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Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615610887 Vom Wissen als Feind Er sei „die Verkörperung der individuellen Utopie, berühmt, reich und geliebt zu werden“. Diese Wunschvorstellung scheine im globalisierten Kapitalismus die „große Utopie einer gerechten Gesellschaft abgelöst zu haben“. An seiner Person zeige sich außerdem „ein Diskurs um Nicht-Wissen und Wissen, um Intellektualität und Nicht-Intellektualismus, um die Rolle von Wissen und von Intellektuellen“. Er entlaste vom „Bildungsdruck, vom Druck, (vermeintlich) Überflüssiges zu wissen, Dinge zu wissen, die zwar der Bildungsbürger weiß, aber die große Mehrheit der Bevölkerung nicht“ – und diese, so der entsprechende Diskurs, „auch nicht zu wissen braucht“.

Wille zum Nicht-Wissen
Es sind fast 20 Jahre vergangen, seitdem Birgit Sauer diese Zeilen schrieb. Die Politikwissenschafterin bezieht sich darin auf einen Star der Fernsehshow Big Brother, Zlatko Trpovski. Man könnte den Namen gut und gerne durch jenen von US-Präsident Donald Trump ersetzen – die Analyse würde nur wenig an ihrer Treffsicherheit einbüßen. Sauer macht in ihrem Text „Der Wille zum Nicht-Wissen“ aus dem Jahr 2000 einige Elemente aus, die auch für die heutige Analyse der Wissenschaftsfeindlichkeit relevant erscheinen.
Der Anti-Intellektualismus ist spätestens mit dem Begriff Fake News wieder zum Thema der öffentlichen Debatte geworden. In den USA reihte sich nach dem Wahlerfolg von Donald Trump noch eine weitere Sorge hinzu: Jene um den Wert von Wissenschaft in einer Regierung, deren Präsident ganz offen wissenschaftliche Erkenntnisse leugnet.

Marsch für Wissenschaft
Dies war im Frühling Anlass für den „March for Science“, mit dem man in Washington ein Zeichen gegen Wissenschaftsfeindlichkeit und Einschränkungen der akademischen Freiheit setzen wollte. Die Idee breitete sich rasch aus, am 22. April gingen unter anderem in Wien 3.000 Menschen auf die Straße. Insgesamt wurde in mehr als 500 Städten weltweit demonstriert.
Was Birgit Sauer im Jahr 2000 bezogen auf das Phänomen Zlatko schrieb, lässt sich auch auf die Inszenierung Donald Trumps umlegen: „Die spezifische Form des populistischen Klassenkampfs ist ins Reality-TV verschoben und spielt sich als Schattenkampf zwischen ‚der‘ Bevölkerung und ‚den‘ von ihnen abgehobenen Intellektuellen ab.“ US-Präsident Trump wiederum inszenierte sich gegen das „Establishment“, ob in Politik oder Wissenschaft. Sauer führt weiter aus: „Die ‚alten‘ Intellektuellen seien kopflastig, von der Bevölkerung entfernt und unverständlich. Zlatko sagt demgegenüber in einem leicht verständlichen Satz, worüber die klassischen Intellektuellen tagelang diskutieren müssen.“ Man ersetze den Begriff Intellektuelle durch jenen der PolitikerInnen.
Birgit Sauer bringt noch einen weiteren Aspekt ein: die „neo-liberale Hegemonie“. Diese schaffe „ihre eigenen ‚working class heroes‘, die gegen das bildungsbürgerliche Wissen aufbegehren und mit praktischer Intelligenz ausgestattet sind“. Wissen und Ausbildung werde als „belastendes Gepäck“ betrachtet, so Sauer. Denn „offenbar sind andere Skills notwendig, als das in der Schule vermittelte Bildungsgut, das doch nur in die Erwerbslosigkeit führt“.

Neue Aufklärung
Skepsis gegenüber Wissen bis zu dessen Herabwürdigung als unnötiger Ballast, das Leugnen wissenschaftlicher Erkenntnisse: All das ist also (leider) nicht neu. Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, früher Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (ERC), sagte anlässlich des March for Science: „Ich glaube, wir brauchen eine Aufklärung in einer neuen Form. Die europäische Aufklärung vor 200 Jahren ging von einigen wenigen Wissenschaftern und Intellektuellen aus und wurde zu einer breiten Bewegung. Ihr Ziel, dass allen Menschen vernünftige Argumente zumutbar sind und dass man aufgrund von Argumenten zu einem Konsens kommen kann, das ist es, was wir auch heute wieder brauchen.“

Buchtipp:
Eva Kreisky (Hg.), „Von der Macht der Köpfe“
ISBN: 978-3-85114-544-1
Verlag: Facultas (Hauptverlag) 
www.besserewelt.at

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Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Zeitschrift "Arbeit&Wirtschaft" Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610881 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615610866 Freie als Jongliermasse Ohne LektorInnen würde der Lehrbetrieb an Österreichs Universitäten vielerorts zusammenbrechen. Denn die Lehrbeauftragten bestreiten österreichweit zu etwa einem Viertel die Lehre. Ihre Zahl lag im Studienjahr 2014/15 bei rund 14.000, an manchen Universitäten – wie in Wien und Graz – tragen LektorInnen die Lehre sogar zu rund 40 Prozent, an einzelnen Instituten in einem noch höheren Ausmaß.
Die Universität braucht die LektorInnen also, aber behandelt sie schlecht: Sie erhalten in der Regel jeweils nur semesterweise Verträge und dies oft nur im Ausmaß von zwei Semesterwochenstunden. Aus Perspektive der DienstgeberInnen handelt es sich bei diesen hochqualifizierten AkademikerInnen um eine „Jongliermasse“ (so das Originalzitat eines Rektoratsmitglieds), die dazu benutzt wird, die Studienpläne bespielen zu können und den universitären Betrieb am Laufen zu halten – und zwar ohne dass den Betroffenen irgendeine Aussicht auf eine Beendigung dieses nervenaufreibenden Zustands offenstände.

Dauerhafte Arbeitsrealität
Prekarität ist eine dauerhafte, mitunter lebenslange Arbeitsrealität für eine immer größer werdende Gruppe von WissensarbeiterInnen geworden. Hinzu gesellt  sich die sogenannte „Kettenvertragspause“. Universitäten dürfen nach sechs Dienstjahren (bzw. acht bei Teilzeitbeschäftigung) keine weiteren befristeten Verträge an LektorInnen mehr ausstellen. Was allerdings möglich ist: Die LektorInnen machen eine einjährige Pause, danach können sie wieder einen befristeten Vertrag bekommen. Auch der Bezug von Leistungen des AMS ist zum fixen Bestandteil von akademischen Erwerbsbiografien geworden. Dieser von manchen Universitätsleitungen bewusst in Kauf genommene Umstand wird teilweise noch dadurch verschärft, dass an einigen österreichischen Universitäten LektorInnen überwiegend oder zur Gänze mit Freien Dienstverträgen ausgestattet werden. Damit kommen kollektivvertragliche Bestimmungen nicht zur Anwendung und diese Gruppe wird weder vom Betriebsrat vertreten, noch kann sie für diesen kandidieren.
Historisch betrachtet ist der Siegeszug prekärer Arbeitsverhältnisse eine Rückkehr zum Status quo vor den „Trente Glorieuses“. Mit diesem Begriff werden die wohlfahrtsstaatlich und sozialpartnerschaftlich geprägten Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bezeichnet, in denen die Ideologie des Normalarbeitsverhältnisses dominierte. Seit dem Siegeszug des Kapitalismus in seiner neoliberalen Ausprägung befinden sich Vollbeschäftigung und unbefristete Arbeitsverträge auf dem Rückzug – und man kann die Universitäten in diesem Prozess durchaus als Vorreiterinnen betrachten: Arbeits- und Lebensverhältnisse von EnthusiastInnen ohne feste Löhne und existenzielle Absicherung stehen Modell für den Arbeitsmarkt der Zukunft.

Ende des Normalarbeitsverhältnisses
Seit den 1990er-Jahren wird dieser Umstand zunehmend von SoziologInnen thematisiert. Für den Bereich der Wissenschaft etwa prägten die Autorinnen Anne und Marine Rambach 2001 den Begriff der „prekären Intellektuellen“, während der britische Soziologe Guy Standing ganz allgemein das „Prekariat“ als eigene, im Entstehen befindliche Klasse beschrieb. Die Soziologen Hans J. Pongratz und G. Günter Voß beschreiben den Typus des „Arbeitskraftunternehmers“: WissenschafterInnen haben unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen zu „wissenschaftlichen Entrepreneurs“ zu werden, die jede Tätigkeit strategisch auf ihre weitere Verwertung im Lebenslauf beurteilen müssen. Was hierfür nicht kapitalisierbar ist, hat keinen Wert – etwa größeres Engagement in der Lehre und Studierendenbetreuung, gemeinschaftsbildende Tätigkeiten am Institut oder Betriebsratsarbeit.
Die finanzielle Grundlage der Wissensarbeit sind mittlerweile hauptsächlich Drittmittel, um die man im Wettbewerb mit anderen ringen muss. Dies hat auch Folgen für die Wissenschaft selbst: Es wird erforscht, was hohe Output-Vorhersehbarkeit verspricht und damit den FördergeberInnen gefällt. Die Projektförmigkeit, in der Wissensarbeit arrangiert ist, bedingt eine jeweils kurze Verweildauer der ForscherInnen. Vor allem junge WissensarbeiterInnen sind damit zwar weltweit vermittelbar, aber der Gesellschaft und dem politischen Engagement entfremdet. Die Sorge, sich durch Kritik an diesen Beschäftigungsverhältnissen eine mögliche Karriere in der Wissenschaft zu verpatzen oder überhaupt in der Erwerbslosigkeit zu landen, lässt die meisten verstummen. Zukunftsentwürfe oder gar gegenhegemoniale Utopien sind von ihnen kaum zu erwarten.
Auf das gesellschaftlich verfügbare Wissen wirkt sich die Unsicherheit der Arbeitsbeziehungen negativ aus. Dabei wäre eine notwendige Voraussetzung für die oft eingeforderte Exzellenz von Lehre und Forschung, dass WissenschafterInnen eine planbare Perspektive geboten wird. Hervorragende Lehre und Forschung sind nur unter hervorragenden Arbeitsbedingungen möglich.

Seit ihrer Gründung im Zuge einer großen, Lehrende wie Studierende umfassenden Streikbewegung im Jahre 1996 kämpft die IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen gegen die wachsende Prekarisierung. Diese zeigt sich schließlich nicht nur im Wissenschaftsbetrieb, sondern betrifft generell eine stetig wachsende Anzahl von Menschen – nicht zuletzt Frauen und MigrantInnen –, die ihren Lebensunterhalt mit einem Job allein nicht mehr bestreiten können, ob im Gesundheitswesen, in der Pflege, im Dienstleistungsbereich, im Security-Sektor, in der Kulturarbeit oder im Journalismus.
Die Teilung zwischen „regulären“ und prekären Arbeitsverhältnissen stellt die Interessenvertretung wie auch in anderen Branchen vor große Herausforderungen. Auf der einen Seite steht die kleiner werdende, teils noch beamtete Anzahl von MitarbeiterInnen, auf der anderen die fluide Masse der freien WissensarbeiterInnen. Die klassischen Organisationsformen der ArbeitnehmerInnenvertretung (wie Betriebsräte und Gewerkschaften) sind dabei durchaus wichtige Verbündete. Im Betriebsrat der größten österreichischen Universität, der Universität Wien, ist die IG seit einigen Jahren ebenso vertreten und aktiv wie in deren höchstem Gremium, dem Senat. Und sie hat mittlerweile etliche Verbesserungen erreicht.
Leider konnte die Zusammenarbeit nicht verhindern, dass Verschlechterungen für die LektorInnen beschlossen wurden. Mit dem Gehaltsabschluss der Universitätsangestellten für das Jahr 2016 verloren Universitätslehrende, die nur einen zweistündigen Lehrauftrag haben, die Sozial- und Krankenversicherung, da die Bezahlung nun unter der dafür notwendigen Geringfügigkeitsgrenze lag.
Eine noch engere Zusammenarbeit wäre daher für alle Beteiligten von Vorteil. Immerhin ist es im Interesse aller, dass die Arbeitsverhältnisse an der Universität adäquater gestaltet werden – nicht nur aller Universitätsangehörigen, sondern der Gesamtgesellschaft, die letztlich von den wissenschaftlichen Erkenntnissen profitiert.

Blogtipp:
tinyurl.com/yb8tc9cm

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen anton.tantner@univie.ac.at und christian.cargnelli@chello.at und tamara.ehs@univie.ac.at oder die Redaktion aw@oegb.at

Infobox: Plattform für WissensarbeiterInnen

Die IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen beschäftigt sich verstärkt mit prekären wissenschaftlichen Arbeitsverhältnissen, wie jenen der befristeten Anstellung von AssistentInnen, ProjektmitarbeiterInnen, freien WissenschafterInnen, bis zu den befristeten ProfessorInnen.
Die IG ist ein Zusammenschluss, der das akademische Feld innerhalb und außerhalb der Universitäten und akademischen Institutionen beobachtet. Sie schafft Diskussionsräume zum Erfahrungsaustausch und damit auch die Voraussetzung dafür, dass solidarische Forderungen auf universitärer, aber auch auf allgemein politischer Ebene erarbeitet werden können.
Mehr Informationen:
www.ig-elf.at

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Christian Cargnelli, Tamara Ehs, Anton Tantner, Vorstandsmitglieder der IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610846 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610854 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615610835 Exzellenz hat kein Geschlecht Als Corinna Engelhardt-Nowitzki im Jahr 2003 ihre Stelle an der Montanuniversität Leoben antrat, war sie Pionierin: Sie ist die erste Professorin an der steirischen Uni. Die gebürtige Münchnerin baute den Lehrstuhl für Industrielogistik auf. An der Montanuni hatte Engelhardt-Nowitzki einst berufsbegleitend promoviert.

Die Richtige für die Stelle
Als sie der Ruf ereilte, hatte sie zehn Jahre in der Industrie gearbeitet. „Ich kam zwar aus einer Männerdomäne, aber es war anfangs ein seltsames Gefühl. Damen wurden behandelt wie Ehrengäste, nicht wie alle anderen.“ Sie fügte sich aber rasch gut ins Kollegium ein, wie sie erzählt. Es ärgerte sie nur, wenn sie irgendjemand als „Quotenfrau“ bezeichnete: „Ich war mit meiner praktischen Expertise einfach die Richtige für die Stelle.“
Die Zahl der Studentinnen wächst an allen Universitäten. Frauen in wissenschaftlichen Führungspositionen sind nicht mehr ungewöhnlich, aber eben auch nicht selbstverständlich. Von 21 Universitäten werden sieben von Frauen geführt. Zwar ist der Anteil der Professorinnen in den letzten Jahren angestiegen – Anfang der 1980er-Jahre lag er bei 4,7 Prozent, bis 2000 stieg er auf gerade einmal sechs Prozent –, dennoch sind heute nur 23 Prozent der ProfessorInnen Frauen.
Das Universitätsgesetz von 2002 brachte den Unis mehr Autonomie, sie bauten Managementstrukturen auf. „Frauen haben davon aber nur an einigen wenigen Universitäten profitiert“, sagt Soziologin Angelika Striedinger. Sie ist Teil eines Teams von vier Forscherinnen, das im Rahmen eines FWF-Projekts Gleichstellungsarbeit an vier unterschiedlich ausgerichteten Unis untersucht hat.

Ernüchterndes Resultat
Das Resultat war ernüchternd: Nur eine der Unis hat Gleichstellungsagenden umfassend in der Struktur verankert. Zum Zeitpunkt der Untersuchung gab es mehrere Personen im Rektorat mit entsprechender Expertise und Prozesse wurden transparent gehalten. „Es erleichtert Gleichstellung enorm, wenn man weiß, wie Entscheidungen getroffen werden“, so Striedinger. Bei anderen Unis sei diese Thematik personenabhängiger und willkürlicher. „Das Wichtigste ist, dass der Gegensatz zwischen Gleichstellung und Qualität bzw. Exzellenz überwunden wird“, betont die Soziologin. Einige Unis würden das als zwei Pole begreifen. „Dabei verhindert Diskriminierung, dass alle ihr volles Potenzial ausschöpfen können.“

Frauenprofessuren
Die Technische Universität Wien hat mit Sabine Seidler seit 2011 erstmals eine Rektorin. An dieser Universität zeigt sich deutlich, dass der Frauenanteil je nach Universität und Studienrichtung variiert. In technischen Universitäten sind Frauen deutlich seltener anzutreffen: Von den 153 ProfessorInnenstellen sind an der TU Wien 18 von Frauen besetzt, von 52 Instituten haben drei eine Vorständin. Aktuell gibt es noch keine Dekanin. Geht es nach Brigitte Ratzer, Leiterin der Abteilung Genderkompetenz, soll sich das ändern. Zunächst brauche es mehr Studentinnen in der Technik und somit andere Rollenbilder. „Viele LehrerInnen sind nicht in der Lage, Mädchen und Burschen das Gleiche zuzutrauen und zu vermitteln“, stellt Ratzer fest.
Die TU organisiert Workshops, die Schülerinnen über Perspektiven in der Technik informieren. Zudem werden Maßnahmen für Nachwuchswissenschafterinnen koordiniert – von Coaching und Mentoring bis zu „Anti-Bias-Workshops“.
Um die Vergabe von zwei Frauenprofessuren und zwei Laufbahnstellen gab es 2015 einen Wettbewerb, bei dem die acht Fakultäten Frauenfördermaßnahmen vorstellten. Der Clou: „Alle sich bewerbenden Fakultäten mussten ihre Konzepte umsetzen, egal wer den Zuschlag erhält“, so Ratzer. An der TU Wien gibt es einige Jobangebote, die sich explizit an Frauen richten, unter anderem zwei Laufbahnstellen. Diese Stellen sehen einen sechsjährigen Arbeitsvertrag mit Qualifizierungsvereinbarungen vor. Dann soll der Umstieg auf eine unbefristete Stelle als assoziierte Professorin folgen. Ratzer plädiert dafür, Auswahlkriterien für Professuren zu ändern und außeruniversitäre Leistungen besser zu bewerten.
Laufbahnstellen, die explizit für Frauen vorgesehen sind, kann Soziologin Striedinger etwas abgewinnen, sofern bei der Vergabe der nicht geschlechtsbezogenen Stellen Frauen nicht benachteiligt werden. Die „gläserne Decke“ wird insbesondere nach dem Doktorat sichtbar, denn an dieser Schnittstelle gibt es eine hohe Drop-out-Quote von Frauen. Das zeigt sich etwa an der Uni Wien: Während der Frauenanteil bei Doktoraten im Jahr 2013 bei 51 Prozent lag, betrug er bei Habilitationen nur noch 37 Prozent.
Auch in der Wissenschaft ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für viele herausfordernd. Nach wie vor trifft das Frauen mehr als Männer, denn ohne Partner oder Partnerin, der/die sich mehr um die Familienarbeit kümmert, lässt sich dies kaum vereinbaren. Als Corinna Engelhardt-Nowitzki ihre beiden Kinder bekam (heute sind sie neun und zwölf), war sie Professorin. Ein Vorteil: „Ich konnte mir meine Zeit flexibler einteilen.“ Ohne Unterstützung ihres Mannes hätte es aber nicht so gut funktioniert. Er hat eine halbe Lehrverpflichtung an einem Gymnasium.
An der Uni Wien gibt es eigene Curricula für Frauen, in denen Karrierestrategien erarbeitet werden. Angeboten werden Coachings für Wissenschafterinnen oder Doktorandinnenkollegs, wo Frauen unterschiedlicher Zweige, aber mit ähnlicher Thematik, zusammenarbeiten. Die IG LektorInnen und WissensarbeiterInnen hat den Überblick. „Wir sprechen Frauen explizit an, wie sie im wissenschaftlichen Bereich vorankommen können.“ Ein wesentlicher Faktor sei das Prekariat unter Frauen. „Es braucht individuelle Förderung und mehr ausfinanzierte Stellen nach dem Doktorat“, fordert IG-Vorstandsmitglied Maria Dabringer.
Jobs mit Zukunft sind das eine, Vernetzung untereinander ist das andere. Netzwerken, wie männliche Wissenschafter das seit Langem machen, helfe. Doch unterstützen sich Frauen, stößt das oftmals auf Unverständnis. „Wenn Männer sich organisieren, gilt das als professionell, bei Frauen seien das ‚Selbsthilfegruppen‘“, kritisiert Dabringer.

Mentoring und Anerkennung
Aufgeräumt werden muss mit einem weiteren Irrglauben: „Frauenförderung wird oft unbewusst als Nachhilfe verstanden. Es geht aber nicht darum, Defizite aufzuarbeiten, sondern Stärken aufzuzeigen“, sagt Sylwia Bukowska, Leiterin der Abteilung Gleichstellung und Diversität der Universität Wien. „Es gilt, Barrieren im System aufzuzeigen, Wissenschafterinnen zu bestärken und Momente des Scheiterns auch im Kontext des Wissenschaftssystems mit seinen Ausschlussmechanismen zu verstehen.“ Sensibilisierung und breit aufgestellte Individualförderprogramme hätten Prozesse bereits verbessert. Besonders erfolgreich war Mentoring.
Die Programme werden derzeit neu konzipiert. Im Herbst 2018 beginnt eine Programmversion für Praedoc- und im Jahr darauf Mentoring für Postdoc-Wissenschafterinnen. Anfang nächsten Jahres startet eine österreichweite Datenbank mit Infos zur Gleichstellung an heimischen Unis.

Die Quote wirkt
Dass der Frauenanteil auch beim wissenschaftlichen Personal gestiegen ist, ist eng mit der Quote verbunden. Demnach soll der Frauenanteil bei 50 Prozent liegen. Soziologin Angelika Striedinger beobachtete, dass diese Vorgabe den Frauenanteil in den Rektoraten steigen ließ und den Aufstieg von Frauen an die Spitze der Universitäten förderte.
„Alle Expertinnen sind sich einig, dass Quoten zurzeit notwendig sind zur Herstellung der Chancengleichheit.“ Dabei gehe es nicht um eine generelle Bevorzugung. „Eine Frau bekommt den Job nur bei gleich guter Qualifikation – und das übersehen viele in der Quoten-Debatte“, so Bukowska von der Universität Wien. Die große Frage ist allerdings auch an den Universitäten: Wie kann das System so gestaltet werden, dass alle Geschlechter gleiche Chancen haben, sodass sich sowohl Frauenförderung als auch -quote schlichtweg erübrigen?
 
Gender Index 2016:
tinyurl.com/y72ax2tl

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udoseelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Udo Seelhofer, Sandra Knopp, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610818 Es war eine Premiere in der 200-jährigen Geschichte der TU Wien: Sabine Seidler zog im Jahr 2011 als erste Frau ins Rektorat des Hauses am Karlsplatz. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615610793 Unwichtig? Ausgegrenzt! Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen die Namen von Königen. Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?“ Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ thematisieren einen riesigen blinden Fleck, nämlich die Ausklammerung der großen Bevölkerungsmehrheit aus der Betrachtung bzw. Darstellung historischer Prozesse. Und obwohl der Text 1935 geschrieben und 1936 veröffentlicht wurde, hat er nichts an Aktualität eingebüßt. Zumindest weisen jährliche Großausstellungen zu österreichischen RegentInnen (aktuell Maria Theresia) oder zahllose Hitler-Dokumentationen (gerade auch) öffentlich-rechtlicher Sender darauf hin.

Ignorierte Muster
Mangelnde historische Sensibilität wird 2017 aber ebenso an anderen Stellen geortet. Ausgerechnet die „Neue Zürcher Zeitung“ beschreibt beispielsweise Finanzkrisen als „blinde Flecken“ in der Wirtschaftsgeschichte und stellt fest: „Das Muster von Finanzkrisen ist meist dasselbe. Dennoch tun sich Wirtschaftshistoriker mit deren Prognosen sehr schwer. Warum ist dies so?“
Eine klare Antwort vermag das konservative Blatt darauf allerdings nicht zu geben, da Finanzkontrollen und „Details“ wie die Eigentumsordnung bzw. -verteilung hier „naturgemäß“ ausgeklammert bleiben. Eine kurze Umfrage unter HistorikerInnen, die sich mehr oder weniger explizit mit diversen „blinden Flecken“ befassen, ist demgegenüber durchaus aufschlussreich.
Psychologisch betrachtet ist ein blinder Fleck das Ergebnis einer Verdrängungsleistung. Nachdem es keine Kollektivpsyche gibt, existieren auf Ebene der Gesellschaft streng genommen auch keine blinden Flecken, gibt Zeithistoriker Florian Wenninger von der Universität Wien grundsätzlich zu bedenken. „Tendenziell werden natürlich trotzdem historische Begebenheiten marginalisiert, wenn sie das Fundament einer gesellschaftlichen Ordnung infrage stellen würden. Sie werden nicht zum Gegenstand öffentlicher Gedenkkultur, finden keinen Widerhall in den Medien und werden kaum beforscht. Thematisiert werden solche subversiven Erinnerungen am ehesten in privaten Zusammenhängen oder Randgruppen.“
Wenninger – er leitet u. a. das Projekt „Repression in Österreich 1933–1938“ – führt im Gespräch dazu weiter aus: „Ein naheliegendes Beispiel sind Gesellschaften, in denen es zu massenhafter Gewalt gekommen ist – über die kann man nicht sprechen, ohne die Frage der Verantwortung aufzuwerfen. Wenn große oder einflussreiche Teile der Bevölkerung in die Taten verwickelt waren, untergräbt das deren Legitimität.“

Fell über die Ohren
Als weiteres Beispiel nennt er die Entstehung unserer Eigentumsordnung. „Historisch gibt es da wenig zu deuteln: An einem bestimmten Punkt in der Geschichte hat eine Minderheit der Mehrheit das Fell über die Ohren gezogen. Wie Honoré de Balzac gesagt hat, steht historisch hinter jedem großen Vermögen letztlich ein Verbrechen. Das hören die Vermögenden aber natürlich nicht gerne – und tun wenig dafür, zur Aufklärung beizutragen.“

Geschichte von unten!?
Umgekehrt haben soziale Bewegungen auch maßgeblich die Erforschung und Darstellung von Geschichte beeinflusst bzw. sind selbst Gegenstand der Geschichtsschreibung geworden. Susan Zimmermann, Professorin an der Central European University in Budapest und Präsidentin der International Conference of Labour and Social History, fordert gerade hier immer wieder neue Perspektiven ein. „In der Geschichtsschreibung zu sozialen Bewegungen gibt es blinde Flecken, insbesondere dort, wo bestimmte mehrfach unterdrückte Gruppen gleichsam ‚Schnittmengen‘ zwischen unterschiedlichen Bewegungen bilden. Diese blinden Flecken sind ein Produkt der Fortschreibung historischer Marginalisierungen durch eine Geschichtsschreibung, die historische Trennlinien reproduziert, die von dominanten Gruppen gezogen wurden.“
So waren etwa sozialistische Frauen in der ArbeiterInnenbewegung zwar präsent und geduldet, aber als Frauen dennoch ins Abseits gedrängt, wie sie erläutert: „In der klassenübergreifenden Frauenbewegung waren diese Frauen ebenfalls präsent, aber als Sozialistinnen marginalisiert. Nicht wenige sozialistische Frauen waren genau wegen und gegen solch doppelte/r Marginalisierung in beiden Bewegungen aktiv. Solange die Geschichtsschreibung nur auf eine der beiden Bewegungen fokussiert, bekommt sie die doppelt marginalisierten Gruppen und ihre Netzwerke und Agenda nicht in den Blick. Wenn sie, umgekehrt, gerade auf diese Gruppen fokussiert, kann sie beginnen, ein ganz neues Bild der Geschichte sozialer Bewegungen zu zeichnen.“

Fehlende Analysen
Klaus-Dieter Mulley, Leiter des Instituts zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterkammern und Gewerkschaften, stößt für die Gewerkschaftsgeschichtsschreibung in eine ähnliche Richtung: „Leidvoll muss festgestellt werden, dass die Geschichte der österreichischen Gewerkschaften und Arbeiterkammern – sieht man von wenigen Ausnahmen ab – sich bislang auf eine organisationsgeschichtliche Beschreibung und auf eine Darstellung von Forderungen und Erfolgen beschränkte.“
Er ergänzt: „Es liegen weder über die maßgebenden RepräsentantInnen der Gewerkschaften, über ihr Verhältnis untereinander, zur Politik und den politischen Parteien, noch über das ‚Innenleben der Gewerkschaften‘ und schon gar nicht über die betriebliche Interessenvertretung empirisch gesättigte Studien vor. Gewerkschaftsgeschichte ist in Österreich (leider noch immer) weitgehend Jubiläums- und Erinnerungsgeschichte.“
Sowohl die Aktivitäten und Schwerpunkte der International Conference of Labour and Social History als auch viele vom Institut zur Erforschung der Geschichte der Arbeiterkammern und Gewerkschaften durchgeführte Projekte bzw. unterstützte Publikationen sind freilich um entsprechende Lückenschlüsse bemüht.
Auch Cornelia Kogoj, Generalsekretärin der Initiative Minderheiten und vielfache Kuratorin, verweist auf einige Positivbeispiele. „Als ich 2015 im Rahmen eines Forschungsprojekts zu Darstellungsformen von Minderheitengeschichte in US-Museen recherchiert habe, war ich beeindruckt, dass das Museum of the City of New York die Geschichte New Yorks über die politischen Kämpfe seiner Minderheiten darstellt.“
In der Dauerausstellung „Aktivist New York“ werde diese Geschichte anhand von Themen wie Immigration, Gender Equality, Religious Freedom oder Political and Civil Rights nähergebracht. „So wird beispielsweise die Frage ‚What has New York to do with Slavery?‘ aufgeworfen oder New Yorks Schlüsselrolle in der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung erzählt“, so Kogoj.

Meilensteine
Für Österreich benennt Kogoj Ausstellungen des Wien Museums wie „Gastarbajteri“ und „Romane Thana“ als wichtige Meilensteine. Florian Wenninger erinnert allerdings daran, dass die „blinden Flecken in der Geschichte“ durchaus auch als Parole „von Rechts“ vereinnahmt werden können.
Aktuell geschieht das z. B. durch die Adelshistorikerin Gudula Walterskirchen. In ihrer Publikation „Die blinden Flecken der Geschichte: Österreich 1927–1938“ schreckt sie sogar nicht vor der (erfundenen) Behauptung zurück, dass der Februaraufstand 1934 eine nationalsozialistische Inszenierung gewesen wäre. Schwarz-braune Beziehungen bleiben hingegen – einmal mehr – ausgespart.

Marketing-Gag
Wenninger kommentiert diese aktuelle Verwendung des Begriffs „blinde Flecken“ folgendermaßen: „Wer für sich als HistorikerIn in Anspruch nimmt, ‚blinde Flecken‘ zu bearbeiten, insinuiert, sich einer verborgenen, von den Mächten totgeschwiegenen Wahrheit anzunehmen. Das ist üblicherweise ein Marketing-Gag“, so der Zeithistoriker. „Perfide wird es dort, wo nach tendenziöser Würdigung der Quellen als Ergebnis übrig bleibt, dass die Opfer selbst schuld sind am Unrecht, das ihnen angetan wurde.“

Internationale Tagung der HistorikerInnen der Arbeiter- und anderer sozialer Bewegungen:
www.ith.or.at/start/d_index.htm
Initiative Minderheiten:
minderheiten.at
Projekt „Opfer politischer Repression“:
www.repression-1933-1938.at
„Der blinde Fleck der Wirtschaftsgeschichte“:
tinyurl.com/y7z7mqad

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor john.evers@vhs.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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John Evers, Erwachsenenbildner und Historiker Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610786 Eine (leider) bezeichnende Aufnahme einer Rede von Karl Renner: Unter den Zuhörenden sind nur Männer zu sehen. Frauen waren in der ArbeiterInnenbewegung zwar präsent, aber dennoch ins Abseits gedrängt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615610735 Die (r)eine Lehre Man stelle sich vor, für einen Studienabschluss im Fach Psychologie wäre es ausreichend, nur über Freud und seine Theorien Bescheid zu wissen, oder an der Fakultät für Politikwissenschaft würde hauptsächlich Leninismus unterrichtet. Für viele Studierende und AbsolventInnen ist die Situation in Ökonomie- und Volkswirtschaftslehre durchaus mit einem solchen Szenario vergleichbar, denn die Bandbreite an Denkschulen wurde in den vergangenen Jahren eher verkleinert als erweitert. „Historisch gesehen nimmt die Vielfalt der an VWL-Instituten gelehrten Theorien und Methoden ab. Die Neoklassik hat im letzten Jahrhundert erfolgreich die Rolle als dominanter theoretischer Ansatz an den Universitäten eingenommen.“ So beschrieben 2014 die AutorInnen der Gesellschaft für Plurale Ökonomik im A&W-Blog die Monokultur an den Universitäten. Pluralismus würde bedeuten, Ideen kritisch und reflexiv miteinander zu vergleichen. Während in anderen Disziplinen Vielfalt selbstverständlich sei und sich widersprechende Theorien als gleichberechtigt gelehrt würden, werde die Volkswirtschaftslehre häufig dargestellt, als gäbe es nur eine theoretische Strömung mit eindeutigem Erkenntnisstand.

Ideenrevival
Viele Ansätze, die vor der Krise weitgehend ignoriert wurden, wären heute (wieder) aktuell, beispielsweise die Finanzinstabilität nach Hyman Minsky. Dessen Thesen zufolge treten Finanzkrisen trotz boomender Wirtschaft auf. Außerdem vertrat er die Auffassung, dass die Finanzierungsprozesse einer kapitalistischen Ökonomie endogene destabilisierende Kräfte entwickeln. Ein weiterer interessanter Ansatz wäre die Schuldendeflation nach Irving Fisher, der überzeugt war, dass die Große Depression 1933 durch die Auswirkungen der Deflation auf die Einkommen und Kreditschulden ausgelöst worden war.
Was hat sich seit 2014 verändert? „Leider ist nicht wirklich viel passiert. Es geht tendenziell eher in die andere Richtung“, berichtet ein Gründungsmitglied der Gesellschaft für Plurale Ökonomik, das namentlich nicht genannt werden möchte. „Wahlfächer mit eher heterodoxen, also von der allgemeinen Lehrmeinung abweichenden Inhalten, finden immer weniger Platz in den unterschiedlichen Curricula. Auch die verpflichtenden Kurse haben sich nicht großflächig und grundlegend geändert.“ Eine Kollegin nennt konkrete Beispiele: „An der WU kommt etwa Minskys Theorie zur Finanzmarktstabilität nur in einem Wahlfach vor. Nun wird ausgerechnet dieser Kurs gekürzt und nur noch einmal jährlich anstatt einmal pro Semester angeboten. Dabei hätte es hier gerade eine große Gelegenheit gegeben, im Zuge der Masterstudienplanreform das Curriculum an der WU anzupassen. Leider wurden die von der Masterstudienvertretung in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Plurale Ökonomik ausgearbeiteten Reformvorschläge und die Einwände einer externen Evaluierungskommission nicht berücksichtigt.“ Somit sei die Lehre weder realitätsnäher noch vielfältiger geworden. Im Gegenteil, durch die Schaffung des Science Tracks, eines „Fast Tracks“ zum PhD, der als Prestigeprojekt betrachtet wird, werde die wissenschaftliche Notwendigkeit einer mathematischen Formalisierung der VWL vorangetrieben und zusätzliches Gewicht auf quantitative Methoden gelegt.

Personalkürzungen
An der WU Wien gibt es zwar schon seit Längerem ein Institut für Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie, das sich mit von der „reinen Lehre“ abweichenden Theorien beschäftigt. Doch seit zehn Jahren hat das Institut keinen ordentlichen Professor mehr. Dies habe zur Folge, dass das Institut marginalisiert werde, da durch die fehlenden formalen Gegebenheiten Zugänge zu Informationen und Infrastruktur sowie Stimmrechte nicht vorhanden sind.
In dem vor rund einem Jahr erschienen Buch „Wirtschaft neu denken – Blinde Flecken in der Lehrbuchökonomie“ rezensiert unter anderem der österreichische Ökonom und Autor Johannes Jäger aktuelle Lehrbücher. Er stellt beim Vergleich zweier Ausgaben eines Standardwerks fest, dass die ältere Ausgabe 1989 marxschen Zugängen noch deutlich mehr Raum zugestanden hat als die aktuelle Auflage 2010.
„Mehr Perspektiven abseits von Neoklassik“ werden nicht nur in Österreich gefordert, sondern weltweit an zahlreichen Unis. Schon 2014 ist daher die International Student Initiative for Pluralism in Economics (ISIPE) entstanden. Zu deren Netzwerk gehören neben der österreichischen Gesellschaft für Plurale Ökonomik (mit Gruppen in Wien, Graz und Innsbruck) mittlerweile mehr als 80 Gruppen in rund 30 Ländern. In einem gemeinsamen Paper fordern sie theoretischen und methodischen Pluralismus in der Lehre. Neben neoklassischer Ökonomik solle auch evolutionäre, feministische, institutionelle, keynesianische, marxsche, ökologische und österreichische sowie Komplexitäts- und Verhaltensökonomik gelehrt werden. Methoden quantitativer und qualitativer Forschung sollen in der Lehre Berücksichtigung finden. Außerdem sollen Methoden und Inhalte aus anderen Disziplinen wie der Soziologie, der Politikwissenschaft, der Psychologie oder der Biologie stärker berücksichtigt werden.

Neue Wirtschaftsmodelle
2010 sorgte Christian Felber mit seinem Buch „Gemeinwohl-Ökonomie“, in dem er ein konkretes alternatives Wirtschaftsmodell entwarf, für reichlich Diskussionsstoff. Heute, nach teils vehementer Kritik seitens zahlreicher ÖkonomInnen, lehrt der studierte Romanist zwar auch an österreichischen Unis und Fachhochschulen, der erste Lehrstuhl für Gemeinwohl-Ökonomie wurde allerdings im spanischen Valencia eingerichtet. Kürzlich empfahl der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss EWSA, das Gemeinwohl-Ökonomie-Modell sowohl in den europäischen als auch in die einzelstaatlichen Rechtsrahmen zu integrieren – ein Zeichen dafür, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht nur „linke ReformerInnen“ zum Nachdenken über neue Wirtschaftsmodelle abseits des Wachstumsparadigmas angeregt hat. Die OECD startete 2012 mit der Initiative NAEC (New Approaches to Economic Challenges) einen umfassenden Reflexionsprozess. Multidimensionale Betrachtungsweisen sollen in den Vordergrund gestellt, gesellschaftliche Probleme und Verteilungsaspekte stärker transdisziplinär betrachtet werden.
Inwieweit das Nachdenken über Ideen abseits des neoliberalen Mainstreams tatsächlich zu Veränderungen führt, bleibt abzuwarten. Im Jahr 2015 sprach etwa der Ökonom Stephan Schulmeister bei einer NAEC-Veranstaltung in Wien von einem regelrechten „Theoriekrieg in der Wissenschaft“. Der österreichische Nationalökonom Friedrich August von Hayek habe exemplarisch gezeigt, dass eine regelrechte PR-Maschinerie nötig sei, um neue Ideen zu verbreiten und durchzusetzen. Er ging davon aus, dass auch in einer Demokratie politische Entscheidungen nur entfernt über Wahlen getroffen würden. Die Richtung würden die dominierenden intellektuellen Strömungen vorgeben, die ihre Öffentlichkeitswirksamkeit etwa über JournalistInnen und LehrerInnen aufbauen. Die Produzenten der Theorien seien die „original thinkers“, während die „second-hand dealers“ die Ergebnisse der Ideologieproduktion in der Gesellschaft wirksam werden lassen könnten. Die Rolle der „second-hand dealers“ ordnete Hayek den Thinktanks zu. Dementsprechend gründete er 1947 die Mont Pèlerin Society (MPS), eine Denkfabrik mit dem Ziel, zukünftige Generationen vom Wirtschaftsliberalismus zu überzeugen. Das von einem MPS-Mitglied 1981 gestiftete Atlas Network umfasst heute mehr als 450 „free-market organizations“ in 95 Ländern. Den Einfluss des Netzwerks auf die Politik hat Erwin Wagenhofer in seiner Doku „Let’s Make Money“ 2008 eindrucksvoll dargestellt. Eine Art Update dazu lieferte kürzlich die ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“.

Blogtipp: „Was braucht die Ökonomie?“:
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Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610702 Mehr Perspektiven in der Ökonomie abseits der "Neoklassik" werden nicht nur in Österreich gefordert, sondern weltweit an zahlreichen Unis. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610710 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615610688 Im Mittelpunkt die Fakten Vor den Lohnverhandlungen rauchen in den Abteilungen für Wirtschaftswissenschaft und Betriebswirtschaft der AK die Köpfe. Denn was die ExpertInnen auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse austüfteln, bildet später eine der Grundlagen für die gewerkschaftlichen Positionierungen in den KV-Verhandlungen.

Analysen mit vielen Fragen
Basis ist die traditionelle Lohnleitlinie der Benya-Formel. Sie lautet: Die Löhne sollen um die Summe aus mittelfristigem Wachstum der gesamtwirtschaftlichen Produktivität und Inflationsrate steigen.
Die ExpertInnen haben bei ihren Analysen folgende Fragen im Kopf: Wie passt diese Formel ins aktuelle Bild von Wirtschaftslage und -aussichten? Wie steigen die Löhne bei den Handelspartnern? Wie entwickelt sich die Einkommensverteilung in Österreich? Wie steht es um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen im Export? Welche Impulse braucht die Konsumnachfrage der Haushalte? Auf dieser Basis werden Analysen zur Gesamtwirtschaft und zur jeweiligen Branche erstellt. Diese fußen auf den Expertisen der eigenen Fachleute, dazu kommt die Expertise der Wirtschaftsforschungsinstitute.
All diese komplexen Zusammenhänge sowie die wirtschaftswissenschaftlichen Fakten müssen für die Verhandlungen freilich aufbereitet werden. Dabei macht es sich bezahlt, dass die AK-Fachleute in der Ausbildung von BetriebsrätInnen und GewerkschaftsfunktionärInnen eine wesentliche Rolle spielen und auch danach den regelmäßigen Meinungsaustausch pflegen: Gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge, internationale Vergleichszahlen und das Prinzip der Faktenbasierung als Grundlage interessenpolitischer Auseinandersetzung sind allen Beteiligten wohlvertraut.

Rolle als ÜbersetzerInnen
Auch die Arbeit&Wirtschaft trägt zur Übersetzung der Sachverhalte entscheidend bei, ebenso der A&W-Blog, der sich in den vergangenen vier Jahren als größter sozial- und wirtschaftspolitischer Blog Österreichs etabliert hat. Auf dem Blog werden laufend aktuelle Sachverhalte und wirtschaftspolitische Einschätzungen für die interessierte Öffentlichkeit publiziert.
Grundlagen für eine wirtschaftspolitische Auseinandersetzung zu schaffen, die auf Fakten basiert – dies war von Beginn an wesentlicher Eckpfeiler der Zusammenarbeit von Gewerkschaften und AK. Im Jahr 1920 bekamen die ArbeitnehmerInnen mit der Schaffung der Arbeiterkammer erstmals eine den Handelskammern gleichgestellte Stimme vor dem Gesetz. Bereits damals wurde die Erforschung der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge aus Perspektive der Beschäftigten als essenziell für eine starke gewerkschaftliche Vertretung ihrer Interessen erachtet.
Der erste Präsident der Wiener AK Franz Domes definierte die Aufgabe folgendermaßen: „die Wirtschaft zu durchleuchten, sozialpolitisch das Gestrüpp gesetzlicher Einrichtungen zu durchdringen und arbeitsrechtlich alles verteidigen zu helfen“. Dahinter stand die Idee, dass die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften steigt, wenn ihre Forderungen und Maßnahmen auf faktenbasierten Argumenten fußen.

Wohlstand für die Allgemeineit
Bald nach der Wiedereinrichtung der AK nach dem Zweiten Weltkrieg wurde diese Tradition fortgesetzt. Den Gewerkschaften erschien es von essenzieller Bedeutung, in der Vertretung der Interessen der breiten Masse der Bevölkerung über ein gutes Verständnis der gesamtwirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu verfügen.
Mit der Gründung der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung im Jahr 1957 kamen ExpertInnen in die AK, deren Ziel ein möglichst hoher Wohlstand für die Allgemeinheit war. Ein zentraler Gedanke bestand darin, die negativen Auswirkungen von Massenarbeitslosigkeit nicht nur in sozialer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu beleuchten. Durch aktiv steuernde Konjunkturpolitik, fundierte Investitionsplanung, fortschrittliche Bildungspolitik sowie eine ausgleichende Umverteilung durch sozial- und steuerpolitische Maßnahmen sollten ein rascher wirtschaftlicher Aufholprozess und Vollbeschäftigung angesteuert werden.
Ein prägendes Vorbild bildeten dabei die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten mit ihrer fortschrittlichen Sozial- und Wirtschaftspolitik, die eine faire Beteiligung der ArbeitnehmerInnen am gesamtwirtschaftlichen Wohlstand ermöglichte.
Für die daraus resultierende Forschung war von Beginn an auch die Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen wie etwa dem Wirtschaftsforschungsinstitut entscheidend. Dort wurde die Idee eines wirtschaftspolitisch aktiven Staates geteilt, der in Krisen aktiv gegensteuert. Erforscht wurde etwa die Wirkung von Investitionen auf Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Im Vordergrund standen wegen der außergewöhnlichen Herausforderungen der Nachkriegszeit (Preisregulierung, Versorgungsproblematiken und staatliche Planung) zunächst sehr praktische Überlegungen der Wirtschaftspolitik. Wichtig war es, belastbares Datenmaterial für fundierte Analysen und wirtschaftspolitische Entscheidungen aufzubereiten.
Bis heute ist eine tragfähige Gesprächsbasis zwischen Kammer und Österreichischem Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) entscheidend, um Detailinformationen, qualitative Einschätzungen und Erwartungen austauschen zu können.

Reger Austausch
Nicht nur mit der Konjunkturforschung pflegt die Wirtschaftswissenschaft der AK bis heute regelmäßigen Austausch, sondern auch mit den Universitäten. Wissenschaft in einer Interessenvertretung zu betreiben hat dabei einige Besonderheiten: Prägend sind ein klares emanzipatorisches Weltbild und ein besonderes Augenmerk auf strategisch wichtige Bereiche wie die Verteilungsforschung, die Budget- und Beschäftigungspolitik oder die Arbeitsbeziehungen.
Vor allem in diesen Forschungsgebieten findet eine Vernetzung mit den Universitäten statt, und das stets auf Augenhöhe. Denn den AK-Fachleuten geht es nicht um Ökonomie als l’art pour l’art oder als akademische Fliegenbeinzählerei. Für sie steht relevante Ökonomie im Mittelpunkt: Wirtschaftswissenschaft mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen.
Besonderes Augenmerk gilt dabei dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Die AK-Fachleute lehren an den Universitäten und Fachhochschulen, Studierende mit besonders relevanten Masterarbeitsthemen wirken als ForschungsassistentInnen in der AK mit, die jährliche Young Economists Conference, bei der der renommierte Eduard-März- Preis – benannt nach dem ersten Leiter der Wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung – vergeben wird, hat inzwischen Tradition. Die jungen österreichischen Ökonomie-Studierenden profitieren dabei auch von den guten internationalen Kontakten der AK.
Die TopökonomInnen der Welt stellen ihre Forschungsergebnisse im Rahmen gutbesuchter AK-Veranstaltungen vor. In der Verteilungsforschung reicht die Liste der Vortragenden von Thomas Piketty bis Gabriel Zucman, in der gesamtwirtschaftlichen Analyse von Gustav Horn bis Özlem Onaran. So finden die neuesten internationalen wissenschaftlichen Erkenntnisse Eingang in die öffentliche und politische Debatte in Österreich.

Fakten und Kooperation
Österreichs Gewerkschaftsbewegung ist beim Erkämpfen von Arbeitsstandards und Sozialstaat auch deshalb so erfolgreich, weil sie ihre Politik stets auf Fakten basiert und immer offen für eine Kooperation mit der Wissenschaft ist.
Der Wirtschaftswissenschaftlichen Grundsatzabteilung in der AK kommt dabei eine wichtige Aufgabe zu. Sie führt eigene Forschungsarbeiten durch, beteiligt sich intensiv an der wissenschaftlichen und politischen Debatte und pflegt den Austausch mit internationalen ForscherInnen. Das Ziel ist, den gesellschaftlichen, sozialen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt für die ArbeitnehmerInnen nutzbar zu machen.

Homepage Wirtschaftswissenschaften/Arbeiterkammer Wien:
tinyurl.com/y9lvjk3w

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen markus.marterbauer@akwien.at und romana.brait@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Romana Brait, Markus Marterbauer, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610664 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615610646 Forschungsstandort Österreich Österreichs Wirtschaft kann im Wettbewerb nur mit Qualität, technologischem Vorsprung und hoher Wertschöpfung bestehen. Die Alternative wäre ein Wettbewerb über den Preis allein – dieser aber erzeugt Lohndruck und wirkt sich mittelfristig nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit aus.
Innovation, Forschung und Entwicklung sind daher wichtige Schlüssel für die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen, wie eine im Auftrag der AK durchgeführte Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) nachweist. Das heißt aber auch, dass in den Bereich der Qualifikation, der Aus- und Weiterbildung investiert werden muss, insbesondere im Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung. Eine gute Forschungspolitik hat eine entsprechend zielorientierte Bildungspolitik als Voraussetzung.

Zweithöchste Forschungsquote
Bei Forschung und Entwicklung (F&E) hat Österreich in den letzten 25 Jahren stark aufgeholt, inzwischen hat es die zweithöchste Forschungsquote in der EU erreicht. Trotzdem zählt Österreich nicht zu den führenden Innovationsländern in der EU, neben anderen Faktoren auch wegen der eher durchschnittlichen AkademikerInnenquote. Österreichs Ausgaben für Forschung und Entwicklung haben sich seit Beginn der 1990er-Jahre mehr als verdoppelt, sie lagen 2015 bei 3,12 Prozent gemessen am BIP (die sogenannte F&E-Quote). Der Durchschnitt der EU-28 beträgt 1,96 Prozent, in der OECD sind es 2,38 Prozent.

Ziel nicht mehr erreichbar
Selbst die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise führte nur zu einem kurzfristigen leichten Rückgang. Damit hat Österreich das traditionelle Vorzeigeland Finnland weit überholt. Dessen F&E-Quote sinkt übrigens von Jahr zu Jahr (2010 lag sie noch bei 3,64 Prozent, 2015 waren es nur mehr 2,9 Prozent).
Österreich hat somit die zweithöchste F&E-Quote in der EU hinter Schweden mit 3,28 Prozent. OECD-weit liegt Österreich an sechster Stelle und zählt auch zu den Spitzenländern, was die Förderung von F&E im Unternehmenssektor betrifft.
Was die Finanzierung von Unternehmensausgaben für F&E durch die öffentliche Hand angeht, wird Österreich mit 12 Prozent innerhalb der EU nur von Ungarn und Rumänien übertroffen. Der Wert ist etwa doppelt so hoch wie der EU-Durchschnitt und bis zu siebenmal so hoch wie jener der im EU-Innovationsranking 2017 ausgewiesenen „Innovation Leaders“ Schweden, Dänemark, Finnland, Niederlande, Vereinigtes Königreich und Deutschland. Österreich zählt damit zur Gruppe der „Strong Innovators“.
Die Forschungsquote 2017 liegt in Österreich bei 3,14 Prozent. Die Bundesregierung hat jedoch bereits 2011 in ihrer Forschungsstrategie festgelegt, dass sie diese deutlich erhöhen möchte: Das Ziel wurde mit 3,76 Prozent für 2020 festgelegt. Aufgrund der Budgetziele und der bis vor Kurzem noch eher verhaltenen Konjunktur scheint dieses äußerst ehrgeizige und eher willkürlich festgelegte Ziel nicht mehr erreichbar. Hinzu kommt noch ein strukturelles Problem bei den F&E-Ausgaben: Der Anteil der Finanzierung der gesamte F&E-Ausgaben Österreichs durch die öffentliche Hand ist mit 36 Prozent immer noch zu hoch, der Beitrag der heimischen Wirtschaft liegt nur bei mageren 48 Prozent.

Weitere Investitionen nötig
Die europäischen Zielvorgaben und die österreichische Forschungsstrategie sehen vor, dass maximal ein Drittel der Förderungen von der öffentlichen Hand finanziert wird, mindestens zwei Drittel sollen von den Unternehmen selbst kommen. Selbst wenn man den – international gesehen – sehr hohen Finanzierungsanteil durch Unternehmen aus dem Ausland hinzuzählt, werden kaum 64 Prozent erreicht. Möchte man am Ziel der Bundesregierung, die F&E-Quote maßgeblich zu steigern, festhalten, sind noch weitere Investitionen in den Bereich Forschung, Technologie, Innovation (FTI) notwendig – insbesondere seitens der Wirtschaft, aber auch seitens der öffentlichen Hand.
Die steuerliche (indirekte) Forschungsförderung, heute in Form einer Prämienauszahlung, hat die direkte weit überholt. In den letzten 15 Jahren wurde die Forschungsprämie schrittweise von 3 Prozent auf 12 Prozent angehoben und damit massiv ausgebaut, ohne dass jemals eine eingehende Evaluierung der Auswirkungen auf Unternehmensebene durchgeführt wurde.

Fehlende Qualitätskontrolle
Dabei wird die Kritik immer lauter, dass diese Förderung nach dem Gießkannenprinzip mit höheren Mitnahmeeffekten einhergehe. Zudem fehle im Vergleich zur direkten Forschungsförderung erstens die Qualitätskontrolle und zweitens sei der durch die Förderungen erzielte Zuwachs an Forschungsleistungen im Unternehmen deutlich geringer.
Daten der Statistik Austria belegen, dass die F&E-Ausgaben im Unternehmenssektor in Österreich auf relativ wenige (große) Unternehmen konzentriert sind und daher ein geringer Teil der heimischen Unternehmen von der steuerlichen Forschungsförderung in einem überproportionalen Ausmaß profitiert: Auf die forschungsstärksten 40 Unternehmen entfallen 50 Prozent der F&E-Ausgaben.
Gemäß Schätzung der Statistik Austria wird die Prämienauszahlung 2017 bereits 628 Millionen Euro betragen. Die 2017 erstmalig durchgeführte Evaluierung wurde auch gleich zum Anlass genommen, die Forschungsprämie auf 14 Prozent (für Wirtschaftsjahre ab 2018) zu erhöhen, obwohl die Evaluierungsstudie aufgrund unzureichender Verfügbarkeit von Daten nur eingeschränkt aussagekräftig ist (wie im Übrigen von den AutorInnen selbst angemerkt wird). Des Weiteren fehlt der Konnex zur direkten Forschungsförderung. Dies würde jedenfalls ab 2019 zu entsprechend stark erhöhten Prämien führen.
Eine Neuorientierung in der Förderungspolitik ist dringend notwendig. Die öffentliche Hand darf sich –  im Sinne der Ökonomin Mariana Mazzucato – nicht auf das Setzen von Rahmenbedingungen und den Ausgleich von Marktversagen durch direkte und indirekte Förderungen beschränken. Sie muss langfristig vielmehr auf Nachhaltigkeit bedacht sein, strategisch planen und dabei auch eigenständige Impulse durch Investitionen in F&E und F&E-Infrastruktur setzen.
Das gilt insbesondere dort, wo gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen sind (z. B. Umwelt, Klima, Gesundheit, Alter) und/oder vielversprechende industriepolitische Ansätze vorhanden sind und privates Kapital (vorerst) aufgrund des hohen Risikos oder mangels ausreichender Rendite ausbleibt.

Umfassende Analyse zu empfehlen
Betreffend Forschungsprämie wäre eine ausführliche und umfassende Wirkungsanalyse des gesamten Fördersystems Österreichs, insbesondere im Hinblick auf eine bessere Abstimmung zwischen direkter und steuerlicher Forschungsförderung, zu empfehlen. Zu prüfen wäre auch eine Differenzierung der Förderungsprozentsätze nach Unternehmensgröße sowie die Einführung einer betragsmäßigen Obergrenze pro Unternehmen. Jedenfalls sollte die Überprüfung des Anspruchs auf eine Forschungsprämie durch die Forschungsförderungsgesellschaft FFG nicht nur für die eigenbetriebliche Forschung, sondern auch für die Auftragsforschung erfolgen.

Betriebsräte einbeziehen
Förderungsprogramme, die ArbeitnehmerInnen unmittelbar betreffen, wie Digitalisierung, Industrie 4.0 oder Nanotechnologie, sind unter Einbindung der ArbeitnehmerInnenorganisationen zu entwickeln. Auf Unternehmensebene sind die jeweiligen Betriebsratskörperschaften in die konkrete Umsetzung einzubeziehen.

European Innovation Scoreboard 2017,  European Commission 2017:
tinyurl.com/yb32hahb
Miron Passweg, Unternehmensförderungen: Forschungsprämie Reloaded, Wirtschaftspolitik – Standpunkte 26/2017, AK Wien:
tinyurl.com/yc4d6uzk
Main Science and Technology Indicators – Volume 2017/1, OECD 2017:
www.oecd.org/sti/msti.htm
Martin Falk, Innovation und Beschäftigung, WIFO, Juli 2013:
tinyurl.com/ybomt5sg

Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor miron.passweg@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Miron Passweg, Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610639 Großansicht der Infografik - siehe Download http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615610613 Öffentliche Risiken, private Profite? Innovation ist das unübertroffene Modewort in wirtschaftspolitischen Debatten. Damit werden Forderungen nach Investitionen in Forschung und Bildung begründet. In Österreich betonte der damals neue Bundeskanzler Christian Kern die grundsätzliche Verantwortung des Staates, nicht nur Forschungsfinanzierung und Investitionsanreize bereitzustellen, sondern selbst Risiko auf sich zu nehmen und die Entwicklungsrichtung zu gestalten. Hiermit beruft er sich auf neue Erkenntnisse der US-Ökonomin Mariana Mazzucato, die diese in ihrem Buch „Das Kapital des Staates“ publizierte.

Wachstum und Beschäftigung
Doch zunächst muss eine grundlegende Frage geklärt werden: Was ist Innovation? Aus ökonomischer Sicht geht es hier um die Realisierung einer neuartigen, fortschrittlichen Lösung für ein bestimmtes Problem, insbesondere die Einführung eines neuen Produkts. Die Entwicklung neuer Produkte soll für Wachstum und damit nachhaltige Beschäftigung sorgen, innovative Wirtschaftsräume gelten zudem als besonders wettbewerbsfähig, allen voran das US-amerikanische Silicon Valley. Aber woher kommen diese Innovationen?
Im standardökonomischen Ansatz, der heute noch in Managementseminaren, aber auch an Hochschulen gelehrt wird, sind sie das wundersame Resultat des Zusammenspiels von Risikokapital, Konsum und Marktkräften. EntrepreneurInnen erkennen Probleme, kombinieren existierende oder entwickeln neue Technologien und bieten Lösungen oder versorgen uns mit noch nie dagewesenen Konsumgütern.

Staatlich finanzierte Vorarbeiten
Der Privatsektor ist in dieser Sichtweise nicht nur imstande, Neuerungen hervorzubringen, sondern auch den Innovationsprozess in die richtige Richtung zu lenken. In der besonders dogmatischen Auslegung gilt der Staat sogar als ein Übel, das „gute“ Forschung verdrängt. Immerhin sind die Erträge aus staatlichen Forschungsprogrammen vernachlässigbar klein, vor allem, wenn sie mit Entwicklungen wie jenen im Silicon Valley verglichen werden.
In ihrem Buch „Das Kapital des Staates“ setzt Mariana Mazzucato diesem Ansatz die historischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts entgegen. Sie zeigt, dass nahezu alle großen technologischen Revolutionen ohne staatliche Investitionen erst gar nicht möglich gewesen wären. Bahnbrechende Erfindungen, etwa das Internet, GPS, Halbleiter oder der Touchscreen sind allesamt Resultat staatlich finanzierter Forschung. Die Apples und Googles dieser Welt sind Unternehmen, welche die Ergebnisse jahrzehntelanger staatlich finanzierter Grundlagenforschung zur Marktreife entwickeln konnten. Hätten öffentliche Einrichtungen und Fonds sie nicht zu ihrer Mission erklärt und investiert, wäre die IT-Revolution nicht möglich gewesen. Eine ähnliche Herausforderung ist der Umstieg auf erneuerbare Energien. Auch in diesem Bereich gelten Staaten mit ihren Institutionen als Innovationsführer und fördern Projekte, auf denen in Zukunft zahlreiche weitere aufbauen werden – auch privatwirtschaftliche. So können heute Windparks entstehen, weil bereits vor Jahrzehnten staatliche Mittel in die Entwicklung entsprechender Turbinen geflossen sind und der Strommarkt speziell reguliert ist.

Neue Ideen
„In der Biotechnologie, Nanotechnologie und beim Internet floss Wagniskapital erst 15 bis 20 Jahre, nachdem staatliche Fonds die ersten Investitionen getätigt hatten“, schreibt Mazzucato. Allgemeiner formuliert sie: „Und wirklich zeigt die Geschichte, dass diejenigen Bereiche der Risikolandschaft, die sich durch hohe Kapitalintensität und hohe technische und Marktrisiken auszeichnen, vom Privatsektor in der Regel gemieden werden. Staatliche Finanzierung in erheblichem Umfang sowie Vision und Führung des staatlichen Sektors waren erforderlich, um sie in Gang zu bringen.“
Mazzucato räumt auch mit der herrschenden ökonomischen Meinung auf, dass sich die Rolle des Staates auf die Bereinigung von Marktversagen beschränken solle. Dieser Sicht zufolge sorgt der Staat nur für die Bedingungen, die Innovationen ermöglichen. Somit wird dem Staat eine passive Rolle als bloßer Unterstützer zugeschrieben. Dabei wird aber missachtet, dass der Staat vor allem auch als Risikoträger auftritt, so Mazzucato. Denn Staaten sind dazu in der Lage und bereit, Risiken zu tragen, welche privatwirtschaftliche Unternehmen nicht eingehen. Dies bezieht sich vor allem auf Projekte, die von großer Unsicherheit geprägt sind, bei denen nicht abschätzbar ist, ob sie jemals in marktreife Produkte münden werden, geschweige denn wann. Dieser „Unternehmerstaat“, wie Mazzucato ihn nennt, „investiert in Bereiche, in die der private Sektor nie investieren würde. Und eben diese Rolle – der Staat als risikobereiter Visionär – wird ignoriert.“

Geschenke an Unternehmen
Sind derartige staatlich finanzierte oder geförderte Investitionen allerdings erfolgreich, sollten die daraus erzielten Gewinne nicht leichtfertig den privaten Unternehmen überlassen werden, welche die Innovation umsetzen. „In vielen Fällen waren staatliche Investitionen wie Geschenke an die Unternehmen, sie machten einzelne Personen und ihre Unternehmen reich, brachten aber der Volkswirtschaft insgesamt und dem Staat sehr wenig (direkten und indirekten) Gewinn“, schreibt Mazzucato. Als Beispiele nennt die Ökonomin die Pharmaindustrie und die IT-Branche, „wo wagemutige staatliche Investitionen die privaten Gewinne haben sprudeln lassen“. Das Problem: „Das Geld wurde dann in Sicherheit gebracht und floss nicht etwa in Form von Steuern an den Staat zurück.“ Im Gegensatz dazu soll der Staat nach Mazzucatos Vorstellung aktiv den Innovationsprozess fördern, lenken – und folglich auch an den Gewinnen beteiligt sein. Dabei geht es auch darum, die Begriffe im Diskurs um staatliche Investitionen mit neuen Inhalten zu besetzen.
Doch verdrängen staatliche Investitionen nicht private InvestorInnen, wie dies KritikerInnen von konservativer Seite gerne einwenden? Mazzucato verneint dies vehement. Für sie lautet der springende Punkt vielmehr: „Wenn die Hand des Staates effizient funktioniert, ist sie fest, aber nicht schwer; sie bringt Vision und den dynamischen Druck (und ein paar Anreize dazu – obwohl man mit Anreizen allein weder die IT-Revolution in der Vergangenheit bekommen hätte noch die grüne Revolution von heute bekommen wird), um Dinge möglich zu machen, die sonst nicht möglich geworden wären. Das staatliche Handeln soll den Mut der privaten Unternehmer verstärken.“

Schumpeter und Keynes
Mazzucato erhielt ihren PhD an der abseits des Mainstreams einschlägigen, aber auch darüber hinaus anerkannten New Yorker „New School for Social Research“ und ist Teil des Institute for New Economic Thinking, das sich der Förderung alternativer Ansätze verschrieben hat. Theoretisch basieren ihre Ideen auf einer Verknüpfung der Arbeiten von Josef Alois Schumpeter zum UnternehmerInnentum mit den dynamischen Konzeptionen nach John Maynard Keynes. Schumpeter sah die Funktion ökonomischen Wettbewerbs nicht bloß in der Herausbildung einheitlicher Preise, sondern stellte die dynamische Wirkung auf technologische und soziale Entwicklung in den Vordergrund. Die postkeynesianische Theorieschule betont die Bedeutung eines umfassenden und aktiv eingreifenden öffentlichen Sektors für die wirtschaftliche Stabilität. Das erklärt auch die klare Abgrenzung zur ökonomischen Orthodoxie. Beide Theoriestränge werden heute dem Gebiet der sogenannten Heterodoxen Ökonomie zugeordnet, die – wie u. a. die Gesellschaft für Plurale Ökonomik häufig kritisiert – um akademische Anerkennung und in der Folge auch um Forschungsgelder und bezahlte Forschungsstellen ringen muss (siehe auch „Die  (r)eine Lehre“).
Das zeigt, dass die Verantwortung des Staates bei Produktinnovationen nicht endet. Mittel- bis langfristig müssen alternative, kritische und progressive Ansätze zur Wirtschaftswissenschaft gefördert werden, damit derartige wirtschaftspolitische Erkenntnisse gewonnen werden können, aber auch die ihnen zustehende Beachtung finden.

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Gesellschaft für Plurale Ökonomik Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610600 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610592 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615610512 Mittel und kein Ziel Die Studierenden mögen doch bitte ihre Zeit nutzen, um ihr Wissen über das eigene Fach hinaus zu erweitern. Denn später hätten sie die Zeit dafür nicht mehr. Diesen Tipp gab Maximilian Gottschlich, Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Das war Mitte der 1980er-Jahre.
Mittlerweile haben sich die Zeiten geändert, auch Studierende haben keine Zeit mehr für breit gefächerte Neugier und freies Nachdenken. Der Grund: Das Bologna-System hat zu einer Überladung und Verschulung aller Studiengänge geführt. Keine Zeit zu haben gilt heutzutage aber erst recht für das Lehr- und Forschungspersonal an den Universitäten und Forschungsinstitutionen.

Zunehmende Ökonomisierung
Ursache des Zeitmangels ist die zunehmende Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die Universitäten als „Ort rastloser Betriebsamkeit“ erscheinen lässt, wie der Innsbrucker Bildungswissenschafter und Psychoanalytiker Josef Christian Aigner im Jänner 2017 in einem Kommentar in der Furche schrieb. Befristet angestellte JungwissenschafterInnen würden Forschungsanträgen hinterherhecheln, deren Erfolgswahrscheinlichkeit oft unter 20 Prozent liege.
Eine Laufbahnstelle, also eine unbefristete Anstellung an einer Universität, ist ein rares Gut geworden. Laut Forschungsaktionsplan der Regierung wurde im Jahr 2013 bereits ein Viertel des wissenschaftlichen Personals über Drittmittel finanziert, an manchen technischen Universitäten ist es schon die Hälfte.

Erhöhter Leistungsdruck
Dies ist kein Zufall, sondern so gewollt. Für die Hintergründe muss man in das Jahr 2002 zurückgehen, als das Universitätsgesetz in Kraft trat. Seit damals sind die Universitäten juristische Personen des öffentlichen Rechts, die vom Bund auf jeweils drei Jahre finanziert werden, wofür sie detaillierte Leistungsvereinbarungen abschließen und erfüllen müssen.
Die Vollrechtsfähigkeit gab den Unis mehr Selbstständigkeit, erhöhte aber auch den Leistungsdruck. „Die Kollegen nebenan am Institut für Molekulare Pathologie werden von Boehringer Ingelheim finanziert, die vom Institut für Molekulare Biotechnologie Austria und dem Gregor Mendel Institute von der Akademie der Wissenschaften“, sagt Kristin Teßmar-Raible, die im Vienna Biocenter an den Max F. Perutz Laboratories der Universität Wien arbeitet. „Sie haben dadurch ein Grundbudget, das ihnen den Freiraum gibt, auch Projekte mit höherem Risiko über einen längeren Zeitraum durchzuführen.“
Teßmar-Raible hat sich gemeinsam mit KollegInnen für eine interdisziplinäre Forschungsplattform der Universität Wien beworben. Erforscht werden soll die biologische „Monats-Uhr“ eines marinen Borstenwurms, die die Reproduktion und Regeneration beeinflusst. Erkenntnisse darüber, wie diese Uhr auf molekularer Ebene gesteuert wird, könnten auch für den Zyklus des Menschen interessant sein.
Die Forschungsplattform sei von der Uni für sechs Jahre gut dotiert worden, sagt Teßmar-Raible. Danach müsse sie sich aber wieder um Forschungsförderungen bemühen. Etwa ein Viertel ihrer Arbeitszeit wende sie für Anträge und deren Abrechnung auf. Bevor ein Projekt abgeschlossen sei, müsse man schon an die nächsten Anträge denken. „Ich würde mir wünschen, dass es eine finanzielle Grundausstattung gibt, damit keine Finanzierungslöcher entstehen“, sagt die Chronobiologin. Sollte es zu einem Loch kommen, müsste qualifiziertes Laborpersonal gekündigt, die Vermehrung von genetisch veränderten Pflanzen oder Tieren gestoppt werden. Bis man ein Labor nach einer Förderzusage wieder hochgefahren habe, vergehe viel Zeit. Das wiederum bedeute einen Nachteil im internationalen Forschungswettbewerb, denn in der Schweiz beispielsweise gebe es generell mehr Basisfinanzierung der Forschung.

Schwierige Finanzierung des Betriebs
Eine solche Basisfinanzierung vermissen auch die ForscherInnen der FORBA, der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt. „Früher haben wir eine geringe Basissubvention vom Bund bekommen“, sagt FORBA-Geschäftsführer Thomas Riesenecker-Caba. „Aber die gibt es schon seit Jahren nicht mehr.“ Die FORBA muss also Drittmittel einwerben, um ihre rund 15 wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und das Verwaltungspersonal bezahlen zu können. „Früher war es leichter, an EU-Programmen zu partizipieren. Der administrative Aufwand war geringer und die Chancen waren größer“, so Riesenecker-Caba. Heute fördere die EU aber lieber wenige große Projekte. Dazu kommt ein Problem, das alle nicht universitären Forschungsinstitutionen und freiberuflichen ForscherInnen haben: Wie finanziert man den Overhead, also die Kosten für Miete, Infrastruktur und Personal, die nicht direkt einem Projekt zuzuordnen sind? Und wie die Zeit, bis das Fördergeld am Konto einlangt, wenn der Großteil erst am Ende eines Projektes ausgezahlt wird?

Sponsor weg
Wie schwierig es sein kann, wenn man Forschung teilweise aus der Wirtschaft finanziert, hat auch Gunther Maier erlebt, der an der Wirtschaftsuniversität (WU) das 2007 gegründete Forschungsinstitut für Raum- und Immobilienwirtschaft leitet.
Ursprünglich wurde das Institut von der Immofinanz AG und später auch von der ERESNET GmbH gesponsert. „Wir haben mit diesem Geld Dissertanten finanziert, die für die Dauer ihrer Forschungsarbeit angestellt wurden“, erklärt Gunther Maier. Mit den Sponsoren sei eine grundlegende Ausrichtung des Instituts festgelegt worden, daraus seien aber keine konkreten Forschungsaufträge abgeleitet worden. „Wir wollen die Immobilienwirtschaft auf eine solidere wissenschaftliche Basis stellen, Marktbeobachtung oder Gutachten zu Standortfragen sind nicht unser Thema“, so Maier. Die Immofinanz schlitterte im Herbst 2008 jedoch in die Krise. Derzeit hat das Institut keinen Sponsor.
Insgesamt wird die Forschung an der WU aber hauptsächlich vom Bund finanziert: Die Kosten für wissenschaftliches Personal betrugen im Jahr 2016 rund 61 Millionen Euro; an Erlösen, also Drittmitteln aus verschiedenen Quellen, wurden 12 Millionen Euro eingenommen. Davon stammen circa 16 Prozent aus EU-Fördermitteln. Bei Bewilligungsquoten im einstelligen Bereich bei manchen EU-Schienen sei es jedoch fraglich, ob man den eigenen ForscherInnen noch guten Gewissens zu einer Einreichung dort raten könne, heißt es seitens der WU.
Für das Jahr 2017 werden die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Österreich voraussichtlich 11,3 Milliarden Euro ausmachen. Das sind 3,14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Davon stammen 48 Prozent von den österreichischen Unternehmen. Ein Teil der Unternehmensforschung wird vom Bund über die Forschungsprämie (2016 waren dies 530 Millionen Euro) und die von der Forschungsförderungsgesellschaft FFG abgewickelten Programme finanziert.

Mehr Budget als die öffentliche Hand
In den OECD-Ländern kamen im Jahr 2015 nur rund ein Fünftel der gesamten Forschungsausgaben von der öffentlichen Hand, mehr als zwei Drittel kamen von der Industrie.
Die Firma Roche zum Beispiel habe mehr Forschungsbudget als die öffentliche Hand in Österreich, sagt Klement Tockner, der seit September 2016 Präsident des Wissenschaftsfonds FWF ist.

Dunkles Wissen
Er kritisiert, dass viel Wissen, das auf diese Weise generiert werde, nicht an die Öffentlichkeit gelange – es sei „dark knowledge“. Es komme dadurch zu einer Oligopolisierung des Wissens und dazu, dass viele Forschungsfragen gar nicht gestellt werden, weil sich keine Finanzierung dafür findet oder deren Beantwortung aus wirtschaftlichen, ideologischen oder politischen Gründen nicht erwünscht ist. „Umfangreiches Wissen ist aber einer der Grundpfeiler einer aufgeklärten Demokratie“, mahnt Tockner. Es brauche daher massive Investitionen der öffentlichen Hand in frei zugängliche Wissenschaft und Forschung. Der FWF vergebe seine Forschungsförderungsmittel (2016 waren das 183,8 Millionen Euro) im fairen Wettbewerb rein nach internationalen Qualitätskriterien, nicht nach politischen Vorgaben oder Fachgebiet. Denn „Drittmittel sind Mittel und kein Ziel“, so Klement Tockner.

Forschungs- und Technologiebericht 2017:
tinyurl.com/ybp2ymmk

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Sonja Bettel, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610506 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615610472 Wissenschaft und Macht Im Oktober dieses Jahres zog eine besorgniserregende Meldung durch die heimischen Medien: Das österreichische Pensionssystem sei nicht nachhaltig. Jedenfalls gelangte das Beratungsunternehmen Mercer zu diesem Ergebnis – es reihte Österreich in einem Vergleich mit 30 Altersversorgungssystemen an 21. Stelle. Die Schlussfolgerung von Mercer: Das gesetzliche Pensionsantrittsalter müsse dringend erhöht werden.
Skepsis ist angebracht. Denn hinter Mercer stehen Unternehmen, die private Altersvorsorgeprodukte verkaufen. Sie haben daher ein geschäftliches Interesse daran, das staatliche Pensionsmodell als defizitär einzustufen. Noch dazu sind die Ergebnisse verzerrt, denn der Mercer Index berücksichtigt öffentliche Pensionssysteme kaum.

Spannungsverhältnis
Die Mercer-Studie ist eines von vielen Beispielen für das problematische Spannungsverhältnis von Wissenschaft und Politik. Neoliberale Thinktanks, die zu umstrittenen Forschungsergebnissen gelangen und diese gezielt in die Medien hineinreklamieren, konnten ihren Einflussbereich in den letzten Jahren erheblich erweitern. Die Linzer ÖkonomInnen Stephan Pühringer und Christine Stelzer-Orthofer haben den Einfluss solcher Forschungsinstitute, die hauptsächlich von finanzkräftigen Unternehmen finanziert werden, untersucht. Sie zeigen auf, dass neoliberale Thinktanks wie das Hayek Institut und die Agenda Austria konsequent sozialstaatliche Interventionen diskreditieren, indem sie – versehen mit dem Mantel der Wissenschaftlichkeit – die „Grenzen“ des Sozialstaats betonen und dessen „Unfinanzierbarkeit“ behaupten.
Die von privat finanzierter Wissenschaft ausgehende Gefahr reicht über routinierte Angriffe auf sozialpolitische Errungenschaften weit hinaus. Besonders brisante Interessenkonflikte können vor allem dann entstehen, wenn sich Unternehmen an Studien beteiligen, die Aussagen über Risiken für Gesundheit und Umwelt treffen. Im März 2017 veröffentlichte die Umweltschutzorganisation Global 2000 den Bericht „Glyphosat und Krebs: Gekaufte Wissenschaft“. Darin legt die NGO dar, wie der US-Saatgutkonzern Monsanto in zahlreichen Fällen auf wissenschaftliche Artikel Einfluss genommen hat, die eine Ungefährlichkeit von Glyphosat bescheinigten.
Vorwürfe wie dieser verdeutlichen, dass eine öffentliche Debatte über die Finanzierung und Kontrolle von Forschung dringend erforderlich ist. Diese ist nicht zuletzt auch deshalb notwendig, weil Universitäten zusehends dazu gezwungen sind, drittmittelfinanzierte Forschungsaufträge zu lukrieren, die häufig von Privaten vergeben werden. Welche Forschungen sollten privat finanziert werden dürfen? Wann sollte die Kontrolle der Studien mittels Ausschreibemechanismen anderen übertragen werden? Sollte unternehmensfinanzierte Forschung das alleinige Fundament für politische Entscheidungen bilden dürfen? Die Klärung solcher Fragen ist eine demokratiepolitische Notwendigkeit. Was auf dem Spiel steht, ist nicht zuletzt auch der Verlust der Autorität von Wissenschaft in der medialen Öffentlichkeit. Diese Folge wäre verheerend, weil aufgrund der rasanten und systematischen Verbreitung von Fake News die Glaubwürdigkeit von evidenzbasierten Inhalten besonders wichtig ist. Eine Forschungsfinanzierung allein durch die öffentliche Hand würde Objektivität oder gar Parteilosigkeit allerdings nicht garantieren. Das jüngste Beispiel hierfür ist die Studie über islamische Kindergärten, die das Institut für Islamisch-Theologische Studien der Universität Wien im Auftrag des Integrationsstaatsministeriums durchführte. Die Arbeit geriet in Misskredit, nachdem ein Dokument publik wurde, wonach der Text von Beamten des Außen- und Integrationsministeriums manipuliert und zugespitzt worden sei.

Kein Garant für Objektivität
Nachdem eine externe Prüfungskommission Einflüsse seitens des Ministeriums bestätigt hatte, kündigte der Rektor der Universität Wien an, die Erarbeitung von Richtlinien für die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Politik einzuleiten. Ein solches Regelwerk wäre zu begrüßen, um direkte Einflussnahmen künftig zu unterbinden, es wäre aber trotzdem kein Garant für wissenschaftliche Objektivität. Mit der Frage, ob eine solche überhaupt möglich ist, hat sich die Wissenschaftstheoretikerin Ulrike Felt intensiv auseinandergesetzt. In einer historischen Betrachtung zeichnet sie nach, dass ab der Jahrhundertwende, insbesondere in der sozialdemokratischen Bewegung, die Idee von einer Wissenschaft existierte, „die als wertfrei, objektiv, universell und einer internen Logik folgend gedacht war“. Eine solche Wissenschaft wurde „als ideales Grundprinzip für das gute Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft“ betrachtet. Laut Felt existierte die Vision, der Sieg der Sozialdemokratie würde sich von allein einstellen, „wenn sich nur ein wissenschaftlicher Geist in der Gesellschaft durchsetzte“.
Wie illusionär die Vorstellung von einer objektiven Wissenschaft ist, wird bei geistes- und sozialwissenschaftlichen Studien besonders sichtbar. Denn ForscherInnen agieren keineswegs unabhängig von ihrer Person. So formulieren sie Forschungsfragen von ihrem spezifischen Standpunkt aus und gehen dabei von Annahmen aus, die auf bestimmten Werten und Anschauungen basieren. Als Mitglieder der Gesellschaft werden selbstverständlich auch sie von gesellschaftspolitischen Diskursen beeinflusst und geprägt. Hinzu kommt, dass EntscheidungsträgerInnen bei der Auswahl der ExpertInnen für gewöhnlich auf jene Personen und Institutionen zurückgreifen, die mit ihren Wertesystemen und Weltanschauungen kompatibel sind. Im Fall der Kindergarten-Studie hätte also ein anderer Auftragnehmer bzw. eine andere Auftragnehmerin vielleicht die Analysekategorie „Islam-Kindergarten“ gar nicht erst unhinterfragt übernommen. Vielmehr hätte er oder sie ihre Verwendung im politischen Diskurs vielleicht kritisch analysiert, um sodann gänzlich andere Forschungsfragen vorzuschlagen. Bei aller Kritik, die in den Medien an der Studie geäußert wurde, fiel auf, wie erstaunlich selten die Diskussion darauf gelenkt wurde, auf welche wirkmächtigen Narrative die Studie aufbaute und wegen welcher politischen Wirkungen sie überhaupt durchgeführt werden sollte.
Wissenschaft wird von politischen EntscheidungsträgerInnen also vielfach dazu verwendet, die eigenen Interessen zu legitimieren und letztlich durchzusetzen. Wissenschaft und Politik sind weitaus enger miteinander verknüpft, als es auf den ersten Blick erscheint. Die politischen Kräfteverhältnisse bestimmen nicht nur, wie wissenschaftliche Stellen besetzt und an wen Forschungsaufträge vergeben werden. Sie beeinflussen auch, welche Denktraditionen und Sichtweisen sich innerhalb eines Wissenschaftsfeldes gegenüber anderen durchsetzen. Der Philosoph Michel Foucault gelangte zum Ergebnis, dass es kein Wissen gibt, das neutral von Macht ist, und keine Macht, die sich nicht in das Wissen einlässt. Aus der Einsicht, dass kein Wissen frei von Machtbeziehungen ist, folgerte Foucault, dass nicht Wissen als solches, sondern eine kritische Haltung als zentrales Mittel von Emanzipation angesehen werden müsste.

Im Zeichen der Kritik
Umgelegt auf die Tätigkeit der ArbeitnehmerInnenvertretung könnte dies bedeuten, dass unsere Expertise zwar unabdingbar ist, um interessengeleitete Forschungsergebnisse zu erschüttern und daraus abgeleitete politische Forderungen zu delegitimieren. Es bedeutet jedoch auch, dass wir es dabei nicht belassen dürfen. Wissenschaft wird vor allem dann zu einer echten Chance für unsere Anliegen, wenn sie im Zeichen der Kritik steht. Kritik würde in diesem Zusammenhang bedeuten, das Selbstverständliche, das allgemein Anerkannte zu hinterfragen. Hinter unseren Alltagsannahmen stehen vielfältige Machtmechanismen. Diese gilt es sichtbar zu machen, um so den Weg für Alternativen zu ebnen.

Blogtipp: Stephan Pühringer – „Neoliberale Think Tanks in Österreich“: tinyurl.com/y8amongx

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Lena Karasz, Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610452 Neoliberale Thinktanks (im Bild Agenda-Austria-Chef Franz Schellhorn) diskreditieren konsequent sozialstaatliche Interventionen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615610444 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615608679 Reportage: Drinnen im Grünen Beim Betreten der Klasse 3C tritt sofort auffallend feuchte Luft in die Nase. Der Grund dafür wird nach wenigen Schritten im Raum sichtbar: Die ganze Wand links vom Eingang und gegenüber den Fenstern ist mit Pflanzen übersät. Diese grüne Wand ist das Werk von Azra Korjenic, Professorin für Bauphysik und Schallschutz an der Technischen Universität (TU) Wien. Sie betreibt hier am GRG 7, einem Gymnasium im siebten Bezirk Wiens mit Schwerpunkt auf Biologie und Ökologie, ein Forschungsprojekt. Die Frage, an der die WissenschafterInnen interessiert sind, ließe sich so zusammenfassen: Was verändert sich durch die Begrünung von Wand- und Dachflächen?
Sowohl im Innenraum, wie etwa hier in der 3C oder auch im Biologiezimmer, als auch außen an der Schule wurden im Jahr 2015 verschiedene Begrünungssysteme angebracht. Sensoren messen laufend Werte wie den CO2-Gehalt, die Temperatur oder den Wärmestrom. Zudem kommen regelmäßig ForscherInnen der TU persönlich vorbei, um bestimmte Werte zu überprüfen. Korjenic und ihre MitarbeiterInnen wollen wissen: Wie verändern die Pflanzen das Klima in den Klassen? Wie die Luftfeuchtigkeit? Wie die Temperatur? Wie die CO2-Konzentration? Wie die Staubentwicklung? Und wie die Akustik? Ob man eventuell mit einer Schimmelpilzbildung an den Wänden rechnen muss? Verliert eine Außenwand, die begrünt ist, im Winter weniger Wärme? Hat sie im Sommer einen kühlenden Effekt? All das und einiges mehr wird hier untersucht. Dazu wollen die ForscherInnen herausfinden, welche Art von Begrünung sich am positivsten auf Klima und Bauphysik auswirkt, welche Pflanzen sich bewähren und wo die konkreten Unterschiede zwischen verschiedenen Systemen von Fassadenbegrünung liegen.

Glücksfall Schulprojekt
Diese „GrünPlusSchule“ ist eines von vielen wichtigen und zukunftsweisenden Forschungsprojekten in Österreich. Für die Schule war es ein Glücksfall, dass die TU-Professorin Korjenic und ihr Team das Projekt hier durchführen wollten. Die Schule profitiert nicht nur davon, dass sich die SchülerInnen in den grünen Klassen nach eigenen Angaben wohler fühlen und sich besser konzentrieren können. Manche SchülerInnen schreiben zudem ihre vorwissenschaftlichen Arbeiten (VWA) über das Projekt und verwenden dafür die gesammelten Daten.
Ein weiterer Pluspunkt ist, dass auch eine Photovoltaikanlage zum Projekt gehört, welche Strom an die Schule liefert. Die Anlage wurde horizontal am Flachdach eines zweistöckigen Gebäudeteils der Schule sowie vertikal an einer angrenzenden Mauer angebracht. Das Besondere daran: Hier wird ein neues Kombisystem aus Photovoltaik und Begrünung getestet, das Korjenic entwickelt und mit einer Dissertantin zusammen zum Patent angemeldet hat. Die Daten über die gewonnene Energie scheinen in Echtzeit auf Monitoren im Eingangsbereich der Schule und im Physikraum auf. „Die SchülerInnen sehen hier schwarz auf weiß, wie viel Strom das System bei Sonnenschein und wie viel es an einem bewölkten Tag generiert“, erzählt Korjenic. „Außerdem zeigen die Monitore laufend an, wie viel Kohlendioxid bereits durch die Anlage eingespart wurde.“
Das Projekt steht gewissermaßen stellvertretend für einen Trend der letzten Jahre in der Forschungslandschaft, besonders was die Finanzierung anbelangt. Es ist nämlich teilweise mit Drittmitteln finanziert. Der Hauptteil des Kuchens, 60 Prozent, kommt von der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) bzw. vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie. Korjenic, die seit 17 Jahren als Wissenschafterin tätig ist, weist darauf hin, dass die Förderquote seither stark gesunken ist. Sie kennt noch Zeiten, wo rund 80 Prozent üblich waren, während die Tendenz heute Richtung 60 Prozent geht: „Wir sollen am Ende zeigen, dass wir 100 Prozent gemacht haben, aber bekommen nur 60 Prozent der Finanzierungskosten.“ Den Rest müssen Korjenic und ihre Kollegenschaft selbst aufstellen – so auch hier an der Schule.

Unzählige Stunden Forschungsarbeit
Im konkreten Fall ist die Finanzierung gelungen, weil die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) die restlichen 40 Prozent des insgesamt rund 650.000 Euro teuren Projekts stark unterstützt hat. Die tatsächlichen Projektkosten liegen laut Korjenic noch wesentlich höher, weil unzählige Arbeitsstunden von ihr selbst und ihren MitarbeiterInnen hineinfließen, die hier nicht eingerechnet werden. So schreiben etwa vier KollegInnen Diplomarbeiten zum Thema, zwei weitere KollegInnen arbeiten an Dissertationen. Eine davon stellt die Frage, wie Begrünungssysteme in den Energieausweis integriert werden können, eine andere befasst sich mit der Kombination von Photovoltaik und Begrünung. Auch an der Universität für Bodenkultur (BOKU), die hier als Projektpartner agiert, laufen einige studentische Arbeiten dazu.
Für die BIG, der das Schulgebäude gehört, könnten die Daten aus dem Projekt nützlich sein – schließlich könnte dieses Modell auch auf andere Schulen und öffentliche Gebäude angewandt werden. Ein Folgeprojekt namens „GRÜNEzukunftSCHULEN“, das mit Mitteln des Klima- und Energiefonds gefördert wird, ist bereits genehmigt. Auch daran wird sich die BIG beteiligen. Dafür sammeln die ForscherInnen an zwei weiteren Schulen ähnliche Daten. Laut Korjenic ist das sehr wichtig, um Vergleiche zu ziehen. Am Gymnasium Schuhmeierplatz wird sogar eine Freiraumklasse entstehen, wo der Unterricht unter einer begrünten Pergola stattfinden wird. Diese Schule in Ottakring ist ebenso wie die zweite beteiligte Schule, das Diefenbach-Gymnasium, ein Neubau. Hier interessiert die ForscherInnen wiederum die unterschiedliche Wirkung im Vergleich zum Altbau des GRG 7.

Projektideen im Kopf
Die Tatsache, dass sie immer größere Summen von externen Geldgebern einsammeln müssen, um Forschungsprojekte zu realisieren, macht den Arbeitsalltag Korjenics und ihrer KollegInnen aus der Wissenschaft zunehmend herausfordernder. Die Forscherin bedauert besonders, dass Kooperationen mit kleinen und mittelgroßen Betrieben nur noch selten möglich seien, obwohl es hier besonders spannende Fragestellungen gäbe: „Die Kleinen können sich eine finanzielle Beteiligung meist nicht leisten. Aber immerhin stellen sie viele Materialien zur Verfügung und beteiligen sich so an kleineren Projekten.“ Dennoch bleiben viele gute Projektideen in den Köpfen der ForscherInnen und gelangen nicht zur Umsetzung.
Auch Marion Huber-Humer beschäftigt sich mit einem für die Zukunft höchst relevanten Thema, in das wohl kaum zu viele Forschungsgelder fließen können. Huber-Humer leitet das Institut für Abfallwirtschaft an der BOKU in Wien. Dieses hat gerade in Zeiten der Konsumgesellschaft und des global wachsenden Wohlstands eine wichtige Aufgabe. Die Frage, was mit all den Produkten – etwa Verpackungen, Kleidung, Chemikalien und Elektronikgeräten – passiert, wenn wir sie nicht mehr verwenden können oder wollen, ist essenziell.

Biologisch abbaubar
Huber-Humer führt durch das Labor des Institutsgebäudes im 19. Bezirk Wiens. In einem Raum ist eine Menge hoher, mit Flüssigkeit gefüllter Röhren angeordnet, die über Gefäßen stehen. Hier untersuchen die WissenschafterInnen verschiedene Abfälle in Hinblick darauf, welche und wie viel Gase sie freisetzen – eine wichtige Frage für Mülldeponien. Einblick in ein anderes Forschungsprojekt des Instituts bietet sich in der kleinen Klimakammer, in der es fast so heiß ist wie in einer Sauna. Dort wird der Zersetzungsprozess von Kaffeekapseln untersucht, die laut Hersteller biologisch abbaubar sind. Die ForscherInnen untersuchen, ob das wirklich der Fall ist bzw. welche biochemischen Prozesse genau vonstatten gehen.
Weitere Forschungsbereiche befassen sich etwa mit Abfallvermeidung, Recycling und Re-Use. Ein Schwerpunkt des BOKU-Instituts, an dem insgesamt rund 30 MitarbeiterInnen tätig sind, liegt auf Lebensmittelabfällen. Zudem beschäftigt sich ein besonders junger Forschungszweig mit Nano-Müll: Immer mehr Unternehmen setzen ihren Produkten (etwa Zahnpasta, Duschgel oder Reinigungsmitteln) Nanopartikel zu, aber auch auf Schuhen und Jacken werden Nanoschichten aufgetragen. Die winzigen Teilchen könnten ein Problem darstellen. Sie sind zu klein, um von gängigen Filteranlagen aufgehalten zu werden, und könnten unkontrolliert in Böden oder Gewässer und womöglich sogar wieder ins Trinkwasser gelangen.

Mehr als eine Nasenlänge voraus
Nicht nur dieses Beispiel zeigt, wie schwierig die Aufgabe der Abfallwirtschaft-ForscherInnen ist. Huber-Humer: „Wir müssen der Wirtschaft um mehr als eine Nasenlänge voraus sein.“ Konkret heißt das, die ForscherInnen müssen genau verfolgen, welche neuen Produkte die Wirtschaft gerade entwickelt, und sich bestenfalls schon vorab überlegen, was das für die Abfallwirtschaft bedeuten wird. Oft würden keine Gelder bereitgestellt, wenn eine Problematik noch nicht deutlich sichtbar sei. Wenn ein Thema zum „Hotspot“ werde, sei Geld da. Ein Beispiel aus der Vergangenheit: Vor rund zehn Jahren wusste die Forschung endlich, wie Röhrenbildschirme verwertet werden können – und plötzlich kamen Plasmaschirme auf den Markt, deren Recycling wieder von Neuem erforscht werden musste.
In diesem Forschungszweig kommt ein großer Anteil der Finanzierung von nationalen und internationalen Forschungsförderschienen, von Unternehmen sowie Kommunen – der Anteil der Drittmittel für Forschungsprojekte ist sehr hoch. So werden laut Huber-Humer rund 70 Prozent des Institutspersonals durch externe Gelder finanziert. Hier stellt sich aber oft das Problem, dass die Aufgabenstellung sehr fokussiert ist. Die ForscherInnen haben dadurch kaum noch Spielraum, die Projekte etwas größer zu fassen und auch Forschungsfragen zu integrieren, die eine breitere gesellschaftliche Relevanz haben bzw. für weitere Themen und Projekte nützlich sein könnten. Positiv ist, dass die EU, besonders im Zusammenhang mit dem Forschungsprogramm Horizon 2020, einen Fokus auf das Thema gesetzt hat und hier Forschungsprojekte finanziert werden. Das Team arbeitet auch viel international, etwa in der Ukraine, in Weißrussland, in China, Südamerika und Afrika. Die Kehrseite: Der Aufwand, Anträge zu schreiben, ist hoch – und einen Gutteil dieser Arbeit erledigen die WissenschafterInnen in ihrer Freizeit.

Forschung als Add-on
Die Unsicherheit, welche Projekte gefördert werden, schafft organisatorische Herausforderungen. „Wenn Sie Glück haben, bekommen Sie von fünf eingereichten Projekten eines oder drei finanziert. Wenn Sie Pech haben, bekommen Sie alle fünf“, beschreibt Huber-Humer die Herausforderungen. Das klingt im ersten Moment paradox. Doch die Projekte haben eine Vorlaufzeit von rund eineinhalb Jahren von der Einreichung bis zur Zu- oder Absage. Wenn auf einmal sehr viel Arbeit ansteht, fehlt es meist am Personal, denn MitarbeiterInnen, die nicht wissen, wie es weitergeht, suchen oft einen Job in der Wirtschaft. Manche überbrücken die ungewissen Phasen auch mit Arbeitslosenzeiten, aber das ist nicht immer möglich. Dazu kommt das Problem der Kettenverträge, die nur bis zu sechs und in gewissen Fällen bis zu acht Jahre erlaubt sind. Danach können die befristeten, projektfinanzierten MitarbeiterInnen meist nicht mehr am Institut bleiben. „Wir verlieren sehr gute und ambitionierte Leute mit einer hohen Expertise, weil wir ihnen keine längerfristigen Perspektiven bieten können“, sagt Huber-Humer. Das Verhältnis zwischen Forschung und Administration habe schon ein starkes Ungleichgewicht angenommen: „Manchmal habe ich den Eindruck, am wichtigsten ist das finanzielle Controlling in der Endphase – und unsere technischen Forschungsberichte sind nur noch Add-ons.“
Auch Andreas Müller, Vorstand des Robotik-Instituts an der Johannes Kepler Universität (JKU) in Linz, hat viel mit Unternehmen zu tun. Zahlreiche Industrieunternehmen investieren in wissenschaftliche Projekte, um unter anderem ihre Produktion zu automatisieren. Wobei Müller die Unterscheidung zwischen Entwicklung und Forschung wichtig ist. So ist es etwas anderes, neue Produkte oder robotische Systeme zu entwickeln bzw. für bestimmte Anwendungen weiterzuentwickeln, als Grundlagenforschung zu betreiben, die im Idealfall ergebnisoffen ist. Rund 30 Prozent der Förderungen am Robotik-Institut der JKU gehen laut Müller in Grundlagenforschung, rund 70 Prozent in  die angewandte Industrieforschung. Grundlagenforschung wird in der Regel vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert, während die FFG insbesondere angewandte Forschung unterstützt.
Mechatroniker Müller zeigt in einem von zwei Laboren am Institut einige Robotersysteme vor. Bei einem davon handelt es sich um einen Humanoiden, also einen menschenähnlichen Roboter, der gehen, stehen, sehen und – angeblich – sogar einen Limbo tanzen kann. Müller: „Dieser Roboter ist eine Spielwiese für unsere Studenten.“ Einem anderen robotischen System hat das Forschungsteam den Namen „Der schnellste Kaffee der Welt“ gegeben. Institutsmitarbeiter Christoph Stöger startet den Vorgang am Computer: Ein Becher mit Flüssigkeit wird von einem Industrie-Roboterarm durch die Gegend gewirbelt, der damit auch Kopfüber-Bewegungen ausführt. Diese laufen aber so schnell ab, dass durch die Zentrifugalkraft kein Tropfen verloren geht. Danach schüttet der Arm die Flüssigkeit in einen leeren Becher, der von einem zweiten Roboterarm gehalten wird.

