kinderarbeit auf. Gerade in der Baubranche gibt es bekannte Fälle, bei denen Kinder zum Tragen von Baumaterialien genötigt wurden. Dafür werden den Kindern, mit dem Argument, dass sie ja nicht so viel arbeiten würden wie Erwachsene, auch noch minimale Löhne gezahlt. Der Deutsche Kinderschutzbund schätzt, dass in Deutschland ungefähr 400.000 Kinder arbeiten. Für viele Kinder ist dieser Zustand ganz normal. Sie servieren im Gasthaus der Eltern, Arbeiten am Marktstand des Vaters, beaufsichtigen kleine Geschwister, putzen, waschen, führen den Haushalt. Oft bleibt da für Hausaufgaben und Schule nur wenig Zeit - und Bezahlung gibt es auch keine.
Wir müssen aufwachen
Kinderarbeit - das bedeutet vielfach minimale Löhne, verletzte Menschenwürde, moderne Sklaverei. Wir sprechen von unfreien Kindern, die zum Arbeiten gezwungen und geschlagen werden, die verkauft werden und von denen sich die Welt abwendet, weil darüber nachzudenken zu unbequem wäre. Die Kinder heißen Kofi, Sarai und Hassan. Sie sind neun, 14 oder fünf Jahre alt. Wo, das spielt keine Rolle, weil es überall auf der Welt passiert. Sie arbeiten in Haushalten, als Sexsklavinnen oder nähen Fußbälle in der pakistanischen Fußballindustrie. Sie knüpfen Teppiche in Nepal, zwölf Stunden täglich, bei schlechter Beleuchtung und verdienen in einer sechs-Tage-Woche, zehn Stunden täglich, einen Hungerlohn von 2,70 Euro in der Woche. Oder 90 Cent am Tag - in der Glühbirnenindustrie in Indonesien. Die langwierigen, eintönigen Tätigkeiten schaden den Kindern - sie haben Bronchitis, Asthma und Tuberkulose. Die versprochene Schulbildung steht in vielen Fällen nicht mehr zur Diskussion. Doch ohne Schule keine Zukunft.
Wir müssen unbedingt auf Güter verzichten, die von Kinderhand hergestellt sind. Es existieren Gütesiegel für Produkte, die nicht aus Kinderarbeit stammen. Die UNICEF vergibt auch Warenzeichen für Teppiche die nicht aus Kinderhand kommen, finanziert Schul- und Entwicklungsprogramme, Ernährungsberatung, die Versorgung mit sauberem Wasser und so weiter. Ein weltweit flächendeckendes Angebot an kostenlosen Schulen würde die Situation der Kinder erheblich verbessern. Dieses Ziel ist derzeit jedoch noch in unerreichbar weiter Ferne.
Weblinks
IGB-Video gegen Kinderarbeit:
www.youtube.com/watch?v=oNWWGwg0KSo
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USA vs. USA
Um kein anderes Ereignis ranken sich so viele Gerüchte und Verschwörungstheorien wie um die Terroranschläge vom 11. September. Von der ersten Minute an wurde die Al-Qaida dafür verantwortlich gemacht. Verschwörungstheoretiker mutmaßen jedoch, dass die Anschläge von der US-Regierung geplant waren, oder dass diese zumindest davon gewusst, aber nichts getan hätte, um die Anschläge zu verhindern. Es klingt jedoch mehr als makaber, ein derartig großes Opfer zu bringen, nur um einen Rechtfertigungsgrund zu brauchen, um den Irak angreifen zu können. Weiters war der 11. September ein Anlass, um weitere antisemitische Verschwörungstheorien zu knüpfen.
NASA in Hollywood
Das Weltall - unendliche Weiten. Die Erforschung des Weltalls - ein jahrzehntelanger Konkurrenzkampf zwischen Ost und West. Aber die Mondlandung im Juli 1969 wurde angeblich nur inszeniert, da die US-Regierung daran zweifelte, die Russen im Rennen um das All zu schlagen. Um das angeknackste Ego zu retten, soll die Mondlandung in einem Hollywood-Studio aufgenommen worden sein. Oder in den geheimen Filmstudios der Area 51, der Militärbasis mit Spezialisierung auf extraterrestrische Lebensformen. Manche behaupten sogar, Stanley Kubrick habe Regie geführt, denn sein Film »2001: A Space Odyssey« erschien ein Jahr zuvor. Als Argument führen Verschwörungstheoretiker den fehlenden Sternenhimmel auf den Bildern der Mondlandung an - oder die wehende US-Flagge, obwohl es doch auf dem Mond keinen Wind gibt.
HIV
Die Verschwörungstheorien über AIDS klingen wie ein schlechter Scherz. So soll der Virus unter anderem in einem Forschungslabor im Pentagon entwickelt worden sein - als biologische Waffe. Nachdem er sich als Einsatz im Krieg als ungeeignet erwies, sollte die CIA den Virus gegen Minderheiten in der USA, die Dritte Welt, Drogensüchtige und Homosexuelle einsetzen. Längst gibt es auch einen Impfstoff gegen AIDS, die Pharmafirmen hielten diesen nur unter Verschluss, um von den »herkömmlichen« Behandlungsmethoden finanziell mehr zu profitieren.
JFK
Am 22. November 1963 wurde in Dallas John F. Kennedy auf einer Wahlkampf-Tour erschossen. Die Polizei verhaftete Lee Harvey Oswald, der die Tat aber von Anfang an bestritt. Bevor es jedoch noch zu einem Prozess kam, wurde Oswald vor laufender Kamera von einem Nachtklubbesitzer erschossen. Seitdem ranken sich die Gerüchte, dass Oswald nicht allein der Mörder von Kennedy war. Teilweise wird die Mafia für den Mord verantwortlich gemacht, manche vermuten hinter dem Attentat Fidel Castro, die CIA und - am skurrilsten - den damaligen Vize-Präsidenten Lyndon B. Johnson. Für die Theorie, dass Oswald kein Einzeltäter war, sprechen Zeugenaussagen, die behaupten, sie hätten Schüsse aus verschiedenen Richtungen gehört. Außerdem wurde er schon wenige Minuten nach dem Attentat zur Fahndung ausgeschrieben.
Mars attacks!
Irgendwas stürzte 1947 in der Wüste nahe der Stadt Roswell im Bundesstaat New Mexico ab. Was immer es auch war - wir Normalsterblichen werden es nie erfahren. Für Verschwörungstheoretiker steht jedoch fest: Es war nichts anderes als ein außerirdisches Raumschiff. In diesem soll das US-Militär einen weiblichen (!) Alien gefunden haben, welcher anschließend einer pathologischen Untersuchung unterzogen wurde. Seit dem Ereignis versuche die US-Regierung die Existenz von Aliens zu vertuschen. In der Area 51, einem militärischen Sperrgebiet in Nevada fand nicht nur das abgestürzte Roswell-UFO eine Heimat, sondern die Militärbasis mutierte seit 1947 zum Tempel moderner UFO- und Verschwörungstheorien. So werden dort nicht nur sämtliche UFOs gelagert und untersucht. Nein. Angeblich fänden dort auch Treffen und geheime Gespräche mit Aliens statt.
Auch der Film »Men in Black« mit Will Smith und Tommy Lee Jones enthält angeblich ein Körnchen Wahrheit. Denn es gäbe wirklich Geheimagenten, deren Aufgabe es ist, Augenzeugen von UFO-Sichtungen subtil (körperliche Gewalt) oder weniger subtil (Jobverlust) zu bedrohen. Ob die Zeugen von den Men in Black, die sich beruflich vorzugsweise in Cadillacs fortbewegen, tatsächlich jedoch »geblitzdingst« werden, ist nicht überliefert.
Illuminati
Viele sind der Meinung, dass längst Außerirdische die Herrschaft über unseren Planeten übernommen haben. Die Konkurrenz ist jedoch groß. Neben Aliens sollen auch Freimaurer, Illuminaten, die jüdische Hochfinanz oder auch alle gemeinsam ein Ziel verfolgen: eine neue Weltordnung zu schaffen. Und den Rest der Menschheit ausbeuten. Oder sie streben gleich den Weltuntergang an. Geheimbünde halten die Fäden von Geheimdiensten, Konzernen und Medien in der Hand, sie regieren heimlich die Welt. Sagt man.
Die Illuminaten, ein 1776 in Ingolstadt gegründeter Geheimbund, wurde zwar neun Jahre später wieder verboten, die Gerüchte und Verschwörungstheorien um eine Weiterexistenz des Ordens wollen jedoch nicht verstummen. Die Illuminaten fühlten sich der Aufklärung verpflichtet, zu ihren vermeintlichen Tätigkeiten gehörten unter anderem der Kampf gegen die katholische Kirche und das Streben nach der Weltherrschaft.
Haider lebt!
Bald nähert sich der Todestag von Jörg Haider zum ersten Mal. Viele Haider-Fans wollen jedoch nicht glauben, daß Haider durch einen Autounfall mit 1,8 Promille im Blut und deutlich überhöhter Geschwindigkeit zu Tode kam. Die Beschädigungen an seinem VW Phaeton stimmen nicht mit dem bekannten Unfallhergang überein. Verantwortlich sei der Mossad.
Bielefeld? Gibt es nicht!
Eine Parodie auf sämtliche panikmachenden Verschwörungstheorien ist die Bielefeld-Verschwörung. Dahinter stehen die üblichen Verdächtigen: CIA, Aliens und - der Mossad. Denn Bielefeld gibt es nicht. Und hat es nie gegeben. Alle Hinweise auf diese Stadt sind Teil einer groß angelegten Verschwörung.
Komm süßer Tod!
Gegen die drohende Apokalypse ist die derzeitige Finanzkrise ein Wehwehchen: Die Maya prophezeien in ihrem Kalender, dass am 20.12.2012 eine Zeitperiode endet. Was für Verschwörungstheoretiker so viel heißt wie: Die Welt geht unter. Am 20.12.2012 soll ein Komet einschlagen. Oder Nibiru, auch genannt Planet X, der mit der 75-fachen Masse des Jupiters durch das All gondelt und schon für die zehn biblischen Plagen verantwortlich gemacht wurde, wird einigen Unfug anrichten. Eine andere Version ist die endgültige Heimsuchung der Aliens. Und während Vatikan, NASA und sämtliche Regierungen Bescheid wissen und unterirdische Bunker bauen bzw. Übersiedlungen auf Mond und Mars planen, müssen wir uns mit einer neuen Kinoversion über die Apokalypse zufriedengeben und die Finanzkrise vorgaukeln lassen. Denn das Geld, das die Banken ja nicht haben, wurde nicht verspekuliert, sondern in die ganzen extraterrestrischen Wohnbauten angelegt. In dem Sinne - wenn Sie die Wirtschaftskrise halbwegs überstehen, hat es Ihnen trotzdem nicht viel gebracht.
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Die ILO wird erstmals einbezogen
Die Gipfel-Erklärung der G-20 bestehend aus wichtigen Industrie- und Entwicklungsländern2 vom 2. April dieses Jahres nahm so auch Bezug auf die rasant steigende Arbeitslosigkeit. Erstmals befassen sich die Regierungschefs jetzt mit den Auswirkungen der Krise auf Beschäftigung und Armut der Menschen und wollen die ILO einbeziehen - sie soll sich an den Folgearbeiten der G-20 beteiligen. Zum Außenhandel einigten sich die Regierungschefs auf ein Paket von 250 Mrd. US-Dollar für die Handelsfinanzierung und riefen dazu auf, der Versuchung des Handelsprotektionismus zu widerstehen und globalen Handel und Investitionen zu fördern. Der Druck, die seit bald acht Jahren stockende Welthandelsrunde - die sogenannte Doha-Entwicklungsrunde - abzuschließen, steigt.
Am stärksten, betont Pascal Lamy, seien Entwicklungsländer von der Krise betroffen. Ihren Regierungen fehlen finanzielle Mittel, um Rettungspakete für ihre Volkswirtschaften zu schnüren. Subventionen für Produktion und Landwirtschaft sind kaum Thema, und auch das soziale Netz fehlt in der Regel, um die Bevölkerung vor Einkommenseinbußen und dem Abrutschen unter die Armutsgrenze zu schützen. Deshalb werden die vereinbarten 1,1 Bio. Dollar an neuen Mitteln für die Wiederbelebung des Welthandels sowie Mittel für die Unterstützung der Entwicklungsländer auch vom Internationalen Gewerkschaftsbund und Nichtregierungsorganisationen als konkreter Erfolg des G-20-Gipfels gewertet. Davon sollen 50 Mrd. Dollar der Unterstützung der sozialen Sicherungssysteme und der Förderung des Handels in den ärmsten Ländern dienen.
Anstieg des Handelsprotektionismus
Trotz der inzwischen positiveren Meldungen von IWF und anderen internationalen Organisationen zur Weltwirtschaft, sind sich viele einig: übertriebener Optimismus wäre verfrüht. Die weltweite Nachfrage liegt noch immer darnieder und die Arbeitslosigkeit wird wohl noch bis Ende 2010 ansteigen. Mit dem Versprechen, keine neuen Handelsschranken zu errichten, wurde der WTO die Beobachtung von allfälligen Handelsschutzmaßnahmen ihrer 153 Mitglieder übertragen. Daraus ergab sich ein gemischtes Bild: Im dritten Protektionismusbericht3 im Juli wurden seit Anfang März von den 119 beobachteten Maßnahmen mit Handelsbezug 83 neue Handelsbeschränkungen registriert - diese können von Zollerhöhungen über kompliziertere Einfuhrformalitäten bis zu echten Verboten reichen - aber es wurden auch 36 Handelserleichterungen festgestellt. Nach den Daten der WTO haben etwa 30 ihrer 153 Mitgliedsstaaten staatliche Konjunkturprogramme auf Schiene gelegt und 19 Länder unterstützen ihre Banken, darunter auch Österreich. Es wurden aber auch andere, nicht mit der Wirtschaftskrise in Zusammenhang stehende Handelsschranken aufgenommen, etwa die Einfuhrbeschränkungen zur Abwehr der Schweinegrippe: 39 Länder haben den Import von Schweinen oder deren Fleisch verboten - und das steht nicht im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise.
Beitrag zur Wiederbelebung
Die WTO sieht zwar in den staatlichen Stützungen grundsätzlich einen Beitrag zur Wiederbelebung des Handels. Sie äußerte allerdings auch Sorgen: Die Zahl der Antidumpingmaßnahmen würde zunehmen, das deute auf einen ungerechtfertigten Schutz vor vermeintlichen Dumpingpreisen hin. Aber auch staatliche Stützungen würden die Gefahr in sich bergen, noch nach der überwundenen Krise aufrecht zu bleiben und so manche Konjunkturprogramme bevorzugten nationale Anbieter. Ein Beispiel dafür ist die von den USA eingeführte »Buy American«-Initiative, die den Abfluss der milliardenschweren staatlichen Konjunkturprogramme ins Ausland verhindern soll. Sie schreibt fest, dass bei geplanten öffentlichen Infrastrukturprojekten Stahl, Eisen und einige andere Waren ausschließlich aus US-Produktion eingesetzt werden müssen. China hat Anfang Juni in einer Direktive mit Blick auf das eigene Konjunkturprogramm in Höhe von 585 Mrd. Dollar angeordnet, nach Möglichkeit inländische Produkte bei staatlich finanzierten Projekten zu bevorzugen. Zuletzt hatten auch westliche Firmen darüber geklagt, bei Aufträgen in China nicht zum Zug gekommen zu sein - unter anderem bei milliardenschweren Ausschreibungen für Windkraftanlagen. Und die EU hat ihrer Milchwirtschaft einen unerwarteten Exportvorteil durch die Wiedereinführung wettbewerbsverzerrender Subventionen verschafft, womit sie internationales Kopfschütteln geerntet hat. EU-Landwirtschaftskommissarin Mariann Fischer-Boel hat angesichts der gesunkenen Milchpreise erneut Exporterstattungen für Butter, Käse sowie Voll- und Magermilchpulver eingeführt.
Positiver Beitrag der WTO-Runde?