Labore mit Robotern
Förderungen zu erhalten wird auch aus Müllers Sicht tendenziell schwieriger. Einen Grund sieht er darin, dass seit der Wirtschafts- und Finanzkrise verstärkt Länder wie Italien und Spanien um EU-Förderungen einreichen. Die Konkurrenz, die sich um den Förderkuchen bewirbt, wird also größer. Dabei gäbe es für Müller und seine KollegInnen in der Robotik-Forschung viel mehr Arbeit, als sie aktuell bewältigen können. Das gilt sowohl für die Wissenschaft als auch für die Industrie, wo AbsolventInnen mit Handkuss genommen werden. Müller: „Wir haben permanent ein höheres Angebot an offenen Stellen als Einschreibungen. Das ist ein Riesenproblem.“ Weil der Bedarf in der Industrie extrem hoch ist, brechen manche sogar ihr Studium ab, weil sie auch ohne Diplom in der Hand einen lukrativen Job bekommen. Ein weiteres Problem stellt die Tatsache dar, dass sich zu wenige Frauen für das Robotik-Studium interessieren.

Mensch-Roboter-Kollaborationen
Viele Ziele hat die Robotik-Forschung bereits erreicht, aber genügend Probleme müssen auch noch gelöst werden – einmal abgesehen von den ethischen Fragestellungen, die Robotik-Systeme mit sich bringen und die nicht die TechnikerInnen, sondern eher PhilosophInnen und natürlich die Politik zu beantworten haben. Aus mechatronischer Sicht stellen etwa Mensch-Roboter-Kollaborationen (MRK) ein besonders aktuelles Forschungsgebiet dar. Während bisher Roboter in der Industrie „zu Recht“ eingesperrt waren, entwickeln sich die Systeme dahingehend, dass sie mit Menschen zusammenarbeiten und sich durch den Raum bewegen können – dorthin, wo ihre Hilfe gerade benötigt wird. Daran, dass dies ohne Zusammenstöße und Verletzungen gelingt, wird weltweit gearbeitet. Das ist ebenso für den Einsatz von autonomen Fahr- oder auch Drohnen-Systemen notwendig. Das Robotik-Institut führt teilweise Projekte für mehrere Unternehmen durch. Eine Sache, die derzeit fast alle Industrieunternehmen interessiert, ist der „Griff in die Kiste“, also ein Roboter, der in einer Kiste oder auf einem Fließband mit vielen Gegenständen einen bestimmten erkennen und danach greifen kann.
Der Blick in drei Zukunfts-Forschungszweige hat gezeigt, dass vor allem die Finanzierung von Grundlagenforschung immer schwieriger wird. Universitäten und Forschungseinrichtungen arbeiten notwendigerweise vermehrt an angewandten Projekten für Unternehmen. Zudem verbringen hoch qualifizierte ForscherInnen sehr viel Zeit mit dem Schreiben von Förderanträgen, die allzu oft erfolglos verlaufen, und mit der Dokumentation und Administration der erfolgreichen Projekte. Zu viele WissenschafterInnen können nicht an den Forschungseinrichtungen gehalten werden, obwohl sie dort gebraucht würden, wo so viele gesellschaftlich wichtige Fragen untersucht werden. Letztlich ist folgende Frage, die über all diesen Entwicklungen steht, essenziell: Welchen Stellenwert wird unabhängige Forschung in Zukunft haben?

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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Alexandra Rotter Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608663 TU-Professorin Azra Korjenic erforscht an einem Gymnasium in Wien, wie sich Pflanzen an Innen- und Außenwänden auf Temperatur, Klima, Schimmelbildung und vieles mehr auswirken. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608668 Laut Marion Huber-Humer, Leiterin des Instituts für Abfallwirtschaft an der Uni für Bodenkultur, werden rund 70 Prozent des Institutspersonals durch externe Gelder finanziert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608673 Andreas Müllers Forschungsgebiet ist eines der Zukunftsthemen schlechthin. Der Vorstand des Robotik-Instituts an der Johannes Kepler Uni in Linz und seine MitarbeiterInnen arbeiten an vielen Forschungsprojekten für die Industrie. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615608606 Interview: "Ich möchte die Finger in Wunden legen" Arbeit&Wirtschaft: Sie haben sich vor 40 Jahren der Wissenschaft verschrieben. Wie definieren Sie Ihre Aufgabe als Wissenschafterin?
Birgit Sauer: Als Wissenschafterin habe ich den Auftrag, das Wissen, das ich aus der Forschung gewinne, wieder in die Gesellschaft hineinzutragen und damit Gesellschaften in Richtung mehr Gleichheit und Gleichberechtigung voranzutreiben. Das Wissen soll also eine gewisse gesellschaftliche Wirksamkeit entfalten. Diese Wissensverbreitung erfolgt zum Beispiel über die Lehre an der Universität. Die ist ganz wichtig, weil man ganz viel Wissen aus der eigenen Forschungsarbeit an nächste Generationen weitergibt. Ich kann Wissen aber auch über Medien vermitteln. Oder es gibt viele Organisationen und NGOs, die gleichstellungsorientiertes Wissen nachfragen. Dort kann ich beispielsweise Wissen in Form von Fortbildungen vermitteln.

Das Bild von den Wissenschaften ist nach wie vor männlich, obwohl mittlerweile mehr Frauen ein Studium beginnen als Männer. Warum gehen den Wissenschaften in höheren Positionen die Frauen verloren?
Naja, es ist ein langer Weg von der Studentin zur Professorin. Beim Master- oder Diplomabschluss sind die Studierenden etwa Mitte zwanzig und dann stehen schon Lebensentscheidungen im Raum: Will ich Kinder oder nicht? Will ich mich weiterqualifizieren und eine Dissertation schreiben? Und da fängt es bereits an, dass geschlechterselektive Mechanismen greifen. Um überhaupt auf die Idee zu kommen, eine Dissertation zu schreiben, muss man ermutigt werden. Da zeigt die Forschung: Die Ermutigungsstruktur bevorzugt eher junge Männer, zu promovieren. Zudem gibt es wenige Stipendien in Österreich. Eine Promotion erfolgt also meistens über eine Praedoc-Stelle der Universitäten. Da verengt sich der Flaschenhals. Auf diesen Praedoc-Stellen sind zwar immer noch etwa 30 Prozent Frauen, das sind aber schon weniger, als Abschlüsse gemacht haben – einfach weil die Selektionsmechanismen so sind, dass Frauen nicht auf diese Stellen kommen. Um eine universitäre Position zu erreichen, auch das sagen Forschungen, braucht es ganz bestimmte informelle Netzwerke. Weil Professoren mehrheitlich männlich sind, ist es häufig so, dass diese informellen Netzwerke auch auf einer männlichen Kultur basieren.

Das berühmte „Bier danach“?
Genau. Ein Austausch beim Bier danach oder nach dem Kolloquium oder auf Tagungen. Diese Netzwerke sind tendenziell noch immer homosozial. Andererseits haben Frauen es viel schwerer aufgrund ihres ansozialisierten Habitus, der sie nicht gleich losschreien lässt: „Ich bin auch noch da! Ich bin auch toll!“ Männer machen das viel eher. Die sind einfach viel lauter und trauen sich mehr, sich in den Vordergrund zu stellen. Sie werden vor allem weniger negativ sanktioniert für ein solches Verhalten. Das sind feine Mechanismen, durch die Frauen ausgeschlossen werden oder einen schwereren Zugang haben.

Wie sehen solche Ermutigungsstrukturen aus?
Die Forschung hat gezeigt, dass zum Beispiel sehr viel über Ähnlichkeit läuft. Ein Ähnlichkeitsmerkmal ist Geschlecht, das heißt, dass männliche Professoren viel leichter Zugang finden zu jungen männlichen Wissenschaftern. Auch die „Kameraderie“ ist in männlichen Netzwerken viel einfacher. Eine wissenschaftliche Karriere ist also auch eine Frage von Role Models. Je mehr Frauen Professorinnen sind, umso mehr trauen sich Frauen zu sagen: „Vielleicht kann ich das ja auch!“

Es gibt doch Gesetze und eine Quotenregelung …
Ja, wir haben in Österreich ein Bundesgleichbehandlungsgesetz. Das Gesetz sagt: Bei gleicher Qualifikation dürfen Frauen bei Stellenbesetzungen bevorzugt werden. Durch diese Regelung ist die Anzahl von Professorinnen bereits gestiegen. Der springende Punkt ist aber: Was ist eigentlich gleiche Qualifikation? In den letzten zehn Jahren hat sich viel im Wissenschaftsbereich verändert. Es wird ganz viel auf die Quantifizierung von wissenschaftlichen Leistungen abgezielt. Das heißt: Ich veröffentliche nicht einen Artikel und der hat einen klugen Gedanken, der überall diskutiert wird und vielleicht innovativ ist. Nein, ich veröffentliche einen Artikel und der hat eine Maßzahl, den Impact-Faktor.
Obwohl man meinen kann, das ist ja ganz objektiv, zeigt sich: Da fallen Frauen raus, weil die Publikationskartelle männlich sind und Frauen eher rausdrängen – nicht, weil Frauen schlechter wären, sondern weil es wieder auf die Netzwerke ankommt. Als junge Forscherin kann ich kaum allein in ein hoch geranktes Journal reinkommen, da brauche ich einen Mentor oder eine Mentorin. Da haben wiederum männliche Jungwissenschafter eher einen Mentor.
Zieht man dies in Betracht bei Berufungsverfahren für Professuren, dann braucht es in den Berufungskommissionen Menschen mit einem „Gleichbehandlungsführerschein“, die also für geschlechterdiskriminierende Strukturen sensibilisiert sind. Man darf doch auf der Straße auch nicht einfach so rumgondeln ohne Führerschein. Warum soll man also Karrieren gefährden durch Menschen, die gar nicht für Gleichbehandlung sensibilisiert sind?

Sie selbst sind eine Pionierin, ein Role Model in den Wissenschaften. Welches Rezept haben Sie für andere Frauen?
Mein Rezept war immer: Netzwerke! Netzwerke von Frauen. Und das war total wichtig für meine eigene Biografie. In den Netzwerken kann man sich vieles geben, was man aus dem männlichen Umfeld eher nicht bekommt. Man kann sich selbst Ermutigung, Feedback und Zuspruch geben. Man kann sagen: „Das ist toll, was du da gemacht hast.“ Oder: „Bewirb dich da unbedingt!“ In weiterer Folge kann man über so ein Netzwerk selbst in eine Machtposition kommen, wo man entscheiden kann und Frauen fördern kann. Und in Netzwerken können auch Alternativen zum Wissenschaftsbetrieb entwickelt werden.

Macht ist ein wichtiges Stichwort. In populistischen Regierungen, in den USA aber auch in Europa, werden wissenschaftliche Erkenntnisse zunehmend als alternative Fakten verleumdet. Wie mächtig sind solche Angriffe auf die Wissenschaft?
Ich sehe durchaus, dass die Sozialwissenschaften potenziell bedroht sein können. Sozialwissenschaften sind eher „weiche“ Wissenschaften – sie arbeiten also ganz viel qualitativ –, und die sind in Zeiten von Quantifizierung und Vermessung stärker von finanziellen Streichungen betroffen. Allerdings trifft es derzeit auch „harte“ Naturwissenschaften, wenn PolitikerInnen den Klimawandel leugnen und die Daten dazu als manipuliert darstellen.
Aber ich glaube, alle Wissenschaften, die sich mit sozial- und gesellschaftspolitischen Themen beschäftigen, sind gefährdet. Denn sie generieren Wissen, um zu verändern, was sie für problematisch halten – sei dies Erderwärmung oder Klimawandel oder steigende Ungleichheit zwischen Arm und Reich oder zwischen Frauen und Männern. Sobald Wissenschaft den Anspruch hat, gesellschaftsveränderndes Wissen zu Verfügung zu stellen, kommt die Keule: „Das ist alles nur Fake. Das sind ja alles nur alternative Fakten, das müssen wir nicht glauben. Und wir müssen nichts ändern.“

Wie steht die neue Regierung zur Wissenschaft? Weht jetzt ein anderer Wind?
Ich will es nicht hoffen, ich befürchte es aber leider. Man hat es ja teilweise schon in den Wahlprogrammen mitbekommen: Worüber gesprochen wurde, waren eher naturwissenschaftliche Initiativen oder technologische Entwicklungen. Angesichts einer weiteren Knappheit von finanziellen Mitteln für Forschung und für Universitäten ist zu befürchten, dass Gelder tatsächlich umgeleitet werden und für die Sozialwissenschaften möglicherweise weniger Geld zur Verfügung stehen wird.

Was bedeutet es für eine Gesellschaft und eine Demokratie, wenn ich bestimmten Studienfächern Geld abziehe, nur weil sie nicht dem Geschmack der Regierung entsprechen?
Eine lebendige Demokratie kann nur existieren, wenn sie immer wieder Möglichkeiten zur eigenen Reflexion zur Verfügung stellt, also immer wieder auch darüber nachdenkt: Wie sind jetzt die Verfahren in der Demokratie? Funktionieren sie so, wie sie funktionieren sollen? Um ein Beispiel zu geben: In Österreich gibt es immer wieder die Debatte um ein Mehrheitswahlrecht anstelle des Verhältniswahlrechts. Dazu habe ich schon vor langer Zeit auch mit anderen Feministinnen gesagt: Das ist ein Problem, denn das Mehrheitswahlrecht fördert Männer in der Politik. Es hat eine Weile gedauert, bis Juristen, die sich damit beschäftigten, gesagt haben: Das leuchtet uns ein. Jetzt suchen wir eben nach Mehrheitswahlmöglichkeiten, die strukturelle Minderheiten, wie es Frauen sind, nicht von vornherein benachteiligen. Das ist nur ein Beispiel, aber es zeigt, dass wir Institutionen oder Normen wie das Wahlrecht immer wieder reflektieren müssen und dass dadurch zum Beispiel Wahlsysteme gendergerechter und frauengerechter konturiert werden können. Dazu braucht es Wissenschaft.
Ein weiteres Beispiel sind Fragen von Migration und Integration. Das ist ein schwieriges Feld, für dessen Erforschung viel mehr Gelder nötig wären. Wenn es zu wenige Forschungsgelder gibt – und das ist leider zu befürchten –, dann wissen wir über ganz viele Bereiche der Migration nicht Bescheid und produzieren Ausschluss. Eine Demokratie kann so nicht wirklich gut funktionieren.

Wie objektiv ist die Wissenschaft tatsächlich?
Es gibt sowohl für quantitative als auch für qualitative Forschung ein riesiges Methodeninstrumentarium – Standards, um mögliche Verzerrungen im Forschungsprozess zu reflektieren. Es gibt also ganz viele objektivierende methodische Maßnahmen. Darauf basiert auch die Forschung in Österreich. Zudem ist eine große Zahl der wissenschaftlichen Publikationen peer-reviewed, also qualitätsgesichert. Da den Vorwurf zu machen, das sei alles nur subjektive Meinung, ist wirklich nur politische Mobilisierung mit dem Ziel, Wissenschaft zu diskreditieren. Es entbehrt aber jeglicher Grundlage. Dennoch: DIE Objektivität gibt es nicht. DIE Wahrheit kann es nicht geben. Aber Wissenschaftlichkeit heißt Nachvollziehbarkeit von Ergebnissen.

Das sagt ja auch die kritische Wissenschaft. Was bedeutet kritische Wissenschaft für Sie?
Kritische Wissenschaft verstehe ich wirklich im Sinne der kritischen Theorie der Frankfurter Schule: eine Wissenschaft, die ihre eigenen Grundlagen immer wieder infrage stellt und reflektiert. Ich kann nicht davon ausgehen, dass die Instrumente, mit denen ich eine empirische Realität zu erfassen versuche, zu hundert Prozent objektiv sind. Ich muss die Instrumente und Ergebnisse daher immer wieder infrage stellen, auch immer wieder korrigieren. Die Instrumentarien sind auch deshalb nicht objektiv, weil kritische Wissenschaft immer in gesellschaftliche Verhältnisse eingreift. Kritische Wissenschaft ist auch eine Wissenschaft, die sagt: Ich will mit meinem Wissen Gesellschaft und Politik verändern in Richtung mehr Gleichheit.

Worin liegen die größten Herausforderungen für die Wissenschaft in den nächsten Jahren?
Für die Politikwissenschaft würde ich schon sagen, dass der Trend hin zu rechten und autoritären Parteien eine sehr große Herausforderung ist. Da muss noch viel mehr Ursachenforschung betrieben werden. Ich unterstelle WählerInnen rechter Parteien nicht automatisch, Nazis oder Rassisten zu sein. Aber zu sagen: „Naja, das ist jetzt mal eine Protestwahl. Warten wir ab bis zur nächsten Wahl“, hilft uns nicht weiter. Weil ich schon denke, dass sich mit dem neoliberalen Umbau der letzten 20 bis 30 Jahre, der ja in Osteuropa ganz brutal gekommen ist, gesellschaftliche und politische Verhältnisse dramatisch geändert haben. Dies hat die Menschen verunsichert und Ängste provoziert, was den eigenen Wohlstand oder den Wohlstand der Kinder angeht. Rechte Akteure schlagen vor, diesen Ängsten mit nationaler Abschottung zu begegnen. Wir sind aber im Zeitalter der Globalisierung. Da ist es unmöglich, Grenzen zu schließen. Wer nationale Lösungen vorschlägt, macht also den Bürgern und Bürgerinnen etwas vor. Man muss demgegenüber ganz andere Politikformen entwickeln. Der Klimawandel beispielsweise hält sich sowieso nicht an Nationalstaatsgrenzen. Aber das Bewusstsein über notwendige Maßnahmen gegen Klimaveränderungen ist nicht sehr hoch, obwohl wir das doch jetzt schon mit den Stürmen und mit den Überschwemmungen merken, aber das wird irgendwie verdrängt. Da wäre es interessant herauszufinden, woran das liegt und welche Strategien man entwickeln kann, damit Leute sehen: Da muss was gemacht werden! Und die Initiativen, die es gibt, müssen auch durchsetzbar sein. Wir haben ja bereits Politiken gegen den Klimawandel, nur geschieht da nichts. Weil Leute wie Herr Trump sagen: „Das ist ja völliger Quatsch. Alles nur alternative Fakten.“

Im November haben Sie den österreichischen Wissenschaftspreis für Parlamentarismus und Demokratie für Ihr wissenschaftliches Gesamtwerk verliehen bekommen. Auf welche Errungenschaften sind Sie stolz? Was möchten Sie noch erreichen in Ihrer Wissenschaftskarriere?
Klarerweise freue ich mich über diese ganz individuelle Auszeichnung. Aber worauf ich wirklich stolz bin, ist, dass ich ein Netzwerk von ForscherInnen etablieren und fördern konnte – ein Netzwerk in Österreich, in Deutschland, ein internationales Netzwerk. Das hat einiges an Energie gekostet, aber das war auch wirklich lustvoll. Dieses Netzwerk ist das, was mir am meisten Spaß gemacht hat und wo ich sagen kann: Da habe ich einen wichtigen Beitrag geleistet. Zukünftig will ich weiterhin gute und kritische Studierende fördern, solange ich an der Universität bin. Und ich möchte weiterhin den Finger in Wunden legen, wo ich denke, da ist etwas gesellschaftlich und politisch nicht in Ordnung. Das sind zum Beispiel Prozesse der Entdemokratisierung und der Autoritarisierung sowie steigender Ungleichheit. Da möchte ich Wissen zur Verfügung stellen, damit es die Möglichkeit gibt, dies zu verändern.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin steindlirene@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

Zur Person
Birgit Sauer ist seit 2002 Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien und damit eine der Pionierinnen unter den Professorinnen in Österreich. KollegInnen bezeichnen sie als „Titanin der Gender Studies“. Politisiert und sozialisiert in der Frauenbewegung in Deutschland, forscht Birgit Sauer vor allem zu Governance und Geschlecht, Politik und Geschlechterverhältnisse sowie Politik und Emotionen. Am 6. November 2017 hat sie den Wissenschaftspreis der Margaretha-Lupac-Stiftung für ihr wissenschaftliches Gesamtwerk und ihre Arbeit in der Geschlechterforschung erhalten.

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Interview: Irene Steindl Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608589 Birgit Sauer, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien, im Interview. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608594 "Für die Politikwissenschaft ist der Trend hin zu rechten und autoritären Parteien eine zukünftige Herausforderung. Da muss noch viel mehr Ursachenforschung betrieben werden." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615608536 Coverstory: Das Streben nach unbefleckter Freiheit Die Wissenschaft in Österreich hat zwei Gesichter. Einerseits gibt es renommierte ForscherInnen – wie etwa am Vienna Biocenter (VBC, vormals Campus Vienna Biocenter) –, die eng mit der viel gerühmten Harvard University oder der Chinese Academy of Sciences (CAS, Chinesische Akademie der Wissenschaften in Peking) zusammenarbeiten. Auch in der österreichischen Quantenphysik wird seit Jahrzehnten im internationalen Spitzenfeld geforscht – Wissenschafter wie etwa Rainer Blatt, Anton Zeilinger oder Peter Zoller arbeiten in dieser Sparte auf Weltniveau.
Andererseits gibt es viele AssistentInnen, denen – wenn sie weiter an den Universitäten bleiben – trotz guter Ausbildung bloß die Aussicht auf ein jahrelanges Prekariat bleibt. Auf sie wartet ein Arbeitsleben mit Kettenverträgen, die maximal sechs Jahre, bei Teilzeit acht Jahre, umfassen. Befristete Arbeitsverhältnisse also, die WissenschafterInnen keine langfristige Perspektive gönnen. Insbesondere Frauen steigen aus dieser „Wissenschafterkarriere“ wieder aus. Denn von einer befristeten Projektstelle zur nächsten mit einer gut 60-Stunden-Woche und rund sechs Euro Stundenlohn lässt sich eine Familie schwer versorgen. Laut einer Studie der Akademie der Wissenschaften aus dem Jahr 2016 verzichtet in Österreich jede zweite Frau im Wissenschaftsbetrieb darauf, Mutter zu werden. Das liegt nicht am fehlenden Kinderwunsch. Vielmehr schließen sich unter den derzeitigen Bedingungen eine Entscheidung für Kinder und eine wissenschaftliche Laufbahn fast aus.

Transparente Beeinflussung
Etwa 38.000 Menschen (Universitätsbericht 2014) sind an den österreichischen Universitäten in wissenschaftlichen Beschäftigungsverhältnissen tätig, angefangen von Uni-ProfessorInnen über LektorInnen bis hin zu studentischen MitarbeiterInnen. Zu einem großen Teil wird der wissenschaftliche Betrieb aus Steuergeldern finanziert. Ein hoher Anteil davon kommt aus Drittmitteln, die einerseits von staatlichen Institutionen wie etwa dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) oder EU-Programmen zur Forschung und Integration wie „Horizon 2020“ stammen.
Diese finanziellen Mittel sind für die Universitäten immer stärker an Bedingungen geknüpft, die zu vergebenden Budgets nach Forschungszielen definiert. „Der Fonds sagt etwa: ‚Wir möchten, dass ihr ein bestimmtes Thema erforscht, also bitte bewerbt euch um diese Mittel‘“, sagt Markus Scholz, Professor für Corporate Governance & Business Ethics an der FH Wien und Leiter der Transparency Austria Arbeitsgruppe „Academic Governance“. Danach wird eine Auswahl getroffen, ob die vorgelegten Forschungsvorhaben auch wirklich zu den definierten Zielen passen. In der Regel bekommt nur ein Institut von jenen, die sich diesem Wettbewerb stellen, den Auftrag – für die anderen war es ein vergeblicher Bewerbungsaufwand. Der Vorteil: Im Vergleich zur Gießkannenverteilung, die es davor gegeben hat, können Forschungsmittel im Wesentlichen nicht mehr veruntreut werden. Der Nachteil: Es muss viel Administration und Aufwand betrieben werden, um an Drittmittel heranzukommen.
Ein weiterer Aspekt ist die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und privaten Unternehmen. Die Kooperationen von Wissenschaft und Wirtschaft können beiden Partnern Vorteile bringen, doch eine zu große Nähe derselben mag zu Interessenkonflikten und zu einer Beeinflussung der Forschungsergebnisse führen. Über diese Problematik wird in der Arbeitsgruppe „Academic Governance“ diskutiert, die Transparency International – Austrian Chapter (TI-AC) initiiert hat. Vertreten sind hier u. a. Bundesministerien, Hochschulen und Hochschulkonferenzen, private Drittmittelgeber und die HochschülerInnenschaft.

Kooperation und Versuchung
Die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und privaten Unternehmen wird immer intensiver. Teils werden Firmen sogar von der Politik aufgefordert, sich an den Unis zu engagieren. Dabei handelt es sich um ein grundsätzlich sinnvolles Engagement, denn die Kooperation zwischen Stiftungen, Unternehmen, Universitäten und Fachhochschulen kann für beide Seiten durchaus produktiv sein. Unternehmen können sich von den Unis und FHs starkes Innovationspotenzial erwarten, das wiederum fördert die Weiterentwicklung ihrer Dienstleistungen und Produkte. Die Hochschulen haben dadurch ein höheres Budget zur Verfügung und können ein besseres Verhältnis zur Praxis entwickeln. Ein weiteres Plus: Zielgerichtetere Forschung wird möglich. Nicht jedes Fach ist jedoch gleich lukrativ: „Die Drittmittel spielen besonders im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich eine zunehmend große Rolle – im sozialwissenschaftlichen Bereich gibt es viel weniger privates Geld“, weiß Miron Passweg, wirtschaftspolitischer Referent der AK Wien.
Das Problem besteht in der Versuchung, Grenzen zu überschreiten. Laut war der Aufschrei, als 27 UniversitätsprofessorInnen 2013 im „Zürcher Appell“ vor den Gefahren des groß angelegten Uni-Sponsorings durch private Geldgeber warnten. Inzwischen haben 1.600 Menschen diesen Appell zur Wahrung der wissenschaftlichen Unabhängigkeit unterstützt. Stein des Anstoßes: Die Leitung der Universität Zürich hatte unter Ausschluss der Öffentlichkeit einen Kooperationsvertrag mit den Spitzen der UBS-Bank (Union Bank of Switzerland) abgeschlossen. Das Universitäts-Sponsoring umfasste dabei den stolzen Betrag von 100 Millionen Schweizer Franken (rund 86 Millionen Euro). Dafür wurde als Gegenleistung das „UBS International Center of Economics in Society“ errichtet. Besagter Vertrag wurde erst nach massivem öffentlichem Druck offengelegt. Die Großbank unterstützt mit dem Geld auch neu geschaffene Lehrstühle. Die Optik dabei ist problematisch, denn gerade zu dem Zeitpunkt, als der Vertrag unterzeichnet wurde, war die UBS in einige Skandale verwickelt. So gab es Milliardenverluste bei Handelsspekulationen in London. UBS wurde zudem verdächtigt, in Manipulationen des Referenzzinssatzes LIBOR verwickelt zu sein. In Frankreich bestand der Verdacht auf Geldwäsche und Beihilfe zur Steuerhinterziehung.

Schweizer Freiheit
Im „Zürcher Appell“ heißt es: „Universitäten sind aus der Idee entstanden, der freien Forschung, Bildung und Lehre einen geschützten und nicht käuflichen Ort zu schaffen. Sie dienen dem Wohl der Gemeinschaft und werden auch von der Gemeinschaft getragen.“ Mit dieser Gründungsidee sei das wissenschaftliche Ethos, das den besonderen Ort „Universität“ frei hält von politischen, ideologischen oder ökonomischen Verwertungsinteressen, verbunden. Außerdem sei die Freiheit von Lehre und Forschung von der Verfassung geschützt. Und weiter: „Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass eine staatliche Universität mit Institutionen, die in der Öffentlichkeit mit Skandalen und unethischem Verhalten assoziiert werden, weder eine Kooperation noch ein Sponsoring eingehen soll. Dies schadet dem wissenschaftlichen Ruf aller Universitäten. (...) Damit büßen die Wissenschafter ihren Status als Garanten für eine unabhängige und ethisch sensible Wissenschaft ein.“ Die Uni Zürich hat zwar seither die Kriterien für die Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen nachgeschärft, den Kooperationsvertrag zwischen Uni Zürich und UBS gibt es aber weiterhin. Ironischerweise sieht sich die Zürcher Uni als erste freie Universität Europas. Sie wurde nicht von einem Landesfürsten oder von der Kirche gegründet, sondern von einem demokratischen Staatswesen.

Österreich ist anders
„Auch in Österreich stellen wir einen höheren Drittmittelanteil von privaten Institutionen fest“, erklärt Markus Scholz. Doch beim Thema Transparenz haben die österreichischen Hochschulen noch großen Aufholbedarf. „Es gibt zwar Zahlen, die an das Ministerium weitergegeben werden, doch diese sind hoch aggregiert. Es ist kaum nachzuvollziehen, wer wem wie viel Mittel zur Verfügung stellt.“ Das scheint den Universitäten und Fachhochschulen derzeit ausreichend zu sein. Für BürgerInnen wird aber nicht deutlich, welches Institut von welchem Unternehmen wie viel Zuwendungen bekommt. Dies liegt vor allem an fehlenden konkreten Berichtspflichten für die Fachhochschulen, pädagogischen Hochschulen und Privatuniversitäten.
Problematisch ist zum anderen das Amtsgeheimnis, das in Österreich (EU-weit einzigartig) noch immer im Verfassungsrang steht und die Hochschulen daher, auch auf Anfrage, nicht zu einer Veröffentlichung spezifischer Informationen hinsichtlich ihrer Finanzierung verpflichtet. Transparency Austria arbeitet derzeit an einer Vorstudie, die sich mit Interessenkonflikten, die an Hochschulen mit privaten Drittmittelkooperationen auftreten können, befasst. In Deutschland ist die „Wissenschaftsfreiheit“ Teil des Grundgesetzes, dort sind laut Definition Wissenschaft, Forschung und Lehre frei. Markus Scholz: „Der Unterschied zu Österreich ist, dass an deutschen Fachhochschulen und Universitäten ein sehr viel geringeres Weisungsrecht der kaufmännischen Geschäftsführung herrscht.“
Transparency International fordert deshalb, dass es bei der Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen klare Regelungen und Verbindlichkeiten geben muss. Folgende Fragen sollten geklärt sein: Von wem kann ich Geld annehmen? Wer sollte prinzipiell vom Hochschul-Sponsoring ausgeschlossen werden (etwa Waffen-, Tabak-, Glücksspielbetriebe)? Auch innerhalb der Universitäten muss es Richtlinien zu Drittmitteln und nachvollziehbare Kriterien bei Stellenbesetzungen geben, ebenso Regelungen zu Interessenkonflikten. „Die TU München ist in vielen Bereichen genauso wie das Fraunhofer-Institut und die Max-Planck-Gesellschaft ein Vorbild, sie haben eine klare Governance-Struktur aufgebaut“, so Scholz.

Auflistung der Firmenkooperationen
In Deutschland ist der Umgang mit Drittmitteln transparenter. Dort gründeten die Tageszeitung taz, Transparency International und der Studentenverband fzs (freier zusammenschluss von studentInnenschaften) 2013 das Projekt „Hochschulwatch“ (
www.hochschulwatch.de), um Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Hochschulen aufzudecken und zu dokumentieren. Mehr als 10.000 Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen sind mittlerweile auf „Hochschulwatch“ gelistet: Spenden und Sponsoring-Verträge, aber auch rund 1.000 Stiftungsprofessuren. Das erklärte Ziel des Projekts ist es, die Einflussnahme der Wirtschaft auf die universitäre Forschung zu diskutieren. Bei strategischen Partnerschaften und Stiftungsprofessuren müsse die Öffentlichkeit während der gesamten Dauer über deren Inhalt informiert werden.
Markus Scholz von „Academic Governance“: „Problematisch wird es, wenn die Unternehmen in der (Professoren-)Berufungskommission vertreten sind.“ Abzulehnen sei es auch, wenn etwa ein Stifter – weil er sich finanziell engagiert – eine Bewerberin oder einen Bewerber wegen der politischen Ausrichtung ablehnen kann. „Wir brauchen mehr Transparenz. Ich muss als Gesellschaft in der Lage sein zu verstehen, welche Akteure welche Wissenschafter unterstützen, um dann auch die Ergebnisse kritisch hinterfragen zu können“, fordert Scholz.

Sein und Schein
Wie objektiv Ergebnisse von Auftragsforschungen sind, ist umstritten. In der biomedizinischen Forschung wurde etwa ein sogenannter „funding effect“ nachgewiesen. Und im Buch „Science in the Private Interest“ (2003) zeigt Autor Sheldon Krimsky, dass Studien, die von Firmen gesponsert werden, mit viel größerer Wahrscheinlichkeit – verglichen mit Studien, die aus Non-Profit-Quellen finanziert wurden – Resultate im Sinne des Sponsors zeigen. Allerdings muss das kein Resultat einer bewussten Manipulation sein: Die empirische Evidenz zeigt, dass selbst ehrliche Menschen unbewusst einer selbstdienlichen Wahrnehmungsverzerrung (self-serving bias) unterliegen. Die Wahrnehmung wird zugunsten eines möglichen Geldgebers subtil beeinflusst, auch wenn kein Geld fließt.
Von der Industrie finanzierte Forschungen stellen die Wirksamkeit und Sicherheit neuer Produkte signifikant freundlicher dar als unabhängige Arbeiten. Das schafft bedenkliche Anreize, vornehmlich in die Richtungen zu forschen, die mögliche Sponsoren anziehen, und Forschung zu vermeiden, die unangenehm werden könnte. In diesem Zusammenhang schrieb die deutsche Ökonomin Margit Osterloh in der „Weltwoche“: „Ein Zürcher Ökonomiestudent beschwerte sich, dass er in seinem Studium seit dem Ausbruch der Finanzkrise kein kritisches Wort über die Großbanken gehört habe.“ Am Bankenplatz Zürich – mit seinen von Banken gesponserten Lehrstühlen – ist das sicher kein Zufall.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen sophia.fielhauer@chello.at und resei@gmx.de oder die Redaktion aw@oegb.at

Infobox
ArbeitnehmerInnen: Objektive Forschung muss weiter garantiert sein

Die Anliegen der ArbeitnehmerInnen in der Wissenschaft umzusetzen ist ein Ziel der Arbeiterkammer. „Forschung kann arbeitnehmerInnenbezogen sein“, erklärt der wirtschaftspolitische AK-Referent Miron Passweg. „Wenn es etwa in der Nanotechnologie um Partikel geht, die für ArbeitnehmerInnen am Arbeitsplatz sehr schädlich sein können, dann kann in der Forschung auf die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen Rücksicht genommen werden.“ Dabei ist es wichtig, dass es objektive, nicht in eine Richtung schwankende Ergebnisse gibt.
Die AK steht im Austausch mit ForscherInnen, die u. a. in den Wirtschaftswissenschaften, Sozialwissenschaften oder in der Raumplanung Vorträge bei Veranstaltungen halten. Sie fördert auch StudentInnen – die von ihr vergebenen Preise sind eine Anerkennung, ihre Dotation treibt die jungen ForscherInnen nicht in eine Abhängigkeit und lässt sie weiterhin objektiv arbeiten. Passweg: „Als Arbeiterkammer muss man sich auch bemerkbar machen. Es gibt entsprechende Gremien auf Ebene des Bundes und der Ministerien, wo wir uns einbringen müssen.“ Hier ist es wichtig zu diskutieren, wie etwa ein Gesetz aussehen kann, was drinstehen soll und was die Wissenschaft zu berücksichtigen hat. Mit der neuen Regierung wächst allerdings die Angst vor Rückschritten, denn unter der ersten schwarz-blauen Regierung wurden die InteressenvertreterInnen der ArbeitnehmerInnen aus einigen Gremien verdrängt.

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Sophia Fielhauer-Resei, Christian Resei Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608558 Wissenschaft wird immer kompetitiver, die zu vergebenden Budgets werden immer mehr nach Forschungszielen definiert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608563 Es studieren mehr Frauen als Männer, dennoch sind heute nur etwa ein Viertel der ProfessorInnen Frauen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608568 Grundsätzlich ist eine Zusammenarbeit zwischen den Universitäten und der Wirtschaft positiv zu sehen. Problematisch wird es aber, wenn es keine Regeln dafür gibt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615608501 vida/AK: Tourismus - Aufholbedarf beim Personal „Nach einer zehnjährigen Aufholjagd ist der Tourismus, was die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen betrifft, endlich da angekommen, wo alle anderen Branchen sind.“ So kommentierte Berend Tusch von der vida den aktuellen Arbeitsklima Index Tourismus 2017. Die Daten der Sonderauswertung wurden im November bei einer Podiumsdiskussion von der Gewerkschaft vida, der AK Wien und dem IFES präsentiert. Besonders ins Auge fällt, dass sich die allgemeine Zufriedenheit unter den ArbeitnehmerInnen im Tourismus gegenüber der letzten Erhebung 2014 signifikant gesteigert hat.
Positiv wird auch die Einkommensentwicklung wahrgenommen. Die Löhne und Gehälter sind kräftig gestiegen und das spüren die Menschen: Lagen sie 2014 noch bei 1.320 Euro, so werden im kommenden Mai 1.500 Euro erreicht – ein Anstieg von 13,6 Prozent. „Die Menschen merken, dass sich ihre Arbeit auch finanziell lohnt“, betont der Gewerkschafter. Im Vergleich zu 2014 verspüren die Beschäftigten zudem eine deutlich höhere Arbeitsplatzsicherheit. Deutlich gesunken ist bei vielen ArbeitnehmerInnen auch der Wunsch, sich zu verändern bzw. in ein anderes Unternehmen zu wechseln.
Allerdings haben die Beschäftigten weiter mit hohen physischen Belastungen und Stress zu kämpfen. Die Werte  in diesen Bereichen sind im aktuellen Arbeitsklima Index unverändert hoch. „Das ist alarmierend, wenn auch leider nicht überraschend“, so Tusch. „Wir wissen, dass viele Beschäftigte unter der Dienstplanunsicherheit leiden. Viele wissen heute nicht, ob und wie sie morgen Dienst haben. Aber nicht nur das  macht ein familienfreundliches Arbeitsleben nahezu unmöglich, auch viel zu kurze Ruhezeiten wirken für viele abschreckend!“ So verweist etwa im aktuellen Arbeitsklima Index knapp ein Drittel der Tourismusbeschäftigten auf unregelmäßige Arbeitszeiten wie z. B. Arbeit auf Abruf, abgesehen von einem weiteren Fünftel mit „regelmäßiger“ Schicht- oder Turnusarbeit.

Es müsse auch im Tourismus möglich sein, ein Mindestmaß an Planbarkeit und Verbindlichkeit sicherzustellen, betont Tusch. Vor allem bei der Aufstockung des Personals ortet er extremen Aufholbedarf: „Im Vergleich zu allen anderen Branchen liegt der Tourismus in den Bereichen Zeiteinteilung, allgemeine Berufszufriedenheit und Karrierechancen noch weit zurück. Das sind die Herausforderungen in den kommenden Jahren, damit auch noch die nächsten Generationen das Hotel- und Gastgewerbe als Zukunftsbranche sehen!“
Mehr Info: tinyurl.com/yawnqdfg

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Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615608498 AK: Die Eltern sind entscheidend Leistungsunterschiede zwischen SchülerInnen mit und SchülerInnen ohne Migrationshintergrund haben wenig damit zu tun, ob Deutsch Erstsprache der Kinder ist oder nicht. Zu diesem Ergebnis kommt Barbara Herzog-Punzenberger in ihrer Studie „Migration und Mehrsprachigkeit“, die sie im Rahmen einer Veranstaltung in der Arbeiterkammer Wien präsentiert hat.

In Mathematik und Englisch, so Herzog-Punzenberger, schneiden einige Sprachgruppen ähnlich oder besser als einsprachig deutschsprachige SchülerInnen ab. Andere wieder liegen zurück. Ausschlaggebend für Leistungsunterschiede in der Schule ist der Bildungshintergrund der Eltern, ergab die Studie. Das gilt sowohl für Kinder, die deutschsprachig aufgewachsen sind, als auch für SchülerInnen, die eine andere Erstsprache als Deutsch haben. Eine wichtige Rolle spielt auch das Alter, in dem die Kinder nach Österreich kamen. In den meisten Sprachgruppen schneiden die bereits in Österreich geborenen oder als Kleinkinder zugewanderten SchülerInnen besser ab als später zugewanderte. Das gilt nicht für Kinder aus Deutschland oder aus den osteuropäischen Ländern. Unter ihnen haben jene die besten Ergebnisse, die erst nach dem zehnten Lebensjahr nach Österreich kamen. Das könnte mit dem sozialen Hintergrund oder mit dem Mathematikunterricht im Herkunftsland zu tun haben, vermutet Herzog-Punzenberger.
Verstärkt werden die Leistungsunterschiede zwischen den SchülerInnen in Österreich durch die frühe Aufteilung der Zehnjährigen auf Gymnasium und Neue Mittelschule, analysiert Herzog-Punzenberger schließlich. Österreich weist wesentlich stärkere Unterschiede in den Leistungstests der achten Schulstufe auf als Länder mit einer späteren Trennung. Das verschlechtere die Lernergebnisse von Kindern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch zusätzlich.

Unsere Schulen müssen mit der Mehrsprachigkeit ihrer SchülerInnen besser umgehen können – das ist der Tenor der AuftraggeberInnen der Studie. „Unser Anliegen ist chancengerechte Bildung  für alle“, sagt AK-Präsident Rudi Kaske. Mehrsprachigkeit sei „ein Schatz, den wir heben müssen“. Damit bekäme jedes Kind seine Chance, seine Talente zu entfalten. Andererseits werde so „ein gedeihliches Miteinander statt sozialer Spaltung“ sichergestellt. Das bringe auch Vorteile in der Arbeitswelt.
Mehr Info: tinyurl.com/y9edu4u3

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Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615608445 Frisch gebloggt Abgabenquote: Höhe für Wachstum irrelevant
Philipp Gerhartinger und Philipp Haunschmid

Die Senkung der Abgabenquote war nicht nur ein wichtiges Thema im Wahlkampf, sondern ist es auch in den aktuellen Koalitionsverhandlungen. ÖVP und FPÖ versprechen sich dadurch vor allem mehr wirtschaftliches Wachstum.
Eine neue Studie der AK Oberösterreich zeigt deutlich, dass nicht die Höhe der Abgabenquote entscheidend für das Wirtschaftswachstum ist. Viel wichtiger ist ihre Zusammensetzung: Hohe Steuern auf Arbeit und Individualeinkommen hemmen die wirtschaftliche Entwicklung – in Österreich sind diese im internationalen Vergleich hoch. Steuern auf Vermögen allerdings bremsen das Wachstum nicht, und genau diese fallen in Österreich unterdurchschnittlich aus.
Die Abgabenquote wird in diesem Zusammenhang auch immer als Belastungsquote hingestellt. Dabei sichert sie wichtige öffentliche Leistungen, eine gute staatliche Verwaltung und einen funktionierenden Sozialstaat. Hinter der Forderung, die Abgabenquote zu senken, steht also ein Rückbau staatlicher Leistungen und eine Verlagerung ins Private.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/y7ma4gok

Teilzeitbeschäftigung ist weiblich
Ulrike Huemer

Teilzeitbeschäftigung ist weiblich, Vollzeitjobs sind männlicher Standard. Jede zweite Frau hat einen Teilzeitjob, bei den Männern ist es jeder Zehnte. Gründe sind eine ungleiche Verteilung von Betreuungspflichten sowie Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern: Aus ökonomischen Überlegungen entscheiden sich meist Frauen für eine Arbeitsreduktion. Unternehmen hingegen gewinnen durch den Einsatz von Teilzeitjobs Flexibilisierungsspielräume.
Teilzeitbeschäftigung ist sehr ungleich verteilt: In männerdominierten Tätigkeitsfeldern und in höheren Hierarchieebenen finden sich vorwiegend Vollzeitstellen. Bei Hilfsleistungsberufen (65,5 Prozent) und Dienstleistungsberufen (57,6 Prozent) hingegen ist die Teilzeitquote von Frauen sehr hoch.
(Freiwillige) Teilzeitbeschäftigung kann Vorteile für die Beschäftigten bringen – zum Beispiel bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Sie birgt aber auch die Gefahr, die Chancenungleichheit von Frauen und Männern zu verfestigen. Ganz abgesehen von sozialen Risiken und Abhängigkeiten, die sich durch das geringe Einkommen ergeben.
Lesen Sie mehr: tinyurl.com/y7pkplfm

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Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512615608424 "Nicht zuletzt" ... Was Wissen schafft … Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) und Vizepräsident des ÖGB]]> Der Grazer Universitätsprofessor Leopold Neuhold erzählt gerne von einem USA-Aufenthalt, wo er einen Satz auf die Mauer an einer Universität gesprüht sah: „Ich habe mir meine Meinung gebildet, verschont mich mit euren Tatsachen.“ Obwohl dieses Wortspiel – im Amerikanischen mit „opinion“ und „facts“ festgemacht – schon fast 20 Jahre alt ist, scheint es gegenwärtig in Hochblüte zu stehen.
Nicht nur in den USA ist es modern geworden, sich um Fakten kaum noch zu kümmern, ja mehr noch, über die eigene Presseabteilung – oder noch einfacher über das Internet und soziale Medien (Facebook, Twitter, …) – sogenannte Fake News, also andere/falsche Behauptungen, als „alternative Fakten“ in den öffentliche Raum zu stellen.

Nachvollziehbarkeit
Als erste Aufgabe der Wissenschaft ist  die objektive Nachvollziehbarkeit zu nennen. Das Momentum der Überraschung, des Zufalls, des Aha-Erlebnisses ist eher der Kunst zuzuordnen.
Die Wissenschaft muss auch in der modernsten Forschung Ergebnisse liefern, die einer Überprüfung standhalten. Man muss sie unbesorgt außer Streit stellen können, weil es eben Fakten sind. Damit liefert sie einen wesentlichen, ja unverzichtbaren Beitrag für die Gesellschaft.
Die Frage, ob Wissenschaft und Forschung der Wirtschaft oder der Gesellschaft dienen sollen, beantwortet sich von selbst, wenn man im Sinne einer aufgeklärten Gesellschaft für eine „Gewaltenteilung“ eintritt. Analog zur Freiheit der Kunst sollen weder Politik noch Religion noch Wirtschaft bestimmen, was und worüber geforscht werden soll. Dass schon seit jeher GeldgeberInnen bestimmen wollten – und wohl auch sehr oft bestimmt haben –, in welche Richtung Forschung gehen soll, ist zwar Realität, war aber niemals Ziel der Wissenschaft.

Verantwortungsvoller Umgang
Wenn in alle Richtungen – also frei von politischen, religiösen oder wirtschaftlichen Zwängen – geforscht werden darf (und soll), stoßen wir auf das Problem, welches der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt mit seinem Werk „Die Physiker“ in Bezug auf die Atombombe formulierte: „Es gibt Situationen“, schrieb Dürrenmatt, „wo eine gewisse Art von Denken offenbar gefährlich ist, wie das Rauchen in einer Pulverfabrik. Nun ist es unmöglich, die Pflicht, ein Dummkopf zu bleiben, als ethisches Prinzip aufzustellen.“
Es kann auch am Beginn des 21. Jahrhunderts nicht darum gehen, die Wissenschaft und Forschung zu beschränken, sondern wir sind gefordert, mit den Ergebnissen verantwortungsvoll umzugehen.

Herausforderung: Digitalisierung
Paradebeispiel für den gegenwärtigen Fortschritt, den Wissenschaft und Forschung in unser Leben bringen, ist die Digitalisierung. Durch die rasende Entwicklung der Elektronik sind alle beruflichen und privaten Lebensbereiche betroffen.
Hier sind wir als GewerkschafterInnen besonders gefordert, weil sich beim Sprung von einer „analogen“ zur „digitalen“ Welt fast alles verändert. Anstelle bisheriger Wertschöpfungsketten (ProduzentIn – HändlerIn – KonsumentIn) sind weltweite Netzwerke entstanden, anstelle von Arbeitsverträgen gibt es Internetplattformen, und durch die ungeheure Datenmenge, die mittlerweile zur Verfügung steht, wird der „gläserne Mensch“ immer mehr zur Realität.
Daher werden die Herausforderungen für Gewerkschaften zunehmen. Zum einen braucht es auch im „digitalen Zeitalter“ faire und praktikable Regelungen zum Schutz der Beschäftigten und arbeitsrechtliche sowie sozialversicherungsrechtliche Absicherungen. Zum anderen sind für die Freiheit der Wissenschaft und Lehre ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen. Eine Herausforderung, der wir uns als Gewerkschaft stellen werden.

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Norbert Schnedl, Bundesvorsitzender der GÖD, Vizepräsident des ÖGB Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512615608412 Norbert Schnedl, Vizepräsident des ÖGB und Bundesvorsitzender der GÖD http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512010826088 Zahlen, Daten, Fakten
  • Wie hoch sind die Ausgaben für in Österreich durchgeführte Forschung und experimentelle Entwicklung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts?
  • Wie sind die bewilligten Förderungen auf die wissenschaftlichen Disziplinen verteilt?
  • Und wie nach Organisationstyp?
  • In welchen Disziplinen arbeiten wie viele Beschäftigte an Universitäten?
  • Wie hoch ist der Anteil an Frauen an öffentlichen Universitäten?
  • Alle Zahlen, Daten und Fakten finden Sie anbei zum Downloaden.

     

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    Statistik Austria, BMWFW, Eurostat http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512010826076 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512010826044 Historie: Forschung und Gesellschaft Forschungs- und Wissenschaftspolitik wurden in der „Kreisky-Ära“ ab 1970 zu einem zentralen Anliegen. Konservative Kreise wiesen die Forderung nach mehr Transparenz und nach Leitlinien zur Modernisierung der rückständigen österreichischen Wissenschaftskultur als „Eingriff in den Freiraum der Wissenschaften“ massiv zurück. Die Ergebnisse des 1971 veröffentlichten OECD-Prüfberichts über die „Wissenschaftspolitik in Österreich“ bestätigten allerdings die Notwendigkeit des Vorhabens. Die OECD empfahl, eine umfassende Forschungskonzeption zu erarbeiten, wie dies auch im westlichen Ausland längst üblich  war. Dieses Projekt zählte zu den wichtigsten Aufgaben des neuen „Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung“ unter Ministerin Hertha Firnberg. In den begleitenden Diskussionsprozess sollten VertreterInnen aller betroffenen gesellschaftlichen Gruppen einbezogen werden, (damals) selbstverständlich auch die Gewerkschaftsbewegung mit den Arbeiterkammern. In einer Ausgabe der von der AK Wien herausgegebenen Schriftenreihe des ÖGB-Verlags „Beiträge zur Wirtschaftspolitik und Wirtschaftswissenschaft“ stellte AK-Präsident Wilhelm Hrdlitschka fest:

    Die Ausarbeitung von konkreten wissenschaftspolitischen Vorschlägen ist ein konsequenter Schritt auf dem Wege zu einer „forschungsbewussten“ österreichischen Wirtschaft.

    Hrdlitschka bezog sich auf den Beitrag „Forschung und Gesellschaft“ von Theodor Prager, dem Topexperten der wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung der AK Wien. Prager befürwortete die geplante breite Beteiligung am Diskussionsprozess, ging aber gerade deshalb weit über die Bedeutung von Wissenschaft und Forschung für die Wirtschaftsentwicklung hinaus. Er schrieb unter anderem:

    Forschung ist zunächst Arbeit, eminent produktive Arbeit, also gesellschaftliche Aktivität. … Sie sollte sich an den immanenten wissenschaftlichen Erfordernissen, aber auch an den gesellschaftlichen Bedürfnissen orientieren. Letzteres ist oft nur recht unvollkommen der Fall.
    Auf macht- und prestigeorientierte Zielsetzungen und entsprechende Vorhaben kann und soll ein Land wie Österreich von Haus aus verzichten. Damit sein bescheidenes, aber durchaus nicht unbedeutendes Forschungspotenzial zweckmäßig eingesetzt wird, bedarf es eines Konzeptes, das nicht einseitig, sondern im Zusammenwirken mit allen relevanten Faktoren erarbeitet wird. Dazu gehören zunächst Staat, Wissenschaft und Wirtschaft als Produzenten wie auch als Konsumenten wissenschaftlicher Tätigkeit. Dazu gehören aber  auch die sogenannten einfachen Leute als Teilnehmer am gesellschaftlichen Lebensprozess, sei es als Produzenten, Konsumenten, Steuerzahler oder Staatsbürger. …
    Die heutige Gesellschaft ist in raschem Wandel begriffen. Ein adäquates Forschungskonzept erfordert Vorausschau. Wir brauchen nicht nur technologisches und marktmäßiges „forecasting“, wir brauchen auch Bedürfniserforschung, müssen trachten „mögliche Zukünfte“ … zu ermitteln. Die Erkenntnis neuer Tendenzen und Zusammenhänge muss ihren Niederschlag im Forschungskonzept finden.

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1512010826038 "Teddy" Prager (1917-1986) studierte in der Emigration in England Wirtschaftswissenschaften, kam 1945 als Mitarbeiter der KPÖ wieder nach Österreich. 1968 verließ er aus Protest gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings die KPÖ. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 11 Dec 2017 00:00:00 +0100 1512010826024 Standpunkt: Wissen ist kein Feind Es ist paradox: Obwohl sich unsere Gesellschaft immer mehr zu einer Wissensgesellschaft entwickelt, sind wir mit einer neuen Welle der Wissenschaftsfeindlichkeit konfrontiert. Aber vielleicht ist es sogar logisch, dass die beiden Phänomene Hand in Hand gehen. Es ist zweifellos schwieriger und anstrengender geworden, sich in dem riesigen Dschungel von Informationen und Quellen zu orientieren.
     
    Ökonomisierung
    Diese Entwicklung fällt erstens zusammen mit einer zunehmenden Ökonomisierung der Gesellschaft, zweitens mit einer noch weiter zugespitzten Mediatisierung, in der es mehr um knackige Schlagzeilen und Personen denn um Inhalte geht, während der Qualitätsjournalismus weiterhin in einer Finanzierungskrise steckt.
    Dazu kommt, dass so manche Autoritäten ins Wanken geraten sind – und das ist nicht von vornherein schlecht. So üben auch wir in der A&W immer wieder Kritik an einseitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen, versuchen andere Perspektiven aufzuzeigen und weisen auf blinde Flecken hin, die wir im Mainstream ausmachen. Weiters ist die Ökonomisierung der Wissenschaft eine große Herausforderung: Wer kann sich noch darauf verlassen, dass Ergebnisse von Studien auch wirklich objektiv sind und nicht von den Auftraggebern beeinflusst, die sie finanzieren?
    Was, wenn der Kampf um Drittmittel dazu führt, dass WissenschafterInnen an Universitäten ihre Forschung danach richten, was finanzierbar ist, und nicht danach, ob eine wichtige Erkenntnis daraus erwachsen könnte. Wenn Studienpläne nur noch darauf ausgerichtet sind, möglichst schnell fertig zu werden, und nicht darauf, dass Studierende zunächst ihren Kopf weit aufmachen, bevor sie in den beruflichen Alltag eintauchen. Wenn Medien Studien unhinterfragt weiterverbreiten, sich JournalistInnen nicht die Zeit nehmen (oder sie ihnen nicht gegeben wird), um Financiers und Ergebnisse kritisch zu hinterfragen. Wenn gesellschaftliche Diskussionen nur noch an der Oberfläche geführt werden, statt sie in die Tiefe zu führen.

    Kein schmaler Grat
    All dies lässt Vorwürfe und auch Skepsis gegenüber der Wissenschaft berechtigt erscheinen. Jedenfalls erklärt es, warum auch so manche Wissenschaftsleugnung auf fruchtbaren Boden fällt. Doch liegt zwischen der Wissenschaftskritik und der Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse wirklich nur ein schmaler Grat? Ist Wissenschaft wirklich beliebig? Die Antwort lautet eindeutig: Nein! Denn allen Fehlentwicklungen zum Trotz gelten in der Wissenschaft strenge Regeln. Aber es ist mehr Vorsicht gefragt. Man sollte etwa bei der Auswahl von Quellen Vorsicht walten lassen. Es gibt inzwischen im Internet mehrere Tipps, wie man Falschnachrichten auf die Spur kommen kann (z. B. unter 
    www.mimikama.at). Umso wichtiger wäre es daher, jungen Menschen schon in der Schule Möglichkeiten zu vermitteln, wie sie sich diesbezüglich zurechtfinden können.

    Hehre Wünsche
    Leider sind das momentan hehre Wünsche, denn in Österreich befinden sich gerade zwei Parteien mitten in den Koalitionsverhandlungen, von denen VertreterInnen durchaus durch das Leugnen von Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgefallen sind. Zudem sind in ihrem Umfeld private Forschungsinstitutionen tätig, die vermeintlich objektive Erkenntnisse verbreiten, um damit ihre Angriffe auf den Sozialstaat und die Sozialpartnerschaft zu begründen. Umso wichtiger wird es sein, dass gerade Gewerkschaften und Arbeiterkammern einen starken Gegenpol bilden. Wir werden uns in der A&W weiter darum bemühen, unseren LeserInnen Fakten und Zusammenhänge aus der Sozial- und Wirtschaftspolitik näherzubringen.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 10/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801227180 Ernte aus dem Steuertopf In gewöhnlichen Jahren betragen die Agrarsubventionen für die österreichische Landwirtschaft mehr als zwei Milliarden Euro. Wenn aufgrund hoher Erntemengen die Preise verfallen und gleichzeitig ein Teil der Betriebe wegen Dürre und/oder Frost geringe Mengen erntet, steigen die Begehrlichkeiten nach mehr öffentlichen Geldern. Für 2016 wurden einige Hundert Millionen Euro mehr an Zuschüssen gewährt. Von Steuermitteln für die Ernteversicherung über Zahlungen für Frostschäden, Hilfspakete für Schweine- und Milchbauern bis hin zur Reduzierung der Sozialversicherungsbeiträge reicht die Palette.

    Katze und Schwanz
    Der Großteil der zusätzlichen Subventionen kommt nicht aus dem Agrarbudget, sondern aus anderen Steuertöpfen. Die Summe der tatsächlichen Agrarausgaben wird so nicht im vollen Ausmaß sichtbar. Auch für die statistische Einkommensberechnung zählen manche Subventionen nicht. Daher wird weiterhin ein Durchschnittseinkommen berechnet werden, das dann als Begründung für weitere zukünftige Unterstützungsmaßnahmen herhalten muss.
    Ende 2016 zeichnete sich nach langem Tauziehen eine Einigung in Sachen Sozialversicherung ab: Die Beiträge für das vierte Quartal an die Sozialversicherung der Bauern (SVB) wurden um mehr als die Hälfte (53 Prozent) reduziert. Diese sehr außergewöhnliche Maßnahme, die bisher keine Branche gefordert hatte, wurde mit der schlechten Marktsituation für die MilchproduzentInnen begründet. Profitieren werden jedoch alle LandwirtInnen – und zwar unabhängig von ihrer tatsächlichen Einkommenssituation. Was, so die berechtigte Frage, hat die Sozialversicherung mit dem Milchpreis zu tun? Und warum sollen auch kuhlose LandwirtInnen ihren Eigenbeitrag zum Solidarsystem nicht leisten? Klar ist, diese Maßnahme löst keine Marktprobleme. Denn das Dilemma am Milchmarkt ist durch die steigende Milchproduktion in Kombination mit der weniger wachsenden Nachfrage verursacht.
    Viele landwirtschaftliche Betriebe zahlen systemimmanent keine Einkommenssteuern. Aber ein gewisser Eigenbeitrag aller LandwirtInnen an die Sozialversicherung wurde bisher außer Streit gestellt, zahlt doch die öffentliche Hand ohnehin annähernd 80 Prozent der Beiträge des Pensionssystems der SVB. So gesehen stellt jede Beitragskürzung eine Erhöhung der öffentlichen Mittel dar, die außerhalb des Agrarbudgets aufzubringen sind. Größere Betriebe mit höherem Einkommen zahlen für gewöhnlich höhere SVB-Beiträge und profitieren dadurch am meisten.
    Es war nicht die einzige Förderung, die LandwirtInnen im Jahr 2016 zusätzlich zugute kam. Im Mai wurden 76 Mio.Euro an Budgetmitteln für die Erweiterung der subventionierten Ernteversicherung beschlossen. Die öffentlichen Zuschüsse kommen aus dem Katastrophenfonds des Bundes und aus Ländermitteln. Das ohnehin reichlich dotierte Agrarbudget wird dadurch geschont. Auch mögliche EU-Budgetmittel werden dafür nicht herangezogen.

    Die Allgemeinheit zahlt
    Zudem gab es extra Steuergelder für Frostschäden. Denn nicht alle LandwirtInnen hatten sich gegen Frostschäden versichert, obwohl bereits bisher die Versicherungsprämie subventioniert war. Und wer zahlt die zusätzlichen 100 Millionen Euro? Die Gelder kommen nicht aus dem Agrarbudget oder dem Landwirtschaftsministerium, sondern aus dem Katastrophenfonds und von den Ländern. Budgetmittel also, die anderswo eingespart werden müssen. Zu bedenken ist, dass die „Belohnung“ für Nicht-Versicherte nicht gerade zur Versicherungsmoral der LandwirtInnen beiträgt. Weil, so der bleibende Eindruck: Wenn wieder was passiert, springt ohnehin der Staat ein.
    Freilich macht es Sinn, finanziell schwache Betriebe in der Landwirtschaft zu fördern. Ideal wäre aber ein Modell, das sich aus dem Agrarsektor selbst finanziert, sodass zusätzliche Steuermittel nicht mehr aufgebracht werden müssen. Denn die Frage ist naheliegend, ob z. B. SteuerzahlerInnen mit niedrigen Einkommen wie VerkäuferInnen oder LandarbeiterInnen tatsächlich auch Einkommen von großen Landwirtschaftsbetrieben auf unbestimmte Zeit finanziell absichern sollen.

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    Maria Burgstaller, Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801225174 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801227170 Das ungleiche Spiel Die Landwirtschaft ist bis heute die wichtigste Erwerbsquelle und der größte Wirtschaftszweig der Welt. Ein Drittel aller arbeitenden Menschen weltweit ist in der Landwirtschaft beschäftigt. In Afrika südlich der Sahara stellt die Landwirtschaft die Lebensgrundlage für mehr als 60 Prozent aller Menschen dar. Nur etwas mehr als zehn Prozent der Weltagrarproduktion werden gehandelt. Topexporteure sind die EU (allein sechs EU-Länder finden sich unter den Top Ten der Agrarexporteure), die USA und Brasilien. Der Rahmen für den globalen Agrarhandel wird durch die Welthandelsorganisation WTO und eine Vielzahl bilateraler Handelsabkommen geregelt. Übergeordnetes Ziel ist die Ausdehnung und Liberalisierung des internationalen Handels durch die Abschaffung von Zöllen und Handelsbeschränkungen.

    Schimäre freie Märkte
    „Freie“ Märkte und weltweiter Wettbewerb würden nach dem Credo der EU-Kommission die Kosten der Produktion senken und dadurch den Wohlstand für alle steigern. Ob dies auch auf die Herstellung und den Handel von landwirtschaftlichen Rohstoffen und Nahrungsmitteln zutreffen kann, ist zu bezweifeln – vor allem dann, wenn in Entwicklungsländern und Industriestaaten völlig unterschiedliche wirtschaftliche, ökologische und soziale Bedingungen vorliegen. Für die Landwirtschaft vieler Entwicklungsländer ist der internationale Handel  verheerend. Das vorrangige Ziel der Regierungen ist oftmals nur, durch Agrarexporte Devisen und Steuereinkommen zu lukrieren. Deshalb exportieren viele Länder Rohstoffe wie Soja, Mais, Zucker und Palmöl, die häufig unter menschenverachtenden Bedingungen und mit katastrophalen Auswirkungen für die Umwelt gewonnen werden. Diese billigen Exporte aus den Ländern des Südens sind Grundlage für die Nahrungsmittel-, Futter- und Treibstoffindustrie der Industrieländer. Die Versorgung der Bevölkerung und die heimischen Märkte in den Entwicklungsländern werden dabei aus den Augen gelassen. Als Importeure von Lebensmitteln sind sie oft zugleich von den Weltmärkten und deren Entwicklung abhängig.

    Schwergewicht Zucker
    Ein Beispiel ist der Zuckermarkt. Beinahe 50 Jahre lang war er streng reguliert und wurde bis zum Jahr 2017 schrittweise liberalisiert. Garantierte Abnahmepreise, Produktionsquoten und Beschränkungen des Importes gehören nun der Vergangenheit an. Nur die Importzölle wurden nicht angetastet. Die folgende Senkung der Garantiepreise führte zu erheblichen Einkommensverlusten und zu einem Rückgang der Produktion in vielen Ländern. Die EU wurde zu einem Nettoimporteur von Zucker. In der EU wurden die Betriebe zum Teil für die Verluste kompensiert, in vielen Entwicklungsländern aber gab es kaum einen Ausgleich. Massiv gestiegen ist die Produktion hingegen in Südamerika, insbesondere in Brasilien, in einigen ostafrikanischen Ländern und in Südostasien. Die in Aussicht gestellten positiven Effekte eines großflächigen Zuckerrohranbaus für Wirtschaft und Bevölkerung sind jedoch weitgehend nicht eingetreten. In vielen Regionen, wo die Zuckerproduktion rasant gewachsen ist, kam es zu Landraub, zu Umsiedelungen oder zu gewaltsamen Vertreibungen. Die Arbeit auf den Plantagen ist saisonal begrenzt, die Löhne reichen kaum zum Überleben, Menschrechtsverletzungen sind an der Tagesordnung. In vielen Ländern sind selbst sklavenartige Arbeitsbedingungen verbreitet.
    Nicht weniger katastrophal sind die Effekte auf die Umwelt und Gesundheit der Menschen als Folge der Abholzung, des Pestizideinsatzes oder des enormen Wasserbedarfs. Laut dem „Water Footprint Network“ verbraucht die Herstellung von einem Kilogramm Zucker 1.783 Liter Wasser und für einen Liter Ethanol werden 2.100 Liter Wasser benötigt.

    Zweifelhafter Sonderstatus
    Viele afrikanische Länder erhielten von ihren ehemaligen Kolonialherren aus Europa einen Sonderstatus: Sie durften ihre Waren weitgehend zollfrei ausführen, während für Waren aus Europa Zölle zu zahlen waren. Die WTO urteilte später aber, dass diese einseitigen Zugeständnisse nicht rechtens sind und dass diese Vorteile durch „Freihandel“ zu ersetzen sind. Daher verhandelt die EU seit Längerem über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit West-, Ost-, Zentral- und Südostafrika. Diese Abkommen werden kurz WPAs oder EPAs genannt – die TTIPs für die armen Länder Afrikas. Der Widerstand vieler afrikanischer Länder ist groß. Auf Druck der Weltbank und im Zuge der Verhandlungen über die EPAs haben viele afrikanische Länder den Forderungen ihrer Gläubiger nachgegeben und ihre Zölle schon vor Abschluss der Verhandlungen erheblich gesenkt.

    Verarmung
    Über die katastrophalen Folgen wurde zwar immer wieder medial berichtet, doch fanden diese Berichte wenig Resonanz: Europäische Exporteure überfluteten die Märkte in Afrika mit Milchpulver, Gemüsekonserven oder Hühnerteilen. In Ghana etwa verarmten viele Tausend Bauern oder verloren ihre Existenz. Ghanaische Betriebe konnten ihre Tomatenernte nicht mehr vor Ort vermarkten, weil sie nicht mit den billigen Importkonserven aus Italien oder Spanien konkurrieren konnten.
    Dieser Wettbewerbsvorteil ergibt sich durch das ungleiche Kräfteverhältnis: Auf der einen Seite ein hochspezialisierter, großflächiger Anbau sowie modernste Hightechfabriken, die sich seit der Nachkriegszeit zunächst durch hohe Zölle geschützt und mithilfe von umfangreichen Subventionen in den verschiedensten landwirtschaftlichen Sektoren entwickeln konnten. Auf der anderen Seite kleinste Äcker und veraltete Produktionsmethoden.
    Öffentliche Investitionen oder Subventionen in die Entwicklung des Agrarsektors wurden in vielen Entwicklungsländern in Afrika und den am wenigsten industrialisierten Regionen Asiens in den letzten 30 Jahren vernachlässigt. Unbeeindruckt hält die EU-Kommission aber an ihrer Handelspolitik und Ideologie fest: Liberalisierung und Öffnung der Märkte bringe die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Ländern des Südens voran.
    Diese Ansicht ist insbesondere für den landwirtschaftlichen Sektor vor dem Hintergrund der verheerenden Auswirkungen mehr als fraglich. Die EU oder USA schützen selbst den Agrarsektor zum Teil noch mit Zöllen, zudem ist die Landwirtschaft subventioniert. Diese Subventionen sollen ungleiche Produktionsvoraussetzungen (wie zum Beispiel im Fall der Bergbauernförderung) oder die Wettbewerbsnachteile aufgrund der Größe und der hohen Umwelt-, Gesundheits- und Sozialstandards ausgleichen.

    Neue Wege einschlagen
    Solange das Kräfteverhältnis zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern unterschiedlich ist, sind der Landwirtschafts- und der Nahrungsmittelsektor jedenfalls aus Handelsabkommen auszuklammern. Entwicklungsländer dürfen nicht gezwungen werden, ihre Zölle zu senken, und es darf ihnen auch nicht verboten werden, durch Zollerhöhungen ihre Märkte zu schützen.
    Zu bedenken ist, dass gerade für die Länder des Südens Zölle auch eine wichtige Einnahmequelle sind. Der Bedarf an öffentlichen Mitteln ist für die Schaffung von Institutionen bis hin zu entsprechenden Infrastrukturen – Brunnen, Straßen, Gesundheitsversorgung, Rechtsinstitutionen sowie Beratungs- und Bildungseinrichtungen – groß. Auch wo landwirtschaftliche Betriebe mehr produzieren könnten, passiert dies oft nicht, weil Lager- und Transportmöglichkeiten fehlen. Die schädliche Wirkung von Subventionen im Agrarhandel ist hinlänglich bekannt. Daher ist es der richtige Weg, direkte Ausfuhrsubventionen abzuschaffen. Was indirekte Subventionen betrifft, ist zu überlegen, wie dieser ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteil zum Beispiel durch Zölle seitens der Entwicklungsländer kompensiert werden kann.
    Unternehmen dürfen nicht länger von menschenunwürdiger Arbeit und der Missachtung von Umweltschutz profitieren können. Abkommen brauchen daher klare Regeln für Betriebe sowie Klagemöglichkeiten für Geschädigte. Zudem sind Sozial- und Umweltstandards in Abkommen zu verankern, um Dumping weltweit zu verhindern – und um ArbeitnehmerInnen in Entwicklungsländern ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin angela.pfister@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Angela Pfister, Volkswirtschaftliches Referat im ÖGB Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801227164 Freihandelsabkommen können katastrophale Folgen für Entwicklungsländer wie Ghana haben, wo die Bauern verarmten oder ihre Existenz verloren. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801227125 Preise im Nebel Die Preise für Agrarprodukte sind in Österreich auf einem relativ hohen Niveau – und das ist nicht erst so, seit sich der Butterpreis in den vergangenen Monaten so stark verteuert hat.

    Erstaunliche Unterschiede
    Die Arbeiterkammer führt jedes halbe Jahr Preisvergleiche durch und hat dafür einen Warenkorb mit 40 Lebensmitteln erstellt. Von diesen Lebensmitteln werden die jeweils billigsten Produkte sowohl in Wien als auch in Berlin bei mehreren Lebensmittelhändlern, darunter auch Diskonter, eingekauft. Am Ende vergleicht die AK sowohl die Preise der Produkte als auch den Gesamtpreis des Warenkorbs miteinander. Auch eine Preisentwicklung über die Jahre wird auf diese Weise erhoben.
    Dabei sind vor allem die großen Preisunterschiede zwischen Österreich und Deutschland erstaunlich. Im Februar 2017 kostete der Warenkorb in Wien – mit Produkten wie etwa diversen Obst- und Gemüsesorten, Milch und Milchprodukten, Eiern, Fleisch, Reis, Tee, Konserven, Mehl, Nudeln und Tiefkühlwaren – knapp 94 Euro.
    Für den gleichen Warenkorb mussten KonsumentInnen zum selben Zeitpunkt in Berlin nur etwas mehr als 81 Euro bezahlen. So war etwa Teebutter im Februar in Wien brutto um 36,2 Prozent teurer als in Berlin, Eier kosteten um 45,5 Prozent mehr, Mehl war um 49 Prozent, Frischmilch gar um 70,2 Prozent teurer. Die Spitzenreiter dieser Liste waren auf Platz drei Brathuhn, das in Wien um 84,2 Prozent mehr kostete, auf Rang zwei Schwarztee (90,5 Prozent), und am absoluten Spitzenplatz rangierten Hühnerkeulen, die in Wien fast um 150 Prozent teurer waren als in Berlin.
    Bei diesen Preisvergleichen zeigt sich laut Gabriele Zgubic, Leiterin der Konsumentenpolitik in der Arbeiterkammer Wien, dass auch Produkte, die gering verarbeitet sind, in Berlin deutlich billiger sind als in Wien. Die Gründe für die eklatanten Unterschiede sind den KonsumentenschützerInnen aber nicht vollständig klar. „Wir kennen die Preiskalkulationen des Handels nicht im Detail. Unsere Vermutung ist aber, dass es vor allem daran liegt, dass die Konzentration im Lebensmittelhandel in Österreich deutlich höher ist als in Deutschland“, so Zgubic.

    Höhere Qualität?
    Wenn etwa vom Fleisch gesprochen werde, höre man oft das Argument, dass die Fleischqualität in Österreich viel höher sei, dass etwa in Deutschland die Landwirtschaftsbetriebe viel größer seien. Ob das den riesigen Preisunterschied rechtfertigt, wagt Zgubic zumindest anzuzweifeln. Ähnliches gilt auch für den Milchpreis, wo argumentiert wird, dass in Österreich Milch gentechnikfrei produziert werde. „Aber die Frage ist, ob das einen Preisunterschied von 70 Prozent rechtfertigt“, so Zgubic. Auch der vom Handel gerne ins Treffen geführte Lohnunterschied sei bei Weitem nicht so hoch, als dass damit derartige Preisunterschiede erklärbar wären. Es gebe viele Argumente seitens der Handelsunternehmen, aber: „Bisher haben wir nicht wirklich sehr überzeugende Argumente des Handels gehört, welche die Preisunterschiede plausibel erklären würden.“

    Lange Transportwege
    Ernst Tüchler, Referent im volkswirtschaftlichen Referat des ÖGB, kennt die Milchwirtschaft in Österreich sehr gut und hat Einblicke in die Preisbildung. Er betont zunächst die extrem hohe Qualität der Milch aus Österreich. Diese rechtfertige sicher zum Teil höhere Preise. Ein weiterer Grund für die Preisdifferenz liegt darin, dass in Deutschland der Anteil an Haltbarmilch wesentlich größer ist als hierzulande, wo das Angebot an Frischmilch überwiegt, welche teurer verkauft wird.
    Einer der klaren Preistreiber sind Tüchler zufolge aber die relativ langen Transportwege verbunden mit im europäischen und internationalen Vergleich kleinen Firmengrößen bzw. Bauernhöfen: „Die Transportkosten vom Bauern machen einen großen Anteil am Preis aus.“ Laut Agrarmarkt Austria lag der Preis für einen Liter Milch mit 4,2 Prozent Fetteinheiten ab Hof 2016 bei gerade einmal 31,2 Cent.
    Im Februar 2017 kostete die Milch laut AK-Warenkorb netto 89 Cent. Die Differenz von in diesem Beispiel 58 Cent setzt sich aus den Transportkosten in die Molkerei, den Löhnen und Gehältern der Molkerei-MitarbeiterInnen, den Kapitalkosten der Molkereien und der Spanne bei den Supermärkten zusammen. Wohlgemerkt werden für den AK-Warenkorb die jeweils billigsten Produkte herangezogen, was darauf schließen lässt, dass die Differenz meist noch größer ist.
    Rund ein Drittel der gesamten österreichischen Milchproduktion kommt aus Oberösterreich. Rund 200 Verarbeitungsbetriebe stellen dann aus dem Rohstoff Milch diverse Produkte her – von Butter über Schlagobers bis hin zu Käse und Frischkäsezubereitungen. Der umsatzstärkste Molkereibetrieb in Österreich ist Berglandmilch, und zwar mit großem Abstand zu NÖM auf Platz zwei. Platz drei belegt Gmundner Milch. Natürlich kommen Milch und Milchprodukte, die in Österreichs Supermärkten landen, nicht nur von österreichischen Betrieben. Allerdings legen die KonsumentInnen hierzulande bei Milcherzeugnissen besonders viel Wert auf heimische Ware. Das geht aus einer Studie von Fessel-GfK von 2010 hervor, die sich mit den Kaufentscheidungsgründen für Produkte befasste. So antworteten 65 Prozent der Befragten, dass sie bei Milch und Butter darauf achten, ein österreichisches Produkt zu kaufen, bei Käse waren es 48 Prozent. Zum Vergleich: Nur 17 (Milch und Butter) bzw. 13 Prozent (Käse) ist wichtig, ein Bioprodukt zu kaufen.

    Abhängigkeitsverhältnisse
    In Österreich gibt es eine sehr hohe Marktkonzentration im Lebensmittelhandel, was ihm eine große Marktmacht gibt. Diese Konzentration hat sogar die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) im Juni 2007 festgestellt. In der entsprechenden Schlussfolgerung der BWB heißt es: „Fest steht, dass der Lebensmittelhandel in Österreich einen – auch im gesamteuropäischen Vergleich – sehr hohen Konzentrationsgrad aufweist. Wettbewerbsdruck geht vorwiegend vom wachsenden Diskonthandel aus, der ‚traditionelle‘ Lebensmittelhandel hingegen ist hochkonzentriert.“
    Und die Behörde folgert: „Die Untersuchung der Marktverhältnisse auf verschiedenen Beschaffungsmärkten hat neben der erwähnten Marktkonzentration weitere deutliche Hinweise für das Bestehen ausgeprägter Nachfragemacht ergeben: Die hohe Abhängigkeit ist aufgrund der Marktverhältnisse evident, ein Ausweichen auf andere Absatzkanäle, wie etwa den Export, ist nicht ohne Weiteres möglich.“ Der Verlust eines großen Abnehmers berge für Erzeuger und Importeure „die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Nachteile“. Wenn starke Herstellermarken fehlen und die Angebotsseite wenig konzentriert sei, sei „der Nachfragemacht kaum Grenzen gesetzt“.

    Teuer trotz (?) Marktmacht
    Die Marktmacht der Lebensmittelhändler müsste sich eigentlich positiv auf die Preise im Supermarktregal auswirken, denn sie deutet darauf hin, dass die Händler zu relativ günstigen Preisen bei Molkereibetrieben einkaufen können. Ernst Tüchler vom ÖGB meint aber: „Wie die Supermärkte genau zu ihren Preisen gelangen, darüber wissen wir nichts.“ Klar dürfte sein, dass der Handel heute mehr mitschneidet als noch vor knapp 30 Jahren: So lagen die Spannen im Lebensmittelhandel laut Tüchler Anfang der 1990er-Jahre bei 14 Prozent, Anfang der 2010er-Jahre bei rund 28 Prozent.
    Wie genau die Supermarktpreise für Agrarprodukte zustande kommen, ist wenig transparent. Eine Nachfrage beim Verein für Konsumenteninformation etwa dazu, wie der Butterpreis festgesetzt wird, der zuletzt stark angestiegen ist, ergab keine Antwort: Man wisse, wie die Preise etwa von Turnschuhen oder Modeartikeln entstehen, nicht aber, wie der Butterpreis zustande komme. Wichtig wäre eine höhere Transparenz durchaus – nicht zuletzt, weil sich die Preise für Lebensmittel auch im täglichen Einkauf der KonsumentInnen niederschlagen. Und falls, wie manche unterstellen, tatsächlich Absprachen für die hohen Preise verantwortlich sind, wäre eine Aufklärung dieser Geschäftspraktiken an der Zeit.

    AK Preismonitor – Wien ist teurer als Berlin:
    tinyurl.com/y6vbct59

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801227112 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801227073 Geld kann man nicht essen Ohne Nahrung kein Leben. An Rohstoffbörsen werden Lebensmittel gehandelt wie jedes andere Gut. Sie sind von Natur aus begrenzt und risikoanfällig: durch begrenzt verfügbare Ackerflächen, kurze Haltbarkeit, beschränkte Lagerfähigkeit und Naturkatastrophen. Angesichts von klima- und schädlingsbedingten Ernteausfällen kam Friedrich Wilhelm Raiffeisen im 19. Jahrhundert auf die Idee, eine Genossenschaft zu gründen. Ein ähnliches Motiv steckt hinter dem nahezu frivol erscheinenden Phänomen, dass Rohstoffe, die Menschen zum Leben brauchen, an der Börse gehandelt werden, auch wenn dies in der Realität nicht wie in einem Geschäft vonstattengeht. Vielmehr steckt dahinter ein komplexes System.

    Kein physisches Kaufinteresse
    Die ursprüngliche Idee ging ebenso von einem Ausgleichsgeschäft aus. Warenterminbörsen sollten Risiken und Preisverfall absichern. Was den Zustrom des Finanzkapitals in diese Warenterminmärkte so gefährlich macht, ist, dass es kein physisches Kaufinteresse gibt. Die kurzfristige Spekulation auf steigende Preise dient ausschließlich dem Ziel, Gewinne zu machen, und sorgt so für Preisverzerrungen. Zusätzlich verstärkt wird dies durch den algorithmischen Handel, der automatisiert über Computer abläuft.
    Seit der Jahrtausendwende wurden traditionelle Spekulationsbeschränkungen auf Rohstoffmärkten kontinuierlich abgebaut, die Märkte wurden für Derivat-basierte Spekulation geöffnet.
    „Bis Ende der 1990er-Jahre sicherten Futures zum größten Teil noch materielle Warenverträge ab, heute liegt der Anteil bei der Hälfte oder darunter“, beschreibt Bernhard Tröster, Volkswirt bei der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE), die veränderte Situation. „Die Öffnung bewirkte eine drastische Erhöhung des Volumens spekulativ eingesetzten Kapitals. Aus mehreren Gründen: Das Platzen der Dotcom-Internetblase reduzierte die Gewinnaussichten bei Aktienmärkten, das Zinsniveau war niedrig und der wirtschaftliche Aufstieg Chinas, getrieben von großem Rohstoffhunger, machte diese Märkte besonders attraktiv“. Illustriert am Beispiel von Weizen-Futures der Börse in Chicago: Diese verfünffachten ihr Handelsvolumen im Zeitraum von 1998 bis heute.
    Im Gegenzug sank der Anteil kommerzieller Agrarhändler von 50 bis 60 auf 30 Prozent. Von dieser Machtverschiebung profitieren Finanzinvestoren, aber auch internationale Agrarhändler und multinationale Nahrungsmittelkonzerne.

    Insiderwissen
    Die größten Händler von Agrarrohstoffen heißen ADM Bunge & Cargill und Dreyfus, zusammengefasst und abgekürzt als „ABCD“. Laut „Konzernatlas 2017“ verfügen sie insgesamt über einen Weltmarktanteil von 70 Prozent. Sie handeln aber nicht nur mit Agrarstoffen, sondern transportieren und verarbeiten Lebensmittel weiter, besitzen Silos, Ölraffinerien und Hochseeschiffe. Diese Position bringt einen Informationsvorsprung über Ernten, Preise, Wetterlagen und politische Entwicklungen in allen Teilen der Welt. Aufgrund ihres Insiderwissens verfügen sie über eine starke Verhandlungsposition in Preisverhandlungen. Noch nützlicher ist es für die Tätigkeit als Finanzinstitut. Als Investmentgesellschaften verwalten sie Hunderte agrarbasierte Fonds und verfügen so über ein milliardenschweres Investitionskapital. Je nach Marktlage und Geschäftsinteresse wird eine Ernte eingelagert oder verkauft, deshalb spricht man von „Zweiter Ernte“.

    Preistreiber Spekulation
    Seit über zehn Jahren wird die Frage kontroversiell diskutiert, ob Spekulation Getreide teuer macht. Auf der einen Seite stehen entwicklungs- und globalisierungskritische NGOs und die internationale Gewerkschaftsbewegung, auf der anderen Seite wirtschaftsliberale Thinktanks und Banken (in Europa mit der Deutschen Bank in führender Rolle), dazwischen steht die Wissenschaft. Im Landwirtschaftsbericht der Welternährungsorganisation aus dem Jahr 2011 stellte ein Großteil der ForscherInnen fest, dass ein hohes Maß an Spekulation an den Terminmärkten die Preise erhöhen kann.
    Unbestritten ist, dass seit 2006 die Preisschwankungen (Volatilität) bei Lebensmitteln außergewöhnlich hoch sind. Uneinig ist man, ob und in welchem Ausmaß Spekulation überhaupt zu steigenden Agrarpreisen beiträgt. An der Börse selbst gibt man eine klare Antwort: In einer Umfrage der NGO Foodwatch bestätigen dies 89 Prozent der 180 befragten RohstoffhändlerInnen, AnalystInnen und BrokerInnen.
    Insbesondere Finanzspekulation mit Derivaten steht in dem Ruf, Hungerkrisen zu verursachen. Vor allem der algorithmische Börsenhandel gilt als Mitverursacher großer Hungerkrisen in den Jahren 2008 und 2011. Doch was ist überhaupt Spekulation? Darunter versteht man die kurzfristige Investition von Kapital in das Steigen bzw. Fallen von Kursen bzw. Termingeschäfte, um mit diesen Preisschwankungen Gewinne zu erzielen. Die Spekulation mit Lebensmitteln erklärt sich auch aus der beständigen Suche der Investoren nach attraktiven Investments.

    Markt liquide halten
    Die Investmentbank Barclays Capital erhob, dass die Finanzinvestitionen in Lebensmittel und Rohstoffe zwischen 2003 und 2012 von 15 auf 450 Milliarden Dollar angestiegen sind. So risikoreich spekulative Kapitalinvestitionen in Rohstoffe auch sind: Sie gelten als Instrument, um den Markt liquide zu halten und ausgleichend zu wirken. Indexfonds (eine Form von Investmentfonds) werden gerade für KleinanlegerInnen als sichere Geldanlage gewertet.
    Diese Fonds verkaufen auslaufende Verträge beispielsweise über den Kauf von Weizen zu einem in naher Zukunft liegenden Zeitpunkt, stattdessen kaufen sie das Recht, Weizen in drei Monaten zu bekommen. In Börsendeutsch heißt das „rollen“ der Verträge. Diese Finanzprodukte tragen wesentlich zu Preisschwankungen bei und verstärken so Grundprobleme unseres globalen Ernährungssystems.

    Direkte Einkommenseinbußen
    Preisschwankungen betreffen Menschen in Ländern des globalen Südens wesentlich stärker als in den Industrieländern. Zunächst leben dort mehr Menschen von der Landwirtschaft, Preisverluste bringen damit oft direkte Einkommenseinbußen. Wer bis zu 80 Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgibt, für den/die haben bereits geringfügige Preisschwankungen existenzielle Folgen. Ein weiterer Preistreiber liegt in einem Ansatz westlicher Klimapolitik: Viele Jahre galten Agrotreibstoffe (Ethanol, Biodiesel) aus Raps, Palmöl und Soja als perfekte Alternative, um den CO2-Ausstoß und die Erdölabhängigkeit zu reduzieren.
    Die große Nachfrage nach essbaren Treibstoffen zerstört nicht nur den Regenwald, sie treibt zugleich die Agrarpreise in die Höhe. Zur Veranschaulichung: Allein für die Beimengung von Biotreibstoff für den Benzinbedarf in Österreich müsste ein Drittel der gesamten Ackerfläche eingesetzt werden. „Nahrungsmittel raus dem Tank“ lautet daher die prägnante Forderung von Gerhard Riess, Sekretär der Gewerkschaft PRO-GE.
    Eine entsprechende Kampagne von NGOs und Gewerkschaften hat zum Umdenken beigetragen: Im Oktober einigte man sich im EU-Agrarausschuss auf die Revision der Richtlinie zu erneuerbaren Energien. Demnach soll der Anteil an Biokraftstoffen bis 2030 auf zwölf Prozent sinken. Künftige Biokraftstoffe sollen aus Abfall, Stroh und Reststoffen produziert werden.
    Auch die neue EU-Finanzmarktrichtlinie soll Beschränkungen bei der Spekulation auf Nahrungsmittel vorsehen. Die Entwicklungsorganisation Oxfam kritisierte den ersten Entwurf allerdings als „Wunschzettel der Finanzbranche, der zu massiven Marktverzerrungen und gravierenden Preissprüngen“ führen könne.

    Bohren harter Bretter
    Das Zurückdrängen des hochspekulativen Kapitals aus den Agrarmärkten fordert eine Politik des „Bohrens harter Bretter“. Aber auch der/die Einzelne kann etwas tun: „Wer bei der betrieblichen Pensionsvorsorge oder privaten Investments darauf achtet, dass dabei keine spekulativen Veranlagungen in Lebensmittel oder andere Rohstoffe getätigt werden, leistet so einen Beitrag, die Finanzialisierung der Nahrungsmittelmärkte einzudämmen“, so Bernhard Tröster von der ÖFSE.

    Materialien zu Wirtschaft&Gesellschaft – „Finanzmärkte und Rohstoffpreise“ :
    tinyurl.com/ycwytqzh

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin beatrix@beneder.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Beatrix Beneder, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801227067 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801227056 Unter den Füßen wird es knapp Österreich ist EU-Meister beim Bodenverbrauch. Der Flächenverbrauch wird gerne in Fußballfeldern angegeben, damit er leichter vorstellbar ist. In den letzten zehn Jahren wurden in Österreich pro Tag durchschnittlich 20 Hektar Äcker und Wiesen verbaut, das sind 30 Fußballfelder.

    Teure Flächen für Wohnen
    Das Bevölkerungswachstum sowie die Wirtschaftsentwicklung werden auch zukünftig zusätzliche Flächen erfordern. Boden wird immer knapper, was Flächen für Wohnen immer teurer macht. Es stellt sich die Frage, wie einerseits die Bereitstellung der erforderlichen Flächen sowie andererseits ein sparsamer Umgang mit den bestehenden Flächen sichergestellt werden kann. Aktuelle Daten des Umweltbundesamtes zeigen, dass der Bodenverbrauch von 2013 bis 2015 im Durchschnitt bei 16,1 Hektar pro Tag lag. Davon wurden täglich 7 Hektar für Bau- und Verkehrsflächen und 9,1 Hektar auf Betriebs-, Erholungs- und Abbauflächen genutzt.
    Bereits im Jahr 2002 wurde bei der Erstellung der österreichischen Nachhaltigkeitsstrategie die ungebremste Entwicklung des Bodenverbrauchs erkannt. Daher sollte der Zuwachs dauerhaft versiegelter Flächen auf 2,5 Hektar/Tag begrenzt werden. Ein Ziel, von dem Österreich bis heute weit entfernt ist.
    Die Steigerung des Lebensstandards und der Traum vom Eigenheim im Grünen sind die ursächlichsten Gründe für den hohen Bodenverbrauch. So zeigen Zahlen der Statistik Austria, dass die Wohnnutzfläche pro Kopf seit 2001 um drei Quadratmeter gestiegen ist.

    Hohe Kosten für die Allgemeinheit
    Das Einfamilienhaus mit Garten stellt mit zwei Dritteln der Wohngebäude die wohl beliebteste Wohnform für die ÖsterreicherInnen dar und trägt erheblich zur Zersiedelung bei. Großflächige Einkaufszentren am Stadtrand und Betriebsansiedelungen auf der grünen Wiese tragen zusätzlich ihren Teil dazu bei.
    Was auf den ersten Blick für die Gemeinden gewinnbringend erscheint, verursacht auf lange Sicht oft hohe Kosten für die Allgemeinheit. So ist mit der Flächenwidmung für neuen Wohnraum und Gewerbebetrieben am Dorf-/Stadtrand häufig eine Verödung des Ortskernes verbunden. Leerstehende Gebäude wirken nicht attraktiv, weitere Wege zu den Geschäften bedingen mehr Individualverkehr und bedeuten für ältere Menschen oft auch einen Verlust ihrer Selbstständigkeit.
    Das Thema Flächensparen und Flächenmanagement ist daher ein wichtiger Bereich im Raumentwicklungskonzept 2011. Der sorgsame Umgang mit Grund und Boden, eine effizientere und widmungskonforme Nutzung von Flächen, die Mobilisierung von Bauland, flächensparendes Bauen sowie Revitalisierungs- und Recyclingmaßnahmen von Flächen und baulichen Strukturen sind als Ziele formuliert. Eine Grundlage für die gesamtheitliche Betrachtung bietet das gewidmete, aber nicht bebaute Bauland in Österreich. Über ein Viertel (26,6 Prozent) der gewidmeten Baulandfläche in Österreich ist nicht bebaut.

    Umweltauswirkungen
    Durch die Versiegelung der Böden gehen wichtige Schutzfunktionen des Bodens für uns Menschen und die Umwelt verloren. So trägt der Boden wesentlich zur CO2-Speicherung und somit zum Klimaschutz bei. Bei nicht nachhaltiger Nutzung kehrt sich dieser Vorteil genau ins Gegenteil um: das im Boden gespeicherte CO2 wird wieder an die Luft abgegeben. Boden ist außerdem ein wichtiger Wasserspeicher sowie Filter für Wasser und Nährstoffe, er dient dazu, Schadstoffe zu filtern, zu neutralisieren und/oder zu binden. Zudem werden durch Versiegelung oft Lebensräume zerschnitten, was zum Verlust von Biodiversität beiträgt.
    Laut dem Bericht „Wie geht’s Österreich“ von Statistik Austria stellt die mit der Flächeninanspruchnahme einhergehende Bodenversiegelung eines der größten Umweltprobleme dar und ist ein nahezu irreversibler Prozess.
    Aber auch landwirtschaftliche Nutzung führt zu Bodenverlusten. Der intensive Gebrauch von Pestiziden und Chemikalien sowie Monokulturen zerstören die Bodenstruktur sowie die Ökologie des Bodens, was zu dessen Erosion beiträgt. Es braucht beispielsweise 500 Jahre, um einen 2,5 cm hohen fruchtbaren Boden aufzubauen. Weiters führt der Einsatz von immer schwereren Landmaschinen zu einer verstärkten Verdichtung des Bodens. Daher ist auch die Landwirtschaft gefordert, den Boden schonender zu bewirtschaften. Ein gesunder und aktiver Boden kann besser ausreichend und gesunde Lebensmittel liefern sowie vor Überschwemmung und Vermurung schützen.

    Zukünftige Lösungen
    Eine besondere Rolle bei der Reduktion des zukünftigen Flächenverbrauchs spielen einerseits die Gemeinden, denn sie sind für Flächenwidmung zuständig, sowie andererseits die Bundesländer, die für Raumordnung und Bodenschutz zuständig sind.
    Der Bund hat hier keinerlei rechtliche Kompetenz, anders als im Nachbarland Deutschland, wo es ein bundesweites Bodenschutzgesetz gibt. Damit kann Deutschland Lösungen bis auf die Gemeindeebene in einer Strategie verankern und zumindest stadtplanerische Instrumente einsetzen. Konkret unterbreitet hier der „Bund“ Gemeinden konkrete Vorschläge, wie eine Gemeinde aktiv ihren Flächenverbrauch senken könnte. So könnten zum Beispiel bereits erschlossene Flächen im Ortskern besser genützt werden, bevor neues Bauland am Ortsrand ausgewiesen wird. So eine Vorgehensweise spart auf lange Sicht Flächen und auch Kosten. Die Zusammenarbeit von Gemeinden bietet dabei erhebliche Vorteile.
    Die große Herausforderung ist es, einen qualitativ schonenden Umgang mit der Ressource Boden, leistbares Wohnen und aktiven Bodenschutz unter einen Hut zu bringen. Eine künstliche Verknappung der Ressource Boden durch fix festgelegte Flächenverbrauchswerte würde zu einem starken Anstieg der Bodenpreise führen. Die Verfügbarkeit der für die Entwicklung notwendigen Flächen zu vertretbaren Preisen ist auch zukünftig sicherzustellen. Hier könnte eine übergeordnete Raumordnung die Zuständigkeit des Bundes beim Bodenschutz stärken.
    Sinnvoll wären zudem bessere Rahmenbedingungen für die Revitalisierung von brachliegenden Industrie- und Gewerbeflächen.
    Das Land Salzburg hat in seiner Novelle des Raumordnungsgesetzes 2017 Maßnahmen ergriffen, um den Bodenschutz zu stärken. Mit der Einführung eines Infrastruktur-Bereitstellungsbeitrags soll erreicht werden, dass zukünftig Bauland rascher aktiv genutzt wird. Wird nach fünf Jahren nicht gebaut, ist eine Infrastrukturabgabe ab einer Fläche von über 500 m2 zu bezahlen. Dieser Beitrag ist gestaffelt gestaltet und beträgt beispielsweise für gewidmetes Bauland in der Größe von 500 bis 1.000 m2 jährlich 1.400 Euro. Außerdem ist Bauland künftig auf nur mehr zehn Jahre befristet. Wird in dieser Zeit nicht gebaut, wird dieses Bauland automatisch in Grünland rückgewidmet. Nur für Eigenbedarf wird diese Frist auf 15 Jahre verlängert. Damit soll der Spekulation mit Bauland ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben werden. So sind in Österreich rund 26 Prozent des gewidmeten Baulandes nicht bebaut.

    Strategische Entwicklung angebracht
    Das Land Salzburg stellt zu nicht genütztem Bauland folgende Berechnungen an: Würden 918 Hektar ausgewiesenes Bauland mit einer Geschoßflächenzahl von 0,7 verbaut werden – wie für Reihen- oder Doppelhäuser durchaus üblich –, würde dieser Grund rund 160.000 Menschen ein Dach über dem Kopf geben, wenn pro BewohnerIn eine Wohnfläche von rund 40 Quadratmetern angenommen wird. Die Verdichtung der Verbauung anstatt weiterer Zersiedelung kann weitere Flächenversiegelung verringern.
    Eine strategische, nachhaltige Siedlungsentwicklung, die die Bodenversiegelung eindämmt und strategische Planung ermöglicht, wäre für Gesamtösterreich angebracht. Damit könnten mittel- und langfristig der Bodenverbrauch reduziert, leistbares Wohnen ermöglicht und aktiver Bodenschutz betrieben werden.

    Initiative „Rette den Boden“:
    www.people4soil.eu/de 

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin iris.strutzmann@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Iris Strutzmann, Arbeiterkammer Wien, Abteilung Umwelt und Verkehr Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801227050 Der steigende Lebensstandard und der Traum vom Eigenheim im Grünen sind die ursächlichsten Gründe für den hohen Bodenverbrauch. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801227018 Ackern 4.0 Die Verbreitung von Computern, Smartphones, Sensoren und Breitbandinternet ermöglicht eine Form der Landwirtschaft, wie sie vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen ist.
     
    Technik für Nachhaltigkeit
    Zum Beispiel derart: Kühe können mit Detektoren ausgestattet werden, die permanent ihre Gesundheit überwachen, und Algorithmen planen den Zeitpunkt für eine Insemination. In einem Bericht des Europäischen Parlaments mit dem Titel „Technische Lösungen für die nachhaltige Landwirtschaft“ heißt es etwa: die Verteilung von Herbiziden lässt sich durch die sinnvolle Anwendung der neuen Technologien um bis zu 18 Prozent verringern. Ähnlich stark könnten die Einsparungen bei Pestiziden oder auch bei der Nutzung von Traktoren sein.
    Doch allein auf technische Innovationen zu vertrauen ist der falsche Weg, weiß Andreas Gronauer, Leiter des Instituts für Landtechnik an der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU). „Technik ersetzt nie Verstand und Wissen. Wer glaubt, dass Technik Fähigkeit und Wissen ersetzen kann, der ist auf dem Holzweg“, warnt er. „Technik ist nur ein dienendes Mittel.“ Sie liefert jedoch Möglichkeiten, um in Prozesse einzugreifen: Sie hilft etwa dabei, die schwere körperliche Arbeit in der Landwirtschaft zu vereinfachen. Besonders das Melken geht aufs Kreuz. Deshalb sollen automatische Melksysteme und -roboter Milch gewinnen. Das Melkgeschirr wird dabei automatisch mit Erkennungssystemen auf Basis von Ultraschall, Laser und optischen Sensoren an das Euter der Kuh angeschlossen. Freilich wird das Rind nun noch mehr zur bloßen Milchmaschine degradiert. Um ständig Milch zu produzieren, muss eine Kuh jedes Jahr ein Kalb gebären. Sie lebt als „Hochleistungsmaschine“, um rund 8.000 Liter Milch pro Jahr zu liefern.

    Gedämpfte Erwartungen
    Gronauer dämpft die Erwartungen: „Die große Fehleinschätzung ist, dass sich der Bauer dann auf die faule Haut legen kann und das ganze System rennt von alleine.“ Denn in Wahrheit verschieben sich nur die Arbeitsinhalte: „Der Bauer muss etwa mehr Zeit darauf verwenden, seine Tiere zu beobachten.“ Der körperliche Einsatz wird geringer, dafür gibt es mehr intellektuelle Arbeit, die wiederum Wissen und Ausbildung voraussetzt. Durch das Fördersystem ist es notwendig, dass die LandwirtInnen ihre Arbeit genau dokumentieren. Was auf den Feldern gepflanzt wird oder wie viel und welche Düngemittel und Pestizide zum Einsatz kommen, darüber muss Buch geführt werden. Eine oft wenig geschätzte Arbeit. Doch werden diese Tätigkeiten digital erfasst, ersparen sich die LandwirtInnen die langwierigen Computer-Eingaben – am Ende des Jahres einfach „Enter“ drücken und schon spuckt der Computer das fertige Formular aus. Freilich macht das die LandwirtInnen zu gläsernen Bäuerinnen und Bauern, was nicht allen recht ist.
    Historisch gesehen waren technische Innovationen in der Landwirtschaft oft ein Nebenprodukt militärischer Entwicklungen. Das gilt etwa für Traktoren oder für die Stickstoffdüngemittel, die als Nebenprodukt der Sprengstoffherstellung entwickelt wurden. Technische Neuerungen werden in der Regel in Groß- und Mittelbetrieben zuerst angewendet. Erst später, wenn neue Produkte in größeren Stückzahlen hergestellt werden, sind sie auch für Kleinbetriebe leistbar.

    Kooperation
    Andreas Gronauer rät kleineren Landwirtschaften zum überbetrieblichen Einsatz der Ressourcen. Ein Traktor kostet im eher günstigen Segment zwischen 50.000 und 100.000 Euro. Effizienter ist es, wenn sich Bäuerinnen und Bauern zusammenschließen und Geräte gemeinsam anschaffen. Diese Betriebsgemeinschaften können sich dann etwa High-Tech-Traktoren im höheren Preissegment anschaffen, die etwa mit GPS-Tracker auch am Computer geortet werden können. „Die Bauern können jederzeit online einsehen, wo die Maschinen gerade eingesetzt werden. Auf diese Art ist eine logistisch effiziente Zeitplanung möglich“, erklärt der Landwirtschaftsexperte. „Wenn der Traktor noch 30 Minuten beim Huber-Bauern läuft, kann ich mich im System einbuchen und die Maschine dort abholen.“ Der Vorteil für die Betriebsgemeinschaften liegt auf der Hand: In einzelnen Betrieben läuft ein Traktor etwa 400 Arbeitsstunden pro Jahr, in Betriebsgemeinschaften kann ein Traktor jährlich oft bis zu 1.200 Stunden und länger eingesetzt werden.
    Technik und ökologische Landwirtschaft müssen sich nicht zwangsläufig widersprechen. So arbeiten auch manche Bio-LandwirtInnen mit modernen Technologien, etwa wenn sie Drohnen gegen Schädlinge einsetzen. Der Maiszünsler – ein Schmetterling, der seine Eier an Maispflanzen ablegt – gehört zu den wirtschaftlich bedeutendsten Schädlingen in Mais- und Hopfenanbaugebieten. Die geschlüpften Larven bohren sich von der Spitze her in den Stängel und fressen sich dann komplett durch die Pflanze. Die Folgen sind oft fatal: Die Mais-Stängel knicken auf halber Höhe um, die Kolben verfaulen und an den Bohrlöchern können sich zudem Pilze bilden. Der natürliche Feind dieses Schmetterlings heißt „Trichogramma brassicae“, eine kleine Schlupfwespenart, die des Maiszünslers Eier angreift.
    Von Mitte Juni bis Mitte Juli werden nun Drohnen auf das Maisfeld geschickt, die dort Schlupfwespen-Eier abwerfen. Zur Vorbereitung des Einsatzes gibt der Landwirt die Geokoordinaten des Maisfeldes bekannt. Mithilfe einer App wird anhand dieser Daten ein Flugraster für die Drohne erstellt. Die Kugeln mit den Nützlingen werden in einem Behälter von der Drohne transportiert. In einer dieser Kugeln befinden sich rund 1.100 Schlupfwespenlarven in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Durch kleine Löcher in der Kugel gelangen die Nützlinge nach und nach ins Freie. Die geschlüpften Larven fressen die Eier des Zünslers.
    Drohnen sind auch in anderen Bereichen einsetzbar. Sie helfen etwa im Flachgau und dem angrenzenden Innviertel beim Aufspüren von Jungwild, Wildvögel-Gelegen und Feldhasen, um sie vor dem sicheren Tod durch riesige Mähmaschinen zu retten. Der „Octocopter“ mit acht Rotoren ist mit einer hochsensiblen Wärmebildkamera ausgestattet und überfliegt das Gelände in rund 30 bis 50 Meter Höhe.

    Elektrische Mobilität
    Auch an elektrischer Mobilität wird in der Landwirtschaft gearbeitet. Doch Traktoren brauchen jede Menge Zugkraft. Mit aufladbaren Batterien kann diese Leistung derzeit bei Weitem noch nicht erbracht werden. Dafür müsste ein ganzer Anhänger voll mit Batterien mitgeführt werden. Wenn aber Verbrennungsmotoren in der absolut obersten, optimalen Effizienzregion der Motordrehzahl und des Drehmoments gehalten werden, können damit Generatoren angetrieben werden, die so effizient Strom erzeugen. Dieses Konzept wird bei Mähdreschern und Häckslern angewendet – die von ihnen angetriebenen Generatoren versorgen dann elektrische Antriebe, die die Arbeit am Feld erleichtern.

    Prüfende Sensoren
    Die Technik dient heute den Menschen, weil sie sensitiver wird. „Wenn man sich eine Bodenkarte ansieht, ist der Boden eines Feldes nie homogen. Es gibt Unterschiede in der Bodenart, der Nährstoffverteilung und der Verdichtung“, erklärt Experte Gronauer. Allerdings sind diese Unterschiede im Kleinen durch die grobe maschinelle Bearbeitung verloren gegangen, die Felder wurden bestellt, als wären sie homogen aufgebaut. „Unsere Urgroßväter waren mit dem Pferd unterwegs und haben sehr wohl noch die Unterschiede auf den Feldern gekannt“, weiß Gronauer. „Sie gingen dem Pflug zu Fuß hinterher und wussten genau, wie der Boden beschaffen ist, und haben darauf reagiert, indem sie den Pflug auch mal tiefer laufen ließen.“ Heute können Sensoren diese kleinteiligen Unterschiede (wieder) erkennen und in entsprechender Weise Rücksicht nehmen.
    Doch trotz aller technischen Raffinessen bleibt den LandwirtInnen manche lästige, unangenehme Arbeit noch immer übrig: etwa das Ausbringen der Gülle auf die Felder. Diese stinkende und langweilige Arbeit kann bisher noch kein Roboter übernehmen.
     
    Bericht des Europäischen Parlaments:
    www.europarl.europa.eu/thinktank
     
    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
    resei@gmx.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Resei, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801227012 Drohnen kommen in der Landwirtschaft vermehrt zum Einsatz, etwa bei der Schädlingsbekämpfung. Oder sie helfen beim Aufspüren von Jungwild, um diese vor dem sicheren Tod durch riesige Mähmaschinen zu retten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225446 Veraltetes Steuersystem Wenn es um dieses Thema geht, geht es meist hoch her: Die einen sprechen von Steuerprivilegien der BäuerInnen, die anderen orten eine Neiddebatte, wittern Angriffe auf BäuerInnen oder gar Klassenkampf. Die Rede ist von der Pauschalierung, von der LandwirtInnen bei der Steuer profitieren – und die aus Sicht der Arbeiterkammer überholt ist.

    Veraltete Basis
    Pauschalierung bedeutet konkret, dass nicht die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben als Grundlage genommen werden, um zu berechnen, wie viel Steuern und Sozialabgaben landwirtschaftliche Betriebe leisten müssen. Grundlage ist vielmehr der sogenannte Einheitswert. Genau dieser ist Stein des Anstoßes, blieb er doch über Jahrzehnte hinweg gleich. Das bedeutet, dass die Steuerlast der LandwirtInnen über Jahrzehnte hinweg von einer veralteten Basis aus berechnet wurde. Konkret ist der Einheitswert für die Berechnung von Einkommens-, Grund-, Grunderwerbs- und Kirchensteuer und für die fälligen Sozialversicherungsbeiträge von Bedeutung, außerdem für Sozialleistungen und Beihilfen. Der Vorwurf: Die Berechnung der Steuerlast hängt nicht davon ab, wie viel der jeweilige Betrieb tatsächlich erwirtschaftet.
    Die Arbeiterkammer hat errechnet, dass die Einkommen aus der Landwirtschaft zwischen 1989, als die damals neuen Einheitswerte in Kraft getreten sind, und 2010 um 108 Prozent gestiegen sind. Im Gegenzug wuchsen aber die Einnahmen aus der Einkommenssteuer im selben Zeitraum nur um 30 Prozent. Das Fazit der AK: Die Kluft zwischen Einkommen und Steuerleistung klafft weit auseinander. Geschätzter Einnahmenausfall laut Finanzministerium: 200 Millionen Euro im Jahr. Zudem wird vermutet, dass die LandwirtInnen und ihre Kinder von höheren Sozialleistungen profitieren könnten, auch wenn ihr Einkommen dem nicht entspricht.
    Doch warum gibt es dieses System überhaupt, wenn sich der Staat dabei so viele Einnahmen entgehen lässt? Die beiden Juristen Georg Kofler und Gottfried Schellmann haben im Jahr 2011 gemeinsam mit der AK eine Studie über die Steuerpauschalierung in der Landwirtschaft erstellt. Darin legen sie die historischen Hintergründe dieses Systems dar. Ursprünglich sollte es vor allem der Entlastung von LandwirtInnen dienen.
    Die beiden Juristen zitieren aus einem Artikel in der „Österreichischen Steuerzeitung“ aus dem Jahr 1959: „Die Umsatz- und Gewinnermittlung stieß bei [...] kleinen Landwirten seit jeher auf Schwierigkeiten, weil diese Steuerpflichtigen vielfach infolge der sonstigen Arbeitsbelastung der Führung von Aufzeichnungen nicht die nötige Aufmerksamkeit zuwendeten. Die in den Steuergesetzen vorgeschriebenen Aufzeichnungen wurden entweder nicht oder nicht vollständig geführt, so dass die Finanzbehörden in diesen Fällen gezwungen waren, den Umsatz und den Gewinn (...) zu schätzen.“ Damit ist auch der zweite Hintergrund für das System angesprochen: die Entlastung der Finanzverwaltung, die sehr viele Betriebe hätte schätzen müssen. So etablierte sich das System der Pauschalierung.
    Seither ist viel Zeit vergangen und in der Landwirtschaft hat ein enormer Wandel stattgefunden. Dazu kommen die spärlichen Anpassungen der Einheitswerte, die nicht nur bei der Arbeiterkammer für Kritik sorgten. So nannte der Rechnungshof das System in seinem Bericht aus dem Jahr 1990 gar „außerordentlich ungerecht“. Es stehe „nicht im Einklang mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung, weil bei gleich hohem wirtschaftlichen Einkommen unterschiedliche Abgabenbelastungen entstehen können.“

    Weitreichende Folgen
    Diese Ungleichheit bzw. die fehlende Anpassung der Einheitswerte sollte weitreichende Folgen haben. Im Jahr 2007 hob der Verfassungsgerichtshof die bis dahin geltende Erbschafts- und Schenkungssteuer auf. Die Begründung: Die latente Unterbewertung von Grund und Boden, in der das Gericht eine Gleichheitswidrigkeit bei der Besteuerung von Grundvermögen sah.
    Auch die beiden Juristen Kofler und Schellmann halten das System für verfassungswidrig. Ihre Argumentation: „Der Gedanke der Pauschalierung von Steuerbemessungsgrundlagen widerspricht im Grunde den ‚steuerlichen Gerechtigkeitspostulaten, insbesondere dem Prinzip der Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit‘.“ Zwar könne ein gewisses Maß an Steuerungerechtigkeit akzeptiert werden, wie auch die Steuerreformkommission erläuterte – allerdings nur dann, wenn diese „in einem vertretbaren Verhältnis zu der dadurch bewirkten Verwaltungsersparnis steht“. Genau hier setzt die Kritik der beiden Juristen an.
    So sei die Gruppe, die unter eine Pauschalierungsregel gefasst wird, zu groß, als dass die steuerlichen Verhältnisse der verschiedenen LandwirtInnen vergleichbar wären. Deshalb erfasse die Pauschalierung nur einen „Bruchteil der tatsächlichen Gewinne“. Ihr Fazit: „Die Wahl des Einheitswertes als Pauschalierungsmaßstab ist nicht geeignet, eine dem tatsächlichen Gewinn nahekommende Größe zu ermitteln.“ Denn er sei eine „fiktive Bezugsgröße“, die „jeden signifikanten Bezug zur Ertragsrealität der landwirtschaftlichen Betriebe verloren hat“.
    Oberflächlich betrachtet wirkt das System also in der Tat unfair. Kofler und Schellmann räumen allerdings ein, dass die geringen Einkünfte vieler LandwirtInnen vermuten lassen, dass die Pauschalierung für sie tatsächlich legitim ist. Denn auch bei einer Einnahmen-Ausgaben-Rechnung würde bei ihnen keine substanziell höhere Steuerlast herauskommen. Allerdings sei die Bemessung auf Basis der Einheitswerte zu ungenau und würde bestimmte Betriebe „erheblich begünstigen“. Hier müsse eine Reform ansetzen, so die beiden Juristen.

    Kleinere stärker belastet
    Nicht zuletzt die Arbeiterkammer machte daher Druck, damit die Einheitswerte den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden. Im Jahr 2012 war es dann so weit: Im Parlament wurde die Reform des Einheitswerts beschlossen. Aufseiten der Landwirtschaft zeigte man sich zufrieden. Es sei eine „nachhaltige Modernisierung“ gelungen, erklärte Gerhard Wlodkowski, damaliger Präsident der Landwirtschaftskammer. Auch der damalige Bauernbund-Chef Jakob Auer zeigte sich zufrieden, er sprach von einer „praxisnahen Regelung, die mehr Gleichbehandlung bringt“. Man habe eine „Bürokratielawine für die Landwirtschaft verhindert“, sagte der damalige Landwirtschaftsminister Niki Berlakovich.
    Anders sehen dies die Grünen BäuerInnen. Ihren Analysen zufolge haben kleine und mittlere Betriebe negative finanzielle Auswirkungen zu befürchten. Ein Betrieb mit einem „alten“ Einheitswert von 5.000 Euro müsse bei einer Einheitswerterhöhung um 1.000 Euro 788 Euro an zusätzlichen Steuern und Abgaben zahlen. Bei einem Betrieb mit einem „alten“ Einheitswert von 15.000 Euro schlage sich dies hingegen nur mit 468 Euro zu Buche, bei einem Großbetrieb mit 130.000 Euro Einheitswert gar nur mit 19 Euro jährlich. Der kleinere Betrieb werde also bei derselben Einheitswerterhöhung fast 40-mal so stark belastet wie der Großbetrieb, so die Kritik.

    Kaum Veränderung
    In der AK ist man vorsichtig bis skeptisch. Noch würden entsprechende Daten fehlen, erklärt Landwirtschaftsexpertin Maria Burgstaller. Sie verweist aber auf die Aussage Hermann Peyerls von der Universität für Bodenkultur in den Salzburger Nachrichten, wonach die neuen Einheitswerte nur wenig bringen würden. So stiegen die Einheitswerte durch die Reform zwar im Schnitt um zehn Prozent. Zugleich wurde die Grenze gesenkt, bis zu der Betriebe auf die Pauschalierung zurückgreifen können: Diese liegt nunmehr bei 75.000 statt bei 100.000 Euro. Das klinge fair, werde aber faktisch keine Auswirkung haben, erklärte Peyerl. Denn mehr als 95 Prozent der LandwirtInnen haben einen Einheitswert, der unter diesen 75.000 Euro liegt – für sie ändert sich durch die Reform also nichts. Zumindest nicht, was die Steuern betrifft. Auswirkungen ortet Peyerl allerdings bei den Sozialabgaben, denn diese würden durch die Anhebung der Einheitswerte sehr wohl steigen.
    Fair sei dies nicht, wie er erläutert: „Die zusätzlichen Sozialversicherungsbeiträge treffen kleine Bauern stärker als große Landwirte, die ja schon in der Höchstbemessung sind.“

    AK-Studie zur Pauschalierung in der Landwirtschaft:
    tinyurl.com/y8xu38ac
    AK-Studie „Agrareinkommen in Österreich und in der EU“:
    tinyurl.com/y9efcaqh

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Zeitschrift "Arbeit&Wirtschaft" Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801225440 Die Kluft zwischen Einkommen und Steuerleistung der LandwirtInnen klafft weit auseinander. Zum Vergrößern auf die Infografik klicken. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225401 Tricks bei der Wasserqualität „Eine tolle Sache, hier zu wohnen“, sagt die Neo-Marchfelderin Sonja, die vor drei Jahren von Wien nach Leopoldsdorf gezogen ist. Doch so toll die Gegend sein mag, über eins waren sie und ihre Familie geradezu entsetzt: die schlechte Wasserqualität. Zwar hat jeder Haushalt seinen Brunnen. Nur: Das Wasser ist nicht trinkbar.

    Kochen mit Mineralwasser
    Bei der Gemeinde war das Versprechen zu unterschreiben, ausschließlich mit Mineralwasser zu kochen. Vom Anschluss an das Ortsnetz in den kommenden Jahren erhofft sich Sonja nicht allzu viel: Das chemisch aufbereitete Wasser schmecke „grauslich“, weiß sie aus den Nachbargemeinden. „Aber es sind zumindest keine Bakterien drin. Außer, wenn es hin und wieder ‚kippt‘, wie manchmal aus Gänserndorf zu hören ist. Dann müssen die Bewohner halt auf die Behebung warten.“
    Im Allgemeinen hat Österreich mit seinem Trinkwasser großes Glück: Das reichhaltige Angebot an Wasser ermöglicht zu fast 100 Prozent die Versorgung aus Grundwasser. Zum Vergleich: England bezieht 72 Prozent aus aufbereitungsintensivem Oberflächenwasser. Über 90 Prozent der heimischen Haushalte sind an ein öffentliches Netz angeschlossen. Der Versorger hat sein Wasser in einer der Trinkwasserverordnung (TWV) entsprechenden Qualität abzugeben, wobei der Nitratwert als wichtigster Parameter gilt. Hier liegt der erlaubte Maximalwert bei 50 mg/l, bei Pestiziden sind höchstens 0,1 µg/l zulässig. „Wer auf Hausbrunnen angewiesen ist, hat in manchen intensiv-landwirtschaftlichen Regionen leider Pech mit der Trinkwasserqualität“, sagt Iris Strutzmann. „Wobei: Vorschriften für restriktivere Maßnahmen zur Senkung des Nitrateingangs gäbe es genug“, so die Agrarwissenschafterin und Mitarbeiterin der AK-Abteilung Umwelt und Verkehr.

    Verschlechterung
    Das Ziel der EU-Wasserrahmenrichtlinie, nämlich chemisch gutes Grundwasser, sollte durch die im Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplan 2009 angeführten Maßnahmen bis 2027 erreicht werden. Insbesondere das Aktionsprogramm Nitrat und die freiwillige Teilnahme am Agrarumweltprogramm ÖPUL sollten Besserung bringen. Die Fördermittel für grundwasserrelevante ÖPUL-Maßnahmen im Marchfeld betrugen zwischen 2009 und 2013 rund 6,78 Millionen Euro. Doch zeigte die Ist-Bestandsanalyse 2013 eine Verschlechterung der Lage und einen steigenden Trend bei der Nitratbelastung. Bund und Länder schieben einander die Verantwortung zu, wie aus dem Rechnungshofbericht 2015 über die „Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie im Bereich Grundwasser im Weinviertel“ nachzulesen ist. „Die vorhandenen gesetzlichen Instrumente wurden – unter Verweis auf Regelungsmöglichkeiten durch den jeweils anderen (Bund bzw. Land) – bisher nicht ausgeschöpft bzw. nicht genutzt“, so der Bericht. Im Sinne der Verbesserung der Grundwasserqualität sei es zweckmäßig, „dass die befassten Behörden ihre Verantwortung umfassend wahrnehmen und nicht auf die Handlungsmöglichkeit der jeweils anderen hinweisen“.

    Problem seit Jahrzehnten bekannt
    Trotz strenger rechtlicher Vorgaben treten in Gebieten, die intensiv landwirtschaftlich genutzt werden, wie im Osten und Südosten Österreichs sowie im oberösterreichischen Zentralraum, noch immer überhöhte Nitrat- und Pestizidwerte auf. Dieses Problem wäre mit gutem Willen seitens der Politik und der Agrarwirtschaft lösbar. Doch werde seit Jahren „einfach zu wenig getan“, bemängelt Strutzmann. Gerade mit dem (bundesweit geltenden) Aktionsplan Nitrat könne ein neuer Ansatz zum verantwortungsbewussten Umgang mit schädlichen Düngemitteln seitens der Landwirtschaft verfolgt werden. „In Problemgebieten braucht es strengere Überwachung. Die Bauern dürfen nicht so viel Dünger ausbringen. Denn ist das Nitrat einmal im Boden, kommt es sehr schwer wieder heraus“, weiß die AK-Expertin.
    Der Anstieg der Belastung sei „umso mehr zu beanstanden“, kritisierte der Rechnungshof, „als das Problem seit mehr als 50 Jahren bekannt war“. Immerhin hatte es seinerzeit sogar zur Gründung einer eigenen Gesellschaft – EVN Wasser GmbH – geführt, um die Qualität des Trinkwassers zu garantieren. Die Förderungen hätten zu wenig quantitative Ziele, kritisiert Agrarwissenschafterin Strutzmann. „Somit wird Geld ausgeschüttet, ohne den messbaren Effekt zu kennen. Man könnte in einer gemeinsamen Agrarpolitik viel radikaler ausschließlich das fördern, was Umwelt und Grundwasser nicht beeinträchtigt.“ Die EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) gibt das Erreichen bzw. Bewahren eines guten chemischen Zustandes des Grund- bzw. Trinkwassers vor. „Bei der Umsetzung der WRRL in Österreich wurde – im gesetzlichen Rahmen – einfach ein wenig getrickst“, sagt Iris Strutzmann. So wurde für die Planung eine neue Unterteilung der Grundwasserkörper vorgenommen. „Die gewählte Einteilung erschwerte die Fokussierung auf wesentliche Problembereiche“, stellt auch der Rechnungshofbericht 2015 fest, „und führte zu einer Nivellierung von Belastungen bei unterschiedlich stark verunreinigten Wasserkörpern.“ So war etwa das Grundwassergebiet Zayatal in Niederösterreich bei Nitratwerten bis zu 120 mg/l bis 2006 als voraussichtliches Gebiet zur Anwendung von Schutzmaßnahmen ausgewiesen. Durch die Einbindung in die Gruppe der Grundwasserkörper „Weinviertel MAR“ löste sich das Problem ohne weiteres Zutun großräumig auf.

    Dabei ist es alles andere als geringer geworden: Der „Nitratbericht 2016“ weist vier Grundwasserkörper (mit einer Gesamtfläche von 1.570 km2) aus, die in keinem guten chemischen Zustand sind. Bei mindestens 50 Prozent der Messstellen wird der Schwellenwert von 45 mg/l überschritten, nämlich: Marchfeld, Parndorfer Platte, Ikvatal und Südliches Wiener Becken – Ostrand.
    Im Sommer meldete der Wasserleitungsverband Nördliches Burgenland (WLV NB) zu hohe Belastung durch Nitrat im Grundwasser. Eine gesetzliche Regelung für den Einsatz von Düngemitteln sei unbedingt notwendig, forderte Helmut Herlicska, Technischer Betriebsleiter des WLV. Rund 20 Prozent des Grundwassers seien stark belastet. Nur aufwendige Maßnahmen könnten die gute Qualität des Trinkwassers garantieren. Immer wieder beklagen die Wasserversorger Verstöße gegen das seitens der EU geforderte Verschlechterungsverbot und Verursacherprinzip durch die Landwirtschaft. Der WLV NB reichte Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein. „Irgendwann“, prophezeit Strutzmann, „werden dann die durch notwendige Aufbereitung des Wassers erhöhten Kosten an die Konsumenten abgegeben. Das heißt: Wir alle zahlen.“
    Mit Problemen hat auch Oberösterreich zu kämpfen. Hier werden über 20 Prozent der Haushalte durch Hausbrunnen versorgt. Seit vielen Jahren führt daher die AK OÖ Brunnenwassertests in den Problemgebieten Eferdinger Becken, Machland bzw. Traun-Enns-Platte durch. 2016 wurden 278 Proben ausgewertet, 26 davon wiesen Nitratwerte über dem Schwellenwert von 45 mg/l auf, der Spitzenwert lag bei 171 mg/l.

    Es geht auch anders
    Jahrelang war das Gebiet südlich von Graz als Grundwasserschongebiet verzeichnet. Denn seit den 1990er-Jahren hatte es viel zu hohe Nitratwerte im Grundwasser aufgewiesen. Schließlich beauftragte das Land Steiermark das Forschungsinstitut Joanneum Research mit der Ausarbeitung von Verbesserungsvorschlägen. Seit 1. Jänner 2016 ist das „Regionalprogramm zum Schutz der Grundwasserkörper Grazer Feld, Leibnitzer Feld und Unteres Murtal“ gesetzlich bindend. Die Bauern und Bäuerinnen müssen Anbau, Düngung, Pestizideinsatz etc. genauestens aufzeichnen. So kann überprüft werden, welche Schutzmaßnahmen wirken und wo die Verursacher sind. Die Düngung im Herbst wurde verboten, da sie laut Studie wenig bringt und sehr belastet. „Diese Möglichkeit hätten alle anderen Bundesländer, die Probleme mit dem Grundwasser haben, auch“, sagt Iris Strutzmann. Handlungsbedarf ist nicht zuletzt aufgrund des Klimawandels dringend geboten. So ist bei Abnahme von Niederschlägen im Winter in einigen Regionen Österreichs eine Zunahme der Nitrat- und Pestizidbelastung des Grundwassers zu befürchten.

    AW-Blog:
    blog.arbeit-wirtschaft.at/?s=Strutzmann
    Wirtschaft und Umwelt – Zeitschrift für Umweltpolitik und Nachhaltigkeit:
    www.ak-umwelt.at
    Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH (AGES):
    www.ages.at

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin gabriele.mueller@utanet.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801225377 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225362 Im Namen der KleinbäuerInnen Dass die höchsten Agrarsubventionen an die Großen gehen, ist bekannt. Agrarbetriebe und Arbeitsplätze werden weniger und neue Umweltprobleme, Stichwort Glyphosat, sind virulent. Trotzdem werden „KleinbäuerInnen“ oder „BergbäuerInnen“ gerne herbeigezogen, um die Notwendigkeit hoher Agrarbudgets zu begründen. Bilder von in traditioneller Handarbeit bewirtschafteten Almlandschaften unterstützen diese Botschaft.

    Ungerechte Verteilung
    Zusätzlich wird ein Szenario gezeichnet, wonach eine Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln nicht ohne ein hohes Agrarbudget und eine geförderte Landwirtschaft sichergestellt wäre. Wer aber bekommt unser Steuergeld wirklich?
    Die ungerechte Verteilung der Agrarsubventionen ist seit Jahrzehnten ein großes Thema. Trotz vieler Reformvorhaben hat sich daran nur wenig geändert. Im Juni 2017 gab die Europäische Kommission ein Reflexionspapier über die Zukunft der EU-Finanzen heraus – die neue Periode der Gemeinsamen Agrarpolitik beginnt ab dem Jahr 2021. Darin ist nachzulesen, dass das ungleiche Verhältnis zwischen den FörderempfängerInnen in der Europäischen Union unverändert bei 80:20 liegt, sprich 80 Prozent der Agrarsubventionen gehen an nur 20 Prozent der Betriebe – und zwar an die Großen. Die Kommission erklärt dies in ihrem Papier damit, dass Direktzahlungen häufig immer noch „auf alten Ansprüchen beruhen“ und sich „auf Großbetriebe und Landbesitzer in reicheren Mitgliedstaaten“ konzentrieren. Die EU-Kommission ergänzt diese Feststellung um den Hinweis, dass es enorme Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten gibt: „So bewirtschaften zum Beispiel 92 Prozent der Landwirte in Rumänien und 97 Prozent in Malta kleine Betriebe, in Deutschland sind es weniger als 9 Prozent.“

    20 Prozent an 2,8 Prozent
    In Österreich ist das Verhältnis nicht ganz so krass wie im EU-Querschnitt, da es noch eine größere Anzahl von kleinen und mittleren Betrieben gibt. Eine Aufschlüsselung über den Anteil an Agrarförderungen, der jeweils an die erwähnten 20 bzw. 80 Prozent der FörderwerberInnen geht, existiert nicht. Dennoch kann man sich ein Bild machen, und dieses bestätigt auch für Österreich ein Ungleichgewicht. Von den insgesamt 1,587 Milliarden an EU-Subventionen inklusive nationaler Kofinanzierungsmittel flossen ganze 20 Prozent an gerade einmal 2,8 Prozent der FörderempfängerInnen.
    Eine weitere Zahl bestätigt dieses Ungleichgewicht: Auf 87 Prozent der FörderwerberInnen wurde etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) dieser öffentlichen Gelder verteilt. Eine andere Quelle, die Auskunft über die Höhe der Agrarförderungen gibt, ist die Transparenzdatenbank. Darin kann man Einsicht nehmen, welche Betriebe entsprechende Summen abholen. Das Bemerkenswerte: Im obersten Spitzenfeld liegen Unternehmen, die zwar im Agrarsektor tätig sind oder mit diesem im Zusammenhang stehen, aber ohne selber eine Landwirtschaft zu betreiben.
    Doch auch landwirtschaftliche Großbetriebe erhalten in Österreich mehrere Hunderttausend bis sogar mehr als eine Million Euro an Agrarförderungen – und das obwohl eigentlich eine Obergrenze von 150.000 Euro pro Betrieb sicherstellen sollte, dass sich die Zuwendungen an öffentlichen Geldern für Einzelbetriebe in Grenzen halten. Im Detail betrachtet ist diese Begrenzung jedoch zahnlos, denn sofern ein Betrieb an die 150.000-Euro-Grenze stößt, werden alle Arbeitskosten berücksichtigt und in die tatsächliche Förderhöhe einberechnet. Der Förderbetrag wird dann entsprechend erhöht, was bedeutet: Die SteuerzahlerInnen zahlen die Lohnkosten für diese Großbetriebe indirekt aus dem Budget. Dazu kommt, dass diese Grenze nur für die „Basisprämie“ gilt und andere Agrarförderungen davon nicht betroffen sind. So wird verständlich, dass Einzelbetriebe weiterhin Millionenbeträge erhalten können. Eine echte Begrenzung und Kürzung würde EU-weit alle Großen treffen, was bisher politisch nicht durchsetzbar war.

    Je mehr Fläche, desto mehr Geld
    Der Großteil der Agrarförderungen wird noch immer nach Größe der bewirtschafteten Flächen verteilt. Daher gilt generell: Je mehr Fläche, desto größer der Subventionsbetrag. Solange diese Regel gilt, wird sich an der schiefen Verteilung dieser öffentlichen Gelder wenig verbessern. Im Gegenteil, da Agrarbetriebe „wachsen“, werden hohe Förderungen an Einzelbetriebe zunehmen. Noch eine weitere Zahl: Die Zahlungen an die oberste Gruppe der Unternehmen aus den EU- und national finanzierten Fördermaßnahmen (1. und 2. Säule) betragen im Durchschnitt jeweils fast 100.000 Euro. Die untere Gruppe hingegen, zu der immerhin fast ein Drittel der Förderwerber (31,9 Prozent) gehört, erhält im Durchschnitt lediglich 2.317 Euro.
    Eine gute Datenquelle, um die Situation der kleineren landwirtschaftlichen Betriebe zu analysieren, sind die Einkommensdaten aus dem jährlich publizierten Bericht über die Situation der Österreichischen Landwirtschaft, auch als Grüner Bericht bekannt. Darin ist die Gruppe der „kleineren Betriebe“ neben den mittleren und größeren Betrieben dargestellt. Die „ganz Kleinen“ fehlen im Übrigen, denn die Gruppe der „kleineren Betriebe“ beginnt bei einem Standardoutput von 15.000 Euro.
    Der Vergleich zeigt deutlich: Im Jahr 2016 erhielten diese „Kleineren“ deutlich geringere Agrarförderungen als die anderen beiden Gruppen. Im Vergleich mit den größeren Betrieben beträgt die Differenz bei den Agrarförderungen 53 Prozent. Die Kleinen erzielen auch ungleich niedrigere Einkünfte aus der Landwirtschaft als die zwei anderen Gruppen. Erstaunlich ist jedoch, dass ihr gesamtes Erwerbseinkommen inklusive unselbstständiger Tätigkeiten mit großem Abstand unter dem der „Größeren“ liegt. Denn die größeren Betriebe haben aufgrund ihrer bedeutenden Einkünfte aus der Landwirtschaft in Summe ein doppelt so hohes Erwerbseinkommen wie die „Kleineren“. Ein Vergleich mit den ganz Großen ist aufgrund fehlender Daten nicht möglich.
    Finanziert werden diese Agrarförderungen – ob für klein oder groß – zu einem beträchtlichen Teil aus dem EU-Haushalt. Für die Finanzperiode 2014 bis 2020 wurden dafür 420 Milliarden Euro veranschlagt, das sind immerhin 39 Prozent der Gesamtausgaben der EU. Im Jahr 2016 lagen die EU-Agrarausgaben bei 55 Milliarden Euro. Für Großbetriebe sind besonders die flächenbezogenen Direktzahlungen (1. Säule) maßgeblich, die mit 39,9 Milliarden Euro dotiert sind. Den Agrarmarktausgaben werden 3,2 Milliarden Euro zugeteilt. Die restlichen 11,9 Milliarden Euro gehen an das Programm für den Ländlichen Raum (LE 1420), mit dem ebenfalls flächenbezogene Maßnahmen finanziert werden können. Die Mitgliedstaaten hätten damit jedoch einen großen Gestaltungsspielraum, mehr Aktivitäten im gesamten ländlichen Raum zu fördern – sozusagen über den Tellerrand der engeren Agrarpolitik hinaus. Daher gilt hier im Besonderen: Es ist nicht immer „die EU“ schuld, wenn etwas schiefläuft.

    Kein echter Reformwille
    Trotz umfassender Kritik an der Verteilung und Verwendung der Agrarfördermittel, die insbesondere von Kontrollinstanzen wie dem Rechnungshof und aus der Wissenschaft kommt, entsteht kein echter Reformwille. Bewegung im Fördersystem könnte daher am ehesten eine „Anpassung“ des EU-Agrarbudgets bringen. Ein Argument für ein reduziertes Agrarbudget wäre die sinkende Zahl der Arbeitsplätze und Betriebe im Agrarsektor. Denn den hohen Agrarförderungen zum Trotz gehen die Beschäftigten in der Landwirtschaft deutlich zurück.
    In Österreich ist seit dem EU-Beitritt des Landes ein Rückgang um 36 Prozent (von 209.256 auf 134.452 Arbeitskräfte in Vollzeitäquivalent gerechnet) zu verzeichnen. In manchen neuen EU-Mitgliedstaaten sind bekanntlich ganze Landstriche verwaist. Aber solange die EU-Agrarförderungen fast ausschließlich auf die Flächen aufgeteilt werden, ist nur wenigen geholfen. Denn Flächen brauchen keine Förderungen, um zu bleiben. Menschen und Arbeitsplätze manchmal schon.

    Reflexionspapier der EU-Kommission:
    tinyurl.com/y894k6pv
    Transparenzdatenbank EU:
    www.transparenzdatenbank.at
    Grüner Bericht:
    gruenerbericht.at/cm4

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maria.burgstaller@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Maria Burgstaller, Abteilung Wirtschaftspolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801225356 Zum Vergrößern bitte auf die Grafiken klicken! http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801230360 Verteilung der EU-Agrarförderungen 2016 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801230365 Wer profitiert von den GAP-Hilfen? http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225341 Die Kleinen als Feigenblatt Die Werbung bedient sich gerne idyllischer Bilder: Geworben wird mit kleinen Bergbauernhöfen in naturbelassener Landschaft, mit Kühen und Schafen, die beim Namen genannt werden. Die Realität sieht allerdings anders aus: Große Höfe und Agrarbetriebe sind im Steigen.
    Bei der Landwirtschaftsförderung haben ebenfalls Großbetriebe die Nase vorn. Die staatlichen Bundesforste verfügen über den größten Grundbesitz im Land. Der Rest, zigtausende Quadratkilometer Wald, Wiesen und Berge, befindet sich hauptsächlich in der Hand ehemaliger Adelsfamilien und der Kirche. Die Hälfte der Fläche Österreichs wird für die Landwirtschaft genutzt.

    Sinkende Bedeutung
    Die österreichische Landwirtschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten einen massiven Wandel erlebt. Im Jahr 1951 war noch fast ein Drittel (31 Prozent) der österreichischen Wohnbevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Von den insgesamt 1,52 Millionen dort Beschäftigten waren 1,08 Millionen hauptberuflich tätig. Rund 100.000 Lohnarbeitskräfte arbeiteten ständig in dem Bereich.
    Seither ist der land- und forstwirtschaftliche Sektor massiv geschrumpft: Im Jahr 2016 waren dort gerade noch 134.400 Erwerbstätige beschäftigt, was einem Anteil von nur noch 4,3 Prozent der Erwerbstätigen entspricht. Dies spiegelt sich auch in der Wirtschaftsleistung des Agrarsektors wider: Der Anteil der Land- und Forstwirtschaft am BIP ging von 16 Prozent Mitte der 1960er-Jahre auf 1,3 Prozent im Jahr 2016 zurück.

    Trend zu großen Betrieben
    Auch die Betriebe selbst haben sich verändert, vor allem gibt es einen Trend zu größeren Betrieben: Im Jahr 1951 wurde von einem Betrieb eine durchschnittliche Fläche von 18,8 Hektar bewirtschaftet, im Jahr 2016 waren es 45,7 Hektar. Am deutlichsten lässt sich dieser Trend zum Großen bei der Tierhaltung beobachten. Am rasantesten ist die Verdichtung in der Schweinezucht: Im Jahr 1995 lag der durchschnittliche Bestand bei 35 Tieren, inzwischen sind es mit 110 Schweinen dreimal so viele. Was die Rechtsformen betrifft: 90 Prozent sind Einzelunternehmen, die als Familienbetrieb geführt wurden, mehr als die Hälfte (54 Prozent) davon im Nebenerwerb.
    Was die Einkommen betrifft, so lässt ein Blick in die Statistik allerdings erkennen, dass es den LandwirtInnen nicht unbedingt so schlecht geht, wie ihr Auftreten in der Öffentlichkeit bisweilen suggeriert. Ein Faktencheck der Arbeiterkammer Niederösterreich aus dem Jahr 2013 zeigt, dass die Einkommensunterschiede zwischen den insgesamt 160.000 Landwirtschaftsbetrieben in Österreich krass sind. Das oberste Viertel der landwirtschaftlichen Betriebe hat ein um 100 Prozent höheres Pro-Kopf-Einkommen als jene im untersten Viertel. Das Durchschnittseinkommen der BäuerInnen liegt bei knapp 18.000 Euro.
    Bei den Einkommen gibt es ein deutliches Ost-West-Gefälle: So ist das Pro-Kopf-Einkommen im Burgenland mit rund 30.000 Euro mehr als doppelt so hoch wie in den beiden einkommensschwächsten Bundesländern Tirol und Salzburg. Niederösterreich mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 28.000 Euro und Oberösterreich mit rund 25.000 Euro folgen auf den Plätzen zwei und drei.
    Auch die Arbeiterkammer Wien hat die Einkommen in der Landwirtschaft untersuchen lassen. Dieser Studie aus dem Jahr 2011 zufolge steigen die Agrareinkommen rascher als die Einkommen von ArbeitnehmerInnen: „Auch wenn es bei den Bauern große Einkommensunterschiede und -schwankungen gibt, so steigen im langjährigen Trend die Netto-pro-Kopf-Einkommen aus der Landwirtschaft deutlich stärker als die Nettoeinkommen der unselbstständig Beschäftigten“, heißt es darin. Noch besser schneiden Vollerwerbsbäuerinnen ab. Im Übrigen machen Agrarsubventionen etwa zwei Drittel der durchschnittlichen Einkommen aus Landwirtschaft aus.

    Vermögende LandwirtInnen
    Nicht nur bei den Einkommen, vor allem bei den Vermögen stehen LandwirtInnen besser da. Selbst Kleine wiesen im Jahr 2009 ein Vermögen von mehr als 200.000 Euro auf. Im Durchschnitt hatten LandwirtInnen gar mehr als 350.000 Euro. Zudem verfügten sie über eine Eigenkapitalquote von rund 90 Prozent. Ein weiterer Vorteil: „Durch Umwidmungen von Grünland auf Bauland können sich diese Werte für die einzelnen Landwirtschaften noch deutlich erhöhen.“  Zwar steigt mit der Größe des Betriebs die Verschuldung, aber auch große Landwirtschaften kommen knapp an diese Zahl heran. Die AK vergleicht diese Eigenkapitalquote mit jener von österreichischen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen, die im Median „je nach Branche und Unternehmensgröße“ 25 bis 40 Prozent beträgt. 
    Dazu kommt: „Je vermögender ein Landwirt ist, umso höher ist der Anteil der Förderungen am Gesamteinkommen!“ Eine Schlussfolgerung der Studie lautet entsprechend: „Diese Tatsache sollte im Sinne einer bedarfs- und strukturgerechten Agrarpolitik dringend überdacht werden.“

    Umstrittene Zahlen
    Laut Jahresbericht der Landwirtschaftskammer liegt der Gesamtumsatz des „Unternehmens Land- und Forstwirtschaft“ bei fast neun Milliarden Euro. Ein/e LandwirtIn ernährt durchschnittlich 105 Menschen, im Jahr 2000 waren es erst 65. Österreichische Produkte werden in über 100 Länder weltweit exportiert. Rund um Land- und Forstwirtschaft sind mehrere Milliarden-Branchen mit vielen Tausenden Arbeitsplätzen angesiedelt: die Zulieferindustrie mit Land-, Forsttechnik- und Stallbauunternehmen, mit Düngemittel- und Pflanzenschutzfirmen, um nur einige zu nennen.
    Die offiziellen Zahlen über die Lage der Land- und Forstwirtschaft lösen regelmäßig Kritik aus. Einige Bauern bezeichnen die aktuellen Zahlen verärgert als „Fake News“. „Das kann nicht sein. Das sagt einem der Hausverstand, wenn man die Preise anschaut, die es im Vorjahr für Milch, Fleisch oder Getreide gegeben hat“, so ein empörter Landwirt. Rupert Lindner, Sektionschef im Landwirtschaftsministerium, hat eine weitere Erklärung, warum die Zahlen des Grünen Berichts bei manchen Landwirten für Kopfschütteln sorgen. Gegenüber den „Oberösterreichischen Nachrichten“ sagt er dazu: „Es laufen ja nicht alle Produktionssparten im selben Jahr gleich gut oder gleich schlecht. Nur die Förderungen sind eine konstante Größe.“ Es gebe viele Zusammenhänge: MilchbäuerInnen hätten 2016 schlecht bilanziert, obwohl der Milchpreis im zweiten Halbjahr schon gestiegen sei. „Die meisten Milchbauern in Österreich haben aber auch Forstgrund, und das Einkommen daraus ist im Vorjahr wegen des Schadholzes schlecht gewesen.“

    Ignorierte Missstände
    Kritik an der Landwirtschaftspolitik und ihren Konsequenzen wird oft als Angriff auf alle BäuerInnen gesehen. Aufgedeckte Missstände prallen an starken Agrarlobbys ab. Auch Gewerkschaften appellieren wiederholt, bei Agrarsubventionen und Lebensmittelpreisen auf die Bremse zu steigen. Eine Forderung, die von einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) unterstützt wird: Die Förderung europäischer BäuerInnen aus dem Haushalt der Europäischen Union sollte nach dem Jahr 2020 zurückgefahren werden. Dass mit mehr als 400 Milliarden Euro ein Drittel der Fördermittel des Brüsseler Haushalts im aktuellen Finanzrahmen in die Landwirtschaft gehe, sei nicht mehr zeitgemäß. „Die EU-Landwirtschaftspolitik wirkt anachronistisch. Ihre starke Bedeutung im EU-Haushalt ist heute nicht mehr zu rechtfertigen“, erklärt Studienleiter Friedrich Heinemann.

    Reformdruck
    Das Förderwesen in der Landwirtschaft macht Großgrundbesitzer größer und lässt die kleinen Betriebe sterben. Das ZEW belegt für Europa, dass 80 Prozent der einkommensschwächsten Höfe nur 25 Prozent der Fördermittel erhalten. Die obersten zehn Prozent werden dagegen mit 55 Prozent Subventionen gefördert. Die Beihilfen aus Brüssel seien zu ungenau, um einkommensschwache LandwirtInnen abzusichern. Auch sehr reiche Höfe werden unterstützt, obwohl deren Einkommensniveaus bereits deutlich über der Fördergrenze liegen.
    Die Studie empfiehlt, die Kosten der Agrarförderung im EU-Haushalt durch eine stärkere nationale Eigenbeteiligung zu senken. Damit würde die Agrarpolitik unter stärkeren Reformdruck geraten.

    Bericht über die Situation der österreichischen Land- und Forstwirtschaft:
    gruenerbericht.at/cm4
    Studie:
    tinyurl.com/ybwohyms

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin für "Kurier" und Printmagazine Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801225317 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225282 AK/Gewerkschaften: Meilenstein für ArbeiterInnen VertreterInnen von Arbeiterkammer und Gewerkschaften sparten nicht mit großen Worten, um die Angleichung der Rechte von ArbeiterInnen und Angestellten zu kommentieren. „Das ist ein Meilenstein für alle Arbeiterinnen und Arbeiter, die bisher vor allem bei den Kündigungsbestimmungen und Dienstverhinderungsgründen benachteiligt waren. Das ist nun endlich Geschichte“, freute sich Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der PRO-GE. Endlich sei die Abschaffung der Zwei-Klassen-Arbeitnehmerschaft gelungen, so Wimmer. Wolfgang Katzian, Vorsitzender der GPA-djp, erklärte: „Der 12. Oktober 2017 ist ein guter Tag für die ArbeitnehmerInnen, die aktuellen Beschlüsse des Nationalrats bringen ein Stück mehr Gerechtigkeit in der Arbeitswelt.“ AK-Präsident Rudi Kaske betonte: „Es ist ein großer Schritt, dass die Diskriminierungen von verschiedenen Gruppen von ArbeitnehmerInnen endlich abgeschafft werden.“
    Bei Kündigungen haben ArbeiterInnen in Zukunft dieselben, längeren Kündigungsfristen wie Angestellte und hinsichtlich der Dienstverhinderungsgründe sind sie nicht mehr schlechtergestellt. Das heißt zum Beispiel, dass auch ArbeiterInnen künftig die versäumte Arbeitszeit, wenn ein wichtiger persönlicher Grund vorliegt, bezahlt bekommen. „Benachteiligungen sind hier nicht mehr zulässig. Es war höchste Zeit, diese Bestimmungen zu reformieren und für mehr Fairness und Gerechtigkeit zu sorgen“, so Wimmer.

    Von der Gleichstellung der ArbeiterInnen und Angestellten werden rund 3,5 Millionen Beschäftigte profitieren, zwei Millionen davon sind Angestellte, so Katzian: „Das bedeutet für sie beispielsweise Verbesserungen bei der Entgeltfortzahlung.“ Der Widerstand der Arbeitgeber in dieser Frage ist für den Vorsitzenden der GPA-djp nicht nachvollziehbar: „Längere Übergangsfristen ermöglichen es den Unternehmen, sich auf die neuen Regelungen optimal vorzubereiten.“
    Auch die Übernahme der Internatskosten für BerufsschülerInnen sei ein großartiger Erfolg der Gewerkschaftsjugend, erinnert Katzian an die Aktion „Zimmer statt Zelt“. „Die Kosten für das Berufsschulinternat betragen bis zu 900 Euro jährlich. Nicht alle Lehrlinge haben das Glück, in einer Branche ausgebildet zu werden, für die der Kollektivvertrag bereits die Übernahme dieser Kosten durch den Arbeitgeber regelt. Dieser Beschluss bedeutet eine große Entlastung für viele Jugendliche, aber auch für deren Eltern!“

    Mehr Info: tinyurl.com/yc8nahzf

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    Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225279 AK/ÖGB: "Eiskalte, neoliberale Agenda" „Wir bewerten jede Regierung danach, was sie für die ArbeitnehmerInnen dieses Landes macht“, erklärte AK-Präsident Rudi Kaske vor der AK-Vollversammlung Ende Oktober. Die Angriffe auf die gesetzliche Mitgliedschaft in den Kammern könne man wie folgt zusammenfassen: „Dahinter steckt eine eiskalte, neoliberale Agenda.“ Bei der Forderung nach Abschaffung der gesetzlichen Kammer-Mitgliedschaft „geht es um eine Grundhaltung, die Frank Stronach trefflich umschrieben hat: Wer das Gold hat, macht die Regeln! Das ist zutiefst menschenverachtend und demokratiepolitisch bedenklich“, so Kaske.
    Den oft strapazierten Vergleich mit dem ÖAMTC weist der AK-Präsident zurück: „Menschen sind keine Pkws. Bei uns geht es nicht um Reifenpannen, sondern um menschliche Existenzen.“ Einen „Vollkaskoschutz um sieben Euro im Monat“ kann die AK nur durch eine gesetzliche Mitgliedschaft erreichen, so Kaske. Eine Senkung der Umlage würde zu einer „Teilkasko-Versicherung mit hohem Selbstbehalt“ führen. Zudem sei es nur durch die breite Mitgliederbasis möglich, 800.000 Menschen, die derzeit keinen Beitrag zahlen müssen, ebenso zu vertreten. „Anderswo diktiert der Preis die Leistung. Bei uns wird solidarisch allen Arbeitnehmern, die Hilfe benötigen, geholfen“, sagt der AK-Präsident.

    Auch der ÖGB beschäftigte sich mit der Frage der Kammermitgliedschaft. „Der ÖGB-Bundesvorstand erwartet sich von allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Bewegungen in Österreich, dass sie auch in Zukunft die Rolle der Sozialpartner anerkennen und diese weiterhin in die politische Entscheidungsfindung einbinden.“ So heißt es in einer Mitte Oktober beschlossenen Resolution des ÖGB-Bundesvorstands: „Das ist entscheidend für die Sicherung des Wohlstands in Österreich und trägt wesentlich zum sozialen Frieden und zur wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land bei. Gerade im Hinblick auf die vor uns liegenden Herausforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt wäre es fahrlässig, auf die Expertise der Sozialpartner zu verzichten.“ Die Resolution wurde mit deutlicher Mehrheit beschlossen (keine Gegenstimme, eine Stimmenthaltung).

    Mehr zur ÖGB-Resolution

    GPA – Faktencheck Pflichtmitgliedschaft:
    tinyurl.com/Pflichtmitgliedschaft

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    Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225206 "Nicht zuletzt" ... Wir kämpfen für Fairness Bundesvorsitzender der PRO-GE]]> Wer von Land- und Forstwirtschaft hört, denkt nicht automatisch an Gewerkschaft. Doch wer glaubt, das hätte nichts miteinander zu tun, irrt sich: Auch in diesem Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft sind Gewerkschaft und BetriebsrätInnen hochaktiv.
    Betrachtet man den gewerkschaftlichen Stammbaum, dann waren die Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft ursprünglich in der Gewerkschaft Land-Forst-Garten und später in der Gewerkschaft Agrar-Nahrung-Genuss (ANG) organisiert.
    Im Jahr 2006 vereinigte sich die ANG, deren Vorsitzender ich seit 2004 war, mit der damaligen Gewerkschaft Metall-Textil, und drei Jahre später entstand aus der Gewerkschaft Metall-Textil-Nahrung und der Gewerkschaft der Chemiearbeiter die Produktionsgewerkschaft PRO-GE. Sie ist die für die Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft zuständige Gewerkschaft.

    Zersplitterung und Föderalismus
    Die vielfältigen Tätigkeitsbereiche, die zersplitterte Betriebsstruktur und ein starker Föderalismus machen diese Branche für uns zu einer großen Herausforderung, wie auch ein Blick auf unsere Kollektivvertragslandschaft beweist: Von den Bäuerlichen Betrieben des Burgenlandes bis hin zu den Winzergenossenschaften Niederösterreich zählen wir rund 30 Kollektivverträge. Darunter sind einige „starke“ Kollektivverträge, wie jener für die Österreichischen Bundesforste oder die Bayerischen Saalforste Salzburg. Aber es überwiegen jene, wo wir von einem Mindestlohn von 1.500 Euro noch mehr oder weniger deutlich entfernt sind.

    Arbeitsrechtliche Abgründe
    An dieser Stelle ist es mir wichtig festzuhalten: Auch wenn die (oft migrantischen) ArbeitnehmerInnen in der Land- und Forstwirtschaft in der öffentlichen Wahrnehmung leider nur eine untergeordnete Rolle spielen bzw. bewusst an den Rand gedrängt werden – nicht nur bei den Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern zum Mindestlohn im Frühjahr waren und sind uns ihre Interessen ein großes Anliegen.
    Es ist für uns keine Neuigkeit, dass der Kollektivvertrag und die betriebliche Realität nicht immer im Einklang stehen. Doch gerade im land- und forstwirtschaftlichen Bereich tun sich manchmal arbeitsrechtliche Abgründe auf, die man im Österreich des 21. Jahrhunderts nicht mehr für möglich halten würde.
    Wir bemühen uns als PRO-GE nach Leibeskräften, sowohl die gewerkschaftliche Organisation in der Land- und Forstwirtschaft als auch die Durchsetzung der Rechte der ArbeitnehmerInnen voranzutreiben. Aufgrund einiger Besonderheiten – Saisonarbeit, Sprachbarrieren und ein kaum vorhandenes Unrechtsbewusstsein vieler Arbeitgeber – gestaltet sich das jedoch schwieriger als in anderen Branchen.
    Gerade deshalb wäre eine wirkungsvolle Kontrolltätigkeit der Landwirtschaftsinspektorate von großer Bedeutung: Auf Basis des Tätigkeitsberichts des Landwirtschaftsinspektorates Steiermark lässt sich errechnen, dass ein landwirtschaftlicher Betrieb in der Steiermark durchschnittlich alle 1.200 Jahre kontrolliert wird. Hier ist Nachholbedarf ein bescheidener Hilfsausdruck, vielmehr würde ich klar von einem Politikversagen sprechen.

    Offensichtliche Versäumnisse
    Die mangelnde personelle Ausstattung der Landwirtschaftsinspektorate ist nicht das einzige offensichtliche Versäumnis der heimischen Landwirtschaftspolitik. Aber sie alle zu nennen würde den Rahmen sprengen.
    Jedenfalls: Wie in allen anderen Wirtschaftsbereichen sind es auch in der Land- und Forstwirtschaft in erster Linie die Betriebsrätinnen und Betriebsräte, die gemeinsam mit der Gewerkschaft für faire Arbeitsbedingungen und eine faire Entlohnung der Beschäftigten eintreten!

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    Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der PRO-GE Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1481770830227 Rainer Wimmer, Bundesvorsitzender der PRO-GE http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225183 Frisch gebloggt Erfolgsmodell Sozialstaat 
    Adi Buxbaum und Markus Marterbauer

    Anders als oft behauptet: Der österreichische Sozialstaat ist ein Erfolgsmodell. Im europäischen Vergleich steht er exzellent da. Vor allem die Mittelschicht profitiert davon, denn sie zahlt zwar viel in den Sozialstaat ein, bekommt aber auch viel wieder zurück. Sind die Menschen jung, beschäftigt, gesund und ohne Kinder, dann zahlen sie primär in das soziale Sicherungssystem ein. Kommen Kinder, wird man krank oder arbeitslos und geht schließlich in Pension, befindet man sich in der Auszahlungsphase. Das ist die typische sozialstaatliche Verteilungswirkung über den Lebenszyklus. In der politischen Diskussion dominiert die Befürchtung, hohe Sozialausgaben und hohe Abgabenlast würden die wirtschaftliche Entwicklung bremsen. Aber das Gegenteil ist der Fall, wie die Daten zeigen: Österreich verfügt mit fast 37.000 Euro über das vierthöchste BIP pro Kopf zu Kaufkraftstandards. Der Sozialstaat leistet folglich ganze Arbeit für uns. Viele Gründe also, ihn gegen alle Angriffe zu verteidigen. 
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/ybrq73zb

    Abgabenquote senken = Sozialstaat kürzen
    Redaktion Arbeit und Wirtschaft

    Im Wahlkampf waren wieder die Steuersenker unterwegs. Das Problem: Hinter den Ankündigungen verbirgt sich nichts weniger als eine Attacke auf den Sozialstaat. Genannt wurden horrende Summen von bis zu 19 Milliarden Euro. Dies wäre im Übrigen sogar mehr, als der Staat momentan insgesamt für alle Schulen und Unis ausgibt. Tatsächlich können solche drastischen Summen nur dann eingespart werden, wenn öffentliche Leistungen wie Gesundheitsversorgung, Bildung oder Pensionen massiv gekürzt werden. Ja, selbst wenn man sofort alle Krankenhäuser zusperrt und sämtliche PolizistInnen entlässt, hätte man immer noch nicht genug gespart. Konfrontiert mit solchen Fakten, sagen PolitikerInnen gern das Wort Verwaltungsreform. Unter uns: Österreichs Verwaltung ist nicht perfekt. Aber: Mehrere Milliarden Euro können dort nicht geholt werden. Zudem attestiert die OECD unserer Verwaltung, zu den effektivsten in Europa zu gehören. Wenn jemand also solche Ankündigungen macht, bedeutet das in der Realität nur eines, nämlich einen Angriff auf den Sozialstaat.   
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/yd6fcdok

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    Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801225174 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225120 Zahlen, Daten, Fakten In den vergangenen Jahrzehnten ist die Bedeutung der Landwirtschaft als Wirtschaftssektor stark gesunken. Dies spiegelt sich etwa in der Wirtschaftsleistung des Agrarsektors wider: Der Anteil der Land- und Forstwirtschaft am BIP ging von 16 Prozent Mitte der 1960er-Jahre auf 1,3 Prozent im Jahr 2016 zurück. 90 Prozent der Betriebe sind Einzelunternehmen, die von Familien geführt werden, mehr als die Hälfte davon im Nebenerwerb.

    Inzwischen wird mehr als die Hälfte der Landwirtschaft in Österreich im Nebenerwerb betrieben. Viele LandwirtInnen kombinieren dies mit Tätigkeiten, die eng mit der Landwirtschaft verwoben sind. Eine produktive Kombination ist es beispielsweise, wenn sie Urlaub am Bauernhof anbieten, wie dies fast 10.000 Betriebe tun. Elf Prozent der touristischen Betten in Österreich werden von landwirtschaftlichen Betrieben angeboten. Andere verwerten ihre Produkte im eigenen Tourismus- oder Gastronomiebetrieb. Oftmals kombinieren die BäuerInnen gleich mehrere Tätigkeiten.

    Alle Zahlen, Daten und Fakten finden Sie anbei zum Downloaden.

     

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    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225088 Historie: Wachet auf - denkt nach! Wachet auf aus der bisherigen Gleichgültigkeit, denkt darüber nach, ob nicht auch Ihr dieselben Menschen seid wie die Reichen … Jeder Mensch soll als solcher behandelt werden und so viel verdienen, dass er auch menschlich leben kann. Dieses kann aber nach den bisherigen Erfahrungen nur durch ein strammes Zusammenhalten aller Arbeitenden erreicht werden. … Wer daher will, dass auch in der Forst- und Landwirtschaft bessere Verhältnisse eintreten, der trete als Mitglied unserem Verbande bei.

    Ein wahrscheinlich von dem „Agitator“ Alois Korinek verfasstes Flugblatt appellierte 1906 an die ArbeiterInnen der Forst- und Gutsbetriebe, sich der neu gegründeten Forst- und Landarbeitergewerkschaft für Niederösterreich anzuschließen. Kleine Vereine dieser ArbeiterInnen existierten bisher nur in der Steiermark und in Nordwestböhmen, einige ArbeiterInnen vom Land hatten sich auch gemischten Gewerkschaften angeschlossen, aber die Organisation steckte noch in ihren Anfängen. Während damals schon über ein Fünftel der IndustriearbeiterInnen gewerkschaftlich organisiert war, galt dies nur für etwa ein halbes Prozent der fast 2,5 Millionen ArbeiterInnen in der Land- und Forstwirtschaft. Neben den drei erwähnten Organisationen, die sich bis 1913 zu einem österreichischen Verband zusammenschlossen, bestanden in Krakau/Kraków und Lemberg/Lwiw kleine Organisationen der Land- und ForstarbeiterInnen. Dazu kamen zwei christliche Gewerkschaften, eine der ForstarbeiterInnen im Salzkammergut und eine von GutsarbeiterInnen in Nordwestböhmen.
    Die Initiative ging fast immer von ForstarbeiterInnen aus, denn sie unterstanden ab 1894 nicht mehr den für die LandarbeiterInnen bis zum Ende der Monarchie geltenden Dienstbotenordnungen und hatten deshalb etwas mehr Handlungsspielraum. Die Dienstbotenordnungen verpflichteten den/die ArbeiterIn zur ständigen Anwesenheit am Arbeitsplatz, sein/ihr unerlaubtes Verlassen stand unter Strafe. Außerdem musste jeder Besuch in der Dienstwohnung gemeldet und vom Dienstgeber gestattet werden. Das erschwerte die Mitgliederwerbung ungemein, dazu kam das brutale Vorgehen der GutsbesitzerInnen, aber auch vieler ForstbesitzerInnen und ihrer Verwalter gegen jene, die sich trotzdem einer Organisation anschlossen. Alois Korinek berichtete darüber in einer LandarbeiterInnenversammlung in Schwechat:

    Der Besitzer der Brauerei und Gutsverwaltung Dreher hatte angeordnet, dass an dem Sonntag, an dem die Versammlung stattfinden sollte, gearbeitet werden müsse. Alle Landarbeiter, die die Versammlung trotzdem besuchten, wurden am nächsten Tag entlassen und mussten ihre Dienstwohnungen räumen … In Stift Heiligenkreuz, dessen Forstarbeiter sich kurz vorher der Gewerkschaft angeschlossen hatten, wurde den Kindern der Arbeiter das Beerensammeln im Wald untersagt, das Geschirr mit den Beeren wurde ihnen vom Forstpersonal weggenommen und zerschlagen.

    Nach 1918 nahm die Zahl der Organisierten zwar zu, aber der Organisationsgrad in der Land- und Forstwirtschaft erreichte vor 1945 nie mehr als fünf Prozent.

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar 
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801225081 Dieses frühe Gewerkschaftslogo zeigt einen Forstarbeiter und einen Landarbeiter, die sich solidarisch die Hand reichen. Die zahlreichen in der Land- und Forstwirtschaft arbeitenden Frauen sind allerdings ausgeblendet. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801225070 Standpunkt: Bitte mehr Ehrlichkeit! Manches Mal fragt man sich, ob man sich nicht eigentlich im Marchfeld befindet, wenn man riesigen Traktoren oder anderen Landmaschinen dabei zusieht, wie sie sich durch enge Bergdörfer quälen. Es verwundert schon, wenn man ihnen in Gegenden begegnet, in denen es nur kleine Äcker gibt. „Und das alles aus unserem Steuergeld bezahlt“, lautet dann ein schneller Reflex. Doch wie so oft ist die Wahrheit auch in der Landwirtschaft komplizierter, als es verbreitete Vorurteile suggerieren – so wahr einige auch sein mögen.

    Drastische Unterschiede
    So klein Österreich auch sein mag, allein schon wegen der Topografie gibt es massive Unterschiede zwischen den landwirtschaftlichen Betrieben. Um es anhand eines Vergleichs zu veranschaulichen: Das unterste Viertel der Betriebe im österreichischen Querschnitt schrieb Verluste, das oberste Viertel hatte ein Pro-Kopf-Einkommen von 51.201 Euro. Den Fakten zum Trotz wird weiterhin Landwirtschaftspolitik betrieben, als wären alle LandwirtInnen in einer ähnlich schwierigen Situation.
    Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Viele BäuerInnen leisten in der Tat Schwer(st)arbeit und kämpfen um ihr wirtschaftliches Überleben. Aber eben nicht alle. Doch leider hat man den Eindruck, dass es unmöglich ist, eine sachliche Diskussion über die Landwirtschaft zu führen. Allzu schnell gehen die Wogen hoch. Dabei ist es völlig unverständlich, dass große LandwirtInnen von Begünstigungen profitieren, die für jene Betriebe sinnvoll sind, die tatsächlich in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecken. Noch viel unverständlicher ist, dass von vielen Förderungen die Großen überhaupt am meisten profitieren. Wenn Betriebe keine Hagelversicherungen abschließen, aber wenn es dann tatsächlich hagelt, nach dem Staat rufen, liegt etwas gewaltig im Argen.
    Gewaltig schief läuft es jedenfalls im Steuersystem, von dem LandwirtInnen profitieren. Der beharrliche Widerstand gegen die Anpassung der Einheitswerte an ein realistischeres Niveau sorgte sogar für einen riesigen Schritt in Richtung Ungleichheit des österreichischen Steuersystems, nämlich die Abschaffung von Vermögens- und Erbschaftssteuern. Groß wurde angekündigt, dass die Einheitswerte nun nach vielen Jahren – konkret seit 1989 – endlich angepasst würden. Die Realität hinkt dem aber weit hinterher. So bleibt weiterhin ein System bestehen, das sogar das Verfassungsgericht und der Rechnungshof als ungerecht eingestuft haben. Entlarvend ist dabei die Linie des Finanzministeriums: Einmal verteidigte es die Pauschalierungsregel mit Hinweis „auf die in der Land- und Forstwirtschaft bestehenden, mit anderen Wirtschaftsbereichen nicht vergleichbaren besonderen Verhältnisse“, einmal verwies es auf schlechte Ergebnisse in der Land- und Forstwirtschaft, einmal auf Schwierigkeiten aufgrund des EU-Beitritts, weshalb „eine stärkere steuerliche Erfassung nicht durchsetzbar gewesen sei“.

    Verdeckte Karten
    Nun könnte man klar und deutlich sagen, dass man den Agrarsektor pauschal fördern will. Darüber aber gibt es keinen Konsens. Die Folge: Statt mit offenen Karten zu spielen, werden kleine Betriebe missbraucht, um Steuervorteile von großen LandwirtInnen zu verteidigen. Ähnliches gilt für das Fördersystem. Deshalb wirft die Arbeiterkammer zu Recht immer wieder die Frage auf, ob in der Landwirtschaft wirklich eine Umverteilung von unten nach oben stattfinden soll, und drängt auf Reformen.
    Wir leben in einem Solidarsystem, daher ist es nur allzu nachvollziehbar, dass ArbeitnehmerInnen erwarten, dass Zuwendungen an die Landwirtschaft nicht nach dem Gießkannenprinzip vergeben werden. Darüber muss man offen diskutieren können. Immerhin geht es um Steuergelder und darum, wie diese lukriert und verteilt werden. Steuergelder, die für dringend nötige Reformen gebraucht werden, von der Bildung über den Arbeitsmarkt bis hin zur Pflege. Und es geht darum, ob die Steuerlast zwischen den BürgerInnen fair verteilt ist.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801224329 Reportage: Erntehelfer. Es geht um das Mindeste Wir haben alles Mögliche gemacht. Von sechs Uhr morgens bis 22 Uhr haben wir gearbeitet, manchmal sogar bis um ein oder zwei Uhr in der Früh“, erzählen die Brüder Andrei und Bogdan Oancea im Gespräch mit Sónia Melo. Die beiden Männer aus Rumänien haben jahrelang als Erntehelfer in Österreich gearbeitet. Dabei wurden sie ausgebeutet – mitten im reichen Tirol. „Wenn ich am Nachmittag vom Feld kam, musste ich direkt ins Gasthaus gehen, in die Küche, ohne davor duschen zu dürfen. Dort haben wir gekocht, abgewaschen, und wir mussten bis zum Schluss bleiben, die Küche putzen, bis ein oder zwei Uhr nachts. Am nächsten Tag mussten wir wieder um sechs Uhr aufstehen“, schildert Andrei Oancea seinen Arbeitsalltag. 300 Stunden Arbeit im Monat, 660 Euro bar auf die Hand.
    Im Jahr 2014 erregten die Zustände in Tiroler Betrieben Aufsehen. Denn damals wehrten sich die rumänischen Brüder erfolgreich gegen ihre Ausbeutung als Erntehelfer. Auf ihre Rechte hatte sie ein Flugblatt der Informationskampagne Sezonieri aufmerksam gemacht. Sónia Melo ist die Initiatorin der Kampagne. Damit möchten AktivistInnen und die Produktionsgewerkschaft PRO-GE ErntearbeiterInnen über ihre Arbeitsrechte aufklären. Denn viele der meist osteuropäischen ArbeitnehmerInnen wissen wenig darüber, was ihnen beim Ernteeinsatz auf österreichischen Feldern zusteht. Und das ist ein Problem.
    Senol Alic ist betriebsbetreuender Sekretär der Gewerkschaft PRO-GE in Niederösterreich. In den Branchen Nahrung, Genuss und Landwirtschaft setzt er sich für die Belange der ArbeitnehmerInnen ein, und damit auch für die Saisonkräfte, die jedes Jahr im Marchfeld und in den anderen Agrarregionen des Landes unverzichtbare Erntearbeit leisten, von Frühjahr bis Herbst. Wenn es darum geht, Lohndumping und Ausbeutung in der Landwirtschaft zu bekämpfen, stoße seine Gewerkschaft an Grenzen, erklärt er: „Unsere Aufgabe ist vor allem, Licht ins Dunkel zu bringen und die Erntehelfer darüber aufzuklären, welche Rechte sie haben. Was sie mit dieser Information tun, liegt dann allerdings nicht in unserer Hand.“ Alic würde es begrüßen, wenn mehr betroffene ErntearbeiterInnen  gegen ihre eigene Ausbeutung in der Landwirtschaft aktiv würden. Ein erster Schritt wäre zum Beispiel, sich im konkreten Fall an die Gewerkschaft zu wenden, etwa zu einem kostenlosen Beratungsgespräch. „Dann können wir direkt intervenieren“, erklärt der Gewerkschafter. Aber leider dringen Klagen von ErntearbeiterInnen nur selten bis zur Gewerkschaft oder zu anderen offiziellen Stellen durch. „Dadurch, dass der Bereich von gewerkschaftlicher Seite schwach organisiert ist, gibt es sehr wenige betroffene Kläger. Das wissen wir auch.“ Wo kein Kläger, da kein Richter. Der geringe Organisationsgrad unter Saisonkräften ist nur ein Grund dafür, dass die ArbeiterInnen selbst eher selten gegen zu geringe Löhne, zu viele Überstunden oder zu schlechte Unterbringung vorgehen, weiß Alic. „Das Problem ist, dass die Mitarbeiter sich oft nicht trauen, etwas zu sagen. Das ist ja die Schwierigkeit auch für uns als Gewerkschaft.“
    Die Aufgabe von Senol Alic besteht deshalb zunächst oft darin, die nötigen Infos zu sammeln. „Wir müssen erst einmal herausfinden, was die Mitarbeiter verdienen, um überhaupt dagegen vorgehen zu können. Aber so weit kommt es in vielen Fällen gar nicht, weil niemand den Job verlieren will, auch wenn er schlecht bezahlt ist. Im Vergleich zum Heimatland ist der Job eben oft doch ganz gut bezahlt.“

    Unwissenheit wird ausgenutzt
    Diese Situation wird von manchen Betrieben schamlos ausgenutzt. Sind die schwarzen Schafe Einzelfälle? „Ausnahmen sind das nicht. Dafür sind die Fälle zu häufig“, meint Senol Atic. Um die Kosten für das Beschäftigen von SaisonarbeiterInnen zu drücken, sind Betriebe in der Vergangenheit immer wieder erschreckend kreativ geworden. Oft sei dabei die Unterbringung des Personals ein Thema. Dabei sind die Regeln eigentlich klar. Saisonkräfte haben Anspruch auf Wohnraum mit verschließbarem Schrank, mit separater Toilette und einem Waschraum. Eine Möglichkeit, Essen zuzubereiten, steht ihnen ebenso zu wie der Zugang zu einem Kühlschrank und zu einer Möglichkeit, die Arbeitskleidung zu trocknen. Gewerkschaftssekretär Alic hat schon die unterschiedlichsten Unterbringungsmodelle gesehen: „Manche Bauernhöfe haben eigene Zimmer für Erntepersonal. In anderen Betrieben werden Wohncontainer aufgestellt. Aber es kommt auch vor, dass Mitarbeiter in Containern zusammengepfercht werden und hausen müssen wie im Hühnerstall.“

    Umgangene Regeln
    Allgemein ist es üblich, dass Betriebe ihren ErntearbeiterInnen die Unterbringung und Verpflegung in Rechnung stellen. Dafür dürfen sie allerdings nicht mehr als 6,54 Euro am Tag verrechnen. Und darin sollten drei Mahlzeiten sowie Snacks und Getränke während der Pausen enthalten sein. Bei der Bezahlung von Urlaub und Überstunden wird ebenfalls regelmäßig getrickst. Und auch Sonntagsarbeit ist ein Thema. Denn die ist in der Landwirtschaft verboten – es sei denn, es geht darum, eine Ernte vor dem Verderben zu schützen, zum Beispiel weil starker Regen droht. Wie genau es Betriebe mit dieser Regelung nehmen, variiert.
    Was ErntehelferInnen zusteht, regeln seit März 2017 neue Kollektivverträge. Je nach Bundesland variieren die Lohnuntergrenzen. In Oberösterreich liegt das Stundensalär mit 6,78 Euro brutto am niedrigsten, in Salzburg mit 8,57 Euro am höchsten. Durchschnittlich liegt der Stundenlohn bei rund 7,55 Euro brutto und der Monatslohn bei ca. 1.300 Euro brutto.
    So kommen ErntehelferInnen auf einen durchschnittlichen monatlichen Nettoverdienst von knapp 1.100 Euro. Das macht es für ArbeitnehmerInnen aus vielen Ländern im Osten und Südosten Europas attraktiv, mehrere Monate pro Jahr als ErntehelferIn nach Österreich zu kommen. Auch deshalb haben sich zum Anwerben von Arbeitskräften aus den östlichen EU-Staaten – vor allem aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn – professionelle Agenturen entwickelt, die ArbeiterInnen an landwirtschaftliche Betriebe vermitteln und teilweise auch den Transport übernehmen.

    Keine genauen Zahlen
    Genaue Zahlen zur Anzahl der Saisonkräfte liegen nicht vor, erklärt Sónia Melo: „Es gibt keine Zahlen dazu, wie viele ErntearbeiterInnen überhaupt in Österreich tätig sind. Die Gewerkschaft schätzt, dass österreichweit jedes Jahr ungefähr 10.000 Menschen im Ernteeinsatz sind.“
    EU-BürgerInnen saisonal anzustellen ist bürokratisch recht unkompliziert. Allein für BürgerInnen des EU-Mitgliedstaates Kroatien ist der Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt noch beschränkt. ArbeiterInnen aus Staaten außerhalb der EU für den Ernteeinsatz anzustellen verursacht für landwirtschaftliche Betriebe mehr Aufwand. Senol Alic meint, das sei den meisten Betrieben zu kompliziert. Denn für Beschäftigte aus Drittstaaten ist eine Beschäftigungsbewilligung des AMS nötig. Und die wird nur in bestimmter Anzahl erteilt. Denn für SaisonarbeiterInnen von außerhalb der EU legt das Arbeits- und Sozialministerium Kontingente fest. 2017 durften österreichweit nur 2.510 SaisonarbeiterInnen aus Drittstaaten in Österreich beschäftigt werden – und das nur maximal sechs Monate lang. Ein zweites Kontingent betrifft kurzfristig beschäftigte ErntehelferInnen, die nur sechs Wochen in Österreich beschäftigt werden dürfen – also während des Höhepunkts der Erntesaison. Im Jahr 2017 wurde diese Quote mit 375 festgelegt. Für beide Quoten gilt dabei jeweils ein Verteilungsschlüssel für die einzelnen Bundesländer, der an Faktoren wie die lokale Arbeitslosigkeit angepasst wird. Bereits in Österreich lebende AsylbewerberInnen wurden 2017 bei der Erteilung der  Beschäftigungsbewilligungen bevorzugt behandelt – genau wie kroatische StaatsbürgerInnen. Für Saisonkräfte aus anderen Drittstaaten wie Bosnien, Serbien, Montenegro, Mazedonien, Albanien oder auch der Ukraine ist der Zugang zum Arbeitsmarkt somit auch in der Saisonarbeit stark eingeschränkt. Eine weitere Ausnahme stellen sogenannte registrierte Stammsaisonniers dar. Das sind ErntehelferInnen aus Drittstaaten, die in den vergangenen Jahren wiederholt durch österreichische Betriebe beschäftigt waren. Sie fallen nicht unter die Bevorzugungsregelung und das festgelegte Kontingent.
    Der eingeschränkte Zugang zum Arbeitsmarkt führt auch dazu, dass auf österreichischen Feldern immer wieder Menschen in prekärer Aufenthaltssituation arbeiten. Für ihre Rechte setzt sich UNDOK ein, die Anlaufstelle zur gewerkschaftlichen Unterstützung undokumentiert Arbeitender.
    Es bleibt die Frage, wie man als KonsumentIn selbst dazu beitragen kann, dass ErntehelferInnen so entlohnt und behandelt werden, wie es ihnen zusteht. Das ist nicht einfach. Schließlich kann man dem Gemüse im Supermarkt nicht ansehen, unter welchen Bedingungen es geerntet wurde – und in der Gastronomie schon gar nicht.
    Aber: Es gibt Gütesiegel. Zum Beispiel das AMA-Gütesiegel von Agrarmarkt Austria. Es schreibt landwirtschaftlichen Betrieben in seinen Richtlinien vor, einen Verantwortlichen zu benennen, der sich um „Einhaltung und Umsetzung bezüglich Gesundheitsschutz, Sicherheit und Wohlbefinden der Dienstnehmer (laut der bestehenden Gesetzgebung)“ kümmert. Jährlich dokumentierte Mitarbeiterbesprechungen  sind ebenfalls vorgeschrieben. Außerdem heißt es in den Kriterien zur Vergabe des Gütesiegels: „Die Unterkünfte für die Dienstnehmer am Betrieb müssen bewohnbar sein (Dach, Fenster, Türen etc. intakt) und über Trinkwasser, Toiletten, Abflüsse und Elektrizität verfügen.“

    Angst vor Skandalen reicht nicht
    Gewerkschaftssekretär Senol Alic ist überzeugt, dass viele landwirtschaftliche Betriebe sich sehr genau an die Bestimmungen zur Versorgung und Bezahlung ihrer ErntehelferInnen halten. Und er erklärt, dass auch mehr und mehr Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie Wert darauf legen, dass ihre Zulieferbetriebe und Vertragsbauern sich an geltende Regeln halten. Schließlich scheuen es Lebensmittelfirmen, mit Skandalen rund um Ausbeutung in Verbindung zu geraten. Damit prekäre Arbeit vollends aus der Landwirtschaft verschwindet, wird aber die Angst vorm aufgeflogenen Skandal nicht reichen. Dafür ist letztlich wohl ein groß angelegter Wandel nötig, an dessen Ende eine Landwirtschaft steht, die sich nicht als System zur möglichst billigen Produktion auf Effizienz getrimmter Lebensmittel versteht. Schließlich sind es nicht nur ArbeiterInnen, die von einer Dumping-Landwirtschaft ausgebeutet werden, sondern auch die natürlichen Ressourcen und am Ende die BäuerInnen selbst.

    Der Autor Thomas Stollenwerk ist Chefredakteur des Magazins BIORAMA. Diese Reportage entstand in einer Koproduktion mit dem Magazin.
    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
    stollenwerk@biorama.eu oder an die Redaktion aw@oegb.at

    Infobox: Was ErntehelferInnen zusteht

    Lohn
    Es gelten für ErntehelferInnen die im Kollektivvertrag für das jeweilige Bundesland festgelegten Lohnuntergrenzen. In Niederösterreich beispielsweise liegt der Mindestlohn pro Monat bei 1.283,93 Euro brutto. Der Lohn ist monatlich auszuzahlen und ein Lohnzettel muss ebenfalls ausgehändigt werden. 
    Arbeitszeit
    Es darf höchstens 12 Stunden pro Tag gearbeitet werden und höchstens 60 Stunden pro Woche. Auch inklusive der Überstunden darf nicht mehr gearbeitet werden. Die Regelarbeitszeit beträgt 40 Stunden pro Woche und für Überstunden gibt es einen pauschalen Lohnaufschlag von 50 Prozent. Wird nachts bzw. an Sonn- und Feiertagen gearbeitet, sind sogar 100 Prozent Aufschlag auf den Stundenlohn fällig. Anfahrts- und Pausenzeiten zählen nicht zur Arbeitszeit. Und: Auch Saisonkräfte haben Urlaubsanspruch.
    Quartier und Verpflegung
    Maximal 1,31 Euro dürfen täglich für die Unterbringung verrechnet werden. Das Quartier muss abschließbar sein, ebenso wie ein Schrank darin. Es muss ein Fenster geben, Trinkwasser sowie eine Waschgelegenheit, Beleuchtung, eine separate Toilette, die Möglichkeit, Speisen zu erhitzen, und auch einen Kühlschrank. Nasse Kleidung muss zum Trocknen aufgehängt werden können. Stellt der Betrieb außer der Unterkunft auch die Verpflegung, dürfen für beides in Summe nicht mehr als 6,54 Euro pro Tag verrechnet werden. Arbeitsmaterial muss der anstellende Betrieb kostenlos zur Verfügung stellen.

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    Thomas Stollenwerk Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801224346 Die Brüder Andrei und Bogdan Oancea aus Rumänien arbeiteten jahrelang als Erntehelfer in Österreich. Mitten im reichen Tirol wurden sie ausgebeutet - bis sie sich erfolgreich zur Wehr setzten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801224355 Senol Alic, Sekretär der Gewerkschaft PRO-GE in Niederösterreich, bringt die Sezioneri-Kampagne auf den Punkt: "Wir bringen Licht ins Dunkle. Die meisten ErntearbeiterInnen haben von ihren Rechten kaum eine Ahnung." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801224875 Menschen werden dort eingesetzt, wo sie günstiger sind als Maschinen oder es (noch) keine Maschinen gibt, die diese Arbeit bewerkstelligen können - beispielsweise beim Spargelstechen im Marchfeld. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801224295 Interview: Die Transparenzdatenbank ist ein Waterloo Arbeit&Wirtschaft: Welchen Bezug hat die Arbeiterkammer eigentlich zum Thema Landwirtschaft beziehungsweise zu den Bauern?
    Werner Muhm: Historisch betrachtet ist die Landwirtschaft ein zentraler Teil der Sozialpartnerschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Sozialpartnerschaft entstanden ist, war die Landwirtschaft ein bedeutender Sektor mit vielen Beschäftigten. In der damaligen Situation, als es darum ging, die gesamte Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen, spielte die Landwirtschaft natürlich eine wichtige Rolle. Später ist der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten deutlich zurückgegangen, genauso wie der Anteil des primären Sektors am Bruttosozialprodukt.
    Heute kann man die Landwirtschaft praktisch als die Interessenvertretung des ländlichen Raumes bezeichnen. Und so betrachtet handelt es sich nach wie vor um einen räumlich und bevölkerungsmäßig großen Bereich. Denn schließlich kommen viele Bürgermeister in kleinen ländlichen Gemeinden vom Bauernbund und im neu gewählten Nationalrat stellt allein die ÖVP 16 Abgeordnete des Bauernbundes.
    Dann kommt dazu auch noch der Einflussbereich des Raiffeisen-Konzerns – dazu gehören ja nicht nur die Lagerhäuser, sondern auch die Zuckerindustrie oder Molkereien. Hier gab es lange Zeit eine enge Vernetzung der Sozialpartner in Form von Agrarfonds, Marktordnungsgesetzen, Preisregelungen usw. Eine bedeutende Zäsur war dann der EU-Beitritt. Last but not least sind AK und ÖGB nach wie vor daran interessiert, dass die Verarbeitungsbetriebe gut funktionieren. Und abseits der Sozialpartnerschaft ist es außerdem durchaus sinnvoll, wenn es eine Organisation wie die AK gibt, die beim wichtigen Thema Agrarpolitik und Landwirtschaft mitreden kann. Denn in der Landwirtschaft gibt es eine Art Herrschaftswissen darüber, wie alles läuft. Allein das Thema Förderungen ist höchst komplex und für Außenstehende kaum zu durchschauen.

    Und wer sich etwas mit dem Thema Landwirtschaft beschäftigt, bemerkt bald eine gewisse Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung von den fleißigen, aber armen Bauern und der Realität …
    Das Bild der Bäuerinnen und Bauern, die für wenig Geld tagaus, tagein schuften und die Landschaft pflegen, stimmt so nicht wirklich. Aber es wird von den Lobbyisten der Landwirtschaft seit vielen Jahren erfolgreich transportiert und gepflegt. Da gibt es eine starke Interessenvertretung und diese ist auch international gut vernetzt, ganz zu schweigen von der Bedeutung  des Raiffeisen-Konzerns mit wichtigen Industriebetrieben, Banken etc. Hier dagegenzuhalten, da holt man sich – bildlich gesprochen – manchmal schon blutige Köpfe.
    In puncto Interessenvertretung sind die Bauern also gut aufgestellt. Über Jahre und Jahrzehnte wurde ein Bild geprägt, das nicht mehr der Realität entspricht. In Österreich gibt es derzeit rund 160.000 landwirtschaftliche Betriebe, davon nur ca. 60.000 im Vollerwerb. Berechnet man hier das Durchschnittseinkommen, mit dem in der Regel argumentiert wird, dann ist es natürlich nicht erstaunlich, dass hier ein eher niedriger Betrag herauskommt, wenn die meisten Nebenerwerbsbauern sind. Die Vollerwerbsbetriebe verdienen eigentlich sehr gut.

    Es lohnt sich also noch, in Österreich einen Bauernhof zu führen?
    Als Vollerwerbsbauer auf jeden Fall. Ich muss vorausschicken, dass es in Österreich eine grundsätzliche Auseinandersetzung im Agrarsektor gibt: Die einen sind hauptsächlich fokussiert auf die Bergbauern und kleine Betriebe, die gefördert werden müssen. Ich war allerdings immer der Ansicht, dass umso mehr Subventionen gebraucht werden, je kleiner die Betriebsstrukturen sind.
    In gewissen Regionen ist das sicher sinnvoll, aber prinzipiell sollten auch in Österreich die Betriebe eher wachsen, damit jeder, der einen landwirtschaftlichen Betrieb führen möchte, auch davon leben kann. Die durchschnittliche Größe eines landwirtschaftlichen Betriebes in Österreich ist in den vergangenen Jahren bereits gestiegen, aber es ist durchaus sinnvoll, wenn dieser Trend weiter anhält. So können wir langfristig überlebensfähige Strukturen schaffen. Im internationalen Vergleich sind die großen landwirtschaftlichen Betriebe in Österreich ohnehin noch eher klein.

    Auch im europäischen Vergleich oder global betrachtet?
    Es stimmt, die durchschnittliche Betriebsgröße ohne Wald beträgt in den EU-Staaten 16 Hektar und in Österreich 18 Hektar. Nur wird der EU-Schnitt auch von kleinteiligen Strukturen wie in Polen oder Rumänien beeinflusst.
    Also wir haben hierzulande nach wie vor eine Kleinstruktur und sind von der industriellen Landwirtschaft noch weit entfernt. Man sollte daher etwa jungen, gut ausgebildeten Bauern, die einen kleinen elterlichen Betrieb übernehmen wollen, die Möglichkeit zum Vergrößern auch in Form von Pacht geben.
    Die ÖVP hat viel zu lange Sozialpolitik statt Strukturpolitik betrieben, die Entwicklung vom Bauern zum Agrarunternehmer wurde so eher behindert. Wir haben ja heute die am besten ausgebildeten Bäuerinnen und Bauern sowie Betriebsleiter, die agrarischen Schulen sind ausgezeichnet mit einer günstigen Schüler-Lehrer-Quote.
    Umso unverständlicher ist es, dass wir heute noch Pauschalierungen bei der Gewinnermittlung eines bäuerlichen Betriebes brauchen, wenn die Landwirte ohnehin doppelte Buchhaltung und entsprechende Computerprogramme beherrschen. Vor allem für größere Betriebe ist das Prinzip der Pauschalierung nicht mehr gerechtfertigt.

    Zusätzlich ist die Landwirtschaft ja ohnehin ein hoch subventionierter Sektor.
    Wir haben hier 1,2 Milliarden EU-Förderungen, außerdem Landes- und Bundesförderungen, insgesamt 1,926 Milliarden. Außerdem: Von jedem Euro für Bauern-Pensionen kommen 80 Prozent aus dem Budget. Denn derzeit besteht ein grobes Missverhältnis zwischen Zahlenden und Pensionisten. Alles in allem sind das gewaltige Ausgaben für eine relativ kleine Bevölkerungsgruppe.
    Zudem gab es in den vergangenen Jahren Subventionen von mehreren Hundert Millionen für Biomasse. Was die Förderungen betrifft, so ist meine These, dass noch etwas mehr Strukturpolitik in die Agrarpolitik hineinkommen muss, wir müssen weg von der Flächenförderung. Auch im Hinblick auf Wetterkapriolen oder mit dem Klimawandel einhergehende Probleme wäre es durchaus sinnvoll, auf eine Art Versicherungssystem umzustellen, das Risiken wie Ernteausfälle abdeckt und weniger Flächenprämien nach dem Gießkannenprinzip. Förderungen sollte es nur in besonderen Fällen geben, in besonders benachteiligten Regionen oder für kleine Bergbauernhöfe.

    Die meisten Gelder kommen aber aus der EU, wo Österreichs Einfluss eher bescheiden ist.
    40 Prozent des EU-Haushaltes gehen derzeit in die Landwirtschaft. Mit dem Brexit werden Einnahmen wegfallen, denn Großbritannien war ein starker Nettozahler. Da wird es eine ganz schwierige Diskussion geben: Wie können diese Verluste ausgeglichen werden, können sie überhaupt ausgeglichen werden? Welche Reformschritte sind nötig?
    Die EU-Agrarpolitik ist ja schon einige Male an ihre Grenzen gestoßen. Nach dem Wegfall der Milchquoten kam deutlich mehr Milch auf den Markt, es folgte ein Preisverfall von Milchprodukten. Als Reaktion darauf wurden Sonderstützungen ausbezahlt. Oder nehmen Sie nur die aktuelle Migrationsdebatte: Auch hier muss die EU mehr nachdenken, welche weitreichenden Konsequenzen ihre Agrarpolitik haben kann. Denn die kleinbetrieblichen Strukturen in vielen schwarzafrikanischen Ländern wurden zerstört durch den Import von billigen, durch die EU geförderten Waren. Und die Menschen dort haben kaum mehr Perspektiven.
    Positiv in Bezug auf die EU ist, dass unsere Agrarwirtschaft den Trend zu Nachhaltigkeit und biologischer Landwirtschaft gut bewältigt hat. Heute ist schon fast jeder fünfte Hektar im Bioanbau. Hier wurden Marktchancen gut genutzt. Auch die österreichischen Exportzahlen sind durchaus positiv.

    Von Bauernseite kommen immer wieder Klagen über bürokratische Hürden bei Förderungen etc.
    Der Agrarsektor ist der am höchsten subventionierte Bereich und ich glaube, es ist unbestritten, dass Bürokratie und Verwaltung hier eine große Rolle spielen. Das geht von den Bezirksbauernkammern über den Agrarlandesrat, die AMA und das Ministerium – wobei die Landwirtschaft eigentlich Ländersache ist – bis zur EU. Die Bauern sind extrem verwaltet.

    Gibt es in der EU eigentlich potenzielle Partner, die ähnliche Interessen wie Österreich verfolgen?
    Das ist ein schwieriges Feld. Franz Fischler hat sich ja sehr für die biologische Landwirtschaft engagiert. Doch die ist in manchen Ländern nicht sehr beliebt. Eine wichtige Strategie ist die Entwicklung des ländlichen Raumes, von diesen Geldern ging ja lange Zeit in Österreich sehr viel in die Landwirtschaft. Die AK war aber immer der Ansicht, dass diese Mittel für den Ausbau von Infrastruktur, den Tourismus oder für Gewerbebetriebe verwendet werden sollten, um die ländliche Entwicklung voranzutreiben und auch Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft zu schaffen. Hier gibt es auch bereits Erfolge, etwa in Oberösterreich, wo viele Mittelbetriebe angesiedelt sind.

    Das Landwirtschaftsministerium veröffentlicht jedes Jahr den Grünen Bericht. Wie ist Ihre Stellungnahme zum aktuellen Bericht, der Anfang Herbst veröffentlicht wurde?
    Die Einkommen in der Landwirtschaft sind 2016 um mehr als 13 Prozent gestiegen, aber da muss man fairerweise auch dazusagen, dass es die drei Jahre davor Rückgänge gab. In der Landwirtschaft, die so sehr vom Wetter abhängig ist, muss man immer den Durchschnitt von mehreren Jahren berechnen. Die größeren Vollerwerbsbetriebe haben in Österreich schon ein gutes Auskommen, daher sollten sie auch entsprechend Steuer zahlen.

    Und die Transparenzdatenbank, wird sie irgendwann ihren Zweck erfüllen?
    An sich könnte man auch aus dem recht umfangreichen Grünen Bericht einiges herauslesen. Doch manches bleibt nach wie vor wenig transparent. Interessant ist zum Beispiel, dass bei der Diskussion über die Pflichtmitgliedschaft bisher die Landwirtschaftskammern nicht erwähnt wurden, obwohl dorthin auch einiges Geld aus dem Budget fließt. Manche sprechen davon, dass bis zu 40 Prozent des Budgets der neun Landwirtschaftskammern und der Landwirtschaftskammer Österreich aus öffentlichen Geldern stammen!
    Sonst kann ich dem Rechnungshof nur Recht geben, die Transparenzdatenbank hat soviel ich weiß einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet und ist ein wahres Waterloo. Dabei wäre es durchaus wichtig, dass man weiß, wofür Gelder aufgewendet werden, wo es Doppelförderungen und Ähnliches gibt.

    Wenn Sie für die Zukunft ein Bild der idealen Landwirtschaft entwerfen könnten, wie sähe das aus?
    Bei aller Kritik, dass Veränderungen nur langsam möglich sind, muss man doch konstatieren, dass der heimische Agrarsektor im Großen und Ganzen gut aufgestellt ist. Anlässlich des EU-Beitritts gab es ja doch massive Befürchtungen, dass unsere landwirtschaftlichen Produkte, aber etwa auch die Weinbauern von der internationalen Konkurrenz überrollt würden. Tatsächlich sieht man sogar, dass es durch die gestiegenen Betriebsgrößen heute wieder mehr unselbstständig Beschäftigte in der Landwirtschaft gibt. Derzeit sind es mehr als 72.000, Tendenz steigend. Ich glaube daher, man muss weiterhin auf Spezialisierung, Nachhaltigkeit und hohe Qualität setzen.
    Um die Landwirte vor existenzbedrohenden Problemen in Zusammenhang mit der Klimaveränderung zu schützen, wäre eine Regelung nach dem Prinzip der Hagelversicherung zu überlegen. Die Finanzierung solcher Neuerungen dürfte natürlich nicht additiv erfolgen, sondern durch Umschichtung der vorhandenen Mittel. Und Förderungen sollten verstärkt dafür eingesetzt werden, um den Strukturwandel zu begleiten. Was in nächster Zeit auch ein großes Thema sein wird, ist die erneuerbare Energie und das Zurückfahren der hypertrophen Förderung von Biomasse.
    Als Arbeiterkammer liegt uns sehr wohl an einer funktionierenden Landwirtschaft und daran, dass die nachgeordneten Betriebe florieren. Auch hier gibt es einige tolle Beispiele, wenn ich etwa daran denke, wie kleinstrukturiert früher die Mühlen in Österreich waren – jetzt gibt es hier einen beachtlichen Konzern.  Die Zuckerindustrie ist mit der Agrana ebenfalls sehr gut unterwegs, auch die Weinwirtschaft. Und sogar die nach wie vor kleinstrukturierte Molkereiwirtschaft schlägt sich sehr gut auf dem internationalen Markt.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Zur Person
    Werner Muhm begann nach dem Studienabschluss in der wirtschaftspolitischen Abteilung der Arbeiterkammer, wo er Mitglied des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen war. Ab 1976 war der Betriebswirt im volkswirtschaftlichen Referat des ÖGB tätig. 1990 kehrte er in die Arbeiterkammer zurück, ab 2000 war er Direktor der Arbeiterkammer Wien. Offiziell ist Muhm seit Juni 2016 in Pension, aber nach wie vor regelmäßig für die AK tätig.