Obwohl diese Maßnahmen die Gemüter international erhitzen, fallen die bisher feststellbaren protektionistischen Maßnahmen global nicht wirklich ins Gewicht. Der Rückgang des Welthandels ist - wie von den G-20 richtig festgestellt - auf den globalen Nachfrageeinbruch bei Waren und Dienstleistungen zurückzuführen. Daher ist das Drängen auf einen ehebaldigen Abschluss der WTO-Liberalisierungsverhandlungen als Medizin gegen die Krise nicht das Mittel der Wahl. Die Nachfrage in den Ländern sollte gestärkt werden, damit Konsumgüter und Investitionen im In- und Ausland getätigt werden können, um so das implodierte Außenhandelsvolumen zu erhöhen. Industrieländer würden dann wesentlich via WTO-Verhandlungen zu fairerem Außenhandel beitragen, wenn sie von aggressiven Liberalisierungsforderungen gegenüber Schwellen- und Entwicklungsländern Abstand nehmen und mit der traditionellen Subventionierungspraxis ihrer Landwirtschaften brechen würden. Doch das wird sich vermutlich nicht so rasch ändern: erst vergangenen Juli wurden die Doha-Verhandlungen wegen unüberbrückbarer Differenzen abgebrochen, weil die USA und die EU besseren Marktzugang für ihre landwirtschaftlichen Produkte nach China und Indien erzwingen wollten.
Weblinks
WTO im Internet:
www.wto.org
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1 IHS-Prognose vom 25. Juni 2009
2 G-20: USA, Japan, China, Kanada, Mexiko, Indien, Südkorea, Brasilien, Australien, Russland, Türkei, Indonesien, Saudi-Arabien, Südafrika, Argentinien, Deutschland, Frankreich, Italien, Vereinigtes Königreich, EU.
3 JOB(92)/62: Report to the TPRB from the Director-General on the financial and economic crisis and Trade-related Developments, 1. Juli 2009
Normalarbeitsverhältnis wird selten
Neu sind all diese Entwicklungen nicht - während der vergangenen 30 Jahre Neoliberalismus sind Begriffe wie »Outsourcing« und »Prekarisierung« in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen. Seit den 1990er-Jahren nimmt der Anteil von Leiharbeitskräften, neuen Selbstständigen und freien DienstnehmerInnen auf einem zunehmend deregulierten Arbeitsmarkt stetig zu. Das sogenannte »Normalarbeitsverhältnis« - die unbefristete Vollzeitbeschäftigung mit sozialer Absicherung - wird zunehmend zur Seltenheit. Unternehmen, insbesondere transnational agierende Konzerne, profitieren von dieser Situation: Sie können innerhalb eines Landes flexibel agieren und bei Bedarf in Länder mit noch billigeren Arbeitskräften abwandern.
Davon profitieren aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dort nur begrenzt: Sie werden zu Niedrigstlöhnen, die oft nicht einmal den eigenen Lebensunterhalt sichern, unter teils lebensgefährlichen Umständen und ohne auch nur annähernd ausreichende Arbeitszeitregulierung ausgebeutet. So sind beispielsweise Näherinnen in Bangladesch gezwungen, für 250 Euro Monatslohn sieben Tage die Woche jeweils 14 Stunden und mehr zu arbeiten. Krankenstand und Karenz existieren überhaupt nicht, der Urlaubsanspruch beschränkt sich auf wenige Tage im Jahr. Fehlende Arbeitsschutzbestimmungen führen immer wieder zu Unfällen mit schweren Verletzungen, teilweise mit tödlichem Ausgang.
Eine unfaire Welthandelsordnung zugunsten multinationaler Konzerne steht fehlenden Regulierungen im Bereich der Sozialstandards, der Arbeitsrechte und des Umweltschutzes gegenüber. Die Drohung, Produktionsstandorte zu schließen und in für das Unternehmen günstigere Länder zu verlegen macht Gewerkschaften sowie ganze Staaten erpressbar.
Und Gewerkschaften?
Gewerkschaften setzen sich seit jeher für menschenwürdige Arbeitsbedingungen, faire Löhne und soziale Absicherung ein, haben die heute bestehenden Arbeitsrechte hart erkämpft. Unter den Bedingungen einer neoliberalen Globalisierung wird dies aber zunehmend schwieriger - die Angst um die »eigenen«, heimischen Arbeitsplätze verstellt oft den Blick für die Notwendigkeit grenzüberschreitender Solidarität. Um globales Lohn-, Sozial- und Umweltdumping zu bekämpfen, braucht es die aber - der Internationale Gewerkschaftsbund ITUC und die europäische ETUC versuchen genau diese weltweite Kooperation zu verwirklichen.
Für menschenwürdiges Leben …
Die zunehmende Verschlechterung von Arbeitsbedingungen auf der ganzen Welt schadet im Endeffekt aber auch der Wirtschaft und damit der Gesellschaft. Arbeit ist nicht nur ein Kostenfaktor, sondern schafft individuelle Einkommen und damit auch gesellschaftlichen Wohlstand.
Grundlage dafür sind aber geeignete Rahmenbedingungen, weshalb Juan Somavia, Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation der UNO (ILO) 1999 die Strategie »Decent work for all« (Menschenwürdige Arbeit für alle) auf die Tagesordnung gesetzt hat. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass Wirtschaftswachstum allein keine Garantie für nachhaltige Entwicklung ist, sondern nur menschenwürdige Arbeit die Basis für gesamtgesellschaftlichen Wohlstand und damit effiziente Armutsbekämpfung sein kann. Eine Einsicht, die schnell Furore gemacht hat: 2005 haben die Vereinten Nationen das Ziel, menschenwürdige Arbeit für alle zu schaffen, in ihre Millenium-Entwicklungsziele übernommen und die Strategie damit als wesentliches Element der Entwicklungsagenda anerkannt.
Mindestanforderungen, denen menschenwürdige Arbeit genügen muss, sind ausreichende Bezahlung sowie Arbeitsplatzsicherheit, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor körperlichen und psychischen Schäden - Stichwort Burn-out - schützen. Weiters zählen die ILO-Kernarbeitsnormen dazu, welche die Vereinigungsfreiheit und das Recht auf Kollektivverhandlungen, das Verbot von Zwangsarbeit und Kinderarbeit, die Gleichheit des Entgelts und das Verbot von Diskriminierung umfassen.
Das Konzept »menschenwürdige Arbeit« beschränkt sich allerdings nicht auf diese Basisanforderungen, sondern setzt bei den jeweiligen Ansprüchen und Hoffnungen an, die Menschen mit ihrer Arbeit verbinden. Insofern ist »Decent Work« auch kein starr umrissenes, fix definiertes Konzept, sondern wird den Rahmenbedingungen des jeweiligen Landes angepasst und trägt so dem Umstand Rechnung, dass Arbeit neben wirtschaftlichen auch wichtige gesellschaftliche Funktionen wie soziale Einbindung und im Idealfall die Ermöglichung von Selbstverwirklichung und Kreativität erfüllt.
… eine globale Strategie …
Menschenwürdige Arbeit für alle kann aber nur durch globale Kooperation durchgesetzt werden. Nur wenn ausbeuterische Arbeitsverhältnisse in Entwicklungsländern und das damit einhergehende Lohndumping endlich der Vergangenheit angehören, müssen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in sogenannten Industriestaaten nicht mehr um ihre Jobs fürchten - und nur dann können auch Menschen in Entwicklungsländern von ihren Einkommen leben, ihren Bedarf an Konsumgütern decken und zum Wohlstand der Gesamtgesellschaft beitragen.
Der Wettlauf nach unten, hin zu immer schlechteren Arbeitsbedingungen, immer niedrigeren Löhnen und dem Abbau von Sozial- und Umweltstandards muss gestoppt werden. Sowohl der Internationale als auch der Europäische Gewerkschaftsbund haben sich daher der »Decent work-Agenda« der ILO angeschlossen und gemeinsam mit anderen Organisationen 2007 die internationale Kampagne »Decent work, decent life« (www.decentwork.org) ins Leben gerufen. Unter den 50 Organisationen aus insgesamt 22 Ländern, von denen die Kampagne unterstützt wird, befindet sich auch der ÖGB. Weltweite Aufmerksamkeit erhält das Thema »Decent Work« am Welttag für menschenwürdige Arbeit, der heuer zum zweiten Mal am 7. Oktober stattfinden wird.
… und ihre nationale Umsetzung
Ebenfalls am 7. Oktober startet, ganz im Sinne der Strategie, das Projekt »Menschenwürdige Arbeit für menschenwürdiges Leben«, das von »weltumspannend arbeiten«, dem entwicklungspolitischen Bildungsprojekt des ÖGB, gemeinsam mit der NGO Südwind und in Kooperation mit Gewerkschaften und NGOs in Bulgarien und Rumänien durchgeführt wird. Die Europäische Union sowie die Austrian Development Agency unterstützen das Projekt finanziell.
Das Projekt wird globale Zusammenhänge und Hintergründe aufzeigen, die hinter Arbeitsplatzabbau und Lohnkürzungen in Industrieländern und der Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Entwicklungsländern stehen. Ein Verständnis für diese strukturellen Ursachen hinter der Verschlechterung von Arbeitsbedingungen ist eine wichtige Grundlage für die dringend notwendige, weltweite Zusammenarbeit und Solidarität.
Diese Grundlage zu schaffen ist Ziel des Projekts. Für Gewerkschaftsmitglieder und BetriebsrätInnen wird ein einjähriger Lehrgang entwickelt, der im Herbst 2010 zum ersten Mal starten und aus sechs zweitägigen Modulen bestehen wird. Begleitend wird es eine Reihe von öffentlichen Diskussionen, Workshops und Ausstellungen geben. Aktuelle Informationen und die Möglichkeit zur Kontaktaufnahme finden sich auf der Website www.fairearbeit.at.
Weblinks
Online ab dem Welttag für menschenwürdige Arbeit am 7. Oktober 2009:
www.fairearbeit.at
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Vernetzung durch Information
Wir veranstalten Vorträge, Seminare und Kampagnen zu den Themen Globalisierung von ArbeitnehmerInnenrechten, globale Arbeitsbedingungen, Sozialstandards, Fairer Handel, freie Produktionszonen, multinationale Unternehmen, Neoliberalismus, Kinderarbeit, internationale Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit, Gewerkschaften und Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit.
Aktuell steht natürlich auch der Zusammenbruch des Finanzmarktkapitalismus mit all seinen globalen Folgen im Vordergrund. Dazu gibt es auch Wanderausstellungen und vielfältige Materialien.
Die Ergebnisse und Erfahrungen daraus fließen in die Gewerkschaftsarbeit ein und fördern internationale Vernetzung und Zusammenarbeit. Eine wesentliche Rolle dabei spielt der Aspekt der persönlichen Begegnung von ArbeitnehmerInnen bzw. GewerkschafterInnen.
Ein anderer wesentlicher Bereich der Arbeit von »weltumspannend arbeiten« umfasst die Beteiligung und Durchführung von Kampagnen zu gewerkschaftsrelevanten internationalen Themen. So engagiert sich »weltumspannend arbeiten« für das Solidaritätsnetzwerk für verfolgte GewerkschafterInnen, die Clean Clothes Kampagne und unterstützt den Fairen Handel.
Arbeitsschwerpunkt China
Kein Tag vergeht, an dem nicht aufmerksame BetrachterInnen der Medienberichterstattung im Politik- oder Wirtschaftsressort auf einen Beitrag zu China stoßen. Wohl kein Land dieser Welt polarisiert derzeit so wie China - inhaltlich wie strategisch: ökonomischer Riese und Entwicklungshilfeempfänger, Chance oder Bedrohung, Weltmacht oder Schwellenland, Investitions-Eldorado oder planwirtschaftlicher Protektionismus, …
Kaum anderswo ist das Wissen über Kultur, Gesellschaft, Arbeitswelt, Wirtschaft und Politik dermaßen von Zerrbildern und Vorurteilen überlagert als zu China.
Gleichzeitig sind wir auch persönlich beinahe täglich mit China befasst. Als ArbeitnehmerInnen, wenn Produktionen ausgelagert, Standorte verlegt, Leistungen »outgesourced« werden, wenn Zusammenarbeit mit Einheiten und KollegInnen aus Niederlassungen in China gefordert ist, wenn ArbeitnehmerInnen für Monate als Monteure, Qualitätsmanager oder Techniker nach China betriebsentsendet werden.
Aber auch als KonsumentInnen, wenn Herkunft, Qualität und Produktionsbedingungen von Produkten »Made in China« ungeklärt sind.
Um nun einen Beitrag zum besseren Verständnis und Informationsstand von ArbeitnehmerInnen und deren Interessenvertretungen sowie von KonsumentInnen und zivilgesellschaftlicher Ebenen zu China - im speziellen zu den Auswirkungen der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas auf Arbeits- und Produktionsbedingungen - leisten zu können, hat das Projekt »Go ›in‹ China - Work ›in‹ China« folgende Zielsetzungen:
Begegnungsreise nach China
Derzeit wird an der Organisation der Begegnungsreise »Österreichische BetriebsrätInnen auf gewerkschaftlicher Spurensuche in der Volksrepublik China« gearbeitet, durch welche österreichische BetriebsrätInnen einen Einblick in die chinesische Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit bekommen.
»weltumspannend arbeiten« finanziert sich aus Mitteln der Austrian Development Agency, der EU und durch Mitgliedsbeiträge von Privatpersonen, Gewerkschaften und Betriebsratskörperschaften.
Weblinks
Weltumspannend arbeiten:
www.weltumspannend-arbeiten.at
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1. Demokratische Banken
Die Umwandlung der Finanzmärkte von einem dem Gemeinwohl dienenden Sektor hin zu einer gewinnorientierten globalisierten Industrie war eine Fehlentwicklung: Sie hat nicht Effizienz und Massenwohlstand gebracht, sondern Instabilität, Ungleichheit und sogar Hunger, weil Fonds mit Nahrungsmittel- und Energiepreisen spekulieren. Geld muss wieder zu einem öffentlichen Gut werden und Banken sollten auf ihre Kernfunktion reduziert werden: die Umwandlung von Spar- in Kreditgeld. »Demokratische Banken«, die verfassungsmäßige Ziele verfolgen, von der Regierung unabhängig sind und von der Bevölkerung kontrolliert werden, könnten diesen Auftrag erfüllen.
2. Finanztransaktionen besteuern
Derzeit laufen sämtliche Finanztransaktionen über nur drei (!) private Clearingstellen in Belgien und Luxemburg. Um grenzüberschreitende Kapitaltransaktion zu besteuern, bräuchten die Clearingstellen lediglich die Steuer auf die schon jetzt bei jeder Transaktion abgebuchte Gebühr draufschlagen.
3. Steueroasen trocken legen
Da alle Banken bei Clearingstellen Konten einrichten müssen, wäre es leicht, Steueroasen trocken zu legen, indem Geldinstitute, die auf Steueroasen sitzen, kein Konto bei den Clearing-Banken mehr erhalten. Aus beiden Gründen - Transaktionssteuer und Kontovergabe - wäre es sinnvoll, den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr unter öffentliche Kontrolle zu bringen.
4. Weltreservewährung statt Dollar
Die Rolle des US-Dollars als Weltleitwährung nützt den USA und schadet allen anderen. Die USA können sich auf Kosten aller anderen verschulden und Öl in der eigenen Währung kaufen. Eine faire Alternative wäre, dass eine Weltreserve- oder Handelswährung geschaffen wird, zu der alle Landeswährungen kontrolliert auf- und abwerten, je nach ihrer realwirtschaftlichen Entwicklung. Das ergäbe Planungssicherheit und globale Stabilität. Während sich die politischen Eliten der EU über diese Idee von John Maynard Keynes in Stillschweigen üben, macht sich die UN-Expertenkommission zur Lösung der Finanzkrise dafür stark.
5. Fairer Handel statt Freihandel
Kein Land ist historisch durch Freihandel groß geworden. Alle heutigen Handelsmächte haben sich in ihrer Entwicklungsphase »protektionistisch« verhalten. Jetzt verlangen sie von den noch nicht konkurrenzfähigen armen Ländern die Öffnung ihrer Grenzen. Doch zwischen Starken und Schwachen steht von vornherein fest, wer gewinnt und wer verliert. Das ist ein wichtiger Grund dafür, warum in den 1990er-Jahren in fast 60 Ländern das Pro-Kopf-Einkommen gesunken ist. Diejenigen Länder, die sich nicht an die Freihandelsdoktrin der WTO oder des IWF gehalten haben, wie die südostasiatischen Tigerstaaten oder China, sind die einzigen, die in den Vorjahren ein wenig zu den reichen Ländern aufschließen konnten. So, wie diese Länder sollten alle Länder sich mit der Geschwindigkeit öffnen dürfen, wie es ihrer Entwicklung am zuträglichsten ist.
6. UNCTAD statt WTO
Auf Druck der Industrieländer wurde 1995 die WTO außerhalb der UNO gegründet, um keine Rücksicht auf Menschenrechte, Umweltschutz, Ernährungssicherheit, Gesundheitsvorsorge, Arbeitsrechte oder kulturelle Vielfalt nehmen zu müssen. Heute werfen immer mehr UN-Organisationen den WTO-Regeln Menschenrechtswidrigkeit vor. Es wäre gerechter, die Handelsregeln in der UNO mit den schon bestehenden Abkommen abzustimmen. Dort gibt es schon seit 1964 eine Organisation, welche die Erstellung gerechterer Handelsregeln vornehmen könnte: die Organisation der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung UNCTAD, die Handel nur als Mittel sieht für das wichtigere Ziel der Entwicklung. Die UNCTAD wurde auf Initiative der armen Länder eingerichtet, die jedoch nicht über so viel Macht verfügen wie die Industrieländer.
7. Technologietransfer
Der globale Patentschutz nützt vorwiegend westlichen Konzernen. Auch hier verlangen die reichen Länder von den armen etwas, das sie in der eigenen Geschichte nicht praktiziert haben: den rechtlichen Schutz geistigen Eigentums. Wenn die Reichen von den Armen »Schutzgeld« für ihre Technologien verlangen, verlangsamen sie dadurch den Technologietransfer. Besonders schädlich ist der Schutz geistigen Eigentums bei Medikamenten. Das führt dazu, dass arme Menschen an heilbaren Krankheiten sterben, weil sie sich die vorhandenen Medikamente nicht leisten können. Das WTO-Abkommen, das den Schutz geistiger Eigentumsrechte regelt (TRIPS) sollte ersatzlos gestrichen werden. Stattdessen sollte in der UNO ein Fonds eingerichtet werden, der Patente ankauft und globale Forschungskooperationen in Auftrag gibt, um den Wissenstransfer von Nord nach Süd zu beschleunigen.
8. GAPS statt GATS
Eine weitere Möglichkeit, Technologie von den reichen in die armen Länder zu transferieren, wäre, dass öffentliche Betriebe wie Stadtwerke, Energieversorger, Bahnen oder Universitäten internationale Kooperationsabteilungen einrichten, die das in den reichen Ländern entwickelte Wissen an ärmere weitergeben. Ein »General Agreement on Public Services GAPS« könnte an die Stelle des WTO-Dienstleistungsabkommens GATS treten, das öffentliche Dienste durch Liberalisierung gefährdet.
9. Globale Vermögenssteuer
Dieser Technologietransfer muss finanziert werden. Das könnte über eine Vermögensabgabe auf die globalen Dollar-Millionäre alias »HNWI« (High Net Worth Individuals) erfolgen, deren Reichtümer sich 2008 auf 33 Billionen US-Dollar aufgetürmt haben. Zwei Prozent Steuer würden jährlich 640 Mrd. US-Dollar einspielen. Für die Versorgung aller Menschen mit sauberem Trinkwasser, Grundschulzugang oder Basisgesundheitsversorgung sind nur jeweils wenige Mrd. US-Dollar nötig.
10. Rechte für Menschen
Derzeit genießen transnationale Konzerne immer mehr Rechte, auch direkte Klagerechte gegen Staaten. So klagen z. B. Siemens gegen Argentinien oder ExxonMobile gegen Venezuela. Durch diese Klagerechte wurden Umweltschutzgesetze ausgehebelt, Mrd. US-Dollar Steuergeld von armen Ländern flossen in die Kassen der Konzerne. Umgekehrt gibt es keine globale Instanz, vor der betroffene Menschen, Gewerkschaften oder Gemeinden klagen können, wenn globale Konzerne ihren Lebensraum zerstören, die Gesundheit gefährden oder Arbeits- oder Menschenrechte verletzen. Diese Rechtsasymmetrie muss ausgeglichen werden. Globalisierung darf nicht nur Freiheiten und Rechte für die Global Players bedeuten, sie muss auch Pflichten bringen.
Um diese Forderungen durchzusetzen, braucht es starken globalen Druck von unten. Die wichtigste Strategie für eine andere Globalisierung ist deshalb die Kooperation zwischen sozialen Bewegungen, Gewerkschaften, Kirchen und anderen Gruppen. Eine andere Welt wird nur möglich, wenn sich möglichst viele Menschen zusammenschließen und persönlich dafür einsetzen.
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Mehr Infos:
www.HungerMachtProfite.at
Probieren Sie das Computerspiel »Work Life Mystery« aus:
www.worklifemystery.at
Informationen zum Projekt und Anmeldung für den Workshop:
ÖGB Referat Sozialpolitik-Gesundheitspolitik, ingrid.reifinger@oegb.at,
Telefon: 01/534 44 461,
www.impulstest.at
Mehr unter: www.1000000taten.at
]]>Welt im Wandel
Seit damals hat sich die Welt rasant verändert - neue Technologien und neue Kommunikationsmittel haben dafür gesorgt, dass es sich anfühlt, als wären wir alle ein wenig näher aneinander gerückt. In weniger als 80 Stunden kann man per Flugzeug um die Welt reisen, per Computer und Mausklick reichen Sekunden. Schon vor Urlaubsantritt kann man sich dank Google Earth am Urlaubsort umsehen, statt Postkarten werden die Urlaubsfotos als Gruß an die Daheimgebliebenen gleich vor Ort online gestellt, mittels sozialer Netzwerke reißt der Kontakt zu den netten neuen Freunden auch nicht mehr so schnell ab.
Auch auf der anderen Seite der Weltkugel kann man beim bekannten Fastfood-Anbieter das gewohnte Schachtelmenü einnehmen, dazu gibt es das braune Erfrischungsgetränk, das fast schon als Vorbote der letzten Globalisierungswelle, im Zweiten Weltkrieg im Gepäck der US-GIs seinen Siegeszug um die Welt antrat. Ein französischer Anbieter sorgt für Trinkwasser aus Plastikflaschen, eine niederländische Brauereikette für Abwechslung zum heimischen Bier. Die wohl bekannteste Zigarettenmarke gibt es dort in einer Variante, die dem Geschmack der Einheimischen entgegenkommt.
Die Logos der Mobiltelefonfirmen kennt man von zu Hause. Die Boutiquen verkaufen internationale Markenwaren zu Schleuderpreisen. In den Kunsthandwerkgeschäften findet man vieles, was man auch am heimischen Christkindlmarkt gesehen hat - mit rund 300 Prozent Preisaufschlag -, und die gleichen Souvenirs wie in anderen Paradiesen. Aus dem Radio dringen vertraute Songs, am Strand kann man aktuelle Film-DVDs ebenso kaufen wie die fast echte Rolex. Mit den Einheimischen verständigt man sich in einfachem Englisch - für ein kurzes Gespräch, das Feilschen am Markt und die Tempelbesichtigung reicht das allemal.
So fern und doch so nah - die Globalisierung machts möglich. Burger-Schachteln und leere Plastikflaschen vermüllen die faszinierende Landschaft. Die schicke Ware in den Boutiquen ist deswegen so günstig, weil eben diese »Designerstücke« nicht weit vom scheinbaren Paradies in Sweatshops unter höllischen Bedingungen hergestellt werden. Der internationale Zigarettenkonzern macht den dortigen Anbietern Konkurrenz. Der Staat verschenkt Gasflaschen, damit Holz nicht mehr zum Feuer machen verwendet wird, wenn schon unzählige Festmeter in Möbel und Schnitzereien verarbeitet werden. Das Wetter, sagen die Einheimischen, sei nicht mehr wie früher, aber das sagen Einheimische weltweit.
Träume vom Paradies
Und die Menschen? Viele träumen davon, das Paradies, in dem sie geboren sind, zu verlassen in Richtung des anderen, Reichtum und Wohlstand versprechenden Paradieses, aus dem wir für drei Wochen hierher geflohen sind.
Längst ist die Welt für mich nicht mehr groß und weit und schon gar nicht voller Sonnenschein. Die Heimat mein ist wohl auch nicht das allerschönste Stück davon, aber ich hätte es schlechter treffen können. Auch weil ich mir einen Urlaub im Paradies leisten kann, selbst wenn der ökologische Fußabdruck ein wenig aufs Gewissen drückt.
Diese Welt ist die einzige, die wir haben, und wenn wir uns dort Sonnenschein wünschen, dann müssen wir selbst was dafür tun.
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Für das Redaktionskomitee
Katharina Klee
Vorarlberg »Spitzenreiter«
Vor allem Vorarlbergerinnen erhalten einen weitaus geringeren Verdienst als Männer und verschenken gleich einmal vier Monate. Mit einem Einkommensunterschied von 33,4 Prozent ist Vorarlberg im Bundesländervergleich negativer Spitzenreiter. Dicht gefolgt von Oberösterreich. Laut Lohnsteuerstatistik ist der durchschnittliche Bruttojahresbezug eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers hier um 30,4 Prozent höher als der einer erwerbstätigen Frau. In Tirol und Salzburg beträgt die Einkommensschere 28,5 bzw. 28,4 Prozent. In Niederösterreich verdienen Arbeitnehmerinnen 26,9 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen, in der Steiermark 26,4 Prozent. Die Einkommensdifferenzen in den Bundesländern Burgenland (25,5 Prozent), Kärnten (25,1 Prozent) und Wien (23,9 Prozent) liegen unter dem Durchschnitt Österreichs. Der Rechnungshof begründet in seinem Einkommensbericht 2008 die hohen Einkommensunterschiede zwischen dem »Spitzenreiter« und Wien mit einer höheren Teilzeitarbeit, stärkeren saisonalen Beschäftigung sowie einer geringen Anzahl an Beamtinnen und Vertragsbediensteten in Vorarlberg. Unterschiedliche Wirtschaftszweige, Qualifikationsmöglichkeiten und Rahmenbedingungen, wie Kinderbetreuungsmöglichkeiten, sind ebenfalls von Bedeutung.
Forderungen
Um die Einkommensschere zu schließen, fordern die Gewerkschafterinnen:
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Die LOHAS und die BoBos
Heute gehören nachhaltige Lebensmittel zur Grundausstattung der »LOHAS«, jener heterogenen Gemeinschaft, die einen »Lifestyle of Health and Sustainability« anstrebt. Es sind meist besser verdienende, gut ausgebildete Menschen, viele davon werden populärwissenschaftlich zu den »BoBos«, den Bohemiens Bourgeois, gerechnet, einer Art Elite des Informationszeitalters. Sie führen zusammen, was bisher als unvereinbar galt: Wohlstand und Aufstand, beruflichen Erfolg und Nonkonformismus, ein bisschen Hippie, ein bisschen Yuppi, sie leben einen sanften Materialismus und sind idealistisch zugleich. Missionarisches, Protest oder Boykott aber ist ihnen fremd. Als solches entschlüpfen sie auch jener Form der Diffamierung, mit denen Menschen, die für ihre Überzeugungen eintreten, gerne bedacht werden.
Abwertung von »Gutmenschen«
Mit dem Begriff »Gutmensch« werden Einzelne oder Gruppen abwertend bezeichnet, denen übertrieben moralisierendes oder naives Verhalten unterstellt wird. In Österreich gibt es, meint der Philosoph Franz Schuh, »einen auffälligen Sonderweg. Hier verwenden nicht zuletzt rechtsextreme Parteimenschen und ihre Sympathisanten den Terminus, um die einfachsten moralisch-politischen Anforderungen als nicht gültig abzuwehren.« Löse man den Begriff aus dem Zusammenhang, sei er hervorragend geeignet jedem Gegner billig, und ohne dass man sich dabei etwas denken muss, ein Etikett umzuhängen.
Mit dem WeltverbesserInnen-Fest feierte die »Südwind-Agentur« im heurigen Jahr ihr 30-jähriges Bestehen. Das Gründungsjahr des damaligen Österreichischen Informationsdienstes für Entwicklungspolitik (ÖIE) war auch das Jahr der Sandinistischen Revolution in Nicaragua am 19. Juli 1979, der ersten Welt-Klima-Konferenz und der Wahl Margret Thatchers zur britischen Premierministerin. »Alle politischen Fragen stehen momentan im Zeichen des großen Hegemoniekampfes, in dem der ›Globalismus‹ seine Konjunktur dazu benützt, seine Sichtweise durchzusetzen«, hatte Falter-Herausgeber Armin Thurner bereits zum 25-jährigen Bestehen von Südwind geschrieben: Der Verblödungsoffensive unter dem Titel TINA (›There is no Alternative‹, © Margret Thatcher) könne man nur entgegentreten, indem man zuerst den Blick dafür schärft, dass Entscheidungen niemals alternativlos fallen.
Thurner bezieht sich auf den deutschen Soziologen Ulrich Beck, der dem neoliberalen »Globalismus« die ebenso real existierende Globalisierung gegenüberstellt. Diese Globalisierung beinhalte transnationale kulturelle und politische Erscheinungsformen, umfasst also multiethnisches Essen, NGOs als politische Akteure und Weltmusik ebenso wie Protestaktionen für die Anerkennung der Menschenrechte und den Kampf für ein weltweites Rechts- und Sozialsystem.
Eine andere Welt ist möglich
»Jute statt Plastik« (1979) war eine der ersten Kampagnen der entwicklungspolitischen AktivistInnen. Die internationale »Clean Clothes Campaign« (CCC), die in Österreich seit 2001 von der »Südwind-Agentur« und der »Frauensolidarität« koordiniert wird, ist heute eine der vielen Alternativen zur Globalisierung der Machtinteressen der privilegierten Weltminderheiten. Sie setzt sich weltweit für faire Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie ein und zeigt nicht nur die Missstände, sondern auch die Handlungsmöglichkeiten für KonsumentInnen und die Wirtschaft auf.
In einem Interview mit Südwind-Redakteur Werner Hörtner berichtet die Gewerkschafterin Kalpona Akter über die Fortschritte durch die internationale Unterstützung. Sie hatte mit zwölf Jahren in einer Zulieferfabrik als Näherin begonnen. Heute ist sie Geschäftsführerin des »Bangladesh Center for Workers Solidarity«, die eng mit der CCC-Initiative kooperiert. Vieles wurde bereits erreicht.
Nun zeichnet sich ein weiterer Erfolg ab, der die Zustände in der Bekleidungs- und Textilindustrie grundlegend verändern könnte. Gewerkschaften, NGOs aus Asien, Europa und den USA haben die Basis eines Existenz sichernden Lohnes festgelegt, in Hongkong wurde ein Lenkungsausschuss gegründet, an dem auch die CCC beteiligt ist. Setzt sich die »Asia Floor Wage Campaign« durch, meint die ehemalige Näherin Kalpona Akta, »dann haben die Unternehmen keine Möglichkeit mehr, in anderen Ländern billigere Produzenten zu suchen«.
Der Weltzukunftsrat
»Die Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft haben versagt«, befindet Jakob von Uexküll, Gründer des Alternativen Nobelpreises. »Mit ihrer falschen Art der Globalisierung haben sie die Welt auf den Abgrund zugesteuert.« Seine schlechte Nachricht: »Die Situation ist schlimmer als die größten Pessimisten unter uns befürchtet haben.« Drei gute Nachrichten hat Uexküll, der 2007 auch den Weltzukunftsrat (WFC) gegründet hat. 1) Es gibt für jedes der Probleme eine Lösung. 2) Das alte Finanz- und Wirtschaftssystem hat seine Glaubwürdigkeit verloren, die Menschen sind heute bereit für eine Wende. 3) Der Markt ist von Regeln abhängig. Wenn es die richtigen sind, kann er Wunder wirken.
Alternative Vielfalt
Aus den »WeltverbesserInnen« wurden zivilgesellschaftliche AkteurInnen, die zunehmend Gehör finden. »Auf allen politischen Handlungsebenen, von der lokalen bis zur globalen, mischen diese transnational vernetzten Gruppierungen mit«, schreibt der Politikwissenschafter Franz Nuscheler. »Die Ursprünge der bunten NGO-Szene liegen in der Solidaritätsbewegung, die häufig - etwa in Österreich - einen kirchlichen Hintergrund hatte. Besonders zu den Bereichen Entwicklungs-, Umwelt- und Menschenrechtspolitik betreibt sie durch eine dosierte Kooperationsbereitschaft mit dem Staat Lobbytätigkeit für ihre jeweiligen Belange und spielt dabei verschiedene Rollen, die sie aus der Schmuddelecke von notorischen KritikerInnen oder ›Gutmenschen‹ hervorholten.«
Eine völlig neue Form zivilgesellschaftlicher Organisation ist das internationale Netzwerk Attac, dessen ursprüngliches Anliegen die Besteuerung von Devisentransfers war. Heute behandelt Attac viele Fragen der ökonomischen Globalisierung, darunter die Regulierung der Finanzmärkte, des Welthandels oder die Nord-Süd-Beziehungen.