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    Interview: Astrid Fadler Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801224271 Werner Muhm im Gespräch: http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801224282 "Die größeren Vollerwerbsbetriebe haben in Österreich schon ein gutes Auskommen, daher sollten sie auch entsprechend Steuer zahlen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 20 Nov 2017 00:00:00 +0100 1510801224223 Coverstory: Nebenbei rund um die Uhr Schon wenn man sich der Sporthalle in Hartberg nähert, sieht man, dass an diesem Tag Anfang November etwas Besonderes los ist. Es ist Mittagszeit und der Parkplatz ist voll, Kinder und Jugendliche strömen auf den Eingang zu, in der Halle selbst wuselt es nur so von jungen Menschen. In mehreren Reihen sind Stände aufgebaut, an denen verschiedene Schulen Werbung für sich machen.
    Etwas weiter hinten im Raum ist der Stand der Landwirtschaftlichen Fachschule Güssing. Dort spricht Josef Pfeiffer gerade mit mehreren Mädchen, die sich für den Schulzweig Pferdewirtschaft interessieren. Gut gelaunt steht er ihnen Rede und Antwort, verteilt Informationsmaterial und Gebäck. Pfeiffer ist Lehrer an der Schule, nebenbei hat er einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Gemeinde Eltendorf im südlichen Burgenland.
    Pfeiffer weiß viel zu erzählen, denn schon seit 34 Jahren bestreitet er mit seinem Lehrergehalt und den Erträgen aus der Landwirtschaft seinen Lebensunterhalt. Wie man diese zwei Berufe unter einen Hut bringt, darauf hat er eine klare Antwort: „Man braucht ein sehr konsequentes Zeitmanagement, egal ob das in der Schule oder in einem anderen Beruf ist. Man muss einfach einen strikten Zeitplan haben.“
    Dabei kommen ihm die Stundenpläne und Urlaubsregeln in der Schule entgegen, wie er gesteht: „Da tut man sich natürlich leichter.“ Der große Vorteil im Vergleich zu vielen anderen Nebenerwerbsbauern ist freilich auch, dass sich seine Aufgabe in der Schule und seine Tätigkeit als Bauer perfekt ergänzen. „Als Landwirt in der landwirtschaftlichen Schule zu unterrichten: Es gibt nichts Besseres!“, sagt er begeistert.
    Nicht bei allen Nebenerwerbsbäuerinnen und -bauern lassen sich die beiden Berufe so gut vereinbaren wie bei Josef Pfeiffer. Zum Alltag gehört eine solche Doppelbelastung inzwischen für die knappe Mehrheit (53 Prozent) der österreichischen BäuerInnen, die ihre Landwirtschaft als Nebenerwerb betreiben. Der Hauptgrund: Die Landwirtschaft allein bringt nicht genug Geld, um davon den Lebensunterhalt bestreiten zu können.
    In vielen Fällen aber müssen BäuerInnen die Landwirtschaft noch neben einem völlig anderen Beruf unterbringen, wie es etwa bei einigen MitarbeiterInnen der voestalpine der Fall ist, denen bisweilen der Volksmund die Mitverantwortung für lange Staus im Berufsverkehr nach Linz gibt.

    PendlerInnen-Alltag
    Eine solche Situation kennen Hannes und Elke Krauscher nur zu gut. Das Ehepaar betreibt in der direkt an die burgenländische Hauptstadt Eisenstadt angrenzenden Ortschaft Großhöflein ein Weingut. Fast 25 Jahre lang musste Hannes Krauscher den Weinanbau mit seinem anderen Job als Einkäufer bei der Pharmafirma Shire unter einen Hut bringen.
    Die Firma hat ihren Sitz in Wien. Täglich pendelte er mit dem Auto in die Hauptstadt, seit elf Jahren gemeinsam mit seiner Frau Elke, deren Arbeitgeber nicht unweit der Pharmafirma residiert. „Ich mache Personalverrechnung in Wien. Und das halt auch nebenbei“, erzählt sie. „Nebenbei rund um die Uhr“, hakt ihr Mann ein.
    Krauschers ganzer Stolz ist ein Süßwein namens „Otto“: ein Muskat Ottonel, der aber mit weniger Alkohol auskommt als andere Süßweine. Ansonsten produziert er einen Rosé Sankt Laurent und hat mehrere Rot-, Weiß- und Schaumweine auf der Weinkarte. Es ist kaum übersehbar, mit welcher Leidenschaft er am Werk ist.
    Dass der gelernte Weinbauer in der Pharmaindustrie gelandet ist, ist eine Kombination aus Pech und Zufall. Denn an sich hat Krauscher die Höhere Schule für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg absolviert.
    Doch dann kam das große Pech. „Ich habe einen super Start in die Berufslaufbahn gehabt“, sagt er mit zynischem Unterton und doch lachend. „Ich habe Anfang Juni 1985 maturiert und Mitte Juni ist der Weinskandal, die Bombe, geplatzt. Da denkst du dir: super Berufswahl!“
    Der Traum von einer Laufbahn im Weinbau mit späterer Übernahme des familieneigenen Betriebs war also vorerst geplatzt. Nach ein paar Jahren im Burgenländischen Winzerverband machte er einen kurzen Ausflug in die Versicherungswirtschaft, als er eines Tages von einem Bekannten angesprochen wurde, dass bei Immuno, einer der Vorgängerfirmen von Shire, ein Einkäufer gesucht werde. Kaum hatte er vorgesprochen, war er auch schon engagiert, erzählt Krauscher und lacht. Nach anfänglichen Schwierigkeiten fand er Gefallen an seinem Job.

    Schmerzhafte Entscheidungen
    Zu Beginn seiner Berufslaufbahn war das Weingut noch hauptsächlich in den Händen der Eltern. 2003 übernahm er dann von ihnen – und musste gleich eine wichtige wie schmerzhafte Entscheidung treffen, um seine beiden Jobs unter einen Hut bringen zu können. „Wir haben da 13,5 Hektar gehabt. Das ist irre nebenbei“, sagt er rückblickend. Also verkleinerte er die Anbauflächen zunächst auf 9,5 und dann auf 7,68 Hektar.
    „Der Plan war: Wir fahren das Weingut von der Größe her so runter, dass es schnuckelig handelbar ist. Weil das Problem, das wir eigentlich über viele Jahre mitgeschleppt haben, war: Wir waren für nebenbei zu groß“, erzählt er. „Vor zwei Jahren haben wir das geändert, weil wir gesagt haben: Es ist immer noch zu viel. Wenn du 20.000 Liter in der Flasche nicht an einen Kunden bringst, weil du die Zeit für den Verkauf nicht hast – weil das ist das Um und Auf –, dann funkt es nicht.“
    Seine Frau Elke Krauscher bestätigt: „Es war schon schwierig, die Weine an den Mann oder die Frau zu bringen, weil der Hannes in den letzten Jahren so wenig Zeit gehabt hat.“ Also verkleinerten sie noch einmal, seither hat ihr Weinbaubetrieb eine Größe von 5,5 Hektar.

    Neuer Lebensabschnitt
    Für das Ehepaar Krauscher beginnt nun ein neuer Lebensabschnitt. Denn von der letzten Kündigungswelle bei Shire, die rund 500 MitarbeiterInnen in Österreich den Job kostete, war auch Hannes Krauscher betroffen. Momentan muss er sich noch an die neue Situation gewöhnen, seit August ist er freigestellt: „Jetzt geht das noch bis Ende Jänner und ich genieße mein neues Leben jeden Tag ein bisschen mehr.“
    An der Größe des Betriebs wollen die beiden derweil nichts ändern: „Das ist eine superschnuckelige Größe, mit der wir ein schönes Leben haben können.“ Elke Krauscher arbeitet derweil weiter in Wien, was bei ihrem Mann durchaus Mitleid hervorruft: „Jetzt kommt der Winter und die Arme muss pendeln.“ Sie selbst sieht es pragmatisch: Man müsse schauen, wie sich der Betrieb nun weiterentwickelt. „Wenn wir mehr Möglichkeiten haben zu verkaufen, werde ich sicher auch daheimbleiben, weil die Arbeit mehr wird“, meint sie.
    Aber wohl nicht nur deshalb, denn wenn sie über die Landwirtschaft spricht, kommt sie ins Schwärmen. Es sei eine sehr lohnende Tätigkeit: „Man ist viel in der freien Natur, hat viel mit Menschen zu tun und bekommt noch dazu so oft positives Feedback, wenn ein Wein schmeckt.“

    Arbeitsintensive Tierwirtschaft
    Auch die Geschichte des Betriebs von Fachschullehrer Pfeiffer zeigt, dass es nicht immer einfach ist mit der Doppelbelastung. Denn solange seine Eltern noch am Hof mitarbeiteten, wurden im Familienbetrieb auch Schweine gezüchtet. Damit war Schluss, als Pfeiffer den Betrieb übernahm. „Bei den Tieren ist man festgebunden“, erklärt er. Heute baut er auf einem Hektar Uhudler an, auf weiteren 15 Hektar Land betreibt er Ackerbau.
    Aus seiner Gemeinde berichtet er von zwei weiteren Bauern, die ebenfalls doppelgleisig fahren mit Ackerbau nebenbei. „Das ist alles total mechanisiert, das geht“, sagt Pfeiffer. Zudem hat er viel ausgelagert, unter anderem die Ernte oder den Pflanzenschutz, im Weinbau hat er einen geringfügig Beschäftigten eingestellt.
    „Die anspruchsvollen Tätigkeiten wie den Anbau selbst und die Verarbeitung übernehme ich“, erzählt Pfeiffer. Die Vermarktung liege großteils in den Händen seiner Frau. Warum tut man sich die Doppelbelastung überhaupt an? „Liebe und Leidenschaft“ lassen die ArbeiterInnen oder Angestellten an der Landwirtschaft zumindest nebenbei festhalten, wie es der Uhudler-Bauer ausdrückt.
    Auch bei der Berufsmesse in Hartberg kann man aus den Wortmeldungen der Jugendlichen heraushören, dass die Familientradition die Berufswahl stark beeinflusst: „Meine Großeltern haben einen Bauernhof. Da arbeite ich auch schon mit, das macht Spaß“, erklärt ein Bursche. Ein anderer Bursche, der ebenfalls bei Josef Pfeiffer um Informationen über die Schule gefragt hat, erklärt: „Mein Vater ist Jäger. Das will ich auch werden.“ Der Vater eines Mädchens, das ganz rote Backen bekommt, als es hört, wie oft Reiten auf dem Stundenplan der Schule steht, besitzt einen Reiterhof.
    An 96 Standorten österreichweit gibt es land- und forstwirtschaftliche Fachschulen wie jene, an der Pfeiffer unterrichtet. Zudem können Jugendliche an Berufsschulen oder Höheren land- und forstwirtschaftlichen Schulen eine Ausbildung als LandwirtInnen absolvieren.

    Digitalisierung
    „Beruf mit Zukunft“ steht auf den Foldern der drei Güssinger Schulzweige. Ein Blick in die Statistik lässt allerdings Zweifel aufkommen, vor allem was die sinkende Bedeutung der Agrarwirtschaft in Österreich betrifft (siehe auch „Die Kleinen als Feigenblatt“). Was hat sich während seiner 35-jährigen beruflichen Laufbahn in Landwirtschaft und Ausbildung verändert? „Es ist sehr viel Technik dabei, modernste Technik wie GPS-Systeme, Pflanzenschutz- und Düngegeräte, Melkmaschinen, alles computergesteuert“, erzählt Pfeiffer. Mit der steigenden Digitalisierung nahm die Bedeutung der EDV-Ausbildung seiner SchülerInnen noch deutlich zu.

    ProfessionistInnen
    Das Bild von LandwirtInnen, die in Familienbetrieben wirtschaften und deshalb mit Bürokratie und Buchhaltung zu sehr belastet werden dürften, entspricht jedenfalls nicht mehr der Realität. „Heute sind die Jungbauern Professionisten“, hält Pfeiffer fest. Auch hätten bei Weitem nicht alle einen Familienbetrieb im Hintergrund: „Das Verhältnis ist 50:50“, sagt er. Sie seien sehr gefragte FacharbeiterInnen etwa im Maschinenring oder in Lohnunternehmen der Landwirtschaft.
    „Sie haben auch eine technische Ausbildung in der Landtechnik, deshalb sind sie im Landmaschinensektor sehr gefragt“, weiß Pfeiffer. „Die Betriebe reißen uns die Absolventen aus der Hand oder werben sie sogar schon in der Schule ab.“
    Immer wieder wendet sich Josef Pfeiffer zwischendurch interessierten SchülerInnen zu. „Bitte, kann ich helfen? Was interessiert euch?“, fragt er, stellt den Anfragen entsprechend die Infomaterialien zusammen und plaudert entspannt mit den Jugendlichen.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Infobox: Land- und forstwirtschaftlicher Nachwuchs
    Im Schuljahr 2015/16 besuchten 17.435 SchülerInnen eine land- und forstwirtschaftliche Schule. Das Geschlechterverhältnis an sich beträgt fast 50:50, es ist allerdings je nach Ausbildung sehr unterschiedlich. Nur wenige Mädchen absolvieren in Österreich etwa eine Ausbildung in der Forstwirtschaft.
    Wie in so vielen anderen Bereichen auch gehen Mädchen gerade in jene Bereiche, die ein schlechteres Einstiegsgehalt erwarten lassen. So kann ein/e FacharbeiterIn für Forstwirtschaft mit einem Einstiegsgehalt von 1.970 Euro rechnen, in der Landwirtschaft sind es 1.550 Euro, in der Pferdewirtschaft 1.430 Euro.

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    Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 9/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801224198 Hannes Krauscher war 25 Jahre lang mit Leidenschaft Einkäufer und Winzer und pendelte zwischen Großhöflein und Wien. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801224206 Nun kehrt der gelernte Weinbauer zu seinen Wurzeln zurück. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1510801224217 Josef Pfeiffer ist Lehrer an der Fachschule Güssing und hat nebenbei einen landwirtschaftlichen Betrieb in der Gemeinde Eltendorf im südlichen Burgenland. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773616763 D wie Demagogie Altparteien
    Den Begriff verwenden PopulistInnen gerne, um sich selbst von den anderen Parteien zu distanzieren, die sie auch gerne „etablierte Parteien“ nennen. Inzwischen wird der Begriff auch von anderen PolitikerInnen und leider auch in Medien verwendet. Manche verweisen darauf, dass er ähnlich wie das Wort Systemparteien auch von den NationalsozialistInnen verwendet wurde.
    In Bezug auf die FPÖ ist allerdings anzumerken, dass sie eine ebenso alte Partei ist wie SPÖ und ÖVP, auch wenn sie im Jahr 1948 unter dem Namen „Verein der Unabhängigen“ gegründet worden war. Um sich von den anderen Parteien abzugrenzen, verwenden PopulistInnen statt Partei gerne Bezeichnungen wie „Bewegung“, Liga oder Bund.

    Demagogie
    Meyers Lexikon definiert diese als „Volksverführung in verantwortungsloser Ausnutzung von Gefühlen, Ressentiments, Vorurteilen und Unwissenheit durch Phrasen, Hetze oder Lügen“. Das Wort selbst setzt sich aus den griechischen Worten „démos“ = „Volk“ und „agógein“ = „führen“ zusammen.
    Nina Horaczek und Walter Ötsch sehen darin die Führung des Volkes in einem zweifachen Sinn. „Erstens als Ver-Führung: Eine unzufriedene Bevölkerung wird mit Verheißungen einer besseren Politik verführt. Dies geschieht zweitens, indem DemagogInnen von dem ‚Volk‘ reden: Sie schaffen damit ein Kunstprodukt einer gleichartigen Bevölkerung, die durch einen gemeinsamen ‚Volkswillen‘ verbunden ist.“ Die beiden AutorInnen verwenden Demagogie synonym für Populismus.

    Establishment
    Der Begriff ist keine Erfindung von RechtpopulistInnen, sondern wurde vielmehr von der Studierendenbewegung der 1960er-Jahre geprägt.
    Sie kritisierten damit die herrschende Machtelite, die nur auf den eigenen Machterhalt und die Erhaltung des Status quo einer reformbedürftigen Gesellschaft aus wäre und sogar dann ein Auge zudrückte, wenn ehemalige Nationalsozialisten weiterhin wichtige Positionen innehatten.
    RechtspopulistInnen haben diese Kritik an ihre eigenen Bedürfnisse angepasst und verwenden das Wort als Kampfbegriff für eine „Elite“, die sich gegen „das Volk“ verschworen habe.
    Zuletzt zog der nunmehrige US-Präsident Donald Trump gegen das „Establishment in Washington“ in den Wahlkampf. In seiner Antrittsrede versprach er: „Wir nehmen die Macht von Washington, D. C. und geben sie euch, dem Volk, zurück.“
    Zum rechtspopulistischen Repertoire gehören verschiedene Synonyme. Der freiheitliche Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer etwa erklärte seinem grünen Gegenspieler Alexander Van der Bellen im Jahr 2016: „Sie haben die Hautevolee hinter sich und ich die Menschen!“ Oder: „Sie sind ein Kandidat der Schickeria. Ich bin ein Kandidat der Menschen.“ Nina Horaczek und Walter Ötsch schreiben außerdem: „Österreich ist für die FPÖ ein „Parteienstaat, in dem gnadenlos die Interessen teilkorrumpierter Eliten regieren“.
    Auch heute noch zählt der Begriff keinesfalls ausschließlich zum Repertoire von RechtspopulistInnen. Politikwissenschafter Jan-Werner Müller ergänzt: „Alle Populisten sind gegen das ‚Establishment‘ – aber nicht jeder, der Eliten kritisiert, ist ein Populist.“ Allerdings ist diese Unterscheidung für den rechtspopulistischen Diskurs von Bedeutung, denn Menschen, die vor anderen Hintergründen Herrschaftskritik üben, werden von RechtspopulistInnen eben dieser Elite zugerechnet. „Wer sich ihnen entgegenstellt und ihren moralischen Alleinvertretungsanspruch bestreitet, gehört automatisch nicht zum wahren Volk“, so Müller.

    Fake News
    Laut Duden werden damit „in den Medien und im Internet, besonders in den Social Media, in manipulativer Absicht verbreitete Falschmeldungen“ bezeichnet. Die österreichische Journalistin Ingrid Brodnig konkretisiert, dass der Begriff „fabrizierte Meldungen“ beschreibt, „die mit einer Täuschungsabsicht in die Welt gesetzt wurden: entweder um Menschen politisch zu manipulieren, also ihre Meinung mittels erfundener Behauptungen zu beeinflussen, oder aber, um ökonomisch von der Aufregung zu profitieren, die Falschmeldungen verursachen“. US-Präsident Donald Trump bezeichnete den US-Sender CNN als Fake News, auch andere Medien wie die „New York Times“ oder CBS verunglimpfte er mit diesem Begriff.
    Mehr dazu: 
    tinyurl.com/yd2howup
    faktenfinder.tagesschau.de

    Genderwahnsinn
    Im feministischen Sprachgebrauch bedeutet Gender das soziale im Unterschied zum biologischen Geschlecht. Damit wird hervorgehoben, dass viele Eigenschaften, die als biologisch eingestuft werden, in Wahrheit durch die Gesellschaft vorgegeben werden. Oder um es mit Simone de Beauvoir zu sagen: Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht.
    Um den Ausschluss von Frauen aus der deutschen Sprache, in der mit dem männlichen Begriff Frauen „mitgemeint werden“, zu beenden, gibt es inzwischen eine Reihe von verschiedenen Vorschlägen für eine geschlechtergerechte oder eben gendergerechte Sprache.
    Gender-Mainstreaming wiederum bedeutet, dass Frauenpolitik nicht als abgehobenes Aktionsfeld gesehen wird, vielmehr wird gefordert, frauenpolitische Dimensionen in allen Politikfeldern zu berücksichtigen. Dieser Zugang stößt verständlicherweise auf wenig Zustimmung bei PopulistInnen, die selten eine emanzipatorische Programmatik haben. Mit dem Schlagwort „Genderwahnsinn“ versuchen sie feministische Politiken zu diffamieren. In der rechtspopulistischen Vorstellungswelt ist dieser Wahnsinn so weit fortgeschritten, dass Männer inzwischen diskriminiert werden.

    Gesinnungsterror
    RechtpopulistInnen inszenieren sich gerne als Opfer des politischen Diskurses. Die Freiheitlichen beispielsweise beklagen seit inzwischen Jahrzehnten, sie seien Opfer einer Ausgrenzungspolitik. So plakatierte die FPÖ das Foto von Parteichef Strache mit dem Slogan: „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist.“ Gerne wird auch die angeblich übertriebene „Political Correctness“ beklagt, die analog zur Zensur verbieten würde, dass „man sagen darf, was man denkt“. Die PopulistInnen aber würden sich trauen, gegen dieses „Diktat“ vorzugehen. „Wir sagen die Wahrheit, wir lassen uns nicht den Mund verbieten“, erklärte etwa FP-Chef Strache.

    Korruption
    Ein beliebtes Thema von RechtspopulistInnen ist die Korruption. Selbstverständlich ist nicht jede Partei, die der Korruption den Kampf angesagt hat, automatisch eine populistische Partei. Vielmehr passt das Thema Korruption geradezu perfekt zu der von PopulistInnen konstruierten zweigeteilten Welt, in der sie nicht nur gegen angebliche Bedrohungen von außen auftreten, sondern auch gegen eine „korrupte Elite“.

    Mainstream-Medien
    An sich wird dieser Begriff nicht nur von Rechten verwendet, um jene Medien zu kritisieren, die vom Mainstream gelesen werden. Darunter stellt man sich die Mehrheit der Bevölkerung vor, die nicht an widersprüchlichen und kritischen Informationen interessiert ist. Auch FeministInnen oder Linke prangern an, dass diese Medien zu wenig kritisch mit Informationen umgehen und anderen Sichtweisen zu wenig Raum ließen. Es wird angenommen, dass die JournalistInnen der Mainstream-Medien zu wenig recherchieren, nur Informationen verbreiten würden, die in eine bestimmte Gedankenwelt passen.
    So berechtigt die Kritik an sich sein mag, so anfällig ist diese These für Verschwörungstheorien. Im rechten Vokabular haben sich die Begriffe Lügenpresse oder Lügenpropaganda inzwischen etabliert. Um diesen angeblichen Falschinformationen etwas entgegenzusetzen, haben rechte Gruppierungen und Parteien inzwischen eigene Plattformen ins Leben gerufen. „Diese sogenannten „alternativen Medien“ versprechen oft, die „Wahrheit“ zu liefern oder eine „Gegenöffentlichkeit“ herzustellen“, schreibt die österreichische Journalistin Ingrid Brodnig in ihrem Buch „Lügen im Netz“. Sie fügt hinzu: „Allerdings fällt ihre Berichterstattung weniger mit faktenorientierter Ausgewogenheit als mit besonderer Einseitigkeit auf.“ Von Journalismus könne in diesem Zusammenhang allerdings keine Rede sein, sondern es ist vielmehr eine „politisch motivierte Berichterstattung“, wie Brodnig festhält. Diese schreckt auch nicht davor zurück, Gerüchte, Halbwahrheiten oder gar Falschmeldungen zu verbreiten. Ziel ist es, Wut zu schüren oder allgemein zu emotionalisieren.
    In den USA am bekanntesten sind die Breitbart-News, deren Chef Stephen Bannon eine Zeit lang Chefstratege von US-Präsident Donald Trump war. Auch betreibt die FPÖ eine Reihe von Medien. Dazu zählt neben Zeitungen wie der „Neuen Freien Zeitung“, „Zur Zeit“ oder die „Aula“ auch ein eigener YouTube-Kanal. Hinzu kommt die Plattform unzensuriert.at, die von FPÖlern aus dem Umfeld des früheren Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf gegründet wurde. Der frühere Geschäftsführer der Betreiberfirma war sein Büroleiter, Chefredakteur ist der frühere Pressesprecher von Graf.

    Populismus
    „Populisten, wohin das Auge reicht“, leitet der Politikwissenschafter Jan-Werner Müller sein Buch „Was ist Populismus?“ ein. In der Tat ist das Wort in aller Munde. Dass es bisweilen willkürlich verwendet wird, hat seinen Grund nicht zuletzt darin, dass es keine eindeutige Populismus-Definition gibt. So bezeichnen manche auch linke Gruppierungen als populistisch, was von anderen kategorisch zurückgewiesen wird, denn Populismus sei notwenigerweise nationalistisch, was die Linke nie sein könne (siehe auch „Das schlechte Volk?“).
    Kennzeichen populistischer Argumentation, darin sind sich die AutorInnen einig, ist die Differenzierung der Welt in „Wir“ und „die Anderen“ – „das Volk“ gegen „die Elite“, „die Ausländer“ usw. Der Politologe Anton Pelinka etwa meint, der Rechtspopulismus ergänze „den (anti-elitären) vertikalen Effekt des allgemeinen Populismus durch einen ‚xenophoben‘ horizontalen Effekt“.
    In seiner Analyse der „Diskursstrategien“ von FPÖ und der schweizerischen SVP schreibt der deutsche Politologe Oliver Geden: „Der Rekurs auf ‚das Volk‘ steht im Zentrum (rechts-)populistischer Politik. ‚Das Volk‘ wird in einer Konstellation verortet, die es als ‚schweigende Mehrheit‘ sieht, die den politischen und kulturellen Eliten (sowie den von ihnen ‚protegierten‘ Minderheiten) in einer direkten Frontstellung gegenübersteht.“
    Konkret führt Geden aus: „Während den Eliten vorgeworfen wird, nur die eigenen Partikularinteressen zu verfolgen, schlägt sich der Rechtspopulismus auf die Seite ‚des Volkes‘, stellt sich als dessen einziger legitimer Vertreter auf der politischen Bühne dar, als jene Strömung, die dem ‚Volk‘ wieder zu seiner Stimme verhilft.“ Jan-Werner Müller definiert den Kernanspruch von Populismus folgendermaßen: „Wir – und nur wir – repräsentieren das wahre Volk.“ Zugespitzt formuliert er: „Sie behaupten von sich nichts weniger, als die 100 Prozent zu repräsentieren.“

    Systemparteien
    Mit dem Begriff des „Systems“ wurde von den Nationalsozialisten die deutsche Weimarer Republik oder auch der österreichische Austrofaschismus bezeichnet. Er ist keinesfalls neutral gemeint, sondern vielmehr verächtlich.
    Auch Begriffe wie Systempartei oder Systempresse gehörten zum Sprachgebrauch der Nazis. Auch heute verwenden RechtspopulistInnen diese Begriffe gerne, um sich von „der Elite“ abzugrenzen. So warb die FPÖ beispielsweise mit dem Wahlslogan „Volksvertreter statt EU-Verräter“, FP-Chef Strache bezeichnete den früheren Bundeskanzler Werner Faymann als „Staatsfeind“.

    Wirtschaftsflüchtlinge
    Gerne wird argumentiert, dass Europa sich dagegen wehren müsse, dass „Wirtschaftsflüchtlinge“ unter dem Vorwand, Asyl zu suchen, hierherkommen. Fakt ist, dass mehr als die Hälfte der Menschen, die in Österreich Asyl beantragt haben, aus den Bürgerkriegsländern Afghanistan, Syrien und Irak kommen.
    Mehr dazu:
    tinyurl.com/y8a8j4yt

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Zeitschrift "Arbeit&Wirtschaft" Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616721 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616732 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616737 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773616709 Tödliche Straflust Was haben Immanuel Kant, Wladimir Lenin und Konrad Adenauer mit Arnold Schwarzenegger gemeinsam? Alle vier befürwort(et)en die Todesstrafe. Der Philosoph des moralischen Imperativs begründete sie mit einer notwendigen „Befriedigung der Gerechtigkeit“ – eine Überzeugung von zeitloser Anziehungskraft, die beispielsweise Hillary Clinton teilt. Eingeschränkt soll sie nur auf besonders schlimme Verbrechen sein, wo der „Einzelne das Recht auf Leben verwirkt“. Auch in Österreich finden sich für Ausnahmefälle Befürworter, wie der Tiroler Wirtschaftskammerpräsident Jürgen Bodenseer oder Frank Stronach, der die „Todesstrafe für Berufskiller“ verlangte.

    „Idealer“ Gegenstand
    „Forderungen nach einer Wiedereinführung der Todesstrafe sind dadurch vorbereitet, dass es eine legitime und sogar praktizierte Strafform weltweit ist (auch in westlichen Demokratien). Des Weiteren gehört seit den späten 1970er-Jahren ein Mehr an staatlichen Strafdrohungen zur normalen Sicherheitspolitik und ist Bestandteil von Politik-Darstellungen“, so Helga Cremer-Schäfer von der Universität Frankfurt. Die Kriminologin untersucht die Soziologie des strafenden Staates. In „Straflust und Repression“ beschreibt sie einen Prozess der „Personalisierung des Problems der Kriminalität“, der die „Krise“ als Versagen bestimmter Leute, bestimmter Kategorien der Bevölkerung“ erklärt. „Kriminalität“ ist ein idealer Gegenstand „autoritären“ Populismus: ein gemeinsamer Feind und die Kriegserklärung, in der die ganze Nation zusammengeschlossen wird, gegen innere Feinde und hereindrängende Fremde vorzugehen. „Law-and-Order-Kampagnen sind Mittel, eine klare Polarisierung von ‚Wir‘ und ‚Sie‘ durchzusetzen.“ Der langjährige Leiter des Wiener Instituts für Recht- und Kriminalsoziologie, Heinz Steinert, sagte dazu in einem Vortrag 2008: „Populistische Politik (konkret waren es Ronald Reagan und Margaret Thatcher, die damit Wahlkämpfe bestritten) und Unterhaltungsindustrie (besonders Boulevardpresse und TV) haben gemeinsam ‚Kriminalität‘ zu einem bedeutsamen Feindbild und möglichst strenge Bestrafung zum einzigen Mittel dagegen erhoben.“
    Ein Musterbeispiel für das populistische Mobilisierungspotenzial brachte Viktor Orbán, der durch gezieltes Liebäugeln mit der Todesstrafe auf mediale Wirkung abzielte. „Die Todesstrafe ist kein Sonderfall, sondern ein extremes Beispiel für eine diskursive Strategie, die von der extremen Rechten verwendet wird“, analysiert Politikwissenschafter Tobias Boos. „Sie erfüllt zwei Funktionen: Der Tabubruch einer extremen Forderung erweitert das diskursive Feld und verschiebt es weiter nach rechts – auch wenn nach öffentlicher Empörung ‚zurückgerudert‘ wird.“ Diese Spirale nach (rechts) oben ist bei der AfD-Politik gut beobachtbar. Schockierte Frauke Petry noch mit der Aussage „Flüchtlinge notfalls mit Waffengewalt an den Grenzen zu stoppen“, übertraf ein AfD-Lokalpolitiker diese Aussage, indem er meinte, „die deutsche Integrationsbeauftragte in Anatolien entsorgen zu wollen“. Die Linguistin Ruth Wodak wählt das Bild des „Perpetuum mobile“, das (rechts-)populistische Parteien erzeugen, indem sie wiederkehrend provozieren, falsche Anschuldigungen machen und mit kalkulierten Ambivalenzen verschiedene WählerInnengruppen mit unterschiedlichen Botschaften zur selben Zeit ansprechen. So sind die anderen Parteien und politischen Akteure permanent damit beschäftigt, offensichtlich falsche Aussagen zu widerlegen, und kommen so zu keiner eigenständigen Themensetzung.

    „Mein Volk“
    „Es zählt, was mein Volk sagt“, meinte Recep Erdoğan, konfrontiert mit der Aussage, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe zum sofortigen Stopp der EU-Verhandlungen führen würde. Sprechen PolitikerInnen über die Todesstrafe, stützen sie sich gerne auf des „Volkes Stimme“. „Die Regierungen müssen mit entsprechenden Gesetzen und begleitender Bildungsarbeit mit gutem Beispiel vorangehen und tragen so dazu bei, dass sich die Einstellung in der Bevölkerung ändert. In Österreich wurde die Todesstrafe zu einer Zeit abgeschafft, in der die Mehrheit der Bevölkerung noch gegen ihre Abschaffung war“, so Manfred Nowak, wissenschaftlicher Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte. Zeitpunkt und Art der Fragestellung beeinflussen maßgeblich die Zustimmung. Fragt man: „Soll die Todesstrafe wieder eingeführt werden?“, erhält man einstellige Zustimmungsraten. Oder fragt man aus Anlass eines aktuell besonders brutalen Mordes: „Sind Sie für die Todesstrafe für Kinderschänder?“, so kann es für diese Aussage Zustimmungsraten von bis zu 25 Prozent geben. „In dem Kontext wird die Todesstrafe nicht als Strafe, sondern als ‚sozialhygienische Maßnahme‘ verstanden, um die Gesellschaft zu schützen“, analysiert Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty International, die unterschiedlichen Ergebnisse. Dennoch ist er überzeugt: „Europa ist gefestigt gegen die Todesstrafe.“ Zweifel sind jedoch angebracht. Immerhin wurde die Wiedereinführung der Todesstrafe in Polen im Jahr 2004 mit gerade einmal drei Stimmen verhindert. Auch scheiterte die Einführung eines EU-Tages gegen die Todesstrafe im Jahr 2007 an den Stimmen der polnischen Regierung. In der Zwischenzeit hat sich Polen endgültig von der Todesstrafe verabschiedet, indem es im Jahr 2014 jenes Protokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention ratifizierte, das die Todesstrafe verbietet. „Die Todesstrafe ist ein Auslaufmodell“, bleibt Patzelt überzeugt. „Jährlich schaffen im Schnitt drei Staaten ab, der Kampf ist in 10 bis 15 Jahren gewinnbar.“ Aber es gibt auch Rückschläge: So führte heuer auf den Philippinen Präsident Rodrigo Duterte nach elf Jahren die Todesstrafe (auf Drogendelikte) wieder ein.

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    INFOBOX
    Die Todesstrafe: Fakten statt Emotionen

    Die Todesstrafe wird gerne im Namen der Angehörigen der Opfer legitimiert. Doch es ist ein Fehlschluss, dass diese den Angehörigen tatsächlich ein Gefühl von Gerechtigkeit bringt. „Oft dauert der Prozess über zehn Jahre, es lässt die Betroffenen nicht los, traumatisiert sie zusätzlich. Selbst starke Befürworter der Todesstrafe empfinden keinen Seelenfrieden nach einer Hinrichtung“, weiß Patzelt von amerikanischen Fallstudien zu berichten. Das widerlegt ein besonders fragwürdiges Pro-Argument der Todesstrafe, sie käme billiger. So dauert in Staaten mit westlichen Rechtsstandards die Prozessfindung mit Berufungen zwischen sechs und acht Jahren und wird in Summe wesentlich teurer als lebenslängliche Haft.
    Mehr als fragwürdig ist auch ihre abschreckende Wirkung. Im Jahr 2012 stellte der National Research Council in den USA fest, dass es „keine ausreichenden Informationen darüber gibt, ob die Todesstrafe die Mordrate verringert, erhöht oder überhaupt einen Effekt auf sie hat“. Im benachbarten Kanada sank die Mordrate seit Abschaffung der Todesstrafe (1976) kontinuierlich und liegt bis heute deutlich niedriger als in den USA. „Die moderne Strafrechts- und Menschenrechtswissenschaft hat schon lange bewiesen, dass die Todesstrafe keine abschreckende Wirkung entfaltet. Jene, die die Todesstrafe befürworten, auch wenn sie andere Argumente vorschützen, sind in der Regel beseelt von einem archaischen Strafrechts- und Gerechtigkeitsdenken, das natürlich stark von religiösem Denken beeinflusst ist“, stellt Manfred Nowak klar.

    Todesstrafe weltweit
    Zwei Drittel aller Staaten haben die Todesstrafe abgeschafft bzw. ausgesetzt. In Österreich wurde sie im Jahr 1950 zunächst für nicht militärische Verfahren abgeschafft, im Jahr 1968 wurde sie schließlich völlig aus den österreichischen Strafgesetzen gestrichen. Wie viele Menschen jährlich hingerichtet werden, ist laut Amnesty nur schwer zu zählen. So gibt die Menschenrechtsorganisation zwar an, dass China das Land mit den meisten Hinrichtungen sei, aber: „Das wahre Ausmaß der Todesstrafe bleibt Staatsgeheimnis.“ Auf der Liste der Länder, die am häufigsten die Todesstrafe vollziehen, folgen nach China der Iran, Saudi-Arabien, Irak und Pakistan.
    „Für EuropäerInnen am irritierendsten ist, dass sogar demokratische Rechtsstaaten wie die USA oder Japan die Todesstrafe anwenden“, so Patzelt. Als „politisch hoch motiviertes Einschüchterungsinstrument“ wird die Todesstrafe in Syrien oder dem Iran eingesetzt. „Wenn es in der Bevölkerung unruhig ist, sieht man die Leute hängen.“
    In Saudi-Arabien und dem Irak gibt es die Todesstrafe überwiegend aus religiösen Gründen. Tödliche Delikte sind Homosexualität, Ehebruch oder der Abfall vom rechten Glauben (Apostasie). Am schwierigsten zu fassen ist der traurige Weltmeister. „China ist ganz langsam in Richtung Rechtsstaat unterwegs, aber mit wenig Vertrauen in die Wirksamkeit des eigenen Rechtsdurchsetzungssystems. So wenden sie die Todesstrafe nicht nur bei Mord an, sondern auch bei Steuerhinterziehung, Korruption und bei der Manipulation von Lebensmitteln (Babymilchskandal).“
    In Europa ist die Todesstrafe in allen Ländern bis auf eine einzige Ausnahme abgeschafft: Weißrussland. Da die Zahlen über Hinrichtungen als Staatsgeheimnis gelten, weiß man mit Gewissheit nur, dass zuletzt im Jahr 2014 jemand exekutiert wurde.

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    Beatrix Beneder, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616703 "Es zählt, was mein Volk sagt", meinte Recep Erdoğan, konfrontiert mit der Aussage, dass eine Wiedereinführung der Todesstrafe zum sofortigen Stopp der EU-Verhandlungen führen würde. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773616679 Mythos der sozialen Hängematte Der Flüchtlingsstrom, der im Herbst 2015 seinen Höhepunkt erreichte, stellt Politik und Gesellschaft vor neue Herausforderungen. In der Praxis bedeutet das öffentlich geförderte Unterkünfte für AsylwerberInnen sowie Mittel aus dem Budget für die Grundversorgung, in weiterer Folge müssen Rahmenbedingungen für eine positive Integration geschaffen werden. Dies wird begleitet durch eine intensive öffentliche Diskussion. Stammtisch-Gespräche über „unsere Werte“ tragen auch nicht gerade zur Entspannung bei. Gerne wird auch das Bild der Billa-Verkäuferin genommen, die den ganzen Tag an der Kassa sitzt und weniger bekommt als ein „Flüchtling, der auf Kosten unserer Steuergelder lebt“. Fälschlicherweise entsteht so der Eindruck, dass Flüchtlinge mehr Geld erhalten als manche ÖsterreicherInnen, die arbeiten gehen.

    Falsche Zahlen
    Laut European Social Survey glauben 30 Prozent der österreichischen Bevölkerung, dass Zugewanderte mehr Sozialleistungen erhalten, als sie zur Finanzierung der Leistungen beitragen. Die Meinung, AusländerInnen seien NettoempfängerInnen von Sozialleistungen, ist in Österreich im Europavergleich am stärksten ausgeprägt.
    Nur sieben Prozent glauben, dass AusländerInnen mehr ins Sozialsystem einzahlen, als sie an Leistungen bekommen.

    Wer hat recht?
    Das Sozialministerium ging gemeinsam mit dem Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung dieser Frage nach. Die Analyse legt Fakten auf den Tisch, die nicht nur bei Stammtisch-Debatten, sondern auch in der Politik notorisch ignoriert werden. Die Auswertung der statistischen Daten für das Jahr 2015 belegt, dass AusländerInnen mehr ins Sozialsystem einzahlen, als sie erhalten. ÖsterreicherInnen bekommen um 7,1 Milliarden Euro mehr, als sie einzahlen. Bei AusländerInnen ist das Verhältnis umgekehrt: Sie zahlen um 1,6 Milliarden Euro mehr in den Sozialtopf ein, als sie Geld erhalten.
    Die Forschungsgesellschaft Joanneum Research untersuchte ebenfalls, in welchem Ausmaß AsylwerberInnen die öffentlichen Haushalte belasten und welche Auswirkungen sich daraus für Wirtschaft und Arbeitsmarkt ergeben. Im Auftrag des Österreichischen Roten Kreuzes und der Caritas hat die Joanneum Research Erwerbskarrieren der rund 65.000 Asylberechtigten für die Jahre 2000–2015 erfasst. Die Studie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis.

    Investitionen in Bildung nötig
    Damit auch künftig eine positive Bilanz überwiegt, fordert Gerald Schöpfer, Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes, konkrete Maßnahmen: „Der Beitrag, den Asylberechtigte durch ihre Arbeit für die Wirtschaft leisten, ist zwar positiv. Damit das so bleibt, ist es aber dringend nötig, mehr in Bildung zu investieren: in neue Kurse und Angebote für diese Menschen, die sich auf dem Arbeitsmarkt besonders schwertun – und zwar besonders für die Jungen und schlecht Qualifizierten. Asylberechtigte müssen früher in den Arbeitsmarkt integriert werden.“
    Gemeinsam ist beiden Studien, dass sie vor der Wanderungsbewegung des Jahres 2015 durchgeführt wurden. „Im Moment fallen zweifellos Kosten für Grundversorgung und in weiterer Folge Mindestsicherung an“, räumt der Geschäftsführer der Volkshilfe Österreich, Erich Fenninger, auf A&W-Anfrage ein. „Nachdem es sich bei Österreich um eine stark überalterte Gesellschaft handelt, werden wir die zusätzlichen Arbeitskräfte langfristig brauchen, um den Wohlstand in Österreich sicherstellen zu können.“

    Erzwungenes Nichtstun
    Die Volkshilfe betreut seit Jahrzehnten AsylwerberInnen. Dabei erleben die MitarbeiterInnen täglich, wie Menschen das lange Warten und das erzwungene Nichtstun enorm belastet. „Sie fiebern dem Moment entgegen, in dem sie arbeiten dürfen, sich selbst erhalten können und darauf auch stolz sind. Das ist nicht immer leicht, aber die meisten Asylberechtigten sind höchst motiviert, nehmen auch sehr schlecht bezahlte Jobs an und erhöhen oft auch die Selbstständigenquote“, weiß Fenninger aus der Praxis. Die „soziale Hängematte“ sei bei näherer Betrachtung gar keine, sondern einfach ein Vorurteil. Auf die Frage, was an dem Argument „viele Migranten würden lieber Mindestsicherung beziehen als arbeiten gehen“ daran sind, sind sich ExpertInnen einig: Nicht die Mindestsicherung ist zu hoch, sondern die Löhne in vielen Branchen sind einfach zu niedrig. Das gilt für österreichische StaatsbürgerInnen genauso wie für MigrantInnen und AsylwerberInnen: „Daher sind die Bestrebungen, für eine Vollzeitstelle zumindest 1.500 Euro als Mindestlohn zu fixieren, ein Schritt in die richtige Richtung“, so Fenninger.
    „Von einer Vollzeitstelle soll man leben können, bei den derzeitigen Mieten ist das oft nicht der Fall“, kritisiert er. Die derzeitige Höhe der Mindestsicherung sei am untersten Limit, gerade genug, um ein Überleben zu sichern. Zudem wird die Mindestsicherung nur zwölfmal im Jahr ausbezahlt, während in den meisten Kollektivverträgen ein steuerbegünstigtes Urlaubs- und Weihnachtsgeld festgelegt ist.
    Auch Christoph Riedl, der seit über 20 Jahren bei der Diakonie im Flüchtlingsdienst tätig ist, findet, dass in der Diskussion vieles durcheinandergebracht wird: „Man darf nicht die Mindestsicherung mit der Grundversorgung verwechseln.“ Ersteres sei für anerkannte und subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge, zweiteres für AsylwerberInnen. Auch werde in der politischen Debatte meist eine mehrköpfige Flüchtlingsfamilie mit einer Einzelperson (in Form eines österreichischen Pensionisten) verglichen. Das sei wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen.

    Kosten des Nichthandelns
    1,7 Milliarden hatte das Finanzministerium für die Flüchtlingskosten im Jahr 2017 veranschlagt. Der Fiskalrat geht allerdings davon aus, dass diese auf 2,7 Milliarden Euro steigen werden. Auch wenn aufgrund deutlich weniger Asylanträge die Kosten für die Grundversorgung zurückgehen, steigen die Zahlungen für die Mindestsicherung. Nichtsdestotrotz plädiert Fiskalrat-Präsident Bernhard Felderer für weitere Integrationsmaßnahmen.
    Ähnlich sieht es der AK-Budgetexperte Tobias Schweitzer: „Wesentlicher als die simple Kostenbetrachtung ist die Analyse der Kosten des Nichthandelns. Je besser und schneller die Integration der Geflüchteten gelingt, desto geringer sind die Kosten und desto größer wird auch ihr Beitrag zum Wirtschaftswachstum sein.“

    Stammtischgerüchte
    Die kurzfristige Euphorie im Herbst 2015, als viele Flüchtlinge Österreich erreichten, ist längst umgeschlagen. Das bekommt etwa auch die Caritas zu spüren, die oft mit Falschmeldungen konfrontiert ist. Sei es am Stammtisch oder auf Facebook: Immer wieder kursieren Gerüchte, bei der kirchlichen Hilfsorganisation würden Handys, Laptops oder Markenkleidung an Geflüchtete verschenkt. So heißt es, dass der Handyverkäufer kein Geld, sondern nur eine Karte der Caritas vorgelegt bekomme und daraufhin dem Asylwerber ein teures Smartphone aushändige.
    Als im Wahlkampf die Gerüchteküche wieder einmal überkochte, reagierte die Caritas erneut mit einem offiziellen Dementi: „Weil uns diese Gerüchte in letzter Zeit wieder verstärkt zu Ohren kommen: Nein, wir verschenken keine Handys, keine Bordellgutscheine, keine Zahn- oder Brustimplantate und auch keine rosa Einhörner.“ Bei den Flüchtlingsankünften 2015 und 2016 zählte Österreich europaweit zu den am stärksten involvierten Ländern bei der Aufnahme. Die meisten Menschen, die in Österreich in den vergangenen Jahren um Asyl ansuchten, kommen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Im Jahr 2016 wurden in Österreich über 40 Prozent der Asylanträge positiv entschieden. 70 Prozent der positiven Asylbescheide gingen an Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Laut einer OECD-Studie gibt Österreich weniger Geld für Asylwesen aus als etwa Deutschland oder Schweden. Im Übrigen zahlt auch die Türkei – gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) – prozentuell deutlich mehr.

    Studien:
    tinyurl.com/yb5eoxwp
    „AusländerInnen und der Sozialstaat Österreich“:
    www.sozialministerium.at
     
    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
    irene_mayer@hotmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Irene Mayer-Kilani, Freie Journalistin für "Kurier" und Printmagazine Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616673 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773616647 Ein Zwillingspaar? Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: So nennt der deutsche Sozialforscher Wilhelm Heitmeyer jene Haltung, die RechtspopulistInnen systematisch pflegen. Der Begriff steht für Ideologien, die auf zwei miteinander verbundenen Annahmen fußen: erstens, dass es voneinander klar abgegrenzte Menschengruppen gibt; zweitens, dass diese Gruppen nicht gleichwertig sind und nicht die gleichen Rechte und den gleichen Schutz ihrer Unversehrtheit verdienen.

    Enger Zusammenhang
    Zwölf Elemente von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit hat die Bielefelder Forschungsgruppe rund um Heitmeyer untersucht: Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Etabliertenvorrechte, Abwertung von Obdachlosen, Abwertung von Menschen mit Behinderung, Homophobie, Muslimenfeindlichkeit, Sexismus, Abwertung von Langzeitarbeitslosen, Abwertung von AsylbewerberInnen und die Abwertung von Sinti und Roma. Diese zwölf Elemente hängen oftmals eng zusammen. Das heißt, vielfach werden Vorurteile gegen gleich mehrere dieser Gruppen bedient. Die Bielefelder Forscher sprechen im Zusammenhang mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit von einer „Vergiftung der Atmosphäre“. Ziel derjenigen, die eine solche „Vergiftung“ betreiben, sei es, unterschwellig vorhandene menschenfeindliche Einstellungen zu mobilisieren.

    Empfängliche Menschen
    RechtspopulistInnen bauen auf eine hohe Empfänglichkeit der Bevölkerung für diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Viele Menschen in Österreich empfinden es als Erleichterung, wenn ihnen jemand zu verstehen gibt, dass es wieder in Ordnung ist, jenen Ressentiments freien Lauf zu lassen, die sie von klein auf mitbekommen, erlernt und verinnerlicht haben. Es zeigt sich, dass ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die in Richtung Ächtung von Vorurteilen und des gesetzlichen Verbots von Diskriminierung ging, innerlich nicht oder nur teilweise mitvollzogen hat.
    „Kommen Sie mir nicht mit der Rassismuskeule“, ist zu einem zentralen Stehsatz des neuen Kampfes um das „richtige Maß“ an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit geworden. Der Verweis auf die Rassismuskeule dient als Schutzschild, um Mitmenschen „endlich wieder“ aufgrund herkunftsbezogener oder äußerlicher Merkmale heruntermachen und diskriminieren zu können – ohne dabei durch Kritik gestört zu werden. Der Keulenstehsatz ermöglicht eine Verwandlung vom Rassismustäter zum Keulenopfer. Diese Verwandlung schafft wiederum Spielraum, um die Normalisierung rechter Begriffe und Positionen voranzutreiben.
    RechtspopulistInnen geben den Menschen, die sich durch die Ächtung von Rassismus und Nationalismus eingeengt fühlen, Rückhalt. Und sie geben ihnen in sozialen Netzwerken Foren, wo sie ihren Vorurteilen und negativen Emotionen freien Lauf lassen können. Was RechtspopulistInnen dabei konsequent unter den Tisch kehren, ist, dass es nicht nur unfair, sondern auch gesellschaftszerstörend ist, wenn Menschen nicht danach beurteilt werden, wie sie tatsächlich sind, sondern ihnen allein aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe oder Religion von vornherein bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen unterstellt werden. Menschen, die solchen vorurteilsbehafteten Betrachtungsweisen ausgesetzt sind, werden nicht mehr als Individuen wahrgenommen. Sie werden vielmehr zu potenziellen Zielobjekten von systematischem Unrecht gemacht.

    Angeblich wahre Probleme
    RechtspopulistInnen tarnen und rechtfertigen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oftmals damit, dass sie sagen, sie würden damit „die wahren Probleme ansprechen“. Doch unter „wahre Probleme ansprechen“ werden vielfach das Schüren von Vorurteilen und das Spiel mit Feindbildern verstanden. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wird zum Akt „des Mutes“ bzw. zum Akt „der Überwindung von politischer Korrektheit“ erklärt.
    Dabei ist es in einer funktionierenden Demokratie in der Tat wichtig, Probleme klar anzusprechen – allerdings ohne zeitgleich eine Vorurteilsmaschinerie anzuwerfen. Zum Beispiel war die FPÖ in Österreich tatsächlich die erste Partei, die auf die Gefahr antidemokratischer islamistischer Strömungen hingewiesen hat. Allerdings war der kritische Fingerzeig vonseiten der FPÖ nie lösungsorientiert ausgerichtet, sondern Teil ihres Geschäftsmodells der Frontenbildung gegen „die Anderen“. Daher wurde von der FPÖ auch „der Islam“ als Ganzes zum Feindbild erklärt, und es wurde Stimmung gegen alle im Land befindlichen MuslimInnen gemacht. Das Geschäftsmodell der Frontenbildung würde ins Stottern geraten, wenn man stattdessen gemeinsam mit MuslimInnen gegen fundamentalistische Strömungen kämpfen würde.

    Zweierlei Maß
    Eine Generalisierung zum Zwecke der Frontenbildung geschieht auch in anderen Bereichen, etwa im Bereich der Kriminalität. Verbrechensfälle werden sorgfältig danach ausgewählt, ob sie sich für den Aufbau von Fronten eignen, um ethnisch und religiös definierte Gruppen pauschal zum Problem zu erklären. Im Frühjahr 2017 gab es beispielsweise binnen kurzer Zeit zwei dramatische Ereignisse in Deutschland: Ein 19-jähriger Mann tötete mit zahllosen Messerstichen zuerst einen neunjährigen Nachbarsjungen und kurz darauf einen Bekannten, bei dem er untergetaucht war. Der junge Mann hieß Marcel H. und war hellhäutig. Zu ihm fand sich kein Eintrag auf den Facebook-Seiten der FPÖ-Spitze. Wenige Tage später attackierte ein 36-jähriger Mann in Düsseldorf mehrere Menschen zuerst in der S-Bahn und dann am Bahnhof mit einer Axt und verletzte einige schwer. Laut Ermittlern soll der Mann an paranoider Schizophrenie erkrankt sein und einen psychotischen Schub gehabt haben. Doch der Mann hieß Fatmir A. und war Asylbewerber aus dem Kosovo. Das reichte für FPÖ-Spitzenpolitiker, um den Mann auf ihre Facebook-Seiten zu befördern. Seine psychische Krankheit wurde infrage gestellt. Während Doppelmörder Marcel H. nicht der richtige Mann für das Frontenbildungs-Geschäftsmodell der FPÖ war, passte Axt-Angreifer Fatmir A. perfekt in das Feindbild- und Aufwiegelungsschema.
    Im Zuge solcher Aufwiegelungen werden Personen, die sich nie etwas haben zuschulden kommen lassen, mit Personen, die ein Verbrechen begangen haben, zu einer Gruppe, zu einer Front verschmolzen, nur weil sie den gleichen ethnischen oder religiösen Hintergrund haben. Rechte Parteien nutzen unser Bedürfnis aus, böse Taten einzuordnen und an einem vermeintlich alles erklärenden Merkmal festzumachen.
    Um der Frontenbildungsmaschinerie der RechtspopulistInnen gegenzusteuern, braucht es ein Bewusstsein darüber, dass Rassismus kein überwundenes Relikt der Vergangenheit ist, sondern eine aktuelle Gefahr. Es sind nicht nur einige wenige Spinner, die mit rassistischem Denken aufgewachsen sind. Sehr viele Menschen – auch der Autor dieser Zeilen – wurden im Laufe ihrer Sozialisation mit unterschiedlichen Formen von Vorurteilen, Generalisierungen und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit konfrontiert. Sehr viele haben Teile davon verinnerlicht. Im Idealfall wurde ein großer Teil davon wieder verlernt. Doch nicht allen fällt dieses Verlernen leicht. Viele empfinden die Anstrengung, die damit verbunden ist, als unangenehm.

    Herausforderung
    RechtspopulistInnen machen sich das zunutze. Und sie haben dabei allzu oft leichtes Spiel, weil vielen das Bewusstsein dafür verloren gegangen ist, wie wichtig die Bekämpfung von Rassismus und radikalem Nationalismus ist. Es ist ein Kampf, der gerade mit der zunehmenden Distanz zu den rassistischen und nationalistischen Großverbrechen des Nationalsozialismus immer wieder und immer wieder intensiv geführt werden muss.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor alexander.pollak@sosmitmensch.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Alexander Pollak, Sprecher der Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616638 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616627 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773616595 Hype um Heimat So sehr Heimat auf Orte bezogen ist, auf Geburts- und Kindheitsorte, Orte des Glücks, an denen man lebt, wohnt, arbeitet, Familie und Freunde hat – letztlich hat sie weder einen Ort, noch ist sie einer“, meinte der deutsche Jurist und Schriftsteller Bernhard Schlink im Jahr 1999 in seiner Rede „The Place of Heimat“. Heimat sei ein Nicht-Ort, eine Utopie, die am intensivsten erlebt werde, wenn sie fehlt. Ganz falsch interpretiert werde der Begriff, wenn eine bestimmte Gestalt von Heimat verlangt und durchgesetzt wird. „Wenn Erinnerung und Sehnsucht nicht aushalten, bloß Erinnerung und Sehnsucht zu sein, sondern Ideologie werden müssen. Wenn die Heimatideologie politische und rechtliche Gestalt annimmt.“
    Richtig verstanden und alles andere als Ideologie, so Schlink, sei das Recht auf Heimat, will heißen: das Recht auf einen Ort, an dem man lebt, mit allem, was dazu wesentlich ist. Erst die rechtliche Anerkennung der Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft, „die vor Staatenlosigkeit, zielloser Flucht und Vertreibung (…) schützt“, mache einen Ort zur Heimat.

    Recht auf Heimat
    „Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben“, schrieb der aus Österreich vertriebene Schriftsteller und KZ-Überlebende Jean Améry in seinem Essay „Wie viel Heimat braucht der Mensch?“ (1966).
    Damit entgegnete er der damaligen „revoltierenden Jugend“, die „Heimat“ verächtlich als „Domäne der Rechten“ geißelte und ihn damit dieser auch für ihre Zwecke überließ.

    Kampfvokabel
    Die erste romantische Vereinnahmung hatte der Begriff Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts erfahren. Je mehr Menschen durch die Industrialisierung von ihrem Geburtsort wegzogen, umso intensiver wurde Heimat zur sentimental besungenen Idylle. Die entstehenden Nationalstaaten boten diesem Gefühl eine neue, abstraktere Heimat, eine „imagined community“, gestärkt durch das Beschwören einer gemeinsamen Geschichte und Kultur. Der Heimatbegriff hat offenbar zu Krisenzeiten Konjunktur. „Genauer betrachtet war der Heimatbegriff schon damals v. a. das Kennzeichen einer kollektiven Abwehrhaltung“, meint Daniel Schreiber, Essayist und Kunstkritiker. Der Erfolg nationalistischer PopulistInnen auch in heutiger Zeit: Sie evozieren eine Welt, ein perfektes Haus der Zugehörigkeit, in dem nichts fremd ist – das es aber nie gegeben hat und niemals geben wird.
    Spätestens mit der großen Flucht- und Migrationsbewegung dieses Jahrhunderts wurde der Heimatbegriff wieder Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Aktuell werde er zunehmend aggressiver gebraucht, gleichsam als Kampfbegriff, der sich das Gefühl zunutze macht, „dass irgend jemand die Heimat bedroht“, konstatiert der Historiker Helmut Konrad. Heimat als Ort, den es zu schützen gilt – vor angeblicher Überfremdung, vor dem Islam, vor der Globalisierung oder ganz allgemein vor allem Neuen.
    Im November 2015 hatten sich die österreichischen Volkskunde-Institute und Museen mit der Aussendung „Menschen in Bewegung“ an die Öffentlichkeit gewandt, um der politischen Instrumentalisierung der Begriffe „Heimat“, „Kultur“ und „Identität“ entgegenzuwirken. „Aufgeladen mit Ideologien der Ausgrenzung und Wir-Behauptungen war und ist die Vorstellung von ‚Heimat‘ leicht auch Ausgangspunkt für Vertreibung und sogar Vernichtung.“ Im heutigen Reden über Heimat übersehe man leicht, dass Menschen mehrere Zugehörigkeiten haben (können). „Die Vorstellung von ‚Kulturen‘ (…) als nationale Besitzstände, die zudem noch in nationale Grenzen zu gießen wären“, sei „eine wirkungsmächtige Fiktion“, so die wissenschaftlichen HeimatspezialistInnen.

    Flüchtlingskind als Präsident
    Als ungewöhnlicher Kämpfer um den Begriff Heimat ist Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Kandidat in Erinnerung, der in neuer Trachtenjacke Kirtage und Volksfeste aufsuchte. Das Kaunertal, dessen BewohnerInnen die estnische Flüchtlingsfamilie seinerzeit aufgenommen hatten, wurde durch ihn zu einem Symbol einer neuen, weltoffenen Heimatverbundenheit. Mit Plakatslogans wie „Wer seine Heimat liebt, spaltet sie nicht“, „Heimat braucht Zusammenhalt“ oder „Mutig in die neuen Zeiten“ gab der Grüne dem Begriff eine andere Bedeutung als sein Kontrahent von der „sozialen Heimatpartei“.
    „Heimat kann überall sein, wo man sich selber wohl fühlt, wo man auch von den Leuten, die vorher da waren, akzeptiert wird“, definierte Van der Bellen den Begriff. Beide Kandidaten hatten auf den gefühlsbeladenen Terminus gesetzt. „Doch einer spielt mit gezinkten Karten“, schrieb Viktor Hermann in den „Salzburger Nachrichten“. Denn: „Welche Heimat meint Norbert Hofer eigentlich?“, fragte der Kommentator. Er verwies auf die Ehrenmitgliedschaft Norbert Hofers bei der deutschnationalen Burschenschaft Marko-Germania, die die „geschichtswidrige“ Idee einer österreichischen Nation strikt ablehnt.
    Von linkspopulistischer Seite trat später Peter Pilz mit seinem Buch „Heimat Österreich: Ein Aufruf zur Selbstverteidigung“ auf die Bühne. Der Ex-Grüne identifizierte bekanntlich die nationalistische Rechte und den politischen Islam als Gefährder der Heimat Österreich und der Heimat Europa. Der Unterschied zu rechts, so der bekennende Linkspopulist: „Die nationalistische Rechte hetzt arme Inländer auf arme Ausländer. Wir schützen die Menschen vor den Hetzern und richten uns überall in Europa gegen einen ganz anderen Gegner: das spekulierende Finanzkapital (…). Rechte volken um. Wir verteilen um.“

    Vorsicht und Abstand
    „Beim Wort Heimat rate ich zur Vorsicht“, schreibt der Philosoph Franz Schuh in der Zeitschrift „Datum“ im Sommer 2017, „und bei ‚sozialer Heimatpartei‘ zum Abstandnehmen.“ Von der Heimat, die zwar auch als Deckname von Rassismus gedient hat und dient, rate er nicht ab. Denn der Begriff müsse nicht zwangsläufig mit der exklusiven Verherrlichung des „Eigenen“ und der „Eigenen“ einhergehen. Anders sei es mit der Vorsicht vor Ideologen der Heimat, „die den sentimentalen Begriff scharf machen wollen. Ihre Bierzelte und Lederhosen, ihr Alpenglühen, ihr Fremdenhass, das ist nicht Heimat, sondern ein primitives Destillat aus ihr, das man den Leuten vor die Nase presst wie Chloroform.“
    Mit Betäubung anderer Art arbeitet „Volks-Rock-’n’-Roller“ Andreas Gabalier, der „massentauglich“ überkommene Heimatideologie transportiert. Als „Blut-und-Boden-Texte“ bezeichnen „Der Standard“ oder die deutsche „taz“ die Gesänge des „Nationalsexuellen“ (©taz) über „Heimatsöhne“ und „Bergkameraden“, in denen äußerst stramme Männerleben besungen werden. Der 30+-Jährige mit Elvis-Tolle beschwört mit seiner Performance eine Weltordnung der 1930er-Jahre, als ein Mann noch ein Mann und – pars pro toto – ein Dirndl die dazugehörige Frau war.

    Fenster auf
    Seitdem er sich mit dem europäischen Einigungsprozess beschäftigt, beschäftige er sich auch mit der Frage, was seine Heimat ist, vermerkt Robert Menasse in seinem Band gesammelter Reden „Heimat ist die schönste Utopie“. Der Begriff „Alpenrepublik“ stimme ihn trübsinnig, er fühle sich als Niederösterreicher und Europäer zugleich, dazwischen brauche er nichts. Die Nationalstaaten, ein historisch relativ junges Phänomen, seien erschöpft und böten nur den Dümmsten ein herrisches Selbstwertgefühl. „Heimat ist ein Menschenrecht. Nation nicht. Nationen haben sich bekriegt, Regionen haben sich verbündet“, plädiert Menasse für eine freie Assoziation der Regionen als sinnige Utopie in einem geeinten Europa.

    Vielfalt als Chance: „Wenn schon Heimat, dann lieber Heimaten“:
    tinyurl.com/ya9gby4s

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin adsa.mueller@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Gabriele Müller, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616563 Die erste romantische Vereinnahmung erfuhr der Begriff Heimat Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616577 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773616525 Im Mund umgedreht Bei diesen Bildern konnte es einem schon ein wenig kalt den Rücken hinunterlaufen: An jenem Ort, an dem noch einige Jahre zuvor Menschen „Wir sind das Volk“ skandiert und mit ihren Demonstrationen den Fall der DDR-Diktatur herbeigeführt hatten, hatten sich erneut Menschen zu einer Demo versammelt. Doch anders als bei den historischen Montagsdemonstrationen war die Stimmung dort aufgeheizt, den TeilnehmerInnen war ihre Wut anzusehen bzw. sie schrien sie sich aus dem Leib und in viele Fernsehkameras.
    Es war das Jahr 2014, als die rechte Organisation Pegida die Montagsdemonstrationen in Dresden für sich umdeutete. Zu den Selbstbeschwörungen, dass man „das Volk“ sei, gesellte sich recht bald ein anderer Begriff: die „Lügenpresse“, die falsch über die Proteste berichte.

    Aus dem 19. Jahrhundert
    Neu ist der Schmähbegriff Lügenpresse ebenso wenig wie die bewusste Verbreitung von Falschmeldungen. Letztere gehört zum klassischen Repertoire der Freiheitlichen Partei, schon ihr verstorbener Parteichef Jörg Haider und sein Team arbeiteten bewusst mit unvollständigen oder gar falschen Informationen. Der Begriff selbst hat eine lange Geschichte, die keineswegs nur mit dem Nationalsozialismus verknüpft ist. Die deutsche Kommunikationswissenschafterin Irene Neverla hält fest: Das Wort gehört „seit dem 19. Jahrhundert zum Arsenal der politischen Rhetorik. Als politische und propagandistische Kampfvokabel wechselte ‚Lügenpresse’ mehrfach die Seiten zwischen den politischen Lagern – mal links, dann rechts – und überlebte unterschiedliche Machtkonstellationen.“ Im Wintersemester 2016/17 machte sich Neverla gemeinsam mit ihrem Kollegen Volker Lilienthal an der Universität Hamburg im Rahmen einer Ringvorlesung auf die Spuren der Lügenpresse und des Erfolgs dieses Begriffs. In einem Sammelband mit dem Titel „Lügenpresse. Anatomie eines politischen Kampfbegriffs“ sind verschiedene Beiträge zusammengeführt.

    Pauschale Unterstellungen
    Zunächst tut eine Definition des Begriffs not, Neverla schreibt dazu: „‚Lügenpresse‘ unterstellt pauschal, dass ‚die Presse‘, ‚die‘ Redaktionen, ‚die‘ Journalisten lügen, das heißt Tatsachen verschweigen, verfälschen, sie falsch oder unvollständig darstellen, in einen irreführenden Kontext setzten, und all dies gezielt und absichtsvoll.“ Der Vorwurf an „Mainstream-Medien“, unausgewogen zu berichten, wird keineswegs nur von RechtspopulistInnen erhoben, vielmehr ist Medienkritik in einer demokratischen Gesellschaft geradezu eine Notwendigkeit. Die Schmähung von Medien fällt wohl deshalb auf fruchtbaren Boden, weil Medien schon seit Längerem in der Tat in der Krise sind, sowohl in einer wirtschaftlichen, als auch was ihre Glaubwürdigkeit betrifft. Es ist eine wirklich paradoxe Situation, denn in der Unübersichtlichkeit der heutigen Medienwelt bräuchte es umso mehr eine professionelle Einordnung, wie sie der Job von JournalistInnen ist. 

    Von der Bereicherung zur Gefahr
    Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, sich zu informieren – aber eben auch, sich zu desinformieren. Im Internet sowie vor allem in Sozialen Medien sprudeln Informationen nur so aus dem Boden – aber eben auch Fehlinformationen. Zugleich ermöglichen diese Medien andere Einblicke, die für den Journalismus und die politischen Debatten durchaus eine Bereicherung sind: Auf Blogs kann man sich andere Inputs holen, andere Blickwinkel, die den Horizont erweitern. So weckten die Neuen Medien anfangs sehr viele Hoffnungen, auch im Journalismus selbst. Die Realität sollte jedoch bald anders aussehen, denn auch rechte Gruppierungen hatten die Möglichkeiten des Internets für sich entdeckt und nutzten sie. Dazu kamen kommerzielle Anbieter, die möglichst viele Clicks generieren wollten, was wiederum auch seine Spuren im Journalismus hinterließ, der zudem selbst in der Krise steckt.
    „Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint unheimlich hoch. Das Meinungsspektrum im Lande ist oft erheblich breiter.“ Diese Worte stammen nicht von einem Kommunikationswissenschafter, sondern aus der Feder des nunmehrigen deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Jakob Augstein, Herausgeber der deutschen Wochenzeitung „Der Freitag“, zitiert sie in seinem Beitrag für den Sammelband „Lügenpresse“ und kommentiert sie mit den Worten: „Irre. Ein Politiker erinnert Journalisten daran: Seid vielfältig, nehmt die Leser wahr.“ Im Zitat von Steinmeier stecken einige Elemente der aktuellen Medienkrise: Zwar bemühen sich Redaktionen, die gesellschaftliche Vielfalt auch in ihren Redaktionen zu spiegeln, sowohl was Frauen betrifft als auch MigrantInnen oder sogenannte bildungsferne Schichten. Diese Bemühungen gehen aber nur schleppend voran.

    Warum dies ein Problem ist, erläutert Neverla: „Nun ist ein hohes formales Bildungsniveau im Journalismus sicherlich begrüßenswert. Aber die starke soziografische Verankerung des Journalismus in der bildungsbürgerlichen, männlichen und weißen Mittelschicht führt zu dem Verdacht, dass es zu einer Schieflage in der Berichterstattung und zu systematischen Bildstellen kommen kann.“ Diese Herausforderung ist JournalistInnen sehr wohl bewusst, und die meisten bemühen sich redlich um eine ausgewogene und fundierte Berichterstattung. Die Beiträge von Jakob Augstein, aber auch von „Spiegel“-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer im „Lügenpresse“-Sammelband sowie viele selbstkritische Diskussionen an anderen Stellen zeugen davon. Doch sie müssen dies unter immer schwierigeren Rahmenbedingungen leisten, denn die wirtschaftliche Krise und der damit verbundene Sparkurs hat Redaktionen immer mehr ausgedünnt.
    Dazu kommen die Herausforderungen der neuen Medien mit einer völlig neuen Geschwindigkeit. Dies würde eigentlich nach deutlich mehr Recherche verlangen, doch die Rahmenbedingungen machen dies oftmals schwierig. Der zunehmende Konkurrenzdruck ließ den Bedarf an Berichten steigen, die Clicks generieren. Da können Recherche und das genaue Hinterfragen auf der Strecke bleiben, und das ganz ohne manipulative Absicht. Dazu kommt die gängige Praxis der Medienwelt: „Die Orientierung der Journalisten an gängigen Nachrichtenfaktoren einerseits, verbunden mit Konkurrenzdruck andererseits, lässt eine Aufmerksamkeitsökonomie entstehen, die durch Themenzyklen und Skandalisierung gekennzeichnet ist“, schreibt Kommunikationswissenschafterin Neverla. „Die Auswahl von Themen wird dabei geprägt vom Bild der Journalisten auf die Konkurrenzmedien – wenn dort ein bestimmtes Thema auf der Agenda steht, dreht man es selbst auch weiter – und auch von Annahmen der Journalisten über Erwartungen des Publikums.“ Diese nämlich können von Medien nicht völlig ausgeblendet werden, wenn sie ihre Produkte verkaufen wollen.
    Die RezipientInnenen wiederum haben durch die neuen Möglichkeiten des Internets völlig neue Zugänge. Für Neverla könnte „eine mögliche Folge daraus der generalisierte Manipulationsverdacht sein, dass man Fakten und Meinungen im Netz selbst prägen, ja sogar manipulieren kann und das nicht nur möglich ist, sondern dass sie dies auch ständig praktizieren. Das eigene Manipulationspotenzial wird also projiziert auf die journalistische Profession.“ Damit, so die Kommunikationswissenschafterin, erscheint die Annahme der „Lügenpresse“ „als schlüssige Folgerung“.

    Stimmungslagen statt Fakten
    Doch zurück zu RechtspopulistInnen und zur Frage, warum sie Medien so gerne als Sündenböcke missbrauchen. Für sie sind Medien Repräsentanten der „Elite“ und gerade deshalb beliebtes Ziel von Angriffen. Während sich Medienkritik sachlich mit Herausforderungen und Unzulänglichkeiten der aktuellen Medienwelt beschäftigt, ist die Erzählung von RechtspopulistInnen von einer „Anti-Faktizität“ gekennzeichnet, die Neverla folgendermaßen definiert: „Der Faktizität ‚derer da oben‘ stehen Gefühle und Stimmungslagen des einfachen, aber ursprünglichen Volkes gegenüber.“ Im aggressiver werdenden Ton im Internet finden rechte Gruppierungen – denn Pegida ist weitaus mehr als nur eine rechtspopulistische Gruppe – sowie RechtspopulistInnen einen idealen Nährboden für ihre Propaganda.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst der Zeitschrift "Arbeit&Wirtschaft" Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616519 Der Schmähbegriff, den die Pegida wieder aufgebracht hat, unterstellt, dass Medien bewusst Tatsachen verschweigen, die Wahrheit verzerren oder überhaupt lügen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773616507 Mitgemeint ist zu wenig Mit 63 Prozent lag die Wahlbeteiligung der 16- und 17-Jährigen bei der Nationalratswahl 2013 deutlich unter dem allgemeinen Durchschnitt von 80 Prozent. Noch geringer war das Interesse bei den älteren ErstwählerInnen (59 Prozent). Die FPÖ kam bei jungen Männern besonders gut an, ein Drittel der unter Dreißigjährigen stimmte für die Blauen. Bei den jungen Frauen waren es 16 Prozent. Keineswegs ein singuläres Phänomen, auch bei der Bundespräsidentenwahl stimmten junge Männer mehrheitlich für Norbert Hofer.

    Im Trend
    Österreich liegt diesbezüglich im Trend: Gleich in mehreren Ländern Europas erzielen populistische Parteien bei jungen WählerInnen Erfolge. Junge Menschen interessieren sich immer weniger für Mainstream-Politik und wenden sich vermehrt PopulistInnen zu, wie etwa Politologe Tamás Boros in einem „Zeit“-Interview im März 2017 erklärte. In der Slowakei, Polen, Ungarn und Österreich profitieren davon die RechtspopulistInnen, in Spanien hingegen die linkspopulistische Protestpartei Podemos.
    Sascha Ernszt, Bundesvorsitzender der Gewerkschaftsjugend (ÖGJ), findet es nicht gerecht, dass Jugend und Populismus so häufig in einem Atemzug genannt werden: „Dieser Trend lässt sich allgemein beobachten, nicht nur bei jungen Menschen. Und was den Stil der politischen Argumentation betrifft, der hat sich im Laufe der Zeit eben verändert. Auch ich lerne in Rhetorikseminaren Dinge und Zusammenhänge kurz und knapp zu erklären. Das ist für alle Altersschichten relevant.“

    Schwarz und Weiß
    Emotionalisierend, polarisierend und vereinfachend – das trifft bei PopulistInnen sowohl auf die Rhetorik zu als auch auf die Inhalte: Schwarz und Weiß, Gut und Böse, „Wir, das Volk“, gegen „die da oben“ etc. Rechtspopulismus ist außerdem gekennzeichnet durch Islamfeindlichkeit, Abgrenzung nach außen, auch gegen die EU sowie durch Forderungen nach einer Law-and-Order-Politik.
    Die für PopulistInnen typische Entweder-oder-Haltung kann für junge Menschen, die mit Pragmatismus vielleicht nichts anfangen können, die Ideale haben und ungeduldig sind, durchaus attraktiv sein. Für die sogenannten Sachzwänge, die unter anderem dazu führen können, dass Parteien im Parlament irgendwann entgegen ihren Wahlversprechen und -forderungen abstimmen, haben junge Menschen noch weniger Verständnis als ältere.

    Historisch oder selbst erlebt?
    Auch Menschenkenntnis und Lebenserfahrung sind naturgemäß eher bei Personen jenseits der 30 zu erwarten. Sascha Ernszt erinnert sich in diesem Zusammenhang an ein Gespräch mit Lehrlingen: „Als die schwarz-blaue Regierung erwähnt wurde, kam dazu von einem Lehrling der Kommentar: ‚Damals war ich doch noch nicht einmal im Kindergarten.‘ Junge Menschen haben eben auch in politischer Hinsicht noch wenig eigene Erinnerungen und kennen vieles nur aus dem Schulunterricht oder von elterlichen Erzählungen. Das sollten PolitikerInnen vielleicht öfter bedenken.“ Überhaupt wären persönliche Gespräche enorm wichtig. „Junge Leute haben ein offenes Ohr und freuen sich über die Gelegenheit zum direkten Austausch.“
    Und wie wichtig sind Snapchat, Facebook & Co.? „Hier haben wir durchaus noch Verbesserungs- beziehungsweise Nachholbedarf, denn Jugendliche finden etwa die YouTube-Videos der FPÖ cool“, so Ernszt. „Dabei gilt es aber auch immer zu bedenken, dass die Lebenswelten von Studierenden und Lehrlingen doch sehr unterschiedlich sind.“

    Wie cool und jugendlich muss ein/e PolitikerIn überhaupt sein, um bei Menschen unter 30 anzukommen? „Jugendlichkeit des Kandidaten oder der Kandidatin ist durchaus etwas, womit Parteien bei jungen Wählern und Wählerinnen punkten“, weiß Beate Großegger, wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Jugendkulturforschung. „Allerdings liegt das nicht daran, dass die Jungen sich dadurch mit ihren Anliegen besser repräsentiert fühlen. Entscheidend ist eher, dass das jugendliche Image dem politischen Establishment etwas entgegensetzt, denn dieses gilt bei jungen Menschen als langweilig, alt und von den Lebensrealitäten des Alltagsmenschen abgehoben. Jugendliche KandidatInnen repräsentieren zumindest rein äußerlich die Antithese zu ‚Politik als Kultur der alten Männer‘.“
    Im „profil“-Interview zu seinem Amtsantritt ortete Christian Kern Defizite der SPÖ bei der Jugend. Doch auch der jüngste Wahlkampf war eher am Gros der Bevölkerung, den Älteren orientiert. „Die Pensionen“ etwa sind zweifellos ein generationenübergreifendes Thema. Tatsächlich geht es aber in Diskussionen und Wahlkampfauftritten meist um die Rechte all jener, die bereits in Pension sind, oder um Verbesserungen für Beschäftigte jenseits der 40. Nur selten wird ernsthaft und ausführlich über Pensionen mit Blick auf junge Menschen geredet, die sich auch ein gutes Leben im Alter wünschen.
    Auch die Sozialwissenschafterin Großegger sieht hier einen Generation Gap: „Die Vorstellungen, was für eine lebenswerte Zukunft wichtig ist, sind unterschiedlich: Die Top-3-Maßnahmen für Millennials wären bessere Jobchancen nicht nur für Bildungsschwache, sondern auch für Menschen mit höheren Qualifikationen, zweitens die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und drittens eine nachhaltige Pensionsreform. Die Top-3-Maßnahmen für 55- bis 65-Jährige sind hingegen die Senkung der Steuerbelastung sowie höhere Steuern für Reiche, vor allem aber bessere Jobchancen für Nicht-AkademikerInnen. Ältere gehen nach wie vor davon aus, dass ein hoher formaler Bildungsabschluss Garant für einen guten, also gut bezahlten und sicheren Arbeitsplatz ist.“

    Informationsflut
    Vieles hat sich verändert in den vergangenen Jahren: Zahlreiche TV-Sender, Gratiszeitungen, das Internet, Online-Plattformen und Messenger-Dienste überschwemmen Jung und Alt mit Inhalten. Junge Menschen mögen daran eher gewöhnt sein, das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie die Informationsflut auch tatsächlich bewältigen können. Individualismus wird großgeschrieben, und so wird die Politik immer mehr als Service für die BürgerInnen verstanden. „Politik soll Rahmenbedingungen schaffen, um die Menschen in ihrem persönlichen Lebensvollzug zu unterstützen“, so Beate Großegger: „Nicht nur für junge Menschen, sondern allgemein geht es immer weniger um weltanschauliche Grundsatzfragen, sondern vor allem um für den persönlichen Lebensvollzug relevante Sachpolitik.“ Und es geht auch um die viel zitierten Sorgen und Ängste: „Hier ist es der FPÖ sehr gut gelungen, junge Menschen, die sich von gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen bedroht und um persönliche Lebenschancen betrogen fühlen, anzusprechen. Die jungen Leute stammen in der Regel nicht aus den Bildungsschichten, sondern aus weniger privilegierten Milieus, wo sich heute Statuspanik und Abstiegsängste breitmachen und wo das Gefühl vorherrscht, dass sich die politischen Eliten um die Sorgen der sogenannten kleinen Leute nicht kümmern.“

    Gezielt miteinbeziehen
    Und die Jugendorganisationen? Es ist kompliziert, selbst wenn es nicht gleich in totale Trennung ausartet wie bei den Grünen. Besonders vor Wahlen spitzt sich die Situation oft zu. Denn einerseits vertreten Jugendorganisationen durchaus auch andere Positionen als die Mutterpartei. So hat etwa die Sozialistische Jugend noch im Frühling mit Sprüchen wie „Christian, Vorsitzender welcher Partei bist du eigentlich?“ demonstriert und Kanzler Kerns „Plan A“ kritisiert. Andererseits will man vor Wahlen der gemeinsamen Sache (und mitunter auch der eigenen Kandidatur) ja nicht durch allzu freche Sprüche schaden und wiederholt daher hauptsächlich die Themen der Mutterpartei. Aber das gezielte Miteinbeziehen der Anliegen junger Menschen sollte doch möglich sein, und wenn es sich nur auf die Frage beschränkt: „Mit welchen Ideen möchten wir junge WählerInnen erreichen?“

    Studie „Wählen mit 16 bei der Nationalratswahl 2013“:
    tinyurl.com/ybto8tll
    Wahlbeteiligung bei Wahlen in Österreich:
    www.wahlbeteiligung.at
    ErstwählerInnen und die Nationalratswahl 2017:
    tinyurl.com/ya8pqhn2

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616498 Im "profil"-Interview zu seinem Amtsantritt ortete Christian Kern Defizite der SPÖ bei der Jugend. Doch auch der jüngste Wahlkampf war eher am Gros der Bevölkerung, den Älteren orientiert. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773616460 Kein Geld mehr für unsere Leute? „Unser Geld für unsere Leute“, „Sichere Pensionen statt Asylmillionen“, „Arbeitsstellen statt Zuwandererwellen“: So lauteten die FPÖ-Slogans über viele Jahre. Die Freiheitlichen haben ihr Image als „soziale Heimatpartei“ lange über eine zentrale Botschaft bestimmt, nämlich das „Nein zur Migration“. Durch totalen Zuwanderungsstopp, Rückführungsaktionen und umfassende Diskriminierung von Nicht-ÖsterreicherInnen im Sozialrecht würde demnach die Arbeitslosigkeit beseitigt und der Sozialstaat gesichert werden.
    Nun räumt die FPÖ plötzlich ein, dass es „noch unklar ist, wie sich Flüchtlingsmigration auf den Arbeitsmarkt auswirken wird“. An anderer Stelle schreiben die Freiheitlichen in ihrem neuen Programm sogar davon, dass „gezielte und qualitative Zuwanderung“ auch zu den Voraussetzungen einer künftigen „Pole-Position“ Österreichs gehöre. Im Vordergrund stehen für die FPÖ die Stärkung von Eigentum, Vermögen und der Wettbewerbsfähigkeit. Geschehen soll das durch die Senkung von Unternehmenssteuern und Lohnnebenkosten. Lobende Töne – bzw. Plagiatsvorwürfe – gab es dafür umgehend von Teilen der ÖVP, aber auch aus den Reihen der Neos.

    Neoliberales Angebot
    Die Kernbotschaft der FPÖ 2017 lautet ganz unpatriotisch: Österreich ist „abgesandelt“ und muss von der wirtschaftlichen Kriech- auf die Überholspur. Wirtschaftswachstum – und nicht mehr vorrangig Migrationsbekämpfung – ist hierbei das neue Zauberwort. Nur „Reformen“ des Steuer- und Sozialsystems können laut FPÖ dieses Wachstum befeuern. Alle sozialen Probleme wie Arbeitslosigkeit, stagnierende Reallöhne, selbst steigende Mieten und Armutsgefährdung lösen sich dabei magisch durch die „unsichtbare Hand“ eines entfesselten Marktes. Alternativ dazu drohe das Szenario eines „Alpen-Hellas“, also einer wirtschaftlichen und sozialen Lage wie in Griechenland.
    Im Zentrum des FPÖ-Angebots steht die massive „Verschlankung“ des Sozialstaates zugunsten von Steuer- und Abgabensenkungen. Das ist freilich genau jener Ansatz, der Griechenland in die soziale Katastrophe geführt hat. Weitere Schmankerln des Programms reichen von der Forderung nach Lockerung der Bankenregulierung über die volle steuerliche Absetzbarkeit von Geschäftsessen bis zu einem unbedingten Bekenntnis zum Gymnasium und gegen die Gesamtschule.
    Demgegenüber beklagen die Freiheitlichen vor allem die Entwicklung der Sozialausgaben und sehen hier ein Sparpotenzial von „fast 20 Milliarden pro Jahr“ (!). Das ist das eigentliche Kernstück der FP-Reformvorschläge: Unmittelbar soll daher um 3,8 Milliarden Euro pro Jahr, plus eine Milliarde im Gesundheitswesen, gekürzt werden. Des Weiteren wendet sich die FPÖ mehr oder weniger direkt gegen Schutzbestimmungen für ArbeitnehmerInnen und den Einfluss ihrer Interessenvertretungen. Gleich zu Beginn wird das „schlechte“ Ranking des Landes in Bezug auf die mangelnde Flexibilität bei Anstellung und Kündigung bzw. bei der Lohnfestsetzung angeprangert. Für das Arbeitsinspektorat fordert man die „Reduktion der Kompetenzen“, für die AK die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft und die Halbierung der Kammerumlage. Als Quellen dieser Erkenntnisse werden übrigens u. a. Unternehmensberatungsagenturen, der IWF, die Industriellenvereinigung und die neoliberale Agenda Austria angegeben.

    Zweierlei Ideologiestränge …
    Trotz dieser Verschiebung in der Akzentsetzung handelt es sich aber nicht um eine totale ideologische Kehrtwende der FPÖ. Im Wirtschaftsprogramm weiterhin enthalten ist die brachiale Forderung nach „Nullzuwanderung“ ins österreichische Sozialsystem. Die FPÖ beklagt populistisch ausschließlich die Belastungen, die durch das Asylwesen entstehen. Das ist mitnichten ein Widerspruch zu ihren neoliberalen Thesen. Erstens sind und waren beide Ideologiestränge – also marktradikale und extrem rechte Positionen – in der FPÖ stets gut verankert. Zweitens haben umgekehrt auch einige neoliberale „Forscher“ und Politiker keine Berührungsängste gegenüber rechten Inhalten und fordern seit Jahren die nationale Abschottung des Sozialstaates, um ihn angeblich zu retten.
    Das Gesamtbild ist und bleibt hier freilich widersprüchlich. Bemerkenswerterweise wird nämlich beim „Kurier“-Faktencheck zum FPÖ-Wirtschaftsprogramm ausgerechnet die neoliberale Agenda Austria zitiert, die meint, dass bei Sozialleistungen für AusländerInnen „keine Ersparnisse in Milliardenhöhe zu holen sind“. Es liegt auf der Hand: Flotte Sprüche gegen Flüchtende und MigrantInnen sind die eine Sache. Wer aber die Steuer- und Abgabenquote wirklich massiv senken und nicht von oben nach unten umverteilen will, der muss massiv bei Pensionen, Gesundheit und allgemeinen sozialen Leistungen kürzen – laut FPÖ eben bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr. Darüber im Detail zu reden ist dann freilich zunächst doch (zu) unpopulär.

    … zweierlei Populismus
    In der populistischen Vermarktung neoliberaler Positionen wandelt die FPÖ ebenfalls nicht auf völlig neuen Spuren. Noch bevor die Haider-FPÖ MigrantInnen als zentrales Thema entdeckte, schrieb sie sich die Verteidigung der „Fleißigen und Tüchtigen“ auf die Fahnen. Niemand anders als Andreas Khol (ÖVP) beklagte deshalb damals, dass man die neokonservative Wende den Freiheitlichen überlassen habe. Die oft durchaus harmlos klingenden Schlagworte des von der Haider-FPÖ – zumindest für Österreich – erfundenen neoliberalen Populismus finden sich auch im aktuellen FPÖ-Wirtschaftsprogramm wieder. Sie lauten etwa: „Sinnlose Vorschriften“, „überbordende Bürokratisierung“, „Streichung von Steuern“ oder „branchentaugliches Arbeitszeitrecht“.
    Dass sich der neoliberale Populismus hier in Bezug auf die Tonlage bzw. Griffigkeit, aber auch die Konkretheit der angegriffenen Gruppen unterscheidet, ist unmittelbar mit den Stimmungslagen in der Gesellschaft verknüpft. Bereits vor Jahren hat eine Studie europaweit erhoben, dass das Verständnis, welche Sozialleistungen wem zustehen, sehr unterschiedlich ausgeprägt ist: SeniorInnen stehen an der Spitze, gefolgt von kranken bzw. behinderten Menschen, danach – mit deutlichem Abstand – Arbeitslose und am Schluss MigrantInnen. Es ist also zu erwarten, dass bei Bedarf weiter Parolen gegen Flüchtende oder den Islam aus dem Köcher gezogen werden, wenn es in Wirklichkeit um bzw. gegen das gesamte Pensions- oder Gesundheitssystem geht. Die Hetze gegen die Mindestsicherung ist dafür ein Beispiel. Ausgetragen wurde sie zwar über das Thema Flucht und Migration. Im Resultat kam es in einigen Bundesländern – wie Niederösterreich – sehr wohl zu allgemeinen Kürzungen.
    Möglichkeiten für Gegenstrategien deutete demgegenüber bereits vor einiger Zeit ausgerechnet die konservative „Presse“ an. Sie erwähnte hier den Ökonomen David Rueda, der darauf hinweist, dass der Wunsch nach Umverteilung in Zeiten starker Zuwanderung zwar abnehmen kann. Die Abnahme der Solidarität fällt aber bei Vermögenden wesentlich dramatischer aus als bei Menschen mit niedrigen Einkommen und damit auch bei der Mehrheit der Bevölkerung. ÖGB und AK haben somit durchaus die Möglichkeit, den beiden (!) genannten Populismen entgegenzuwirken.

    Mehrheit für Vermögenssteuern
    So zeigt z. B. das Sozialbarometer der Volkshilfe nicht nur, dass eine überwiegende Mehrheit von 83 Prozent der Meinung ist, dass es gerade in der Verantwortung des Staates liegt, die Kluft zwischen Arm und Reich zu reduzieren.
    Ebenso spricht sich laut Volkshilfe weiter eine deutliche Mehrheit für die Einführung von Vermögenssteuern aus. Diese klare Stimmungslage in der Bevölkerung widerspricht wiederum diametral dem FPÖ-Programm. Hier wendet sich die „soziale Heimatpartei“ nämlich explizit gegen die Erbschaftssteuer, Schenkungssteuer und Vermögenssteuer, als „Klassenkampf-Wünsche“, von denen man nichts halte.

    „Kurier“-Faktencheck:
    tinyurl.com/ydxoasbp
    „Die Presse“: „Unser Geld für unsere Leute?“:
    tinyurl.com/ya22fdra
    Sozialbarometer der Volkshilfe:
    tinyurl.com/yapgasvn
    Nachlese: Etappensieg gegen neoliberales Dauerfeuer:
    tinyurl.com/yb5n7nll

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor john.evers@vhs.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    John Evers, Erwachsenenbildner und Historiker Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616448 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616440 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773616429 Der Elefant namens Ungleichheit RechtspopulistInnen dies- und jenseits des Atlantiks präsentieren sich gerne als KämpferInnen gegen „die Eliten“ und für „unsere Leute“. Sie versprechen Politik für „den kleinen Mann bzw. die kleine Frau“, solange diese ihrem nationalistischen Bild von BürgerInnen und Gesellschaft entsprechen. Wegen gefühlter wie realer Ungleichheit und Abstiegsgefahr versammeln sich immer breitere Teile der Mittelschicht und der Einkommensschwächeren in ihrem Lager. Dabei steht die rechtspopulistische Rhetorik in massivem Widerspruch zu ihrem wirtschaftspolitischen Ansatz. Dieser untergräbt gezielt die ökonomische und soziale Sicherheit just dieser Bevölkerungsgruppen und verschärft die Ungleichheit.

    Die Elefanten-Kurve
    Branko Milanović, ehemaliger Weltbank-Ökonom, ist mit der Hauptgrafik seines neuen Buches „Die ungleiche Welt“ ein medialer Coup gelungen: Was er selbst als „liegendes S“ beschreibt, ist inzwischen als „Elefanten-Kurve“ bekannt geworden.
    Was die Elefanten-Kurve veranschaulicht, ist die deutliche Trennung in ökonomische GewinnerInnen der Globalisierung und jene, die davon nicht profitierten. Vereinfacht gesagt zeigt sie, dass zwischen 1988 und 2008 global gesehen die Einkommen wuchsen – und zwar vor allem für die Mittel- und Oberschicht in Asien, insbesondere China (der „Rücken“ des Elefanten). In noch stärkerem Ausmaß wuchsen sie für die kleine Gruppe der ganz Reichen in den Hocheinkommensländern, insbesondere in den USA, Europa und Japan (der „Rüssel“). In absoluten Zahlen gingen gar ganze 60 Prozent der gesamten Zuwächse an die weltweit einkommensstärksten 10 Prozent. Hingegen sahen sowohl die allerärmsten Einkommensgruppen der Welt, die vor allem in Afrika leben, aber auch die untere Mittelschicht im Westen nur sehr geringe Verbesserungen in ihrem materiellen Wohlstand.
    Zwar verdient die Mittelschicht des Westens absolut gesehen weiterhin ein Vielfaches der Mitte im Rest der Welt (ihre schwachen Zuwächse gehen von einem relativ hohen Ausgangsniveau aus). Doch die Grafik bestätigt ein in Europa wie den USA derzeit grassierendes Gefühl: Die marktradikale wirtschaftliche Globalisierung hat zur Stagnation der hiesigen Mittelschichten geführt. Diese werden von Abstiegsängsten geplagt und wollen Veränderungen. Das zieht ähnliche politische Folgen dies- wie jenseits des Atlantiks nach sich: An beiden Ufern greift ein aggressiver Rechtspopulismus um sich.

    Rechtspopulistische Rhetorik
    In den USA baute Donald Trumps Kampagne gezielt auf dieser Stimmung der Stagnation und der Abstiegsangst auf. In klassisch populistischer Form – laut, aggressiv und überschriftsartig – bediente Trump seine frustrierte Wählerschaft. Diese empfindet sich als Verliererin einer Globalisierung, die sie vor allem als Abwanderung von Betrieben und als Zuwanderung von Arbeitskräftekonkurrenz wahrnimmt. Das macht sie empfänglich für zwei Hauptfeindbilder des Rechtspopulismus, die Trump gebetsmühlenartig wiederholte: „Wir da unten“ (orientiert an einer weißen, oft männlichen ArbeiterInnen- und Mittelklasse in den ehemaligen industriellen und ländlichen Hochburgen) gegen „die da oben“ (also eine politökonomische Elite, für die inzwischen „Washington“ oder „Brüssel“ und zunehmend auch „Wien“ als Synonym eines entkoppelten Politzentrums ausreicht), um uns vor „denen da draußen“ (Zuwanderer und Zuwanderinnen, gegen die eine Grenzmauer im Süden des Landes errichtet wird) zu schützen.
    Europas RechtspopulistInnen haben diese Formel seit Jahrzehnten perfektioniert: Sie präsentieren sich als VerteidigerInnen der kleinen Leute, versprechen, von außen das „politische Establishment“ aufzubrechen, haben dabei stets einen radikalen Fokus auf den Primat des Nationalstaats und die systematische Ausgrenzung von MigrantInnen. Gepaart mit einem reaktionären Frauenbild hat ihnen diese Formel großen Zulauf und inzwischen auch Regierungsbeteiligungen in zahlreichen europäischen Demokratien beschert.
    Auf beiden Seiten des Atlantiks liegen diesem Aufstieg ganz wesentlich Verteilungsfragen und – gefühlte wie reale – Ungleichheitsbedingungen zugrunde. Darüber legen RechtspopulistInnen Fragen von Kultur, Werten und Identität, die sich in Zeiten wirtschaftlicher Krisen besonders stark reaktivieren lassen. Denn bei dieser gesellschaftspolitischen Konfliktlinie genießen sie die Themenführerschaft. Nicht umsonst wird ihnen im politikwissenschaftlichen „Chapel Hill Expert Survey“ große Einigkeit auf dieser Konfliktlinie attestiert: Sie bewegen sich allesamt im äußersten rechten Bereich (7,5–10 Punkte) der zehnstufigen Skala, die von extrem liberalen Positionen (0) bis zu extrem restriktiven Positionen (10) reicht.

    Anders als in kulturellen Fragen sind Verteilung und Ungleichheit für die Rechten ein weit unsichereres Terrain. Entlang der ökonomischen Konfliktlinie sind rechtspopulistische europäische Parteien nämlich sehr viel breiter verteilt. Zwischen extrem keynesianischen Positionen (0) und extrem marktliberalen Positionen (10) bewegen sie sich in einem Spektrum von 2 bis 9,5 Punkten, nehmen also sehr unterschiedliche Positionen ein. Dabei zeigt sich ein markantes Ost-West-Gefälle. Osteuropäische und einige skandinavische RechtspopulistInnen werden in ihrer ökonomischen Haltung tendenziell eher links der Mitte eingestuft. Die RechtspopulistInnen Westeuropas bewegen sich dagegen deutlich im mittleren bis weit rechten – marktradikalen – Spektrum.
    Marktradikale Wirtschaftspolitik (von Milanović „pro-rich policies“ genannt) lässt die Ungleichheit weiter ansteigen: In den USA rüttelt die Trump-Administration derzeit sogar an den letzten Säulen des ohnehin schwachen Sozialsystems. Die flächendeckende Krankenversicherung (Obamacare), das öffentliche Schulsystem und Sozialtransfers wie Essensmarken werden – wenn auch vorerst mit beschränktem Erfolg – angegriffen. Dieser Totalrückbau bedroht die Mittelschicht, deren Auffangnetz der Sozialstaat darstellt. Sie trifft aber vor allem bereits Einkommensschwächere, chronisch Kranke und andere verwundbare Gruppen (insbesondere Kinder) ins Mark.