Gutes Image
Es ist lange her, dass der Gewerkschafter Gerhard Riess mit dem Fahrrad Produkte des fairen Handels unter die Leute brachte. Heute ist er - unter anderem - in Sachen faires Essen im Betrieb unterwegs. BetriebsrätInnen und KüchenleiterInnen sollen motiviert werden, möglichst Produkte aus biologischem Anbau und fairem Handel zu verwenden. »Wie argumentiere ich dem Kunden, dass das eine Produkt fair ist, das andere nicht?«, hatte ihn Herr Pfanner vor etlichen Jahren gefragt. Den Orangensaft mit dem Fairtrade-Gütesiegel der Firma gibt es mittlerweile in den meisten Supermärkten. Die Frage von Herrn Pfanner wird immer mehr KonsumentInnen beschäftigen, meint Gutmensch Gerhard Riess. »Mittlerweile sind ja sogar die Multis draufgekommen, dass Fairtrade eine gute Marketinggeschichte ist.«
Weblinks
Fairtrade im Internet:
www.fairtrade.at
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Ende 2007 warnte IWF-Chef Dominique Strauss-Khan, dass der IWF vor einem veritablen Finanzproblem stehe. Wenn er nicht bald wieder mehr Kredite vergeben könne, würde der Währungsfonds selbst bis 2010 mit einem Minus von 400 Millionen Dollar dastehen. Gleichzeitig kündigte Strauss-Khan an, Personal einsparen zu müssen. Die permanent hohen Rohstoffpreise hatten einer Reihe von SchuldnerInnen des IWF, u. a. Argentinien, Brasilien aber auch Thailand, ermöglicht, ihre Schulden auf einen Schlag zu begleichen. Da der IWF seine Kosten aus den Zinszahlungen der Kredite seiner Mitgliedsstaaten deckt, gingen ihm langsam aber sicher die Einnahmen aus. Eine der Speerspitzen des sog. Washington-Consensus der neoliberalen Doktrin schien damit am Ende und entmachtet. Doch Totgesagte leben länger. Die Finanzkrise erwies sich als unerwarteter Glücksfall für den Währungsfonds. Ab Oktober 2008 standen plötzlich die Antragsteller wieder Schlange. Neben der Türkei, Libanon und Pakistan fragten mindestens zehn osteuropäische Staaten beim IWF um Kredite an.
Bretton Woods
Gegründet wurde der internationale Währungsfonds genauso wie die Weltbank von 44 Staaten bei der Konferenz von Bretton Woods 1944. Die USA war durch den Weltkrieg zur Weltmacht aufgestiegen. Die anderen Siegermächte Frankreich, Großbritannien und die Sowjetunion waren wirtschaftlich schwer angeschlagen. Diese neuen Kräfteverhältnisse spiegelten sich daher auch im Abkommen von Bretton Woods nieder. Der Dollar wurde zur Leitwährung bestimmt, und auch in den neu geschaffenen Finanzinstitutionen, Internationaler Währungsfonds und Weltbank, wurde die Vormachtstellung der USA abgebildet. John Maynard Keynes, der damals mitverhandelte, wollte verhindern, dass die Vormachtstellung der USA auf diese Weise einzementiert wurde. Er schlug als Alternative zur Leitwährung Dollar die Einführung einer internationalen Währungseinheit, des »Bancor« vor, konnte sich damit aber nicht durchsetzen.
Höhenflug in den 1980ern
Ziel des Abkommens von Bretton Woods war es, für Liquidität in den Mitgliedsländern zu sorgen und einen Abwertungswettlauf der Währungen zu verhindern. Der IWF sollte Kredite an Mitgliedsstaaten vergeben, die in vorübergehende Zahlungsschwierigkeiten geraten waren. Mehr als zwei Drittel der ausgezahlten Kredite gingen in der Folge an Industriestaaten.
1971 verlor der IWF erstmals seine Bedeutung mit der Aufhebung der Bindung des Dollars an den Goldkurs. Erst die Schuldenkrise der Entwicklungsländer in den Achtzigerjahren verhalf ihm zu einem zweiten Höhenflug. Er vergab Kredite an hoch verschuldete Länder, die ihre Auslandsschulden nicht mehr bezahlen konnten. Als Gegenleistung mussten diese sogenannte Strukturanpassungsmaßnahmen durchführen, was nichts anderes bedeutete als Staatsausgaben reduzieren, Sozialleistungen kürzen und öffentliche Dienstleistungen liberalisieren.
Musterschüler Argentinien scheitert
Argentinien galt jahrelang als Musterschüler des IWF. Seit den 80er-Jahren wurde dort konsequent privatisiert: Von der Telefongesellschaft, über die Eisenbahn, die Landstraßen, die Fluglinie bis zum Pensionssystem und dem Gesundheitssystem, wurde alles dem Prinzip des freien Marktes untergeordnet. Bis im Dezember 2001 im Rahmen der Lateinamerikakrise Argentinien schließlich seine Zahlungsunfähigkeit bekanntgeben musste.
Ende der 90er-Jahre war der Währungsfonds schließlich vollkommen diskreditiert. Der Vollzieher des neoliberalen Programms für die Welt und Vertreter der US-amerikanischen Interessen schien gescheitert. Schwellenländer wie Brasilien und China entwickelten ein neues Selbstbewusstsein, die Entwicklungsländer hatten ihr Vertrauen in die neoliberale Politik komplett verloren. Nicht nur der Währungsfonds auch das Fundament der US-Vorherrschaft im Weltwirtschaftssystem begann damit zu wanken.
Rettung für den IWF
Der G-20-Gipfel im April 2009 sagte dem IWF neue Mittel zur Erhöhung der Liquidität zu. 250 Mrd. Dollar sollten in sog. Sonderziehungsrechten (SZR) an die Mitgliedsstaaten ausgegeben werden. SZR ist eine Rechnungseinheit des IWF, die aus der Summe der Währungen Dollar, Yen, Euro und Pfund täglich neu errechnet und in Dollar angegeben wird. Die Sonderziehungsrechte werden entsprechend der Stimmrechte an die Mitglieder verteilt. 44 Prozent erhalten allein die G-7-Staaten, weniger als ein Drittel alle Entwicklungsländer gemeinsam.
Gleichzeitig kündigte der Währungsfonds Maßnahmen zur Demokratisierung an. Die Schwellenländer sollen mehr Einfluss und auch Zugang zu Führungsposten erhalten. Die Stimmengewichtung soll verändert werden. Der IWF kündigte auch eine Reform der Vergabepolitik an. Länder, die von der Finanzkrise betroffen sind, sollen ohne Auflagen Kredite für drei Monate bekommen. Mexiko erhielt in der Folge den größten Kredit in der Geschichte des IWF - fast 50 Mrd. Dollar, Polen 20 Mrd.
Neue alte Vergabepolitik
Betrachtet man die neue Vergabepolitik des IWF allerdings etwas genauer, so wird rasch klar, dass sich die Veränderung in Grenzen hält. Mussten die Länder sich früher verpflichten die Strukturanpassungsmaßnahmen während der Kreditlaufzeit vorzunehmen, so müssen sie dies jetzt vor der Vergabe tun. Auch die kurzfristig vergebenen Kredite gehen nur an Länder, die eine »nachhaltige vernünftige Wirtschaftspolitik« betreiben. Zu interpretieren, was das genau bedeutet, bleibt dem IWF überlassen.
Trotz aller Beteuerungen bindet der IWF seine Kredite immer noch an strenge Auflagen: das Einfrieren der Gehälter, Einsparungen bei den Staatsausgaben und eine Erhöhung der Zinsen. Weil Lettland das vom IWF gesetzte Sparziel nicht erreichte und die lettische Regierung sich weigerte, die Mehrwertsteuer zu erhöhen und die Pensionen über die ohnehin bereits angekündigten zehn Prozent hinaus weiter zu kürzen, setzte der IWF sofort den Kredit aus. Die Argumentation der lettischen Regierung, die Erhöhung des Defizits beruhe auf dem infolge der Krise geschrumpften BIP, blieb erfolglos. Auch Ungarn, das als erstes EU-Land einen Kredit vom IWF erhielt, bezieht seine Kredite jetzt wieder teurer am freien Markt. Da in Ungarn im kommenden Jahr gewählt wird, hat die ungarische Regierung derzeit kein Interesse, die vom Währungsfonds geforderten Sparmaßnahmen umzusetzen.
Neuer Höhenflug
Der IWF ist von den Totgesagten wiederauferstanden. Dennoch ist nicht alles wie es war. Länder wie China und Brasilien haben nachhaltig an Einfluss gewonnen. China ist mittlerweile der größte Eigentümer US-amerikanischer Staatsanleihen und damit Hauptgläubiger der USA sowie Garant der Stabilität des Dollars. Bleibt abzuwarten, ob unter diesen Rahmenbedingungen der neue Höhenflug des IWF von Dauer ist oder alternative Vorschläge wie der immer wieder diskutierte eigene »Asiatische Währungsfonds« irgendwann umgesetzt werden.
Weblinks
Der IWF im Internet:
www.imf.org/external/deu/index.htm
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Sharan Burrow: Ich bin in einer Familie mit starken gewerkschaftlichen Werten im ländlichen New South Wales (NSW), an der australischen Südküste aufgewachsen. Mein Urgroßvater war am Streik der Schafscherer von 1891/92, beteiligt. Er war einer Gründer der australischen Gewerkschaftsbewegung und kandidierte bei den Parlamentswahlen 1896 für die neue Australische Arbeiterpartei. Ich selbst habe für das Lehramt studiert und Ende 1970 begonnen, an Sekundarschulen in NSW zu unterrichten. Dann wurde mir die Vertretung meiner Gewerkschaft angeboten, und ich wurde eine der OrganisatorInnen der NSW-Lehrerföderation. 1992 wurde ich zur Präsidentin der australischen Lehrergewerkschaft, 2000 zur Präsidentin von ACTU und 2004 vom IGB gewählt.
Der ÖGB ist ein überparteilicher Zusammenschluss von Fachgewerkschaften der wichtigsten Branchen Österreichs. Jedes Jahr handeln die Gewerkschaften über 700 Kollektivverträge aus. Wie sind die australischen Gewerkschaften organisiert?
Australiens Gewerkschaftsbewegung entstand im späten 19. Jahrhundert aus Handwerkszünften und größeren Gewerkschaften, die aus den Arbeitskämpfen der 1890er hervorgegangen waren. Im Lauf der Zeit wurden Dutzende Gewerkschaften gegründet. Ende 1980, Anfang 1990 fusionierten viele Gewerkschaften derselben Branchen. Heute hat der ACTU 45 Mitgliedsorganisationen, die insgesamt über zwei Mio. Beschäftigte repräsentieren.
Österreichs Gewerkschaften arbeiten viel mit NGOs zusammen. Wie ist die Beziehung zu den NGOs in Australien?
Der ACTU hat sehr gute Beziehungen zu NGOs. Wir fördern den Dialog der Zivilgesellschaft und sind Mitglied des Steuerforums »Community Tax Forum«, dem auch der Australische Rat für Soziale Dienstleistungen, der Konsumentenverband und die Stiftung »Conservation Foundation« angehören. Eine ähnliche Allianz wurde zum Kampf gegen den Klimawandel gegründet. Die Verbindungen zu NGOs und Bürgerinitiativen wurde in den vergangenen Jahren durch die Kampagne »Deine Rechte bei der Arbeit« gegen die unfairen Arbeitsgesetze der früheren Regierung Howard gestärkt, durch die quer durch die Gesellschaft eine massive Mobilisierung für eine gemeinsame Sache stattgefunden hat.
Trotz der Krise ist es für europäische Gewerkschaften nicht immer leicht, neue Mitglieder zu gewinnen. Wie ist das für den ACTU?
Ein Viertel der australischen ArbeitnehmerInnen sind Gewerkschaftsmitglieder - das ist seit Jahren konstant geblieben, obwohl der Verlust von Arbeitsplätzen durch die globale Finanzkrise in bestimmten Bereichen auch die Mitgliederzahl betroffen hat. Erst vor wenigen Monate haben wir neue Arbeitsgesetze bekommen, mit denen viele Rechte wieder eingesetzt wurden, die wir in den letzten zwölf Jahren verloren hatten.
Sind Gewerkschaften noch zeitgemäß?
Gewerkschaften passen sich sehr gut an die Verhältnisse in der Wirtschaft und am Arbeitsmarkt an. Wir haben als erste die Finanzkrise zu spüren bekommen und bieten Ideen, um Arbeitsplätze zu schützen. Das ist unsere Kernaufgabe. Sicher gäbe es immer mehr zu tun, um junge Menschen und Frauen zu gewinnen und die Basis zu organisieren - Gewerkschaften sind immer offen für neue Ideen.
Müssen sich Gewerkschaften verändern. Wenn ja, wie?
Wie jede Organisation müssen sich auch die Gewerkschaften an den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft anpassen. Unsere Organisationsform ändert sich durch Internet und Globalisierung. Einige grundlegende Dinge aber verändern sich nicht - Gewerkschaften werden immer für Fairness, angemessene Löhne und gerechten sozialen Wandel einstehen.
Welche Rolle spielen Internet und neue Medien für die internationale Gewerkschaftsbewegung?
Internet und neue Medien sind enorm wichtig für die internationale Gewerkschaftsbewegung. Sie eröffnen einen völlig neuen Weg zur Verbreitung von Information und zum Aufbau von Unterstützung, nicht nur unter Gewerkschaftsmitgliedern. Mit der Web-2.0-Technologie kann die internationale Gewerkschaftsbewegung online mit Mitgliedern und Unterstützern in Kontakt treten und Themen der Arbeitswelt ansprechen. Möglichkeiten, sich zu organisieren und politisch zu handeln sind unbegrenzt.
Was sind aktuelle Anliegen des IGB?
Der IGB steht für Förderung und Schutz der ArbeitnehmerInnenrechte. Diese Prämisse wird in die Politik, die Kampagnen und in die Arbeit der Interessenvertretung und der solidarischen Praxis übertragen. Wir greifen die Folgen der Finanzkrise für die Beschäftigten auf und üben Einfluss auf die internationalen Entscheidungsträger aus, um Reformen durchzuführen und Arbeitsplätze zu schaffen. Wir agieren in den politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen für Gleichheit und gleichen Lohn. Wir fordern gleiche Behandlung für WanderarbeiterInnen und arbeiten mit den Globalen Gewerkschaftsföderationen (GUF), um ungeschützte Beschäftigte zu organisieren. Priorität des IGB ist auch, die gewerkschaften weltweit in ihren nationalen Kampagnen zu unterstützen.
Was sind die spezifischen Probleme und Interessen aufgrund der Finanzkrise?
Arbeitsplätze haben erste Priorität, wobei ohne Reformen des Finanzsystems diese Bemühungen untergraben werden. Weiters: Im Einsatz für Entwicklung, insbesondere in den ärmsten Ländern und konkreten Schritten für »grüne« Arbeitsplätze und den gerechten Übergang zu einer Zukunft mit niedrigem CO2-Verbrauch.In der Erklärung von Pittsburg an die G-20 legen die Gewerkschaften detaillierte Pläne gegen die Bankeninsolvenz und exzessive Managergehälter, für Steuerreformen und effektive Finanzmarktregulierungen vor. Wir arbeiten an einer globalen Steuer auf Finanztransaktionen zur Senkung von Spekulationen und Schaffung von Mitteln für Entwicklung. Arbeit und Einkommen müssen im Zentrum der globalen Wirtschaft stehen. Wirtschaftswachstum muss von produktiver Investition und Beschäftigung und nicht von Finanzspekulation getragen werden. Selbst am Höhepunkt der Krise stellen Banker und Manager neue Rekorde der Gier auf und teilen sich selbst enorme Zahlungen zu. Die Saat der nächsten Krise ist schon gelegt.