    Dagegen ist Trump ein Paradebeispiel für die oft betuchte Herkunft von RechtspopulistInnen: Sein Vermögen ist dynastischen Ursprungs, er selbst gehört dem reichsten ein Prozent der AmerikanerInnen an. Auch seine wenigen bisherigen politischen und personellen Entscheidungen stehen in krassem Widerspruch zur Wahlkampf-Rhetorik. Vergegenwärtigt man sich allein Trumps Kabinett der MilliardärInnen, so gibt es wohl kaum ein extremeres Bild der Plutokratie, also der Herrschaft der Reichen.
    Diese Schere klafft auch bei Westeuropas RechtspopulistInnen auseinander, wenn ihre FunktionärInnen oft aus der oberen Mittelschicht, aus UnternehmerInnen und GroßverdienerInnen bestehen. Dementsprechend höhlen sie oft in ihrer parlamentarischen und Regierungsarbeit wohlfahrtsstaatliche Errungenschaften systematisch aus. Die Einschränkung von Mindestsicherungen, Pensions- und Lohnkürzungspolitik bis hin zur Schwächung des ArbeitnehmerInnenschutzes und der Gewerkschaften untergraben die soziale Stellung der breiten Mittelschicht. Um diese Politik ihrer Wählerschaft dennoch schmackhaft zu machen, bedienen sich RechtspopulistInnen vor allem einer Strategie der Abgrenzung nach unten. Neben den korrupten Eliten nehmen sie zunehmend die „Sozialschmarotzer“ am unteren Ende ins Visier, umso mehr, wenn diese sich als „Fremde“ qualifizieren lassen. Einer ökonomisch verunsicherten Wählerschaft signalisieren sie: Euer Wohlstandsverlust geht auf deren Konto.

    Solidarität statt Lockvogelpolitik
    Angesichts dessen warnt Milanović: Der Interessenausgleich zwischen der breiten Mittelschicht und „den besitzenden Klassen“, der zur kurzen Phase des globalen Rückgangs an Ungleichheit zwischen 1950 und 1980 führte, droht endgültig aufgekündigt zu werden. Diese Tendenz wird durch den Rechtspopulismus verstärkt, mit potenziell gefährlichen Angriffen auf Minderheiten. Deshalb braucht es progressive Antworten auf die zunehmende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen statt einer rückwärtsgewandten rechtspopulistischen Lockvogelpolitik, will man die gewaltsamen Konflikterfahrungen des vorigen Jahrhunderts nicht wiederholen.

    The Economist:
    tinyurl.com/ya4t282o

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen oliver.gruber@akwien.at und miriam.rehm@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Oliver Gruber, Politologe, Abteilung Bildungspolitik der AK Wien</br>Miriam Rehm, Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien und Lektorin an der WU Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616417 Die Elefanten-Kurve veranschaulicht die deutliche Trennung in ökonomische GewinnerInnen der Globalisierung und jene, die davon nicht profitierten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773616409 Das schlechte Volk? Ist jede/r zweite amerikanische WählerIn ein/e IdiotIn? Ist rund ein Drittel des österreichischen Wahlvolks unvernünftig? Oder warum fallen sie auf PopulistInnen herein und lassen sich mit marktschreierischen Phrasen, vereinfachenden Schuldzuweisungen und ausgrenzenden Ideen verführen? Immer mehr Menschen schenken populistischen Parteien ihre Stimme oder populistischen Parolen ihr Ohr. Kann es sein, dass so viele Menschen nicht sehen, wie sie rhetorisch verschaukelt werden? Populismus erlebt eine Hochblüte, nicht nur von rechts in Form von Trump, Le Pen, Wilders, Orbán oder Strache. Auch auf linker Seite werden etwa dem Labour-Parteichef Jeremy Corbyn, der spanischen Podemos oder der griechischen Syriza populistische Tendenzen unterstellt. Und hat hierzulande Peter Pilz keine Berührungspunkte mit Populismus?

    Abbild der Gesellschaft
    Der belgische Historiker und Archäologe David Van Reybrouck hält Populismus nicht per se für schlecht. In seinem Essay „Für einen anderen Populismus“ spricht er sich für mehr, aber „besseren“ Populismus aus. Populismus sei keine Krankheit, sondern Symptom eines tiefer liegenden Problems. Große Bevölkerungsteile, vor allem Geringqualifizierte, seien in der Politik nicht mehr repräsentiert. Es herrsche eine „Diplomdemokratie“: In Parlamenten und Regierungen sitzen vor allem Menschen mit akademischen Abschlüssen, welche die Interessen von Geringqualifizierten zu wenig vertreten würden. Van Reybrouck zeigt auf, dass die Politik noch vor einigen Jahrzehnten ein besseres Abbild der Gesellschaft war. Das hält er für wichtig, damit alle Schichten sich an politischen Entscheidungen beteiligen anstatt zu NichtwählerInnen zu werden oder sich PopulistInnen zuzuwenden, die ihnen offenbar am glaubwürdigsten versprechen, sich für ihre Interessen einzusetzen.
    Für den Ökonomen und Kulturhistoriker Walter Ötsch ist es verständlich, dass sich so viele Menschen PopulistInnen zuwenden. Er sieht dafür lang- und mittelfristige Ursachen sowie kurzfristige Auslöser. Die langfristige Ursache sei die Transformation des Kapitalismus zum Finanzkapitalismus. Diese führe dazu, „dass die Angst vieler Menschen ganz langsam wächst, weil sie keine Zukunftschancen für sich oder ihre Kinder sehen und fürchten, in der Pension zu verarmen“. Mittelfristig habe die Krise 2008/09 einen Beitrag zum Erstarken des Populismus geleistet (siehe auch Interview mit Walter Ötsch). Dazu kommen kurzfristige Anlässe wie die Flüchtlingszuwanderung oder Terrorattentate. Ötsch: „Die Menschen, die Angst haben, fühlen sich von populistischen Politikern verstanden und denken: Endlich spricht einer mein Unbehagen an.“

    Populismus vs. Demokratie
    Der Begriff Populismus leitet sich vom Volk ab bzw. vom lateinischen „populus“. Wenn PolitikerInnen etwas tun oder sagen, was dem Volk zugute kommt, was soll denn daran schlecht sein? Und warum ist die Demokratie, die sprachlich ebenfalls vom Volk kommt, gut? Kurz gesagt: weil der demokratische Volksbegriff etwas anderes meint als der populistische. Während in einer Demokratie alle StaatsbürgerInnen das Volk bilden, meinen PopulistInnen nur einen Teil der BürgerInnen, wenn sie vom Volk sprechen. Nicht nur das: Sie spielen diesen gegen einen anderen aus. „Das Volk“ oder „der kleine Mann“ steht auf einer, „die Elite“, „die EU“ oder „die Migranten“ auf der anderen Seite. So erklärt sich auch manch populistische Äußerung, auf die Walter Ötsch verweist, wie etwa jene von AfD-Politiker Björn Höcke, der Sigmar Gabriel einen „Volksverderber“ nannte, oder jene von Alexander Gauland, der nach der Bundestagswahl sagte: „Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen.“

    Liberale Demokratie
    Wie kommt es aber, dass sich gerade in einer Demokratie, welche die ganze Bevölkerung repräsentieren sollte, viele ausgeschlossen und benachteiligt fühlen? Eine Erklärung könnte sein, dass wir nicht in einer reinen Demokratie leben, wie die Historikerin und Politikwissenschafterin Karin Priester betont. Sie hat mehrere Bücher über Populismus geschrieben.
    Ihr zufolge leben wir in einer liberalen Demokratie, einem Mischsystem zwischen Demokratie und Liberalismus. Diese führe zu einer „Art gefilterter politischer Landschaft“, sodass der Wille des Volkes nicht direkt zum Ausdruck kommt, sondern durch die Parteien gefiltert wird. Priester: „Dagegen argumentieren Populisten: Das ist gar nicht nötig, wir sind mündige Bürger und müssen uns von den Parteien nicht sagen lassen, was wir denken und wie wir abstimmen sollen.“ Es gehe ihnen um das Prinzip der direkten Äußerung des politischen Willens. Daher auch die große Affinität von PopulistInnen zur direkten Demokratie, in der WählerInnen möglichst oft selbst entscheiden sollen.
    Geht es nach David Van Reybrouck, ist Populismus nicht gleich Populismus. Einen „dunklen Populismus“ lehnt er ab. Dieser glaube zu wissen, „dass das Volk einen homogenen Block bilde, dass der Wille dieses Volkes einheitlich und geradlinig sei“ und „dieser Volkswille eigentlich im Zentrum der Macht stehen müsse“. In dieser Bedeutung sei Populismus „antidemokratisch und antiparlamentarisch“. Dunkler Populismus leugne das Wesen der Demokratie und die Existenz unterschiedlicher Interessen in einer Gesellschaft.
    Van Reybrouck plädiert für einen „besseren“ Populismus und schlägt zwei Varianten vor: einen demokratischen und einen aufgeklärten Populismus. Angst vor Populismus sei unbegründet, „wenn er sich an die Prinzipien der Demokratie hält“, also etwa Gleichheitsgrundsatz, Menschenrechte, Gewaltenteilung und Rechtsstaat bedingungslos respektiere.
    Unter aufgeklärtem Populismus versteht er einen „Populismus, der nicht schreit, sondern spricht“, der unter anderem die Nöte Geringqualifizierter nicht leugnet und die Bruchlinie zwischen Hoch- und Geringqualifizierten ernst nimmt. Vor allem sei ein gelassener Umgang mit Populismus nötig, „um legitime Beschwerden von aufgebauschten Politikvorschlägen zu unterscheiden“.

    Kampfbegriff Populismus
    Karin Priester distanziert sich von einem „anderen Populismus“: „Man könnte auch sagen: Wir wollen eine neue Linke aufbauen oder eine linke Sozialdemokratie à la Jeremy Corbyn.“ Populismus beinhalte allerdings immer Nationalismus, und eine Linke sei, auch wenn sie Heimatliebe vertrete, nie nationalistisch. Eine Bewegung wie Syriza sei populistisch, weil sie einen „Befreiungsnationalismus“ der Kleinen gegen die Großen vertrete, in ihrem Fall Griechenland gegen die EU. „Das geht bis hin zu Nazi-Vergleichen, wo Wolfgang Schäuble in SS-Uniform und Angela Merkel mit Hitlerbart dargestellt werden.“ Das hält Priester für sehr problematisch, wenngleich der historische Hintergrund, die Besatzung Griechenlands durch Deutschland im Zweiten Weltkrieg, auch problematisch sei.
    Linkspopulismus hält Priester für weit weniger gefährlich als Rechtspopulismus. Was Populismus aber sei: ein Kampfbegriff – so wie es in den 1960ern und 1970ern der Kommunismus war. „Populismus ist ein Kampfbegriff der im Moment noch hegemonialen Kräfte, die durchgängig liberal, für die EU, für den Weltmarkt sind. Wer nicht dafür ist, wird als Populist ausgegrenzt – ob der Begriff passt oder nicht.“ Schon in der Französischen Revolution hätten liberale Eliten gegenüber weniger gebildeten Schichten Misstrauen gehegt und ihnen „nachgesagt, sie seien irrational, ressentimentgeladen, sie könnten nicht denken und so weiter, während die Gebildeteren zu rationalen Entscheidungen und abgewogenen Argumenten fähig seien. Das ist reine Ideologie.“

    Das große Ganze
    Auch Walter Ötsch hält Ansätze wie jenen von Peter Pilz für weniger gefährlich als Rechtspopulismus. Schließlich habe Pilz keine homogene Elite gegen ein homogenes Volk im Sinn. Stimmungen in der Bevölkerung anzusprechen sei, unabhängig vom politischen Standpunkt, legitim. Entscheidend sei jedoch, ob etwa die Menschrechte als universell anerkannt werden oder etwa nur für „unsere“ Leute gelten. Die größte Gefahr liege in der Abwertung „der Anderen“ als nicht „echte Menschen“, denn das befördere Hass und Gewalt.

    Buchtipp:
    „Populismus“ von Karin Priester:
    tinyurl.com/ydz4y8hz

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773616394 Warum wenden sich immer mehr Menschen populistischen Parteien zu? http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773614807 Interview: Aus der moralischen Entrüstung gehen Arbeit&Wirtschaft: Warum braucht es gerade jetzt Ihr Buch „Populismus für Anfänger“, also ein Buch für Leute, die sich mit dem Thema noch wenig auseinandergesetzt haben?
    Walter Ötsch: Das Buch, das ich mit Nina Horaczek geschrieben habe, ist ein Versuch, Aufklärung zu schaffen. Wir haben einen phänomenologischen Ansatz gewählt: Was geschieht beim Sehen, Hören und Denken? Wir gehen von der These aus, dass Sehen, Hören und Denken auf „inneren Bildern“ beruht. Beim Populismus geht es um ein Bild der Gesellschaft. Sie wird als zweigeteilt gedacht: Es gibt die als homogen wahrgenommene Gruppe „Wir“ auf der einen und die ebenso homogen empfundene Gruppe der „Anderen“ auf der anderen Seite – sonst nichts.

    Was sind die wichtigsten Punkte, die jeder über Populismus und PopulistInnen wissen sollte?
    Am wichtigsten erscheint uns, das Bild der geteilten Gesellschaft zu verstehen und dass dieses eine reine Fiktion ist. Es handelt von Menschen, die es gar nicht gibt: So gibt es die Gruppe „Wir“ nicht, auch nicht „das Volk“, wo nur die Guten und Aufrechten zu finden sind, und ebenso wenig eine Gruppe der „Anderen“, also etwa „die Elite“, wo nur die Schlechten und Betrügerischen zu finden sind. Unser inneres Bild sagt uns aber: „Wir“ sind immer und ausschließlich die Opfer, während die „Anderen“ immer und ausschließlich die Täter sind. Das ist letztlich ein archaischer Mythos. Es gilt zu verstehen, dass ein solches Denken eskalierende Spiralen besitzt, nach immer mehr Macht drängt und zu einer autoritären Staatsform führen will.

    Interessant ist, dass Sie für das Buch einen humorvollen Zugang gewählt haben, indem Sie laut Untertitel eine „Anleitung zur Volksverführung“ geben, sodass Leserinnen und Leser selbst PopulistInnen werden können.
    Ja, wir nützen Humor, um die populistischen Muster zu beschreiben. Es ist wie beim Rumpelstilzchen: Sobald ich die Muster benennen kann, zerplatzen sie. Populismus ist Volksverführung mit billigen Tricks, die man leicht durchschauen kann. Wichtig ist auch, aus der moralischen Entrüstung herauszugehen und in der eigenen Energie zu bleiben – das brauchen die demokratischen Kräfte, um handlungsfähig zu bleiben. Das ist sinnvoller, als die Nazikeule zu schwingen. Es gibt heute keine SS und keine SA, die marschiert, und es droht kein KZ. Isolde Charim sagt im Dokumentarfilm „Rechtsruck. Zehn Gespräche. Gegen Angst“, dass so etwas heute gar nicht mehr möglich wäre, weil die Menschen viel individueller geworden sind. Heute kann man, so meint sie, die Jugend nicht mehr in eine gleichmachende Massenpartei integrieren.

    Aber sehr erfreulich sind die aktuellen Entwicklungen auch nicht.
    So etwas wie der Nationalsozialismus wäre nicht mehr möglich. Was aber droht, ist eine autoritäre Demokratie – und das ist schlimm genug. Es ist schlimm für die Kreativen, die linken Sozialbewegten, für freiheitsliebende Künstler oder autonome Journalisten.

    Wo beobachten Sie besonders bedenkliche Tendenzen?
    Am weitesten hat sich der Rechtspopulismus in Ungarn durchgesetzt. Dort ist die Demokratie in ihrer Substanz weitgehend zerstört. Es herrscht eine autoritäre Form der Demokratie ohne nennenswerten Widerstand. Die Pressefreiheit ist eingeschränkt, alle demokratischen Kontrollinstanzen weitgehend funktionsunfähig, denn sie wurden mit gehorsamen Parteigängern besetzt. Beispiele sind der Rechnungshof, die Finanzmarktaufsicht, die Exekutive, weite Teile der Justiz wie der Oberste Gerichtshof, die Medienbehörde, die öffentlich-rechtlichen Medien, Kulturinstitutionen und die Nationalbank. Das Wahlrecht wurde zugunsten der Fidesz verändert, im Frühjahr 2014 wurde mit 43 Prozent der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erzielt. Und die Bevölkerung wird von der Regierung andauernd mit Plakatwellen, zum Beispiel gegen Flüchtlinge, und mit hetzerischen Volksbefragungen in Erregung versetzt. Donald Trump versucht ähnliche Aktionen.

    Würden Sie diese These unterschreiben: Weil sich manche Menschen in der Demokratie nicht mehr wahrgenommen fühlen, wenden sie sich PopulistInnen zu?
    Wir haben eine mehrfache Systemkrise, die große Krise im Hintergrund ist die ökologische Krise. Die konkretere Krise ist jene des Wirtschafts- und Finanzsystems, die sich 2008/09 gezeigt hat. Ihre Folgen sind nicht überwunden, das Finanzsystem ist weiterhin hochgradig instabil. Diese Krise wurde auch nicht von der Politik erklärt. Eine ihrer Folgewirkungen war das Erstarken des Rechtspopulismus: Man fordert auf einer symbolischen Ebene ein Primat der Politik ein. Das ist 2009 in den USA mit der Tea Party und 2013 in Deutschland mit der AfD geschehen.

    Wie ist das zu verstehen?
    Auf die Krise 2008/09 wurde zum einen in der Geld- und Fiskalpolitik aktivistisch reagiert, mit historisch einmaligen Summen. Zum anderen wurde aber auf einer regulativen Ebene zuerst ungemein viel versprochen – denken Sie an die ersten G-20-Tagungen –, de facto aber wenig umgesetzt. Statt öffentlich die Strukturen des Finanzsystems zu thematisieren, wurde die Krise intern als Liquiditätskrise verstanden und mit einer enormen Zufuhr von Liquidität durch die Zentralbanken gedämpft. Das Platzen der Blase 2008 wurde mit dem Aufbau einer noch größeren Blase beantwortet, die nächste Finanzkrise ist vorprogrammiert.
    Angesichts der größten Wirtschaftskrise seit 1945 hat die Politik vor den Mächtigen im Finanzsystem kapituliert. Viele Menschen haben das dumpfe Gefühl, dass „die Politik“ handlungsunfähig geworden ist und sie die Folgen der Krise zu zahlen haben – beides ist richtig. Diese Stimmung wendet sich jetzt gegen die demokratischen Strukturen insgesamt. Ihre Handlungsunfähigkeit wird durch die offizielle Austeritätspolitik noch beschleunigt. Im Hintergrund gibt es also ein Politikmodell, das auf die Einschränkung und das Niederfahren des Sozialstaates ausgerichtet ist und dessen Versagen sich in der Krise 2008 manifestiert hat, das aber gleichzeitig von sich selbst behauptet, es sei alternativlos.

    Was Sie beschreiben, klingt nach einer eingefahrenen Situation, die erst recht nach Alternativen schreit.
    Dass politisch aus einer solchen Situation eine Krise der Repräsentation entstehen würde, wurde von kritischen Wissenschaftern und Wissenschafterinnen schon lange vorhergesagt, etwa in der These der Postdemokratie. Ein Teil der Bevölkerung fühlt sich von der Politik nicht mehr repräsentiert. Dieser Teil wächst langsam. Immer mehr greift eine Stimmung um sich bzw. wird eine grundsätzliche Verstimmung hörbar, die im Kern durchaus verständlich ist.

    Man sollte also bei den Grundproblemen ansetzen, um letzten Endes PopulistInnen den Wind aus den Segeln zu nehmen?
    Ja, wir bräuchten eine Politik, die die längerfristigen Ursachen des Rechtspopulismus wie die zunehmende Ungleichheit angeht und nicht nur die kurzfristigen Auslöser wie eine plötzliche große Zuwanderung. In unserem Buch haben wir uns ein bescheideneres Ziel gesetzt: Wie kann man kurzfristig mit populistischen Angriffen umgehen? Wie reagiere ich auf eine Beschimpfung? Dieses Wissen ist immer noch wenig verbreitet. Ulrike Lunacek hat zum Beispiel in einer Puls-4-Debatte Heinz-Christian Strache mit moralischen Vorwürfen überhäuft. Aber das umgekehrte Spiel „Wir, die Guten, retten die Demokratie vor den bösen Populisten“ funktioniert nicht. Ein Strache ist besser im Beschimpfen, das hat er 20 Jahre lang trainiert. Daran ist auch Hillary Clinton gescheitert. Ich muss mich also von diesem Diskurs zur Gänze lösen und auf eine Metaebene gehen und die Muster benennen: „Das ist das, was Sie immer machen, ich erwarte gar nichts anderes, bitte beschimpfen Sie mich.“ Gelassen zu bleiben und keinen Ärger zu zeigen ist die richtige Haltung, und so ruhig erklären, warum und wie gefährlich eine rechtspopulistische Politik ist.

    Das Wort Populismus leitet sich vom „Volk“ ab. Müsste es nicht eigentlich etwas Gutes sein, wenn PolitikerInnen etwas „für das Volk“ tun?
    Es geht nicht um das Volk in der juristischen Bedeutung, sondern um „das Volk“ im Populismus: als homogene Einheit, die einen einzigen „Volkswillen“ besitzt, den ausschließlich ein „Volksführer“ oder eine „Volksführerin“ kennt und zum Ausdruck bringt. Volk im Sinne einer Bevölkerung ist etwas anderes. Artikel eins der österreichischen Verfassung lautet: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ Norbert Hofer hat aber fälschlicherweise plakatiert: „Das Recht geht vom Volk aus.“ Das ist genau der Unterschied. Die Verfassung benennt erstens die Staatsform, die demokratische Republik, und zweitens deren Rechtssetzung durch die Bevölkerung. Strache und Co. reklamieren aber für sich „das Volk“ mit seinem „Volkswillen“ und stellen sich als sein Sprecher dar. Aber so etwas wie einen Volkswillen gibt es nicht. Und genauso wenig wie es „das Volk“ als homogene Einheit gibt, gibt es „die Elite“.

    „Die Elite“, die PopulistInnen gerne als Gegnerin ansehen?
    Genau, es gibt keine Elite, sondern Eliten. Die linke Kritik an Eliten in der Mehrzahl wird vom Rechtspopulismus als Kritik an „der Elite“ in der Einzahl reformuliert. Dabei werden unterschiedliche Gruppen zusammengemischt: die Bürokratie in Brüssel, die kritischen Journalisten und unabhängigen Medien, die anderen Parteien, die „das System“ vertreten, und alle „Gutmenschen“, die ja eigentlich amoralisch sind, weil sie Moral nur vortäuschen, aber nicht wirklich besitzen. Diese „Elite“ hat sich gegen „uns“ verschworen. Im Rechtspopulismus werden unterschiedliche, durchaus widersprüchliche Verschwörungstheorien für wahr gehalten. Für jedes Problem gibt es statt sachlicher oder systemischer Gründe namentlich genannte Sündenböcke.

    Können Sie das anhand eines Beispiels erklären?
    Die idealen Sündenböcke sind Asylsuchende, „Asylanten“ genannt. Sie vereinen viele Teile der „Anderen“. Sie repräsentieren zum einen „die da draußen“, sind also per se eine Bedrohung. Sie werden von „denen da oben“, also der Regierungselite in der EU und der eigenen Regierung, bewusst ins Land gelassen. „Die wollen uns umvolken“, heißt es dann von AfD und FPÖ. Und sie bilden, wenn sie im Land sind, „die da unten“, „Sozialschmarotzer“, die als Arbeitslose oder Sozialempfänger die Staatskasse belasten. In dieser Erzählung können alle sozialen Fragen als nationale Fragen neu gedeutet werden. Die Empörung zum Beispiel über gesunkene Lebenschancen oder eine drohende Altersarmut hat ihre Schuldigen gefunden. Es gibt keine strukturellen Ursachen, sondern Personen, die als Schuldige fungieren. Und gegen diese muss mit allen Mitteln gehetzt werden.

    Wen meinen PopulistInnen dann, wenn sie vom „Volk“ sprechen?
    Man muss nur nachdenken, wer von Populisten alles als „Volksfeind“ deklariert, also vom Volksbegriff ausgeschlossen wird: erstens die ganze kritische Intelligenz, die Wissenschafter, Medienleute, die Linken sowieso, Künstler und so weiter. Das ist genau genommen die Mehrheit der Bevölkerung. Aber Populisten glauben trotzdem, sie sprechen für das Volk. Das zeigt sich auch daran, wie zum Beispiel eine Partei wie die FPÖ auf Wahlergebnisse reagiert. Denken Sie an die letzte Bundespräsidentenwahl und das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer: Wenn die Freiheitlichen 50,5 Prozent erreichen, ist das in ihren Augen ein Ausdruck des Volkswillens. Wenn sie 49,5 Prozent haben, ist es ein Ausdruck einer Manipulation durch „das System“.

    Das kommunizieren sie so.
    Ja, aber das denken sie auch. Sie denken: Wir sind die Mehrheit. Und wenn wir gewinnen, muss das der Ausdruck des „Volkswillens“ sein. Jedes andere Ergebnis kann nicht stimmen, weil „wir“ „das Volk“ in seiner Mehrheit vertreten. Geht die Wahl zu ihren Ungunsten aus, spielen sie jedes Mal die Betrugskarte aus. Donald Trump hat gesagt, fünf Millionen Stimmen, die an Hillary Clinton gegangen sind, waren Fake. Im populistischen Denken ist das logisch.

    Aber sind solche Behauptungen nicht Teil einer Kommunikationsmasche?
    Mein Ansatz ist der verstehende Ansatz, nicht die Abwertung. Abwertung ist zwar berechtigt, kann aber das Verstehen erschweren. Um zum Beispiel die US-Wahlen zu verstehen, muss man auch darüber nachdenken, was Hillary Clinton falsch gemacht hat.

    Was ist das aus Ihrer Sicht?
    Sie hat die Enttäuschung in der Bevölkerung und die Wut von unten nicht verstanden und ausschließlich die Moralkeule gezückt. Das heißt, sie hat das demagogische Spiel „Wir sind die Guten und die sind die Bösen“ umgedreht. Aber ich kann den Teufel nicht mit dem Beelzebub austreiben. Erstens ist es unehrlich – wir sind nicht die Guten – und zweitens ineffizient. Anstatt einen Moraldiskurs zu führen und die politischen Gegner abzuwerten, muss man ein tieferes Verständnis aufbringen und eigene Ziele und Absichten in den Vordergrund stellen.

    Müssen die Linken auch populistischer werden, um die Menschen zu erreichen?
    Das glaube ich nicht. Ich glaube, der entscheidende Punkt ist gar nicht so sehr die Methode und der Diskurs, sondern die Zukunftsfantasie. Der letzte Punkt in unserem Buch handelt von der Krise von Zukunftsbildern. Wenn die These stimmt, dass der untere Teil der Mittelschicht Angst um seine Kinder hat, dann haben diese Menschen negative Zukunftsbilder. Diese sprechen die Populisten an, indem sie den Menschen eine gute alte Zeit vorgaukeln – und zwar jeder auf seine Art: Die Tea Party verweist auf die Gründungsväter, Marine Le Pen auf die Sechzigerjahre, wo es noch Kolonien gab, Viktor Orbán auf Ungarn in den Grenzen 1867. Das sind Fantasien einer guten alten Zeit, die es niemals gegeben hat. Und diese Vergangenheitsfantasie wird als – nicht einlösbare – Verheißung in die Zukunft projiziert.

    Negative Zukunftsbilder sind aber nicht nur unter PopulistInnen und ihren AnhängerInnen verbreitet.
    Ein positives Zukunftsbild können nur Menschenfreunde entwerfen. Wenn die Sozialdemokratie oder andere Richtungen das verstehen, wird der Rechtspopulismus wieder verschwinden. Er hätte dann seine historische Aufgabe erfüllt. Gelingt es aber nicht, positive Zukunftsbilder zu entwerfen und dafür Projekte zu formulieren, dann drohen eskalierende Spiralen einer faktenfreien Politik mit immer mehr Hetze und propagandistischem Nebel. Aspekte davon kann man bei den Klimaleugnern studieren, die im Rechtspopulismus und auch in der FPÖ vertreten sind. Fakten und Realität sind hier durch Meinungsmache und Propaganda ersetzt.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Zur Person
    Der
    Ökonom und Kulturwissenschafter Walter Ötsch ist Professor an der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues, wo er Ökonomie unterrichtet. Zuvor war er Professor und Institutsvorstand an der Johannes Kepler Universität in Linz. Im Jahr 2000 erschien sein Buch „Haider light“. Im Sommer 2017 kam „Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung“ beim Verlag Westend heraus, ein Buch, das Ötsch zusammen mit der „Falter“-Journalistin Nina Horaczek geschrieben hat. Walter Ötsch hat mit dem Filmemacher Niko Mayr den Dokumentarfilm „Rechtsruck. Zehn Gespräche. Gegen Angst“ gemacht, in dem zehn ExpertInnen zu den Ursachen des Anstiegs des Rechtspopulismus interviewt wurden. Und in „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ spricht er sich dezidiert dafür aus, die Zukunft aktiv mitzugestalten, als auf bessere Zeiten zu warten.

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    Interview: Alexandra Rotter Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773614794 Ökonom und Kulturwissenschafter Walter Ötsch im Gespräch mit Arbeit&Wirtschaft. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773614783 Interview: Fortschreitende Normalisierung Arbeit&Wirtschaft: Sie forschen seit vielen Jahren zum Thema Populismus. Haben Sie den Eindruck, dass das Adjektiv „populistisch“ heute im politischen Diskurs überstrapaziert wird?
    Ruth Wodak: Ja, diesen Eindruck habe ich tatsächlich. Das Adjektiv „populistisch“ wird heutzutage völlig inflationär und oft auch als Schimpfwort verwendet, was meines Erachtens völlig falsch ist.
    Im Prinzip verwendet jeder Politiker und jede Politikerin notwendigerweise einige populistische Strategien. Jede Politikerin und jeder Politiker spricht ein „Wir“ an, stellt sich positiv und die anderen negativ dar. Alle PolitikerInnen versuchen zu vereinnahmen und die jeweils bestimmte Gruppe anzusprechen. Daher reichen diese Elemente noch nicht aus, um Rechts- bzw. Linkspopulisten zu definieren.

    Wie würden Sie Populismus definieren?
    Es gibt sehr viele unterschiedliche Definitionen und Begriffe, die in der Wissenschaft momentan verwendet werden. Wichtig scheint mir, dass Populismus – und das gilt sowohl für Rechts- als auch Linkspopulismus – nicht als bloßer politischer Stil oder bloße Rhetorik definiert werden kann. Ganz im Gegenteil, bei Populismus handelt es sich immer um Ideologien, die eben – je nach AnsprechpartnerInnen, Öffentlichkeit und Funktion – unterschiedlich sprachlich realisiert werden.

    Ist es demnach überhaupt angebracht, von einer „Sprache des Populismus“ zu reden?
    Ich denke nicht, dass es eine „Sprache des Populismus“ gibt. Populismus ist in erster Linie immer eine Verbindung von Inhalt und Form, kann daher nicht unabhängig vom Inhalt analysiert werden. Was hingegen analysierbar ist, sind die Versuche von populistischen PolitikerInnen, ihre Inhalte möglichst überzeugend an „den Mann“ oder „die Frau“ zu bringen. Dabei ist die Dichotomisierung der Gesellschaft in zwei scheinbar homogene Gruppen wichtig: „wir“ und „die anderen“. „Die anderen“ gibt es sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gesellschaft.

    Was ist nun das Spezifikum von Rechtspopulismus?
    Rechtspopulismus vertritt einen exklusiven, ausgrenzenden Nationalismus, der bei manchen rechtspopulistischen Parteien auch an eine Blut-und-Boden-Ideologie anstreift: Es geht um die vermeintlich „echten“ Finnen, Briten, Ungarn, Österreicher. Gleichzeitig wird vehement eine Abgrenzung gegenüber den sogenannten Privilegierten, dem Establishment, den Eliten gepflogen. Diese werden je nach nationalem Kontext völlig willkürlich definiert. Und außerdem grenzt man sich gegen Fremde ab, also „Andere“, die von außen quasi in das Territorium eindringen wollen, also MigrantInnen, Flüchtlinge usw.

    Demnach geht es bei RechtspopulistInnen gar nicht um soziale Schichten oder Klassen?
    Richtig, es geht vielmehr um Werte sowie um eine Identitäts- und Symbolpolitik, die zur Gruppendefinition sowie zur Herstellung und Vertiefung kultureller Gräben und Spaltungen herangezogen werden. RechtspopulistInnen befürworten überdies einen autoritären Staat mit straffen Rechts- und Ordnungspolitiken und treten meist für eine konservative Familien- und Genderpolitik ein.
    Vorrangig geht es ihnen um die Bewahrung des Alten. Ein gewisser nostalgischer Faktor ist nicht zu leugnen. Ihr traditionelles Familienverständnis erscheint mitunter widersprüchlich, weil sie ja gleichzeitig gesellschaftliche Veränderung anstreben. Die Veränderung, die sie meinen und fordern, ist oft rückwärtsgewandt. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Slogan von Donald Trump: „Make America great again.“ Man muss aber auch feststellen, dass nicht alle rechtspopulistischen Parteien die gleichen Ideologien und Werte besitzen. Beispielsweise ist die Gender-Politik bei skandinavischen rechtspopulistischen Parteien sicher anders – progressiver – als etwa bei der FPÖ, Fidesz, den US-amerikanischen Tea Parties oder der polnischen PiS.

    Und beim Linkspopulismus?
    Im Gegensatz zum Rechtspopulismus pflegt der Linkspopulismus einen inklusiven Nationalismus. Er ist eher den traditionellen Gruppierungen in der Gesellschaft verhaftet. LinkspopulistInnen geht es also durchaus auch um soziale Schichten oder Klassen. Ein gutes Beispiel für Linkspopulismus war der Slogan der TeilnehmerInnen der „Occupy Wall Street“-Bewegung 2012 und 2013. Er lautete: „Wir sind die 99 Prozent.“ Occupy benutzte das Etikett „das eine Prozent“ als Bezeichnung jenes einen Prozents der AmerikanerInnen, die als die reichsten BürgerInnen betrachtet und für eine enorme Ungleichheit verantwortlich gemacht werden. Deshalb konnten sich an der Occupy-Bewegung alle, die diese Ansicht teilten, beteiligen. Sie mussten nicht einem bestimmten „Volk“ oder einer bestimmten Religion angehören.

    Was ist die Gemeinsamkeit von PopulistInnen?
    Sowohl Links- als auch RechtspopulistInnen argumentieren, dass Politik ein Ausdruck des „Volkswillens“ sein soll. Damit befürworten beide eine Schwächung der repräsentativen Demokratie. Die Gefahr für die repräsentativ-parlamentarische Demokratie wird beim Rechtspopulismus dadurch verstärkt, dass sich dort vermehrt autoritäre Tendenzen zeigen, wie etwa Versuche, das unabhängige Justizsystem zu unterminieren oder die Pressefreiheit zu untergraben. Das sieht man aktuell in den politischen Entwicklungen in Ungarn und in Polen.

    Manche vertreten die Auffassung, dass dem Linkspopulismus eine Bedeutung als normatives Korrektiv zukommt. Wie sehen Sie das?
    Ich denke, dass man das immer nur im Einzelfall beurteilen kann. Die griechische Syriza-Partei hatte anfänglich einen solchen Effekt. Sie ist aus einer linkspopulistischen Bewegung entstanden, hat sich aber, wie jüngste Forschungen erweisen, zu einer eher traditionell sozialdemokratischen Partei entwickelt.

    Seit wann gibt es eigentlich populistische Politik?
    Der Beginn des Populismus als Bewegung und Ideologie liegt im 19. Jahrhundert in den USA als eine Form von Protest gegen die Übermacht spezifischer privilegierter Eliten. Die Gegner waren Wirtschaftseliten wie die „Trusts“ in den USA, gesellschaftliche Eliten oder aber gewählte Vertreter, die sich angeblich nicht genug für die „Interessen des Volkes“ interessierten. Bereits damals lag die intellektuelle und analytische Schwäche der populistischen Politik in der inhärent vorherrschenden Annahme, dass solch ein homogenes Volk existiere. Wer zum Volk gehört und wer davon auszuschließen ist, betrifft nicht soziale oder kulturelle Entwicklungen, sondern ist vielmehr ein Dogma, das soziale Differenzierung, Unterscheidungen und Fragmentierungen ignoriert, das also diese Parteien selbst völlig willkürlich definieren.
    Populismus war übrigens auch in den südamerikanischen Nationalstaaten recht einflussreich. So trat zum Beispiel in Argentinien in den 1940er-Jahren eine lokale Variante des faschistischen Populismus auf, der als „Peronismus“ bezeichnet wurde, benannt nach ihrem Führer Juan Perón. Seine Wurzeln liegen in der intellektuellen faschistischen Bewegung der 1920er- und 1930er-Jahre, die die Demokratie in Argentinien unterminierte.

    Was erklärt den derzeit rasanten Aufstieg von rechtspopulistischen Parteien in Europa? Welche Faktoren begünstigen deren Erfolg?
    Das kann auf viele Faktoren zurückgeführt werden. Zusammenfassend kann man festhalten, dass wichtige Probleme von den regierenden Parteien nicht oder nicht adäquat behandelt werden. Vielmehr werden die Eliten als „alle gleich“ wahrgenommen. Hinzu kommt, dass populistische AkteurInnen medial attraktiv erscheinen, sie sprechen den „gesunden Menschenverstand“ an und geben sich „authentisch“, arbeiten viel mit Symbolen und Gefühlen. Durch Sündenbock-Konstruktionen mobilisieren sie Bedrohungsszenarien und ziehen damit vermehrt die Aufmerksamkeit auf sich. Ihre WählerInnen sind aber keineswegs nur die sogenannten Modernisierungsverlierer, sondern auch jene, die – diffuse – Ängste vor einem sozialen Abstieg plagen. Rechtspopulisten sprechen im Grunde genommen alle sozialen Schichten an, es geht eben um Werte, Ideologien und Einstellungen und nicht um traditionelle gesellschaftliche Fragmentierungen.

    Sie haben ein Buch unter dem Titel „Politik der Angst“ veröffentlicht. Wie funktioniert dieses Muster?
    Das Buch handelt vor allem von den Merkmalen rechtspopulistischer Parteien, ihren Ideologien, ihrer jeweiligen nationalen Entstehungsgeschichte und ihren Wurzeln, ihren typischen Argumenten, ihrer Performance und ihrer medialen Agenda. Alle rechtspopulistischen Parteien instrumentalisieren eine Art von ethnischer, religiöser, sprachlicher oder politischer Minderheit als Sündenbock für die meisten – wenn nicht alle – aktuellen Sorgen. Sie stellen die jeweilige Gruppe als gefährlich dar und als Bedrohung „für uns“, für „unsere“ Nation“. Dieses Phänomen manifestiert sich als Politik mit der Angst.
    In einem nächsten Schritt verbreiten diese Parteien dann Hoffnung, indem sie versprechen, den willkürlich hegestellten Sündenbock in irgendeiner Form zu entfernen bzw. ruhigzustellen. Damit konstruieren sie sich in einem weiteren Schritt als Retter der Nation, das heißt als jene, die das Land und das Volk verteidigen und schützen. Der Topos des Retters bezieht sich auf ein einfaches Argumentationsschema wie etwa: „Wenn wegen X Gefahr zu erwarten ist und A uns früher schon gerettet hat, dann wird A uns auch diesmal wieder retten können.“

    Welche Rolle spielt nun die Angst?
    Alle PolitikerInnen müssen sich mit den Ängsten beschäftigen, die an sie herangetragen werden. Die Frage ist nur, ob man dafür differenzierte Lösungen anbietet und somit auch einen Beitrag dazu leistet, positive Narrative zu entwickeln, oder aber, ob man die vorhandenen Ängste verstärkt.
    RechtspopulistInnen unterscheiden sich von anderen PolitikerInnen also nicht dadurch, dass sie überhaupt Ängste wahrnehmen oder ansprechen, sondern in erster Linie dadurch, dass sie systematisch mit den Ängsten der Menschen arbeiten. Es geht hier um das Gesamtmuster. Sie verstärken die Ängste, indem sie diese betonen und reproduzieren. Verschwörungen sind notwendiger Bestandteil der diskursiven Konstruktion von Angst. Genutzt werden dabei häufig traditionelle antisemitische und antielitäre Vorstellungen, die zum Teil bis ins Apokalyptische ausgedehnt werden.

    In Europa gewinnen rechtspopulistische Parteien immer mehr an Einfluss. Stehen alle diese Parteien Ihrer Meinung nach auch auf einem gemeinsamen Fundament?
    Es gibt – zusammenfassend gesehen – vier Dimensionen, die fast alle rechtspopulistischen Parteien in je eigener Kombination gemeinsam haben:
    Erstens: Sie beziehen sich auf ein homogenes Volk, das beliebig und nach nativistischen Kriterien definiert wird. Damit in Zusammenhang legen sie Wert auf ein Kernland oder eine Heimat, die vor gefährlichen Eindringlingen geschützt werden muss. Auf diese Weise werden Bedrohungsszenarien aufgebaut.
    Zweitens zeichnen sie sich durch eine Anti-Establishment- sowie Anti-Intellektualismus-Haltung aus. Sie selbst appellieren an den sogenannten gesunden Verstand, berufen sich auf einfache Erklärungen und Common-Sense-Lösungen.
    Drittens treten sie für Autoritarismus und eine Law-and-Order-Politik ein. Verehrt wird ein Retter bzw. ein charismatischer Führer, der zwischen den Rollen von Robin Hood, also dem Beschützer des Sozialstaats, und strengem Vater oszilliert.
    Viertens unterstützen sie ein traditionelles, christlich(-fundamental)es und/oder konservativ-reaktionäres Weltbild. Dieser Konservativismus geht oft auch mit einem Geschichtsrevisionismus einher: Der Schutz des Vaterlandes oder der Heimat impliziert den Glauben an ein gemeinsames Narrativ der Vergangenheit, in der „wir“ entweder Helden oder Opfer des Bösen waren.

    Gibt es Beispiele für die unterschiedliche Ausprägung dieser Dimensionen unter den rechtspopulistischen Parteien?
    Ich würde sagen, dass bei den RechtspopulistInnen in Österreich, Ungarn, Italien, Rumänien und Frankreich die geschichtsrevisionistische Komponente betont wird. Besonders deutlich sieht man das gerade an der AfD. Sie gewinnt Anhänger, indem sie ein ambivalentes Verhältnis zur deutschen Nazi-Vergangenheit zur Schau stellt.
    In Griechenland, der Schweiz und Großbritannien hingegen beschränken die rechtspopulistischen Parteien ihre Propaganda häufig auf eine angebliche Gefahr für die nationale Identität durch ethnische Minderheiten und MigrantInnen. Andere konzentrieren sich vor allem auf eine angebliche Bedrohung durch den Islam. Das sehen wir deutlich in Holland, Dänemark, Polen, Deutschland, Österreich und Schweden. In den USA unterstützen rechtspopulistische Kräfte hingegen vor allem ein christlich(-fundamental)es, konservativ-reaktionäres und weißes Weltbild.

    Diese Dimensionen spiegeln sich jedenfalls in den Inhalten der FPÖ wider. Durch welche diskursiven Strategien werden diese propagiert?
    Im Prinzip realisiert die FPÖ seit Haiders Aufstieg nach 1989 ihre Inhalte durch dieselben diskursiven Strategien und sprachlichen Mittel. Sie bedient sich einer Rhetorik, die die Welt in Gut und Böse, in „wir“ und „sie“ teilt, indem sie einfache Dichotomien konstruiert. Zu einer solchen dichotomen Weltsicht gehören die Opfer-Täter-Umkehr – zum Beispiel Strache: „Wir sind die neuen Juden“ – und die Sündenbock-Strategie durch Schuldabschiebung.
    Von großer Bedeutung sind auch die Strategien der kalkulierten Ambivalenz und der Provokation. Sie eignen sich für aggressive Kampagnen ebenso wie dafür, die Agenda der Medien zu bestimmen. Der aggressive Kampagnen-Habitus schließt auch die Verwendung von Ad-hominem-Argumenten, also persönlichen Beleidigungen, mit ein. Dazu kommen häufige Strohmann-Trugschlüsse, also gezielte Falschinformationen, gegen die man sich dann wehren kann, oder vorschnelle Generalisierungen wie „alle X sind …“. Unter Rechtfertigungsdruck kommen ambivalente, verharmlosende und unaufrichtige Entschuldigungen vor. Die FPÖ verbreitet aber auch, wie während der Flüchtlingssituation 2015 mehrfach vom ORF aufgedeckt, Lügen und Gerüchte, um „die Anderen“ zu denunzieren und zu dämonisieren – ganz nach dem Motto: „Anything goes!“

    Inwieweit beeinflusst die FPÖ den politischen Diskurs in Österreich?
    Zu beobachten ist momentan eine fortschreitende Normalisierung vieler FPÖ-Inhalte, oft in etwas weicherer Form. Die ÖVP Neu hat beispielsweise fast sämtliche Inhalte betreffend Migration und Flüchtlingspolitik übernommen. Solche Normalisierung war aber schon in der Ära Haider der Fall. Damals hat die Große Koalition, wenngleich mit etwas zeitlichem Abstand, viele Forderungen von Haiders „Österreich zuerst“- Volksbegehrens von 1992/93 in der Fremdengesetzgebung langsam umgesetzt. Ich denke, der Einfluss der FPÖ auf die regierenden Parteien in Österreich wird insgesamt eher unterschätzt. Viele hoffen, durch ein Rechtsüberholen rechtspopulistischer Parteien ihre Zustimmung maximieren zu können. Dies ist aber, wie die letzten 30 Jahre zeigen, nicht der Fall.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin lena.karasz@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Zur Person
    Die
    Sprachwissenschafterin Ruth Wodak  ist „Emerita Distinguished Professor for Discourse Studies“ an der Lancaster University, UK. Außerdem leitet sie ein vom FWF gefördertes, dreijähriges Forschungsprojekt „Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität – 2015“ am Institut für Sprachwissenschaft an der Universität Wien. In ihrem neuesten Buch „Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse“ untersucht sie, wie der europäische Rechtspopulismus im Zentrum der Gesellschaft ankommen konnte. Es ist Wissenschaftsbuch des Jahres 2017.
    Ruth Wodak wurde 1950 in London geboren. Die Diplomatentochter wuchs in Belgrad und Wien auf. Ende der 1960er-Jahre begann sie ihr Studium an der Universität Wien, wo sie 1974 promovierte und 1980 habilitierte. Im Jahr 1991 wurde sie als ordentliche Professorin für Angewandte Sprachwissenschaft an die Universität Wien berufen. Sie wurde mit einer Vielzahl von Preisen ausgezeichnet, im Jahr 2011 wurde ihr das Große Silberne Ehrenkreuz für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Sie hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, darunter an den US-Universitäten Stanford und Georgetown.
    Sie ist Mitbegründerin der kritischen Diskursanalyse, die sich mit dem Verhältnis von Sprache und Macht beschäftigt. Die Forschungsschwerpunkte der deklarierten Feministin reichen von der Identitätspolitik über Vorurteile und Diskriminierungen bis hin zum Rechtspopulismus.

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    Interview: Lena Karasz Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773614765 Sprachwissenschafterin Ruth Wodak im Interview mit Arbeit&Wirtschaft. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773614671 Wie kann man mit PopulistInnen umgehen? Was man nicht machen sollte: PopulistInnen unterschätzen, ihre WählerInnen verteufeln oder Eliten unkritisch verteidigen. Genauso falsch ist es, wenn Parteien oder andere Gruppierungen versuchen, den PopulistInnen Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie deren populistische Parolen oder Herangehensweisen übernehmen oder gar zu überbieten versuchen.

    Ratsam ist es vielmehr, sich möglichst nicht provozieren zu lassen und sich sachlich mit ihnen auseinanderzusetzen. Im persönlichen Gespräch kann man die genannten Muster aufdecken, das Bild der gespaltenen Gesellschaft hinterfragen oder auch die Gesprächsebene wechseln. Nina Horaczek und Walter Ötsch nennen in ihrem Buch „Populismus für Anfänger“ einige Beispiele dafür: „Jetzt spielen Sie schon wieder das Opfer!“, „Was genau meinen Sie mit Volk?“ oder „Jetzt lenken Sie aber ganz gewaltig vom Thema ab!“.

    Ein gutes Mittel ist es auch nachzufragen: „Wie meinen Sie das?“, „Wie definieren Sie den Begriff?“, „Was ist Ihre Lösung für dieses Problem?“.

    Nicht zuletzt sollte man stets die eigenen Inhalte und Positionen in den Vordergrund stellen und zu den eigenen Überzeugungen und Werten stehen.

    Buchtipp
    Walter Ötsch, Nina Horaczek:
    Populismus für Anfänger
    Anleitung zur Volksverführung
    Verlag Westend, 2017
    ISBN: 978-3-86489-196-0
    Bestellung:
    www.besserewelt.at/oetsch-walter-horaczek-nina-populismus-anfaenger

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    Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773614681 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773614651 Coverstory: Wie funktioniert Populismus? Was ist eigentlich dieser Populismus, über den alle reden? Der Begriff Populismus steht für eine bestimmte Art des politischen Handelns, der das Ziel verfolgt, Macht zu erwerben oder zu erhalten. Populismus zeichnet sich durch starke Vereinfachung und emotional aufgeladene Feindbilder aus, vor allem aber durch den konstruierten Gegensatz zwischen zwei klar voneinander abgrenzbaren, jeweils homogenen Menschengruppen. Hier stehen „Wir“, dort „die Anderen“. Während in dem demagogischen Weltbild, das dem Populismus zugrunde liegt, das „Wir“ dem „Volk“ entspricht, hängt die Definition „der Anderen“ vom jeweiligen Zusammenhang ab. So können, wie die Journalistin Nina Horaczek und der Kulturwissenschafter Walter Ötsch schreiben, „die da oben“ (die Elite, die „Systemparteien“ oder die EU) genauso die Rolle der „Anderen“ einnehmen, wie „die da draußen“ (die AusländerInnen, die Moslems, die „Asylanten“) oder „die da unten“ („Wirtschaftsflüchtlinge“, „Sozialschmarotzer“ etc.).

    Der Wille des Volkes
    Populismus funktioniere nicht ohne moralische Dimension, sagt der Politikwissenschafter Jan-Werner Müller. Und diese moralische Dimension ist „der Volkswille“. PopulistInnen tun so, als würden sie eigentlich nur passiv „den Volkswillen“ abbilden: „ER will, was WIR wollen“, formulierte dementsprechend die FPÖ über ihren Obmann Heinz-Christian Strache. In Wirklichkeit erschaffen PopulistInnen „das Volk“ selbst und ersetzen „die wirklichen Volkswillen“ durch „den wahren“ Volkswillen, den sie selbst auf autoritäre Weise bestimmen. „Wir und nur wir repräsentieren das wahre Volk“, lautet ihre Devise. So sagte Donald Trump in der Rede zu seiner Amtseinführung: „Heute ist die Macht ans Volk zurückgegeben worden.“ Das soll nichts anderes heißen als: Wenn Trump regiert, regiert das Volk. Für das „wahre Volk“ steht auch Nigel Farage von der UK Independence Party, der nach dem Brexit-Votum sagte: „A victory for real people.“ Die „echten“ Menschen haben gesiegt, jene 48 Prozent, die in der EU bleiben wollten, gehören nicht dazu.

    „Wir“ und die „Anderen“
    Für das „Wir“ erfinden PopulistInnen das ausschließlich mit positiven Eigenschaften ausgestattete „Volk“ – anständig, ehrlich, fleißig, gut. „Die Anderen“ sind hingegen ausschließlich kriminell, verlogen, faul – oder vereinfacht ausgedrückt: Sie sind böse. Widersprüche gibt es dabei keine: So können AusländerInnen gleichzeitig faul und arbeitsscheu sein und den InländerInnen Arbeits- und Wohnplätze wegnehmen. Wichtig ist vielmehr, dass „die Anderen“ völlig anders sind als „wir“. Nichts verbindet sie und uns. Jede positive Aussage über „die Anderen“ wird vermieden. Keiner von ihnen hat Respekt verdient, ihre Würde wird missachtet, ihre Motive werden ignoriert. Genauso wird jede negative Aussage über das „Wir“ vermieden, weder Absichten noch Handlungen werden hinterfragt. Das „Wir“ ist stets fehlerfrei und makellos.
    Mit den „Anderen“ als Sündenböcken lässt sich alles ganz einfach erklären: Fehlt dem Staat Geld, verursachen Flüchtlinge zu hohe Kosten. Gibt es Gewaltverbrechen, liegt dies an „den Ausländern“ und der „viel zu liberalen Politik“. Fahren PopulistInnen bei Wahlen Misserfolge ein, ist dafür die „Lügenpresse“ verantwortlich. Kommen PopulistInnen unter Druck, konstruieren sie sich als von der „Jagdgesellschaft“ verfolgte Opfer. „Sie sind gegen IHN, weil ER für EUCH ist“, schrieb die FPÖ auf ihre Plakate – im Jahr 1994 war ER Jörg Haider, seit 2008 ist es Heinz-Christian Strache.
    Einige Jahre später trieb Strache die Täter-Opfer-Umkehr mit seinem „Wir sind die neuen Juden“-Sager auf die vorläufige Spitze.

    Das Spiel mit der Angst
    PopulistInnen sprechen gezielt Ängste an, reden eine gefährliche Welt herbei und verstärken Vorurteile. Eine ihrer zentralen Botschaften lautet: Die „Anderen“ sind eine Gefahr für „uns“, sie bedrohen „uns“.
    Dieses Spiel mit der Angst ist nicht neu. Vor mehr als hundert Jahren warnte der glühende Antisemit und einstige Wiener Bürgermeister Karl Lueger: „Groß-Wien darf nicht Groß-Jerusalem werden.“ Im Jahr 2005 plakatierte die FPÖ fast wortgleich, nur mit anderem Feindbild: „Wien darf nicht Istanbul werden.“ Im Jahr 1989, vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, schürten PopulistInnen die Angst vor den Hunderttausenden RumänInnen, die das Land überfluten werden – heute sind es „die Moslems“ oder „die Flüchtlinge“, vor denen das „Volk“ sich fürchten soll. Marine Le Pen vom französischen Front National warnt vor „gigantischen Migrantenwellen, die hier ankommen“, Alexander Gauland von der deutschen AfD vor „menschlicher Überflutung“. Und der Niederländer Geert Wilders schreit zu seinen Anhängern: „Wir befinden uns tatsächlich im Krieg.“
    „Ganz so, als ob es sich um eine Armee handelte, um Soldaten, die uns arme Ohnmächtige niederringen wollten“, sagt die Linguistin Ruth Wodak treffend. Und weil wir uns vor den „Anderen“ fürchten müssen, weil die „Anderen“ uns bedrohen, ist es „unser gutes Recht“, uns zu wehren – gegen „die Ausländer“ genauso wie gegen „die Volksverräter“ und „die Gutmenschen“.

    Die Sprache des Hasses
    Die Sprache der PopulistInnen ist eine Sprache des Hasses. Sie diskreditieren Schutzsuchende, beleidigen politische GegnerInnen und rufen zu Gewalt auf.
    Ein bekanntes Beispiel dafür ist jene öffentliche Ansprache des hochrangigen FPÖ-Politikers und Wiener Vizebürgermeisters Johann Gudenus, in der er sagte: „Dann heißt es bei Bedarf auch ‚Knüppel aus dem Sack‘ für alle Asylbetrüger, Verbrecher, illegale Ausländer, kriminelle Islamisten und linke Schreier.“ Und Gudenus’ Parteikollege Christian Höbart schreibt auf Facebook ähnlich drastisch: „Irgendwelche kulturfernen und ungebildeten Höhlenmenschen und Ziegenhirten (zugespitzt formuliert, aber Ihr wisst, was und wen ich damit meine!) plündern in Wahrheit unsere sozialen Sicherheitssysteme.“
    Wie mit politischen GegnerInnen umgegangen wird, konnte man im Wahlkampf zur Bundespräsidentenwahl 2016 beobachten. Der spätere Verlierer Norbert Hofer beschimpfte Alexander Van der Bellen nicht nur als „Systemvertreter“ und „Befehlsempfänger aus Brüssel“, der „zu viel Kaffee getrunken“ habe, sondern er versuchte ihn auch mehrfach als „vergesslich“ bzw. dement darzustellen.
    Stellen PopulistInnen falsche Behauptungen auf oder erfinden neue Begriffe, wiederholen sie diese so oft, bis sie sich in den Köpfen der Leute festsetzen. Wurde ein Begriff oft genug wiederholt, brauchen PopulistInnen ihn nur zu nennen und er aktiviert im Kopf ein ganzes Begriffsfeld: Sagt ein Populist „Medien“, hören seine Anhänger „Lügenpresse“. Sagt er „Linke“, hören sie „Gutmenschen“ oder „Willkommensklatscher“. Sagt er „Asylanten“, tauchen in ihren Köpfen die Begriffe „Sozialschmarotzer“, „Vergewaltiger“ oder „Terroristen“ auf.

    Falsche Zahlen und Behauptungen
    Um zu beweisen, dass ihre Hetze gegen die „Anderen“ berechtigt ist, arbeiten PopulistInnen mit falschen Zahlen und falschen Behauptungen. Sie aktivieren negative Gefühle, Ängste und Vorurteile, indem sie empörende Einzelfälle aus der konstruierten Gruppe der „Anderen“ schildern und diese dann für die gesamte Gruppe verallgemeinern.
    Dass die dazu präsentierten Zahlen mitunter frei erfunden sind, ist für sie unproblematisch, weil die Zahlen ohne intensive Recherche kaum überprüfbar sind. So hat zum Beispiel Heinz-Christian Strache auf seiner Facebook-Seite bereits mehrmals eine Grafik veröffentlicht, die belegen soll, wie sehr der österreichische Staat AsylwerberInnen gegenüber Einheimischen bevorzugt.
    In Straches Darstellung wird ein Asylwerber mit sechs Kindern mit einem Facharbeiter mit drei Kindern verglichen. Dem Asylwerber werden außerdem Zahlungen aus der Familienbeihilfe zugerechnet, obwohl AsylwerberInnen keine Familienbeihilfe erhalten. Und die Ausgaben der Krankenversicherung werden nur der AsylwerberInnenfamilie in Rechnung gestellt, obwohl ÖsterreicherInnen genauso darauf Anspruch haben.
    Die Zahlen sind falsch, die Botschaft kommt trotzdem an. Das personifizierte Paradebeispiel für falsche und irreführende Behauptungen ist US-Präsident Donald Trump. Niemand lügt nachweislich so viel wie er. Laut Fact Checker der „Washington Post“ verbreitete Trump seit seiner Amtseinführung im Jänner 2017 im Schnitt fünf Unwahrheiten am Tag – schon Anfang August hatte er die Tausendermarke geknackt.

    Die Rolle der Medien
    Qualitätsmedien orientieren sich an Tatsachen, überprüfen Aussagen und Zahlen, und sie stellen kritische Fragen. Für populistische Politik sind sie damit unbrauchbar. Stattdessen werden sie mit Ausdrücken wie „Lügenpresse“ zu Feinden erklärt.
    Ausgewählte Massenmedien hingegen nehmen die Rolle als Partner ein. „Wenn Strache einen normalen Bericht von uns auf Facebook teilt, dann merken wir, das haut die Quote auf das 1,5-Fache hoch. Und umgekehrt kriegt er natürlich auch mehr Traffic, wenn wir ihn pushen“, sagt beispielsweise Richard Schmitt, Chefredakteur von krone.at.
    Um ihre Botschaften noch weiter zu streuen, bauen PopulistInnen zusätzlich eine eigene Medienwelt auf. Darum hat Donald Trump den Leiter des Zentralorgans der rechtsextremen „Alt-Right“-Bewegung, „Breitbart“-Chef Stephen Bannon, in sein Wahlkampfteam geholt. Und auch die FPÖ hat in den vergangenen Jahren ein kleines Medienimperium aufgebaut: Neben ihrer traditionellen Parteizeitung „Neue Freie Zeitung“, der von Andreas Mölzer herausgegebenen Wochenzeitung „Zur Zeit“ und dem freiheitlichen Monatsmagazin „Aula“ gibt es seit 2015 bzw. 2016 im FPÖ-Umfeld zwei neue Printprodukte: die Zeitschriften „Info-Direkt“ und „Wochenblick“ – beide haben ihren Sitz in Oberösterreich und beide haben trotz personeller Überschneidungen offiziell nichts mit der FPÖ zu tun.
    Schon im Jahr 2012 startete die FPÖ ihr eigenes Internetfernsehen: FPÖ TV konzentriert sich auf Jubelmeldungen über die eigene und Negativberichterstattung über andere Parteien. Und seit 2009 ist die unter anderem von FPÖ-Politiker Martin Graf gegründete Website unzensuriert.at online, auf der die FPÖ inseriert und deren Inhalte von FPÖ-PolitikerInnen gerne auf Facebook geteilt werden.
    Ihr mediales Netzwerk nutzen PopulistInnen gerne, um mehr direkte Demokratie zu fordern. Dabei geht es ihnen in Wahrheit nicht um „mehr“ Demokratie, sondern um eine „andere“, populistischere Demokratie.
    Direktdemokratische Entscheidungen wie Volksentscheide lassen sich zum einen sehr viel schwerer korrigieren als Parlamentsbeschlüsse – man denke an die Brexit-Abstimmung –, aber Volksbefragungen, Volksabstimmungen und Referenden bringen PopulistInnen auch etwas, bevor sie überhaupt stattfinden. Nämlich: Abstimmungskampagnen.
    Derartige Kampagnen zu fahren fällt PopulistInnen wesentlich leichter, als normale Parlaments- oder gar Regierungsarbeit zu leisten. Mit Abstimmungskampagnen können PopulistInnen Druck aufbauen – Druck auf die Regierung, wenn sie in der Opposition sind, Druck auf Regierungspartner, wenn sie in einer Koalition regieren.

    Feinde der Demokratie
    Sind PopulistInnen an der Macht, richten sie diese Macht ganz schnell darauf aus, eigene, antipluralistische Gesetze und Verfassungen zu erlassen, um die Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken. Den „Volkswillen“ versuchen sie dann möglichst schnell auszuhebeln, die Demokratie und ihre Institutionen autoritär umzubauen. Anschauliche Beispiele sind die jüngsten politischen Entwicklungen in Ungarn, Polen oder in der Türkei.
    Populistische Bewegungen sind autoritär, stehen unter der direkten Leitung einer Gruppe oder Einzelperson. An der Ausweitung der Partizipation haben PopulistInnen keinerlei Interesse. Denn PopulistInnen sind Feinde der Demokratie.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor dietmar.meister@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Dietmar Meister Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773614635 Stellen PopulistInnen falsche Behauptungen auf oder erfinden neue Begriffe, wiederholen sie diese so oft, bis sie sich in den Köpfen der Leute festsetzen. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773614640 Wurde ein Begriff oft genug wiederholt, brauchen PopulistInnen ihn nur zu nennen und er aktiviert im Kopf ein ganzes Begriffsfeld. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773614645 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773614600 Das 1, 2, 3 des Populismus

    Alle Infos finden Sie anbei zum Downloaden.

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    Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773614583 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773613886 AK: Die verborgenen Super-Reichen Bisher wurde das Gesamtvermögen privater Haushalte in Österreich mit 998 Milliarden Euro beziffert. Es liegt allerdings deutlich höher, wie Forscher der Universität Linz im Auftrag der AK berechnet haben, nämlich bei 1.317 Milliarden Euro. Somit wuchs das Gesamtvermögen durch die Hinzuschätzung der fehlenden Reichen im Datensatz um 319 Milliarden Euro. Das Durchschnittsvermögen steigt unter der Berücksichtigung vorher nicht erfasster reicher Haushalte von 258.000 auf 341.000 Euro.

    Der Hintergrund: Erst seit wenigen Jahren bringt eine Erhebung der Oesterreichischen Nationalbank deutlich mehr Transparenz in die Vermögensverteilung in Österreich. Eine besondere Schwierigkeit ist dabei die korrekte Erfassung sehr vermögender Haushalte, da diese nur in kleinem Umfang befragt werden und darüber hinaus die Teilnahme an der freiwilligen Erhebung eher verweigern. Ein Team rund um Jakob Kapeller von der Universität Linz hat eine statistische Hochschätzung für diese fehlenden reichen Haushalte in der zweiten Welle der ÖNB-Erhebung vorgenommen. Ergebnis: Die Vermögenskonzentration ist noch höher als bisher vermutet.

    Interessant ist vor allem das reichste ein Prozent: Dieses besitzt in Österreich rund 40,5 Prozent des gesamten privaten Vermögens. Im Durchschnitt bedeutet das ein Nettovermögen von 14 Millionen Euro pro Haushalt. Das Gesamtvermögen des reichsten Prozents liegt bei 534 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die „unteren“ 90 Prozent besitzen zusammen etwa 34,2 Prozent des Vermögens, also weniger als das reichste ein Prozent allein.
    Die Vermögenskonzentration ist schon in den unbereinigten Rohdaten erschreckend und erfordert rasches Handeln. Die Hochschätzung zeigt lediglich, dass die Realität noch bei Weitem schlimmer ist. Wir brauchen wieder eine Gerechtigkeitsdiskussion darüber, wie privates Vermögen in Österreich verteilt sein soll. Die AK verlangt ergänzend zum Bericht zur Armutsgefährdung einen umfassenden Reichtumsbericht der Bundesregierung, der regelmäßig dem Parlament und der Öffentlichkeit vorgelegt wird.
    Vermögens- und Erbschaftssteuern sind unumgänglich, denn die Finanzierung des gemeinsamen Wohlfahrtsstaates braucht einen fairen Beitrag der Reichsten. Um verlässlichere Daten als in der Vergangenheit zu erhalten, muss es zudem eine Teilnahmeverpflichtung an den Haushaltserhebungen der EZB geben.

    Mehr Infos: tinyurl.com/ybs7rgxm

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    Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773613875 Frisch gebloggt Thinktank AK: Wissen ist Macht 
    Brigitte Pellar

    Im sogenannten Vertrauensindex nimmt die Arbeiterkammer seit Jahren eine Spitzenposition unter den Institutionen ein. Nur die Polizei genießt bei der Bevölkerung ein ähnlich hohes Ansehen. Zentrale AK-Leistungen wie Service und Beratung sind vielen Menschen aus persönlicher Erfahrung bekannt. Dennoch fordern einige politische Parteien die Senkung oder Abschaffung der gesetzlichen Mitgliedsbeiträge. Warum? Die Erklärung liegt in den gegensätzlichen Interessen, die in unserer Gesellschaft herrschen. Das geballte ExpertInnenwissen der AK zu zentralen sozialen, wirtschaftlichen und juristischen Fragen ist Teilen der Wirtschaft ein Dorn im Auge. Denn dieses Wissen ist Macht – und ein wichtiges Instrument, um Privatisierungswellen oder Sozialabbauprojekte wie Pensionskürzungen oder Hartz IV zu verhindern. Durch eine Umlage-Senkung könnte man diese wichtige Schutzfunktion kaputtsparen. Wer also die AK schwächt, hat nicht weniger als unseren Sozialstaat und die soziale Sicherheit im Visier. 
    Lesen Sie mehr:  tinyurl.com/ycta4j8t

    Solidarität als Merkmal menschlicher Gesellschaften 
    Karl Brandstetter

    Wie gerecht (oder ungerecht) geht es in unserer Gesellschaft zu? Viele Ansätze sehen Gerechtig-keit untrennbar mit der Frage nach Gleichheit verbunden. Es geht sozusagen um eine gerechte Handhabe der Ungleichheit. Diese kann viele Gesichter haben – und betrifft etwa die Verteilung von Einkommen und Vermögen oder Kategorien wie Geschlecht, Gesundheitszustand, Alter oder Bildung. Anders als in einem rechtsfreien Urzustand, wo nur das Recht der/des Stärkeren gilt, ermöglicht das Zusammenleben in einer menschlichen Gesellschaft die kollektive Gestaltung der gemeinsamen Lebensgrundlagen. Dieser Gesellschaftsvertrag bringt für das Individuum sowohl soziale Rechte als auch soziale Pflichten mit sich. Unterm Strich garantiert er auf diese Weise ein Mindestmaß an Freiheit und Sicherheit – für alle. Die Überlegungen des Philosophen John Rawls erklären das Prinzip Solidarität und warum ein Angriff auf Solidarsysteme im krassen Widerspruch zu den Grundlagen der menschlichen Zivilisation steht.  
    Lesen Sie mehr:  tinyurl.com/y7psy3rk

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    Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1489028418783 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773613866 "Nicht zuletzt" ... Alarmsignal Sekretär des ÖGB, Leiter Bereich Organisation, Koordination, Service]]> Der Wahlkampf ist im Finale zu einer Schlammschlacht mit gegenseitigen Klagsdrohungen und Beschuldigungen verkommen. Eine Situation, bei der man es niemandem verdenken kann, wenn er oder sie einfach angewidert den Kopf wegdreht.
    Der Schaden, der hier an der Politik und letztendlich an der Demokratie angerichtet wurde, ist, jetzt einige Tage nach der Wahl, noch gar nicht abzusehen.

    Dirty Campaigning
    Noch nie wurden in Österreich die Schattenseiten des „Dirty Campaigning“ – die Zeit der Demagogen und Politsöldner – so augenscheinlich wie jetzt. Es hat Wirkung gezeigt: Die politische Kultur und die öffentliche Diskussion leiden darunter.
    Unsere politische Landschaft ist im Umbruch. Die Bindungen zu Vorfeldorganisationen und Parteien werden immer schwächer. Traditionelle Politik mit ihrer herkömmlichen Kommunikation versagt.
    Wir überlassen es gerade den PopulistInnen, jene Menschen „einzusammeln“, die sich nicht mehr an große Organisationen gebunden fühlen. Jene Menschen, die mit der zunehmenden Komplexität einer modernen kapitalistischen Welt konfrontiert und damit auch oft überfordert sind.
    „Die größte Chance für Populisten tritt dann ein, wenn ganze Bevölkerungsteile gesellschaftspolitisch obdachlos werden.“
    Lawrence Goodwyn

    Populistische Strömungen sind ein Protest gegen etablierte Parteien. Gerade in unserer gewerkschaftlichen Zielgruppe ist es ein Misstrauen gegen die akademische Schicht, gegen gesellschaftliche und wirtschaftliche Eliten und gegen soziale Ungleichheit.
    Vielleicht könnte man Populismus sogar als „unser schlechtes Gewissen“ betrachten. Im positivsten Sinn ein Alarmsignal, das auf eine Krise der etablierten Politik hinweist, auf einen Mangel von guter und professioneller Kommunikation „zwischen denen da oben“ und „dem Volk“. Also ein Aufschrei des Misstrauens und der Unzufriedenheit.
    Vielleicht ist Populismus so etwas wie ein Albtraum für die herkömmliche Politik, für die Reformpolitik der Mitte, für die Politik der Koalitionen und die Politik der „faulen“ Kompromisse.

    Populismus als Revolte
    Vielleicht ist der Populismus als Revolte gegen eine wissensorientierte Zukunftsvorstellung zu verstehen. Als Ablehnung gegen eine globale Zukunft, der viele unvorbereitet und verunsichert entgegensehen. Oder ein Aufschrei gegen die Zukunftsvorstellung des lebenslangen Lernens, das viele als lebenslangen Zwang erleben; gegen eine Zukunft, die sich einer leistungs- und wissenschaftsorientierten Wirtschaft verschrieben hat, in der der Zwang zur Flexibilität und die Logik des Marktes vorherrschen.
    Viele Menschen fühlen sich diesen Entwicklungen gegenüber überfordert und schutzlos ausgeliefert. Der Populismus lehnt sich dagegen auf. Vielleicht umso erfolgreicher, weil wir den Menschen oft nur sagen „das ist unsere einzig mögliche Zukunft“, weil wir keine Alternativen aufzeigen, keine Gegenentwürfe zu dieser rein der Vernunft des Kapitals unterworfenen Welt vorlegen.

    Tiefe Kluft
    Weil die Argumentation der politischen Mitte auf eine tiefe Kluft zwischen den GewinnerInnen und den VerliererInnen der Modernisierung abzielt, auf die Kluft zwischen ZukunftsoptimistInnen und ZukunftspessimistInnen. Eine Kluft, die hingenommen wird.
    Dadurch entsteht eine Trennlinie zwischen gesellschaftlichen Gruppen, zwischen jenen, die die Zukunft willkommen heißen, und denen, die die Zukunft fürchten. Unsere politische Positionierung in diesen Fragen wird also über die Zukunft des Populismus entscheiden!

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    Willi Mernyi, Sekretär des ÖGB, Leiter Bereich Organisation, Koordination, Service Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773613836 Willi Mernyi, Sekretär des ÖGB, Leiter Bereich Organisation, Koordination, Service http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773613757 Historie: Agitatoren und Agitatorinnen Sie hungerten und froren mit ihren „Zielgruppen“, sie mussten ständig mit Verhaftung rechnen. Sie, das waren die Männer und Frauen, die als AktivistInnen der frühen ArbeiterInnenbewegung durch die Länder der Habsburgermonarchie reisten, um die ArbeiterInnen für die Sache des Sozialismus und den Kampf für ihre Gleichberechtigung zu gewinnen und um sie bei Streiks zu unterstützen.

    Josef Hannich, ein sozialdemokratischer Reichsratsabgeordneter aus Böhmen, zeichnete das „Profil“ eines solchen Agitators am Beispiel des 1840 geborenen Josef Krosch: Dieser Tuchmachergeselle … sprach klar, kurz und feurig … Er war groß von Wuchs und hatte überhaupt ein sehr einnehmendes Äußeres. Rücksichten kannte er im Kampfe um die Interessen der Arbeiterschaft keine, und er nahm auch keinerlei Rücksicht, weder auf sich noch auf Andere. Dass er, als die Bewegung ernst wurde, aus der Arbeit entlassen wurde, ist schon erwähnt worden ... Überdies ging es mit seinem Kehlkopf- und Lungenleiden … rasch bergab. Er hätte sich schonen mögen und sollen, doch er tat es nicht. Er hatte sich dem harten Kampfe für die Erlösung der Arbeiterschaft … gewidmet und er hat in diesem Kampfe ausgehalten!

    Die sozialdemokratische Frauenorganisatorin Adelheid Popp ordnete den aus ihrem Arbeiterinnen-Bildungsverein hervorgegangenen Agitatorinnen ganz ähnliche Eigenschaften zu:
    Die wichtigste Voraussetzung für die Tätigkeit der Partei in den Anfangsjahren war ein heißes Herz für die Leiden der anderen und ein halbwegs klarer Kopf, um die Umwelt beurteilen zu können.
    Diese Aktivistinnen kamen alle selbst aus der Arbeiterschaft. Sie sprachen die Sprache ihrer ZuhörerInnen auf Marktplätzen und in Versammlungslokalen, aber sie redeten ihnen im Gegensatz zu den PopulistInnen des 21. Jahrhunderts nicht nach dem Mund. Ganz im Gegenteil, ihnen ging es darum, dass die ArbeiterInnen die Mechanismen zu durchschauen lernten, die sie zu Menschen zweiter Klasse degradierten, um sich gegen sie auflehnen zu können.
    Im Interesse ihrer Aufklärungstätigkeit bildeten sie, die im besten Fall acht Klassen Volksschule besucht hatten, sich im Selbststudium laufend weiter. Über den Agitator Krosch schrieb Josef Hannich, er hatte sich eine literarische Bildung und politische Schulung angeeignet, um die ihn mancher Bourgeois, dem die Tore der Mittel- und Hochschule offen waren, beneidet hätte.

    Und Adelheid Popp betonte die Bedeutung der ersten ArbeiterInnenbüchereien:  wertvoll war für die Redner die Bibliothek des Arbeiter-Bildungsvereines in Gumpendorf. Auch der Arbeiterinnen-Bildungsverein richtete sich eine Bücherei ein mit den wichtigsten Broschüren, die für die Agitation notwendig waren.
    Einsatzbereitschaft und Fähigkeiten waren also reichlich vorhanden, nicht aber finanzielle Mittel. Anna Boschek, die Vertreterin der Frauen in der Gewerkschaftskommission, musste es zum Beispiel auf sich nehmen, vier Wochen lang ununterbrochen Versammlungen abzuhalten, um die Spesen, die entstanden, für die einzelnen Gebiete zu verringern.

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar 
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1507773613645 Im Jahr 1885 etwa wehrten sich TextilarbeiterInnen in Brünn/Bruno gegen brutale Arbeitsbedingungen. Sie wurden von illegal weiter aktiven "Agitatoren" unterstützt. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Mon, 16 Oct 2017 00:00:00 +0200 1507773613638 Standpunkt: Auf dem Rücken der Schwachen Die Begrifflichkeiten des Rechtspopulismus, der das „Volk“ beschwört, das sich gegen „Volksfeinde“ wehren müsse, erinnern nicht umsonst an den Nationalsozialismus. In diesem System wurde diese Vorstellung auf eine mörderische Spitze getrieben. Diesen Zusammenhang herzustellen gilt inzwischen als verpönt, denn das moralische Beschwören hat nicht zum erhofften Erfolg geführt: Das Tabu konnte nicht aufrechterhalten werden, vielmehr wurde es von RechtspopulistInnen lustvoll gebrochen und mit dem Begriff der „Nazi-Keule“ belegt.
    In der Tat ginge es zu weit, würde man die heutigen Verhältnisse mit jenen der Weimarer Republik oder des Austrofaschismus vergleichen oder RechtspoulistInnen mit Nazis gleichsetzen. Auch hat sich gezeigt, dass der moralische Impuls allein nicht reicht, um rechten Gruppierungen zu begegnen. Dennoch scheint mir der Hinweis auf die Geschichte enorm wichtig – im Sinne einer Verantwortung, die wir zu tragen haben.

    Rassistischer Unterton
    Neuerdings ist wieder viel von den „Sorgen und Ängsten“ der WählerInnen von rechtspopulistischen Parteien die Rede, die ernst genommen werden müssten. Es mutet sehr seltsam an, wenn Sorgen und Ängste erst dann wahrgenommen werden, wenn sie mit rassistischem Unterton daherkommen. Wenn dieses „Ernstnehmen“ zudem bedeutet, dass sich andere Parteien den Positionen der RechtspopulistInnen annähern oder sie gar übernehmen, ist dies gefährlich. Denn so gibt man der Agenda der PopulistInnen recht: Nicht die soziale Ungleichheit, die größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich, die wachsende Armut, der Mangel an Chancengleichheit in Bildung und damit am Arbeitsmarkt sind das Problem – vielmehr sind es „die Ausländer“.
    RechtspopulistInnen in Österreich haben die politische Agenda bereits erfolgreich beeinflusst. Entgegen jeglichen Fakten wird etwa behauptet, die Zuwanderung in den Sozialstaat sei eine Gefahr. Die einfache Lösung: Wenn man keine MigrantInnen mehr hereinlässt, ist der Sozialstaat gerettet. Dass jene, die dies propagieren, den Sozialstaat auch dann weiter beschneiden wollen, wenn kein/e AusländerIn mehr die Grenze überschreitet, wird ignoriert.
    Dazu kommt eine eigenwillige Selbstkritik, man habe das „Problem der Integration“ bisher unterschätzt. So scheint man es sich schönzureden, wenn man fremdenfeindliche Propaganda übernimmt, statt eine offene Debatte über Integration zu führen – oder darüber, in welcher Gesellschaft wir leben wollen: Ist es eine, in der alle Menschen faire Chancen haben, egal welcher sozialen oder ethnischen Herkunft sie sind, egal welches Geschlecht sie haben?
    Keine Frage, es ist unpopulär, über Verteilungs- oder Chancengerechtigkeit zu sprechen. Dass auch der Westen Verantwortung für die Fluchtbewegungen auf der Welt hat, weil unser Reichtum auf Kosten der Menschen in anderen Regionen geht. Dass der Reichtum von wenigen auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung geht. Dass auch die Wirtschaft von einer gerechten und solidarischen Gesellschaft profitiert. Aber auch wenn es unpopulär sein mag: Es ist dringend nötig.

    Gerechte Gesellschaft
    Herrschaftskritik, Gesellschaftskritik, Medienkritik: Sie sind in einer Demokratie unabdingbar. RechtspopulistInnen üben diese – allerdings nur scheinbar. Denn ihr Ziel ist es nicht, die kritisierten Zustände zu verbessern, vielmehr haben sie zerstörerische Absichten.
    Leider haben sie Erfolg, denn die gesellschaftliche Stimmung ist angespannt bis aggressiv. Dies zu ändern ist harte Arbeit. Aber sie ist dringend nötig, denn die gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen sind enorm und die in Österreich lebenden Menschen haben es verdient, dass dafür konstruktive Lösungen im Sinne einer gerechten Gesellschaft gefunden werden.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 8/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354414786 AK: Mindestlohn tut nicht weh! Das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO hat in einer neuen Studie die Effekte der Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes in Österreich auf die Personen- und Haushaltseinkommen und auf deren Verteilung untersucht. „Die Ergebnisse zeigen klar: Der Mindestlohn wird der Wirtschaft Österreichs keinen Schaden zufügen, dafür wird er bei den Betroffenen, die künftig mehr bezahlt bekommen, die Einkommen erhöhen. Somit steigt auch der Konsum im untersten Einkommensdrittel“, sagte Markus Marterbauer, Chef-Ökonom der Arbeiterkammer.
    Insgesamt stiegen die Gesamteinkommen unselbstständig Erwerbstätiger um 910 Millionen Euro. Die Beschäftigung würde letztlich ganz leicht sinken, aber knapp 300.000 ArbeitnehmerInnen wären bessergestellt. Rund zwei Drittel davon sind Frauen, ein Drittel Männer. Dafür wäre der Lohnanstieg bei Männern höher als bei den Frauen. Vom Mindestlohn profitieren außerdem junge Menschen und Personen mit maximal Pflichtschulabschluss stärker, deren Löhne zuletzt schwächer gewachsen sind.

    Am meisten profitieren Beschäftigte in den typischen Niedriglohnsektoren Handel und Gastronomie, in denen mehr als ein Drittel der Betroffenen arbeitet. Dass die statistisch erfassten GeringverdienerInnen nach Einführung eines Mindestlohnes mehr verdienen, liegt auf der Hand. Interessanter ist daher der simulierte Effekt auf die Gesamtwirtschaft, den die Studienautoren berechnen. „Dass – entgegen mancher Horrorszenarien – kaum nennenswerte Effekte auf den Arbeitsmarkt zu erwarten sind, passt gut in das internationale Bild. Auch in Deutschland und den USA hatte der Mindestlohn nur sehr geringe Auswirkungen auf die Beschäftigung“, so Marterbauer. In Deutschland hat die Einführung des Mindestlohns 2015 zu keinem Rückgang der Arbeitsplätze geführt. Im Gegenteil: Die deutsche Wirtschaft wächst und die Arbeitslosigkeit liegt jetzt auf einem Rekordtief, unter anderem wegen dem höheren Konsum aus starken Lohnabschlüssen. Nicht zuletzt sinkt die Armutsgefährdung bei konstanter Armutsschwelle um bis zu 31.000 Personen, auch die Zahl der arbeitenden Armen (Working Poor) geht zurück. Und die Verteilung wird etwas gleicher. „Für die Betroffenen selbst sind die Auswirkungen also höchst positiv, und der Wirtschaft tut ein Mindestlohn mit Augenmaß – wie ihn die Gewerkschaft fordert – nicht weh“, sagt Marterbauer.

    Mehr Infos: tinyurl.com/y9pvbhtl

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    Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354414783 GPA-djp/vida | Pflege: Attraktives Berufsbild schaffen Das Thema Pflege lässt niemanden kalt – nicht nur bei den ÖsterreicherInnen selbst, sondern auch im laufenden Wahlkampf sorgt es für hitzige Diskussionen. Dabei liegt der Schwerpunkt meist auf Finanzierungs-, Organisations- und Kompetenzfragen. Gerne übersehen wird, dass der Schlüssel für eine gute Pflegeversorgung darin liegt, ob es gelingt, ausreichend gut qualifiziertes Personal für diesen Bereich zu gewinnen. Die Arbeitgeber des privaten Pflegebereichs (Sozialwirtschaft Österreich) haben gemeinsam mit vida und GPA-djp konkrete Vorschläge präsentiert, wie hochwertige Pflege und attraktive Arbeitsbedingungen in Zukunft gesichert werden können.
    Zu einem attraktiven Berufsbild gehört auch eine attraktive Bezahlung. Die öffentliche Hand ist massiv gefordert, die Finanzierung der Pflegeleistungen auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sicherzustellen, erklärte der Vorsitzende der GPA-djp, Wolfgang Katzian: „Eine langjährige Forderung der Gewerkschaften war die Abschaffung des Pflegeregresses. So sehr wir dessen Abschaffung begrüßen, stellt sich umso mehr nun die Frage, wie qualitativ hochstehende Pflege dauerhaft finanziert werden kann. Was keinesfalls passieren darf, ist, dass fehlende Gelder über stagnierende Löhne und Gehälter der Beschäftigten oder schlechtere Arbeitsbedingungen hereingebracht werden. Die berechtigten Bedürfnisse der zu Pflegenden können nicht auf dem Rücken der Pflegerinnen und Pfleger ausgetragen werden.“

    Willibald Steinkellner, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft vida, betonte, dass der derzeitige Mindestpflegepersonalschlüssel alles andere als ein gutes Rüstzeug für eine zukunftsorientierte Altenarbeit im 21. Jahrhundert bietet. Er entspricht schon lange nicht mehr den tatsächlichen Herausforderungen, so der vida-Gewerkschafter: „Die Personalbedarfsberechnung muss gesetzlich verankert werden. Sie soll allen Betreibern von Gesundheits- und Sozialeinrichtungen die Mindestanzahl und die Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zwingend vorschreiben. Nur so können wir Mindeststandards und faire Arbeitsbedingungen sicherstellen. Die Realität sieht derzeit so aus, dass es prinzipiell zu wenig Personal in der Pflege gibt. Viele stoßen an ihre Belastungsgrenze. Die Ausfälle durch beruflich bedingte Krankheiten und Burn-out steigen.“ Steinkellner ergänzte, dass es auch in puncto Bezahlung für die wertvollen Tätigkeiten noch einiges an Luft nach oben gibt.

    Mehr Infos: tinyurl.com/y9h6797o

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    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354414770 Frisch gebloggt AK-Rechtsschutz: Warum eigentlich? 
    Martin Risak

    Der Rechtsschutz der Arbeiterkammern ist ein wesentliches Mittel zur effektiven Durchsetzung von Ansprüchen der ArbeitnehmerInnen. Um vor Gericht nicht nur formale, sondern auch echte Chancengleichheit herzustellen, braucht es Vorkehrungen. Denn es macht einen Unterschied, über welche finanziellen Mittel jemand verfügt oder welchen sozialen Status er oder sie hat. Der Rechtsschutz der Arbeiterkammern verhilft dem einzelnen AK-Mitglied und damit einem Großteil der ArbeitnehmerInnen zur Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche. Damit trägt er wesentlich zum Funktionieren der Arbeitsrechtsordnung bei – und gewährleistet die individuelle und kollektive Interessenvertretung. Ein funktionierendes Gerichtswesen fördert neben der Durchsetzung der individuellen Ansprüche auch die darüber hinausgehenden Gemeinschaftsinteressen wie Rechtsfrieden und sozialen Frieden. Dies wird dadurch gewährleistet, dass allen klar ist, dass Rechtspositionen im Zweifel auch gerichtlich durchgesetzt werden können – und damit wird deutlich, dass ein Rechtsbruch nicht ohne Konsequenzen bleibt. Dabei ist nicht zu unterschätzen, dass allein schon der gesetzliche Anspruch auf Rechtsschutz und eine Klagsandrohung zu rechtskonformem Verhalten anleiten können. Lesen Sie mehr:  tinyurl.com/y9coyuv4

    Mehr Mitte! Wie bitte? 
    Julia Hofmann

    Zuletzt taucht ein Begriff wieder vermehrt in politischen Diskussionen auf, die „Mitte“. Eine Definition ist nicht ganz einfach, manche orientieren sich am Einkommen, andere beziehen Beruf oder Aspekte der Lebensführung mit ein. Einfacher ist eine Abgrenzung nach „oben“: Reiche können – im Gegensatz zur Mittelschicht – von ihrem Vermögen leben. In spezifischen Lebenssituationen wie Krankheit, Unfall, Jugend oder Alter sind sie nicht auf sozialstaatliche Leistungen angewiesen. Die Mehrheit der ÖsterreicherInnen wünscht sich eine Gesellschaft mit einer breiten Mittelschicht. Und der Großteil der Menschen zählt sich auch zur „Mitte“. Diese ist keine exakte Größe, dient jedoch weiten Teilen der Bevölkerung als integrative Projektionsfläche. Die Vorstellung einer mehr oder weniger homogenen Mittelschicht verschleiert Einkommensunterschiede oder die wachsende Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Eine „Gesellschaft der Mitte“ ist aber eben keine mit massiven sozialen Spaltungen, sondern eine des sozialen Ausgleichs. Das politische Fundament dafür bilden ein gut ausgebauter Sozialstaat, gute und stabile Arbeitsverhältnisse, die Einführung von Vermögens- und Erbschaftssteuern und gleiche Chancen auf ein gelingendes Leben.  
    Lesen Sie mehr:  tinyurl.com/y9kmaxyh

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    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354414532 Wie viel ist zu viel? Es muss nicht gleich das viel zitierte Burn-out sein oder ernsthafte Herz-Kreislauf-Probleme: Beschäftigte, die regelmäßig mehr als 40 Stunden arbeiten, fühlen sich deutlich häufiger matt oder erschöpft. Auch Beschwerden wie Herzrasen, Druck auf der Brust, Augenbrennen oder Magenbeschwerden kommen öfter vor als bei den KollegInnen, die weniger arbeiten. An der Spitze der Überstunden-Beschwerden stehen Muskelverspannungen im Schulter- und Nackenbereich: 67 Prozent der VielarbeiterInnen leiden darunter. Bei bis zu 40 Wochenstunden sind es 58 Prozent.

    Wohlbefinden der Beschäftigten

    Vor fast 20 Jahren, im Februar 1998, wurde in Frankreich eine Arbeitszeitreform beschlossen, die schrittweise zur 35-Stunden-Woche führen sollte. Über die Auswirkungen dieser Arbeitszeitverkürzung auf den Arbeitsmarkt wird nach wie vor heftig diskutiert, mittlerweile arbeiten französische ArbeitnehmerInnen 40,5 Stunden. Doch wenn es nach dem Wohlbefinden der Beschäftigten gehen sollte, so wäre die 35-Stunden-Woche besser: Im Jahr 1999 wurden in einigen Betrieben, die bei vollem Lohnausgleich von 39 auf 35 Stunden reduziert hatten, die Beschäftigten befragt. 85 Prozent empfanden die Verkürzung der Arbeitszeit als persönliche Verbesserung. Ein interessanter Nebenaspekt: Weniger Männer rauchten. Die positiven Effekte von Arbeitszeitverkürzungen werden nicht selten als graue Theorie abgetan, denn weniger Wochenstunden bedeuten zwar mehr Freizeit, aber unter Umständen am Arbeitsplatz auch mehr Druck durch Verdichtung und Beschleunigung. Trotz aller Kontroversen gibt es eindeutig positive Effekte. Eine aktuelle schwedische Studie erforschte die Veränderungen in puncto Schlafqualität in einer Art Feldversuch: Rund 350 Beschäftigte im öffentlichen Sektor reduzierten 18 Monate lang ihre Arbeitszeit um 25 Prozent (bei vollem Lohnausgleich). Ihre Schlafqualität verbesserte sich, Schläfrigkeit und Stressempfinden reduzierten sich deutlich, und zwar sowohl an Arbeitstagen als auch in der Freizeit. Diese Effekte hielten auch Monate danach an.
    Auch in einem Pflegeheim in Göteborg wollte man beweisen, dass kürzere Arbeitstage tatsächlich funktionieren. Deshalb versuchte man es dort für zwei Jahre mit dem 6-Stunden-Tag. Die Effekte waren durchwegs positiv: Krankenstände wurden um zehn Prozent reduziert, das persönliche Gesundheitsgefühl der Pflegebeschäftigten stieg beträchtlich, und auch die Menschen im Pflegeheim fühlten sich besser betreut. Zwar mussten zusätzlich 15 Pflegekräfte eingestellt werden, die rund 630.000 Euro im Jahr kosteten. Rund die Hälfte dieser Ausgaben wurde allerdings durch den Rückgang bei den Krankenständen und Ausfallszeiten kompensiert.
    Aktuelle Daten zu den positiven gesundheitlichen Auswirkungen von derart verkürzten Arbeitszeiten ohne Einkommenseinbußen sind begreiflicherweise spärlich, denn in der Regel erfolgen diese stufenweise und langsam. Deutlich mehr Untersuchungen gibt es zu den Effekten von Überstunden und langen Arbeitszeiten. Im Jahr 2010 ergab eine finnische Langzeitstudie mit mehr als 6.000 Büroangestellten im Alter von 35 bis 55: Wer elf oder mehr Stunden täglich arbeitete, hatte ein um 60 Prozent höheres Risiko für schwerwiegende Herzprobleme als KollegInnen mit 8-Stunden-Tagen. Diese Ergebnisse sind bereits um Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht etc. bereinigt.

    Vielfältige Risiken

    In Deutschland beschäftigte sich der Fehlzeiten-Report mit „Gesundheit in der flexiblen Arbeitswelt“. Die Ergebnisse:

    • Beschäftigte mit irregulären und komprimierten Arbeitszeiten (z. B. in 10-Stunden-Schichten) haben um bis zu 40 Prozent mehr Gesundheitsbeeinträchtigungen als Beschäftigte mit regulären Arbeitszeiten.
    • Eine zusätzliche Belastung durch Bereitschaftszeiten entsteht, wenn das Arbeitsaufkommen in der Bereitschaftszeit in der Arbeitszeitplanung nicht berücksichtigt wird.
    • Wer nach einem 12-Stunden-Arbeitstag nach Hause fährt, hat ein doppelt so hohes Unfallrisiko wie nach acht Stunden. Verstärkend wirken besonders fordernde, anstrengende Arbeitsbedingungen, unter anderem Nachtarbeit.

    Gut erforscht sind die gesundheitlichen Risiken durch Schicht- und Nachtarbeit. Egal ob Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder Verdauungsprobleme: Gesundheitliche Beschwerden sind bei Beschäftigten mit Schichtdienst schon ohne Mehrarbeit deutlich häufiger. Überstunden sind für diese Gruppe daher besonders belastend. Die jüngste Befragung „Gesundheitsrisiko Arbeitsplatz“ der Statistik Austria bestätigt, dass lange Arbeitszeiten die Psyche enorm belasten. Je mehr Überstunden geleistet werden, desto höher ist der Anteil der Erwerbstätigen mit mindestens einer psychischen Belastung. Bei Beschäftigten mit zehn oder mehr geleisteten Überstunden im Vormonat der Befragung gaben beinahe sieben von zehn Personen zumindest eine psychische Belastung in ihrer Arbeit an.
    Ende 2016 veröffentlichte FORBA den Forschungsbericht „Flexible Arbeitszeiten – die Perspektive der ArbeitnehmerInnen“, in dem auch die Effekte von Überstunden untersucht wurden:

    • Befragte, die mindestens einmal pro Woche mehr als zehn Stunden arbeiten, geben doppelt so häufig arbeitsbedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen an wie Personen, die nie länger als zehn Stunden arbeiten.
    • Mit zunehmendem Alter steigt die Belastung: 42 Prozent der über 50-Jährigen, die mehrmals pro Monat mehr als 50 Wochenstunden arbeiten, sehen einen Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und (starker) gesundheitlicher Beeinträchtigung. Bei den 16- bis 35-Jährigen sind das nur 24 Prozent.

    Durchhalten bis zur Pension?

    Für Mehrarbeit und Überstunden gibt es neben finanziellen Motiven viele Gründe: Man identifiziert sich mit den Zielen des Unternehmens, verspricht sich bessere Karrierechancen, langfristige Projekte müssen abgeschlossen werden, KollegInnen fallen für längere Zeit aus etc. Nicht selten ist es auch Teil der Firmenkultur, seine Leistungsfähigkeit und Einsatzbereitschaft durch Sitzfleisch zu beweisen und die in All-in-Verträgen vereinbarte Stundenzahl noch zu toppen.
    FORBA befragte VielarbeiterInnen, die mit ihrem Gesundheitszustand an sich (überraschend) zufrieden waren, nach der Wahrscheinlichkeit, dass sie die Tätigkeit bis zur Pensionierung ausüben. Hier ergab sich ein weniger positives Bild: 26 Prozent halten dies für wenig bis gar nicht wahrscheinlich. Dieser Anteil ist deutlich höher als bei den Personen mit gar keinen oder wenig Überstunden, wo er bei 14 Prozent liegt.
    269 Millionen Über- und Mehrstunden wurden 2014 in Österreich geleistet, mehr als ein Fünftel davon gratis. Selbst bei Lehrlingen unter 18, für die Überstunden verboten sind, leistet laut Lehrlingsmonitor jede/r dritte regelmäßig Überstunden. Egal ob freiwillig aus Spaß an der Sache oder aus anderen Motiven: Ähnlich wie auch Hobbysport zu Verletzungen, Überbeanspruchung und Überlastung führen kann, kann freiwillige Arbeit irgendwann der Gesundheit schaden.

    Linktipp:
    FORBA-Studie „Flexible Arbeitszeiten – die Perspektive der ArbeitnehmerInnen“:
    tinyurl.com/ycsusl7h

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin afadler@aon.at oder die Redaktion aw@oegb.at 

    INFOBOX
    Arbeitszeitbilanz

    Sobald Schlafstörungen länger als ein paar Tage andauern, bisher unbekannte Beschwerden wie Verdauungsprobleme, Kopfschmerzen und Ähnliches auftreten und/oder sich bereits bestehende Probleme wie Muskelverspannungen merklich verschlechtern, sollten Sie auf die Bremse treten. Auch Bemerkungen wie „Kannst du nur noch über die Firma reden?“ von Familie und Freundeskreis sind deutliche Warnzeichen.
    Im Betrieb ist das Erstellen einer Arbeitszeitbilanz ein gutes Mittel, um Arbeitsbelastungen auf die Spur zu kommen. Dabei werden die Soll-Arbeitszeiten (= die vereinbarten Arbeitszeiten) der Beschäftigten, die Ist-Arbeitszeiten sowie die nicht verbrauchten Urlaube und Zeitgutha-ben überprüft. Fallen in bestimmten Abteilungen über Monate hinweg Überstunden an und wird kaum Urlaub verbraucht? Gründe für das Nichteinhalten der Normalarbeitszeit gibt es viele, die Arbeitszeitbilanz schafft eine gute Basis, um sich mit den Ursachen von Arbeitszeitüberschreitungen auseinanderzusetzen und Maßnahmen auszuarbeiten, um Belastungen auszugleichen. Idealerweise werden Arbeitszeitbilanzen nicht ad hoc auf Initiative des Betriebsrates erstellt, sondern mindestens einmal jährlich, etwa auf Basis einer Betriebsvereinbarung (zur Burn-out-Prävention o. Ä.).