Schwerpunkt dieser Ausgabe von A&W ist die Globalisierung. Dabei steht die WTO oft im Zentrum der Kritik. Wie ist die Position des IGB zur Rolle dieser mächtigen Organisation?
Gewerkschaften fordern Reformen der internationalen Finanzinstitutionen, die Entwicklungs- und Schwellenländern oft Arbeitsplatz vernichtende Bedingungen mit verheerenden Folgen für Gesundheit, Ausbildung und soziale Sicherheit stellen. Seit langem führen wir Kampagnen durch, damit bei WTO und Handelsabkommen im Allgemeinen Arbeitsstandards respektiert und insbesondere eine Sozialklausel aufgenommen wird, und damit Arbeits- und Menschenrechte und Umweltstandards berücksichtigt werden.
Welche Rolle hat der IGB bei der ILO-Strategie »decent work - decent life«?
»Angemessene Arbeit« ist bei der Planung der künftigen Strategien für Regierungen, Investoren und Unternehmen von vitaler Bedeutung. Der »Global Jobs Pact« der ILO wurde im Juni 2009 ausgehandelt und beinhaltet Arbeitsrechte, Beschäftigungs- und Einkommenschancen, soziale Sicherheit, den sozialen Dialog und Drei-Parteien-Verhandlungen sowie wirtschaftliche Entwicklung. Regierungen und Zusammenschlüsse wie die G-20, müssen nun tatkräftige Aktionen setzen.
Welchen Einfluss auf Ihre Karriere hatte es, dass sie eine Frau sind?
Frauen stellen rund die Hälfte der Weltbevölkerung und der Erwerbstätigen. In Australien und weltweit sind unsere Rechte, Gleichbehandlung und gleiche Chancen weit von dieser Tatsache entfernt. Sogar in den Gewerkschaften müssen Frauen immer noch um gleiche Repräsentation und für das Recht, Kollektivverträge und Gesetze mit auszuhandeln, kämpfen. Ich war immer Feministin und Kämpferin für die Frauenrechte, leider ist der Job noch nicht getan. Für mich steht außer Frage, dass der beste Platz, die Welt zu ändern, in einer Gewerkschaft ist.
In Österreich ist der 27. September der »Equal Pay Day«. In Australien ist bereits am 1. September der Tag, an dem Frauen - im Vergleich zur gleichen Arbeit von Männern - keinen Lohn mehr erhalten. Was unternehmen ACTU und der IGB diesbezüglich?
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit hat während der arbeitnehmerfeindlichen vorigen Regierung einen Rückschritt erfahren. In Australien gibt es nun eine Allianz für gleichen Lohn aus Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Frauenorganisationen und der Geschäftswelt. Wir erstellen diesbezüglich Empfehlungen für die Regierung. Neben der Schaffung flexiblerer Gestaltung bei der Arbeit und qualitativ besserer Kinderbetreuung, fordern die Gewerkschaften weitere Maßnahmen, darunter: verpflichtende Berichte seitens der Arbeitgeber in Bezug auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit und gleiche Beschäftigungschancen, weiters unabhängiges Monitoring und Einkommensberichte oder die entsprechende Bewertung und Finanzierung von Löhnen für Arbeit, die traditionell von Frauen erledigt wird.
Weiteres Thema unseres Magazins ist der Klimawandel. Was haben die Gewerkschaften damit zu tun?
Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Wir Gewerkschaften können auf eine stolze Geschichte im Kampf für Umweltfragen verweisen. Aber noch nie lag die Latte so hoch wie jetzt. Aktionen gegen den Klimawandel sollten in unsere Arbeit integriert werden. Schließlich gibt es keine Jobs auf einem toten Planeten. Unsere Gewerkschaftsbewegung unter-stützt das Engagement der Regierung zur Einführung eines Planes für erneuerbare Energie und CO2-Senkung. Aber wir müssen noch mehr tun.
Weltweit gibt es bereits einen Billionen-Markt für ökologische Produkte, Millionen von Arbeitsplätzen im Bereich sauberer Energie können durch nationale und globale Anstrengungen geschaffen werden. Eine unserer Aufgaben ist es, die Arbeitsplätze während des Übergangs zu einer umwelt-verträglichen Wirtschaft und die Umschulung der Arbeitskräfte für die Jobs der Zukunft zu sichern. Wir müssen dafür kämpfen, dass auch Entwicklungsländer ihren Anteil an diesen Technologien und Arbeitsplätzen bekommen.
Was waren Ihre bisher größten Erfolge?
Das ist eine schwierige Frage. Ich nenne drei der jüngsten Erfolge, an denen ich teilnehmen durfte: 1) Die Kampagne »Deine Rechte bei der Arbeit« in Kooperation mit den BürgerInnen, die zur Abwahl der Anti-Gewerkschaftsregierung Howards führte. 2) Das erfolgreiche Ende eines 30-jährigen Kampfes um Karenzgeld für alle australischen Frauen. 3) Das Eintreten der australischen Gewerkschaften - und des IGB - für den Übergang zu einer ökologischeren Wirtschaft.
Zur Person
Sharan Burrow
Geboren: 12. Dezember 1954 in Warren, New South Wales (NSW), Australien
1976 Lehrabschluss an der Universität von NSW
1992 Präsidentin der Australian Education Union (AEU)
1995-2000 Vizepräsidentin der Education International (EI) - der Bildungsinternationale, die die Bildungsgewerkschaften auf internationaler Ebene vertritt und weltweit 24 Millionen Mitglieder hat.
Seit Mai 2000 ist Sharan Burrow Präsidentin des australischen Gewerkschaftsbundes (Australian Council of Trade Unions - ACTU).
Im Oktober 2000 wurde sie zur Präsidentin der IBFG-Regionalorganisation für Asien und den pazifischen Raum (APRO) gewählt.
Im Dezember 2004 wurde sie zur Präsidentin des Internationalen Bundes freier Gewerkschaften (IBFG - International Confederation of Free Trade Unions, ICFTU) gewählt.
Seit November 2006 erste IGB-Präsidentin. Damals haben sich in Wien der Internationale Bund Freier Gewerkschaften (IBFG), der Weltverband der Arbeitnehmer (WVA) sowie acht bisher keinem internationalen Dachverband angeschlossene Gewerkschaften zusammengeschlossen. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) vertritt 168 Mio. ArbeitnehmerInnen in 305 Mitgliedsorganisationen und 153 Ländern.
Burrow ist außerdem Vorsitzende des Internationalen Zentrums für Gewerkschaftsrechte (ICTUR) sowie Mitglied des Verwaltungsrates der Internationalen Arbeitsorganisation und des Stakeholder-Rates der Globalen Berichterstattungsinitiative (GRI). Im Rahmen ihrer IAO-Aufgaben führt sie den Vorsitz in der Arbeitnehmergruppe des Unterausschusses für multinationale Unternehmen.
Weblinks
IGB-Homepage:
www.ituc-csi.org/spip.php?rubrique1&lang=de
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Streitpunkt Guantanamo
Kritik kommt auch von der Menschenrechtsorganisation Amnesty international. Diese kritisiert, dass die Regierung Obama, obwohl versprochen, die weltweit kritisierten Foltergefängnisse nicht schließt und auch die dort tätigen US-MitarbeiterInnen nicht unter Anklage stellt. Obama hatte die von der Bush-Regierung erlaubten zweifelhaften Verhörmethoden kürzlich verboten. Zugleich sicherte er CIA-Mitarbeitern für mögliche Rechtsverstöße bei Verhören jedoch Straffreiheit zu. Auch bei der Abschaffung besonders brutaler Folterpraktiken muss die berechtigte Frage gestellt werden, wie streng das in den auf dem Boden von Drittweltstaaten befindlichen Gefängnissen kontrolliert wird.
Besonders stark emotional behaftet ist die Schließung des berüchtigten Gefängnisses Guantanamo auf Kuba. Immerhin war das eine jener Botschaften im Wahlkampf, die auch viele EuropäerInnen für Obama begeisterte. Nun droht die Schließung von Guantanamo am Widerstand des US-Senats zu scheitern, der weder die notwendigen Finanzmittel genehmigt, noch die Unterbringung der Gefangenen auf dem Gebiet der USA erlauben will. Auch einige demokratische Abgeordnete stehen in dieser Frage auf Seite der RepulikanerInnen. Daher kann Obama im Kongress keine Mehrheit bekommen und sein Plan B, die 230 Gefangenen auf andere Gefängnisse im Ausland zu verteilen, war bisher nur von mäßigem Erfolg gekrönt.
Besonders hohe Erwartungen an den neuen Präsidenten hatten die Gewerkschaften. Schließlich haben die amerikanischen Gewerkschaften für die Wahl von Obama geworben. Entsprechend groß war auch ihre Freude über den Wahlsieg. Die einflussreiche US-Gewerkschaft Teamsters sprach von »einem neuen Tag« für die ArbeiterInnen: »Endlich haben wir ein Weißes Haus, das mit uns zusammenarbeiten will.« Obama dankte es ihnen gleich zu Beginn seiner Amtszeit mit einem Dekret, das die Vergabe öffentlicher Aufträge an Unternehmen verbietet, welche die Bildung von ArbeitnehmerInnenvertretungen in ihrem Betrieb behindern. Eine weitere Anweisung des Präsidenten verpflichtet Unternehmen mit Staatsaufträgen, ihre Angestellten über die grundsätzlichen Rechte von ArbeitnehmerInnen zu informieren. Beides sind wichtige Verbesserungen in einem grundsätzlich eher gewerkschaftsfeindlichen Umfeld wie den USA.
Verbitterte GewerkschafterInnen
Eher gemischte Gefühle gegenüber Obama hat derzeit wohl die US-Autoarbeiter-Gewerkschaft, die United American Workers (UAW). Im Wahlkampf hatte Obama noch von den hoch bezahlten Arbeitsplätzen in der Autoindustrie gesprochen und wie wichtig diese für das Land seien. In den Verhandlungen rund um die Pleite von Generalmotors sprach Obama von der Notwendigkeit der ArbeiterInnen Opfer zu bringen und zwang die Gewerkschaft nun zu wesentlichen Zugeständnissen. »Ich bin darüber sehr verbittert. Wir haben viel von dem aufgegeben, was wir uns erkämpft haben«, sagt ein UAW-Gewerkschafter. Zwar ist es Obama so gelungen, die sofortige Liquidation von General Motors abzuwenden. Dennoch sollen 21.000 der 56.000 GM-Jobs gestrichen werden.
Auch in der Gesundheitspolitik ist nicht alles eitel Sonnenschein. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat Obama Millionen von amerikanischen Kindern zum ersten Mal mit einer staatlichen Krankenversicherung versorgt. Allerdings bleiben über 40 Millionen Menschen in den USA nach wie vor ohne Versicherungsschutz. Obama hat sich von seiner ehemaligen Kontrahentin um das höchste Amt im Staate, Hillary Clinton, bereits in der Frage der Gesundheitspolitik distanziert.
Während Clinton eine Befürworterin einer allgemeinen Krankenversicherungspflicht ist, will Obama weder etwas von Versicherungspflicht, noch von Pflichtversicherung wissen. Stattdessen verlangt er Einsparungen im Gesundheitsbereich in der Höhe von zwei Billionen Dollar innerhalb der nächsten 10 Jahre.
Nachdem die mächtige Pharmaindustrie sich von ihren Preismonopolen wahrscheinlich nicht sehr viel nehmen lassen wird, bleibt als Hauptsparposten der Spitalsbereich. Wenn nun die Subventionierungen ausgerechnet für jene Spitäler gestrichen werden, die für die Behandlung von Medicaid- und MedicarepatientInnen aufkommen, sind Leistungskürzungen für die unter diesen Systemen erfassten SozialhilfeempfängerInnen und PensionistInnen zu befürchten.
Teure Konjunkturprogramme
Obamas erste 100 Tage waren insgesamt die teuersten der US-amerikanischen Nachkriegsgeschichte. Riesige Konjunkturprogramme und Bankenpakete in Milliardenhöhe verschlangen schon in wenigen Monaten das Budget der Regierung Obama. Dabei dürfen die Bankboni trotz staatlicher Finanzierung wieder so hoch ausfallen wie vor der Krise. Das Budgetloch lässt befürchten, dass auch für andere sozialpolitische Vorhaben, wie den Pensions- oder Bildungsbereich, kein Geld da ist.
Viele Versprechen
Im Wahlkampf hatte Obama versprochen, die Steuern für 95 Prozent der Bevölkerung zu senken.
Nun zeichnet sich ein Kurswechsel ab. Zur Finanzierung der Gesundheitsreform schlagen die DemokratInnen im Repräsentantenhaus eine »Reichensteuer« vor. Wer mehr als 1 Million Dollar verdient soll 5,4 Prozent mehr Einkommenssteuer bezahlen. Paare, die mehr als 350.000 Dollar zur Verfügung haben 1,5 Prozent mehr. Obama hat angekündigt diese Vorschläge zu unterstützen. 544 Milliarden Dollar an Einnahmen soll das in 10 Jahren bringen.
Verbesserungen hat Obama nun auch für College-StudentInnen angekündigt. Wegen der hohen Studiengebühren werden die meisten College-Ausbildungen über Kredite finanziert. In den USA rechnet man damit, dass zwischen 2001 und 2010 der Collegebesuch für etwa zwei Millionen junger AmerikanerInnen unerschwinglich bleiben wird. Das soll sich nun ändern. Kredite zur Bezahlung der Studiengebühren sollen wesentlich günstiger werden und statt privaten Kreditinstituten soll der Staat eine größere Rolle spielen. Ähnlich wie bei der Schließung von Guantanamo muss Obama aber auch vor seinen Reformen im Bildungsbereich erst die Widerstände in den Reihen der DemokratInnen überwinden.
Resümee
Mit vielen Versprechen ist Obama in den Wahlkampf gegangen und hat weltweit Hoffnungen auf einen Neubeginn geweckt. Inzwischen macht sich eine erste Ernüchterung breit.
Die Wirtschaftskrise aber auch die amerikanische politische Realität haben Obama eingeholt und erschweren ihm die Umsetzung seiner hochgesteckten Ziele. Wenn sich die VerfechterInnen einer Steuererhöhung für Reiche durchsetzen können, so könnte das Obama langfristig mehr Spielraum für sozialpolitische Reformen (vor allem im Gesundheitsbereich) bringen. Leicht wird es trotzdem nicht, denn die RepublikanerInnen haben bereits Widerstand angekündigt.
Weblinks
Barack Obama bei Wikipedia:
de.wikipedia.org/wiki/Barack_Obama
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Übertragung in den Süden
Wenn es sich nun aber um eine Krise des Nordens handelt, warum sind dann die Länder des Südens so stark betroffen? Die Situation ist verständlicherweise sehr komplex und wird oftmals von IWF und Weltbank zu optimistisch dargestellt. Tatsächlich ist es jedoch so, dass die Krise im Norden bedeutet, dass die Entwicklungsländer keine Märkte mehr für ihre Rohstoffe und Exportgüter finden bzw. sich mit Dumpingpreisen begnügen müssen. Zum Beispiel profitierte Somalia bis zum Jahr 2005 vom Kupferpreis-Boom. Seither gingen die Preise rapide zurück, eine Katastrophe für das Land, das zu einem hohen Prozentsatz von seinem Kupferexport abhängig ist. Banken sind grundsätzlich risikoscheu. Dadurch verteuern sich Kredite gerade in der Krise beträchtlich. Länder, die wie Ghana oder die Republik Kongo gerade wieder auf dem Kapitalmarkt Fuß gefasst haben, sind keine sehr sicheren Kreditnehmer. Sie sind nun jedoch durch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise mehr und mehr wieder darauf angewiesen, bei dubiosen Gläubigern Kredite zu nehmen. Die Schuldenfalle schnappt also wieder zu.
Weniger InvestorInnen
Problematisch ist außerdem, dass private InvestorInnen weniger und weniger in »südliche« Geldanlagen investieren. Das Institute of Finance in Washington schätzt, dass sich bis zum Jahr 2010 die Investitionen in Schwellen- und Entwicklungsländern halbieren werden, was zu großen finanziellen Verlusten für diese Länder führen wird.