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    Astrid Fadler, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354414586 Volkskrankheit Überstunden: 67 Prozent der VielarbeiterInnen leiden unter Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354414521 Teilzeit: Armutsfalle für Frauen Papa sitzt zu lange im Büro, Mama ist nur teilzeitbeschäftigt: Immer noch ist das ein typisches Bild in den meisten österreichischen Familien. Die klassische Rollenverteilung in der Familie, nach der die Frau ihre Karriere und den beruflichen Aufstieg zugunsten der Kinderbetreuung an den Nagel hängt, ist noch längst nicht überwunden.
    Die neuesten Daten zeigen: Im Durchschnitt verdienen österreichische Frauen immer noch um 21,7 Prozent weniger als Männer. Damit besetzt Österreich das EU-Spitzenfeld, wenn es um den sogenannten Gender-Gap geht: Unter den 28 EU-Staaten liegt unser Land auf dem hohen vierten Platz.
    Die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie ist in der österreichischen Politik immer noch ein heißes Thema. „In der Vergangenheit wurde oft ausschließlich die Freiheit für Frauen propagiert, zu Hause beim Kind zu bleiben. Aber weder die Freiheit der Männer, beim Kind zu bleiben, noch die Freiheit beider Eltern, Beruf und Familie zu vereinbaren, wurde damit angesprochen“, kritisiert Sybille Pirklbauer, Expertin in der Abteilung Frauen und Familie der AK Wien.

    Alles dreht sich um Kinderbetreuung

    In den letzten zehn Jahren konnte man zwar die Gehaltsunterschiede zwischen den Geschlechtern in Österreich etwas verringern: 2007 lagen sie noch bei 25,5 Prozent. Substanzielle Verbesserungen in diesem Bereich sind aber immer noch Zukunftsmusik.
    Fehlende Kindergartenplätze und wenige Ganztagsangebote sind die häufigsten Gründe, warum sich immer noch viele junge Mütter entscheiden, nach der Babypause nur Teilzeit zu arbeiten – mit gravierenden Folgen, wie manche ExpertInnen warnen. „Ein Problem dabei ist oft die geringe Stundenzahl und damit der geringe Verdienst – mit allen Nachteilen für die soziale Absicherung“, stellt Sybille Pirklbauer fest. Die AK-Expertin räumt zwar ein, dass gerade in den letzten Jahren in diesem Bereich einiges passiert ist, vor allem durch die Mitfinanzierung des Bundes bei der Schaffung von neuen Kinderbetreuungsplätzen. Da die finanzielle Unterstützung des Bundes in diesem Jahr aber ausläuft, appelliert sie an deren Weiterführung bei einer gleichzeitigen Entlastung der Gemeinden. „Wir haben noch lange kein ausreichendes Platzangebot und auch die Öffnungszeiten sind noch verbesserungsbedürftig“, so die AK-Expertin.

    Wirtschaft in der Pflicht

    Auch für die Gewerkschaften ist die Kinderbetreuung ein zentrales Anliegen in der Frauenpolitik. „Umfragen zeigen, dass viele Frauen auf Vollzeit umsteigen würden, wenn sich das mit der Kinderbetreuung organisieren ließe. Leider scheitern viele an den Öffnungszeiten“, beklagt Renate Anderl, ÖGB-Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende. Sie fordert einen Ausbau von Kindergartenplätzen, die der Arbeitsrealität entsprechen. Dabei nimmt sie auch die Wirtschaft in die Pflicht: „Wir müssen in den Betrieben für einen massiven Ausbau der Betriebskindergärten werben. Der Ausbau der Kinderbetreuung ist nicht nur das beste Instrument, die Erwerbsfähigkeit der Mütter zu erhöhen, sondern führt auch zu höheren Einkommen und in weiterer Folge zu höheren Pensionen“, so die  ÖGB-Vizepräsidentin.
    In der Frage der Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie betont Anderl, dass es zu einem gesellschaftlichen Umdenken in Österreich kommen muss, insbesondere was die Rolle der Väter betrifft. „Väter wollen ihre Verantwortung wahrnehmen. Aber der fehlende Rechtsanspruch beim Papamonat oder auch der kurze Kündigungsschutz bei der Väterkarenz sind oft hinderlich“, sagt die ÖGB-Bundesfrauenvorsitzende.
    Sie stelle mitunter fest, dass es für manche Männer gar nicht leicht ist, die Väterkarenz in Anspruch zu nehmen. „Der Wille der Väter, mehr Verantwortung zu übernehmen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Partnerin zu erleichtern, ist gegeben, aber: Je höher die Position der Väter ist, desto öfter schieben die Unternehmen einen Riegel vor. Hier muss man ansetzen“, appelliert Anderl.

    Überstunden reduzieren

    Mit dem neuen Kinderbetreuungskonto wurden laut Expertinnen bereits positive Schritte gesetzt. Nun geht es darum, Maßnahmen zu entwickeln, mittels derer man nach der Karenz ausgeglichenere Arbeitszeiten bei Frauen und Männern erreicht. Sybille Pirklbauer würde bei den Überstunden ansetzen.
    „Man muss die überwiegend von Männern erbrachten Überstunden reduzieren, etwa indem man diese für den Arbeitgeber teurer macht“, so die AK-Expertin. Sie verweist auf Modelle in Deutschland, in denen Eltern, die beide 30 Stunden arbeiten, einen Partnerschaftsbonus erhalten. „Das könnte auch für Österreich interessant sein, zumal es mit der Elternteilzeit einen arbeitsrechtlichen Rahmen dafür gäbe“, räumt Pirklbauer ein.

    Folgen für den Wohlstand

    Für ÖkonomInnen hingegen hat die Benachteiligung von Frauen auf dem heimischen Arbeitsmarkt direkte Folgen für den Wohlstand. „Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsmarkt wäre aus Effizienzperspektive im Sinne des Wirtschaftswachstums nützlich, denn Gleichberechtigung bedeutet auch, dass die besten ArbeitnehmerInnen – unabhängig von ihrem Geschlecht – für einen Job ausgewählt werden“, analysiert Alyssa Schneebaum, wissenschaftliche Mitarbeiterin der WU Wien und Expertin für Genderfragen in der Wirtschaft. Schneebaum warnt, dass bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Frauen gleichzeitig einen effizienten Schutz vor Armut bedeuten.
    In ihrer Forschung konzentriert sich die junge Wissenschafterin auf MigrantInnen und ihre Stellung auf dem Arbeitsmarkt. „Frauen mit Migrationshintergrund erfahren oft eine doppelte Diskriminierung, als Frau und als Migrantin“, so Schneebaum. Sie hält dabei fest, dass sich migrantische Familienstrukturen in der Regel negativ auf den beruflichen Aufstieg der Frauen auswirken.
    „Innerhalb von Familien mit Migrationshintergrund stellen wir fest, dass leider die Männer viel öfter als Frauen höhere Bildungsniveaus als ihre Eltern erreichen. Ein wahrscheinlicher Grund sind die schlechteren Chancen am Arbeitsmarkt für Frauen mit Migrationshintergrund. Dann kann es aus Perspektive der Familie Sinn machen, dass vor allem Männer sich bilden und arbeiten gehen“, sagt die Ökonomin.

    Wenig Spielraum für Migrantinnen

    Auch Petra Wetzel, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei L&R Sozialforschung und Autorin mehrerer Studien zur Stellung von MigrantInnen auf dem Arbeitsmarkt, weist auf eine schwierige Situation von Migrantinnen auf dem Arbeitsmarkt hin, insbesondere in puncto Arbeitszeit.
    „Viele Migrantinnen arbeiten in Jobs mit spezifischen Arbeitszeitregelungen. Arbeitszeiten außerhalb der regulären Kinderbetreuungszeiten wie Abend-, Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdienste erschweren die Abstimmung von Arbeit und Kinderbetreuung“, sagt Wetzel. Darüber hinaus reduzieren vergleichsweise niedrige Einkommen bei Migrationen ihre Gestaltungsspielräume bei der Kinderbetreuung.
    Die Antwort auf diese komplexe Problematik steckt in der Bildungsmobilität: Diese könnte sich nämlich in Zukunft positiv auf die Karrierechancen von Frauen, insbesondere Migrantinnen, auswirken. Dabei muss man früh ansetzen. „Der Besuch von Kindergärten und jeder Art von vorschulischen Bildungseinrichtungen ist in Österreich für einen späteren Bildungserfolg sehr wichtig, vor allem für Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund“, betont Alyssa Schneebaum.

    Schule im Zentrum

    Für mehr Bildungs- und Berufsmobilität sei auch eine spätere schulische Selektion entscheidend, so die Ökonomin. „Es ist gut erforscht, dass eine spätere Trennung in der Schule – also nicht wie derzeit in Österreich mit zehn – zu mehr Mobilität führt. Gleiches gilt auch für die Ganztagsschule, da in diesem Fall der Schulerfolg weniger davon abhängt, wie viel Zeit oder Geld die Eltern für Nachhilfe und generell für das Lernen und die Bildung außerhalb der Schule haben“, stellt Schneebaum fest.

    Linktipps:
    „Frauen und Arbeitzeit“:
    tinyurl.com/y8hnfdw3
    L&R-Studie „Beschäftigungssituation von Personen mit Migrationshintergrund in Wien“:
    tinyurl.com/yaurfzoj

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor nedad.memic@gmail.com oder die Redaktion aw@oegb.at  

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    Nedad Memic, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354414613 Gender Pay Gap in den EU-Mitgliedstaaten 2015. Anteil der Beschäftigten, die am Wochenende/abends/nachts arbeiten. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354414509 Flexibel in der "gesunden Vollzeit" Die österreichische Arbeitszeitpolitik ist aktuell von zwei großen Debatten geprägt. Die eine befasst sich mit der Forderung nach einer weiteren Flexibilisierung und Verlängerung der Arbeitszeit. Sie wird mit starken Schwankungen im Arbeitsbedarf seitens der Unternehmen begründet sowie mit dem Wunsch der Beschäftigten selbst, ihre Arbeitszeiten selbstbestimmter gestalten zu können. Die andere Debatte fordert hingegen angesichts hoher Arbeitslosenzahlen und steigender Gesundheitsbelastungen in der Arbeitswelt umfassende Arbeitszeitverkürzungen. Zwischen diesen Polen ist das Konzept der „gesunden Vollzeit“ als vermittelndes arbeitszeitpolitisches Leitbild angesiedelt.

    Gesunde Vollzeit

    Sie folgt grundsätzlich dem Prinzip des ArbeitnehmerInnenschutzes, also der Vermeidung von Schäden an der physischen, psychischen und sozialen Integrität der Beschäftigten. Denn hinsichtlich des Interessenabgleichs zwischen betrieblichen und privaten Risiken bergen flexible Arbeitszeiten in Verbindung mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien ein erhöhtes Risiko für entgrenzte und belastende Arbeitszeiten, die sich negativ auf die Gesundheit und zentrale soziale Bereiche wie die Familie auswirken können. Die Orientierung am arbeitszeitpolitischen Leitbild der „gesunden Vollzeit“ soll am Beispiel der Gleitzeit zeigen, unter welchen Bedingungen Flexibilität mit Gesundheit einhergehen kann. Gleitzeit setzt allerdings voraus, dass Betriebe bestimmte Bedingungen erfüllen, damit mehr Spielräume (z. B. hinsichtlich der Höchst- und Normalarbeitszeiten) in der Arbeitszeitgestaltung möglich sind.
    Während im Arbeitszeitgesetz vorgesehen ist, dass die Gleitzeit außerhalb von definierten Kernarbeitszeiten weitestgehend Selbstbestimmungsspielräume der Beschäftigten erlauben soll, werden diese Spielräume in der Praxis an und für sich von nicht formal festgelegten betrieblichen Erfordernissen abhängig gemacht. Die Beschäftigten wissen dadurch häufig nicht, wann sie aufgrund privater Interessen ihre Arbeitszeiten tatsächlich anpassen können (z. B. früher das Büro verlassen). Aus diesem Grund wird im Regelfall auch weniger dringlichen beruflichen Interessen der Vorrang gegeben, während bei privaten eher nur außergewöhnliche Gründe für Abwesenheiten akzeptiert werden, wie zum Beispiel Arztbesuche oder familiäre Notfälle.
    Während es einem Teil der Beschäftigten gelingt, die Gleitzeit tatsächlich auch selbstbestimmt zu erleben, nimmt ein anderer Teil ihre Arbeitszeiten auch im Gleitzeitmodell als überwiegend fremdbestimmt wahr. Das heißt, um den Beschäftigen tatsächlich mehrheitlich selbstbestimmte Arbeitszeiten zu ermöglichen, reicht es nicht, Gleitzeit bloß formal einzuführen, sondern es müssen zusätzliche Anstrengungen unternommen werden, um die Selbstbestimmungsspielräume im Arbeitsalltag zu verwirklichen.
    Warum die Selbstbestimmung wichtig ist, zeigt ein Blick auf jene Beschäftigten, die eher fremdbestimmte Arbeitszeiten aufweisen. Denn diese tendieren eher zu unüblichen Arbeitszeiten (an Abenden, Wochenenden und im Urlaub), zu verlängerten Arbeitszeiten und zu einer höheren Arbeitsbelastung. Das heißt, wenn bei flexiblen Arbeitszeiten hinreichend Selbstbestimmung möglich ist und eben nicht aufgrund der Arbeitsaufgaben oder anderer betrieblicher Bedingungen Fremdbestimmung vorherrscht, können diese auch ohne erhöhte Arbeitsbelastungen realisiert werden.

    Selbstbestimmung der Arbeitszeit

    Für die Selbstbestimmung stellt die Arbeitszeit-Kommunikationskultur innerhalb des Betriebes einen entscheidenden Faktor dar. Nur ein kleiner Teil der Beschäftigten kann tatsächlich für sich und unabhängig von KollegInnen und Vorgesetzten seiner Arbeit nachgehen – weil man zum Beispiel ein Einzelbüro hat und deshalb bei der Durchsetzung privater Interessen weniger sozialen Druck verspürt. Für die Mehrheit der Beschäftigten ist hingegen wichtig, dass sie in ihrem Arbeitsumfeld über ihre Arbeitszeiten sprechen können und erst dadurch Einfluss auf diese gewinnen. Wenn diese Arbeitszeit-Kommunikationskultur gut ausgeprägt ist, sinkt das Risiko fremdbestimmter Arbeitszeiten und die Beschäftigten haben eher ausreichend Zeit und Energie für ihre privaten Angelegenheiten – und sie empfinden ihre Arbeitsbedingungen weniger belastend. Arbeitszeitpolitik, also die Aushandlung von verschiedenen Zeit-Interessen, findet in diesem Sinne nicht nur auf gesamt- und teilgesellschaftlicher (Arbeitszeitgesetz und Kollektivvertrag) sowie auf betrieblicher Ebene (Betriebsvereinbarungen) statt, sondern auch auf kleineren organisatorischen Ebenen wie etwa in Abteilungen, Teams oder auch zwischen jenen MitarbeiterInnen, die mehr oder weniger zufällig im gleichen Raum sitzen. Aus diesem Grund muss die Bewältigung von Arbeitszeitproblemen immer als soziales Problem verstanden werden, das nicht einfach durch die individuelle Schulung von Zeitmanagement-Kompetenzen gelöst werden kann.

    Grundvoraussetzungen

    Um die potenziellen negativen Effekte der Flexibilisierung zu vermeiden, müssen Betriebe ein Set an Grundvoraussetzungen erfüllen, damit es tatsächlich zu einer breitenwirksamen Umsetzung gesunder Vollzeit kommen kann:

    1. Nachweisprinzip: Betriebe müssen in Form empirischer Erhebungen nachweisen, ob selbstbestimmte Arbeitszeiten tatsächlich vorliegen (etwa durch zusätzliche Module in der Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastungen) und dass aktiv Maßnahmen gegen eine dauerhafte Entgrenzung und Verlängerung der Arbeitszeiten getroffen werden.
    2. Ausgleichsprinzip: Es muss eine ausreichend hohe Zahl an Zeitausgleichstagen ermöglicht werden, da ansonsten ein zeitgerechter Ausgleich (Zeitraum nicht länger als 12 Monate) von Mehr- und Überstunden kaum möglich ist, ergänzt durch transparente und eindeutige Regeln für die Ausbezahlung von Mehr- und Überstunden.
    3. Risikogruppen-Ausschlussprinzip: All-in-Verträge und Überstundenpauschalen müssen – soweit sie nicht tatsächlich Führungskräfte betreffen – von den erhöhten Arbeitszeitgrenzen ausgenommen werden, da diese ein besonderes Risiko für überlange Arbeitszeiten über längere Zeiträume aufweisen.
    4. Kontrollprinzip: Es muss einen Betriebsrat geben, der über die Einhaltung der Grundvoraussetzungen wacht, sowie auch die Möglichkeit für das Arbeitsinspektorat, deren Umsetzung zu prüfen.
      Betriebe sollten demnach erweiterte Flexibilisierungsmöglichkeiten nur dann bekommen, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind. Denn dann sind die Risiken dauerhaft erhöhter täglicher und wöchentlicher Arbeitszeiten und die damit einhergehenden gesundheitlichen Belastungen reduziert. Insgesamt geht es darum, sicherzustellen, dass wir in Österreich zwar auf der einen Seite auch „fortschrittliche“ Arbeitszeitregelungen anstreben, aber auf der anderen Seite nie die langfristige Gesundheit der Beschäftigten und die möglichen breiten Folgen für die Gesellschaft aus den Augen verlieren.

    Verkürzte Arbeitszeit als Normalität

    Der letzte Eckpfeiler gesunder Vollzeit betrifft die Höchst- und Normalarbeitszeiten. Wenn ein Hauptziel der Flexibilisierung in der Abdeckung von Schwankungen im Arbeitsbedarf liegt, dann müssen auf stärkere Beanspruchungen der Beschäftigten bei Arbeitsspitzen auch Phasen folgen, in denen sie entsprechend weniger beruflich in Anspruch genommen werden. „Gesunde Vollzeit“ strebt entsprechend 30 bis 35 Wochenstunden als neue Normalität an. Dieses gesundheitsorientierte Arbeitszeitmodell würde auch die Chancen für geschlechtergerechte Arbeitszeiten erhöhen, da Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Berufstätigkeit beider Elternteile derzeit nur schwer umsetzbar ist und die mangelnde Vereinbarkeit statistisch gesehen Frauen in die Teilzeitbeschäftigung drängt. Die in diversen politischen Programmen immer wieder auftauchende Forderung nach einer Erhöhung der Höchstarbeitszeit – zum Teil pauschal für alle Beschäftigten, zum Teil nur auf Gleitzeit eingeschränkt – könnte also durchaus auch im Sinne der Beschäftigten umgesetzt werden, wenn man sie mit den entsprechenden Grundvoraussetzungen verknüpft.

    Linktipps:
    „Herausforderungen selbstbestimmt-flexibler Arbeitszeiten in der unselbständigen Beschäftigung“, Forschungsberichte der gemeinnützigen Gesellschaft für wissenschaftliche Forschung Spectro, Wien (2016), siehe:
    tinyurl.com/yaw4nu39
    AW-Blog:
    tinyurl.com/y857qjnn

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor m.griesbacher@uni-graz.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Martin Griesbacher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie und Centrum für Sozialforschung an der Karl-Franzens-Universität Graz Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354414634 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354414476 Autonomie bei der Arbeitszeit 42 Jahre ist es jetzt her, als sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die eine volle Anstellung hatten, freuen durften: Sie mussten weniger Stunden arbeiten. Denn damals wurde beschlossen, die Regelarbeitszeit auf 40 Stunden zu verkürzen. Für die Beschäftigten bedeutete das, dass sie insgesamt fünf Stunden weniger pro Woche arbeiten mussten.

    Stufenweise Senkung

    Die Arbeitszeitverkürzung kam allerdings nicht auf einen Schlag, vielmehr wurde die Arbeitszeit von 1970 an stufenweise von 45 auf 40 Wochenstunden gesenkt. Seither hat sich enorm viel verändert: Geld wird heute völlig anders verdient als 1975, Computer haben unser Leben erobert und uns in vielerlei Hinsicht die Arbeit erleichtert, vernetzte Maschinen produzieren unsere Güter und haben die Produktivität gesteigert. Der Mensch nimmt in diesem System eine ganz neue Rolle ein. Immer mehr entwickelt er sich zum Experten/zur Expertin und ProgrammiererIn dieser automatisierten Systeme, anstatt wie früher vieles händisch zu erledigen.
    Die Frage, ob die Regelarbeitszeit von derzeit 40 Wochenstunden nach 42 Jahren nicht überholt sein könnte, ist mehr als erlaubt – und beschäftigt auch die Sozialpartner, wenngleich aus unterschiedlichen Perspektiven. Martin Müller, Jurist und Leiter des Referats Rechts- und Kollektivvertragspolitik im ÖGB, sagt: „Die Arbeitsintensität hat sich enorm verdichtet: 40 Stunden Arbeit in den Siebzigerjahren hat etwas anderes bedeutet als 40 Stunden Arbeit heute. Die Arbeitsbelastung ist höher geworden.“ Eine Verkürzung der Arbeitszeit sei aber nicht nur aus diesem Grund anzustreben.

    De facto 43 Stunden

    Die vollzeitbeschäftigten ÖsterreicherInnen arbeiteten im Jahr 2016 de facto, also inklusive Überstunden, sogar fast 43 Stunden pro Woche. Die Tendenz geht zwar von Jahr zu Jahr abwärts: 2006 lag die Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten in Österreich noch bei 44,2 Stunden. Dennoch liegt Österreich deutlich über dem EU-Schnitt von 41,4 Stunden. Nur GriechInnen (44,6) und IsländerInnen (45) arbeiten noch mehr. Genau gleich viele Stunden wie Österreichs ArbeitnehmerInnen arbeiten die BritInnen (42,8).
    Auf die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen hätte ein 12-Stunden-Tag als Norm, wie ihn unter anderem die Industriellenvereinigung fordert, negative Konsequenzen. Das belegt auch eine Studie, die das Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien Anfang 2017 zum Ermüdungszustand nach einem 12-stündigen Arbeitstag vorgestellt hat.
    Gerhard Blasche und Daniela Haluza sind darin zu dem Ergebnis gekommen, dass solch lange Arbeitsdienste zu einer erheblichen Tagesermüdung führen, die auf normalem Weg nur schwer wieder abgebaut werden kann. Konkret ist demnach der Ermüdungszuwachs während eines 12-Stunden-Dienstes dreimal höher als an einem arbeitsfreien Tag. Zudem nimmt die Ermüdung bei zwei aufeinanderfolgenden 12-Stunden-Diensten signifikant zu: Die Erholung am Tagesrand reiche dann nicht mehr aus, um diese Ermüdung sofort auszugleichen. Ja, es wären sogar im Anschluss drei freie Tage notwendig, um sich vollständig zu erholen. Bei fast jedem Menschen gibt es der Studie zufolge spätestens ab der zehnten Arbeitsstunde einen deutlichen Leistungsknick – erhöhte Unfallgefahr inklusive.

    Lohnausgleich nötig

    Wie sollte nun über das Thema Arbeitszeit diskutiert werden? Geht es hier nur um eine Art Zahlenspiel, also darum, ob die gesetzliche Regelarbeitszeit pro Woche auf 37,5 Stunden oder 35 oder noch niedriger angesetzt werden sollte?
    Eine Holzschnitt-Lösung entspricht in Zeiten wie diesen kaum den Anforderungen des Arbeitsmarktes. Schlimmstenfalls würde eine solche Reduktion die ArbeitnehmerInnen sogar noch mehr belasten – konkret etwa dann, wenn ihr Arbeitspensum gleich bliebe, sie dafür aber weniger Zeit hätten.
    Zudem weisen ÖGB-ExpertInnen auf die Notwendigkeit des Lohnausgleichs hin, denn: Würde die Arbeitszeit reduziert und würden dadurch gleichzeitig die Gehälter ohne Ersatz sinken, hätte das etwa langfristig negative Folgen auf die Pensionen, von den negativen Konsequenzen für die Wirtschaft ganz zu schweigen.
    Von einer „innovativen Arbeitszeitverkürzung“ spricht Arbeiterkammer-Präsident Rudi Kaske – und zwar als eine von mehreren Maßnahmen im Rahmen eines Dreistufenplans, der dafür sorgen soll, dass es in vier Jahren 100.000 Arbeitslose weniger gibt. Susanne Haslinger, Juristin in der Rechtsabteilung der PRO-GE und zuständig für Sozialpolitik, kann diesem Gedanken etwas abgewinnen. Schließlich sind die Lebenssituationen der Menschen sehr individuell und hängen auch von aktuellen Lebensumständen, der familiären Situation, persönlichen Zielen etc. ab. So sind auch die Bedürfnisse nach Freizeit laut Haslinger „kunterbunt“. Daher plädiert sie vor allem für Autonomie in der Gestaltung der Arbeitszeit. Das bedeutet zum Beispiel, „dass ArbeitnehmerInnen selbst bestimmen können, wann und wie sie ihr erworbenes Zeitbudget einsetzen und zum Beispiel zusätzliche Urlaubstage nehmen oder sich für Erledigungen stundenweise frei nehmen können“.
    Kürzere Arbeitszeiten könnten sich aber auch in mehr Urlaub äußern, also aufs Jahr gerechnet weniger zu arbeiten. Eine solche Regelung hat bereits die Elektro- und Elektronikindustrie seit 2013: Mittels Betriebsvereinbarung können Unternehmen ihren MitarbeiterInnen ermöglichen, zwischen einer kollektivvertraglichen Lohnerhöhung oder mehr Freizeit zu wählen. Dieses Beispiel zeigt, dass auch schon unter den jetzigen Rahmenbedingungen ein hohes Maß an Flexibilität möglich ist. Auch für den Bedarf nach oben hin gibt es Regelungen: Bei erhöhtem Arbeitsbedarf dürfen ArbeitnehmerInnen über einen begrenzten Zeitraum hinweg auch jetzt schon 12 Stunden am Tag und 60 Stunden pro Woche arbeiten.

    Arbeitszeitreduktion weitergedacht

    Aus Sicht des ÖGB sind bei der Debatte um die Arbeitszeitflexibilisierung drei Punkte entscheidend. Erstens: Zeitsouveränität bzw. -autonomie. Darunter fallen etwa auch Gleitzeitregelungen. „Überall, wo es möglich ist, soll den Beschäftigten Gleitzeit ermöglicht werden“, sagt Martin Müller. Souveräner und autonomer arbeiten zu können halte Menschen gesünder und länger arbeitsfähig, führe zu weniger Krankenständen und weniger Reha-Aufenthalten. Zweitens: Planbarkeit. Dieser Punkt ist besonders für Menschen mit Betreuungspflichten entscheidend, aber auch für das allgemeine Wohlbefinden und die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen spielt Planbarkeit eine wichtige Rolle. Die Arbeitszeitverkürzung ist der dritte Punkt. Sie kann – weitergedacht – auch das Thema Altersteilzeit, Bildungskarenz und Bildungsteilzeit betreffen. Diese Dinge sind zwar schon jetzt möglich, aber nur mit der Zustimmung des Arbeitgebers. Der ÖGB fordert, das zu ändern und diese Möglichkeiten in Zukunft mit einem Rechtsanspruch zu versehen.

    Veränderungspotenzial

    Das Thema Arbeitszeit führt übrigens auch in eine der derzeit größten gesellschaftlichen Debatten, nämlich jene der Verteilung. Susanne Haslinger: „Arbeitszeit ist ganz massiv eine Verteilungsfrage, und zwar nicht nur unter den Köpfen: Wer hat Arbeit, wer hat keine? Sondern auch: Wer bezahlt eigentlich die Produktivitätssteigerung, zum Beispiel mit körperlichem Verschleiß? Und wer schöpft daraus die Gewinne ab?“ Eine Arbeitszeitreduktion schaffe zwar per se noch keinen gesellschaftlichen Wandel, aber im „Schaffen von Tatsachen“ steckt aus ihrer Sicht viel Potenzial für Veränderung.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354414649 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354414660 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354414451 Verlorene Tage 16.000 Menschen haben sich im Frühjahr 2017 an einer AK-Online-Befragung zum 12-Stunden-Tag beteiligt. Allein die extrem hohe Bereitschaft zur Teilnahme an der Befragung verdeutlicht, wie sehr dieses Thema die Beschäftigten berührt. So geht mehr als die Hälfte davon aus, dass sie ein genereller 12-Stunden-Tag sicher oder wahrscheinlich betreffen würde.

    Gutes Stimmungsbild

    Viele haben bereits an einzelnen Tagen 12 Stunden gearbeitet. Lediglich ein Viertel hat geantwortet, noch nie so lange gearbeitet zu haben. Die Befragung ist zwar nicht repräsentativ, gibt aber aufgrund der hohen Rückmeldungen Aufschluss darüber, wie es um die Akzeptanz des 12-Stunden-Tages steht und welche Probleme im Zusammenhang damit gesehen werden. Vor allem die zahlreichen Kommentare geben ein gutes Stimmungsbild wieder.

    Work – Eat – Sleep – Repeat

    9 von 10 halten es für sehr oder eher schwierig, wenn der Arbeitgeber jederzeit 12 Stunden Arbeitszeit verlangen könnte, ohne dass es möglich ist, dies abzulehnen, oder wenn vorgeschrieben wird, wann Zeitguthaben zu verbrauchen sind. Besonders häufig gab es kritische Anmerkungen, wie ein Arbeitstag von 12 Stunden mit der Familie vereinbar sein soll. An diesen Tagen geht sich nicht mehr aus als Einkaufen, Essen, Schlafen. Eine Person hat das anschaulich als „Work – Eat – Sleep – Repeat“ bezeichnet. Auch von „verlorenen Tagen“ oder „Raub von Lebensplanung“ ist die Rede.

    Zeit mit den Kindern?

    Es ist nur allzu verständlich, dass Eltern mit ihren Kindern den Tag ausklingen lassen wollen. So wird die Sorge geäußert, an diesen langen Arbeitstagen die Kinder nicht mehr zu sehen. Auch höhere Ausgaben für die externe Betreuung von Kindern und keine Zeit mehr für Hausaufgaben mit den Kindern zu haben, werden als Schwierigkeiten angeführt. Dies würde auch zu Mehrbelastungen für Großeltern führen, die an diesen Tagen einspringen müssten. 59 Prozent der Frauen und 45 Prozent der Männer hätten bei der Einführung des 12-Stunden-Tages ein echtes Problem mit der Organisation der Kinderbetreuung. Eine Alleinerzieherin antwortete, dass sie mangels familiärer Unterstützung diese beruflichen Anforderungen nicht erfüllen könne. Damit würden sie und andere in dieser Lebenslage von gut bezahlten Jobs ausgeschlossen.
    Viele sind durch lange Anfahrtswege zur Arbeit belastet, bei denen in Summe bis zu zwei, drei Stunden Fahrtzeit pro Arbeitstag draufgehen. Allein in der Ostregion Wien, Niederösterreich und Burgenland pendelt täglich eine Viertelmillion Menschen. Die meisten, die pendeln, können sich nicht vorstellen, wie ein 12-Stunden-Tag machbar sein soll. Vereinzelt wurde es aber auch als Vorteil gesehen, durch weniger Arbeitstage Wegzeiten zu sparen.
    Neben fehlender Zeit für die Familie wurde auch mehrfach genannt, dass die Freizeit und das Privatleben darunter leiden würden. Es bliebe keine Zeit mehr für Hobbys, da man nach dem 12-Stunden-Tag „nur mehr erschöpft ist, dann nicht mehr rausgehen will und nur noch auf der Couch liegen möchte“, wie ein Antwortender dies anschaulich schilderte. Auch Sorgen um die Gesundheit, Überforderung und fehlende Zeit für Erholung, erhöhte Unfallgefahr und dauerhafte Erschöpfung werden mit überlangen Arbeitszeiten assoziiert. Aus den Rückmeldungen geht also hervor, wie wichtig es ist, an Arbeitstagen zusätzlich noch Zeit für Familie und Freizeit zu haben und nicht an einzelnen Tagen nur aufs Arbeiten beschränkt zu sein. Einige fanden es allerdings auch attraktiv, in wenigen Tagen das wöchentliche Arbeitspensum erfüllen zu können.

    Fördert traditionelle Arbeitsteilung

    Vor allem mit Kindern ist es wichtig, dass für beide Elternteile familienfreundliche Arbeitszeiten vorhanden sind. Ist das nicht der Fall, so fördert das eine ungleiche Aufteilung von Erwerbsarbeit, insbesondere vor dem Hintergrund ungünstiger zeitlicher Rahmenbedingungen von Kindergärten und Schule. Ohne familienfreundliche Arbeitszeiten und entsprechende Einrichtungen werden traditionelle Rollenmuster (re-)aktiviert. Das verdeutlichen auch die Ergebnisse aus der Online-Befragung. So gehen 39 Prozent der Männer davon aus, dass die Partnerin im Fall eines 12-Stunden-Tages die Kinderbetreuung übernehmen würde. Frauen würden aber viel seltener auf den Partner zur Bewältigung der Betreuungssituation zurückgreifen (17 Prozent), dafür geben sie häufiger an, sie hätten ein echtes Problem.
    In den letzten Jahrzehnten haben sich die Arbeitszeiten von Frauen und Männern kontinuierlich angenähert. Während sich früher Frauen mit Kindern über viele Jahre von der Berufstätigkeit zurückzogen und sich voll auf Hausarbeit und Kinderbetreuung konzentrierten, ist mittlerweile ein Wiedereinstieg – zumeist in Teilzeit – nach Ende der Karenzzeit üblich. Das sogenannte Ernährermodell (Mann Vollzeit, Frau nicht erwerbstätig) ist zunehmend dem Zuverdienermodell (Mann Vollzeit, Frau Teilzeit) gewichen. Eine Angleichung der Arbeitszeiten zwischen den Geschlechtern ist ein zentraler Hebel, um die Einkommensschere im Erwerbsleben und in der Folge in der Alterspension zu schließen.

    Halbe-halbe-Modell

    Ziel sollte ein Halbe-halbe-Modell mit einer weitgehenden Annäherung der Arbeitszeiten von Frauen und Männern und einer partnerschaftlichen Aufteilung von Betreuungspflichten sein. Denn nur so ist eine eigenständige Existenzsicherung für beide Geschlechter möglich. Dazu braucht es aber auch entsprechende Rahmenbedingungen. Günstige Voraussetzungen dafür sind eine generelle Arbeitszeitverkürzung und familienfreundliche Arbeitszeiten für Mütter und Väter. Auch Erleichterungen beim Aufstocken von Teilzeitarbeit einerseits und die Begrenzung von Überstunden andererseits sind ebenfalls hilfreich, um die bezahlte Arbeit zwischen Frauen und Männern gerechter aufzuteilen. Der 12-Stunden-Tag hätte gegenteilige Effekte. Denn wie die oben angeführten Rückmeldungen zur Online-Befragung zeigen, steigt mit einem 12-Stunden-Tag der Druck, Kinderbetreuung, Hausarbeit und berufliche Arbeit bewältigen zu können. Und immer dann, wenn die Vereinbarkeit von Beruf und Familie schwierig wird, wird auf das traditionelle Muster der Arbeitsteilung zurückgegriffen: Die Väter konzentrieren sich auf die Erwerbsarbeit und die Mütter übernehmen die Versorgungsaufgaben und den Zuverdienst. Angesichts der Rahmenbedingungen in der Kinderbetreuung – laut aktueller Kindertagesheimstatistik sind 57 Prozent der Kinderbildungseinrichtungen bereits vor 17 Uhr (!) geschlossen und die Mehrzahl der Schulen wird nur halbtags geführt – haben überlange Arbeitszeiten negative Folgen für die Gleichstellung von Frauen und Männern und würden Strategien der partnerschaftlichen Aufteilung von Beruf und Familie entgegenwirken.

    Konsistente Strategie nötig

    Es braucht gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die eine Annäherung der Arbeitszeiten und damit der Einkommen fördern und nicht konterkarieren. Eine konsistente Strategie bei der Gleichstellung muss auch Arbeitszeitpolitik und ihre Wirkung auf die Geschlechter mitbedenken. Dazu braucht es kürzere und planbare Arbeitszeiten, ganztägige Betreuungsangebote und Anreize für eine ausgewogene Verteilung von Erwerbsarbeit zwischen Paaren.
    Teile der Wirtschaft rufen nach dem 12-Stunden-Tag, um rasch auf die betrieblichen Anforderungen reagieren zu können. Allerdings könnte das zu kurz gedacht sein, wenn damit viele Beschäftigte unter Druck gebracht werden. Aus einer umfassenden ökonomischen Perspektive betrachtet, erscheint es doch sinnvoller, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass das gesamte Erwerbspotenzial gute Voraussetzungen vorfindet, um am Arbeitsmarkt teilzuhaben. Es wäre ein Fehler aus der Perspektive der Gleichstellung, aber auch der Wirtschaft insgesamt, Frauen in eine Randposition des Arbeitsmarktes zu drängen.

    Linktipps:
    AK-Umfrage zum 12-Stunden-Tag:
    tinyurl.com/ycogx4ym
    Väter-Barometer Deutschland:
    tinyurl.com/hcpwcen

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin ingrid.moritz@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Ingrid Moritz, Leiterin Abteilung Frauen und Familie der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354414676 Nach einem 12-Stunden-Arbeitstag keine Zeit mehr mit den Kindern verbringen zu können, zählt zu den größten Sorgen von berufstätigen Eltern. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354414436 Die Schatten der Leistung Der Ruf nach „Leistung“ ist heute Standard im politischen Diskurs. Er wurde und wird von unter-schiedlichen politischen Lagern gleichermaßen verwendet, um die eigenen Vorstellungen von Gerechtigkeit zu unterstreichen. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass bei näherer Betrachtung ein klares Verständnis darüber, was als „Leistung“ zu verstehen ist, immer schon umstritten war und es zunehmend wird.

    Historische Ursprünge

    Als Grundwert des sozialen Zusammenlebens ist „Leistungsgerechtigkeit“ – also der Anspruch, dass individuelle Anstrengungen und Tätigkeiten entsprechend honoriert werden sollten – ein Wert, der sich historisch schon früh nachweisen lässt: von Chinas Kaiserreich über die griechische Antike bis hin zur protestantischen Ethik der Neuzeit. Zu einem gesamtgesellschaftlichen Ordnungsprinzip wurde das Leistungsprinzip in Europa jedoch erst infolge politischer Kämpfe um gesellschaftliche Verteilung und Klassenhierarchien seit dem 18. Jahrhundert. Die soziale Stellung einer Person überhaupt, ihr Besitz, ihre Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten sollten nicht mehr vom ständischen Prinzip der familiären Herkunft, vom Geschlecht oder vom Alter bestimmt werden, sondern ausschließlich Ausdruck eigener Anstrengungen sein.
    Auf diese Weise diente der Ruf nach Leistungsgerechtigkeit der Infragestellung der bestehenden gesellschaftlichen Hierarchien. War es in Europa zunächst das Bürgertum, das unter dem Leistungsbanner gegen die Privilegien der Aristokratie auftrat, so richtete später die Arbeiterschaft ebendiese Forderung nach fairer Entlohnung an das Besitzbürgertum und die Frauenbewegung in Richtung der patriarchal dominierten Herrschaftseliten. Gestritten wurde nunmehr also vor allem darüber, was als legitime Leistung zu honorieren sei – das Leistungsprinzip selbst blieb jedoch weitgehend unbestritten.

    Zwar setzte im 20. Jahrhundert eine kritischere Auseinandersetzung mit den zahlreichen Leerstellen des Leistungsprinzips ein. Seit geraumer Zeit erlebt es allerdings eine Renaissance. Heute begegnet es einem als die Erzählung vom persönlichen Erfolg für jede/n, die/der sich nur ordentlich anstrengt. Damit wird es illusionär und unverzichtbar zugleich. Denn keine Gesellschaft kann es sich dauerhaft leisten, Leistung unbelohnt zu lassen. Zugleich hat es destruktive Folgen, wenn keine transparenten und demokratischen Leistungskriterien für Tätigkeiten durchsetzbar sind und allein der Markterfolg den Wert einer Leistung diktiert.
    Der Leistungsanspruch durchdringt heute mehr Lebensbereiche denn je: Bildungsbiografien, Berufsverläufe, Privataktivitäten im Familien- und Freundeskreis bis hin zur Selbstvermessung eigener Fitness, Ernährung etc. im Sinne der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit. Das anschaulichste Feld für den Wandel von Leistungsverständnissen stellt jedoch sicher die Veränderung der Arbeitswelt dar, wo in den letzten Jahrzehnten Durchschnittsarbeit deutlich abgewertet wurde: Die tagtägliche Arbeit in Fabrik, Verwaltung oder Supermarkt, für die niedrige oder mittlere Qualifikationen eingesetzt wurden, erfährt immer weniger Anerkennung. Wertschätzung ist tendenziell nur noch für besondere Anstrengungen, für herausragende Leistungen zu bekommen. Worauf es ankommt, ist immer weniger der Einsatz der Arbeitenden und viel mehr das Ergebnis, der Erfolg am Markt. Wenn dort die Gewinner alle Belohnungen einstreifen, während die übrigen leer ausgehen, dann wird das Leistungsprinzip sukzessive untergraben. Ein „Hat sich sehr bemüht“ im Dienstzeugnis ist damit sogar ein vernichtendes Urteil.

    Reichtum = Leistung?

    Zwar fordern auch Slogans gegen Besteuerung und Umverteilung: „Leistung muss sich wieder lohnen!“ Gemeint ist aber nicht die Belohnung aufwandsorientierter Leistung im Sinne von Anstrengungen und Beiträgen zur Gemeinschaft. Vielmehr geht man von der Annahme aus, dass hohes Einkommen und Reichtum „Kennzeichen“ für Leistungsträger seien. Wer viel besitzt, muss offensichtlich viel geleistet haben, so die fatale Logik des Zirkelschlusses. Trotz dieser Veränderungen in der Definition „wertvoller“ Leistung halten aber sehr viele Beschäftigte hartnäckig an einem aufwandsbezogenen Leistungsbegriff fest und wollen ihre Kompetenzen, ihre Anstrengungen und Opfer angemessen belohnt sehen. Die Abwertung ihrer Bemühungen und ihrer alltäglichen Durchschnittsleistung erfahren sie als Geringschätzung und Missachtung. Eine Quelle für Unmut, der sich oft bei ganz anderen Themen – etwa gegenüber sozial Benachteiligten oder Menschen auf der Flucht – entlädt.

    Beispiel Postliberalisierung

    Ein Forschungsprojekt von FORBA zeigt, wie etwa die Liberalisierung der Postdienstleistung und die Privatisierung der Organisationen neu definiert haben, was als Leistung zu verstehen ist. Während es dort für die Beschäftigten früher in erster Linie um das verlässliche Befolgen von Regeln und keineswegs um das Verkaufen ging, hat sich die Leistungsanforderung inzwischen ins Gegenteil verkehrt. Entsprechend der Kommerzialisierung der Dienstleistung und der Profitorientierung börsennotierter Unternehmen steht die Anforderung, „aktiv“ zu verkaufen, nun im Vordergrund. Wenn jemand wegen einer Briefmarke kommt, soll er oder sie möglichst auch eine Schlager-CD kaufen, so die Vorgabe. Viele Postbedienstete äußern jedoch ein anderes Verständnis von Dienstleistung und sehen das aktive Verkaufen nicht als Teil der Kundenorientierung, sondern im Gegenteil als etwas, das die Beziehung zu den Kunden und Kundinnen zerstört. Auch in der Postzustellung verdrängen Beschleunigung, Rationalisierung und Kommerzialisierung die gemeinwohlorientierte Versorgung der BürgerInnen. Die arbeitsintensive Dienstleistung muss nun innerhalb kürzerer Zeitvorgaben erledigt werden und auf andere Aspekte der KundInnenbeziehung soll verzichtet werden. Aufgrund der früheren Ausrichtung des Dienstes am Gemeinwohl gehörten kleine Hilfestellungen für die Bevölkerung zum Leistungsangebot dazu. Städtische BriefträgerInnen waren bisweilen angewiesen worden, schwere Einkaufstaschen alter Frauen unterwegs aufs Moped zu laden und nach Hause zu bringen. Auch in Berggebieten wurde BewohnerInnen abgeschiedener Bauernhöfe so manche Zusatzdienstleistung angeboten. Diese Leistungen fallen dem neuen, durchrationalisierten System nun zum Opfer.
    Teil dessen ist auch, dass Leistung verstärkt quantifiziert wird, wenn etwa die Beschäftigten an Benchmarks bemessen werden. Im Verkauf vergleicht das Controlling die Umsätze zwischen den Filialen oder Poststellen, in der Zustellung treibt man die Zeitvorgaben auf die Spitze und ergänzt sie durch computergestützte Überwachung. Dadurch ist der früher relativ große Spielraum in der Gestaltung des Arbeitstages für die ZustellerInnen weggefallen. Die mit sozialer Wertschätzung verbundene Tätigkeit wurde auf den physischen Teil der Zustellung von Poststücken in einer vorgegebenen Zeit reduziert.

    Die Verschiebung im Leistungsverständnis betrifft also zunehmend auch den Faktor Arbeitszeit. Eine bestimmte Zeitspanne, z. B. acht Stunden am Tag, dem Arbeitgeber in dem Sinne zu über-lassen, dass man auf Selbstbestimmung verzichtet und sich dem Weisungsrecht anderer unter-wirft, wird immer weniger als Aufwand, Beitrag oder Einsatz gesehen. Was zählt, ist das vom Unternehmen in bare Münze umsetzbare Ergebnis. Entsprechende Arbeitszeitmodelle wie All-inclusive-Verträge oder „Vertrauensarbeitszeit“ haben starke Verbreitung gefunden. Auch die Scheinselbstständigkeit ermöglicht es, den zeitlichen Aufwand der Arbeitenden von der Bezahlung für die Arbeit zu entkoppeln.

    Untaugliches Prinzip

    Die Zeit bleibt aber ein zentrales Maß für die Arbeit, solange wir es in den Arbeitsbeziehungen mit kapitalistischen Lohnarbeitsverhältnissen zu tun haben, in denen die Arbeitenden ihre Arbeitskraft gegen ein Entgelt für eine bestimmte Zeit anderen überlassen. Ein Erwerbssystem, das diese Entkoppelung vorantreibt und ein erfolgsorientiertes gegenüber einem aufwandsorientierten Belohnungssystem betont, dient letztlich nur den Bedürfnissen weniger auf Kosten vieler – und macht so das Leistungsprinzip als einendes Gesellschaftsprinzip untauglich.

    Linktipp:
    Oliver Gruber „Leistung – Gestaltungsprinzip gesellschaftlicher und politischer Inklusion?“:
    tinyurl.com/yd5j7k3c

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autoren oliver.gruber@akwien.at und joerg.flecker@univie.ac.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Oliver Gruber, Politologe, Abteilung Bildungspolitik der AK Wien</br>Jörg Flecker, Soziologe, Institut für Soziologie der Uni Wien Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354414703 Der Begriff Leistung ist heute neu definiert: Von Bildung über Beruf bis hin zu Famlie und der Selbstvermessung der eigenen Fitness. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354414685 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354414419 Jetlag ohne Zeitzonen Wer bereits das Vergnügen hatte, in die USA oder nach Asien zu fliegen, ist mit dem unvermeidlichen Reisebegleiter Jetlag bestens vertraut: Müdigkeit, Schwindel, Kopfschmerzen, unregelmäßiges und weniger intensives Hungergefühl sowie Schlafschwierigkeiten trüben oft die ersten Tage, bis der Körper sich an die neue Zeitzone gewöhnt hat. Nicht selten können sogar Depressionen einsetzen.
    Aber um unter Jetlag zu leiden, brauchen oft keine Zeitzonen durchflogen und keine weit entfernten Länder bereist zu werden. Manchmal reicht einfach nur die innere biologische Uhr, die sich nicht mit dem Alltag und dem Berufsleben vereinbaren lässt, um einen permanenten Jetlag entstehen zu lassen.

    Drei Uhren

    Der Mensch in der industrialisierten Welt richtet sich gleich nach drei Uhren. Die biologische Uhr ist bereits vorprogrammiert und lässt die Prozesse im Körper in einem 24-stündigen Takt ablaufen. Dazu kommt die innere Uhr, die sich mit der äußeren Uhr synchronisiert und über das Sonnenlicht den Tag-Nacht-Wechsel koordiniert. Die dritte, „soziale“ Uhr ist nach den Anforderungen des Alltags gestellt, sie tickt nach Arbeits- und Schulbeginn, Schichtplänen, Terminen, eingeplanten Pausen und weiteren zeitlichen Vorgaben, die wir uns setzen oder die uns gesetzt werden. Diese drei Uhren entsprechend dem eigenen Biorhythmus zu koordinieren ist für den Großteil der Menschen fast nicht möglich. Dies hat Till Roenneberg, Chronobiologe an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität festgestellt. Rund 80 Prozent leiden an der Diskrepanz zwischen der inneren Uhr und den äußeren Anforderungen. Das Leben in den Industrieländern ist streng durchgetaktet – hinzu kommen Freizeitstress, Schichtarbeit oder lange, unregelmäßige Arbeitszeiten, wie jene der PilotInnen oder Krankenschwestern. Innere Uhr und Lebensstil vertragen sich also oft nicht. Durch diesen sogenannten „sozialen Jetlag“ entsteht ein permanenter Schlafmangel, der wiederum zu Erkrankungen und Leistungsabfällen führt.

    Till Roenneberg hat zwei bestehende Chronotypen bestimmt. FrühaufsteherInnen nennt er „Lerchen“. Sie gehen entsprechend früh schlafen und haben keine Schwierigkeiten, früh in den Tag zu starten, sie sind am Morgen produktiv und kreativ. Die Eulentypen hingegen – sie gehen spät schlafen und wachen spät auf – gehören zum Gros der Bevölkerung. Das späte Schlafengehen, kombiniert mit dem erzwungenen frühen Aufstehen, lässt ein substanzielles Schlafdefizit entstehen, das nur am Wochenende ausgeglichen werden kann. Dabei sind SchülerInnen und Teenager am Stärksten betroffen, da sie generell eher zu den SpätaufsteherInnen gehören, jedoch durch den frühen Schulbeginn gezwungen sind, früh aufzustehen – zu ihrem Nachteil: Durch den Schlafmangel werden kognitive Leistung und das Gedächtnis stark beeinträchtigt. Der deutsche Chronomediziner Horst-Werner Korf empfiehlt sogar, Prüfungen nicht vor zehn Uhr morgens abzuhalten, sondern erst zwischen zehn und halb elf. Zu dieser Zeit verfügen sowohl Lerchen als auch Eulen über die gleiche Leistungsfähigkeit. Zu Beginn der Pubertät rückt der Schlaf-Wach-Rhythmus durchschnittlich zwanzig Minuten jährlich nach hinten, nach rund fünf Jahren entwickelt sich der Rhythmus wieder zurück, die Einschlafzeiten rücken nach vorne.
    Wie viel Schlaf im Endeffekt fehlt, lässt sich an den ausgeglichenen Schlafstunden am Wochenende erkennen: Teenager schlafen im Schnitt drei Stunden mehr als unter der Woche, nur bei Kleinkindern und PensionistInnen sind die Aufstehstunden konstant.

    Folgen für Gesundheit

    Die Abweichung der biologisch geprägten Schlafenszeit – wie an freien Tagen oder im Urlaub – und der real möglichen während der Arbeitszeit ist nicht nur belastend, sondern fördert anstatt Produktivität nur Müdigkeit und schlechte Laune. Till Roenneberg untersuchte in einem Zeitraum von zehn Jahren rund 65.000 online ausgefüllte Fragebögen und kam zu dem Schluss, dass ein Leben gegen die innere Uhr zu fatalen Folgen für Gesundheit und Gewicht führt, zudem würde das Immunsystem deutlich geschwächt. Je höher die Diskrepanz zwischen der bevorzugten und real möglichen Schlafenszeit, desto mehr steigen Konsum von Nikotin und Alkohol, aber auch das Risiko für Übergewicht. Das Team um Roenneberg fand in seiner Studie eine Verbindung zwischen Schlafmangel und Fettleibigkeit. So würden übergewichtige Menschen, die noch später schlafen gehen, sogar noch stärker zu Adipositas neigen. Für Normalgewichtige reichen die gesundheitlichen Auswirkungen von Bluthochdruck und Stimmungsschwankungen bis hin zu Depressionen, Stoffwechselstörungen wie Diabetes, die chronische Müdigkeit bedroht auch das Familien- und Privatleben.

    Mythos vom frühen Vogel
    Chronischer Jetlag führt neben den gesundheitlichen Auswirkungen auch zu weniger Produktivität und Leistungseinbußen. Dies macht Menschen auch anfälliger für Fehler – mit zum Teil fatalen Auswirkungen. Medizinisches Personal ohne Schlaf neigt zu Fehlern, unaufmerksame AutofahrerInnen verursachen Unfälle, die Hälfte der Betriebsunfälle wird durch Schlafmangel verursacht. Trotzdem halten sich in unserer Leistungsgesellschaft die Vorurteile gegenüber den LangschläferInnen, das Motto „Der frühe Vogel fängt den Wurm“ hält sich weiterhin hartnäckig.
    Till Roenneberg räumt mit diesem Mythos auf. Der Mensch sei keine Maschine, die auf einen bestimmten Tagesablauf programmiert werden könnte, sagte Roenneberg 2011 in einem Interview mit der deutschen Zeitung „Die Zeit“. Es gelten aber immer noch gewisse Vorurteile gegenüber LangschläferInnen, wie das Sprichwort „Am Abend wird der Faule fleißig“ beweist und jene diskriminiert, deren Produktivität zu einer anderen Uhrzeit am höchsten ist. FrühaufsteherInnen gelten weiterhin als fleißig, dazu kommt die permanente Erreichbarkeit, die wir von uns selbst erwarten. Der Arbeitsalltag hat sich zunehmend modernisiert, die Vielfliegerei bringt oft den Biorhythmus durcheinander, Schichtdienste sind immer noch gang und gäbe. Roenneberg betont jedoch, dass Menschen ihren eigenen, persönlichen biologischen Rhythmus haben – einen Rhythmus, der sich seit Hunderttausenden von Jahren manifestiert hat und der nicht mit einem Wecker und einer Armbanduhr besiegt werden kann.

    Die menschliche Uhr im Mittelpunkt

    Unternehmen äußern immer öfter den Wunsch nach einer zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitszeiten – mit dem Hintergedanken, Kundenwünschen möglichst schnell und gut entgegenzukommen. Ihnen gegenüber stehen wiederum ArbeitnehmerInnen, die ihre Arbeitszeit nicht nur entsprechend ihren biologischen Schlafbedürfnissen, sondern auch nach ihren familiären und sozialen Rahmenbedingungen und Wünschen anpassen möchten. ExpertInnen empfehlen flexible – zumindest spätere – Schulzeiten und Arbeitsplätze, Letzteres jeweils auf Eulen oder Lerchen angepasst. Wissenschafter der niederländischen Universität Groningen sprechen sich sogar für ein chronotyp-spezifisches Gesundheitssystem aus. Zudem gibt es bereits Vorschläge für Beleuchtungskonzepte, die von Tageslichtlampen in Schulräumen bis hin zu einem Dunkelpark reichen.
    An verschiedenen Chronokonzepten wird bereits geforscht, wie beispielsweise an einer sogenannten ChronoCity, in der die Infrastruktur – von Straßenlampen bis hin zu Arbeitsplätzen – nach Chronotypen abgestimmt werden soll. Von diesen revolutionären Konzepten ist Österreich jedoch noch weit entfernt – zunächst muss die „Langschläferei“ auf generelle gesellschaftliche Akzeptanz hoffen. „Sozialer Jetlag kann nur durch tiefgreifende Änderungen in der Organisation der Gesellschaft korrigiert werden“, sagt Roenneberg. „Unsere Forschungsergebnisse legen dringend nahe, Arbeits- und Schulzeiten an den Chronotypen anzupassen, wo immer dies möglich ist.“ Denn 75 Prozent der Bevölkerung brauchen einen Wecker. Roennebergs Ziel wäre es, dass 75 Prozent der Bevölkerung ohne Wecker aufstehen. Ganz nach dem Motto des Schriftstellers Erich Kästner: „Wer schlafen kann, darf glücklich sein.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin maja.nizamov@gmx.net die Redaktion aw@oegb.at oder

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    Maja Nizamov, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354414739 75 % der Bevölkerung stehen mit Wecker auf. Es sollten 25 % sein. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354414747 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354413792 Interview: Höchste Zeit für Verkürzung Arbeit&Wirtschaft: Ist es höchste Zeit für die nächste Arbeitszeitverkürzung?

    Claudia Sorger: Auf jeden Fall, die letzte gesetzlich beschlossene Arbeitszeitverkürzung war 1975, ist also schon sehr lange her. Seitdem hat sich viel verändert. So ist die Frauenerwerbsquote stark gestiegen, die Beschäftigtenstruktur sieht heute anders aus und die Anforderungen am Arbeitsplatz haben sich verändert. Es ist also tatsächlich höchste Zeit. Denn es ist zwar in manchen Bereichen zu geringfügigen Arbeitszeitverkürzungen gekommen, aber auf breiter gesetzlicher Basis besteht schon lange Aufholbedarf.

    Haben Sie einen Erklärungsansatz, warum sich die 40-Stunden-Woche so hartnäckig hält?

    Die Kräfteverhältnisse haben sich verändert, ArbeitnehmerInnenvertretungen sind schon länger verstärkt in der Defensive, haben also weniger Durchsetzungsstärke. Und von gewerkschaftlicher Seite wurden auch andere Schwerpunkte gesetzt, bei KV-Verhandlungen standen vor allem Lohnerhöhungen im Vordergrund. Allgemein ist die Arbeitszeitverkürzung erst seit der Wirtschaftskrise wieder ein Thema. Davor – und ich beschäftige mich ja schon sehr lange damit – wurde das einfach nicht diskutiert beziehungsweise als abgehandelt betrachtet.

    Welche Auswirkungen erwarten Sie von Arbeitszeitverkürzungen?

    Einerseits ist da das beschäftigungspolitische Argument, also kürzere Normalarbeitszeit, um Arbeitsplätze zu schaffen. Da stellt sich dann aber die entscheidende Frage: Wie gestalte ich das? Gibt es zum Beispiel vollen Lohnausgleich, Personalausgleich und andere Maßnahmen? Wenn man die Arbeitszeit nur um einige Stunden reduziert und keine weiteren Maßnahmen setzt, dann würde das nicht automatisch Arbeitsplätze schaffen. Denn es käme lediglich zu einer Verdichtung, die einzelnen ArbeitnehmerInnen müssten dann in weniger Stunden genauso viel leisten wie davor. Wie viele zusätzliche Arbeitsplätze letztendlich entstehen würden, dazu gibt es einige Berechnungen, doch im Prinzip ist das nicht exakt einschätzbar.
    Außer dem beschäftigungspolitischen Aspekt gibt es auch gesundheitspolitische Motive. Erkrankungen, die auf hohen Arbeitsdruck und lange Arbeitszeiten zurückgehen, sind im Zunehmen, etwa psychosomatische Erkrankungen oder Beschwerden des Bewegungsapparats. Mit weniger Wochenstunden könnten vor allem Ältere länger – und höchstwahrscheinlich auch gesünder – im Arbeitsprozess bleiben. Denn häufige lange Arbeitstage haben nachweislich negative Effekte auf Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Doch eine Arbeitszeitverkürzung, die diese Aspekte berücksichtigt, muss politisch gewollt sein, denn das typisch österreichische Klein- und Mittelunternehmen wird dieses Konzept in der Regel nicht alleine umsetzen können.

    Von wie vielen Wochenstunden reden wir?

    Es gibt verschiedene Ansätze, neben einer gesetzlich verankerten 38-Stunden-Woche wird die 35-Stunden-Woche gefordert und auch die 30-Stunden-Woche. Dabei wird praktisch immer von einer stufenweisen Reduktion ausgegangen. Ich bin allerdings für eine möglichst rasche Kürzung auf 30 Stunden. Selbstverständlich gäbe es dann ähnlich wie jetzt die Möglichkeit, in speziellen Fällen den Arbeitstag zu verlängern. Prinzipiell stellt sich auch die Frage, ob die derzeit üblichen 40 oder 38 Stunden in manchen Berufen nicht ohnehin zu viel sind. In Pflegeberufen können sich viele jüngere und ältere Arbeitskräfte nicht vorstellen, bis zur Pension durchzuhalten. Mit 23 Prozent der Männer und 55 Prozent der Frauen ist die Teilzeitquote im Gesundheits- und Sozialbereich überdurchschnittlich hoch. Wobei Teilzeit natürlich Einkommenseinbußen bedeutet.

    Auf der Arbeitszeitkonferenz in Linz im vergangenen Jänner haben Sie mehrere Konzepte für eine andere Gestaltung der Arbeitszeit vorgestellt. Welche Konzepte gibt es hier?

    Prinzipiell geht es auch um grundsätzliche Fragen. Bei der Vier-in-einem-Perspektive etwa wird nicht nur zwischen bezahlter Arbeit und Freizeit unterschieden, sondern die Menschen sollten genügend Zeit für unterschiedliche Lebensbereiche zur Verfügung haben – Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Gemeinwesenarbeit und individuelle Entwicklung. Ich persönlich beschäftige mich auch viel mit der sogenannten geschlechtergerechten Arbeitszeit, bei der es um die gerechte Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit geht. Faktisch hat ein Großteil der weiblichen Erwerbstätigen eigentlich jetzt schon eine Arbeitszeitverkürzung, denn 48 Prozent arbeiten Teilzeit. Mütter leisten deutlich weniger bezahlte Arbeit als andere Frauen, während Väter durchschnittlich mehr Zeit am Arbeitsplatz verbringen als andere Männer. 67 Prozent der Frauen mit Kindern unter 15 sind Teilzeitbeschäftigte. Wenn Männer Teilzeit arbeiten, dann meist nicht wegen der Kinder, sondern wegen einer Ausbildung. Das in Österreich nach wie vor übliche Modell des „male breadwinner“ ist keineswegs ein Muss, und es gibt ja auch Länder, wo das anders ist.

    Wo kann man ansetzen?

    Eine Möglichkeit zur Steuerung gibt es zum Beispiel durch das Kinderbetreuungsgeld. Derzeit beträgt die Mindestdauer für den Kinderbetreuungsgeld-Bezug zwei Monate, die meisten Männer beschränken sich auch tatsächlich auf diese Zeit. Diese Mindestdauer zu erhöhen könnte die Beteiligung der Väter an der Kindererziehung steigern. Wir haben in Zusammenhang mit unserer aktuellen Studie zur Vereinbarkeit aber auch festgestellt, dass es teilweise Informationsmankos gibt. So wussten viele Eltern nicht, dass Elternteilzeit von beiden Elternteilen gleichzeitig in Anspruch genommen werden kann.

    Wie stehen Sie zur Idee einer Familienarbeitszeit wie in Deutschland?

    Ein Vorschlag der deutschen Familienministerin sieht vor, dass es eine staatlich geförderte Familienarbeitszeit geben sollte, also die Arbeitszeit auf 32 bis 25 Stunden gekürzt wird. Im Anschluss an 14 Monate Kinderzeit könnten beide Eltern in Teilzeit arbeiten, der Lohnausgleich käme zum Teil durch den Staat. Dieser Vorschlag für eine phasenweise Arbeitszeitverkürzung, die zumindest teilweise finanziell ausgeglichen wird, wäre auf jeden Fall ein Fortschritt – auch in Richtung mehr Partnerschaftlichkeit in der Aufteilung der Betreuungsarbeit.

    Welche Erfahrungen gibt es in Österreich mit verkürzten Arbeitszeiten?

    Hier gibt es eigentlich nur die Erfahrungen mit der krisenbedingten Kurzarbeit und mit der Freizeitoption. Nach der Kurzarbeit war es leider teilweise so, dass auch bei deutlich besserer Auftragslage kaum neue Mitarbeiter eingestellt wurden. Andererseits war es gerade in den betroffenen, stark männerdominierten Branchen für viele Beschäftigte eine positive Erfahrung, einmal mehr Zeit zu haben, für sich, die Familie oder was auch immer. Es gab die Idee, die Kurzarbeit auch in frauendominierten Branchen einzuführen. Allerdings ist man davon wieder abgekommen, weil die Entlohnung dort so niedrig ist, dass kaum eine Arbeitnehmerin auf einen Teil des Einkommens verzichten kann. Die Freizeitoption gibt es seit 2013 in der Elektroindustrie, seit 2015 in der Metallindustrie. Sie wird hauptsächlich von Männern in Anspruch genommen, was natürlich auch branchenbedingt ist.

    Gibt es im Ausland dazu mehr Beispiele?

    Ja, in Schweden gibt beziehungsweise gab es hier einiges. Auf der Arbeitszeit-Konferenz im Oktober 2015 in Wien hat der Vizebürgermeister von Göteborg über einen zweijährigen Versuch mit 6-Stunden-Tagen in einem Pflegeheim berichtet. Die verkürzten Arbeitszeiten haben sich deutlich positiv auf die Gesundheit und die Motivation der Beschäftigten ausgewirkt. Spannend war auch, dass zu diesem Projekt Anfragen aus aller Welt kamen, das Interesse war sehr groß. Sichtlich ist das Thema Arbeitszeitverkürzung doch für viele interessant. Bei einem weiteren schwedischen Projekt wurden 1989 in der häuslichen Krankenpflege 6-Stunden-Tage eingeführt. Nach 16 Jahren wurde das Projekt aufgrund politischer Veränderungen eingestellt. Es gibt aber auch aktuelle Beispiele von Arbeitszeitverkürzung, etwa in einem Krankenhaus.

    Stichwort Flexibilisierung: Wie kann sie funktionieren?

    Meiner Meinung nach ist die aktuelle Debatte eine Scheindiskussion. Es geht schlicht darum, die Kosten für Überstundenzuschläge und Ähnliches zu sparen. Dabei gibt es sogar viele Unternehmer und ArbeitgebervertreterInnen, die der Ansicht sind, dass keine weitere Flexibilisierung mehr nötig ist. Durch die vergangenen Novellen ist das Arbeitszeitgesetz ohnehin schon sehr flexibel geworden. Und wenn man sich die Argumente anschaut, dann sind diese seit Jahrhunderten die gleichen, da wird mit dem Standort argumentiert und der Niedergang der Wirtschaft heraufbeschworen. Wichtig wäre es bei diesem Thema, eine europäische Allianz für gute Arbeitsbedingungen mit kürzeren Arbeitszeiten zu bilden. Und Österreich hat ja auch im europäischen Vergleich eher hohe Arbeitszeiten. Es gibt einige Länder, wo nicht nur die durchschnittliche Wochenarbeitszeit kürzer ist, sondern auch die Jahresarbeitszeit. Man könnte auch sagen: Okay, wir gleichen uns hier einmal an.

    Die Flexibilisierung in Kombination mit den Möglichkeiten der Digitalisierung birgt ja schon jetzt einige Risiken für die Beschäftigten.

    Es muss eine gewisse Balance zwischen den Anforderungen seitens des Unternehmens und der Zeitautonomie und den Bedürfnissen der Beschäftigten bestehen. Man braucht einen Rahmen, der Schutz bietet, aber auch individuellen Gestaltungsspielraum. So kann Flexibilisierung Vorteile für alle haben: Denn unter anderem ermöglicht sie die bessere Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben. Aber es gibt auch Gefahren: Wir wissen ja auch aus der Neurobiologie, dass rund um die Uhr arbeiten, die ständige Erreichbarkeit und Arbeiten auf Abruf letztendlich Stress bedeuten und es irgendwann zu Erschöpfungszuständen kommt. Das Wochenende als gemeinsamer Freizeitblock hat eine wichtige Bedeutung, auch wenn es das jetzt schon für manche Berufsgruppen nicht gibt. Wenn man sich die Diskussion um die Ladenöffnungszeiten anschaut, die ebenfalls schon seit Jahrzehnten mit den gleichen Argumenten abläuft, dann geht es auch darum, abzuwägen, wie weit Sonntagsarbeit tatsächlich erforderlich ist und ob man tatsächlich jederzeit alles einkaufen können muss.

    Wobei es ja heute auch durchaus sein kann, dass die Menschen zwar sonntags frei haben, aber trotzdem arbeiten.

    Genau, diese Gefahr besteht. Doch da gibt es auch schon einzelne Gegenbewegungen. Es gibt ja mittlerweile Unternehmen, die abends und am Wochenende ihren Server abschalten, damit in der Freizeit nicht gearbeitet wird. Manche Menschen machen das ja auch mehr oder weniger freiwillig. Kürzlich gab es ein interessantes Interview mit dem Neurobiologen Bernd Hufnagl, der erzählte, dass Lob vom Chef das Beziehungshormon Oxytocin freisetzt und wir auch deshalb gewisse Erwartungen erfüllen. Aber dann gibt es natürlich auch noch andere Einflüsse wie etwa einen Schneeballeffekt, wenn man sieht, dass KollegInnen noch spätabends Mails verschicken.

    Es wird ja sehr viel über Digitalisierung und neue Arbeitswelt geredet und geschrieben. Wo steht Österreich hier tatsächlich?

    Ich denke, bei uns dominiert nach wie vor eine sehr starke Anwesenheitskultur: Wer lange am Arbeitsplatz ist, demonstriert Leistungswillen und Einsatzbereitschaft. Daher gibt es auch Vorbehalte beim Thema Homeoffice. Wir haben uns kürzlich anlässlich unserer aktuellen Studie zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Männer zehn Unternehmen in männerdominierten Branchen angeschaut und wie dort mit Vereinbarkeit umgegangen wird. Oft ist es so, dass Homeoffice zwar prinzipiell möglich ist, aber dann tatsächlich nur gegen starken Widerstand durchgesetzt werden kann. Hier gibt es also noch viele Vorbehalte. Wobei auch beim Homeoffice Regelungen durchaus sinnvoll sind, um eine ausreichende Abgrenzung zwischen Erwerbsarbeit und Freizeit zu ermöglichen.
    Wo Vollzeit üblich ist, dort ist es schon sehr schwierig, diese Vollzeitkultur zu durchbrechen, um zumindest phasenweise weniger zu arbeiten.
    Väter gehen zwar jetzt öfter in Karenz, doch die meisten wie gesagt nur zwei Monate, und es bleibt bei der üblichen Aufteilung, dass die Frau ihre Arbeitszeit reduziert und hauptsächlich sie sich um die Kinder kümmert. Männer finden die zwei Monate mit den Kindern zwar toll, aber dann beginnen sie über die Konsequenzen nachzudenken: Wenn ich jetzt länger wegbleibe, was bedeutet das für mich am Arbeitsplatz? Es muss eine Ersatzarbeitskraft engagiert werden, mein Arbeitsplatz ist gefährdet etc.
    Doch im Prinzip gelten diese Überlegungen genauso für Frauen, aber da ist das ganz selbstverständlich, dass sie diese Nachteile in Kauf nehmen. Immerhin kommt es jetzt langsam auch in männerdominierten Branchen zu einer Bewusstseinsänderung.

    Wo sehen Sie noch Forschungsbedarf zum Thema Arbeitszeit?

    Es gibt in Österreich leider kaum Studien zu den sozialen, persönlichen und gesundheitlichen Auswirkungen von Arbeitszeitverkürzung, also etwa zu den Auswirkungen der Kurzarbeit oder der Freizeitoption. Was ich persönlich spannend fände, wäre mehr Gewerkschaftsforschung zu machen. Dazu gibt es in Österreich kaum etwas. Interessant wäre zu erforschen, wie Entscheidungsprozesse in den Gewerkschaften ablaufen. Das System Sozialpartnerschaft etwa ist ja sehr komplex, da gäbe es sicher spannende Erkenntnisse. In anderen Ländern sehe ich auch mehr Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Wissenschaft.
     
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    Claudia Sorger hat Soziologie und Pädagogik studiert, ist promovierte Politikwissenschafterin und seit 2001 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei L&R Sozialforschung in Wien, Arbeitsschwerpunkte: Qualität von Arbeit, Geschlechtsspezifische Strukturierung des Arbeitsmarktes, Arbeitszeit, Gleichstellungspolitik im europäischen Vergleich, Evaluierung arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Maßnahmen. 2014 erschien ihr Buch „Wer dreht an der Uhr? Geschlechtergerechtigkeit und gewerkschaftliche Arbeitszeitpolitik“.

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    Interview: Astrid Fadler Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354413772 Soziologin Claudia Sorger http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354413778 "Es gibt einige Länder, wo nicht nur die durchschnittliche Wochenarbeitszeit kürzer ist als in Österreich, sondern auch die Jahresarbeitszeit. Man könnte auch sagen: Okay, wir gleichen uns hier an." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354413651 Coverstory: Weniger ist mehr Bei Bike Citizens ist Donnerstag schon Freitag: Im Grazer Unternehmen, das Navigations-Apps für Fahrradfahrer sowie Smartphone-Halterungen entwickelt, arbeitet die Belegschaft von Montag bis Donnerstag, neun Stunden täglich. Bike Citizens hat 29 MitarbeiterInnen in Graz und sechs in Berlin. Am Anfang stand Überlastung. „Wie bei Start-ups anfangs oft üblich, uferten Arbeitstage aus und man saß freitags noch ewig im Büro“, sagt Unternehmenssprecherin Elisabeth Gressl. Ein Kollege erzählte von einem amerikanischen Start-up mit 4-Tage-Woche. Diese mache scheinbar produktiver und glücklicher. Im Team fiel die einstimmige Entscheidung, dieses Modell im Sommer 2014 zu versuchen. Die Wochenarbeitszeit sank von 38,5 auf 36 Stunden. Die Kernarbeitszeit liegt zwischen 9 und 15 Uhr. Der Rest kann frei eingeteilt werden, theoretisch auch freitags. „Davon raten wir aber ab, der Erholungseffekt von drei Tagen ist ein Wahnsinn. Oft bringt gerade diese Auszeit gute Ideen“, betont Gressl.

    Heißes Eisen
    Unternehmen, die ihre Normalarbeitszeit reduzieren, sind hierzulande eher rar gesät. Dabei könnte eine solche Reduktion Herausforderungen der modernen Wirtschaft zumindest abmildern, wie Arbeitsmarktökonom Michael Soder von der Wirtschaftsuniversität Wien erklärt. Das Wirtschaftswachstum sei mittelfristig moderat, die Arbeitslosigkeit nach wie vor hoch und psychische wie physische Belastungen der ArbeitnehmerInnen nehmen zu. Verkürzte Arbeitszeiten könnten neue Jobs und längere Erholungsphasen schaffen. Für viele Unternehmen sind solche Maßnahmen aber ein heißes Eisen. Arbeitszeitreduktion bedeute mehr Personal, das steigere die Kosten massiv, daraus resultiere eine niedrigere Wettbewerbsfähigkeit.
    „Das ist aber nicht zwingend der Fall“, betont Michael Soder. Die Wirtschaftsuniversität analysierte Modelle zur Arbeitszeitreduktion in sieben heimischen Unternehmen, angefangen vom Elektronikkonzern über den Getränkehersteller bis zum Stahlproduzenten. Die untersuchten Betriebe wiesen weniger Krankenstände auf, die Work-Life-Balance war besser, die ArbeitnehmerInnen waren motivierter und dadurch leistungsfähiger. „Die Produktivitätseffekte können die gestiegenen Kosten übersteigen oder zumindest konstant halten“, sagt Soder.
    Hierzulande beträgt die Normalarbeitszeit 40 Stunden pro Woche. In vielen Kollektivverträgen sind es 38,5 Stunden. Alles darunter gilt als Teilzeit, auch wenn es vom Unternehmen als Vollzeit gewertet wird. Zweimal Früh, zweimal Mittag, zweimal Nacht und zwei Tage frei: So sah das 4-Schicht-Modell bei der Borealis Agrolinz Melamine GmbH in Linz in den 1990er-Jahren aus. Eine Befragung zeigte, dass die Belegschaft sehr unzufrieden war. „Die Erholungszeit zwischen der letzten Nacht- und der nächsten Frühschicht war sehr kurz. Spätestens mit 45 hatten Kollegen massive gesundheitliche Probleme“, blickt Betriebsratsvorsitzender Christian Kempinger zurück. Auch jüngere KollegInnen, die Wert auf Freizeit legten, begeisterte das Schichtmodell nicht. Für das Unternehmen war es zentral, Fachkräfte zu halten beziehungsweise neue zu rekrutieren. Denn die Anlernzeiten im Betrieb sind lang, Fluktuation ist daher schädlich.
    Arbeitsmediziner Rudolf Karazman hat die IBG Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement gegründet und berät Unternehmen bei der Umsetzung von neuen Arbeitszeitmodellen. Erste Betriebe stellten mit Anfang der 2000er-Jahre vom 4- auf ein 5-Schicht-Modell um. Auch bei der Borealis Agrolinz Melamine arbeitete Karazman mit Management, Betriebsrat und SchichtarbeiterInnen zusammen am neuen Modell. Der Prozess dauerte von 1998 bis 2001. Beim 5-Schicht-Modell sinkt die Arbeitszeit von 38 auf 34,4 Stunden. Wer etwa mittwochs eine Mittagsschicht hat, arbeitet in dieser Woche noch je zweimal in der Nacht und in der Frühschicht. Die einzelnen MitarbeiterInnen haben weniger Nachtschichten und längere Freizeitblöcke. Doch die Reduktion der Arbeitszeit um zehn Prozent bedeutete auch weniger Lohn und eine Aliquotierung bei Schichtpauschale und Urlaubsanspruch. Um Einkommensverluste zu schmälern, gibt es fünf Zusatzschichten im Jahr, die etwa für Weiterbildung und Gesundheitstage genutzt werden können.

    Lohnausgleich wichtig
    Die Lohnanpassung bereitete manchen Sorge. Betriebsratsvorsitzender Kempinger erinnert sich an Ängste einzelner KollegInnen. „Das kann ich mir nicht leisten. Ich baue ein Haus, wie soll das gehen?“, meinten sie. Gerade bei einem neuen Arbeitszeitmodell ist aber die Zustimmung der Belegschaft zentral. „Anfangs will keiner etwas ändern, speziell wenn Abstriche beim Lohn im Spiel sind. Es ist aber wichtig, übers Älterwerden zu sprechen. Die gleiche Arbeit, vor allem nachts, ist im Alter verausgabender“, so Karazman. Der Stoffwechsel gerate aus dem Gleichgewicht, es komme zu Schlafproblemen. Der chronische Stress könne zu Magengeschwüren und Depressionen führen, erklärt der Arbeitsmediziner. Längere Erholungsphasen hingegen sorgen für höhere Lebensqualität.
    Bei der Borealis Agrolinz Melamine gab es nach einer MitarbeiterInnenabstimmung zunächst einen einjährigen Test in der Düngemittelproduktion. Im Zuge der Arbeitszeitreduktion wurden neue MitarbeiterInnen aufgenommen. Das Modell überzeugte die KollegInnen rasch und wurde später auf andere Bereiche ausgedehnt. Für KollegInnen aus dem alten Modell gab es teilweisen Lohnausgleich, für NeueinsteigerInnen nicht.
    Das 5-Schicht-Modell fand auch bei anderen oberösterreichischen Unternehmen Anklang. Dazu zählt auch die voestalpine. Im Konzern gibt es 132 Arbeitszeitmodelle. Im Schichtbetrieb hat die voest das 5-Schicht-Modell im Jahr 2005 mit 40 MitarbeiterInnen für ein Jahr getestet. Vorher gab es vier Schichten, die folgendermaßen gestaltet waren: Man arbeitete je drei Früh-, Mittags- und Nachtschichten, sprich neun Tage durch. Dann folgten drei freie Tage. Das Problem: Wer aus der Nachtschicht kam, schlief sich erst mal aus und verlor somit einen Teil des freien Tages. Wer wiederum nach den freien Tagen Frühdienst hatte, musste am Tag zuvor früh schlafen gehen. Im Endeffekt blieben somit 2,5 freie Tage.

    Weniger Arbeit, mehr Menschen
    Durch die Umstellung vom 4- auf das 5-Schicht-Modell wurde die Arbeitszeit um zehn Prozent reduziert. Die Länge der Schichten hat sich nicht verändert, nur die Verteilung ist jetzt anders. Jede/r MitarbeiterIn hat pro Woche nur noch zwei Früh-, Mittags und Nachtschichten und danach vier freie Tage zur Verfügung. Da das Werk dennoch rund um die Uhr produzieren muss, wurden zehn Prozent mehr neue MitarbeiterInnen eingestellt, damals waren es 250.
    Das Modell wurde angenommen und auch auf andere Bereiche ausgedehnt. Karl Kastenhofer war damals Betriebsrat und ist nun Behindertenbeauftragter im Unternehmen. Er erzählt: „Dem Management ging es im Prozess um Kostenneutralität. Das konnten wir dokumentieren. Die verringerte Belastung ging mit einer Reduktion der Krankenstände einher. Die Fehlerquote sank, es gab weniger Ausfälle bei der Produktion.“ Die Motivation im Schichtteam war durch erhöhte Teilhabe am sozialen Leben einfach größer. Die voestalpine nahm beim AMS das „Solidaritätsprämienmodell“ in Anspruch. Die Hälfte des Lohnverlusts wird für die Dauer von zwei Jahren abgedeckt, sofern beim AMS vorgemerkte Arbeitslose eingestellt werden. So ganz ohne Lohnverlust ging es aber nicht. „Bei der zehnprozentigen Arbeitszeitreduktion blieb ein Minus von 3,5 Prozent des Bruttolohns“, so Kastenhofer. Das neue Arbeitszeitmodell wurde evaluiert. „Kein Mensch wollte mehr zurück zum alten Modell.“

    Gewinne gerechter verteilen
    In rund 66.000 Produktionsbetrieben leisteten unselbstständig Beschäftigte von Jänner bis April 2017 rund 480 Millionen Arbeitsstunden. Die im gesamten produzierenden Bereich auf dem Markt abgesetzten Güter und Dienstleistungen beliefen sich laut Statistik Austria auf 86 Milliarden Euro – ein Plus von 10,6 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode. Michael Soder von der WU kritisiert, dass Produktivitätsgewinne oft nicht bei ArbeitnehmerInnen ankommen, sondern in Richtung Arbeitgeber und Investoren gehen. „Denn die Lohnquote ist nach wie vor rückläufig.“ Geringere Krankenstände und mehr Motivation durch Arbeitszeitverkürzung sind ein Asset für das Unternehmen. Die MitarbeiterInnen haben zwar mehr Freizeit, aber oft niedrigere Löhne. Dazu kommt, dass gerade in der Produktion der Rationalisierungsdruck hoch ist. Ein Schichtarbeitsplatz weniger bedeutet oft, dass fünf bis sechs MitarbeiterInnen eingespart werden könnten. Zentral ist, dass jede Mehrarbeit – egal, unter welchem Titel sie läuft – als Überstunden abzugelten ist, betont Borealis-Betriebsratsvorsitzender Kempinger.
    Im Juli 2017 sank die Arbeitslosigkeit zwar um 2,7 Prozent, dennoch waren 370.386 Menschen auf Jobsuche oder in Schulung. Der Soziologe Jörg Flecker von der Universität Wien betont, dass eine Arbeitszeitverkürzung kurzfristig neue Jobs schafft – auch durch einen Rückgang bei der Mehrarbeit. Allein im Jahr 2014 wurden in Österreich 269 Millionen Überstunden geleistet, so eine Studie des Instituts FORBA und der Universität Wien. „In einigen Branchen könnten 10.000 bis 20.000 neue Jobs durch Überstundenabbau geschaffen werden“, betont Flecker. In der Studie zeigten sich geschlechtsspezifische Unterschiede: Männer mit Kindern machen viele Überstunden, Frauen arbeiten oft Teilzeit und haben wenige Überstunden. Diese werden zudem seltener ausbezahlt als bei Männern. Weiters problematisch: Nur Überstunden bringen NiedrigverdienerInnen über die Armutsgrenze. Daher fordern BefürworterInnen der Arbeitszeitverkürzung vollen Lohnausgleich. Jörg Flecker spricht sich seit Langem für eine 30-Stunden-Woche aus. Denn die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden bleibt laut Statistik Austria seit Jahren mit 6,9 Milliarden stabil. Die Teilzeitquote in Österreich lag im Jahresschnitt 2016 bei 28,7 Prozent, Tendenz steigend. 47,7 Prozent der Frauen arbeiteten Teilzeit. Das Einkommen ist geringer, die Pension ebenfalls. Eine kürzere Vollzeit für Frauen und Männer könnte dem laut Flecker entgegenwirken. Bislang ist die 30-Stunden-Woche aber selten. Als Pionier gilt der steirische Eisteeproduzent Makava, der vor fünf Jahren umstellte, und das bei gleich hohen Gehältern.

    Mehr Freizeit statt Gehaltserhöhung
    Bewegung in die Debatte um betriebliche Arbeitszeitverkürzung brachte die Freizeitoption. Im Zuge der KV-Verhandlungen 2013 war es in der Elektro- und Elektronikindustrie erstmals möglich, sich anstelle der Ist-Lohn-Erhöhung für mehr Freizeit zu entscheiden. Voraussetzung ist eine Betriebsvereinbarung. Diese Stunden werden unterschiedlich genutzt. Josef Scharinger ist Rohbaumeister bei Siemens und seit mehr als 36 Jahren im Unternehmen. Monatlich wandern fünf Stunden auf ein Zeitkonto. Der begeisterte Motorradfahrer möchte die Gutstunden für einen früheren Pensionsantritt ansparen. Ähnlich hält es Roland Feistritzer, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender bei Siemens. Der 44-Jährige nutzt die Freizeitoption vorrangig dafür, um tageweise Freizeit zu konsumieren. Auch er möchte das angesparte Zeitguthaben vor dem Pensionsantritt aufbrauchen. Die Freizeitoption wurde auch auf andere Branchen ausgedehnt. Viele Unternehmen wollen weg vom lange üblichen 9-bis-5-Modell. Gleitzeit mit Kernarbeitszeit ist ein gängiges Modell.
    Im Frühjahr 2017 wurde debattiert, die Höchstarbeitszeit von 10 auf 12 Stunden anzuheben. Bereits jetzt ist es unter bestimmten Voraussetzungen möglich, so lange zu arbeiten: etwa bei hohem Arbeitsanfall und entsprechender Betriebsvereinbarung. Für Arbeitsmediziner Karazman versteckt sich hinter der Forderung um Arbeitszeitflexibilisierung in Wahrheit eine Arbeitszeitverlängerung mit gravierenden Folgen: „Ohne verlängerte Erholungszeit sind Arbeitsunfähigkeit, zunehmende Krankenstände, steigende Gesundheitskosten und vorzeitige Pensionierungen vorprogrammiert.“

    Fit bis zur Pension
    Weiters schrieb er in einem offenen Brief an die Regierung: „Die verringerte Produktivität in der zehnten bis zwölften Arbeitsstunde macht den wirtschaftlichen Vorteil zunichte. Wer längere Erholungsphasen und weniger Nachtarbeit hat, arbeitet länger fit bis zur Pension.“ Echte Flexibilisierung bedeutet für ihn, dass MitarbeiterInnen zwischen kurzen und längeren Diensten, gängiger und kürzerer Wochenarbeitszeit und bei Urlauben wählen können. Nur so werden Stress, Krankheit und Frühpension vermieden, Produktivität und Qualität steigen. Auch WU-Experte Michael Soder fordert mehr Zeitsouveränität: „ArbeitnehmerInnen sind glücklicher, wenn sie sich ihre Zeit selbst einteilen und der Gap zwischen gewünschter und tatsächlicher Arbeitszeit nicht zu groß ist.“
    Einige Unternehmen fanden Strategien, um die Arbeitszeiten an die Belegschaft anzupassen, ohne die Stundenzahl zu erhöhen. Der Vorarlberger Betrieb Omicron ist auf die Entwicklung von Prüflosen für die Energietechnik spezialisiert. „Unser Modell baut auf Eigenständigkeit der Mitarbeiter“, sagt Personalleiter Harald Dörler. Regelungen mit Kernzeit gebe es praktisch keine. Je nach Projekt oder Job kann die tatsächliche Arbeitszeit auch darüber liegen. Die Kollektivverträge geben eine Arbeitszeit von 38,5 Wochenstunden vor. Wann der Mitarbeiter diese leistet, sei flexibel: „Manche sind am Morgen produktiver, andere am Nachmittag, andere am Wochenende. Das überlassen wir den Mitarbeitern.“ Die Zeiten werden mittels Software erfasst, die MitarbeiterInnen tragen sie selbst ein. „Es gibt bei uns keine Freigabekontrolle im Sinne einer zentralen Stelle“, so Dörler. MitarbeiterInnen können so einmal, wenn nötig, bis in die Nacht arbeiten, oder sich auch einmal frei nehmen. „Die Mitarbeiter schätzen Flexibilität sehr.“ Auch befristete Auszeiten oder Väterkarenzen seien möglich.

    Geteiltes Arbeiten
    Die Sparkasse Bregenz setzt seit zehn Jahren auf Jobsharing. „Wir haben Modelle, wo Mitarbeiter wöchentlich oder monatlich wechseln“, sagt Personalleiterin Verena Depaoli. „In der Telefonzentrale haben wir KollegInnen, die von Montag bis Mittwochmittag arbeiten und andere von Mittwochnachmittag bis Freitag.“ Dies wechsle sich immer ab, die MitarbeiterInnen haben dazwischen frei. „Das sind ältere Mitarbeiter, denen es sehr gut gefällt, dass sie mehr Zeit am Stück für sich haben.“ Bei einer Arbeitnehmerin sei der Mann in Pension, in der freien Woche könne das Paar etwas unternehmen, so Depaoli. Das Bankhaus legt Wert auf lebensphasengerechtes Arbeiten. „Wir bieten etwa frischgebackenen Vätern die Chance, für zwei bis drei Monate ihre Arbeitszeit zu reduzieren“, sagt Depaoli. Lebensphasengerechte Modelle bedeuten für Unternehmen viel Planung, das macht sie aber attraktiv für Fachkräfte. Die Einstellung zur Arbeit habe sich vor allem bei jungen MitarbeiterInnen geändert. „Freizeit gewinnt einfach an Wert. Das wäre vor 20 Jahren noch kein solches Thema gewesen“, sagt Depaoli. Einige KollegInnen sparen Urlaubstage an und verreisen bis zu sechs Wochen am Stück. Bei innovativen Arbeitszeitmodellen sei es wichtig, dass Wünsche der Belegschaft harmonieren. Depaoli rät dazu, Abteilungen altersmäßig zu durchmischen: „Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, wenn Kollegen in verschiedenen Lebensphasen sind.“
    Sabine Mlnarsky, Personalchefin der Erste Bank Group, setzt auf flexible Arbeitszeitgestaltung. „Mitarbeiter dokumentieren ihre Arbeitszeit selbst, die Führungskraft hat keinen Zugriff“, sagt Mlnarsky. Statt um Kontrolle gehe es darum, dass jeder wisse, welche Performance von ihm oder ihr erwartet werde. MitarbeiterInnen entscheiden selbst, wie viel Zeit sie in bestimmte Themen investieren. „Das bildet die Grundlage der weiteren Arbeitszeitmodelle“, so Mlnarsky. Die Erste Bank Group biete zudem Sabbaticals an: „Das kürzeste dauert einen Monat, das längste ein Jahr. Bei uns wird ‚Freizeit statt Geld‘ sehr gerne angenommen.“ Beim klassischen Sabbatical-Modell arbeite man neun Monate voll und einen Monat nicht. „Das bedeutet zehn Prozent weniger Gehalt.“ Wenn ein Betrieb ein innovatives Arbeitszeitmodell einführen möchte, gelte es, ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber an einen Tisch zu setzen. „Es muss von beiden Seiten das Bedürfnis geben, Arbeitszeiten zu modernisieren“, so Mlnarsky. Es gehe nicht darum, Vorzeigemodelle zu übernehmen, sondern vielmehr für die eigenen Bedürfnisse zu adaptieren.

    Weniger Stunden statt Jobverlust
    Kürzere Arbeitszeiten können vor Massenentlassungen schützen. Im Zuge der Wirtschaftskrise setzten viele Unternehmen auf die Kurzarbeit. Diese kann bei vorübergehend geringem Auftragsvolumen eingeführt werden. AMS, Betriebsrat und Gewerkschaften müssen dem zustimmen. Kurzarbeit ist auf sechs Monate beschränkt, kann aber abermals verlängert werden. Die Gesamtdauer liegt bei 24 Monaten. Die ArbeitnehmerInnen erhalten aliquot das vereinbarte Entgelt. Es gibt auch eine Kurzarbeitsunterstützung vonseiten des Betriebs. Diese entspricht zumindest dem Arbeitslosengeld für die nicht gearbeitete Zeit.
    Zurück zu Bike Citizens: Im Grazer Start-up gilt seit Sommer 2014 eine 4-Tage-Woche mit 36 Wochenstunden. Obwohl der Lohn angepasst wurde und um rund zehn Prozent geringer ausfiel, war die Zustimmung damals wie heute groß. „Das war es wert. Die Entscheidung fiel bewusst pro Freizeit aus“, betont Elisabeth Gressl. Erste Stolpersteine, wie etwa dass Feiertage die Arbeitswoche verkürzen können, sind behoben. „Diese Zeit arbeiten wir, wenn nötig, einfach rund um den Feiertag ein. Ob das Unternehmen die Wochenarbeitszeit weiter reduzieren wird? „Unser CEO Daniel Kofler hält das für ein spannendes Thema. Zurzeit gibt es aber keine konkreten Pläne dazu.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udoseelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sandra Knopp und Udo Seelhofer Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354413602 Borealis Agrolinz Melamine: Der Betrieb stellte 2001 von einem 4- auf ein 5-Schicht-Modell um. Die Arbeitszeit reduzierte sich von 38 auf 34,4 Stunden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354413613 Bike Citizens: Im Grazer Unternehmen ist Donnerstag schon Freitag. Beim Start-up gilt eine 4-Tage-Woche mit 36 statt 38,5 Stunden. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354413618 Erste Group: Personalleiterin Sabine Mlnarsky setzt auf flexible Arbeitszeitgestaltung: "Mitarbeiter entscheiden selbst, wie viel Zeit sie in ein Projekt investieren." http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354413573 Hintergrund: Flexibilisierung gescheitert, Sozialpartnerschaft lebt 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit, 8 Stunden Schlaf: Dieser Grundkonsens besteht im Wesentlichen seit 100 Jahren. Auf Basis der 5-Tage- und der 40-Stunden-Woche ist der 8-Stunden-Tag seit Mitte der 1970er-Jahre das, was man als „Normalarbeitszeit“ bezeichnet. Arbeitet jemand mehr als 8 Stunden am Tag und/oder mehr als 40 Stunden in der Woche, dann handelt es sich um Überstunden, und diese sind auch entsprechend zu entlohnen, also mit Überstundenzuschlägen.
    Was passiert aber, wenn jemand zum Beispiel am Montag neun Stunden arbeitet, um am Dienstag eine Stunde später in die Firma zu kommen, damit er das Kind sicher in den Kindergarten bringen kann? Oder wenn jemand am Mittwoch zehn Stunden arbeiten muss, weil ein dringender Auftrag zu erledigen ist, und der Arbeitgeber ihn oder sie dafür am Donnerstag schon nach sechs Stunden heimschicken will, weil dann gerade nichts mehr zu tun ist? Sind die Mehrstunden an diesem Montag trotzdem Überstunden? Müssen Stunden, die am Dienstplan stehen, aber dann freigegeben wurden, trotzdem bezahlt werden? Welche Rahmenbedingungen gelten für eine flexiblere Handhabung des 8-Stunden-Tages und der 40-Stunden-Woche? Wo liegen die Grenzen der körperlichen und psychischen Belastbarkeit, und wo müssen daher auch Grenzen bei der Selbstbestimmbarkeit der Arbeitszeit gesetzt werden? Und wo muss das Recht des Arbeitgebers enden, die Beschäftigten kurzfristig zur Arbeit einzuteilen?

    Beruf, Familie, Privatleben
    All diese Fragen stellen sich, wenn man über Flexibilisierung der Arbeitszeit spricht. Seit Jahrzehnten ist das ein Dauerthema der Sozialpartner, und spätestens seit 1997 ist vollkommen unstrittig, dass es zahlreiche Ausnahmen von der Grundregel des 8-Stunden-Tages und der 40-Stunden-Woche braucht, damit die Unternehmen konkurrenzfähig arbeiten können – aber auch, damit die ArbeitnehmerInnen Beruf, Familie und Privatleben unter einen Hut bringen können.
    Seit 1997 gibt es die sogenannte Durchrechnung der Arbeitszeit. Diese ermöglicht es, ohne Überstundenbezahlung an manchen Tagen mehr als acht Stunden und in manchen Wochen mehr als 40 Stunden zu arbeiten, sofern das innerhalb eines definierten Zeitraums durch weniger Arbeit wieder ausgeglichen wird. Damals hat man sich darauf geeinigt, dass die Rahmenbedingungen für derartige flexible Modelle in den Kollektivverträgen auf Branchenebene festzulegen sind. Davor gab es nur minimale Möglichkeiten, die Arbeitszeit flexibler zu gestalten.

    Beschäftigte müssen profitieren
    Seit 1997 definiert das Gesetz also den Normalzustand, erlaubt aber den Kollektivvertragspartnern – und nur diesen – weitgehende Flexibilisierung. Für diese Flexibilisierung definiert das Gesetz aber selbstverständlich ein Höchstausmaß, damit die Beschäftigten vor Ausbeutung geschützt werden: im Wesentlichen zehn Stunden am Tag, 48 Stunden pro Woche, Durchrechnungszeitraum maximal ein Jahr. Damit können beispielsweise Industriebetriebe mit schwankenden Auftragslagen oder saisonalen Schwankungen mit konstantem Beschäftigungsstand die Aufträge abarbeiten. So wird verhindert, dass Unternehmen bei saisonalen Schwankungen kurzfristig mehr Menschen einstellen, nur um sie bald wieder auf die Straße zu setzen, wenn weniger zu tun ist. Mit Mehrarbeit, wenn viel, und Zeitausgleich, wenn weniger zu tun ist, können die ArbeitnehmerInnen konstant beschäftigt bleiben, anstatt sie beim AMS zwischenzuparken. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass ArbeitnehmerInnen dann mehr arbeiten, wenn es für sie günstiger ist, und sich längere Freizeitphasen nehmen, wenn sie sie gerade brauchen.
    Theoretisch klingt das wunderbar, nach einer Win-win-Situation. In der Praxis muss man aber die Rahmenbedingungen sehr genau definieren, denn sonst richtet sich die Arbeitszeit ausschließlich nach den Bedürfnissen des Arbeitgebers, und die einzige Auswirkung der Flexibilisierung für die ArbeitnehmerInnen wäre, dass sie nach Hause geschickt werden, wenn sie gerade gar keine Freizeit brauchen oder wollen – und dass sie am Monatsende weniger Geld bekommen, weil Überstundenentlohnung samt Zuschlägen wegfallen würden.
    Daher ist der Ansatz, dass die Rahmenbedingungen für jede einzelne Branche auf Kollektivvertragsebene definiert werden, aus gewerkschaftlicher Sicht der richtige, weil flexibel auf die Bedürfnisse der Arbeitgeber und der ArbeitnehmerInnen der Branche eingegangen werden kann. Trotzdem oder gerade deswegen kommen in regelmäßigen Abständen Einwände von der Arbeitgeberseite: Das Arbeitszeitrecht wäre viel zu unflexibel, zehn Stunden Tagesarbeitszeit wären viel zu wenig, und kollektivvertragliche Regelungen wären viel zu schwer auszuhandeln bzw. dort, wo sie bestehen, zu administrieren. Die Gewerkschaften haben diese Einwände immer ernst genommen, deshalb wurde 2007 auch die Möglichkeit geschaffen, in Ausnahmefällen sogar zwölf Stunden pro Tag zu arbeiten. Damit auch die Beschäftigten davon profitieren, sind diese überlangen Arbeitszeiten aber natürlich als Überstunden samt Zuschlägen zu bezahlen.