Ein weiterer Aspekt ist die Tatsache, dass viele Entwicklungs- und Schwellenländern von Zahlungen ihrer im Ausland lebenden BürgerInnen abhängig sind. Die Geldsendungen der ArbeitsmigrantInnen machen in manchen Ländern an die 20 Prozent des BIP aus. Der Einbruch auf dem europäischen Finanzsektor geht auch mit dem Verlust von Arbeitsplätzen einher. Auch ArbeitsmigrantInnen sind davon bereits massiv betroffen, was teilweise schon an den Wirtschaften der betroffenen Länder deutlich wird.
Letztlich wird es auch ab dem Jahr 2009 zu einem Einbruch bei der Entwicklungszusammenarbeit kommen. Die wirtschaftliche Verlangsamung bis hin zur Rezession reduziert auch die Steuereinnahmen, wodurch sich die in die Entwicklungsländer fließenden Gelder stark reduzieren werden.
Für verschuldete oder von der Verschuldung bedrohte Länder wird sich die Situation weiter verschärfen. Der Schuldenerlass, der bei einigen Ländern vorgenommen wurde, hat die Länder nicht so weit entlastet, wie es hätte sein müssen.
Demnächst zahlungsunfähig
Andere Länder sind auf leichtfertige Weise, durch zu große Entwicklungsanstrengungen oder auch durch zu starkes Vertrauen in die Konjunktur erneut dazu verleitet worden, als Kreditnehmer aufzutreten. Die Organisation erlassjahr.de hat eine Liste von Ländern veröffentlicht, die in den nächsten Jahren sehr wahrscheinlich zahlungsunfähig sein werden: dazu gehören Benin, Burundi, Gambia, Liberia, Mosambik, Niger und San Tomé & Principé. Eine Reihe weiterer Länder, ist beinahe ebenso gefährdet. In der Krise könnte sich diese Situation weiter verschärfen, denn zur Krisenbekämpfung werden wiederum Kredite vergeben. Dabei handelt es sich keineswegs um Umverteilungsmaßnahmen, Entwicklungszusammenarbeit oder armutsbekämpfende Maßnahmen. Vielmehr verfolgen die reichen Industrieländer eigene wirtschaftliche Interessen und sind darauf bedacht, dass es zu sicheren Rückflüssen, also Zinsen und Rückzahlung des Geldes kommt.
Neue Kredite - neue Probleme
Da traditionelle Geldgeber teilweise ausfallen, treten neue Geldgeber auf den Plan: China investierte in den vergangen Jahren intensiv in Afrika: Die DR Kongo, ebenso wie Djibouti und Ghana bereiten derzeit eine große Kreditaufnahme bei China vor. Solche Kredite sind allerdings nicht im Interesse der europäischen und US-amerikanischen Geldgeber, weil diesen Ländern in der Vergangenheit Schulden erlassen wurden. Man versucht daher als »Abschreckungsmanöver« bestehende Kreditbedingungen zu verschärfen. Diese teilweise rigorosen Maßnahmen hindern die Länder jedoch nicht an der Kreditaufnahme, sondern zwingen sie erst recht dazu, sich auf Kreditgeschäfte mit China oder Indien einzulassen.
Zu wenig Geld für Armutsbekämpfung
Ein großes Problem der derzeitigen Methode des Schuldenerlasses ist, dass IWF und Weltbank so wenig wie möglich belastet werden wollen. Wem geholfen werden soll, das entscheiden nicht unabhängige internationale Gremien, sondern IWF und Weltbank selbst - sie sind also Gutachter in eigener Sache. Die Gelder, die den Ländern erlassen werden, reduzieren gleichzeitig die Entwicklungshilfe. Die Schuldner zahlen die Schulden also ohnehin wieder selbst und verfügen über keine zusätzlichen Geldmittel - ein Nullsummenspiel.
Als Ausweg schlägt erlassjahr.de ein faires und transparentes Schiedsverfahren vor. Dieses müsste, ebenso wie ein nationalstaatliches Insolvenzverfahren, allen Ländern offen stehen, die in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Sobald das Verfahren eingeleitete wäre, müsste es automatisch zu einem Zahlungsstopp kommen, sodass nicht einige Gläubiger auf Forderungen verzichten und andere sich an den frei werdenden Finanzmitteln bereichern.
Es würde dadurch auch den so genannten Geierfonds ein Riegel vorgeschoben, die sich dadurch auszeichnen, die Schulden von Entwicklungsländern zu »kaufen« und rigoros einzutreiben. Oftmals machen die Forderungen solcher Geierfonds nämlich große Teile - sogar bis zur Hälfte, wie das Beispiel Liberia zeigt - des BIP aus. Liberia ist derzeit mit mehr als zehn Verfahren mit Geierfonds konfrontiert. Die von Gerichten zugebilligte Entschädigungssumme beträgt 49 Prozent des BIP!
In jedem Fall müsste eine neutrale Instanz die Entscheidungen über den Schuldenerlass treffen. Bisher ist das nicht der Fall - eine Situation, die in jedem Rechtstaat untragbar wäre.
Verantwortungsvolle Kreditvergabe
Beim Beschluss darüber, welche Kredite erlassen werden, sollten Kredite, die sinnvollen Entwicklungsprojekten zugute kamen bevorzugt werden gegenüber Diktatorenschulden oder Krediten, die ohne Risikoprüfung vergeben und Mensch und Umwelt geschadet haben.
Dadurch würden vielleicht auch Kreditgeber in Zukunft im Sinne einer verantwortungsvollen Kreditvergabe diszipliniert.
Weblinks
Entwicklung braucht Entschuldung:
www.erlassjahr.de
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Weiterführung der Reformen
Bulgarien ist zusammen mit Rumänien am 1. Januar 2007 der Europäischen Union beigetreten. Brüssel fordert jedoch die Weiterführung begonnener Reformen: Auch nach dem Beitritt stehen die neuen Mitglieder unter verstärkter Beobachtung. Alle sechs Monate müssen sie in Brüssel über ihre Fortschritte berichten. Insbesondere der Kampf gegen die Korruption steht im Vordergrund.
Zur wirksameren Korruptionsbekämpfung will Bulgarien nun in verschiedenen Ministerien EU-ExpertInnen auf Schlüsselpositionen einsetzen. Die bulgarische Regierung wolle auf diese Weise möglichst schnell die »besten Praktiken der EU« umsetzen.
Doch auch das Justizsystem lässt noch immer zu wünschen übrig. Bulgarien sei weiter den Nachweis schuldig, dass seine Justiz »in der Lage ist, Korruption und organisiertes Verbrechen aufzudecken«, schrieb die EU-Kommission in einem im Februar dieses Jahres veröffentlichten Bericht.
Wegen Verdachts auf Unterschlagung von EU-Fördermitteln hatte die EU-Kommission bereits im vergangenen Jahr Subventionen in Höhe von fast 500 Mio. Euro für Bulgarien auf Eis gelegt.
Damit hat erstmals in der Geschichte der Europäischen Union ein Mitgliedstaat wegen grassierender Korruption Fördergelder in Millionenhöhe eingebüßt. Bulgarien werden 220 Mio. Euro endgültig gestrichen. Weitere 340 Millionen Euro blieben eingefroren. Das Land habe bislang keine ausreichenden Garantien gegeben, dass das Geld für die vorgesehenen Projekte verwendet werde. »Es ist wichtig, dass wir die Interessen der europäischen Steuerzahler im Auge behalten«, ließ die EU-Kommision verlautbaren: »So etwas hat es noch nie gegeben.«
Korruption steigt
Transparency International teilte bei der Vorlage des Korruptionswahrnehmungsindex 2008 mit, dass auch in dem neuen EU-Land Bulgarien die Bestechlichkeit im öffentlichen Sektor gestiegen sei. Dieser jährlich erstellte Korruptionswahrnehmungsindex basiert auf der Auswertung von verschiedenen Expertisen, etwa der Weltbank und der Bertelsmann-Stiftung. Darin werden derzeit 180 Staaten mit einem Punktwert zwischen 0 (als extrem korrupt) und 10 (frei von Korruption) bewertet. Spitzenreiter Dänemark hat 2008 die Note 9,3 erhalten, Schlusslicht Somalia 1,0.
Bulgarien ist im Korruptionsindex tief abgerutscht und erhält mit einer 3,6 einen Wert wie zuletzt im Jahr 2000 (3,5). Weltweit ist Bulgarien auf Platz 72, unter den Mitgliedstaaten der EU ist es das Schlusslicht. Die Note bedeutet, dass Bulgarien nun nicht mehr als »korruptionsgefährdet«, sondern als »stark korruptionsgefährdet« eingestuft wird.
Organisierte Kriminalität
Eng verknüpft mit der extremen Korruption sind in Bulgarien auch Bandenkriege und organisierte Kriminalität. Die bulgarische Regierung bekräftigt zwar immer wieder ihren politischen Willen, die staatlichen Institutionen im Kampf gegen Bestechung und organisierte Kriminalität zu mobilisieren, die Erfolge lassen aber auf sich warten. Seit 2001 gab es in Bulgarien mehr als 150 Bandenmorde. Bisher wurde kein Täter verurteilt.
Ein anderer Faktor politischer Instabilität und Korruption ist der massenhafte Kauf von Wählerstimmen. Laut Experten wurden bei der EU-Wahl im Juni Stimmen für sechs Milo. Euro gekauft. Das Geld komme aus schwarzen Kassen, eine Wählerstimme koste dem Auftraggeber etwa 100 Lewa (51 Euro). Von diesem Geld erhalte der Wähler rund die Hälfte. Der Rest gehe an die Vermittler.
Immerhin versuchen die Behörden nun dem Betrug mit den EU-Förderungen nachzugehen. Die Justiz hat erst kürzlich hunderte von Ermittlungsverfahren wegen Erschleichung von EU-Zuschüssen durch bulgarische Landwirte eingeleitet. Ein Teil der Bauern steht im Verdacht, übertriebene Angaben über die Größe ihrer genutzten Flächen gemacht zu haben, um mehr Beihilfen zu bekommen.
Außerdem wurden 150 Ermittlungen wegen Unregelmäßigkeiten und Betrugs im Zusammenhang mit dem Landwirtschafts-Hilfsprogramm der EU (SAPARD) eingeleitet, mit dem der bulgarische Agrarsektor zuvor auf den EU-Beitritt des Landes vorbereitet werden sollte.
Mittlerweile kam es auch zu einigen politischen Rücktritten und Skandalen rund ums Innenministerium: Bulgariens Vize-Innenminister ist nach Medienberichten, wonach er in einen Korruptionsfall verstrickt sein soll, im Juni zurückgetreten. Er soll als Vermittler zwischen einem Unternehmer und einem hohen Beamten der Agentur für Fischerei und Aquakulturen agiert haben. Erst Ende Mai wurde sein Vorgänger entlassen. Und im Vorjahr musste der Innenminister unter dem Druck von Korruptionsvorwürfen und mutmaßlichen Kontakten zur bulgarischen Unterwelt den Chefsessel räumen. Auch einer seiner engsten Mitarbeiter, der bulgarische Polizeichef, trat damals zurück.
Bemühungen
Trotz solcher beunruhigender Vorfälle hat die Europäische Union einen Teil der Millionen-Hilfen für Bulgarien wieder freigegeben. Die Kommission entsperrte eine Tranche von 115 Millionen Euro, die vor allem für den Autobahnbau bestimmt ist. Der Großteil der Finanzhilfen in Höhe von 465 Millionen Euro liegt allerdings weiter auf Eis und die Freigabe der Gelder fand im Europaparlament keine ungeteilte Zustimmung.
Kurz vor den Parlamentswahlen im Juli hat das Gericht in Sofia den früheren Chef des Heizwerks der bulgarischen Hauptstadt wegen Veruntreuung von fast sechs Millionen Lewa (drei Millionen Euro) schuldig gesprochen. Er wurde zu einer Haftstrafe von 14 Jahren verurteilt. Dieser Prozess gilt als symbolträchtig für das Vorgehen gegen die Korruption.
Bleibt zu hoffen, dass auch nach den Wahlen der Eifer nicht nachlässt. Denn, wie es ein Vertreter des europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) recht nüchtern ausdrückt, kam man in Brüssel zu dem Schluss, »dass es trotz der Bemühungen, die notwendigen Institutionen aufzubauen und die vorgeschriebenen Verfahren und Prozesse einzuführen, nur wenige Belege dafür gibt, dass das System tatsächlich ordnungsgemäß funktioniert.«
Buchtipp
Ilija Trojanow
Die fingierte Revolution.
Bulgarien, eine exemplarische Geschichte.
dtv, 2006, 251 Seiten, 12,90,
ISBN 3-423-34373-7
Vorbestellung:
ÖGB-Fachbuchhandlung, 1010 Wien, Rathausstr. 21, Tel.: (01) 405 49 98-132
fachbuchhandlung@oegbverlag.at
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Wikipedia über Bulgarien:
de.wikipedia.org/wiki/Bulgarien
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Datenquellen: EUROSTAT, lfd. Monat;
Anm.: Der Harmonisierte VPI ist der zentrale Indikator für die Währungspolitik
der EZB. Er stellt auch die beste statistische Basis für internationale
Vergleiche unter europäischem Gesichtspunkt dar.
EWU = Europäische Währungsunion; EWR = Europäischer Wirtschaftsraum.
Die Schweiz berechnet seit Jänner 2008 einen HVPI.
r = revidiert; p = vorläufig;
Vier Billionen Dollar Verlust
Für die Finanzverluste gibt es eine Schätzung des Internationalen Währungsfonds, die von Verlusten von vier Billionen $ ausgeht, zwei Drittel dürften Banken treffen. Zum Vergleich: die gesamte Welt produziert einen Wert von 54 Billionen $ im Jahr. Abschreibungen von Finanztiteln sind zum Teil »nur« Buchverluste, ebenso wie die vorher hochgejubelten Wertzuwächse großteils nur Buchgewinne waren, was aber weder Aktionäre noch Manager davon abhielt, diese zu verteilen - zu einem nicht unerheblichen Teil zu Lasten der ArbeitnehmerInnen.
Mit den Bankenrettungspaketen ist inzwischen der Staat als neuer Zahler aufgetaucht. So erhielt die Deutsche Bank 11,8 Mrd. $ allein durch das US-amerikanische Rettungspaket für den Versicherer AIG. Geld, das sie ohne Rettungspaket hätte abschreiben müssen. Auch bei den anderen Rettungspaketen sind die Hauptprofiteure jene, die Forderungen an die geretteten Banken haben sowie die Eigentümer der Banken, sofern diese nicht verstaatlicht wurden.
Die Summen für die österreichische Bankenrettung sind beträchtlich. Derzeit haftet der Bund für Bankanleihen im Wert von ca. 16,8 Mrd. EUR und ist mit ca. sechs Mrd. Partizipationskapital an den Banken beteiligt. Nur wenn die Krise gut überstanden wird, kostet das die SteuerzahlerInnen nichts. Verschärft sich die Krise, dann wird der Staat jedoch verlieren. Das Beispiel der Hypo Alpe Adria, die die Zinsen für das staatliche Geld derzeit nicht zahlen kann, zeigt, dass dies eine reale Möglichkeit ist.
Zu behaupten, die Bankenrettung sei ein gutes Geschäft für den Staat, ist als würde man einen Lotto Tipp als Gewinn verkaufen, obwohl die Ziehung noch aussteht. Die Chancen bei der Bankenrettung stehen aber hoffentlich besser.
Wer letztlich die Kosten für diese Rettungspakete trägt, hängt von der Bereitschaft der Regierung ab, die Banken und ihre Eigentümer nach der Krise zur Verantwortung und Finanzierung heranzuziehen. Sonst zahlen die unselbständig Erwerbstätigen für die Krise, da 80 Prozent der öffentlichen Einnahmen aus Arbeit und Konsum kommen.
Realwirtschaftliche Folgen
Wesentlicher als die Finanzverluste sind die realwirtschaftlichen Folgen der Krise. Der Internationale Währungsfonds schätzt für 2009 einen Rückgang des Welt BIP von -1,3 Prozent und für die Industriestaaten sogar -3,8 Prozent. Für Österreich rechnet das WIFO mit einem Rückgang von -3,4 Prozent, was mit Abstand der schwerste Einkommensverlust der Nachkriegszeit ist. Die Ursachen dieser Krise beruhen auf Ungleichheit der Einkommensverteilung, Ungleichgewichten im Außenhandel und unverantwortlichen Finanzkonstruktionen.
Nur eine Frage der Zeit ...
Durch die Ungleichheit und das schwache Wachstum der Löhne konnte die Nachfrage in einigen Ländern (USA, Großbritannien etc) nur durch eine steigende Verschuldung von Privathaushalten stabilisiert werden. In anderen Ländern (Deutschland, China etc) wurde die Nachfrage durch Lohnunterbietungswettläufe und steigende Exporte aufrecht erhalten. Die daraus resultierenden Ungleichgewichte im Außenhandel konnten nur über unverantwortliche Finanzmarktkonstruktionen finanziert werden.
Werden die Krisenursachen nicht beseitigt, so werden die Kosten enorm. Die Arbeitslosigkeit wird steigen, wenn der Konsum nicht mit der Wirtschaftleistung wächst. Die Exporte werden diesen Ausfall nicht wie bisher wettmachen. Und sofern das Finanzsystem nicht strenger und besser reguliert wird, ist die Wiederholung der Krise nur eine Frage der Zeit.
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400 Ehrenamtliche beraten
Sie wurde als Zweite Wiener Vereinssparcasse 2006 von der ERSTE Stiftung gegründet, heute gibt es österreichweit fünf Filialen und mehrere Kooperationspartnerschaften mit örtlichen Banken. Mit 400 ehrenamtlichen MitarbeiterInnen werden derzeit rund 4000 Kunden betreut. »Wir hatten von Anfang an sowohl bei unseren aktiven MitarbeiterInnen als auch bei den PensionistInnen regen Zuspruch und keine Probleme, das Personal dafür zu finden.«, erzählt Maribel Königer, Sprecherin der ERSTE Stiftung. Die Beratungen bei der Zweiten Sparkasse erfolgen nach persönlicher Vereinbarung und nur über die Vermittlung von speziellen Organisationen wie der SchuldnerInnenberatung oder über die Vermittlung von Wohlfahrts- oder Beratungsorganisationen wie Caritas, Schuldnerberatung, Anonyme Spieler u. ä…. Die KundInnen erhalten ein Haben-Konto (das nicht überzogen werden darf) inklusive Bankomat-Karte, außerdem - dank einer Kooperation mit der Wiener Städtischen - eine kostenlose Rechtsberatung pro Quartal sowie eine Gratis-Unfallversicherung. Falls gewünscht, wird eine Haushaltsversicherung zu einem stark ermäßigten Preis angeboten.
150 bis 200 NeukundInnen pro Monat verzeichnet die Zweite Sparkasse derzeit. Die Auswirkungen der Wirtschaftskrise sind hier noch nicht abzulesen »Aber wir rechnen mit einem Ansteigen der Privatinsolvenzen und damit stärkerem Kundenandrang.« so Königer. »Aktuell kommt es noch nicht zu längeren Wartezeiten. Wer sich über eine der Beratungsorganisationen meldet, hat nach sieben bis zehn Tagen sein Konto inklusive Bankomatkarte.« Selbstverständlich ist ein Konto bei der Zweiten Sparkasse als Übergangslösung für schwierige Zeiten gedacht. Da sich Privatinsolvenzverfahren über sieben Jahre erstrecken und die Bank erst seit drei Jahren besteht, kann noch nicht wirklich abgeschätzt werden, wie lange der durchschnittliche Kunde bei der Bank bleibt.
Neustart mit 100 Euro
Wesentlich kleiner sind die Summen, mit denen Menschen in Afrika oder Asien nachhaltig geholfen werden kann. Während in Europa auch 30.000 Euro noch unter Kleinkredite fallen, können anderswo schon 100 Euro das Leben einer ganzen Familie verändern. Mit einem derartigen Mikrokredit kann beispielsweise eine Kuh, eine Wasserpumpe, eine Nähmaschine oder ein kleiner Marktstand gekauft werden. Von normalen Banken bekommen diese »unbankable poor« kein Geld - wegen fehlender Sicherheiten und weil »arme Menschen mit dem Geld sofort Lebensmittel kaufen würden statt es zu investieren.« Außerdem können viele weder lesen noch schreiben. Und die Wucherzinsen örtlicher Geldverleiher schaffen wieder nur neue Abhängigkeiten. International tätige Banken und Organisationen vergeben daher Mikrokredite und vermitteln grundlegendes Managementwissen an all jene, die sonst kaum eine Chance hätten. Das System funktioniert seit Jahrzehnten erstaunlich gut, die Rückzahlungsquoten sind hoch.
Bereits seit 1976 unterstützt die Grameen (= Dorf)-Bank Menschen mit Mikrokrediten zu gerechten Zinsen. Gegründet wurde die mittlerweile in fast 85.000 Dörfern und Städten tätige Bank in Bangladesch von dem Wirtschaftswissenschafter Prof. Dr. Muhammad Yunus, der dafür 2006 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Die Bank arbeitet mit Gewinn, die Rückzahlungsquote der Kredite liegt mit 98 Prozent höher als bei herkömmlichen Banken. Die Grameen-AktionärInnen sind zu 96 Prozent (ehemalige) Kreditnehmer der Bank. Um genau zu sein: Kreditnehmerinnen, denn 97 Prozent der KundInnen sind Frauen, unter anderem weil sie sich punkto Rückzahlungen als zuverlässiger erwiesen haben.
Gegenseitige Verantwortung
Das ursprüngliche Grameen-System ist ein System der »sozialen Sicherheiten«: Menschen, die ein Darlehen brauchen, bilden kleinere Gruppen zu je fünf bis zehn Personen. Zuerst erhalten nur einige davon ein Darlehen. Wenn das Geschäft läuft und die Raten bezahlt werden, dann können nach einer Beobachtungszeit neue Kredite vergeben werden. Hat ein Mitglied Schwierigkeiten bei der Rückzahlung, dann springen die anderen ein. Aber auch die örtlichen Berater der Mikrokreditbanken stehen den JungunternehmerInnen mit Rat und Tat zur Seite.
Diese BeraterInnen sind durchwegs einheimische Fachleute, die allerdings meist nicht in klimatisierten Büros sitzen, sondern mit dem Rad und manchmal sogar zu Fuß in die Dörfer kommen und die Menschen vorab erst einmal über Mikrokredite, Genossenschaften etc. aufklären. Statt einer Unterschrift setzen so manche KundInnen dann unter Umständen ihren Fingerabdruck unter den Kreditvertrag.
Veränderung ist möglich
Was mit einem kleinen Kredit, mit einer Kuh oder einer Nähmaschine beginnt, wächst sich nicht selten zu einem gut funktionierenden Unternehmen aus. Wie bei Miriam Ng’ang’a aus Kenia, die mit 57 Jahren keine Perspektiven mehr für sich sah. Sie war Pensionistin, hatte sechs erwachsene Kinder und einen gewalttätigen Ehemann. Heute, sechs Jahre später ist sie Kleinunternehmerin mit eigenen Visitenkarten und zahlreichen Geschäftsverbindungen. Die Milch von mittlerweile sieben Kühen verarbeitet sie händisch zu Jogurt. Sobald ihr dritter Kredit abbezahlt ist, will sie mehr Kühe, Maschinen und ein Auto kaufen.
Ein (halbwegs) geregeltes Einkommen, das bedeutet nicht nur Essen, ein Dach über den Kopf und Kleidung, sondern auch mehr Selbstvertrauen. Irene Castro Quilca war eine arme Kleinbäuerin, als sie die Mikrofinanzinstitution Confianza kennenlernte. »Confianza gab mir nicht nur die Mittel, um Produktivität und Einkünfte des Betriebes zu steigern, sondern mehr Selbstvertrauen und überzeugte mich, dass ich Dinge verändern konnte, die ich bisher für unabänderlich gehalten hatte.«
In 70 Ländern
Ihre Kredite bekamen die Frauen über Oikocredit, einen Kooperationspartner der Grameen Bank. Die internationale Kreditgenossenschaft unterstützt weltweit Mikrofinanzinstitute und örtliche Genossenschaften. Oikocredit wurde 1975 auf Initiative des Ökumenischen Weltkirchenrates gegründet, die Zentrale befindet sich in Amersfoort in den Niederlanden. Heute ist Oikocredit in 70 Staaten in Afrika, Asien, Lateinamerika und Südosteuropa tätig und der weltweit größte mit Privatkapital arbeitende Finanzier von Mikrokrediten. Gemeinsam mit seinen Partnern hat Oikocredit bisher 15 Millionen Menschen erreicht. So wie die Grameen-Bank verzeichnet auch Oikocredit überall sehr hohe Rückzahlungsraten. Bisher hat noch kein Anleger Geld verloren. Und selbst Ende 2008, wo viele Unternehmen unter der Wirtschaftskrise stöhnten, konnte sich die (nicht Gewinn orientierte) Entwicklungsgenossenschaft über ein erfolgreiches Jahr freuen.
Seit 1990 ist Oikocredit auch in Österreich vertreten, drei Teilzeitangestellte und viele ehrenamtliche MitarbeiterInnen setzen sich für die Idee der sozialen Geldanlage ein. 1200 ÖsterreicherInnen haben bisher insgesamt 10 Millionen Euro veranlagt.
Sinnvoll angelegt
Die Anteilszeichnung ist in jeder Höhe möglich, der Mindestanteil beträgt 200 Euro. Mit einer maximalen Dividende von zwei Prozent kann man sein Geld zwar nicht effektiv vermehren, aber im wahrsten Sinne des Wortes sinnvoll anlegen. Die Rückzahlung der Anteile ist jederzeit problemlos möglich.
Weblinks
Die Zweite Sparkasse:
www.diezweitesparkasse.at
Oikocredit Österreich
www.oikocreditaustria.at
Schuldnerberatung
www.schuldnerberatung.at
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Zuvor nicht gekannte Unsicherheit
Die vom Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im September des Vorjahres ausgelöste Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise hat im darauf folgenden halben Jahr nicht nur die Wirtschaftsleistung absacken lassen, sondern erzeugte auch eine zuvor nicht gekannte Unsicherheit über die weitere Wirtschaftsentwicklung. Laufend mussten daher die WirtschaftsforscherInnen ihre Wachstumsprognosen für das heurige Jahr nach unten revidieren.
Die im Juni veröffentlichten Prognosen für die österreichische Wirtschaft landeten schließlich bei Werten zwischen -3,4 Prozent (WIFO und Bank Austria) und -4,3 Prozent (OECD, OeNB und IHS). Im Laufe des Herbstes (nach Ansicht des WIFO bereits im 3.Quartal und damit um eines früher als nach der des IHS) sollte die Talsohle der Rezession durchschritten werden. Angesichts der Stabilisierung der Lage und der damit verbundenen höheren Prognosesicherheit, dürften diese Vorhersagen nicht mehr weiter nach unten revidiert werden müssen.
Schwerste Rezession nach 1945
Die aktuelle Rezession wird zwar mit großem Abstand die schwerste nach 1945 sein (seither schrumpfte die Wirtschaftsleistung bisher nie mehr als um ein Prozent in einem Jahr), sie wird aber weit entfernt von der manchmal herauf beschworenen »Großen Depression« der 1930er Jahre, als die Volkswirtschaften der westlichen Hemisphäre in einem einige Jahre dauernden Niedergang bis zu einem Drittel ihrer Wirtschaftsleistung verloren, bleiben. Dazu hat nicht zuletzt die Politik mit nicht immer im Detail, aber dem Prinzip nach richtigen Reaktionen entscheidend beigetragen.
Banken- und Konjunkturpakete sowie die Steuersenkung machen zusammen mit den automatischen Stabilisatoren den entscheidenden Unterschied zwischen Gegenwart und Vergangenheit, also zwischen Krise und Katastrophe aus. Für ein kleines und stark exportorientiertes Land wie Österreich ist es obendrein von eminenter Bedeutung, dass EU-weit die Konjunkturstützung koordiniert ist und jedes Land seinen Beitrag leistet. Bei einer Importquote von 60 Prozent hätte ein im österreichischen Alleingang exekutiertes Konjunkturpaket bedeutet, dass ein Großteil der zusätzlichen Ausgaben nicht der heimischen Konjunktur, sondern der unserer Haupthandelspartner zugute gekommen wäre. Aus gesamteuropäischer Sicht wiederum war es notwendig, die Nachfrage innerhalb des Binnenmarkts, die für die EU als Ganzes die klar überwiegende Wachstumskomponente darstellt, in einer konzertierten Aktion zu stützen.
Noch kein Wiederaufschwung
Einen Absturz aufgehalten zu haben, heißt jedoch noch nicht zwangsläufig, damit auch einen Wiederaufschwung eingeleitet zu haben. Genau vor dieser Situation steht die österreichische Volkswirtschaft derzeit - und mit ihr auch die des gesamten Euroraumes.
Weil Signale für eine echte Erholung kaum irgendwo zu erkennen sind, bleiben die aktuellen Prognosen für 2010 sehr zurückhaltend und gestehen der österreichischen Wirtschaft maximal ein Wachstum von maximal einem halben Prozent (WIFO) oder sogar etwas weniger (IHS) zu.
Angesichts der Tatsache, dass die Krise sich mittlerweile auch auf anfangs von ihr verschont gebliebene Sektoren und Branchen auszudehnen beginnt und im kommenden Herbst eine Insolvenzwelle nicht ausgeschlossen werden kann, erscheint selbst die OECD-Prognose mit -0,1 Prozent nicht zwangsläufig zu pessimistisch zu sein.
Damit wird voraussichtlich auch, was die Dauer der Krise betrifft, ein Nachkriegsrekord aufgestellt, denn bisher war noch auf jedes Rezessionsjahr wieder ein Jahr mit kräftigem Wachstum gefolgt. Gleichzeitig wird die Arbeitslosigkeit spätestens 2010 erstmals die Marke von 300.000 durchbrechen und sich bei der (nach inländischer Definition berechneten) Quote zielstrebig auf zweistellige Werte zubewegen. (Von strukturellen Problemen, wie etwa einer Zunahme von Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit, soll hier gar nicht im Detail gesprochen werden, ebenso wenig davon, dass sich dieser Sockel der Arbeitslosigkeit verfestigen wird, wenn längerfristig das Wachstum nicht die für eine Reduzierung der Arbeitslosenzahl notwendige Marke von mindestens 1,5 Prozent erreichen sollte.)
Notwendig wären also über die erfolgte Stabilisierung hinaus echte Wachstumsimpulse. Woher diese kommen müssten, und woher sie nicht zu erwarten sind, zeigt ein Blick auf die Komponenten des BIP-Wachstums. Heuer werden ein stabiler und - durch die Steuersenkung gestützter - privater und ein leicht expansiver öffentlicher Konsum einem Einbruch bei den Investitionen (-neun Prozent) und vor allem bei den Exporten (-14 Prozent laut OECD) gegenüberstehen. Da sich der private Konsum durch die steigende Arbeitslosigkeit und mangels großzügiger Lohnabschlüsse kaum ausweiten wird, und viele Unternehmen bei Neuinvestitionen Finanzierungsprobleme haben, bedeutet dies, dass echte Wachstumsimpulse nur durch Ausweitung des öffentlichen Konsums und/oder von einem Anziehen der Exportkonjunktur zu erwarten sind.
Letzteres ist angesichts der Situation unserer Haupthandelspartner kurzfristig nicht zu erwarten. Die Volkswirtschaften Deutschlands und Italiens werden heuer laut OECD mit -6,2 Prozent bzw. -5,3 Prozent heuer noch schlechter abschneiden als der Durchschnitt des Euroraums (-4,8 Prozent) und Österreich. Im kommenden Jahr ist in beiden Fällen - wie für den Euroraum insgesamt - bestenfalls ein Wachstum knapp über der Nulllinie zu erwarten.
Die mit Österreich wirtschaftlich verflochtenen mittel- und südosteuropäischen Staaten innerhalb und außerhalb der EU befinden sich zwar nicht in ihrer Gesamtheit in einer so tiefen Rezession wie Ungarn, werden im Durchschnitt aber ebenfalls eine schrumpfende Wirtschaftsleistung aufweisen. Ihre Perspektiven über 2009 hinaus sind wegen ihrer hohen Abhängigkeit von Direktinvestitionen aus und Exporten nach Westeuropa noch unsicherer als für den Euroraum.
Budgetpolitik hat Verantwortung
Bliebe also einzig der öffentliche Konsum, was zeigt, dass die Budgetpolitik weiterhin große Verantwortung für die Konjunktur hat. Man muss angesichts der auf mindestens 75 Prozent des BIP (ein weiterer Nachkriegsrekord!) anwachsenden Staatsschulden nicht unbedingt sofort nach neuen Konjunkturpaketen rufen. Dennoch sollte diese Option - und mit ihr wiederum die einer EU-weit abgestimmten Vorgangsweise - nicht gänzlich ausgeklammert werden. Längerfristig schleppendes Wachstum und die damit verbundene hohe Arbeitslosigkeit sind nämlich auch Gift für einen ausgeglichenen Haushalt.