    Flexibilität darf keine Einbahn sein
    Auf der anderen Seite wurde das Bedürfnis der ArbeitnehmerInnen lauter, selbst zu bestimmen, wann sie arbeiten. Das System der Gleitzeit hat das schließlich ermöglicht, ist aber vor allem bei vielen Arbeitgebern auf wenig Akzeptanz gestoßen. Sie wollten nach wie vor zu den täglich gleichen Zeiten auf die Arbeitskraft „ihrer“ Beschäftigten zurückgreifen können. Flexibilität darf aber keine Einbahnstraße sein. Wo die Arbeitgeber die Beschäftigten kapazitätsorientiert einsetzen wollen, brauchen die ArbeitnehmerInnen als Ausgleich Selbstbestimmung, Planbarkeit und weitere Verkürzung der Arbeitszeit. Das ist nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen. Außerdem kann man das Gefühl bekommen, dass bei manchen Arbeitgebern durch zunehmende Flexibilisierungsmöglichkeiten nur noch größere Begehrlichkeiten geweckt werden: Zuletzt wurde immer wieder die Forderung erhoben, die Normalarbeitszeit ohne Überstunden auf zehn Stunden täglich und 50 Stunden wöchentlich auszudehnen. Die Höchstarbeitszeit inklusive Überstunden sollte zwölf Stunden täglich bzw. 60 Stunden wöchentlich betragen, die Durchrechnung über zwei oder noch mehr Jahre möglich sein. Das hieße für die ArbeitnehmerInnen: Wer zwei Jahre lang Überstunden machen muss, würde sie erst nach zwei Jahren ausbezahlt bekommen. Das alles sollte freilich ohne weitere kollektivvertragliche Rahmenbedingungen geschehen, also nach Belieben und auf Anordnung des Arbeitgebers. Zusammengefasst wurden diese Forderungen mit der Formel „10/12/60/2“.
    Vollkommen außer Acht gelassen wird dabei, dass das Arbeitszeitgesetz auch ein Schutzgesetz ist, das die ArbeitnehmerInnen vor zu großen körperlichen und psychischen Belastungen bewahren muss. Es ist daher klar, dass die Gewerkschaftsbewegung diesen unverschämten Maximalforderungen der Wirtschaft selbst dann nicht nachkommen kann und will, wenn damit kleine Zugeständnisse an die ArbeitnehmerInnen verbunden wären. Angeboten wurde etwa ein Anspruch auf Zeitausgleich, wenn gerade die Kinderbetreuung ausfällt.
    Die Gewerkschaft ist und bleibt aber weiter gesprächsbereit, wenn eine Branche oder ein Betrieb aufgrund restriktiver Arbeitszeitbestimmungen wirtschaftliche Probleme bekommt. In diesen Fällen wurden noch immer Lösungen gefunden, die den Betrieben flexibles und wirtschaftliches Arbeiten ermöglichen, den ArbeitnehmerInnen aber Sicherheit geben – und einen Ausgleich für die ihnen auferlegten Mehrbelastungen.

    Nicht mit Mindestlohn abtauschbar
    Die Wirtschaftskammer (und vor allem die Industrie) hat aber in letzter Zeit ihre Forderungen mehr und mehr von konkreten Problemlagen entkoppelt und zum Prinzip erhoben. Entsprechend schwierig gestalteten sich auch die Sozialpartner-Verhandlungen, die im Frühjahr 2017 begonnen haben. Die Regierung hatte zuvor beschlossen, ihre Schwerpunkte bis zum Ende der Legislaturperiode umzusetzen, und dabei auch Lösungen für Fragen des Mindestlohns und der Arbeitszeitflexibilisierung in Aussicht gestellt. Mit der konkreten Lösungsentwicklung wurden aber die Sozialpartner beauftragt – kein Wunder, handelt es sich dabei schließlich um deren Kernthemen.
    Die Regierung hat für die Lösungsvorschläge der Sozialpartner eine Frist gesetzt, da von Anfang an klar war, dass die Positionen von Wirtschaft und ArbeitnehmerInnen in diesen Bereichen sehr weit auseinander liegen. Die Sozialpartner haben den Auftrag sehr ernst genommen und sich intensiv um Lösungen bemüht. In den wenigen Monaten, die zur Verfügung standen, gab es Dutzende Verhandlungsrunden, erst auf ExpertInnen-, dann auch auf Präsidentenebene.
    Die ohnehin schon schwierige Ausgangsposition wurde dadurch erschwert, dass nun zwei Themen auf dem Tisch lagen, die miteinander aber nur bedingt zu tun haben. Während die ArbeitnehmerInnen davon ausgegangen sind, einerseits eine in sich faire und schlüssige Lösung für den Mindestlohn zu erarbeiten und andererseits eine für die Arbeitszeit, wollten die ArbeitgebervertreterInnen die beiden Themen miteinander verknüpfen.
    Gegen die Zusage der stufenweisen Erhöhung der niedrigsten Mindestlöhne auf 1.500 Euro sollte eine Lösung in der Arbeitszeitfrage abgetauscht werden, bei der ausschließlich die Flexibilisierungsforderungen der Arbeitgeber berücksichtigt worden wären. Obwohl wir von Anfang an darauf aufmerksam gemacht haben, dass dieser Deal nicht aufgehen kann, wurde von den Arbeitgebern konsequent daran festgehalten. Das hat die Verhandlungen natürlich enorm erschwert und im Bereich der Arbeitszeit vorläufig zum Scheitern gebracht.

    Arbeitszeit verkürzen
    Von der Erhöhung der Mindestlöhne auf 1.500 Euro profitieren direkt 300.000 ArbeitnehmerInnen. Die Umsetzung erfolgt stufenweise über die Kollektivverträge der betroffenen Branchen, und der Preis dafür, dass die unteren Mindestlöhne außerordentlich erhöht werden, wird natürlich in den Verhandlungen dadurch bezahlt, dass andere Forderungen der ArbeitnehmerInnen, etwa im Rahmenrecht, die sonst erfolgen würden, schwerer auszuhandeln sein werden.
    Wir gehen davon aus, dass über die kommenden Jahre in einigen der betroffenen Branchen ohnehin höhere Mindestlöhne in den KV-Verhandlungen durchgesetzt worden wären. Von der Flexibilisierung, wie sie die Arbeitgeber gefordert hätten, wären aber so gut wie alle ArbeitnehmerInnen negativ betroffen, zum Beispiel durch den Wegfall von Überstundenzuschlägen. Das könnte nach Berechnung der AK ein Volumen von bis zu 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ausmachen – und das dauerhaft, während im KV-Bereich natürlich jedes Jahr weitere Erhöhungen auf dem Verhandlungsweg erreicht werden müssten. Alles in allem also ein schlechter Tausch.
    Unser Zugang war wie immer bei Arbeitszeitverhandlungen jener, den Arbeitgebern dort, wo notwendig, mehr Möglichkeiten zu geben, im Gegenzug aber für die ArbeitnehmerInnen bessere Planbarkeit, mehr Selbstbestimmtheit und im Optimalfall auch eine Arbeitszeitverkürzung zu erreichen. Als fairen Deal hätten wir zum Beispiel gesehen, die tägliche Höchstarbeitszeit bei Gleitzeitvereinbarungen auf 12 Stunden auszudehnen, dafür aber die 6. Urlaubswoche für alle ab dem 43. Lebensjahr umzusetzen. In zähen Verhandlungen war es zwar möglich, die Forderungen der Arbeitgeber auf ein realistischeres Maß zu reduzieren. Leider war es aber nicht möglich, auch Verbesserungen im Sinne der ArbeitnehmerInnen durchzusetzen.
    In der Sozialpartnerschaft ist es aber guter Brauch, Lösungen zu finden, von der beide Seiten profitieren. Das hat in diesem Fall jedoch leider nicht zu einer Lösung geführt, zumindest nicht innerhalb der von der Regierung gesetzten Frist. Damit bleibt das Thema Arbeitszeitflexibilisierung auf dem Verhandlungstisch der Sozialpartner. Es spielt Tag für Tag bei Verhandlungen über Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen eine Rolle. Sicher wird es auch auf Eben der Dachverbände bald wieder verhandelt. Grundlagen dafür gibt es nach den vielen intensiven Verhandlungsrunden genügend.

    Lösungen auf KV- und Betriebsebene
    Die Sozialpartner arbeiten vor, während und nach diesen Verhandlungen an Hunderten Themen, und in einem davon wurde aus den geschilderten Gründen zu einem von außen gesetzten Termin keine Lösung erreicht. Das heißt aber nicht, dass die Sozialpartnerschaft nicht mehr lösungsfähig ist.
    Das Gegenteil ist der Fall, wie tägliche Erfolge auf Betriebs-, Branchen- und Bundesebene zeigen. Viele dieser Einigungen beinhalten übrigens auch Lösungen für flexible Arbeitszeiten, als Beispiele seien nur der Handel genannt oder der neue Kollektivvertrag für die Beschäftigten in den Bahn-Speisewägen. Gerüchte vom Ableben der Sozialpartnerschaft sind also nicht nur verfrüht, sondern entbehren jeder Grundlage.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor bernhard.achitz@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354413555 Selbstbestimmung für ArbeitnehmerInnen durch Gleitzeit. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354413564 Das Arbeitszeitgesetz ist auch ein Schutzgesetz. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354413508 Zahlen, Daten und Fakten Arbeitszeit ist Lebenszeit

    Arbeitszeit wirkt sich nicht nur auf Einkommen, Gesundheit und Wohlbefinden jeder/jedes Einzelnen aus. Sie beeinflusst auch die Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands und die Arbeitslosigkeit.
    Das Ziel einer kurzen Vollzeit – als Gegenpol zur viel geforderten Ausdehnung von Arbeitszeiten – muss wieder stärker in den Vordergrund rücken. Denn bereits jetzt arbeiten viele Beschäftigte in Österreich außerhalb der derzeit als normal angesehenen Arbeitszeiten.
    Lange Arbeitszeiten machen auf Dauer krank: Gesundheitliche Beschwerden wie Schmerzen in Rücken, Nacken, Schultern, Gliedern oder Kopf sowie Stress und allgemeine Erschöpfungszustände nehmen mit der Dauer der Wochenarbeitszeit zu. Das Gefühl, vom Arbeitsstress ausgebrannt zu sein, nimmt zu – und nicht zuletzt das Unfallrisiko.

    Arbeitszeitflexibilisierung

    Wieviel arbeiten Österreichs Beschäftigte jetzt schon abseits der Norm?
    Wie steht es um Überstunden und Zuschläge in Österreich?

    Alle Infos finden Sie anbei zum Downloaden.

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    Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354413493 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1505354413453 Historie: Achtstundentag und Kollektivvertrag 1950 hingen in den Betrieben ÖGB-Wandzeitungen mit einem großen roten Pfeil. Der Pfeil deutete auf das Foto einer Uhr, deren Zeiger auf halb fünf standen und damit das Arbeitsende nach acht Stunden und einer halben Stunde Pause anzeigten. Auf dem roten Hintergrund knallte in weißer Schrift So geht die Uhr richtig! Die Botschaft neben der Grafik lautete:

    Den Achtstundentag haben in langen und andauernden Kämpfen die Gewerkschaften errungen. Die gesetzliche Sicherung durch das Arbeitszeitgesetz fehlt aber noch! Aber auch das werden wir erringen!

    Diese Botschaft zeigt an, dass die geschichtliche Entwicklung das Rad in Sachen Arbeitszeitverkürzung zurückgedreht hatte. Das Parlament der jungen österreichischen Republik hatte ja als einen seiner ersten Beschlüsse 1918 schon provisorisch den Achtstundentag eingeführt und diesen Beschluss 1919 bestätigt – damit war eine der wichtigsten politischen Forderungen der Gewerkschaftsbewegung nach dreißig Jahren erfüllt. Selbst unter Diktatur und Faschismus blieb der Achtstundentag zunächst unangetastet. Aber als während des Zweiten Weltkriegs die Arbeitskräfte knapp wurden, versuchte die nationalsozialistische Verwaltung das Problem nicht nur durch den Einsatz von Zwangsarbeitern zu lösen, sondern auch durch die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf elf Stunden. In den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik scheiterte die Wiedereinführung des Achtstundentags an der Blockade durch die Arbeitgeberseite.

    Unter diesen Bedingungen griffen die Gewerkschaften auf die vor 1918 angewendete Strategie der Arbeitszeitregelung durch Kollektivvertrag zurück. Dieses Ziel war 1950 flächendeckend erreicht, während die Forderung nach einem guten Arbeitszeitgesetz noch lange unerfüllt blieb. Auch das nächste Ziel der ÖGB-Gewerkschaften, die Verkürzung der Wochenarbeitszeit zunächst auf 45, dann auf 43 Stunden, wurde über Kollektivverträge durchgesetzt. Als 1970 endlich das neue Arbeitszeitgesetz auf Basis der bisherigen KV-Vereinbarungen in Kraft trat, musste es gleich wieder novelliert werden – ein neuer General-KV zwischen ÖGB und Wirtschaftskammer fixierte in diesem Jahr die Einführung der 40-Stunden-Woche bis 1975.

    Bei den Novellen zum Arbeitszeitgesetz stand der Achtstundentag lange außer Streit – im Gegenteil: Angesichts der wieder steigenden Arbeitslosigkeit verlangten und erreichten die Gewerkschaften bis Mitte der 1980er-Jahre in KV-Verhandlungen für den Großteil der ArbeitnehmerInnen eine Wochenarbeitszeit von weniger als 40 Stunden. Aber in den 1980er-Jahren fasste die neoliberale Ideologie in der Gesellschaft Fuß, und statt um Arbeitszeitverkürzung ging es ab jetzt um die Verteidigung des Erreichten. Verbunden mit der Forderung nach flexiblerer Arbeitsorganisation wurde versucht, das Arbeitszeitgesetz und die Position der Gewerkschaften zu unterlaufen. Der ÖGB konnte solche Versuche seit 1997 abwehren, der Achtstundentag blieb in Geltung und Flexibilisierungen werden weiter über KV geregelt – und nicht per Gesetz.

    Ausgewählt und kommentiert von Brigitte Pellar 
    brigitte.pellar@aon.at

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    Brigitte Pellar, Historikerin Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1505354413414 Mit diesem Plakat feierte der ÖGB, dass die Einführung der 40-Stunden-Woche 1975 abgeschlossen und die entsprechende Novelle zum Arbeitszeitgesetz in Kraft getreten war. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1504749614882 Weniger arbeiten? Das geht! Im Jahr 1919 wurde in Österreich die 48-Stunden-Woche verankert, seit Jänner 1975 gibt es die gesetzliche 40-Stunden-Woche. Nach mehr als 40 Jahren wäre es jetzt an der Zeit für die nächste Etappe.
    Eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung, etwa auf 35 oder 30 Stunden, mit vollem Lohn- und Personalausgleich wäre wünschenswert – in der derzeitigen politischen Konstellation allerdings nicht umsetzbar. Es gibt aber zahlreiche andere Möglichkeiten, ungesunde, überlange Arbeitszeiten zu verkürzen und die vorhandene Arbeit auf mehr Menschen zu verteilen.
    Manche dieser Möglichkeiten sind noch Utopie, andere längst Realität. Und manche davon bringen mindestens so viele Nachteile wie Vorteile. Ein Überblick.

    Kollektivvertragliche Wochenarbeitszeit: Wie in so vielen Fällen haben innovative Kollektivverträge auch beim Thema Arbeitszeit vorweggenommen, wofür die gesetzliche Regelung länger braucht.
    Während das Gesetz seit mehr als 40 Jahren bei der 40-Stunden-Woche stehen geblieben ist, hat sich in immer mehr Branchen mit Kollektivverträgen die 38,5-Stunden-Woche durchgesetzt. Etwa bei Schichtarbeitsmodellen kann es auch noch weniger sein.
    Dass diese verkürzte Normalarbeitszeit in den Kollektivverträgen steht, bedeutet: Die Arbeitgeber großer und wichtiger Branchen haben zugestimmt. Arbeitszeitverkürzung kann also gar nicht so schlimm sein, wie uns manche Industrie- und WirtschaftsvertreterInnen permanent vorjammern.
     
    Freizeitoption: In einzelnen Kollektivvertragsverhandlungen haben sich Gewerkschaften und Arbeitgeber auf eine Wahlmöglichkeit geeinigt: Die Beschäftigten können statt der Ist-Lohn-Erhöhung die Freizeitoption wählen. Im Bergbau und in der Stahlindustrie heißt das zum Beispiel 60 bis 66 Stunden mehr Freizeit pro Jahr – und zwar auf Dauer, nicht nur im Jahr nach dem Abschluss. Nachteil: Den Verzicht auf das Einkommen muss man sich leisten können. BezieherInnen von kollektivvertraglichen Mindestlöhnen können nicht zwischen Geld und Freizeit entscheiden, denn Beschäftigung unter dem Mindestlohnniveau ist verboten.
     
    Betriebliche Arbeitszeitverkürzung: Vereinzelte Unternehmen reduzieren die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten ganz freiwillig, zahlen aber trotzdem den vollen Lohn. Das kostet zwar kurzfristig mehr, aber auf Dauer profitiert die Firma von gesünderen, motivierteren ArbeitnehmerInnen. 
     
    Teilzeit: Die meistpraktizierte Form der Arbeitszeitverkürzung. Ein Drittel hat Arbeitsverträge mit weniger Stunden, als die Normalarbeitszeit ausmachen würde. Von den Frauen sind sogar 48 Prozent teilzeitbeschäftigt. Mit allen Nachteilen: kein Lohnausgleich, also niedriges Einkommen und dadurch niedrigere Pensionsbeiträge, die später zu Altersarmut führen. Es gibt natürlich auch einige Menschen, die aus freiem Willen Teilzeit arbeiten. Vielen Frauen bleibt aber nichts anderes übrig, weil sie weiterhin für die Kinderbetreuung verantwortlich gemacht werden, das Angebot an Kinderbetreuung vor allem am Land aber oft miserabel ist; weil die gesellschaftliche Realität so aussieht, dass Frauen immer noch zwei Drittel der unbezahlten Arbeit machen (Kinder, Haushalt, Pflege); und weil die Arbeitgeber mancher Branchen nur Teilzeitjobs anbieten, man werfe einen Blick auf Jobinserate etwa im Handel.
    Für Arbeitgeber hat Teilzeit noch einen Vorteil: Sollte einmal doch mehr Arbeit anfallen, sind nicht sofort Überstundenzuschläge fällig. Die gibt es nämlich erst ab der 41. Wochenstunde. Für den Bereich dazwischen gibt es zwar theoretisch Mehrarbeitszuschläge, diese sind aber niedriger und kommen in der Praxis nur selten zur Anwendung.
    Weil es meistens die Frauen sind, die Teilzeit arbeiten, wären sie auch diejenigen, die von einer allgemein eingeführten Normalarbeitszeit von zum Beispiel 35 Stunden mit Lohnausgleich am meisten profitieren würden: Ihre Stundenlöhne würden steigen, und weil die Arbeitszeit der tendenziell vollzeitbeschäftigten Männer sinken würde, hätten diese vielleicht auch einmal mehr Zeit für Kinder und Haushalt.
     
    Überstunden reduzieren: Vollzeitbeschäftigte kommen auf durchschnittlich 41,5 Wochenstunden – das ist Platz 3 in Europa. Während also Frauen mit durchschnittlich 22,5 Stunden teilzeitbeschäftigt sind, müssen vorwiegend Männer laufend Überstunden machen. 2015 wurden insgesamt 253 Millionen Überstunden geleistet. Hier liegt ein großes Potenzial für zusätzliche Arbeitsplätze. Immer wieder wird vorgeschlagen, man könnte die Überstunden abbauen, indem man deren Steuerbegünstigung streichen würde. Das brächte zwar der öffentlichen Hand höhere Einnahmen, aber auf Kosten der Beschäftigten. Den Arbeitgebern, die die Überstunden ja anordnen, wäre das aber vermutlich egal. Eine bessere Idee zur Reduzierung der Überstunden hat der ÖGB: Sie müssen für die Arbeitgeber teurer werden, zum Beispiel um einen Euro pro Stunde. Das dadurch gewonnene Geld sollte in Arbeitsmarktpolitik und Gesundheit investiert werden.
     
    Kurzarbeit: Damit kann ein Betrieb – mit Zustimmung der Gewerkschaft – zeitlich begrenzt die Arbeitszeit herunterfahren, um in Krisenzeiten Kündigungen zu vermeiden. Einen Teil des entfallenden Einkommens übernimmt das AMS. Mit Kurzarbeit konnten in der Wirtschaftskrise 2009 viele Unternehmen und Arbeitsplätze gerettet werden.
     
    Elternteilzeit:
    Es gibt auch Formen der Arbeitszeitverkürzung, die sich nicht nach den Bedürfnissen der Unternehmer richten, sondern nach den Lebensphasen der Beschäftigten. Bis zum siebenten Geburtstag ihres Kindes dürfen Eltern die Arbeitszeit reduzieren. Der Anspruch ist aber abhängig von der Betriebsgröße – und davon, wie lange man schon dort arbeitet. Der Einkommensverlust wird nicht ausgeglichen.
    Es sind überwiegend die Mütter, die ihre Arbeitszeit verkürzen, während die Väter voll weiterarbeiten. Bei Paaren ohne Kinder arbeitet die Frau im Schnitt 3,7 Stunden kürzer als der Mann, bei Familien mit drei Kindern steigt dieser Gender Time Gap schon auf 12,7 Wochenstunden.
     
    Weiterbildung:
    Es gibt einige Varianten, die Arbeitszeit auf bis zu null zu reduzieren, um Zeit für berufliche Weiterbildung zu haben – Bildungskarenz, Bildungsteilzeit, Fachkräftestipendium. Während dieser Zeit gibt es Geld vom AMS. Entscheidender Nachteil: kein Rechtsanspruch.

    Altersteilzeit: Ermöglicht reduzierte Arbeitszeit in den Jahren vor der Pension. Einen Teil des Entgeltverlusts übernimmt das AMS. Sie wird aber meistens in der Blockvariante in Anspruch genommen, also zum Beispiel ein Jahr voll arbeiten, ein Jahr gar nicht mehr. Das ist gut für den Arbeitsmarkt, denn der Betrieb muss eine Ersatzkraft einstellen. Es besteht kein Rechtsanspruch, das heißt sie ist nur mit Zustimmung des Arbeitgebers möglich.
     
    Urlaub: Die Arbeitszeitverkürzung könnte auch bei der Jahresarbeitszeit ansetzen und zum Beispiel allen ArbeitnehmerInnen nach 25 Jahren eine sechste Urlaubswoche pro Jahr gewähren. Das ist eigentlich schon vorgesehen: Derzeit gibt es die sechste Woche zwar nach 25 Jahren, aber nur, wenn man großteils in ein und demselben Betrieb gearbeitet hat. Das war seinerzeit der Regelfall, aber heute sind die Menschen mobiler. Eine andere Möglichkeit: mehr Urlaub ab dem 43. Lebensjahr, wie bei den BeamtInnen. Zusätzlich könnte es Anspruch auf eine Woche Bildungsurlaub geben.
     
    Feiertage: Regelmäßig fallen gesetzliche Feiertage auf Samstag oder Sonntag, die ArbeitnehmerInnen fallen um ihre Erholung um. Wie in anderen Ländern könnten diese Feiertage auch in Österreich auf den folgenden Montag verlegt werden. Das brächte längere zusammenhängende Freizeitblöcke – die Gesundheit wird’s danken!
     
    Pension: Man könnte auch die Lebensarbeitszeit verkürzen – indem man die Menschen früher in Pension gehen ließe. Politisch herrscht aber weitgehend Einigkeit, dass das faktische Antrittsalter nicht gesenkt, sondern erhöht werden müsse. Damit die Menschen ausreichend gesund bleiben, dass sie ihre Lebensarbeitszeit verlängern können, muss daher die Arbeitszeit während der Arbeitsjahre verkürzt werden.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor florian.kraeftner@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Florian Kräftner, ÖGB Kommunikation Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1504749614876 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1504749614814 Arbeitszeit-Glossar Normalarbeitszeit
    Das ist der Teil der Arbeitszeit, der „normalerweise“ zu leisten ist. Also das Ausmaß an täglicher und wöchentlicher Arbeitszeit, das in der Regel über längere Zeit vorher vereinbart oder selbst eingeteilt wird und für das keine Zuschläge anfallen.
    Grundsätzlich sind das acht Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche, wobei viele Kollektivverträge eine niedrigere wöchentliche Normalarbeitszeit vorsehen.

    Höchstarbeitszeit
    Das ist die Maximalgrenze an Arbeitszeit, die nicht ohne Weiteres überschritten werden darf. Die Grenze liegt bei zehn Stunden am Tag und 50 Stunden in der Woche. Diese Grenzen dürfen nur im Ausnahmefall und in Betrieben mit Betriebsrat nur mit Betriebsvereinbarung überschritten werden.

    Überstunden
    Überstunden sind jene Arbeitszeit, die über die Normalarbeitszeit hinausgeht. In der Regel ist die neunte Arbeitsstunde am Tag und die 41. Stunde in der Woche eine Überstunde.
    Für Überstunden gebührt jedenfalls ein Zuschlag von zumindest 50 Prozent in Geld oder als Aufschlag auf den Zeitausgleich. Das zulässige Ausmaß an Überstunden ist begrenzt. Zulässig sind grundsätzlich fünf Überstunden pro Woche und dazu weitere 60 verteilt über das Jahr. Zusammen dürfen jedoch nie mehr als zehn Überstunden pro Woche geleistet werden.

    Teilzeit
    Wenn die vereinbarte Arbeitszeit unter der gesetzlichen oder kollektivvertraglichen Normalarbeitszeit liegt, dann liegt Teilzeit vor.
    Der Wechsel von einer Teilzeitstelle auf eine Vollzeitstelle soll dadurch erleichtert werden, dass der Arbeitgeber die Teilzeitbeschäftigten über das Freiwerden einer Stelle mit höherem Stundenausmaß informieren muss. Wenn über das vereinbarte Ausmaß hinaus gearbeitet wird, ohne dabei in den Bereich der Überstunden zu kommen, so entsteht:

    Mehrarbeit
    Diese ist also das Überschreiten des vereinbarten Stundenausmaßes der Teilzeitbeschäftigung, ohne damit in den Bereich der Überstunden zu gelangen. ArbeitnehmerInnen sind zur Leistung von Mehrarbeit aber nur insoweit verpflichtet, als dies im Arbeitsvertrag vorgesehen ist, ein erhöhter Arbeitsbedarf vorliegt und keine berücksichtigungswürdigen Gründe aufseiten des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin entgegenstehen. Abzugelten ist diese Mehrarbeit unter gewissen Voraussetzungen mit einem

    Mehrarbeitszuschlag
    Dieser wird fällig, wenn die geleisteten Mehrstunden nicht innerhalb eines festgesetzten Zeitraums von drei Monaten (in der Regel das Kalenderquartal) durch Zeitausgleich wieder ausgeglichen werden. Der Mehrarbeitszuschlag beträgt 25 Prozent in Geld oder als Aufschlag auf den Zeitausgleich.

    Gleitzeit
    Von gleitender Arbeitszeit oder Gleitzeit spricht man, wenn der/die ArbeitnehmerIn Beginn und Ende der täglichen Normalarbeitszeit innerhalb eines vereinbarten Rahmens selbst festlegen kann.
    Die Gleitzeit braucht eine Betriebsvereinbarung oder dort wo es keinen Betriebsrat gibt eine Einzelvereinbarung mit jedem/jeder ArbeitnehmerIn.
    In dieser muss Folgendes geregelt werden: innerhalb welcher Zeit die Normalarbeitszeit im Durchschnitt erreicht werden soll (Gleitzeitperiode); der Rahmen, innerhalb dessen die Arbeitszeit frei gewählt werden kann; in welchem Ausmaß Zeitguthaben und Zeitschulden in die nächste Periode übertragen werden können; die fiktive Normalarbeitszeit.
    Letztere ist vor allem bei Dienstverhinderungen, Krankenstand oder Urlaub wichtig, um festzustellen, wie viele Stunden auch für diese Abwesenheitszeiten gutgeschrieben werden.

    Durchrechnungszeitraum
    Ein Durchrechnungszeitraum ist der Zeitraum, innerhalb dessen die vereinbarte Arbeitszeit im Durchschnitt erreicht wird. In der Regel entstehen Mehr- und Überstunden erst durch Überschreitung des vereinbarten Durchschnitts.

    Pause
    Wenn ein Arbeitstag länger als sechs Stunden dauert, so steht es dem/der ArbeitnehmerIn zu, die Arbeitszeit für eine halbe Stunde zu unterbrechen. Diese Pause muss die Arbeit unterbrechen, sie darf daher dem Sinn nach weder zu Beginn noch am Ende des Arbeitstags liegen. Spätestens nach sechs Stunden muss der/die ArbeitnehmerIn Pause machen.

    Zeitausgleich
    Zeitausgleich ist Freizeit für vorher aufgebautes Zeitguthaben oder in Zukunft zu erbringende Zeitschuld. Grundsätzlich muss der Zeitraum des Zeitausgleichs vereinbart werden. In bestimmten Fällen kann aber der/die ArbeitnehmerIn diesen auch einseitig antreten. 

    Arbeitsbereitschaft
    Arbeitsbereitschaft bedeutet, dass sich der/die ArbeitnehmerIn an einem vom Arbeitgeber vorgegebenen Ort bereithält, um jederzeit die Arbeit aufnehmen zu können. Diese Arbeitsbereitschaft ist Arbeitszeit und als solche auch zu bezahlen.
    Fällt in die Arbeitszeit jedoch Arbeitsbereitschaft in erheblichem Umfang, so darf die tägliche Normalarbeitzeit bis zu zwölf Stunden und die wöchentliche Normalarbeitszeit bis zu 60 Stunden betragen. Von der Arbeitsbereitschaft ist die Rufbereitschaft zu unterscheiden.

    Rufbereitschaft
    Rufbereitschaft bedeutet, dass sich der/die ArbeitnehmerIn außerhalb der Arbeitszeit an einem selbst gewählten Ort dafür bereithält, ausnahmsweise zur Arbeit gerufen zu werden. Eine solche Rufbereitschaft ist jedoch nur an maximal zehn Tagen im Monat zulässig. Wird tatsächlich zur Arbeit gerufen, so ist die geleistete Arbeit auch – in der Regel als Überstunden – zu entlohnen und unterbrochene Ruhezeit nachzuholen. Ob und in welcher Höhe die Rufbereitschaft selbst abgegolten wird, regeln die Kollektivverträge.

    Wochenendruhe
    ArbeitnehmerInnen haben in jeder Kalenderwoche Anspruch auf 36 Stunden ununterbrochene Ruhezeit, in die der Sonntag zu fallen hat.
    Da in manchen Bereichen auch am Wochenende zulässigerweise gearbeitet werden darf (wie etwa im Krankenhaus oder im Tourismus), kann statt der Wochenendruhe auch ein anderer Zeitraum von 36 Stunden festgelegt werden, in den jedenfalls ein ganzer Wochentag zu fallen hat. Wird ausnahmsweise innerhalb dieses Zeitraums doch gearbeitet, so gebührt dafür neben der Entlohnung auch Ersatzruhe.

    Ersatzruhe
    Wenn ArbeitnehmerInnen während der Wochenendruhe beschäftigt werden, so gebührt ihnen Ersatz für die entgangene Ruhezeit. Diese Ersatzruhe hat so lange zu sein, wie die Störung der Ruhezeit gedauert hat, sie soll grundsätzlich vor der nächsten Wochenendruhe liegen und diese verlängern. Selbstverständlich ist die Zeit der Ersatzruhe auch zu bezahlen.

    Tägliche Ruhezeit
    Das ist die Zeit, die zwischen den einzelnen Arbeitstagen liegt. Diese ununterbrochene Ruhezeit hat grundsätzlich mindestens elf Stunden zu betragen. Der Kollektivvertrag kann diese Zeit auf mindestens acht Stunden verkürzen, wenn die verkürzte Zeit an eine andere Ruhezeit angehängt wird.

    Arbeitszeitaufzeichnung
    Der Arbeitgeber hat Aufzeichnungen über die Arbeitszeit der ArbeitnehmerInnen zu führen. Diese Verpflichtung darf er aber auf die Beschäftigten übertragen.
    Auch gibt es in einigen Fällen gewisse Erleichterungen, wie etwa nur die Aufzeichnung von Abweichungen von der normalerweise fixen Arbeitszeit oder das Dokumentieren ausschließlich der Länge der Arbeitszeit bei ArbeitnehmerInnen, die Arbeitsort und Arbeitszeit weitgehend selbst bestimmen können.

    Feiertag
    An Feiertagen haben ArbeitnehmerInnen ein Anrecht auf 24 Stunden Freizeit, die frühestens um null Uhr und spätestens um sechs Uhr des entsprechenden Feiertags beginnt. Das Arbeitsentgelt, das man bekommen hätte, wenn kein Feiertag gewesen wäre, gebührt trotzdem. Wird am Feiertag trotzdem gearbeitet, dann gebührt dafür zusätzlich die Bezahlung für die geleisteten Stunden.
    Feiertage sind: 1. Jänner (Neujahr), 6. Jänner (Heilige Drei Könige), Ostermontag, 1. Mai (Staatsfeiertag), Christi Himmelfahrt, Pfingstmontag, Fronleichnam, 15. August (Mariä Himmelfahrt), 26. Oktober (Nationalfeiertag), 1. November (Allerheiligen), 8. Dezember (Mariä Empfängnis), 25. Dezember (Weihnachten), 26. Dezember (Stephanstag).
    Für Angehörige der evangelischen Kirchen AB und HB, der Altkatholischen Kirche und der Evangelisch-methodistischen Kirche ist auch der Karfreitag ein Feiertag.

    Schichtarbeit
    Schichtarbeit bedeutet, dass die Beschäftigten nach einem vorher bestimmten Zeitplan nacheinander am selben Arbeitsplatz eingesetzt werden. Dadurch kann der Betrieb weit länger aufrechterhalten werden, als wenn alle Beschäftigten gleichzeitig arbeiten würden. So ist es möglich, in manchen Betrieben sogar rund um die Uhr und an sieben Tagen der Woche zu arbeiten.

    Reisezeit
    Von Reisezeit wird gesprochen, wenn der/die ArbeitnehmerIn im Auftrag des Arbeitgebers vorübergehend seinen/ihren Dienstort verlässt, um an anderen Orten die Dienstleistung zu erbringen. Zu unterscheiden ist hierbei, ob man transportiert wird oder selbst lenkt. Im ersten Fall können die Arbeitszeitgrenzen durch die Reisebewegung überschritten und in manchen Fällen auch die Ruhezeiten gekürzt werden. Lenkt man selbst, so darf die Arbeitszeit inklusive Reisezeit maximal 12 Stunden betragen und die Überschreitung der zehnten Stunde nur durch die Reisebewegung verursacht sein. In jedem Fall ist Reisezeit auch Arbeitszeit und als solche zu bezahlen. 

    Nachtarbeit
    Als Nachtarbeit gilt Arbeit zwischen 22.00 Uhr und 5.00 Uhr. Als NachtarbeitnehmerInnen gelten ArbeitnehmerInnen, die regelmäßig oder in mindestens 48 Nächten im Jahr Nachtarbeit leisten. Da häufige Nachtarbeit der Gesundheit schaden kann, haben NachtarbeitnehmerInnen auch Anspruch auf regelmäßige Untersuchungen ihres Gesundheitszustands.

    Vertrauensarbeitszeit
    Vertrauensarbeitszeit wird genannt, wenn ArbeitnehmerIn und Arbeitgeber sich darauf verständigen, dass die übertragenen Aufgaben erledigt werden, ohne dass der Arbeitgeber bezüglich Arbeitszeit und Arbeitsort Vorgaben macht.
    Es klingt ein wenig nach paradiesischen Zuständen. Abgesehen davon, dass ein solches Modell tatsächlich eine Menge an gegenseitigem Vertrauen braucht – durch eine solche Vereinbarung können zwingende Regeln des Arbeitsrechts nicht außer Kraft gesetzt werden. Auch bei „Vertrauensarbeitszeit“ sind Arbeitszeitaufzeichnungen zu führen. Es sind die Grenzen der zulässigen Arbeitszeit sowie Pausen und Ruhezeiten einzuhalten, und selbstverständlich sind auch Überstunden zu bezahlen.

    All-in-Verträge
    So werden Vertragsklauseln genannt, die besagen, dass mit einem bestimmten Geldbetrag alle laufenden aus dem Arbeitsverhältnis entstehenden finanziellen Ansprüche abgedeckt sind. Es sollen damit alle möglichen Zulagen, Zuschläge und vor allem Mehrleistungen, also Überstunden, abgedeckt sein.
    Bei Verträgen, die vor dem Jahr 2016 abgeschlossen wurden, besteht dabei das Problem, dass es unklar ist, wie viele Überstunden mit dem All-in abgedeckt sind, da das Grundgehalt nicht gesondert ausgewiesen werden muss.
    Dieser Mangel ist für neue Verträge behoben. Weiterhin besteht jedoch das Problem, dass derartige Klauseln in immer mehr Verträgen zu finden sind. All-in war einmal eine gute Möglichkeit, Führungskräfte mit deutlicher Überzahlung auszustatten und dafür nicht jeden Zuschlag einzeln zu verrechnen. In diesem Bereich hat das auch seine Berechtigung. Unterhalb der Führungsebene dienen solche Klauseln in der Regel zur Verschleierung von Ansprüchen.

    Änderungen der Arbeitszeit
    Das Ausmaß der normalerweise zu leistenden Arbeitszeit ist zu vereinbaren. Und auch jede Änderung des Ausmaßes bedarf wieder der Vereinbarung zwischen ArbeitnehmerIn und Arbeitgeber.
    In diesem Fall muss das sogar schriftlich geschehen. Ein wenig anders stellt sich die Sache bei der Lage der Arbeitszeit dar. Grundsätzlich ist auch diese zu vereinbaren. Außerdem gibt es Kollektivverträge und in vielen Betrieben Betriebsvereinbarungen, die die Regeln für die Festlegung der Arbeitszeit beinhalten. In Ausnahmefällen kann die Arbeitszeit jedoch auch vom Arbeitgeber einseitig festgelegt wer-den. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn es sachlich gerechtfertigt ist und keine berücksichtigungswürdigen Gründe aufseiten des Arbeitnehmers/der Arbeitnehmerin entgegenstehen. Außerdem muss die Änderung mindestens zwei Wochen im Vorhinein mitgeteilt werden.

    Strafen bei Verstößen
    Immer wieder wird seitens der Wirtschaft moniert, dass die Strafen bei Verstößen gegen die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes so bedrohlich seien. Das beginnt bei 20 bis 436 Euro für die Verletzung mancher Meldepflichten und reicht von 73 bis 1.815 Euro für die Verletzung von Arbeitszeit-Höchstgrenzen oder Ruhezeitverkürzungen. Genauso hoch ist die Strafdrohung bei völligem Fehlen von Arbeitszeitaufzeichnungen. Bei Überschreitungen der Arbeitszeit von mehr als 20 Prozent beträgt die Strafe 218 bis höchstens 3.600 Euro. Und im Gegensatz zum Straßenverkehr droht kein Entzug irgendwelcher Berechtigungen. 

    Linktipps:
    VÖGB-Skriptenreihe „Arbeitszeitrecht“:
    tinyurl.com/yc4pf9a4
    AK-Informationen rund um das Arbeitszeitrecht:
    tinyurl.com/y9kb8uej

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor martin.mueller@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Martin Müller, Leiter des ÖGB-Referats für Rechts- und Kollektivvertragspoliti Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1504749614805 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1504749614784 "Nicht zuletzt" ... Das halbe Leben? Präsident des ÖGB]]> „Arbeit ist das halbe Leben“, heißt es sprichwörtlich. In letzter Zeit allerdings drängen Industrie und Wirtschaft auf eine wortwörtliche Umsetzung und fordern den 12-Stunden-Tag. Bereits jetzt bieten Arbeitszeitgesetze, Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten bei der Arbeitszeit. Bei besonderem Bedarf sind auch 12-Stunden-Arbeitstage, selbst über längere Zeiträume, möglich. Die mehr als 250 Millionen geleisteten Überstunden zeigen deutlich, dass österreichische ArbeitnehmerInnen bereits jetzt extrem flexibel arbeiten.
    Aus Sicht der Gewerkschaft fällt auf, dass die Flexibilisierungsdebatte derzeit fast ausschließlich aus Perspektive von Unternehmen und der Industriellenvereinigung geführt wird – mit einer eindeutigen Zielrichtung: Die Arbeitszeiten sollen sich ausschließlich tatsächlichen oder behaupteten betrieblichen Erfordernissen anpassen, während die Interessenlagen der ArbeitnehmerInnen nicht berücksichtigt werden. In anderen Worten: Arbeit auf Abruf, ständige Erreichbarkeit und lange Durchrechnungszeiträume, die viel Potenzial haben, Zuschläge zu reduzieren.

    Überlastung ist teuer
    Ausufernde Arbeitszeiten ohne die Möglichkeit der Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen gehen zulasten von Gesundheit, Erholung, Freizeit und Familienleben. Sie sind außerdem ein Gesundheitsrisiko, erhöhen die Fehlerhäufigkeit bzw. Unfallwahrscheinlichkeit und verursachen damit auch Kosten für das Gesundheitssystem und die Allgemeinheit.
    Es ist auch betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll, wenn Beschäftigte „hackeln bis zum Umfallen“. Der ÖGB fordert deshalb Arbeitszeitmodelle, die sich an den Bedürfnissen der ArbeitnehmerInnen orientieren und nicht am Profitinteresse der Unternehmen. Hier gibt es Instrumente wie Rechtsansprüche auf berufliche Auszeiten zur Burn-out-Prävention, für Weiterbildung oder zur beruflichen Umorientierung sowie das Recht auf Teilzeit in bestimmten Lebensphasen – wie Pflege, Kinderbetreuung, Qualifikation – mit einem Rückkehrrecht zu Vollzeit.
    Vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosigkeit und der Digitalisierung sind Arbeitszeitverkürzung und andere solidarische Arbeitszeitmodelle (wie Jobsharing) sicher der nachhaltigere Weg. Wenn man die Vorteile der Digitalisierung und die daraus resultierenden Produktivitätssteigerungen nutzen möchte, ist die Lösung der Verteilungsfrage von zentraler Bedeutung – und zwar die Verteilung von Einkommen und von Arbeitszeit. Die gegenwärtige Form von Arbeitszeitverkürzung in Form von Arbeitslosigkeit und (einkommensreduzierender) Teilzeit geht ausschließlich zulasten der ArbeitnehmerInnen, während die Kapitaleinkommen überproportional ansteigen. Die derzeitige Diskussion zur Flexibilisierung geht in die völlig falsche Richtung: Auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen wird das Arbeitszeitthema zum politischen Spielball. Ohne Rücksicht auf Verluste versuchen sich einzelne PolitikerInnen auf Kosten der Gesundheit Beschäftigter zu profilieren. Manch Unternehmer geht sogar so weit, sich mit hohen Wahlkampfspenden den 12-Stunden-Tag plus Einsatzbereitschaft am Wochenende erkaufen zu wollen. Von großem Weitblick zeugt das nicht.

    Gewerkschaften stehen für Fortschritt
    Der generelle, gesetzliche verankerte 12-Stunden-Tag wäre auch historisch betrachtet ein echter Rückschritt: In Österreich wurde 1889 im Bergbau Seegraben erstmals der 8-Stunden-Tag vereinbart.
    1918 erreichte der Sozialpolitiker Ferdinand Hanusch den 8-Stunden-Tag für FabrikarbeiterInnen – im selben Jahr wurde das auch gesetzlich verankert. Seitdem wurde die Arbeitszeit immer weiter reduziert. Seit 1985 haben einzelne Branchen 38 Stunden pro Woche oder weniger vereinbart.
    Was wir brauchen, sind branchenspezifische Arbeitszeitlösungen, die nicht nur auf unternehmerische Bedürfnisse eingehen, sondern auch gesellschaftspolitisch sinnvoll sind. Diesen Kampf haben wir GewerkschafterInnen quasi in unserer DNA, und wir werden auch nicht müde, ihn weiter zu bestreiten. Denn Arbeitszeit ist Lebenszeit.

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    Erich Foglar, Präsident des ÖGB Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1504749614765 Erich Foglar, Präsident des ÖGB http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 15 Sep 2017 00:00:00 +0200 1504749614755 Standpunkt: Menschen, keine Zitronen Er war damals dabei, als vor mehr als 40 Jahren die Arbeitszeit von 45 auf 40 Stunden gesenkt wurde. Heinz Dürr ist gelernter Bau- und Konstruktionsschlosser und war Sekretär der Arbeitergewerkschaft. Für ihn war die Arbeitszeitverkürzung Anstoß für eine Politisierung: „Die Arbeit und die Arbeitszeit waren damals für mich etwas Selbstverständliches, Unumstößliches, gleichsam Schicksalhaftes. Der kritische Umgang mit diesen ‚Selbstverständlichkeiten‘ erschütterte mein bisheriges Weltbild grundlegend. Plötzlich war Arbeitszeit enteignete Lebenszeit, Zeit der Entfremdung und gleichzeitig der Versuch der Selbstverwirklichung. Arbeitszeit war Herrschaftsinstrument und ihre Verkürzung Emanzipationsziel.“

    Vorsorgen statt Nachsehen haben
    Seit 1975, als die 40-Stunden-Woche schließlich umgesetzt war, hat sich viel verändert. Freilich gab es viele positive Entwicklungen, Gewerkschaften und AK haben viel dafür getan, um die Rolle der ArbeitnehmerInnen im Betrieb zu stärken. Und doch ist der Druck auf ArbeitnehmerInnen auch heute noch enorm: Verdichtung und Beschleunigung prägen viele Arbeitsverhältnisse, dazu kommen Entgrenzungsphänomene durch die neuen Technologien. Die Arbeitgeber verwenden die Arbeitslosenzahlen als Argument, um noch weitere Flexibilisierungen voranzutreiben. Wer vor diesem Hintergrund eine Arbeitszeitverkürzung fordert, kann sich da schon einmal wie eine Träumerin vorkommen. Dabei ist es dafür nicht nur allerhöchste Zeit. Es ist besser für die Beschäftigten und die Betriebe. Und es ist gut fürs Budget, nach dem Motto: Vorsorgen statt das Nachsehen haben.

    Wenn die Arbeitszeiten zu lang sind – und in Österreich werden verhältnismäßig viele Überstunden geleistet –, haben nicht nur die Betroffenen das Nachsehen, sondern es kostet die SteuerzahlerInnen sehr viel Geld in Form von Gesundheitsausgaben. Dass ebenjene, die mehr Flexibilität von den Beschäftigten fordern, auch ständig gegen Frühpensionierungen wettern, ist eine eigene Logik: ArbeitnehmerInnen sollen zwar noch mehr leisten, doch wenn sie davon überfordert sind, werden sie auch noch an den Pranger gestellt. Sinnvoll ist ein solcher Zugang nicht, sinnvoll wäre vielmehr, auf Vorsorge zu setzen. Dazu gehört, dass wir uns darüber unterhalten, wie Arbeitszeiten so gestaltet werden können, dass sie Menschen nicht krank machen. Auch müssen wir uns darüber unterhalten, wie Arbeitsplätze so gestaltet sein können, dass Menschen dort vielleicht sogar gerne und vor allem bei guter Gesundheit bis zum Pensionsantrittsalter arbeiten. Momentan aber scheint das Motto vielmehr zu sein, die Menschen noch weiter auszupressen.
    Arbeitszeit ist auch ein Verteilungsthema. In Österreich gibt es ein äußerst ungerechtes Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern: Wer Vollzeit arbeitet, muss oft sogar noch mehr (Über-)Stunden leisten – das betrifft mehrheitlich Männer. Teilzeit hingegen ist weiblich, was nicht zuletzt an der nach wie vor traditionellen Rollenaufteilung zwischen den Geschlechtern liegt. Dies ändert sich zwar mittlerweile, doch längere Arbeitszeiten, wie sie derzeit von der Wirtschaft gefordert werden, würden all diese langsamen Fortschritte zunichtemachen.
     
    Eine Frage der Emanzipation
    Arbeitszeitverkürzung ist also letztlich eine Frage der Emanzipation, wie dies bereits Heinz Dürr formuliert hat, auch wenn er mit dem Begriff vermutlich nicht in erster Linie die Geschlechterfrage im Kopf hatte. Das Fazit des Gewerkschafters aus der damaligen Diskussion: „Da wurde mir klar, dass der Mensch seine Geschichte selbst macht, wenngleich unter vorgefundenen Bedingungen. Das hieß für mich: Ich bin keinem unumstößlichen Schicksal ausgeliefert, ich kann die gesellschaftlichen Verhältnisse beeinflussen und mitgestalten!“ Das gilt bis heute.

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    Sonja Fercher, Chefin vom Dienst Arbeit&Wirtschaft 7/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1476042313162 Sonja Fercher, Chefin vom Dienst http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725613181 Sozialer Frieden ist Pflicht Die Sozialpartnerschaft sei ein wichtiger Standortvorteil für den Wirtschaftsstandort Österreich. Internationale Konzerne sehen darin sowie im sozialen Frieden in Österreich ganz wichtige Entscheidungsfaktoren, um sich hierzulande niederzulassen. Das System des partnerschaftlichen Interessenausgleichs bringe zudem einen Wachstumsvorteil von einem Prozentpunkt, was ein Plus von rund 25.000 Jobs bedeutet. Und die Sozialpartner seien Konjunkturimpulsgeber.
    Diese Worte kommen nicht etwa von einem eingefleischten Gewerkschafter, sondern vielmehr aus dem Munde eines der wichtigsten österreichischen Wirtschaftsvertreter: Christoph Leitl. Sie entspringen auch nicht den Wunschträumen des Wirtschaftskammerpräsidenten, sondern finden ihren Beleg vielmehr in einer Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO.

    Erfolgsmodell infrage gestellt
    Dieses Erfolgsmodell wird allerdings immer wieder infrage gestellt – zuletzt tauchten im Wahlkampf erneut Forderungen nach einer Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft bei den Kammern auf. Diese aber ist Kernpunkt der Sozialpartnerschaft.
    Nicht umsonst also bezeichnet AK-Präsident Rudi Kaske die Forderungen nach ihrer Abschaffung als „gefährliches Spiel mit dem sozialen Frieden in Österreich“. Er mahnt: „Wer die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft abschafft, schafft die Kammern ab und damit die Sozialpartnerschaft.“
    Gerade für die ArbeitnehmerInnen ist die Sozialpartnerschaft von großer Bedeutung, denn sie befinden sich im Machtgefüge am Arbeitsplatz in der schwächeren Position. Die Arbeiterkammern leisten einen wichtigen Beitrag, um hier einen Ausgleich zu schaffen.

    Solidarische Mitgliedschaft
    Präsident Kaske hält fest: „Grundlage, dass wir allen helfen können, ist die solidarische Mitgliedschaft aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Dazu kommt noch ein weiterer Aspekt, der für die Sozialpartnerschaft von Bedeutung ist: Die Mitgliedschaft aller ArbeitnehmerInnen garantiert in den Worten von AK-Präsident Kaske auch, „dass wir den Interessenausgleich zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen finden und so mit einer starken Stimme für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sprechen können“. Immerhin hat die Arbeiterkammer die Kraft von 3,6 Millionen Mitgliedern und ist somit eine gewichtige Akteurin in der österreichischen Innenpolitik.
    Ein Sonderfall: So wird die österreichische Sozialpartnerschaft gerne genannt. Denn in kaum einem europäischen Land werden Interessenkonflikte noch so konsensorientiert ausgetragen wie hierzulande. Weitere Beispiele sind Dänemark, Schweden oder die Niederlande.
    Der Politikwissenschafter Emmerich Tálos definiert die Sozialpartnerschaft als „spezifisches Muster der Interessenvermittlung und Interessenpolitik, das von den großen Dachverbänden der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressenorganisationen sowie der Regierung getragen ist“. Damit sind denn auch drei wesentliche Akteure der Sozialpartnerschaft angesprochen. Denn in Österreich spielt die Sozialpartnerschaft nicht nur bei den Kollektivvertragsverhandlungen zwischen den VertreterInnen der Arbeitgeber- und der ArbeitnehmerInnen die Hauptrolle. Die Sozialpartner verhandeln auch in verschiedenen Politikbereichen Regelungen, die später in Gesetzesform gegossen werden. Von Bedeutung ist die Sozialpartnerschaft in erster Linie in der Einkommens-, Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.

    Gesamtwirtschaftliche Ziele
    Dass sich diese Form des Interessenausgleichs in Österreich etabliert hat, hat seine Wurzeln in der Nachkriegszeit. Wesentliche Charakteristika sind bis heute erhalten geblieben: erstens die auf Verhandlung statt auf Konfrontation ausgerichtete Form der Auseinandersetzung, zweitens dass die AkteurInnen über die Partikularinteressen der eigenen Klientel hinaus immer auch gesamtwirtschaftliche Ziele im Auge haben. Eine wesentliche Voraussetzung, damit die Sozialpartnerschaft den angesprochenen Interessenausgleich auch erfolgreich umsetzen kann, ist die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern.
    In der Tat hat die Sozialpartnerschaft in Österreich einen erheblichen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg des Landes, wie die bereits angesprochene WIFO-Studie belegt. Sie wurde rund um den 50. Geburtstag des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen im Jahr 2014 vorgestellt. „Das Ergebnis ist ein wahres Geburtstagsgeschenk für die Sozialpartnerschaft“, betonte WIFO-Chef Karl Aiginger: „In Ländern wie Österreich ist die Wirtschaft nach allen Kriterien besser aufgestellt.“ Ziel der Untersuchung war es, den Einfluss der Sozialpartnerschaft auf die wirtschaftliche Entwicklung zu messen.
    Zu diesem Zweck hat das WIFO Länder in verschiedene Kategorien eingeteilt, und zwar nach folgenden Merkmalen: erstens der Organisationsgrad der Arbeitgeberverbände, also der „Anteil der Arbeitskräfte in Unternehmen, die Mitglied eines Arbeitgeberverbandes sind“; zweitens der Koordinationsgrad der Gewerkschaften. Verglichen wurden die Länder Österreich, Belgien, Dänemark, Schweden, die Niederlande, Norwegen, Italien, Griechenland, die Schweiz und Großbritannien.

    Koordiniertes Handeln
    Die StudienautorInnen Markus Leibrecht und Silvia Rocha-Akis halten fest: „Den Kern der österreichischen Sozialpartnerschaft bildet ein historisch gewachsenes, koordiniertes Handeln der großen wirtschaftlichen Interessenverbände – Österreichischer Gewerkschaftsbund (ÖGB), Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), Bundesarbeiterkammer (BAK), Landwirtschaftskammer Österreich (LKÖ).“ Zu Österreich schreiben sie außerdem: Es „weist sowohl in Bezug auf den Organisationsgrad der Arbeitgeberverbände als auch hinsichtlich des Koordinationsgrads von Gewerkschaften im Ländervergleich den höchsten Wert auf“.

    Signifikantes politisches Gewicht
    Von Bedeutung ist nicht nur die Pflichtmitgliedschaft in der Arbeiterkammer, sondern auch jene in der Wirtschaftskammer, die zu einem Organisationsgrad der Arbeitgeberverbände „von nahezu 100%“ führt. Für Leibrecht und Rocha-Akis ist dieser hohe Organisationsgrad der Arbeitgeber zudem von Bedeutung, damit das Lohnverhandlungssystem makroökonomische Wirkungen entfalten kann. Nebenbei bemerkt ist es auch ein Grund dafür, dass 97 Prozent der österreichischen ArbeitnehmerInnen von einem Kollektivvertrag erfasst sind.
    Auf Seiten der ArbeitnehmerInnen wiederum zeichnet sich Österreich nicht nur dadurch aus, dass es nur einen Gewerkschaftsbund gibt. „Zudem verleiht die Kooperation zwischen der gesetzlichen Interessenvertretung durch die Arbeiterkammern und der freiwilligen Interessenvertretung durch die Gewerkschaften und die Betriebsräte der Arbeitnehmerseite in Österreich signifikantes politisches Gewicht“, so die beiden WirtschaftsforscherInnen.
    Nicht nur was den Arbeitsmarkt betrifft, sondern auch wirtschaftspolitisch hat das System der Sozialpartnerschaft positive Auswirkungen. Sowohl die Arbeitslosenquote im Allgemeinen als auch jene der Jugendlichen ist in Österreich niedriger als in Ländern mit einer schwachen Sozialpartnerschaft – und zwar trotz Krise. Die beiden WirtschaftsforscherInnen führen die verhältnismäßig niedrige Arbeitslosigkeit bei den Jungen auf das duale Berufsbildungssystem zurück, das wiederum eng mit der Sozialpartnerschaft verknüpft ist: „Ein solches System geht mit einer engen Kooperation von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden einher.“

    Besser in Wirtschaft und Arbeitsmarkt
    In konkreten Zahlen ausgedrückt: Die Arbeitslosenrate in der Gruppe der Länder mit intensiver Sozialpartnerschaft lag in den Jahren 2008 bis 2012 bei 5,4 Prozent, in den Ländern mit geringer Intensität hingegen bei 7,8 Prozent, also um mehr als 2 Prozentpunkte höher. Auch bei Jugendarbeitslosigkeit, Beschäftigungsquote, Einkommensgleichheit, Lohnzuwachs und BIP-Wachstum schneiden Länder mit intensiver Sozialpartnerschaft deutlich besser ab.
    Der Wandel in Politik und Wirtschaft geht freilich auch an der Sozialpartnerschaft nicht vorbei. Allein der Wandel in der Arbeitswelt stellt sie vor neue Herausforderungen. Dazu kommen politische Veränderungen, immerhin dominierten in der Nachkriegszeit die zwei Parteien SPÖ und ÖVP das politische Geschehen – die wiederum enge Beziehungen zu den SozialpartnerInnen pflegen. Während der blau-schwarzen Regierung sah es fast so aus, als würde die Sozialpartnerschaft zum „Auslaufmodell“ werden, wie Politikwissenschafter Emmerich Tálos damals als Hypothese vertrat. Mit der Rückkehr der großen Koalition gewannen die Organisationen der ArbeitnehmerInnen wieder an Bedeutung.

    Wohlstand und sozialer Friede
    Politikwissenschafter Tálos führt einige  Herausforderungen und Probleme an, die es von den Sozialpartnern zu bewältigen gilt. Nichtsdestotrotz steht auch für ihn fest: „Die wirtschaftliche und soziale Erfolgsgeschichte Österreichs in der Zweiten Republik wurde wesentlich durch die Sozialpartnerschaft mitgetragen und mitgestaltet.“ – „Die Sozialpartnerschaft hat Österreich Wohlstand und sozialen Frieden gebracht“, fasst Rudi Kaske zusammen. Grundlage ist die gesetzliche Pflichtmitgliedschaft, und die wiederum ist Grundlage für eine starke Interessenvertretung. Der AK-Präsident mahnt: „Wer sie abschaffen will, schwächt die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer massiv.“

    Linktipps:
    Die österreichische Sozialpartnerschaft:
    www.sozialpartner.at
    Rocha-Akis/Leibrecht (Wifo) – „Sozialpartnerschaft und makroökonomische Performance“:
    tinyurl.com/sozialpartner

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sonja.fercher@oegb.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Der AK-Rechtsschutz
    Eine eindrucksvolle Erfolgsgeschichte

    Wir sind da, wenn wir gebraucht werden“: Mit diesen Worten kommentierte AK-Präsident Rudi Kaske die eindrucksvolle Rechtsschutzbilanz der AK Wien: „Knapp 100.000 Arbeitsrechtsvertretungen in den letzten 25 Jahren alleine in Wien – das zeigt, dass die Arbeiterkammer ein verlässlicher Partner für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist, die Sorgen und Probleme in ihrem Arbeitsleben haben.“ Dabei ist das nur die berühmte Spitze des Eisbergs. In noch viel mehr Fällen wurden Probleme aus dem Weg geräumt, ohne dass ein Gang vors Gericht notwendig wurde: durch Hilfe zur Selbsthilfe oder durch direkte Interventionen bei den Arbeitgebern. „Die Mitglieder brauchen uns, das beweisen mehr als zwei Millionen Beratungen im Jahr. Besonders jene, die es schwer im Arbeitsleben haben, brauchen die Unterstützung der Arbeiterkammer“, verweist Kaske auf die 800.000 AK-Mitglieder, die keinen AK-Beitrag zahlen müssen, weil sie nichts oder wenig verdienen.
    Allein im Jahr 2016 haben die ExpertInnen der AK Wien 86 Millionen Euro für die Mitglieder herausgeholt, durch Rechtsschutz, durch Vertretung bei Insolvenzen und im Sozialrecht. Kaske: „Gibt es Probleme in der Arbeit, dann wissen unsere Mitglieder, wohin sie sich wenden können. Unsere Expertinnen und Experten stehen mit Rat und Tat zur Seite.“ Kaske versichert, dass „alle Beratungsleistungen in der von den Mitgliedern geforderten Qualität gewährleistet sind“. Die ersten Monate im laufenden Jahr zeigen auch, dass die Nachfrage nach Unterstützung und Hilfe der AK nicht abnimmt.
    Die Inkraftsetzung des Arbeits- und Sozialgerichtsgesetzes vor 30 Jahren bezeichnet Kaske als Meilenstein der Zivilgerichtsbarkeit. Die bis dahin bestehende Kompetenzzersplitterung konnte damit weitgehend beseitigt werden, fachlich spezialisierte RichterInnen und die Einbindung von fachkundigen LaienrichterInnen sind die stabilen Garanten für Rechtsdurchsetzung und Streitbeilegung.
    Der Rechtsschutz der Arbeiterkammern ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Vor 25 Jahren waren in Wien gerade einmal etwas mehr als drei Dutzend MitarbeiterInnen in einem eher provisorisch eingerichteten Beratungsbereich die Pioniere der Rechtsschutzgeschichte. Heute sind fast ein Viertel aller AK-MitarbeiterInnen in diesem Bereich beschäftigt. Vor neun Jahren wurde im Haupthaus in der Prinz-Eugen-Straße ein neues Beratungszentrum geschaffen und alle vier Außenstellen sind der arbeitsrechtlichen Beratung und Rechtsdurchsetzung gewidmet. Kaske: „Wenn es notwendig ist, ist eine AK immer in der Nähe. Das ist auch ein erklärtes Ziel von uns: nahe bei den Mitgliedern zu sein.“
    Die Arbeiterkammer ist nicht nur in der Beratung der Mitglieder führend, in der Rechtsdurchsetzung vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien hat die AK Wien „einen Marktanteil von fast zwei Dritteln und im Insolvenzbereich hat der von uns mit dem ÖGB gemeinsam betriebene Gläubigerschutzverband ISA eine nahezu vollständige Marktabdeckung inne“.
    Die Expertise der ExpertInnen wird gefragt bleiben, immerhin sind ArbeitnehmerInnen weiterhin mit schwierigen Entwicklungen konfrontiert. So stehen etwa Forderungen nach noch mehr Flexibilität im Widerspruch zu den Erfordernissen eines erholsamen Familienlebens, so Kaske. Neue Formen der Arbeit wie Crowdworking gefährden das Gefüge des ausgleichenden Arbeits- und Sozialrechts, und die ständigen Angriffe auf die Pflichtmitgliedschaft oder die AK-Umlage bedrohen die Schwächsten in der Gesellschaft, so der AK-Präsident.

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    Sonja Fercher Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725613175 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725613163 Was machen wir Ösis besser Glückliches Österreich“: So lautete der Tenor etlicher Berichte in deutschen Medien zum Vergleich der Pensionssysteme in den beiden Ländern. Hintergrund dafür ist eine von der Hans-Böckler-Stiftung publizierte Vergleichsstudie, die Erstaunliches zutage gebracht hat. So sind die durchschnittlichen Pensionen von langjährig Versicherten in Österreich bei den Männern um gut 70 Prozent und bei den Frauen sogar mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. Bei den Pensionsperspektiven für die heute Jüngeren ist der Abstand sogar noch größer.
    Es ist in Anbetracht dieser Zahlen wenig verwunderlich, dass der Verweis auf das viel bessere österreichische Pensionssystem neuerdings sogar in deutschen Fernsehsendungen die Runde macht. Sehr unterhaltsam aufbereitet hat dies die ZDF-Satiresendung „Die Anstalt“. Es lohnt, den Beitrag nachzusehen, zu finden unter
    www.zdf.de/comedy/die-anstalt/die-anstalt-oesterreich-100.html

    Gravierende Unterschiede
    Warum überhaupt einen Vergleich mit Deutschland anstellen? Österreich und Deutschland haben ein fast gleiches Wohlstandsniveau und eine sehr ähnliche Sozialstaatstradition. Auch die Pensionssysteme sind in ihrem Ursprung sehr ähnlich. Dazu kommt, dass in beiden Ländern umfassende Pensionsreformen durchgeführt wurden. Gravierende Unterschiede gibt es allerdings bei der Ausrichtung und bei den Ergebnissen dieser Reformen. Deutschland hat mit der Riester-Reform im Jahr 2001 das Ziel der Lebensstandardsicherung durch das gesetzliche System aufgegeben. Ein Gutteil der Verantwortung für die Alterssicherung wurde den Betriebs- und Privatpensionen überantwortet. Teil dieser Strategie war eine Verlagerung vom gesetzlichen Umlageverfahren hin zu privaten Ansparmodellen. Erreicht wurden allerdings weder die angepeilte weite Verbreitung der zweiten und dritten Säule noch die dort erwarteten hohen Veranlagungsrenditen. Was übrig bleibt, sind die massiven Kürzungen im öffentlichen System.

    Widerstand hat sich gelohnt
    In Österreich hingegen wurde im Jahr 2003 von der damaligen ÖVP/FPÖ-Regierung ein Reformkonzept ähnlich der deutschen Riester-Reform vorgelegt. Dieses beinhaltete eine drastische Reduktion der gesetzlichen Pensionsansprüche und – parallel dazu – eine kräftige öffentliche Förderung kapitalbasierter Renten. Rückblickend können wir uns glücklich schätzen, dass der von den Gewerkschaften geführte Widerstand die Umsetzung dieses Konzepts verhindert hat. Gegen eine Verlagerung hin zu Betriebs- und Privatrenten wurde zu Recht ins Treffen geführt, dass damit keine Kosten gespart, sondern diese bestenfalls verschoben werden. Die sogenannte „Kapitaldeckung“ wiederum birgt letztlich mehr Risiken als die Finanzierung im Umlageverfahren, wie sie bei den gesetzlichen Renten praktiziert wird.
    Was aus den Turbulenzen um die Reform 2003 und den anschließenden Reformen letztlich herauskam, ist im Kern um einiges besser, als vielen bewusst ist: Das unter Mitarbeit von Gewerkschaft und AK erstellte neue „Pensionskonto-Recht“ bietet auch den heute Jüngeren ein gutes Versorgungsniveau im Alter – Voraussetzung dafür aber ist, dass der Arbeitsmarkt funktioniert. Das Ausmaß der Pension wird – heute wie in Zukunft – in hohem Maß von der vorgelagerten Erwerbskarriere bestimmt.

    Reformen mit gerechterer Wirkung
    Wenig bekannt ist, dass die Reformen in Österreich wesentlich breiter angelegt wurden. Auffällig ist vor allem, dass im Gegensatz zu Deutschland auch die BeamtInnenversorgung in den Reformprozess einbezogen wurde.
    In der Vergleichsstudie der Böckler-Stiftung wurden die durchschnittlichen Niveaus der 2013 neu zuerkannten Pensionen von langjährig Versicherten verglichen – und zwar in der in Deutschland gebräuchlichen Betrachtung „netto vor Steuer“, d. h. nach Abzug des KV-Beitrags, aber vor Steuer. Da es in Deutschland keine Sonderzahlungen gibt, sind die österreichischen Werte zum einfacheren Vergleich als Jahreszwölftel ausgewiesen.
    Während Männer in Österreich 1.820 Euro als Pension beziehen, müssen sich die Männer in Deutschland mit 1.050 Euro abfinden. Frauen erhalten zwar auch in Österreich eine niedrigere Pension als Männer, doch ist diese deutlich höher als im Nachbarland: Sie erhalten hierzulande 1.220 Euro, in Deutschland sind es gerade einmal 590 Euro. Der Hauptgrund für die enormen Unterschiede besteht schlicht darin, dass in Österreich mit 1,78 Prozent des versicherten Jahreslohns eine wesentlich höhere Rentengutschrift erfolgt als in Deutschland.

    Hoher Gender Gap
    Auffällig ist, dass die Renten der Frauen in beiden Ländern – allerdings auf sehr unterschiedlichem Niveau – wesentlich niedriger liegen als jene der Männer. Darin spiegeln sich unterschiedliche Erwerbsintegration, unterschiedliche Lohnhöhen, Defizite bei Kinderbetreuungseinrichtungen etc. wider. Die Unterschiede machen deutlich, wie eng die Renten in beiden Ländern mit dem Arbeitsmarkt verflochten sind und wie sehr eine möglichst gute und beide Geschlechter erreichende Erwerbsintegration Teil der Rentenpolitik sein muss.
    Noch größer als die aktuellen Unterschiede in den Leistungsniveaus sind die Unterschiede in den Vorausberechnungen für die heute Jüngeren. OECD-Berechnungen für idealtypische Erwerbsverläufe zeigen folgende (theoretische) Bruttoersatzraten: 37,5 Prozent für Deutschland, in Österreich hingegen 78,1 Prozent. Die zentralen Annahmen in diesen Rechenbeispielen sind: Erwerbseintritt mit 20, durchgehende Erwerbsarbeit bis 65 und konstantes Erwerbseinkommen jeweils in Höhe des gesamtgesellschaftlichen Durchschnittseinkommens.
    Klar ist, dass die realen Verläufe wegen Erwerbsunterbrechungen und anderem Einkommensverlauf in aller Regel weniger günstig verlaufen, als in diesen Berechnungen angenommen. Die Bruttoersatzraten zum Letztbezug werden damit in den meisten Fällen um einiges niedriger ausfallen. In die Gegenrichtung wirkt, dass in beiden Ländern bei den Renten niedrigere Sozialbeiträge anfallen als bei den Aktivbezügen.
    Die Rechenbeispiele machen deutlich, wie enorm die Unterschiede sind und dass bei Beibehaltung des geltenden Rechts das Leistungsniveau in Deutschland extrem niedrig sein wird. Die Zahlen zeigen, wie wichtig es ist, dass die aktuelle Kampagne der deutschen Gewerkschaften für stärkere gesetzliche Renten Erfolge bringt.
    Österreich wendet mit 13,9 Prozent des BIP deutlich mehr für die gesetzlichen Pensionen auf als Deutschland mit 10,0 Prozent (2013). Wie in der Vergleichsstudie an etlichen Kennzahlen gezeigt wird, gibt es allerdings keinen Beleg für nachteilige Auswirkungen dieser Mehrkosten auf die Wirtschaft. Zentrales Finanzierungsstandbein sind in beiden Ländern die Beitragszahlungen. Mit 22,8 Prozent Gesamtbeitrag liegt Österreich um gut vier Prozentpunkte höher als Deutschland mit aktuell 18,7 Prozent. Die auf den ersten Blick relativ hohe Differenz wird allerdings stark relativiert, wenn der in Deutschland vorgesehene 4-Prozent-Riester-Beitrag in Rechnung gestellt wird. Ähnlich hoch sind die Finanzierungsanteile aus Bundesmitteln mit jeweils gut 20 Prozent im Durchschnitt aller Versicherungsträger.
    Erhebliche Unterschiede gibt es auch beim gesetzlichen Pensionsalter. In Deutschland wird die Altersgrenze für den abschlagsfreien Bezug einer Pension schrittweise auf 67 erhöht. Forderungen in diese Richtung gibt es auch in Österreich vor allem vonseiten der Wirtschaft. Gegen den Widerstand der Gewerkschaften konnte das bisher aber nicht durchgesetzt werden. Nicht auszuschließen ist, dass das Pensionsalter aber spätestens nach den kommenden Nationalratswahlen erneut Thema sein wird.

    Besseres Minimum im Alter
    Nicht zuletzt bietet das österreichische Pensionssystem auch eine bessere Mindestsicherung im Alter. Denn die Richtsätze der österreichischen Ausgleichszulage sind deutlich höher als die deutsche „Grundsicherung im Alter“. Dazu kommt, dass die Ausgleichszulagen wesentlich leichter zugänglich sind.
    Die Vergleichsstudie kommt aus deutscher Sicht zu dem Schluss: „Die Erfahrungen aus dem Nachbarstaat zeigen, dass eine starke öffentliche Alterssicherung bessere Ergebnisse bringt.“ Damit dies auch so bleibt, ist vor allem eines wichtig: ein gut funktionierender Arbeitsmarkt. Gewerkschaften und AK bleiben dran!

    Vergleichsstudie der Böckler-Stiftung, WSI-Report Nr. 27, 1/2016:
    tinyurl.com/y7x93fl8

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autoren josef.woess@akwien.at und erik.tuerk@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Josef Wöss und Erik Türk, Abteilung Sozialpolitik der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725613157 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725613127 Weil sie Zukunft hat Die österreichische Sozialversicherung bildet den Kern des Sozialstaats. Nicht nur das: Nahezu jeder Mensch in Österreich profitiert an dem einen oder anderen Punkt von ihren Leistungen. Im Grunde wirkt der Sozialstaat sogar schon vor der eigenen Geburt, so diese denn hierzulande stattfindet: Schon die werdende Mutter kommt in den Genuss von Vorsorgeleistungen. Wird man krank, hat einen Arbeitsunfall oder bekommt eine Berufskrankheit, stirbt gar ein Angehöriger oder eine Angehörige – alle diese Risken und viele mehr sind abgesichert.
    All das kostet natürlich viel Geld. In konkreten Zahlen ausgedrückt: Pro Jahr finanziert die Sozialversicherung Sach- und Geldleistungen in einem Volumen von rund 60 Milliarden Euro. Das entspricht 78 Prozent des Bundesbudgets bzw. 17 Prozent des BIP (jährliche österreichische Wertschöpfung). Das ist viel Geld, keine Frage. Und natürlich ein Auftrag, sorgsam mit den Mitteln umzugehen, die letztlich von der Allgemeinheit aufgebracht werden.

    Zu einfache Annahme
    Oft wird behauptet, die Sozialversicherung sei ineffizient, weil es in Österreich 21 verschiedene Sozialversicherungsträger gibt. Damit sind die Gebietskrankenkassen und die Kranken-, Pensions- und Unfallversicherungen gemeint. Aber die dahinterstehende Annahme, dass ein System umso effizienter ist, je weniger Träger es hat, ist doch etwas zu einfach. Betrachtet man etwa den viel bemühten Verwaltungsaufwand, so ist dieser in der Sozialversicherung gering: Von den Einnahmen werden nur 2 Prozent dafür benötigt. Dieser Anteil ist sogar zurückgegangen, im Jahr 1995 lag er noch bei 2,9 Prozent. Im internationalen Vergleich sind die Verwaltungskosten im unteren Bereich angesiedelt, und zwar selbst dann, wenn man berücksichtigt, dass die Verwaltungskosten nicht überall gleich berechnet werden. Vergleiche mit anderen Ländern zeigen: Die Reduktion der Zahl der Krankenkassen allein brachte keinen Rückgang des Verwaltungsaufwandes. In Deutschland und der Schweiz etwa sind die Verwaltungskosten trotz zahlreicher Fusionen nicht gesunken.
    Was auf den ersten Blick erstaunlich wirkt, wird bei genauerer Überlegung nachvollziehbar: Größere Einheiten sind nicht automatisch günstiger. So machten die Verwaltungskosten in der verpflichtenden Krankenversicherung in Österreich 2 Prozent der Ausgaben aus. Damit steht Österreich im OECD-Vergleich gar nicht schlecht da, denn dieser Prozentsatz liegt unterhalb von jenem der Vergleichsländer Niederlande (2,14 Prozent), Belgien (2,44 Prozent), Schweiz (2,47 Prozent), Frankreich (2,8 Prozent) und Deutschland (4,56 Prozent). Privat ist nicht automatisch effizient. Private, gewinnorientierte Versicherungssysteme haben einen sehr hohen Verwaltungsaufwand – und leisten dabei sogar nur einen kleinen Teil der Versorgung. Sie müssen nämlich viel Geld für Werbung, Marketing und Vertrieb ausgeben, und sie müssen Gewinne erwirtschaften. Das sind alles Aufwandspositionen, die nicht bei den Versicherten ankommen – und die in der öffentlichen Sozialversicherung nicht vorkommen.

    Leistungen vereinheitlichen
    Der Verwaltungsaufwand also ist nicht das Problem. Das bedeutet aber nicht, dass es im österreichischen Sozialstaat keinen Verbesserungsbedarf gäbe. So stehen die meisten Leistungen im Gesundheitswesen allen Versicherten gleichermaßen zu, das betrifft etwa den Zugang zu Spitälern oder Medikamente. Dennoch gibt es auch Unterschiede. Wenn PatientInnen mit privater Zusatzversicherung in einem öffentlichen Spital frühere Operationstermine bekommen, ist das inakzeptabel. 
    Auch innerhalb der öffentlichen Sozialversicherung besteht Handlungsbedarf. Nach wie vor erhalten Menschen in manchen Bereichen unterschiedliche Leistungen, und zwar je nach Krankenkasse, zu der sie gehören. Dies betrifft etwa die Zahnversorgung (Zahnersatz), die Hilfsmittel und Heilbehelfe (Rollstühle, Kontaktlinsen …) und die Bereiche der Physiotherapie, Psychotherapie, Logotherapie und Ergotherapie. Diese Leistungsunterschiede müssen behoben werden. Es darf aber nicht darauf hinauslaufen, dass sich alles auf niedrigerem Niveau einpendelt. Vielmehr sollten Leistungen, wo es sinnvoll ist, nach oben angepasst werden.
    Erste Schritte in diese Richtung wurden bereits gesetzt. So haben die Sozialversicherungsträger im Juni 2017 beschlossen, bestimmte Leistungen zu vereinheitlichen. Das betrifft zum Beispiel die FSME-Impfung, den PSA-Test, die Kostenanteile der Versicherten bei Transportkosten, die endovaginale Sonografie, Rollstühle, Windeln, kieferorthopädische Leistungen oder Familienzuschläge beim Krankengeld.
    Dass es hier bisher Unterschiede gab, ist darauf zurückzuführen, dass Krankenversicherungsträger mit einer besseren Finanzlage ihren Versicherten höhere Leistungen zahlen können. Hintergrund dafür ist vor allem die Struktur der Versicherten. Manche Träger haben vor allem stabil Beschäftigte oder befinden sich in wirtschaftlich dynamischeren Regionen. Bei anderen Trägern gibt es viele PensionistInnen, Arbeitslose, Armutsgefährdete oder viele Versicherte mit sozialen und gesundheitlichen Problemen.
    Ein Beispiel: 99,7 Prozent der arbeitslosen Menschen sind in den Gebietskrankenkassen versichert. Diese erhalten für Arbeitslose im Schnitt viel weniger Beiträge als für Beschäftigte. Daher sind die Einnahmen je Versicherten oder Versicherte sehr unterschiedlich. Die Versicherung der öffentlich Bediensteten oder die Betriebskrankenkassen wiederum haben pro Kopf deutlich höhere Einnahmen als die Krankenversicherung im Durchschnitt: Hier bedarf es eines Ausgleichs. Dazu kommt, dass kleine, aber wohlhabende Träger mehr VertragsärztInnen haben als die Gebietskrankenkassen in Summe. Die Versorgung der Menschen muss aber von ihren Bedürfnissen abhängig sein und nicht von der Finanzlage der jeweiligen Krankenversicherung.
    Aber auch bei der Sozialversicherung selbst kann einiges verbessert werden. So sollte die Effizienz dadurch erhöht werden, dass keine Tätigkeiten parallel durchgeführt werden, wenn das kostengünstiger einmal für alle gemacht werden könnte. Man kann durch vermehrte Arbeitsteilung und Kooperation auch die Effizienz steigern. Wer eine wirkliche Reform der Sozialversicherung im Kopf hat, muss die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt stellen – nicht die Struktur. Es geht darum, das System fairer zu machen, statt durch schnelle Ad-hoc-Reformen ein bewährtes System zu gefährden.

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor david.mum@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

    Solidarische Versicherung
    Warum die Sozialversicherung so wichtig ist.

    Wesentliche Grundsätze der Sozialversicherung sind aus gewerkschaftlicher Sicht:

    • Solidarische Finanzierung:
      Die Höhe der Beiträge hängt von der Höhe des Einkommens ab. Daher zahlen Kranke – im Gegensatz zu privaten Versicherungen – keine höheren Beiträge als Gesunde.
    • Keine Riskenauslese:  
      Jeder Mensch wird abgesichert, unabhängig davon, ob das Risiko (z. B. Krankheit, Invalidität, Unfallgefahr) hoch oder niedrig ist. 
    • Selbstverwaltung:  
      Die Versicherten bzw. BeitragszahlerInnen (ArbeitnehmerInnen und Arbeitgeber) verwalten die Sozialversicherungsträger selbst. Dies bringt eine hohe Identifikation der SozialpartnerInnen und Versicherten mit „ihrer“ Sozialversicherung und hat dazu beigetragen, dass sich das System stabil entwickelt hat.
    • Anspruchslohnprinzip:  
      Die Höhe der Beiträge ist von dem Lohn abhängig, der einem zusteht. Die Sozialversicherung prüft und ahndet auch Unterentlohnung (Bezahlung unter den kollektivvertraglichen Mindestlöhnen, Prüfung von Lohn- und Sozialdumping).
    • Pflichtversicherung:  
      Das bedeutet, es gibt keinen Wettbewerb zwischen den Krankenkassen. Das System der Pflichtversicherung ist effizient und effektiv, weil es einen Risikoausgleich gewährleistet und mit einem niedrigen Verwaltungsaufwand funktioniert.
    • Umlageverfahren:  
      Mit den eingenommenen Beiträgen werden direkt die Leistungen (z. B. Arztbesuch, Pensionszahlungen) finanziert. Die Beiträge werden nicht auf den Finanzmärkten veranlagt. Daher trägt man kein Finanzmarktrisiko und die Absicherung wird nicht als profitables Geschäft missbraucht.
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    David Mum, im Kabinett des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz für den Bereich "Soziales" zuständig Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725613121 Die Sozialversicherungsträger werden gerne zum Problem gemacht. Dabei sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, liegen doch die wahren Probleme woanders. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725613103 Reportage: Larisa taucht durch Wer nichts zu erledigen hat, hält hier nicht an. Allenfalls für einen Frappé an der Raststätte, bevor die Autobahn endet und die Kurverei durch Tempe beginnt, das enge Tal am Fuß des Olymp, das Thessalien von Makedonien trennt. Es ist viel zu heiß hier, in der thessalischen Ebene, wo die Sonne 100 Kilometer weit über Weizenfelder brennt. Larisa, die große Provinzstadt, sieht man ohnehin nicht. Sie liegt etwas westlich von der Autobahn, drei gute Autostunden entfernt von Athen. Wenn es einen toten Punkt in Griechenlands Jahrhundertkrise gibt, dann liegt er hier.
    Irgendeine Aussicht auf Besserung? Morris Magrizou schüttelt den Kopf. „Nein!“, ruft er aus. „Kein Gedanke.“ Magrizou gehört zu Larisa. Er ist der Präsident der alteingesessenen jüdischen Gemeinde, aber auch Inhaber eines großen Möbelhauses in der Stadt. Kaum einer kommt nun, um bei ihm zu kaufen. Weil nichts gebaut wird in Larisa – keine neuen Häuser und Wohnungen –, braucht auch niemand mehr neue Möbel. Die Banken haben sowieso kein Geld für Kredite, weder für Bauunternehmer noch gar für kleine PrivatkundInnen. Fast alles steht still im neunten Jahr der Finanz- und Wirtschaftskrise.
    Vor 2009, in den Jahren vor und nach dem Beitritt zur Eurozone, als Griechenlands Banken mit billigem Geld überschwemmt wurden und auch niemand wirklich die üppigen Agrarbeihilfen aus Brüssel kontrollierte, war das ganz anders. Larisa war Highlife. Vielleicht nicht der eleganteste Ort im Land, aber laut und fröhlich. Thessaliens Provinzhauptstadt war legendär für ihr Nachtleben. Bouzoukias schossen aus dem Boden, die Nachtlokale mit seichter Live-Musik. Ein Porsche Cayenne, völlig unerschwinglich in heutigen Zeiten, galt vielen Bauern im Umland als Statussymbol für den nächtlichen Ausritt in die Stadt wie für die Fahrt aufs Feld.
    Jetzt fällt die große Zuckerfabrik draußen auf der Landstraße von Larisa nach Thessaloniki zusammen. Sie war die erste von fünf Fabrikanlagen im Land, die Griechenlands staatliches Zuckerunternehmen EBZ (Hellenische Zuckerindustrie) in den 1960er-Jahren baute. Nur eine arbeitet heute noch, die anderen hat Brüssel auf dem Gewissen. Vor zehn Jahren beschloss die EU eine radikale Schrumpfkur für die Zuckerindustrie, Griechenland musste seine Produktion halbieren. In Larisa waren gleich einmal 500 Arbeitsplätze weg. Die Landwirte haben 2008 als Erste die Krise gespürt, erinnert sich Nikos Papadopoulos, der Abgeordnete der linksgerichteten Regierungspartei Syriza, aus Larisa. Er ist der einzige Bauer im griechischen Parlament.
    Papadopoulos hat wie die anderen im Umland von Larisa seine Felder von Zuckerrüben auf Getreide und Baumwolle umgestellt, aber die riesige Zuckerfabrik draußen vor der Stadt geht ihm nicht aus dem Kopf. „Wir bemühen uns jetzt um die Wiedereröffnung. Wir schaffen das“, sagt er. Die Leute von Syriza sind die einzigen, die daran glauben. 7,5 Cent ist eine Aktie der völlig verschuldeten Hellenischen Zuckerindustrie in diesen Wochen an der Athener Börse wert. Griechenland kauft seinen Zucker nun anderswo aus Europa. Absurd, aber so ist der Markt.

    Unter der Armutsgrenze
    Dennoch ist es vor allem die Landwirtschaft, die Larisa heute rettet. „Elend? Nein, das gibt es hier nicht“, sagt Papadopoulos, auch wenn die Armut in Larisa selbst weiter verbreitet ist als auf den Dörfern im Umland. Doch es gibt Städte in Griechenland, die noch sehr viel schlimmer dran sind. Alexandroupoli weit im Nordosten an der Grenze zur Türkei etwa, oder Argos, ein Städtchen im Süden, auf dem Peloponnes, das wie Larisa nicht direkt am Meer liegt und deshalb kaum TouristInnen sieht. Ganze Straßenzüge scheinen dort tot. Sparpolitik in der Rezession hat seinen Preis. Eineinhalb Millionen GriechInnen leben derzeit unter der Armutsgrenze von 4.500 Euro Einkommen im Jahr. Rund ein Drittel – 35,6 Prozent – sind unmittelbar von Armut bedroht. Aber auch die Armutsgrenze ist ein relativer Wert. In Griechenland ist sie im Lauf der Krisenjahre nach unten hin korrigiert worden – eben in dem Maße, wie auch die Wirtschaftsleistung des Landes sank, nach der die Grenze zwischen arm und nicht arm berechnet wird.
    Larisa mit seinen 200.000 EinwohnerInnen – die eingegliederten Dörfer im Umkreis eingerechnet – krebst an dieser Armutsgrenze entlang. Knapp 60.000 sind in der Region Thessalien arbeitslos gemeldet, bei 22 Prozent liegt die Rate so wie im nationalen Durchschnitt. Es geht nicht abwärts, aber auch nicht wirklich aufwärts. „Ich sehe keine Perspektive“, sagt Morris Magrizou, der Präsident der jüdischen Gemeinde. Es ist eine Klage, die man oft hört in der Stadt. Achilles soll hier im Übrigen geboren worden sein. An übermenschliche Heldentaten glaubt in Larisa allerdings niemand mehr.

    Im Griff der Rezession
    Magrizous Gemeinde macht die Spar- und Steuerpolitik der wechselnden Regierungen in Athen mit wie der Rest der griechischen Gesellschaft. Von nahezu steuerfrei wurden religiöse Gemeinschaften auf 40 Prozent gesetzt. Es gab eine neue Steuer auf Grund und Immobilien, gleichzeitig sanken die Mieteinnahmen. Kaum einer kann sich die Mieten von früher leisten. Die Rezession hat alle im Griff. Am Ende muss die jüdische Gemeinde in Larisa mit 70 Prozent weniger Geld für ihre Mitglieder auskommen. Dabei ist sie die älteste und wichtigste im Land neben jenen in Athen und Thessaloniki. Von 1.200 Bürgern jüdischen Glaubens ist sie nach dem Einmarsch der Deutschen und dem Holocaust im Zweiten Weltkrieg auf heute 200 Familien geschrumpft.
    Magrizou und seine Kollegen im Vorstand haben begonnen, erste Immobilien zu verkaufen, um das Gemeindeleben am Laufen zu halten. Von der politischen Radikalisierung in Griechenland, dem Aufstieg der Nazi-Partei Goldene Morgenröte in den Jahren der Wirtschaftskrise, hat die jüdische Gemeinde in Larisa gleichwohl wenig zu spüren bekommen. „Wir sind hier alle bekannt und sehr assimiliert“, sagt Magrizou. Und zumindest in Larisa ist die Goldene Morgenröte nicht wichtig.

    Linker Zahnarzt als Bürgermeister
    Seit Jahrzehnten wird die Stadt einmal links, einmal rechts regiert. Die Kommunisten verloren sie in den 1990er-Jahren an einen Konservativen der Nea Dimokratia. 2014 kam dann Apostolos Kalogiannis, ein Zahnarzt und Altlinker. Der Landwirtschaft, aber wohl auch dieser Balance von Rechts und Links wegen ist das Kooperativ-Modell so wichtig in der Stadt geworden. Es hat Larisa in all den Krisenjahren über Wasser gehalten.
    Die Idee für einen städtischen Gemüsegarten ist zum Beispiel 2012, noch während der Amtszeit des konservativen Bürgermeisters Konstantinos Tsanakoulis entstanden – und am Tiefpunkt der Finanzkrise im Land. Mittellose Familien und PensionistInnen, von denen viele nach einem Dutzend Kürzungen ihrer Bezüge verarmten, erhalten von der Stadt ein kleines Stück Garten, um Obst und Gemüse für den eigenen Bedarf anzubauen. Ein Zehntel der Ernte geben sie ab, es kommt in die Sozialläden für Bedürftige in Larisa. 500 Familien sind mittlerweile bei diesen Läden angemeldet. Als die Stadt 2013 mit den Sozialläden begann, waren es 200 Familien im Monat. Für die GriechInnen, die aus Stolz und Scham ihre Armut, so weit es nur geht, verheimlichen, sind das große Zahlen.
    Ioannis Diamadoulis, der Leiter des Gartenamts in Larisa, will auch lieber über Solidarität sprechen und darüber, dass sich die neuen GemüsegärtnerInnen morgens und abends bei ihrer Arbeit treffen und miteinander reden, was in solchen Zeiten doch erst recht wichtig sei. Alle zwei Jahre werden die knapp 300 Flächen am Südrand der Stadt neu verteilt. 50 Quadratmeter bekommt jede Familie. Es ist genug für Tomaten, Melanzani und Gurken.
    Die eine große Kooperative in der Stadt hat die Wirtschaftskrise allerdings weggespült. 557 MitarbeiterInnen hatte der „Supermarkt Larisa“ am Ende. Er war im Jahr 1986 aus dem Zusammenschluss einiger kleiner Lebensmittelläden in der Umgebung entstanden, wuchs über die Jahre – und musste 2015 doch Konkurs anmelden: Der Umsatz war in dem Maß gesunken, wie auch die Kaufkraft der KundInnen der Rezession und Arbeitslosigkeit wegen verloren ging. So argumentierte die linksgeführte Regierung in Athen und reichte bei der EU-Kommission in Brüssel einen Antrag auf Entschädigung ein. In Larisa selbst spricht man eher von Missmanagement und zu vielen VerkäuferInnen für jeden Laden. Dennoch erhielt der „Supermarkt Larisa“ im vergangenen Jahr die stattliche Summe von 10,5 Millionen Euro zugesprochen – aus dem „Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung“ (EGF).
    Ein Jahr später ist das Geld allerdings noch immer nicht ausbezahlt. Noch diesen Sommer soll es kommen, so heißt es. Immerhin 120 der ehemaligen Supermarkt-Angestellten fanden mittlerweile neue Jobs, für den großen übrigen Teil der MitarbeiterInnen soll es Maßnahmen zur Weiterqualifizierung geben, in manchen Fällen auch eine Starthilfe von 10.000 Euro für ein eigenes Unternehmen.
    Aus dem Geist der Kooperative ist in Larisa inmitten der Krisenjahre schließlich auch ein erfolgreiches neues Unternehmen entstanden. thESGala verkauft frische Milch am Automaten, am Vortag eingesammelt von den Bauernhöfen in Thessalien und Makedonien, pasteurisiert und in der Nacht verteilt über die Verkaufsstationen. 64 gibt es davon mittlerweile in Larisa, Thessaloniki und Athen. Der Clou an der Sache: thESGala kommt ohne Zwischenhändler und besondere Verpackung aus. Die Milch füllt man am Automaten in Glas- oder Plastikflaschen ab. 90 Cent kostet der Liter in Larisa, einen Euro in Athen. Es ist ein Drittel weniger als in den griechischen Supermarktketten. Dort liest man im Kleingedruckten auf manchen Milchpackungen Lieferadressen von Agrarindustriebetrieben im deutschen Niedersachsen oder in Holland.

    Erfolgreiche Kooperative
    thESGala – es heißt übersetzt „Willst du Milch?“ oder kann auch als Abkürzung von „Thessalien“ und dem griechischen Wort für „Milch“ verstanden werden – begann 2013 mit den Verkaufsautomaten. Heute arbeiten 165 Menschen in dem Unternehmen, rund 50 Milchbetriebe gehören der Kooperative an. Thanasis Vakalis, dem jungen Unternehmensgründer, kam die Idee, als er Milchautomaten für DorfbewohnerInnen in Norditalien sah. 25 Millionen Euro Umsatz machte das Unternehmen im vergangenen Jahr, zehn Prozent sollen es dieses Jahr werden.
    Einen normalen Job zu finden ist gleichwohl schwer in Larisa. thESgala ist sicherlich eine Ausnahme, ebenso wie die Karatzis-Gruppe, die in Larisa einen Teil ihrer Plastikfolien herstellt und Netze für Obst und Gemüse – sie soll sogar weltführend mit diesem Produkt sein. Die Normalität, so sagt Giorgos Katsiantonis, ein anderer Parlamentarier aus der Region Larisa, sind zwei, drei kleine Jobs parallel: Man kellnert in einer Bar, parkt Autos, verteilt Werbung und macht damit vielleicht 500 oder 600 Euro im Monat. „Die Armut gibt es hier, aber sie ist nicht so leicht zu sehen“, sagt Katsiantonis. Er setzt die tatsächliche Arbeitslosigkeit bei 30 Prozent an. Bei dieser Zahl sind diejenigen dabei, die sich schon nicht mehr arbeitslos melden, sondern zu Hause verkriechen. Und jene, die einen so geringen Verdienst haben, dass sie davon unmöglich allein leben können, aber gleichzeitig doch nicht mehr in den Arbeitslosenstatistiken aufscheinen.
    Giorgos Katsiantonis selbst ist eine Ausnahmefigur. Acht Jahre, von 2006 bis 2014, saß der US-Grieche für die Demokraten im Repräsentantenhaus im Bundesstaat New Hampshire. Bei einem Sommerurlaub in Griechenland lernte er seine Frau kennen, siedelte um ins Land seiner Eltern und versprach seiner Frau, nie wieder in die Politik zu gehen. Das hat nicht geklappt. 2015, nach der Neuwahl im September jenes Jahres, die Alexis Tsipras herbeiführte und sogar gewann, wurde Katsiantonis als Abgeordneter einer kleinen Zentristenpartei angelobt, die erstmals ins Parlament in Athen kam. Katsiantonis ist jetzt 39. Die Jungen in Larisa haben ihn gewählt. Sie sitzen in den Bars und Cafés der Stadt, vom Vormittag bis spät in die Nacht. „Schauen Sie sich nur um“, sagt der Abgeordnete mit dem amerikanischen Akzent, „keiner von denen hat einen Job.“

    Flucht ins Studium
    Die meisten der Gäste sind in Wahrheit StudentInnen, denn Larisa ist auch eine Universitätsstadt. Doch nur der kleinere Teil dieser jungen Leute ist so fixiert darauf, das Studium so rasch wie nur möglich hinter sich zu bringen wie Rania Kyrozis. Die Tochter eines Athener Bauunternehmers ohne Aufträge hat ein schlechtes Gewissen. „Es sind die Ausgaben meines Vaters“, sagt sie. Rania hat noch zwei Schwestern, die in den letzten Schuljahren stecken. Sie ist die älteste der drei, und sie glaubt daran, dass sie einen Job finden wird. Viehzucht ist ihr Studium, einen eigenen Betrieb könnte sie vielleicht einmal aufmachen; sie mag die Tiere mittlerweile sehr. Eigentlich wollte Rania einmal Anwältin werden.
    Die junge Griechin führt ein zurückgezogenes Leben als Studentin. Sie geht kaum aus, des Geldes wegen. Politik und die Nachrichten interessieren sie nicht. „Ich will nur mein Studium beenden“, sagt sie. Dieses Jahr wird ihr letztes sein. Aber Rania fühlt sich wohl, trotz der ärmlichen Bedingungen auf dem Campus. Alle sind glücklich, in Larisa zu sein und nicht im Moloch Athen, so scheint es zumindest. „Gerade klein genug, gerade groß genug“, sagen die Leute in der Stadt. Sie igeln sich ein, tauchen unter, warten, bis diese Wirtschaftskrise eines Tages vielleicht doch vorbei ist.
    Die Familie ist das Rückgrat der Gesellschaft in Griechenland, sagt Giorgos Katsiantonis. Der Vater finanziert die Familie, oft sind es jetzt gar die Großeltern, weil sie noch eine Pension bekommen und alle anderen keine Arbeit haben. „Der Vater gibt seinen erwachsenen Kindern 20, 30 Euro, damit sie ins Café gehen können“, sagt Katsiantonis. „Jeder fühlt sich schlecht dabei, die Eltern wie die Jungen, und eines Tages wachen sie auf, sind 35 und können keine Familie gründen, weil sie kein Geld haben und keinen Job.“ Am Nebentisch im Café beugt sich derweil eine Gruppe von Freunden über ein Smartphone und kommentiert ein Foto. Nachdenklich ergänzt der Abgeordnete: „Das ist vielleicht das schlimmste Problem in diesem ganzen Drama hier.“

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    Markus Bernath Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725613084 Altes Erbe, neue Tristesse: Das Graffito am Zentralplatz von Larisa entstand erst im Frühjahr. Es zeigt den Kopf eines jungen Athleten aus dem 4. Jhdt. v. Ch. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725613092 50 Quadratmeter zum Selbstanbau: Die Stadt unterhält seit der Krise einen Gemüsegarten und vergibt Parzellen an mittellose Familien. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725613097 Frische Milch aus dem Automaten: Die Kooperative aus Larisa bremst die griechischen Supermärkte aus. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725613022 Interview: Wir brauchen europäische Mindeststandards Arbeit&Wirtschaft: Wenn Sie als mittlerweile langjährige Abgeordnete im Europäischen Parlament das österreichische Sozialsystem mit anderen Ländern vergleichen, was fällt Ihnen dazu spontan ein?