Nicht um jeden Preis sparen
Auf jeden Fall wird es aber notwendig sein, bei der für die Zeit nach 2010 geplanten Budgetsanierung behutsam mit dem Wirtschaftswachstum umzugehen. Das bedeutet, dass ausgabenseitig nicht um jeden Preis gespart werden wird können und die zweifellos notwendigen Einnahmenerhöhungen auf eine Wachstums schonende Weise lukriert werden müssen. Die auf uns zukommende Steuerdebatte wird also sowohl unter dem Gesichtspunkt der Verteilungsgerechtigkeit als auch unter dem der Konjunkturstützung geführt werden müssen.
Weblinks
Konjunkturprognose Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO)
www.wifo.ac.at/wwa/jsp/index.jsp?fid=23923&id=36042&typeid=8&display_mode=2
Konjunkturprognosen Institut für Höhere Studien (IHS)
www.ihs.ac.at/index.php3?id=1070
OECD-Länderinformation Österreich
www.oecd.org/oesterreich
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Luftgeschäfte
Die AUA gehört seit Mai der Lufthansa. Die AUA- und ÖIAG-Manager, die das abgewickelt haben, haben sich schon vorweg selbst hoch belohnt dafür. Trotz des Rekordverlusts von 429,5 Mio. Euro im Geschäftsjahr 2008, haben sich die Vorstandsgagen des AUA Managements von 1,4 Mio. Euro auf 2,8 Millionen Euro nahezu verdoppelt. »Werden die gesamten Vorstandsbezüge auf die aktiven Vorstandsmitglieder umgelegt, kassieren die AUA-Vorstände demnach pro Kopf im Durchschnitt über 948.000 Euro, im Vergleich zum Vorjahr (419.000 Euro pro Kopf) mehr als doppelt soviel«, so eine aktuelle AK-Studie2. Und das, obwohl oder gerade weil (?) für die MitarbeiterInnen im Sinne des Herrichtens der AUA für die Lufthansa im »Sparpaket I« Kurzarbeit, Gehaltseinbußen und jetzt im »Sparpaket II« sogar 1.000 Kündigungen bis Mitte 2010 exekutiert werden. Nicht zu vergessen: die Lufthansa bekam die AUA um den offiziellen Kaufpreis eines Einfamilienhauses (366.000 Euro) geschenkt und der österreichische Staat, also die SteuerzahlerInnen, musste als Bedingungen für den Kauf noch als »Mitgift« eine halbe Milliarde Euro hinlegen. Zuvor hatte ÖIAG-Chef Peter Michaelis, selbst Bezieher eines 700.000 Euro Jahresgehaltes, die Angst verbreitet, dass die AUA ohne Lufthansa zur »Vienna-Air« verkommen würden. Im April wurden dann bezahlte Zeitungs-Inserate ähnlichen Inhalts von »Freunden der AUA« geschaltet. Falsche Freunde könnte man sagen: Aufgrund der Überschneidungen im Flugnetz zwischen AUA und Lufthansa, die ja gerade von der EU-Wettbewerbskommission wegen eines durch die Übernahme entstehenden Monopols auf gewissen Strecken geprüft werden, besteht bei der Lufthansa-AUA-Fusion dann wirklich die Gefahr, dass wohl der kleinere »Partner« - wie das schon beim Schlucken der Swissair durch die Lufthansa der Fall war - die AUA zu einer Mini-Airline zusammen gestutzt wird. Denn nach Aussagen des ehemaligen Lufthansa-Managers und nunmehrigen AUA-Vorstandes Andreas Bierwirth werden die jetzigen Maßnahmen auch noch nicht das Ende der Fahnenstange der Einsparungen sein, wird die AUA Strecken streichen und die Flotte verkleinern müssen3.
AUA, das tut weh
Damit die Lufthansa die AUA mit 500 Mio. Euro Zuschuss aus Österreich schlucken darf, hat deren Chef, Wolfgang Mayrhuber, der EU zugesagt, die AUA-Kapazitäten um 15 Prozent zu kürzen und die österreichische Bundesregierung sogar aufgefordert, sich von der EU nicht »einlullen« zu lassen, sondern sich für den Deal stark zu machen4. Das heißt, die »Marktbeschränkung« der Lufthansa geht einseitig zu Lasten der AUA. Und dafür, dass die Lufthansa zum größten Fluganbieter in Europa wird, wird auch noch Geld aus der österreichischen Staatskasse beigesteuert. Zudem droht die AUA unter Umständen Verkehrsrechte außerhalb der EU, die an eine nationale Mehrheit gebunden sind, zu verlieren, gerade weil die Lufthansa die Mehrheit an der AUA hat5! Und wenn dann die AUA-Vorstände lapidar sagen, »wir müssen zu nachhaltig wirksamen Maßnahmen kommen. Das wäre sowieso notwendig geworden, egal in welcher Konstellation, allerdings müssen wir auch wettbewerbsfähiger werden im Lufthansa-Konzern«6, dann fragt man sich, wozu die »Krot« geschluckt?
Für den Schriftsteller Robert Menasse ist »die AUA ein Beispiel dafür, was passiert, wenn man einer wirtschaftlichen Ideologie folgt, die nur auf Profitmaximierung aus ist7.« Man kann ergänzen, nicht nur bei der AUA: »Die Gagen der heimischen Managerelite steigen trotz sinkender Aktienkurse und Gewinnrückgängen auch im Jahr 2008 weiter leicht an. Die durchschnittliche Vorstandsgage in den analysierten ATX-Unternehmen liegt 2008 über 1,3 Mio. Euro pro Kopf, das ist das 48-fache (2007: 47-fache, 2006: 45-fache) des durchschnittlichen Bruttobezugs von 27.257 Euro eines Beschäftigten pro Kopf in diesen Unternehmen8.«
Postraub
Auch bei Post und Telekom klaffen Kürzungsprogramme mit Personalabbau, Filialschließungen und versteckten und offenen Privatisierungs-, d. h. Ausverkaufsabsichten einerseits und den »Zuckerln« für Aktionäre und Manager andererseits weit auseinander.
So hat die Postführung sofort nach dem Auslaufen des sechsmonatigen Schließungsaufschubs ab 1. Juli mit dem Zusperren der ersten 100 von knapp 300 Kleinpostämtern begonnen. Und schon Mitte Juni wurde für Oktober der nächste Post-General bestellt: Georg Pölzl, der von T-Mobile, einer Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom kommt. Diese ist wiederum an der Deutschen Post beteiligt, die schon seit Jahren unter kräftiger Schützenhilfe von Boss Peter Michaelis immer wieder versucht, an die österreichische Post AG heran zu kommen. Seitens der ÖIAG hieß das immer »strategische Partnersuche« - und das war auch vor dem jetzigen Lufthansa-AUA-Deal der umschreibende Sprachgebrauch für den geplanten Ausverkauf. Sieht man, wie die Dividendenpolitik der Post passiert, erinnert dies an das Ausräumen der AUA9. Die Post-Bosse berichten freudig, dass sie 75 Prozent des Nettogewinns an die Aktionäre ausschütten und - unabhängig vom Kurs - eine Rendite von 12 Prozent, einen internationalen Spitzenwert - schaffen10. Pferdefuß laut AK-Untersuchung: dafür wurden Kapitalrücklagen aufgelöst, 2007 und 2008 insgesamt 144 Millionen Euro. Die Shareholder freuen sich, die Beschäftigten müssen bluten (9.000 weniger bis 2015) und am Vorwand, die Post ist nicht mehr liquid, ein »Sanierungsfall«, hat kein Geld mehr und braucht einen strategischen Partner (Deutsche Post?) á la AUA »zum Überleben«, wird gearbeitet.
Eine SORA-Studie im Auftrag der AK zeigt: Über 75 Prozent der PrivatkundInnen sind der Meinung, dass die Post keine Filialen zusperren soll, solange sie Gewinne macht.
Zum Schaden der SteuerzahlerInnen
Ähnliche Methode bei der Telekom Austria: Trotz ausgewiesenem Verlust von 48,8 Mio. Euro wird eine Dividende in der Höhe von rund 332 Mio. ausbezahlt. Dafür werden Gewinnrücklagen von über 109 Mio. Euro aufgelöst.
Gegen ÖIAG-Chef und AUA-Aufsichtsratsvorsitzenden Peter Michaelis haben die Grünen Strafanzeige erstattet, weil er den Verkauf der AUA zu spät gestartet hätte. Ob da nicht das Pferd von hinten aufgezäumt wird? »Die Aufgabe der ÖIAG ist«, so im Geschäftsbericht 2008, »als Eigentümerin von Unternehmensteilen, deren Werterhalt und -steigerung zu sichern.«11 Richtig. Jedoch: Weder frühere (z. B. Voestalpine) noch die jetzige, zum Teil bewusst herbei (herab) gemanagte und für die privaten Unternehmen als Käufer billig und für die (aus-)verkauften Unternehmen und den Staat teuer (d. h. unter dem Wert) durchgeführte Privatisierung entsprechen dem Auftrag der Werterhaltung. Die ÖIAG agiert mit Zustimmung der Politik als Vehikel in- und ausländischer Konkurrenten und zum Schaden der österreichischen SteuerzahlerInnen.
1 Wiener Zeitung, 27. 6. 2009
2 AK-Wien: Vorstandsvergütungen und Ausschüttungspolitik der ATX-Unternehmungen, April 2009
3 Kurier, 5. 7. 09
4 Kurier, 4. 7. 09
5 Kurier, 18. 6. 09
6 Kronen Zeitung, 3. 7. 09
7 Kurier, 5. 7. 09
8 AK-Studie: Vorstandsvergütungen, s. o.
9 siehe A&W 12/07 + 2/09
10 Kronen Zeitung, 4. 7. 09
11 ÖIAG-Geschäftsbericht 2008, Seite 5
Weblinks
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www.gpf.at
www.vida.at
wien-arbeiterkammer.at
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Geschäftsmodell Heuschrecke
Das Geschäftsmodell der Private Equity Industrie beruht maßgeblich auf Steuervermeidung und extrem hohen Renditen, die auf einem Mittelabzug aus Unternehmen basieren. In vielen Fällen sind Private Equity Fonds nicht an der Erhöhung der Wertschöpfung sondern am Abzug von Mitteln aus den Unternehmen interessiert. Die ManagerInnen der Fonds sind nicht an der langfristigen Entwicklung der Unternehmen interessiert, sondern an maximalem raschen Gewinn.
Private Equity Fonds kaufen nicht Aktien auf der Börse sondern ganze Firmen. Um in kurzer Zeit extrem hohe Renditen zu erzielen, ziehen sie viel Geld aus den übernommenen Unternehmen ab, indem deren Vermögenswerte wie z. B. Immobilien verkauft, Schulden angehäuft und Kosten radikal gesenkt werden. Leidtragende sind die Beschäftigten, denn Firmen werden als ertragreiche Anlageobjekte betrachtet mit denen kurzfristig maximal mögliche Gewinne gemacht werden. Dementsprechend agieren die Fonds.
Nur ein kleiner Prozentsatz des Übernahmepreises wird dabei aus eigenen Mitteln des Fonds finanziert. Der größte Teil wird über Kredite fremdfinanziert (›Leveraging‹). Ist die Übernahme abgeschlossen, muss das aufgekaufte Unternehmen die Schulden bedienen, und finanziert somit die eigene Übernahme. Zur Rückzahlung der Schulden werden z.B. Immobilien verkauft und zurückgeleast. So gehen die Fonds oft bei Hotels oder Handelsbetrieben vor. Angesichts der drastischen wirtschaftlichen Einbrüche können sich manche Unternehmen nun die Leasingraten nicht mehr leisten.
So wurde die Handelskette Mervyn`s in den USA in den Konkurs getrieben. In dem Unternehmen waren 18.000 Menschen beschäftigt. Die Immobilien wurden ausgelagert und verkauft. Damit hatten auch die Gläubiger keinen Zugriff mehr auf das Vermögen der Firma. Mervyn`s erhielt nach eigenen Angaben nur 8,3 Mio. Dollar und wurde seiner Immobilien entledigt. Die Private Equity Firma, Anwälte und Investmentbanker bezogen 58 Mio. Dollar an Gebühren!1.
In der Folge werden die Unternehmen von den neuen Eigentümern noch gezwungen sich zusätzlich zu verschulden. Das Unternehmen nimmt Kredite auf, die sofort an den Fonds als Dividendenausschüttung weitergeleitet werden. Private Equity Fonds sind insbesondere an Unternehmen mit hohem Eigenkapital und stabilen Erträgen interessiert. Von diesem Eigenkapital ist jedoch nach kurzer Zeit fast nichts mehr übrig. Heinrich Weiss, Aufsichtsratsvorsitzender von SMS Siemag »Von denen sind manche so ausgesaugt worden, dass sie beim ersten Windstoß umfallen.«
Private Equity Fonds sind nicht nur Spezialisten beim Ausräumen von Unternehmen, sondern auch beim Vermeiden von Steuerzahlungen. Die aufgekauften Unternehmen bezahlen viel weniger Steuer als zuvor, weil die Zinsen für den Schuldendienst von der Steuer abgezogen werden. Die Private Equity Fonds selbst haben ihren Sitz meist in Steueroasen.
Woher kommt das Geld?
Private Equity Fonds verwalten Gelder von InvestorInnen, wie privaten Organisationen, reichen Einzelpersonen, Banken, Versicherungen und Pensionskassen.
Pensionsfonds gehören zu den wichtigsten Private Equity Anlegern. 2006 zur Hochblüte des Private Equity-Booms stellten Pensionsfonds 29,2 Prozent der Mittel und waren damit die wichtigste Investorengruppe bzw. der größte Kapitalgeber der privaten Beteiligungsindustrie. Seit 2002 dürfen auch österreichische Pensionskassen in Private Equity Fonds investieren. Wo Gewerkschaften dort Einfluss haben, sollten solche Investitionen nur akzeptiert werden, wenn sich die Fonds zur Erhaltung von Arbeitsplätzen und -bedingungen verpflichten.
Der Abzug des Eigenkapitals und die Verschuldung der Unternehmen macht diese in konjunkturellen Krisen konkursgefährdet. Hier könnte die Wirtschaftskrise besonders stark wirken und zu einer Pleitewelle der von Private Equity Fonds gekauften Unternehmen führen. Wir verlangen von Private Equity Fonds das Überleben der Unternehmen zu sichern und ihre Mittel für eine Eigenkapitalerhöhung dieser einzusetzen.
Richtlinienentwurf inakzeptabel
Die Steuervermeidung und das Fehlen fast jeglicher Regulierung muss rasch beendet werden. Notwendig sind verpflichtende Eigenmittelquoten der Private Equity Fonds, mehr Transparenz, eine höhere Besteuerung der kurzfristig entnommenen Gewinne und eine Absicherung der ArbeitnehmerInnenrechte bei Firmenübernahmen.
Der von EU-Kommissar McCreevy Ende April 2009 präsentierte Richtlinienentwurf zur Regulierung von Hedgefonds und Private Equity Fonds greift viel zu kurz. Zwar werden Fondsmanager in Zukunft ihre Geschäfte anmelden müssen, die Fonds selber werden aber in ihrem Handlungsspielraum nicht begrenzt.
Der Entwurf sieht Transparenzvorschriften und eine Zulassungspflicht für Hedgefonds vor. Das aber nur wenn sie mehr als 100 Mio. Euro verwalten, es gibt keine Beschränkung des Leverage, also des Einsatzes von Fremdkapital. Für Private Equity Fonds bringt dieser Entwurf kaum Änderungen. Der Kauf von Unternehmen mit bei Banken ausgeborgtem Geld wird nicht begrenzt. Die Richtlinie sieht keine ausreichenden Informationsrechte für ArbeitnehmervertreterInnen vor, wenn ihr Unternehmen von einem Private Equity Fonds übernommen wird. Die Praktiken der Steuervermeidung werden durch den Entwurf nicht tangiert.
Aus Sicht der Gewerkschaften sind derartige Alibimaßnahmen abzulehnen. Die Rechte der ArbeitnehmerInnen, die Substanz der