    Evelyn Regner: Dass es bei den Sozialsystemen sehr große Unterschiede gibt. Vor allem aber auch, dass es innerhalb der EU reichere und ärmere Länder gibt und diese Ungleichheit ein Problem darstellt. Die Unterschiede zwischen den Staaten waren weniger eklatant, als die neuen Mitgliedstaaten aus Mittel- und Osteuropa noch nicht dabei waren. Der Unterschied zwischen ärmeren und reicheren EU-Staaten ist durch die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht kleiner geworden, sondern größer. Das ist ein Riesenproblem. Heute versuchen wir, uns einem Europa der Mindeststandards anzunähern.

    Wo sehen Sie hier Österreich?

    In vielen Bereichen ist hier das Niveau hoch. Besonders stolz bin ich auf die erste Säule des Pensionssystems. Unser Umlageverfahren ist ein robustes und gerechtes System, ein gutes Modell für die Zukunft. Jetzt, nachdem in so gut wie allen Ländern die zweite und die dritte Säule demoliert wurden, erkennt das langsam auch die EU, die das österreichische Pensionssystem ja immer wieder kritisiert hat. Es ist sinnvoll, bei der Altersversorgung nicht nur auf demografische Veränderungen zu schauen. Entscheidend ist, wie viele Menschen in Beschäftigung sind und wie viele nicht. Diese Erkenntnis sollten wir exportieren. Auch die Sozialpartnerschaft ist sicher ein ganz großes Atout, das zu Stabilität, gerechten Löhnen und zur Weiterentwicklung des Sozialstaats beiträgt.

    Österreich ist also eine Art Vorbild?

    Österreich hat in vielen Bereichen ganz tolle Dinge vorzuweisen, beispielsweise bei der Jugendbeschäftigung und der Lehrlingsausbildung, wir machen da vieles gut und richtig. Doch ich bin immer vorsichtig mit dem Begriff Vorbild: Man kann das System eines Landes einem anderen nicht eins zu eins überstülpen. Zum Beispiel wird oft die Flexicurity in Dänemark gelobt, weil dort Jobwechsel leichter möglich sind. Doch das ist nur deshalb so, weil die Arbeitnehmer prinzipiell sehr gut abgesichert sind. Ich finde es ist gut, voneinander zu lernen, aber selten sinnvoll, einzelne Maßnahmen einfach zu kopieren. Im Übrigen hat Österreich etwa bei Gleichstellungsthemen durchaus noch Aufholbedarf. In diesem Bereich kommen aus der Europäischen Union sehr positive Akzente, von denen Arbeitnehmerinnen sehr profitieren.
     
    Gibt es abschreckende Beispiele aus anderen Ländern, im Sinne von Deregulierungen, Kürzungen von Sozialleistungen und Ähnlichem?

    Ich möchte das gern allgemeiner formulieren: Es ist nicht gut, wenn ein Land sagt, wir machen es eben auf unsere Art, egal was das für die anderen Mitgliedstaaten bedeutet. Umgekehrt ist es auch sehr schlecht, wenn man für ein Land eine Politik beschließt, ohne dass man auf die Bedürfnisse vor Ort Rücksicht nimmt, so wie das bei der desaströsen Sparpolitik in Griechenland der Fall war. Wichtig ist, voneinander zu lernen und die Vorteile zu teilen, sodass es nicht zu Lohn-, Steuer- oder Sozialdumping kommt. Denn noch handeln große Unternehmen so, dass sie schauen, wo das Steuersystem am günstigsten ist und wo die Arbeitskräfte am billigsten sind, um dann entsprechend vorzugehen. So haben wir keinen Wettbewerb der Unternehmen, sondern einen Wettbewerb der Systeme. Darum brauchen wir europäische Mindeststandards im Arbeitsrecht und beim Sozialschutz, das bringt allen etwas.
    Letztendlich wird Europa nur mit fairem Wettbewerb und sozialer Marktwirtschaft funktionieren. Selbstverständlich muss es dann auch entsprechende Kontrollmaßnahmen geben. Derzeit beschäftigen uns etwa die Briefkastenfirmen besonders, nicht nur was die Steuern betrifft, sondern auch was Lohn- und Sozialdumping anbelangt. Das gilt es zu bekämpfen, und zwar überall.

    Welche konkreten Schritte gibt es in Richtung europäische Mindeststandards?

    Die Entsenderichtlinie als europaweites Instrument gegen Lohn- und Sozialdumping ist jetzt in Verhandlung beim Rat und im Parlament. Unter anderem soll die Entsendedauer beschränkt werden. Für uns ist wichtig, dass die Entsendung von ArbeitnehmerInnen möglichst eng begrenzt wird, ansonsten machen wir Tür und Tor für Tricksereien wie Scheinbeschäftigungen auf. Jegliche Lücke im System wird von den Unternehmen systematisch ausgenutzt. Außerdem brauchen wir auf europäischer Ebene eine Stelle, die prüfen kann, ob ein bestimmter entsendeter Arbeitnehmer im Land auch tatsächlich versichert ist und nicht nur das Formular ausgefüllt wurde.

    Im Frühjahr wurde im EU-Parlament der Fahrplan für ein sozialeres Europa für die sogenannte „Soziale Säule der EU“ beschlossen. Wie ist hier der aktuelle Stand?

    Wie gesagt, die gewaltigen sozialen Unterschiede zwischen manchen Mitgliedstaaten tun Europa nicht gut. Ziel des Fahrplans für ein sozialeres Europa ist, diese Unterschiede kleiner zu machen. Die drei großen Themen sind: erstens menschenunwürdige Arbeitsbedingungen und Steuerflucht bekämpfen; zweitens die Kindergarantie – das bedeutet, zu vermeiden, dass Kinder in Armut aufwachsen. Es ist traurig, dass man das im 21. Jahrhundert noch sagen muss, aber es ist nötig – nicht zuletzt weil sonst immer mehr Eltern in die Länder drängen, wo die Bedingungen für ihre Kinder besser sind. Und drittens soll die Sozialpolitik im europäischen Semester verankert werden. Das klingt jetzt sehr technisch, aber es geht darum zu vergleichen, welches Land welche Fortschritte in sozialer Hinsicht macht. Derzeit dreht sich fast alles nur um die Maastricht-Kriterien, um Sparmaßnahmen und so weiter. Doch sozialpolitische Maßnahmen sind mindestens genauso wichtig wie wettbewerbsfähige Unternehmen oder Stresstests für Banken. Wir brauchen hier ein paar soziale Eckpfeiler, denn sonst gerät Europa aus dem Ruder. Das ganze Projekt Europa wäre bald nicht mehr glaubwürdig.

    Als nächsten Schritt in Richtung sozialeres Europa hat die Kommission eine entsprechende Mitteilung mit 20 Prinzipien veröffentlicht, die allerdings von ArbeitnehmerInnenseite zum Teil als enttäuschend und zu allgemein bezeichnet wurde.

    Ja, die Kommission hat das schön formuliert, aber noch handelt es sich dabei um unverbindliche Grundsätze. Bei den schönen Worten allein darf es aber nicht bleiben. Ich fordere von der Kommission, aus diesen Eckpfeilern ein soziales Fundament zu schaffen – mit entsprechenden legislativen Maßnahmen. Entscheidend sind natürlich immer die konkreten verbindlichen Maßnahmen, und da gibt es noch viel zu wenige. Ansonsten herrscht in der Realität dann weiter Ungleichheit und die Visegrád-Länder, also Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn, wollen ihre niedrigen sozialen Standards als eine Art Bonus nützen, mit dem sie Unternehmen anlocken. Doch damit können wir Europa nicht modern, attraktiv und fit für die Zukunft machen. Immerhin gibt es jetzt konkrete Gesetzesvorschläge zum Thema Work-Life-Balance. Wie auch immer, wir müssen die Kommission in die Pflicht nehmen – aber genauso die Mitgliedstaaten. Denn die fordern auch oft viel und machen dann wenig.

    Welche konkreten Vorschläge in puncto Work-Life-Balance gibt es?

    Die Kommission hat unter anderem den Rechtsanspruch auf bezahlten Vaterschaftsurlaub für mindestens zehn Tage sowie das Recht auf flexible Arbeitszeitregelungen für Eltern und pflegende Angehörige inklusive des Rechts auf Rückkehr zum ursprünglichen Arbeitsausmaß vorgeschlagen. Frauen müssen dann keine Angst mehr haben, zu lange in der Teilzeitfalle zu stecken. Und Männer werden entlastet, weil der Druck als „Alleinverdiener“ geringer wird. Überhaupt haben die EU-Richtlinien schon öfter vor allem für Frauen positive Veränderungen gebracht. Versteckte Diskriminierungen wurden in den vergangenen Jahren eigentlich immer in Folge von Anpassungen an EU-Richtlinien oder Initiativen beseitigt. Ein Beispiel ist die verbindliche Frauenquote in Aufsichtsräten. Der entsprechende Beschluss des Europäischen Parlaments hängt zwar noch im Rat, aber das ganze Projekt hat die nationalen Gesetzgebungen schon jetzt so beeinflusst, dass bereits in mehreren Ländern Quoten zumindest ernsthaft diskutiert wurden. In Österreich ist ja ab 2018 eine 30-prozentige Frauenquote verpflichtend.

    Ihrer Ansicht nach werden die positiven Auswirkungen der EU also unterschätzt?

    Ich habe mir das vor Kurzem angeschaut. Viele Regierungsbeschlüsse waren eigentlich keine erfolgreichen Koalitionsvereinbarungen, sondern die Umsetzung von EU-Richtlinien, etwa dass bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen nicht mehr nur der billigste Anbieter zum Zug kommt, sondern der beste.

    Wie wird es in naher Zukunft weitergehen mit dem Fahrplan für ein sozialeres Europa?

    Vor den deutschen Wahlen wird sicher nicht viel passieren. Konkretes, das wirklich an die Substanz geht und geeignet ist, die großen Unterschiede innerhalb Europas zu verkleinern, wird sicher erst danach kommen. Daher gibt es wie gesagt bis jetzt hauptsächlich Überschriften und allgemeine Statements statt konkreter Maßnahmen. Zusätzlich ist die EU derzeit sehr viel mit sich selbst beschäftigt, bedingt durch den Brexit und das Bemühen, angesichts der aktuellen weltpolitischen Situation ihre eigene Position nach außen zu festigen. Doch ich denke, wenn Frankreich und Deutschland als Lokomotiven besser ziehen, dann müsste auch etwas weitergehen. Zeichen dafür gibt es, aber dafür muss die Kommission auch irgendwann mehr Konkretes vorlegen.

    Was erwarten Sie sich vom europäischen Sozialgipfel in Göteborg im November?

    Eine Entsenderichtlinie mit Substanz, und die Dienstleistungskarte für Selbstständige sollte möglichst klein gehalten werden, denn sonst wären dem Sozialdumping Tür und Tor geöffnet. Dieser Gipfel wurde von Österreich, Schweden und Deutschland, und hier vor allem von Gewerkschaftsseite initiiert. Man erinnerte sich wieder an die gute Zusammenarbeit mit Bruno Kreisky und dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme. Länder mit hohen Sozialstandards können Lokomotiven für ein gerechteres Europa sein. Ziel ist, die soziale Fortschrittsklausel zu verankern, die sicherstellt, dass soziale Rechte und der ArbeitnehmerInnenschutz mindestens denselben Stellenwert wie die Dienstleistungsfreiheit und der Binnenmarkt erhalten. Uns ist klar, dass wir diesbezüglich keine Vertragsänderung erreichen werden, aber es steht viel auf dem Spiel und wir müssen Schritte für ein sozialeres Europa setzen. Immerhin geht es um die Grundlage der Europäischen Union. Denn laut den EU-Verträgen geht es um das Wohlergehen der Völker, das ist das Ziel, und nicht der Binnenmarkt. Der Binnenmarkt ist nur ein Mittel zum Zweck. Auch wenn das oft vergessen wird.

    Beim Thema Sozialleistungen sind die steigenden Kosten bzw. Fragen der Finanzierbarkeit fast immer unausweichlich. Gibt es hier neue Ansätze und Ideen?

    Den EU-Staaten entgehen jährlich 1.000 Milliarden Euro wegen Steuerbetrug und -hinterziehung durch die multinationalen Konzerne. Da müssen wir ansetzen, um die Finanzierung des Sozialstaates sicherzustellen. Gewinne müssen endlich dort besteuert werden, wo sie entstehen. Mehr Transparenz ist dringend nötig, aber auch aktuelle Anpassungen wie die Einführung einer Abgabe für Online-Werbung oder die steuerliche Erfassung „digitaler Betriebsstätten“. Angedacht sind hier mehrere Maßnahmen, die sowohl für mehr Steuergerechtigkeit als auch für Mehreinnahmen sorgen.

    Wie steht es mit der sogenannten Roboter- bzw. Wertschöpfungssteuer oder einer Steuer auf Daten?

    Die Robotersteuer wurde auch im Roboterbericht des Europäischen Parlaments als eine Möglichkeit angedacht. Aber eigentlich gibt es ja kein europäisches Steuerrecht, Steuern sind Sache jedes Mitgliedslandes. Ideen, Vorschläge und die Kooperation der europäischen Staaten sind trotzdem wichtig, um neuen Ideen zur zukünftigen Finanzierung des Sozialstaates zum Durchbruch zu verhelfen.

    Um die Finanztransaktionssteuer ist es in letzter Zeit ja ziemlich ruhig geworden …

    Derzeit verhandelt eine kleine Gruppe von EU-Staaten vor allem darüber, welche Transaktionen überhaupt besteuert werden sollen. Leider wurden in diesem Zusammenhang auch immer wieder Falschmeldungen verbreitet, wie etwa, dass in manchen Ländern die Kosten der Einführung einer Finanztransaktionssteuer viel höher wären als die Einnahmen. Dieses Gegenargument konnten wir entkräften. Momentan ist es schwierig, hier Fortschritte zu erzielen, aber ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Finanztransaktionssteuer kommen wird.

    Welche bzw. wie viele Länder sind für die Einführung der Steuer, also wer ist bei dieser Gruppe dabei?

    Es ist mittlerweile eine fixe Gruppe; unter anderen sind Deutschland, Österreich, Portugal, Spanien, Griechenland, Slowenien und Belgien dabei. Die Verhandlungen verlaufen leider trotzdem ziemlich schleppend und schwierig. Die Banken intervenieren natürlich laufend und versuchen auf die einzelnen Länder Druck auszuüben. Trotzdem, vielleicht gehöre ich da zu den letzten Optimisten: Die Finanztransaktionssteuer wird noch kommen. Die Einnahmen werden vielleicht nicht so hoch sein, weil bereits Transaktionen ausgenommen wurden und ja nicht alle Länder dabei sind, aber sie wäre ein wichtiges Signal. Und das richtige Mittel, um zu zeigen, dass jener Teil der Wirtschaft, wo nur Geld hin- und hergeschoben wird, nicht am längeren Ast sitzt.
     
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    Interview: Astrid Fadler Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725613003 Evelyn Regner sitzt seit Juli 2009 als sozialdemokratische Abgeordnete im Europäischen Parlament, seit 2015 ist sie Leiterin der fünfköpfigen SPÖ-Delegation. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725613015 Als Gewerkschafterin engagiert sich die gebürtige Wienerin besonders für den Schutz und Ausbau der Beschäftigtenrechte sowie für eine gerechtere Verteilung des Wohlstands. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725612948 Coverstory: Was der Sozialstaat alles kann Ein Sozialstaat sollte gegen Armut kämpfen, Chancengleichheit im Bildungssystem ermöglichen und eine qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung bieten. So weit der Anspruch. Doch wie sieht es in der Realität aus? Die deutsche Bertelsmann Stiftung beurteilt regelmäßig das Niveau sozialer Inklusion in den (noch) 28 EU-Ländern. Im aktuellen „Index Soziale Gerechtigkeit“ schafft es Österreich auf Platz 6 – damit zählt es zu den sozial gerechtesten Ländern in Europa. Der Sozialbericht 2015/2016 des Sozialministeriums führt an, dass rund 30 Prozent der jährlichen wirtschaftlichen Wertschöpfung (Bruttoinlandsprodukt) für soziale und gesundheitsbezogene Leistungen aufgewendet wurden. Mit dieser sogenannten Sozialquote liegt Österreich im oberen Drittel der EU-Länder und gehört zu den am besten entwickelten Sozialstaaten. Dennoch gilt es, einige Herausforderungen zu bewältigen und Lücken zu schließen, um dieses Top-Niveau beibehalten zu können.

    Wem der Sozialstaat nutzt
    Wie gut der Sozialstaat wirkt, lässt sich unter anderem daran ablesen, ob er in der Lage ist, die sozial Schwächsten zu unterstützen. Allerdings ist dies in jenem Wohlfahrtsstaatssystem, in das sich Österreich einreiht, lediglich die Minimalanforderung, ein weiteres Thema ist die Umverteilung. „Die Einkommensunterschiede am Arbeitsplatz sind in den letzten Jahren weiter angestiegen“, weiß Christine Mayrhuber, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO). „Der Sozialstaat setzt sich die Aufgabe, diese Ungleichheit zu mindern. Er wird in der Ökonomie über Verteilungsgerechtigkeit und über ein umfassendes Leistungsangebot etwa bei der Betreuung, Bildung, Gesundheit etc. definiert.“ Mayrhuber ist eine der AutorInnen der WIFO-Studie „Umverteilung durch den Staat in Österreich“, erschienen im Mai 2016. Dabei zeigte sich: Bei den monetären Transfers profitiert das unterste Drittel am meisten – und zwar mit etwa 60 Prozent. Mit 25 Prozent gewinnt das mittlere Drittel und mit knapp 16 Prozent das oberste Drittel. Damit wird allerdings nur ein Aspekt des Sozialstaats berücksichtigt. Ein mindestens ebenso wichtiger Aspekt sind die sogenannten realen Transfers, zu denen etwa Kindergarten oder Leistungen des Gesundheitssystems zählen. Werden diese in die Betrachtung miteinbezogen, so zeigt sich ein anderes Bild: 37 Prozent fließen ins untere Drittel, 34 Prozent ins mittlere und 29 Prozent in das obere Drittel. Kurz gesagt: Sozialstaatlichkeit kommt beinahe allen in gleichem Maße zugute.
    Im Bericht wurde auch untersucht, wie sehr der Sozialstaat für einen Ausgleich sorgt – und er leistet in Österreich sehr viel. „Wenn man sich die Markteinkommen anschaut, so haben die reichsten 10 Prozent ein 32-mal so hohes Einkommen wie die ärmsten 10 Prozent“, erklärt Marc Pointecker, der die Abteilung „Sozialpolitische Grundlagenarbeit“ im Sozialministerium leitet. „Nach Eingreifen des Staates, etwa durch Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Pensionen, liegt das Verhältnis nur mehr bei 1:6.“ Zwar sei die Einkommensungleichheit in Österreich hoch, doch im europäischen Vergleich stehe Österreich noch relativ gut da. Gravierend und auffällig hingegen sei der Unterschied bei den Vermögen. Österreich ist hier in einer problematischen Spitzenposition: Der Europäischen Zentralbank (EZB) zufolge findet sich die höchste Vermögenskonzentration innerhalb der EU ausgerechnet in Österreich. Damit besitzt das reichste Prozent in Österreich etwa ein Drittel des Vermögens. Umgekehrt betrachtet, verhält sich die Schieflage wie folgt: Gemeinsam verfügen die unteren 80 Prozent über so viel Besitz wie das reichste Prozent. „Das hängt wahrscheinlich auch mit der geringen Vermögenssteuer zusammen“, vermutet Pointecker. Die Folge: Nicht nur die Finanzierung des Sozialstaats basiert in erster Linie auf Arbeitseinkommen.

    S soll nicht nur fürs Sparen stehen
    „Sozialschutz in schwierigen Lebenslagen, Stabilisierungsfunktion in Krisenzeiten und Sozialinvestitionen: Das sind die drei Aufgaben, die jeder Sozialstaat erfüllen muss“, erklärt Adi Buxbaum die drei wichtigen „S“ im Sozialstaat. Der Volkswirt ist in der Abteilung Sozialpolitik der Arbeiterkammer Wien tätig. Sozialschutz gewährleistet vor allem Hilfe im Krankheitsfall und Alter, bei Arbeitslosigkeit und Invalidität oder unterstützt bei der Gründung einer Familie. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten stabilisiert der Sozialstaat mittels Konjunktur- und Arbeitsmarktpaketen, kürzt keine Leistungen, um den privaten Konsum aufrechtzuerhalten, und investiert zur Erleichterung des Wiederaufschwungs. In Kindergärten und Schulen stecken die sogenannten Sozialinvestitionen, um nur zwei Beispiele zu nennen.

    Soziale Effekte wirken nachhaltig
    „Oft werden nur die Kosten der Sozialpolitik betrachtet, doch das ist eine sehr einseitige Sicht der Dinge“, hält Buxbaum fest. „Die sozialen Effekte sind zwar oft ökonomisch schwer zu bewerten, aber sie sind augenscheinlich.“ Zu behaupten, es werde z. B. in die Kinderbetreuung investiert, und das habe keinen Nutzen für die Wirtschaft, sei falsch. Buxbaum hat mit AK-KollegInnen den Nutzen von Investitionen in verschiedene soziale Dienstleistungen berechnet – „eine Kosten-Nutzen-Rechnung, die bisher nicht im Diskurs vorhanden war“, wie der Experte betont. Das Ergebnis: Aufwendungen für die Kinderbetreuung rentieren sich schon nach vier Jahren, und zwar unabhängig von der Wirtschaftsentwicklung. Warum das so ist, ist leicht erklärt: Mütter bzw. Eltern können ihr Arbeitsstundenvolumen erhöhen oder den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt früher wagen. Zudem werden in den Betreuungseinrichtungen Arbeitsplätze geschaffen. Alles in allem also erhält der Staat Mehreinnahmen, die unter anderem in die Finanzierung dieser Investitionen fließen können.
    Diese Kosten-Nutzen-Darstellung habe ebenso geholfen, die Investitionen auch bei angespannten Budgets zu rechtfertigen und die Folgen der Wirtschaftskrise zu bewältigen, so Buxbaum: „In der Krise haben die meisten Länder nur gespart. Österreich hat beides gemacht: gespart und Offensivmaßnahmen gesetzt. Die Kinderbetreuung und Ganztagsschulen wurden ausgebaut, zusätzlich wurde in den Pflegefonds investiert. Dadurch sind wir besser als andere durch die Krise gekommen.“
    Marc Pointecker vom Sozialministerium gibt zu bedenken, welch langfristigen Gewinn Investitionen in die Kinderbetreuung bringen: „Die Gesellschaft profitiert von Maßnahmen des Sozialstaats. Untersuchungen zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind in der Schule Probleme bekommt, deutlich höher ist, wenn es nicht in den Kindergarten gegangen ist. Je länger Kinder den Kindergarten besuchen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie gute SchülerInnen werden.“ Fazit: „Qualitativ hochwertige Kinderbetreuung ist etwas, das stark vorbeugend wirkt.“ Denn immer noch wird Bildung in Österreich vererbt. Und gerade bei bildungsfernen Schichten – insbesondere bei MigrantInnen – wirkt der Kindergarten am stärksten. Hier in Betreuung zu investieren hat also einen enormen Effekt.

    Kosten in Konkurrenz
    Allerdings rechnet sich nicht jede sinnvolle Investition unmittelbar. Dazu kommt der Irrglaube, dass Nicht-Handeln günstiger wäre. Mit reinen Kostenargumenten werden etwa die Rehabilitationsmaßnahmen für 55-jährige, gesundheitlich eingeschränkte Arbeitslose verhindert oder die Etablierung eines zweiten oder dritten Arbeitsmarkts infrage gestellt. Dies ist ein äußerst problematischer Zugang, denn wenn die Bedürfnisse dieser Menschen ignoriert werden, würde das auf Dauer gesehen nicht nur die Betroffenen, sondern auch die Gesellschaft viel härter treffen. „Langfristig sind die Kosten des Nicht-Handelns teurer“, mahnt AK-Experte Buxbaum.
    Dazu kommt, dass Kosten für den Sozialschutz (etwa das Arbeitslosengeld) und Sozialinvestitionen (etwa Qualifizierungsmaßnahmen) zu schnell und zu leichtfertig gegeneinander ausgespielt werden. „Dabei können sich diese Maßnahmen nur komplementär ergänzen“, merkt Buxbaum an. Denn abseits der Wirtschaftlichkeit sind auch sozialer Friede oder die Planbarkeit des Lebens hohe Werte, die eine Gesellschaft auszeichnen.
    Im österreichischen Wohlfahrtsstaat ist der Sozialstaat dem Arbeitsmarkt nachgeordnet. Dies bringt weitere Herausforderungen mit sich. „Wenn sich das Erwerbsleben grundlegend wandelt, dann kann auch der Sozialstaat seine ursprüngliche Funktion nicht mehr erfüllen“, weiß Christine Mayrhuber vom WIFO. Dies zeigt sich am deutlichsten am Beispiel der Pensionen. Derzeit gilt: Wer 45 Versicherungsjahre hat, bekommt 80 Prozent des durchschnittlichen Lebenseinkommens. Deshalb ist der Pensionsanspruch nach einer „normalen Arbeitskarriere“ in Österreich noch immer relativ hoch – etwa im Vergleich zu Deutschland –, und zwar obwohl die Reformen vor etwa zehn Jahren die Pensionen de facto gekürzt haben. Anders aber ist die Situation von Menschen, die eine atypische Arbeitskarriere hinter sich haben. Finden sich nämlich einige Teilzeitjahre in diesen 45 Versicherungsjahren, kann das zu Problemen beim Pensionseinkommen führen. Ebenso sind viele Erwerbskarrieren der Jüngeren oft mit Erwerbsunterbrechungen verbunden – entweder, weil jemand seinen Arbeitsplatz verliert, für die Weiterbildung eine Auszeit nimmt oder wegen der Kinder zu Hause bleibt.

    Unsoziales 4.0
    Auch die Zahl der (oft unfreiwilligen) Selbstständigen wächst weiter. Die Ursachen sind allerdings nicht im Sozialversicherungssystem zu finden, sondern in gesellschaftlichen Veränderungen. „In den vergangenen Jahren gab es einen Wandel, etwa das Überhandnehmen von kurzfristigen Praktika, Crowdworking oder Clickworking – prekäre, zum Teil scheinselbstständige Beschäftigungsverhältnisse“, erklärt Marc Pointecker. Bei der sogenannten Arbeit 4.0 werden Rechte, die anderswo schon längst erkämpft wurden, infrage gestellt. „Wir müssen schauen, wie die Menschen besser abgesichert werden können. Ein Beispiel, das in die richtige Richtung zeigt, ist etwa die erfolgte Einbeziehung der freien DienstnehmerInnen in die Sozialversicherung.“ Es ist eine Herausforderung, die sich nicht nur Österreich stellt, sondern vielmehr der gesamten EU.
    Eine andere Herausforderung für den österreichischen Wohlfahrtsstaat sind neoliberale Diskurse. In diesem Ansatz stehen Marktaktivitäten im Vordergrund, nur im Notfall soll es monetäre Transfers geben, wobei sehr genau geprüft werden soll, ob die Betroffenen auch wirklich einen Bedarf danach haben. Ziel ist es, die Menschen eigenverantwortlich handeln zu lassen. Was dabei aber völlig übersehen wird, ist, ob die Rahmenbedingungen auch tatsächlich ein entsprechendes Handeln ermöglichen. „Poor services for poor people“, fasst Adi Buxbaum die Folge zusammen: „Es kommt häufig zu Bedarfsprüfungen, denn der Staat möchte ja nicht zu großzügig sein. Der Markt wird es schon richten, und bloß nicht zu sehr helfen, denn sonst gäbe es Fehlanreize.“ Eine Argumentationslinie laute entsprechend: Menschen sollten wenig Arbeitslosengeld erhalten, damit sie rascher in den Arbeitsmarkt zurückkehren. Ob sie auf dem entsprechenden Arbeitsmarkt überhaupt eine Chance haben, einen Job zu finden – etwa weil die Arbeitslosigkeit hoch ist –, spielt in diesem Zugang keine Rolle.
    Insbesondere in Großbritannien und Irland hat sich dieser Zugang etabliert. Zumindest in der politischen Diskussion hat er auch in Österreich seine Spuren hinterlassen. „Wenn die OECD eine Publikation vorstellt und erwähnt, dass Österreich einen hohen Anteil an Sozialausgaben bei den Staatsausgaben hat, wird es in unserem Diskurs negativ gesehen“, weiß Christine Mayrhuber. „Dabei kann es durchaus positiv und nicht als Belastung gesehen werden, wenn dem Staat die soziale Absicherung etwas wert ist.“ Auch der Zusammenhang zwischen Sozialstaat und Wirtschaftsstandort wird meist negativ dargestellt. „Bis jetzt wird das immer als Konkurrenzverhältnis gesehen. Doch wir sehen, dass es massiv komplementär ist“, berichtigt Adi Buxbaum. „Es braucht den Dreischritt: eine hohe Abgabenquote, die eine hohe Staatsaktivität ermöglicht und eine hohe Produktivität bewirkt. Etwa durch Bildungsinvestitionen, Aufwendungen in die öffentliche Infrastruktur oder durch Technologieförderung.“

    Viel Motivation, wenig Möglichkeiten
    Auf der anderen Seite reicht der soziale Wille allein nur wenig. „In Österreich gibt es den Trend, starke soziale Anreize zu setzen, ohne die reale Grundlage des Arbeitsmarkts mitzugestalten“, kritisiert WIFO-Expertin Mayrhuber. „Man setzt auf finanzielle Motivation, ohne zu schauen, ob die reale Situation gegeben ist, dass diese Anreize überhaupt wahrgenommen werden können. Ist denn der Arbeitsmarkt für Ältere vorhanden?“
    In anderen Ländern würden Firmen in die Pensionsreform eingebunden. Es werde überlegt, was verändert werden kann, damit die Menschen länger im Betrieb bleiben. Dabei sind die Unternehmen auch viel stärker verpflichtet, sich um erkrankte, ältere MitarbeiterInnen zu kümmern als hierzulande. Marc Pointecker: „In Österreich müssen die Arbeitgeber ihre Sozialabgaben zahlen und damit ist alles erledigt. Wenn jemand aufgrund der Arbeitsbedingungen schwer krank oder invalide wird, dann kostet das dem Unternehmen keinen Cent.“ Der Experte im Sozialministerium kennt Staaten, wo die Arbeitgeber zur Rechenschaft gezogen werden und arbeitsbedingte Invalidität auch den Unternehmen verrechnet wird.

    Frauen haben es immer noch schwer
    Bei der geschlechtsspezifischen Ungleichheit in der Entlohnung endet der Sozialstaat. Die öffentliche Hand kann nicht direkt eingreifen, sondern etwa nur Betreuungseinrichtungen anbieten, damit Frauen (theoretisch) bessere Chancen am Arbeitsmarkt haben. Doch der Arbeitsmarkt ist angespannt, der Arbeitsdruck nimmt stetig zu, Männer fürchten auch deshalb die Väterkarenz. Zu wenig hat sich dahingehend in den letzten Jahrzehnten verändert. Gewachsene Strukturen und Wertehaltungen machen eine Veränderung obendrein schwierig. In Dänemark stoßen Eltern, die ihr Kind nicht spätestens mit einem Jahr in den Kindergarten geben, auf großes Unverständnis. „Es erweckt den Eindruck, dass sie nicht das Beste für ihr Kind wollen“, erzählt Pointecker. Anders ergeht es Eltern in Österreich: „Den Begriff Rabenmutter gibt es eigentlich nur im deutschen Sprachraum. Bei uns wird man eher schief angesehen, wenn die Kinder recht früh in den Kindergarten gehen.“
    Trotz all dieser Herausforderungen fällt das Urteil über den österreichischen Sozialstaat positiv aus. Beinahe überall in Europa wird Sozialpolitik betrieben, selten ist sie so effektiv wie in Österreich. Die initiierten Maßnahmen halfen durch die Krise und garantierten einen erheblichen sozialen Ausgleich innerhalb der Bevölkerung. Vorbild bleibt aber das nordische Modell, wo es Rechtsansprüche auf bestimmte Sozialleistungen gibt und mehr Professionalisierung u. a. in der Altenbetreuung herrscht. Adi Buxbaum: „In Österreich werden viele gesellschaftspolitisch relevante Fragen über die Familie beantwortet. Von Frauen wird oft noch erwartet, dass sie bei den Kindern und bei den zu pflegenden Angehörigen bleiben. Da ist noch Luft nach oben. Mittelfristig und langfristig sollten wir uns am nordischen Modell orientieren.“

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen resei@gmx.de oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Resei und Sophia Fielhauer-Resei Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725612926 Sozial ist kein Mascherl ... http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725612931 Staatliche Intervention: Soziale Effekte sind ökonomisch schwer zu bewerten, doch sie sind sichtbar. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725612936 Staatliche Zurückhaltung: Neoliberale Ansätze verlagern das Risiko immer stärker in das Private. http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725612904 Sozial ist kein Mascherl Krankheit, Arbeitslosigkeit, Alter – der Sozialstaat steht uns bei. Gleichzeitig muss er die beste Ausgangssituation für die jüngere Generation sicherstellen.
    Wie die Maßnahmen des Sozialstaats in Österreich wirken, zeigt u. a. die positive Verteilungswirkung: Haushalte im unteren Einkommensdrittel können ihren Anteil an den Gesamteinkommen von 12,5 auf 20 Prozent steigern.
    Diese soziale Funktion wird bei der zunehmenden Ungleichheit der Markteinkommen immer wichtiger.Der Sozialstaat wirkt für alle BürgerInnen: „Pensionssystem und Arbeitslosenversicherungssystem können immer noch als Vorbild dienen, weil sie breiter angelegt sind als in anderen Ländern und mehr Menschen daran teilhaben können“, erklärt Emmerich Tálos, emeritierter Professor für Politikwissenschaft.
    Neoliberale Diskurse sind der Gegenentwurf. Bei diesem Ansatz stehen Marktaktivitäten im Vordergrund, nur im Notfall soll es monetäre Transfers geben – der Bedarf wird genauestens nachgeprüft. Ziel ist es, Menschen eigenverantwortlich handeln zu lassen. „Poor services for poor people“, der Staat möchte nicht zu großzügig sein.
    Auch in Österreich werden neoliberale Ansätze diskutiert. Tálos: „In der Pensionsversicherung gibt es neoliberale Vorstellungen, dass die individuelle Vorsorge mehr Gewicht bekommt.“
    Deutschland ist hier ein schlechtes Beispiel: Dort hat die Riester-Reform das gesetzliche System der Lebensstandardsicherung abgelöst. Ein hoher Teil der Verantwortung für die Alterssicherung wurde den Betriebs- und Privatpensionen überantwortet. Mit drastischen Auswirkungen: Durchschnittliche Pensionen langjähriger Versicherter fallen in Österreich bei Männern um gut 70 Prozent höher aus, bei Frauen ist die Pension gar mehr als doppelt so hoch.

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    Christian Resei und Sophia Fielhauer-Resei Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725612874 Was der Sozialstaat alles kann ... http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725611464 Die Zukunft einer Absichtserklärung Die EU sollte sich nicht nur um die Interessen von Banken, anderen Unternehmen und die Finanzhaushalte der Mitgliedsländer kümmern, sondern auch um soziale Mindeststandards für ihre BürgerInnen.
    Das zumindest war die Idee des sozialen Europas, um das bis heute in der EU gerungen wird und für das sich gerade Gewerkschaften und AK vehement einsetzen. Auch von den Spitzen der EU sind immer wieder Vorstöße in diese Richtung zu vernehmen. So erklärte Jean-Claude Juncker bei seinem Amtsantritt als Kommissionspräsident im Jahr 2014, die EU müsse ein „soziales Triple A“ anstreben. Diese Formulierung lässt aufhorchen, denn das „Triple A“ ist hauptsächlich aus der Welt der Ratingagenturen bekannt: Sie geben Ländern Noten für ihre Kreditwürdigkeit – ein „Triple A“ ist die Bestnote. Mit sozialen Werten hat das in der Regel nichts zu tun.

    Noch wenig konkret
    Im September 2015 bekräftigte Juncker seine Position in seiner Rede zur Lage der EU, die den Titel „Zeit für Ehrlichkeit, Einigkeit und Solidarität“ trug: Er wolle eine „europäische Säule sozialer Rechte“ entwickeln, sagte er. In der Rede war Juncker noch wenig konkret, am ehesten noch Aussagen wie Arbeitskräftemobilität sei erwünscht und erforderlich, damit der Euroraum und der Binnenmarkt prosperieren können, sie sollte aber auf klaren Regeln und Prinzipien beruhen: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort – dies sollte unser zentraler Grundsatz sein.“ Die europäische Säule sozialer Rechte solle „ergänzen, was wir gemeinsam zum Schutze der Arbeitnehmer in der EU erreicht haben“.

    Soziales bisher vernachlässigt
    Das klingt erst mal positiv, zumal die EU in den vergangenen Jahren eher auf Budgetthemen und zuletzt besonders auf die Flüchtlingsthematik fokussiert war. Oliver Röpke, Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel und Vorstandsmitglied des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB), sagt: „Europa und die EU-Kommission haben das Soziale leider vernachlässigt. Es ist viel zu kurz gekommen gegenüber den Bankenrettungen und anderen Themen.“
    Er verweist auf die Einschnitte bei ArbeitnehmerInnenrechten etwa in Griechenland, Spanien oder Portugal, aber auch auf den massiven Druck, der in Finnland und vielen anderen EU-Staaten auf Gewerkschaften ausgeübt werde. Dass also Sozialpolitik zu einem Europathema wird, hält Röpke für wichtig, aber: „Ob die soziale Säule der richtige Weg ist, darüber sollten wir sprechen.“
    Was ist seit Junckers Aussagen 2014 und 2015 passiert? Röpke: „Es ist viel geschehen, was Ankündigungen angeht, aber es sind relativ wenig konkrete Initiativen passiert.“ Im April 2017 hat die Kommission die europäische Säule sozialer Rechte vorgestellt. Sie wurde vielfach als zu allgemein kritisiert. Röpke beurteilt die Inhalte als umfassend, die wichtigen Themen wie Chancengleichheit, faire Arbeitsbedingungen etc. seien angesprochen: „Aber das Papier ist eine Absichtserklärung. Bislang ist es aus Arbeitnehmersicht nur nette Prosa.“ Die Säule sollte „nicht nur Prinzipien, sondern konkrete verbindliche soziale Rechte für Arbeitnehmer auf europäischer Ebene festschreiben“.
    Zu dem wenigen Konkreten, das bisher vorangegangen sei, zählt Röpke etwa die jüngsten Entwicklungen rund um die Entsenderichtlinie, welche verschärft werden soll. Künftig müssten dann für ArbeitnehmerInnen, die grenzüberschreitend arbeiten, also von ihrem Arbeitgeber auf begrenzte Zeit in ein anderes EU-Land geschickt werden, gleiche Bedingungen herrschen wie für ArbeitnehmerInnen vor Ort: Alle müssten den dortigen Tariflohn erhalten. Das würde Lohndumping entgegenwirken und ist laut Röpke „vorsichtig positiv zu bewerten“. Es habe aber auch bedenkliche Entwicklungen gegeben, etwa den Vorschlag der Kommission, eine Elektronische Dienstleistungskarte einzuführen. Diese wiederum, so die Befürchtungen, würde Lohn- und Sozialdumping sowie grenzüberschreitende Scheinselbstständigkeit fördern.

    Unter Zugzwang gebracht
    Nachdem die Kommission im März 2016 einen Entwurf der europäischen Säule sozialer Rechte vorgelegt hatte, startete sie eine öffentliche Konsultation über die zwanzig Punkte darin. Jede/r EuropäerIn konnte sich bis Ende 2016 daran beteiligen. Mehr als 16.500 Online-Antworten und an die 200 Positionspapiere gingen ein. Grund für diese hohe Zahl aktiver Rückmeldungen war die Kampagne „Social Rights First!“, die das ÖGB-Europabüro, die AK Europa und der Europäische Gewerkschaftsbund ins Leben gerufen hatten. Mehr als 15.500 Menschen beteiligten sich daran. Die Kampagne war so konzipiert, dass TeilnehmerInnen über ein Online-Formular Vorschläge einreichten. „Damit haben wir die Kommission schon etwas unter Zugzwang gebracht“, sagt Oliver Röpke.

    Regierungen am Zug
    Die im April 2017 präsentierte europäische Säule sozialer Rechte, in welche die Ergebnisse der Konsultation eingearbeitet wurden, besteht erneut aus 20 Punkten in drei Kategorien: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang; faire Arbeitsbedingungen; Sozialschutz und soziale Inklusion. Der Großteil der Punkte betrifft den Arbeitsmarkt. Zudem sind Themen wie das Recht auf Wohnraum und die Hilfe für Wohnungslose enthalten, der Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Wasser- und Energieversorgung, Verkehr und digitale Kommunikation, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen, das Recht auf Langzeitpflege und auf ein Mindesteinkommen.
    Die Umsetzung der Ziele, die vielen EuropäerInnen Vorteile bringen würde, ist eine Herausforderung. Oliver Röpke nennt einen Grund: „Viele Regierungen aus den sogenannten neuen Mitgliedstaaten in Ost- und Mitteleuropa wollen ihren Wettbewerbsvorteil aus niedrigen Löhnen, Lohn-, Sozial- und Steuerdumping weiterführen. Eine starke soziale Säule würde sie stören.“ Eine Bremse ortet Röpke auch in der Spaltung innerhalb der Kommission: So steht ein Teil hinter Juncker und der Säule, ein anderer ist zurückhaltend oder dagegen. Auch die Gewerkschaften sehen die soziale Säule nicht nur positiv. Röpke nennt ein Beispiel: „Es braucht zwar kräftige Lohnerhöhungen in den neuen Mitgliedstaaten, damit sich das Lohngefälle endlich annähert, aber wir haben mit Eingriffen der EU-Kommission schlechte Erfahrungen gemacht. Lohnpolitik sollen die Sozialpartner in den Ländern machen.“

    Säule versus Fortschrittsprotokoll
    Deutschland, Schweden und Österreich fordern einen „europäischen Pakt für sozialen Fortschritt“ und haben schon 2014 die Dreiländerinitiative für ein soziales Fortschrittsprotokoll ins Leben gerufen. Es enthält zehn Ziele, etwa Migration und Integration menschlich zu gestalten, den sozialen Dialog auszubauen, starke ArbeitnehmerInnenrechte zu sichern und gegen Steuerbetrug und -hinterziehung zu kämpfen.
    Die zehn Punkte sind laut Röpke „wesentlich besser als die 20 Vorschläge der Europäischen Kommission“ und könnten „die Blaupause für eine soziale Säule sein“. In einem Dokument dazu, welches die Allianz im November 2016 veröffentlicht hat, ist zu lesen: „Die EU befindet sich in einer fundamentalen Krise. Die europäische Solidarität ist in Gefahr.“ Viele Menschen hätten „das Vertrauen in die Fähigkeit der Politik verloren, Wohlstand für alle zu schaffen. Die soziale Spaltung wird größer.“ Zwar erhole sie sich von der Wirtschaftskrise, doch trotz leichter Verbesserungen am Arbeitsmarkt und bei sozialen Bedingungen seien die Folgen der Krise weitreichend.

    Sondergipfel im November
    Wie geht es weiter? Jean-Claude Juncker und Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven kündigten für 17. November einen Sozialgipfel für faire Arbeitsplätze und Wachstum in Göteborg an. Oliver Röpke erwartet, dass sich die EU-Staats- und Regierungschefs dort zur sozialen Säule bekennen. Juncker hat den Wunsch geäußert, dass die Säule noch vor Jahresende auf höchster politischer Ebene angenommen wird. Wie viel oder wenig am Gipfel weitergehen und ob er zu verbindlicheren Vereinbarungen führen wird, ist spannend – und aus Sicht vieler KritikerInnen fraglich.

    Linktipps:
    Website der EU-Kommission zur europäischen Säule sozialer Rechte:
    tinyurl.com/y8ncjb7f
    Stellungnahme des ÖGB zur europäischen Säule sozialer Rechte, Dezember 2016:
    tinyurl.com/yabdt27n
    Europäischer Pakt für sozialen Fortschritt:
    tinyurl.com/ycnag4eg

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin alexandra.rotter@chello.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Alexandra Rotter, Freie Journalistin Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725611458 EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725611435 Sparen steigert Ungleichheit In den Industriestaaten war die wirtschaftliche Ungleichheit in den letzten 30 Jahren nie höher als heute. Der freie Waren- und Kapitalverkehr erlaubt, dass Konzerne ihre Produktion dorthin auslagern, wo Löhne sowie Arbeits- und Sozialstandards niedriger sind. Abwanderungsdrohungen und Arbeitslosigkeit führen zu Lohndruck und können Verschlechterungen von Arbeitsrecht und Arbeitsbedingungen bewirken.

    Machtverschiebung
    Vor diesem Hintergrund kam es zu einer Machtverschiebung zulasten der ArbeitnehmerInnen. Schlechte Bezahlung und nicht existenzsichernde Einkommen breiten sich in Folge schneller aus als Beschäftigungsverhältnisse, die eine Basis für ein gutes Leben bilden. Stattdessen haben Teilzeitarbeit und atypische Beschäftigungsformen stark zugenommen.
    Dementsprechend sank der Anteil der Löhne am volkswirtschaftlichen Gesamteinkommen zugunsten der Gewinne der Unternehmen.

    Kapitaleinkommen stärker gestiegen
    Gerade Arbeitslosigkeit, der technische Fortschritt und die Globalisierung dämpfen die Einkommen von Menschen mit niedriger Qualifikation, während diese Entwicklung Hochqualifizierten eher zugutekommt. Gleichzeitig tragen liberalisierte Finanzmärkte und Steueroasen dazu bei, dass die Kapitaleinkommen weitaus stärker gestiegen sind als die Lohneinkommen.

    Immer ungleichere Verteilung
    All dies sind Gründe, warum die Verteilung der Einkommen und der Vermögen auch in Österreich immer ungleicher geworden ist. So konnte das oberste Fünftel der Bevölkerung ihren Anteil am Gesamteinkommen in den letzten 20 Jahren auf fast die Hälfte vergrößern – zulasten der niedrigen und mittleren Arbeitseinkommen, deren Anteil am Gesamteinkommen im gleichen Zeitraum auf unter ein Drittel sank.
    Laut dem aktuellen Sozialbericht haben folglich mehr als drei Viertel der Haushalte weniger als 50.000 Euro Bruttojahreseinkommen, während fünf Prozent mehr als 100.000 Euro erhalten und das oberste Prozent mehr als 300.000 Euro brutto erhält.
    Um einiges dramatischer stellt sich die Verteilung der Vermögen dar: Während das oberste Prozent ein Drittel der Vermögen besitzt, bleiben der Hälfte der Bevölkerung – den „unteren“ 50 Prozent der Haushalte – gerade zwei Prozent des gesamten Vermögens. Oder anders gesagt: Das Vermögen in Österreich ist in den Händen weniger Leute konzentriert.

    Sozialstaat reduziert Ungleichheit
    Der österreichische Sozialstaat wirkt dieser Entwicklung entgegen. Mit einer Abgabenquote von knapp 43 Prozent hat die öffentliche Hand genügend Spielraum, um Maßnahmen für eine gerechtere Verteilung zu ergreifen. Dies passiert in Österreich vor allem dank positiver Verteilungswirkung der Staatsausgaben. Gäbe es etwa keine öffentliche Gesundheitsversorgung, müssten Menschen mit niedrigem Einkommen mehr als ein Drittel ihres Verdienstes für PrivatärztInnen, etwaige Krankenhausaufenthalte oder Medikamente ausgeben.
    Ohne öffentliches Schulsystem würden die Ausbildungskosten für die nächste Generation bei Haushalten mit wenig Einkommen fast die Hälfte des monatlichen Verdienstes verschlingen. Obwohl der Sozialstaat alle BürgerInnen in sensiblen Situationen wie Kindheit oder Krankheit unterstützt, zeigen die oben genannten Beispiele, dass diese Unterstützung gerade für Menschen mit niedrigem Einkommen existenziell ist.
    Durch die sozialstaatlichen Leistungen können die Haushalte im unteren Einkommensdrittel ihren Anteil an den Gesamteinkommen so von 12,5 Prozent auf 20 Prozent steigern. Auch der Anteil der Haushalte des mittleren Drittels steigt, wenn auch nur geringfügig, von 29 auf knapp 31 Prozent.
    Der Anteil des oberen Einkommensdrittels wiederum sinkt von 58,5 auf 49,5 Prozent. Letztendlich ist Verteilung der „verfügbaren Einkommen“ – also der Einkommen nach Steuern bzw. Abgaben und öffentlichen Leistungen – deutlich gleicher als die Verteilung der „Markteinkommen“. Die umverteilende Wirkung des österreichischen Sozialstaates hat sich mit der zunehmenden Ungleichheit der Markteinkommen verstärkt und konnte zumindest einen Teil der negativen Entwicklung abfedern.
    Staatliche Leistungen im Rahmen der Bildungs- und Familienpolitik erleichtern gesellschaftliche Teilhabe und Integration, ermöglichen gesellschaftlichen Aufstieg und erzeugen so ein Mehr an Chancengerechtigkeit.
    Dass die Ungleichheit ansteigt, wenn öffentliche Ausgaben gekürzt werden, wurde jüngst auch auf europäischer Ebene im Umgang mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 ersichtlich. Nachdem die Nationalstaaten beträchtliche Summen zur Bekämpfung der Bankenkrise und für den darauf folgenden Konjunktureinbruch aufwenden mussten, schwenkte die europäische Wirtschaftspolitik auf einen extremen Sparkurs ein: Die europäische Antwort auf die Krise bestand vorrangig in einer Verschärfung der Budgetregelungen im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, wodurch budgetäre Spielräume eingeschränkt wurden.
    Wie Untersuchungen des Internationalen Währungsfonds zeigen, hatte diese Sparpolitik negative Auswirkungen auf die ökonomische Ungleichheit in den betreffenden Volkswirtschaften. Die Budgetkürzungen verschärften die wirtschaftliche Krise und führten zu höherer Arbeitslosigkeit. Dadurch wurden die Kosten der Bankenkrise letztendlich vor allem von Menschen mit niedrigen Einkommen geschultert. Gleichzeitig lässt steigende Arbeitslosigkeit die Staatseinnahmen sinken, sodass die Sparbestrebungen paradoxerweise zu einem Bumerang für den öffentlichen Haushalt werden können.

    Gerechte Finanzierung
    Klar ist, dass der Sozialstaat verbessert und weiterentwickelt werden muss, damit die BürgerInnen auch im 21. Jahrhundert in sensiblen Situationen wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Alter geschützt werden. Gleichzeitig soll die bestmöglichste Ausbildung für die nächste Generation sichergestellt werden. Anstatt den Sozialstaat bis auf sein Gerippe auszuhungern, muss dafür die Finanzierung gerechter gestaltet werden.
    Die EU-Kommission schätzt, dass den europäischen Staaten jährlich 1.000 Milliarden Euro durch Steuerbetrug und -vermeidung entzogen werden. In Folge verlagert sich die Abgabenbelastung zunehmend auf ArbeitnehmerInnen und kleine Unternehmen. Vor allem die ArbeitnehmerInnen schultern die Staatsfinanzierung. Dies gilt für KleinverdienerInnen wie etwa SupermarktkassiererInnen, FacharbeiterInnen, aber auch für die großzügig entlohnten ManagerInnen, denn als Anteil ihres Einkommens tragen alle Erwerbstätigen etwa gleich viel zur Finanzierung des Sozialstaates bei.

    Korrektur der Schieflage rasch nötig
    Auch in Österreich ist die Abgabenbelastung ungleich verteilt: Während Abgaben auf Arbeit etwa 55 Prozent der Gesamtabgaben ausmachen und daher im internationalen Vergleich sehr hoch sind, rangiert Österreich bei vermögensbezogenen Steuern mit 1,3 Prozent der Gesamtabgaben auf den hinteren Plätzen.
    Die von AK und Gewerkschaften initiierte Lohnsteuerreform war ein erster wichtiger Schritt zur Korrektur dieser Schieflage – ihm sollten dringend weitere folgen. Wichtig wäre zu verhindern, dass große Konzerne und reiche Privatpersonen die öffentliche Hand mittels Steuerhinterziehung und -vermeidungstricks prellen und in Folge zu wenig zur Sozialstaatsfinanzierung beitragen.    
     
    Linktipps:
    Silvia Rocha-Akis/Christine Mayrhuber: „Umverteilung durch den Staat in Österreich“:
    tinyurl.com/umverteilungstaat
    WIFO-Studie „Umverteilung durch den Staat in Österreich“:
    tinyurl.com/staatumverteilung

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin romana.brait@akwien.at  oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Romana Brait, Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725611429 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725611409 Kürzen bei den Ärmsten Aufhorchen lässt dabei die Feststellung, dass es bei der Finanzierung des Sozialstaats eine Schieflage gibt. In Österreich zeige sich „ein kontinuierlicher Rückgang des Anteils der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen seit Ende der 1970er-Jahre“, wie Marc Pointecker, der im Sozialministerium für „sozialpolitische Grundsatzfragen“ zuständig ist, konstatiert.

    Hohe Konzentration der Vermögen
    Vermögen werden in Österreich kaum belastet, Arbeit hingegen sehr stark. Damit nicht genug: „Österreich weist eine besonders hohe Konzentration der Vermögen auf: Eine neue Studie der Europäischen Zentralbank kommt zum Ergebnis, dass das reichste Prozent vermutlich ein Drittel des gesamten privaten Vermögens in Österreich besitzt.“ Die tatsächliche Ungleichheit in Österreich sei um einiges größer, so der Experte.
    Vor diesem Hintergrund fordert Pointecker Erbschafts- und Vermögenssteuern, Mindestlöhne – immerhin 650.000 Beschäftigte verdienen noch weniger als 1.700 Euro brutto im Monat –, Infrastrukturprogramme und Arbeitszeitverkürzungsmaßnahmen. Aber: „Die Umsetzung der hier skizzierten Vorschläge erfordert Mehrheiten zur Änderung der Politik in verteilungspolitischen Fragen.“ Es gibt jedoch wenig Anlass für Optimismus, was die rasche Lösung der Verteilungsprobleme betrifft. Die Umsetzung von Vorschlägen sei „immer eine Frage der Macht- und Kräfteverhältnisse“.
    Tatsächlich spielen in der öffentlichen Debatte des (Vor-)Wahlkampfes Vermögens- und Verteilungsfragen kaum eine Rolle – zumindest nicht in dem Sinne, wie es im Sozialbericht der Fall ist. Stattdessen wird eine sehr eigene Vermögensdebatte geführt, nämlich eine, die sich tendenziell gegen die ärmeren Schichten der Bevölkerung richtet.
    Das lässt sich etwa an der Diskussion rund um die Mindestsicherung ablesen. So veröffentlichte der Rechnungshof im Juli einen Bericht über die Praxis der Mindestsicherungsvergabe in Wien. Darin wird das Land Wien scharf kritisiert. Die Anzahl der MindestsicherungsbezieherInnen sei von 2011 bis 2015 um 50 Prozent angestiegen. Ein weiterer Anstieg sei zu erwarten. Es werde nicht genug unternommen, um sicherzustellen, dass tatsächlich nur Berechtigte die Mindestsicherung bekämen. „Der RH empfiehlt, Reform- und Einsparungsmaßnahmen einzuleiten, um die Finanzierbarkeit der Mindestsicherung in Wien mittel- und langfristig sicherzustellen“, heißt es in dem Bericht.
    In immer mehr Bundesländern wird dies bereits praktiziert beziehungsweise geplant. Beispiel Tirol: Hier will die Landesregierung durch Kürzungen bei der Mindestsicherung 5,3 Millionen Euro einsparen. Unter anderem sollen Wohnkosten gedeckelt, also teure Mieten nicht mehr übernommen werden. Eine Kürzung des Mindestsatzes für Kinder ist ebenso geplant wie eine Streichung diverser Sonderzahlungen für ArbeiterInnen, PensionistInnen und Erwerbslose.
    Der in Innsbruck tätige Sozialverein DOWAS kommentierte im März: „Aus unserer langjährigen Arbeit mit Menschen in Notlagen wissen wir, dass die Mindestsicherung bisher gerade ausreichend war, um den Betroffenen eine Absicherung des Lebensunterhaltes zu bieten. Die Lebenshaltungskosten in Tirol steigen – die Kürzungen entbehren somit jeglicher Grundlage und werden eine wirksame Armutsbekämpfung unmöglich machen.“

    Missbrauch für Sozialabbau
    Der ÖGB-Bundesvorstand hatte sich bereits im März 2016 gegen Angriffe auf die Mindestsicherung ausgesprochen. „Das letzte Netz muss halten“, heißt es da. In dem Beschluss kritisiert der ÖGB, dass die „Asylsituation als Vorwand für schleichenden Sozialabbau“ missbraucht werde. Nötig sei vielmehr eine bundesweit einheitliche Mindestsicherung. Einer Deckelung von Sozialleistungen erteilt der ÖGB eine klare Absage.
    Pläne für Angriffe auf Mindestsicherung und Erwerbslose kommen derzeit vor allem aus den Reihen von ÖVP und FPÖ. So wurde Ende Mai eine Studie aus dem Haus von Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) bekannt, in der über eine Einführung des deutschen Hartz-IV-Modells in Österreich nachgedacht wird. Erwerbslose sollen demnach zum Verbrauch ihrer Ersparnisse und ihres Besitzes gezwungen werden – eine bemerkenswerte Enteignung der Armen.
    Die FPÖ wiederum fördert schon seit Langem Kürzungen bei Pensionen, Familienbeihilfen und eben bei der Mindestsicherung. Diese möchte sie auf 65 Prozent des niedrigsten Kollektivvertrages gesenkt wissen. In Bundesländern wie Oberösterreich forciert sie aktiv die Beschneidung der Mindestsicherung. Doch auch die SPÖ ist teilweise an Angriffen auf die Mindestsicherung beteiligt. Im Burgenland hat sie im März gemeinsam mit FPÖ und ÖVP ein entsprechendes, umfassendes Sparpaket vorgelegt.

    Soziale Gerechtigkeit im Wahlkampf
    Die SPÖ will im Wahlkampf das Feld „soziale Gerechtigkeit“ mit dem Slogan „Nehmen Sie sich, was Ihnen zusteht“ besetzen. Unter anderem fordert die SPÖ eine Erbschaftssteuer ab einer Million Euro und einen Mindestlohn von 1.500 Euro. Zugleich verspricht sie eine Senkung der Lohnnebenkosten um drei Milliarden Euro sowie Pensionskürzungen im öffentlichen Dienst, wenn auch vorerst nur bei „hohen Sonderpensionen“. Auch die Grünen werben mit „sozialer Gerechtigkeit“, unter anderem fordern sie einen gesetzlichen Mindestlohn von 1.750 Euro. Weitere Themen sind: Umverteilung und leistbares Wohnen.
    Konkurrenz auf sozialpolitischer Ebene kommt von der Liste des Ex-Grünen-Politikers Peter Pilz. Zwar sind die inhaltlichen Details seiner Plattform noch recht spärlich. In verschiedenen Medienauftritten versprach Pilz aber eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich und eine Erbschaftssteuer ab 500.000 Euro.
    Für die Gewerkschaftsbewegung virulent bleibt umso mehr das Thema Umverteilung. So startete etwa der ÖGB Waldviertel im Juni eine Kampagne mit dem Titel „Teilen macht reich – Sparen macht arm“. Darin wird zu mehr Umverteilung in Österreich aufgerufen. So seien schon jetzt zwei Drittel aller MindestsicherungsbezieherInnen sogenannte AufstockerInnen, also ArbeitnehmerInnen, deren Lohn nicht zur Existenzsicherung reicht.
    In der ORF-„Pressestunde“ im Juli erklärte ÖGB-Präsident Erich Foglar die Erbschafts- und Schenkungssteuer für „längst überfällig“. Der ÖGB sei immer dafür eingetreten, diese mit der Abschaffung des Pflegeregresses zu verknüpfen. Das sei eine Frage der „Generationengerechtigkeit“. Die ErbInnen sollten einen Beitrag leisten, dieser sollte den Pflegebedürftigen zugutekommen. Eine Grenze zwischen 500.000 und einer Million Euro, bis zu der keine Steuern fällig werden sollen, ist für Foglar in Ordnung. Entscheidend sei aber die Konstruktion.
    Außerdem hält Foglar am gewerkschaftlich angestrebten Ziel eines Mindestlohnes von 1.700 Euro fest. Adäquate Löhne und Gehälter seien die erste Voraussetzung dafür, dass die Mindestsicherung ihre Absicherungsfunktion erfülle, so Foglar.

    Lücke schließen
    Diese Forderung – und in gewissen Bereichen schon mehr – gebe es schon seit Jahren. Nur mehr 15 Prozent der ArbeitnehmerInnen würden weniger verdienen, das seien 420.000 Beschäftigte, unter 1.500 Euro lägen 300.000. Foglar sprach sich zugleich dafür aus, dass die Mindestsicherung wieder österreichweit einheitlich geregelt wird. Sie sollte ausschließlich in die Bundeskompetenz fallen.

    Linktipps:
    Hartz IV für Österreich – ÖVP-Planspiele mit den Ärmsten, Redaktion Kontrast-Blog:
    tinyurl.com/y895lc62
    Sozialbericht des Sozialministeriums, Sozialpolitische Entwicklungen und Maßnahmen 2015–2016, Jänner 2017:
    tinyurl.com/y8lf8s87 

    Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor christian@bunke.info oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Christian Bunke, Freier Journalist Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725611403 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725611392 Abgaben = Sozialstaat = Wirtschaftserfolg Entlastung gefällig? In Zeiten schwachen Einkommenswachstums freuen sich alle BürgerInnen über Steuersenkungen. So wurden die Einkommensteuern im Jahr 2016 um fünf Milliarden Euro gesenkt, dies brachte den Beschäftigten mit mittlerem Einkommen monatlich zwischen 70 und 100 Euro an zusätzlichem Nettoeinkommen.

    Belastung statt Entlastung
    Der Wahlkampf bringt nun weitere Vorschläge für Steuerentlastungen mit sich. Bei genauerem Hinsehen können sich diese jedoch als Belastungen für die BürgerInnen entpuppen. Den radikalsten Vorschlag hat ÖVP-Parteiobmann Sebastian Kurz vorgelegt: Er will die Abgabenquote – also den Anteil der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge am Bruttoinlandsprodukt – auf unter vierzig Prozent senken. Dies würde eine Reduktion im Ausmaß von zehn bis zwölf Milliarden Euro pro Jahr bedeuten. Doch bei jeder Steuersenkung stellt sich die Frage der Finanzierbarkeit.
    Bei der Lohnsteuersenkung 2016 haben AK und ÖGB darauf gedrängt, das nicht über einen ungedeckten Scheck zu machen, sondern über konkrete Maßnahmen: unter anderem durch die Einführung einer Registrierkassen- und Belegerteilungspflicht, die Anhebung der Kapitalertragssteuer für Dividenden auf 27,5 Prozent und die Erhöhung des Spitzensatzes der Einkommensteuer auf 55 Prozent. Dazu kamen Reformen bei der Grunderwerbssteuer, und es wurden verschiedene steuerliche Ausnahmen abgeschafft.

    Schmerzhafte Kürzungen wären nötig
    Woher also soll das Geld für eine Steuersenkung kommen, die mehr als doppelt so groß ist wie jene aus dem Jahr 2016? Eine beliebte Antwort lautet: Bei der Verwaltung und bei Förderungen gibt es ein milliardenschweres Einsparungspotenzial. In der Tat wären Länder und Gemeinden von einem Einnahmenentfall in der Höhe von zehn Milliarden Euro merklich betroffen: Wien mit einem Ausfall von 400 Millionen Euro pro Jahr, Niederösterreich mit 300 Millionen und sogar das kleine Vorarlberg mit knapp 80 Millionen.
    Nun ist eine bessere Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, was Zuständigkeiten, Verwaltungsabläufe und Förderungen betrifft, dringend notwendig. Doch die Kürzung von Förderungen bedeutet bei Krankenhäusern, Schieneninfrastruktur oder auch Bauerneinkommen erhebliche Leistungseinschränkungen. Alles kann effizienter werden und man kann da und dort Millionen sparen – doch Milliardenbeträge sind hier auf absehbare Zeit nicht zu holen.

    Schwere Einschnitte unvermeidbar
    Gottfried Haber, Budgetberater von Sebastian Kurz, und Franz Schellhorn, Leiter des neoliberalen Thinktanks Agenda Austria, schlagen eine andere Strategie vor: Die Staatsausgaben sollen nicht mehr mit der Wirtschaftsleistung wachsen, sondern real stagnieren. Um dieses Ziel erreichen zu können, wären schmerzhafte Einschnitte unvermeidbar. Das betrifft vor allem die Bereiche Soziales, Gesundheit und Bildung, die fast zwei Drittel der Staatsausgaben ausmachen.

    • Pensionen: Die langfristigen Prognosen gehen davon aus, dass die Ausgaben für die Alterssicherung bis 2060 real etwa gleich stark wie die Wirtschaftsleistung wachsen und sich so bei 15 Prozent des BIP stabilisieren.
      Dies ist angesichts des Anstiegs des Anteils der über 65-Jährigen von 18 auf 28 Prozent der Bevölkerung nur aufgrund von zwei bereits getroffenen Maßnahmen möglich: Weil das effektive Pensionsantrittsalter dank der Pensionsreformen steigt und die individuellen Pensionen nur noch mit der Inflationsrate erhöht werden, also sich real nicht erhöhen. Sollen nun zur Finanzierung der Abgabensenkung die staatlichen Pensionsausgaben insgesamt stagnieren, dann müssten die einzelnen Pensionen merklich gekürzt werden.
    • Gesundheit: Hier wurde politisch ein Kostendämpfungspfad vereinbart, der den Anstieg der realen Gesundheitsausgaben auf etwa ein Prozent pro Jahr begrenzt. Angesichts des Kostenanstiegs in der Medizintechnik und der Alterung der Gesellschaft ist das ambitioniert, kann aber durch Effizienzverbesserungen bislang eingehalten werden. Eine weitere Ausgabenkürzung zugunsten einer Abgabensenkung bedeutet Verschlechterungen in der öffentlichen Gesundheitsversorgung.
      Pflege: Wenn bei alternder Bevölkerung ein modernes Pflegesystem entwickelt werden soll, das allen Menschen – nicht nur den Reichen – eine qualitativ hochwertige Versorgung zu Hause und bei Bedarf auch im Pflegeheim garantiert, dann bedeutet das steigende Ausgaben für den Sozialstaat. Das wäre gut investiertes Geld für soziale Absicherung und sozialen Zusammenhalt. Es müsste gestrichen werden, um die Abgabensenkung zu finanzieren.
    • Bildung: Alle Volksschulen in Österreich kosten zusammen etwa fünf Milliarden Euro pro Jahr. Vor allem „Brennpunktschulen“ mit besonders vielen sozial benachteiligten Kindern brauchen dringend mehr Personal und Geld. Zum Teil kann das mit Einsparungen bei Kleinstschulen und in der Verwaltung kompensiert werden. Doch die Bildungsausgaben müssen angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen langfristig steigen. Ein Ausgabenstopp zugunsten einer Abgabensenkung würde das verhindern.

    Viele Krisenländer im Süden haben in den letzten Jahren kräftig bei öffentlichen Investitionsausgaben gekürzt, weil das kurzfristig am einfachsten ist. In Österreich investiert der Staat stabil rund zehn Milliarden Euro in die Modernisierung des Verkehrssystems, sozialen Wohnbau und öffentliche Gebäude – eben jene Summe, die bei einer radikalen Abgabensenkung fehlen würde. Ein Investitionsstopp fiele kurzfristig vielleicht gar nicht auf, doch auf Dauer ist er besonders schädlich: Eine wachsende Bevölkerung in den Ballungszentren braucht ebenso wie der Wirtschaftsstandort eine gute Infrastruktur.

    Erfolg mit hoher Sozialquote
    Österreich hat mit etwa 43 Prozent des Bruttoinlandsprodukts die fünfthöchste Abgabenquote der EU, nach Belgien, Frankreich, Dänemark und Finnland, und es liegt gleichauf mit Schweden. Österreich weist mit rund 30 Prozent des BIP die vierthöchste Sozialquote der EU auf, nach Frankreich, Dänemark und Finnland, erneut liegt es gleichauf mit Schweden. Und Österreich hat mit fast 37.000 Euro die vierthöchste Wirtschaftsleistung pro Kopf zu Kaufkraftstandards, nach Luxemburg, Irland, den Niederlanden und knapp vor Dänemark, Deutschland und Schweden.
    Offensichtlich gehen in Österreich – wie in den skandinavischen Ländern – wirtschaftlicher Erfolg und hohe Produktivität mit hoher Abgabenquote und hoher Sozialquote einher. Gesellschaften mit starker Wirtschaftskraft und hohen Einkommen setzen auf öffentliche Dienstleistungen mit hoher Qualität in der Infrastruktur ebenso wie bei sozialer Sicherheit und Bildung. Deshalb ist in reichen Ländern die Sozialquote höher als in armen und, um das zu finanzie-ren, auch die Abgabenquote. Eine radikale Senkung der Abgabenquote bedeutet unweigerlich auch eine radikale Kürzung der Leistungen des Sozialstaates. Sinnvoll wäre hingegen eine Umschichtung der Abgaben: von der Belastung der Arbeitseinkommen zur Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und ökologisch schädlichen Produktionsweisen.

    Investieren statt kaputtsparen
    Ein moderner Wohlfahrtsstaat funktioniert wie ein Rettungsring für Menschen in schwierigeren Lebenssituationen, etwa bei Krankheit oder im Alter. Gleichzeitig ist er Türöffner für die junge Generation, indem er ein hochwertiges Angebot an Bildung für alle bereitstellt. Dafür muss allerdings laufend in die Modernisierung des Wohlfahrtsstaates investiert werden – die Senkung der Abgabenquote bewirkt das genaue Gegenteil. Für die BürgerInnen wäre sie im Endeffekt keine Entlastung: Kürzt der Staat Leistungen bei Gesundheit, Bildung oder Pensionen, dann müssen diese privat und oft auf teurerem Weg bezahlt werden.

    Blogtipp:
    „Was jetzt wirtschaftspolitisch zu tun ist“:
    tinyurl.com/y996m8sd

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen romana.brait@akwien.at und markus.marterbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Romana Brait, Markus Marterbauer | Abteilung Wirtschaftswissenschaft der AK Wien Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725611386 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725611357 Weltmeister oder Totalversager? Viele Jahre war vom „Weltmeister Österreich“ in der Familienpolitik die Rede. Ein internationales Vorbild sei das Land. Liest man die Presseaussendungen mancher Familienverbände heute, klingt es allerdings, als hätte eine brutale Vertreibung aus dem Familienparadies stattgefunden. Wurde die Alpenrepublik etwa im Ländervergleich abgehängt? Die Antwort auf die Frage ist kein simples Ja oder Nein. Wie so oft zeigt sich die Wirklichkeit facettenreich.

    Geld oder Leistung?
    Familienpolitik bedient sich unterschiedlicher Mittel. Sie kann Familien unterstützen, indem sie wichtige Leistungen bereitstellt, etwa kostengünstige Kinderbetreuung oder Gesundheitsversorgung von Familienmitgliedern. Sie kann Familien auch bestimmte Rechte einräumen wie das Anrecht auf Elternkarenz oder Pflegeurlaub. Und sie kann Familien schlicht und einfach Geld geben: entweder als direkte Geldleistung – kurz Transfer – gewissermaßen bar auf die Kralle. Oder indirekt als Steuerkürzung.
    In der Regel bedienen sich alle europäischen Länder eines Mix dieser Möglichkeiten – allerdings mit sehr unterschiedlichen Gewichtungen. Die jeweilige Betonung variiert je nach ideologischer Ausrichtung der bestimmenden politischen Kräfte. So setzen die skandinavischen Staaten aufgrund einer Politik der Chancengleichheit schon seit Langem vorrangig auf hochqualitative und exzellent ausgebaute Kinderbetreuung. In Deutschland spielen hingegen konservative Vorstellungen von Familie noch immer eine große Rolle. Dementsprechend haben hier steuerliche Maßnahmen – vor allem das „Ehegattensplitting“ – großes Gewicht. Damit werden vor allem Paare mit einer traditionellen Arbeitsteilung gefördert.

    Bei Kinderbetreuung abgehängt
    Um die familienpolitische Großzügigkeit und den Politik-Mix besser einordnen zu können, lohnt sich ein Blick auf emotionslose Zahlen. Im Vergleich zu anderen Staaten war Österreich gemessen an der Wirtschaftsleistung lange Zeit besonders großzügig in Sachen Familienleistungen. Diesen Spitzenplatz hat es in den letzten Jahren verloren. Hat die Alpenrepublik im OECD-Vergleich im Jahr 1980 (nach Schweden) noch am zweitmeisten für Familien ausgegeben, liegt sie aktuell nur auf Platz 10. Wie konnte das passieren? Ein näherer Blick zeigt: Österreich wurde bei der „Elementarbildung“ – vulgo Kinderbetreuung – abgehängt.
    In diesem Bereich gab es nämlich eine extrem dynamische Entwicklung. Lag Österreich 1980 bei den Ausgaben für Kinderbetreuung noch auf Platz 6, rasselte es bis 2008 auf Platz 25 hinunter. Danach wurden die Auswirkungen verstärkter Investitionen durch den Bund sichtbar, womit das kleine Land an der Donau wieder an die 13. Stelle kletterte. Insgesamt haben sich die Ausgaben für Kinderbetreuung seit 1980 in Österreich zwar verdoppelt, in anderen Ländern stiegen sie aber wesentlich stärker: in Deutschland um das Vierfache, in Frankreich um das Fünffache, in Italien und Belgien um das Siebenfache, in Irland um das 17-Fache und in Spanien gar um das 29-Fache – in den letzteren beiden allerdings ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau.
    Alle genannten Staaten lagen 1980 hinter Österreich und haben uns mittlerweile deutlich überholt. Kein Wunder, liegen die Ausgaben für Kinderbildung mit 0,65 Prozent am BIP hierzulande noch immer weit unter dem OECD-Durchschnitt von 0,93 Prozent. Das alpine Land hat also eindeutig in der Kinderbetreuung und -bildung den internationalen Anschluss verloren.

    Geld fürs Daheimbleiben?
    Betrachtet man nur die Geldleistungen für Familien, büßte Österreich zwar einige Plätze seit 1980 ein, liegt aber immer noch unter den besten Staaten. Aber auch hier gibt es eine breite Palette an Möglichkeiten, wie diese ausgestaltet sind und welche Anreize damit gesetzt werden. Zentral ist dabei unter anderem die Frage, ob das lange Zuhausebleiben eines Elternteils – klassischerweise der Mutter – gefördert wird oder ob eine partnerschaftliche Teilung der Familienarbeit unterstützt wird.
    Das lässt sich gut am Kinderbetreuungsgeld – kurz KBG – illustrieren. Dieses ist nach der Familienbeihilfe die zweitwichtigste Geldleistung für Familien in Österreich. Rund 1,3 Milliarden Euro werden jährlich aufgewendet, damit sich Eltern nach der Geburt ihres Kindes dessen Betreuung widmen können. Dafür standen bislang unterschiedliche Varianten zur Auswahl. Maximal konnte ein Elternteil bis zu 30 Monate Kinderbetreuungsgeld beziehen, beide zusammen sogar 36 Monate. Der monatliche Betrag war mit rund 436 Euro allerdings recht gering. Bei der kürzesten, einkommensabhängigen Variante beträgt die Dauer 12 Monate für einen Elternteil, plus zwei Monate, wenn es auch der zweite Elternteil in Anspruch nimmt. Der monatliche Betrag variiert je nach Einkommen zwischen 1.000 und maximal 2.000 Euro.
    Wie sich diese Leistung im Hinblick auf die Förderung partnerschaftlicher Teilung im EU-Vergleich darstellt, hat sich Wirtschaftswissenschafterin Helene Dearing in einer Studie angeschaut. Darin hat sie die beiden oben angeführten Modelle analysiert. So unterschiedlich diese beiden Varianten sind, so verschieden war auch die Platzierung im internationalen Ranking: Befand sich Österreich mit der 30+6-Monats-Variante im unteren Mittelfeld der europäischen Staaten, rangierte es beim einkommensabhängigen Modell unter den Top Drei.

    Trend zu Gleichstellung
    Mit der Einführung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes wurde also ein Schritt in Richtung Väterbeteiligung und mehr Gleichstellung gemacht. Das neue Kinderbetreuungsgeld-Konto sieht zusätzliche Anreize für eine partnerschaftliche Teilung der Karenzzeiten vor. Damit liegt Österreich im internationalen Trend.
    In vielen europäischen Ländern wird Karenzpolitik als Maßnahme zu mehr Ausgewogenheit zwischen Frauen und Männern bei Familienarbeit eingesetzt. In Schweden und Norwegen geht diese Schwerpunktsetzung bereits bis in die 1970er-Jahre zurück.
    Schweden war 1974 das erste Land, das für Väter einen Anspruch auf Karenz gewährt hat. Da diese den Anspruch aber meist auf ihre Partnerinnen übertrugen, führten einige nordische Staaten eine sogenannte „Vaterquote“ ein. Diese sieht vor, dass ein gewisser Teil der Karenz nur von den Vätern beansprucht werden kann. So gibt es in Schweden seit 2002 eine Vaterquote von zwei Monaten. Heute gehen dort 9 von 10 Vätern in Karenz.

    Seltsam unentschlossenes Österreich
    Auch in Österreich kann ein gewisser Anteil des KBG nur von Vätern in Anspruch genommen werden. Mit dem neuen KBG-Konto wurde dieser Anteil noch erhöht. Fast schaut es aus, als wäre Österreich Vorreiter in Sachen fortschrittlicher Familienpolitik. Das trifft aber nur punktuell zu.
    In der Gesamtsicht mutet österreichische Familienpolitik seltsam unentschlossen an. Einerseits wurde in den letzten Jahren viel Geld an Familien ausgeschüttet. Allein die Erhöhung der Familienbeihilfe machte 800 Millionen Euro aus. Damit wird eine traditionelle Arbeitsteilung zwischen Frauen und Männern eher verfestigt. Gleichzeitig wurde vom Bund fast eine halbe Milliarde Euro für den Ausbau von Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt, was es Frauen beträchtlich erleichtert, auch mit Kindern erwerbstätig zu sein. Kurz gesagt: Es wird viel Geld darauf verwendet, konservative und fortschrittliche Familienpolitik gleichermaßen zu betreiben.

    Mehr Chancengleichheit für Kinder
    Dabei spräche nicht nur der internationale Trend dafür, deutlich mehr Geld in die Kinderbetreuung zu investieren. Das würde nicht nur zur Gleichstellung am Arbeitsmarkt beitragen, es könnten auch Tausende Jobs damit geschaffen werden. Zudem würde die Chancengleichheit der Kinder massiv gefördert. Und nicht zuletzt würden sich diese Investitionen aufgrund der positiven Beschäftigungseffekte schon in wenigen Jahren für die öffentliche Hand rechnen. 
     
    Blogtipps:
    Buxbaum/Pirklbauer: Elementarbildung: Investitionen rechnen sich:
    blog.arbeit-wirtschaft.at/15195-2
    Dearing/Hauer: Kinderbetreuungsgeld und Gleichstellung
    blog.arbeit-wirtschaft.at/12653-2

    Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin sybille.pirklbauer@akwien.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sybille Pirklbauer, AK Wien Frauen und Familien Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725611351 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725609696 Der soziale Mehrwert Die Kleinen züchten Urzeitkrebse, lernen, wie man Hühner aufzieht, oder besuchen das Freibad. Die Eltern können in den Ferien arbeiten, ohne extra Betreuung aufzustellen. Kinderkrippen und Horte: Pro Jahr betreut das Eltern-Kind-Zentrum (Ekiz) Söllandl rund 200 Kinder und Jugendliche in den Tiroler Gemeinden Ellmau, Going, Söll und Scheffau.
    Die Kooperation der Gemeinden entstand aus einem Engpass. „1994 habe ich nach der Geburt meiner Tochter als Tagesmutter gearbeitet und war relativ alleine. In der Region gab es kaum Kinderbetreuung“, blickt Geschäftsführerin Alexandra Sollerer zurück. Zusammen mit anderen Eltern und Unternehmern gründete sie das Ekiz. Dort sind heute 34 Pädagoginnen beschäftigt. Die Kinderbetreuung ist ganztägig und ganzjährig. Das hatte positive Effekte: In Scheffau siedelten sich junge Familien an, es entstanden neue, nachhaltige Jobs in der ganzen Region. 

    Zukunftsinvestition
    In sozialen Berufen wie Kinderbetreuung und Pflege arbeiten überwiegend Frauen. Investitionen in diese Branchen schaffen und ermöglichen neue Jobs, auch abseits der Betreuung. Zurzeit übernehmen viele Frauen Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen selbst – und somit unbezahlt. „Es gilt, unbezahlte in bezahlte Arbeit umzuwandeln“, erklärt AK-Expertin Ingrid Moritz. „Ein besseres Betreuungsangebot entlastet Frauen, die so selbst Karriere machen können.“ Dazu kommt: Die Berufstätigkeit sichert die Pension.
    Um das Angebot an Kinderbetreuung und Pflege zu verbessern, muss in Infrastruktur und qualifiziertes Personal investiert werden – für die Arbeiterkammer ein Erfolgsrezept: Würde der Bund 100 Millionen Euro über vier Jahre investieren, könnten in der Kinderbetreuung bis zu 14.000 neue Jobs geschaffen werden und bis zu 28.000 Mütter einer Arbeit nachgehen. 2.300 Jobs entstünden in anderen Branchen, so eine AK-Studie. Einkommensteuer und Abgaben fließen an den Staat, Ausgaben für Arbeitslosenhilfe und Mindestsicherung wiederum sinken. „Es ergeben sich Mehreinnahmen zu den laufenden Kosten“, erläutert Moritz. 

    Qualität
    Je mehr Aufgaben von Haushalten in den öffentlichen Sektor wandern, desto mehr Jobs entstehen für Menschen mit unterschiedlichem Anforderungsprofil: So sind für einen funktionierenden Kindergarten Pädagoginnen, Assistentinnen, Reinigungskräfte, Hausmeister oder Küchenpersonal notwendig. Investitionen in soziale Jobs sorgen für ein besseres Leistungsangebot. So fordert Margit Pollak von der Gewerkschaft für Gemeindebedienstete einen Ausbau an Betreuungsplätzen für unter Dreijährige. „Es geht nicht, dass man Kleinkindergruppen mit 25 Kindern hat, das Gesetz schreibt 15 vor.“ Sie betont, dass ein Ausbau ohne entsprechende Qualifizierung des Personals unmöglich sei. Dem stimmt Sophie Schallamon zu. Sie arbeitet als Kindergartenpädagogin im 15. Wiener Gemeindebezirk. „Ich arbeite gerne mit Kindern und schätze es, dass ich den Tagesablauf selbst gestalten und entscheiden kann, was für die Kleinen wichtig ist.“
    Um besser auf ihre Schützlinge eingehen zu können, wünscht sie sich kleinere Gruppen. „Wir haben zwar Assistentinnen, bei 25 Kindern kann man aber nicht auf jedes gleichermaßen eingehen. Mit mehr Personal könnte man sich das besser einteilen.“ Sie wünscht sich zudem mehr Fortbildungsangebote.

    Teilzeit/Vollzeit
    In Österreich ist die Kinderbetreuung sehr unterschiedlich. In Wien sind Kindergärten – abgesehen von einem Beitrag für das Mittagessen – beitragsfrei. Bei den unter Dreijährigen können 71 Prozent der Kinder mit einem Betreuungsplatz versorgt werden, bei den Drei- bis Sechsjährigen liegt die Zahl der vorhandenen Plätze sogar bei über 100 Prozent.
    Die Öffnungszeiten sind so gestaltet, dass Mütter auch Vollzeit arbeiten können. Davon kann man in einigen Gemeinden nur träumen. Die Teilzeitquote in Österreich liegt laut Statistik Austria bei 28,7 Prozent, Tendenz steigend. Traditionell arbeiten viele Frauen in Teilzeit. „Der Ausbau an sozialen Jobs mit entsprechenden Öffnungszeiten führt zu mehr Vollzeitjobs“, so Gudrun Biffl. Sie leitet das Department Migration und Globalisierung an der Donauuniversität Krems. Alleinverdienerabsetzbetrag, Kindergeld, Familienbeihilfe: Österreichs Familienpolitik setzt vielfach auf Transferleistungen. „Das regt aber zu einem Verbleib im Haushalt an“, kritisiert Biffl. Es sei für den Staat sinnvoller, in qualitätsgesicherte Betreuung zu investieren.
    Ein Paradebeispiel seien die Niederlande, die aus Fehlern der frühen 1980er-Jahre gelernt haben: Damals mangelte es dort an guter Kinderbetreuung. Viele Frauen blieben zu Hause. Die Regierung steuerte gegen: Arbeitszeitmodelle für Eltern von Kleinkindern wurden angepasst, die Arbeitszeit reduziert. Väter können einen Tag pro Woche zu Hause bleiben, Mütter nehmen meist zwei Tage pro Woche. Den Rest übernehmen öffentliche Einrichtungen. „Männer und Frauen können wertvolle Zeit mit dem Nachwuchs verbringen und dennoch Karriere machen“, so Gudrun Biffl.
    „In Österreich müssen sich Frauen immer noch zwischen Kind und Karriere entscheiden“, kritisiert Biffl. Je höher die Qualifikation, desto geringer ist denn auch die Geburtenzahl.
    Anders sieht es im hohen Norden aus, wie die Expertin erklärt: Skandinavische Länder haben eine traditionell hohe Frauenerwerbsquote und eine gut ausgebaute soziale Infrastruktur mit strengen Qualitätsstandards. „Die Bezahlung der Frauen entspricht der guten Ausbildung“, so Biffl. Der Staat subventioniert zwar, aber dafür sind die Lohnunterschiede zu anderen Branchen geringer. Das schmälert den Gender Pay Gap.

    Pflegemodell nicht zukunftsfähig
    Eine riesige Baustelle ist das Thema Pflege, obwohl auch hier ein großes Jobpotenzial schlummert. Denn nach wie vor werden 80 Prozent der Pflege- und Betreuungsarbeit in Österreich zu Hause erledigt, von Angehörigen und unbezahlt. Laut „Kompetenzzentrum Qualitätssicherung“ waren 2015 rund drei Viertel jener, die zu Hause pflegen, weiblich.
    Im Durchschnitt ist die Hälfte der pflegenden Frauen im erwerbsfähigen Alter. Dieses Modell aber ist nicht zukunftsfähig: Laut einer aktuellen WIFO-Studie wird die Zahl an Frauen, die solche privaten Pflegetätigkeiten ausüben können, sinken. Da wäre zum einen der demografische Wandel: Immer mehr Ältere stehen immer weniger Jüngeren gegenüber. Außerdem wird die Zahl an Ein-Personen-Haushalten laut Statistik Austria bis zum Jahr 2030 um 17 Prozent steigen. Das bedeutet: Rund 700.000 Menschen über 65 werden allein wohnen. Zudem steigt die Frauenerwerbsquote stetig.
    Die Personalsuche in der mobilen Pflege ist schwierig, denn der Job ist sehr anspruchsvoll. Die Ausbildung wird künftig vier statt drei Jahre dauern, dazu kommt eine Fortbildungsverpflichtung. Auch die stationäre Pflege wird künftig akademischer.
    Der Pflegeberuf verlangt einem einiges ab: Man braucht neben Fachwissen viel Toleranz, Flexibilität, Empathie und soziale Kompetenz. Die Fluktuation ist hoch, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Herausforderung. Da viele Pflegebedürftige so lange wie möglich zu Hause bleiben wollen, empfehlen die WIFO-Studienautoren, die mobile Pflege zu forcieren. Da dies aber nur begrenzt möglich ist, müsste auch die stationäre Pflege ausgebaut werden. In der mobilen und stationären Pflege sind in Österreich 64.000 Menschen beschäftigt.

    Mehr Chancen für Frauen
    Auf den Punkt gebracht bringen Investitionen in soziale Berufe mehr Job- und Aufstiegschancen für Frauen. Studienergebnisse verdeutlichen, dass mehr Geld für den sozialen Bereich zu einem besseren Betreuungsschlüssel, mehr Qualität und mehr Steuereinnahmen führen würde. Solcherlei Jobs, gepaart mit entsprechender Kinderbetreuung, könnten zu einem Wirtschaftsmotor werden und Gemeinden vor Abwanderung bewahren. Kurzum: Investitionen in soziale Dienstleistungen tragen nicht nur zu mehr Geschlechtergerechtigkeit bei – sie rechnen sich auch.
     
    Schreiben Sie Ihre Meinung an die AutorInnen udoseelhofer426@msn.com und sandra.knopp@gmx.at oder die Redaktion aw@oegb.at

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    Sandra Knopp und Udo Seelhofer, Freie JournalistInnen Arbeit&Wirtschaft 6/17 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=1501725609690 http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere= http://archiv.arbeit-wirtschaft.at/servlet/BlobServer?blobcol=urlmmogross&blobheader=image%2Fjpeg&blobkey=id&root=X03&blobnocache=false&blobtable=MMO&blobwhere=
    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725609658 GPA-djp: Mehr für Teilzeitarbeitende „Jede Statistik beweist es: Immer mehr Vollzeitstellen werden durch Teilzeitarbeitsplätze ersetzt, davon sind vor allem Frauen betroffen. Vielleicht nicht alle, aber viele von ihnen würden lieber in Vollzeit arbeiten. Teilzeit bedeutet weniger Gehalt und damit weniger Pension“, erklärt Wolfgang Katzian, Vorsitzender der GPA-djp. Eine der Optionen, um Altersarmut bei Frauen zu verhindern, die lange in Teilzeit beschäftigt waren, sei die Verdoppelung des Mehrstundenzuschlags auf 50 Prozent, wie dies Frauenministerin Pamela Rendi-Wagner in die Diskussion eingebracht hat.
    GPA-djp-Bundesfrauenvorsitzende Ilse Fetik ergänzt: „Wir müssen aber auch der Tatsache ins Auge blicken, dass viele Teilzeitbeschäftigte nicht einmal den derzeit gesetzlich vorgesehenen Zuschlag von 25 Prozent erhalten, da es einen Durchrechnungszeitraum von mehreren Monaten gibt und statt des Geldzuschlages oft auch dann Zeitausgleich anfällt, wenn MitarbeiterInnen lieber die Auszahlung haben wollen.“
    Von der Tatsache, dass rund ein Viertel der geleisteten Überstunden in Österreich nicht bezahlt werden, seien Teilzeitbeschäftigte besonders betroffen. „Daher ist neben einer Erhöhung des Zuschlages auch die Auszahlung ab der ersten geleisteten Überstunde essenziell“, so Fetik.

    Für eine Verkäuferin mit einem Arbeitsvertrag über 20 Wochenstunden, die tatsächlich aber regelmäßig 30 Wochenstunden arbeitet, würde die Angleichung auf den Überstundenzuschlag ein Gehaltsplus von circa 17 Prozent bedeuten, erklärt Katzian: „Dieses reale Beispiel aus einer Branche, in der 63 Prozent der 400.000 Angestellten Frauen sind, beweist die Richtigkeit der Forderung eindrucksvoll.
    Aber auch abseits des Handels ist der Handlungsbedarf mit einer Teilzeitquote von 48 Prozent für alle Branchen in Österreich groß – jede zweite dieser Beschäftigten würde mit der Verdoppelung des Überstundenzuschlags gewinnen!“
    80 Prozent der knapp 1,1 Millionen Teilzeitbeschäftigten in Österreich sind Frauen. Teilzeitbeschäftigung reduziert das Einkommen und senkt damit auch die Pensionshöhe. Frauen sind somit stärker von Altersarmut bedroht. „Die Erhöhung der Einkommen der Teilzeitbeschäftigten durch eine Abgeltung der Mehrarbeitsleistung ist ein wichtiger Baustein, um die Einkommenssituation von Frauen zu verbessern“, so Fetik.

    GPA-djp zu Gleichstellung:
    tinyurl.com/y8xtbbzz

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    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725609655 ÖGB-Frauen: Einkommensschere wird zur Pensionsfalle „Frauen bekommen unglaubliche 43 Prozent weniger Pension als Männer. Der Grund dafür ist offensichtlich und allseits bekannt: Frauen verdienen weniger als Männer, arbeiten oft in Teilzeit und erledigen den Großteil der unbezahlten Arbeit, wie Kindererziehung und Pflege von Angehörigen“, sagte Renate Anderl, ÖGB-Vizepräsidentin und Frauenvorsitzende, anlässlich des Equal Pension Day am 26. Juli 2017. An diesem Tag haben Männer bereits so viel Pension erhalten, wie Frauen erst bis Jahresende beziehen werden. Im Vergleich zu 2016 hat sich kaum etwas verbessert, in Kärnten, Salzburg und Tirol hat sich die Lücke sogar noch ein wenig weiter geöffnet.
    In der Pension spiegelt sich somit wider, dass es immer noch große Unterschiede und Ungleichheiten zwischen männlichen und weiblichen Erwerbsleben gibt. So können Männer laut Zahlen des Österreichischen Städtebunds mit jährlich durchschnittlich 25.901 Euro Pension rechnen, Frauen lediglich mit 14.796 Euro. Das ist ein Unterschied von immerhin rund 10.000 Euro, die Frauen durchschnittlich weniger an Pension erhalten als Männer. „Frauenpensionen können nur dann steigen, wenn die Arbeitsbedingungen verbessert werden und Frauen die gleichen Chancen am Arbeitsmarkt vorfinden.“
    Das Angebot an Kinderbildungseinrichtungen müsse – besonders am Land – dringend ausgebaut werden, damit Mütter überhaupt die Möglichkeit bekommen, ihre Arbeitsstunden aufzustocken oder gar in Vollzeit zu arbeiten. „Niedrige Einkommen führen zu geringen Pensionen und tragen dazu bei, dass deutlich mehr Frauen von Altersarmut betroffen sind als Männer. Die Einkommensschere wird für Frauen also zur Pensionsfalle.“ Für mehr Gleichstellung wäre aus Sicht der ÖGB-Frauen auch die volle gesetzliche Anrechnung der Elternkarenzen, die die ÖGB-Frauen seit Jahren fordern, eine notwendige Maßnahme, die rasch umgesetzt werden muss, genauso wie die Einführung eines Lohntransparenzgesetzes. „Die innerbetriebliche Offenlegung aller Gehälter würde Arbeitnehmerinnen nicht nur helfen, am Verhandlungstisch besser zu argumentieren, sondern auch die Einkommensunterschiede zu reduzieren“, betont die ÖGB-Vizepräsidentin.

    Studie „Frauen und Pensionen“:
    tinyurl.com/y8xczm7s

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    Fri, 11 Aug 2017 00:00:00 +0200 1501725609641 Frisch gebloggt Hartz IV – Klassenkampf von oben
    Josef Wallner

    Zuletzt wurde zu den Themen Notstandshilfe und Hartz IV kontrovers diskutiert und die Frage aufgeworfen, ob nicht Sozialabbau nach dem Modell Hartz IV auch in Österreich die Arbeitslosigkeit und Ungleichheit senken könne. Überprüft man die Grundlage dieser Annahme, wird deutlich, dass Hartz IV in Deutschland weder die Ungleichheit verringert noch Beschäftigung geschaffen hat. Einschneidende Effekte hatten die Hartz-IV-Reformen nur auf den steigenden Anteil der NiedriglohnbezieherInnen und die Armutsgefährdungsquote. Die Armutsgefährdung unter Arbeitslosen ist in Deutschland mit einem Anteil von 69 Prozent im EU-Vergleich sogar am höchsten. Hartz IV führt zu mehr Ungleichheit, weil es zur Veräußerung selbst kleinster „Vermögen“ und zur Annahme von Arbeit zu Armutslöhnen zwingt. Würde man Hartz IV auf Österreich umlegen, würde dies einen beträchtlichen Anstieg der Armutsgefährdung und nicht abschätzbare gesellschaftliche Folgekosten durch erhöhte Armut bedeuten.
    Was in Österreich hingegen wirklich gebraucht wird, sind echte Beschäftigungschancen und eine ausreichende Existenzsicherung bei Arbeitslosigkeit, um den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft zu wahren.
    Lesen Sie mehr: tinyurl.com/ycf953tm

    Mit Marx über die Digitalisierung nachdenken
    Tobias Hinterseer und Bernd Wimmer

    Über die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf die Arbeitswelt gibt es mittlerweile unzählige Studien und Publikationen. Die Bandbreite der Prognosen schwankt dabei ungemein: Manche sehen in der Digitalisierung die Wunderwaffe der Zukunft, andere warnen vor massiven negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Doch Digitalisierung ist keine Naturgewalt, vielmehr haben wir es als Gesellschaft selbst in der Hand, wie sich die Digitalisierung gestaltet – erst Gebrauch und Umgang mit neuen Technologien entscheiden über ihre Auswirkungen. Karl Marx’ Gedanken zum technischen Fortschritt sind in diesem Zusammenhang überraschend aktuell. Er sah in der Technik die Chance, die notwendige Arbeit zu verringern und dadurch Emanzipation zu erm&oum